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Zweites Kapitel

Vor einem Jahre etwa, an einem Mittwoch, bot der Blumenmarkt auf dem Kai einen reizenden Anblick dar. Blüthenreiche Stauden ergötzten zugleich Auge und Geruch; zahlreiche Spaziergänger gingen auf dem Markte auf und ab, die Einen, um zu sehen, die Andern, unschlüssig, was sie unter den schönen Gegenständen, woran sich ihr Auge weidete, auswählen sollten.

Inmitten dieser Menschenmenge sah man einen kleinen, schwarzgekleideten Greis, dessen abgetragene, an manchen Stellen schon ausgebesserte Kleider durch eine ganze Generation gegangen zu sein schienen. Der kleine Mann, dessen dürrer, magerer Leib fast eben so abgenützt schien als sein Rock, hatte eine Perrücke auf dem Kopfe, die einst blond gewesen sein mochte, aber im Laufe der Zeit roth geworden war.

Von dem immerwährenden Gebrauche und Zurechtsetzen war sie an beiden Seiten so abgerieben und kurz geworden, daß sie nur noch bis an die Ohren reichte, und man dort weiße Haare hervordringen sah, welche durchaus nicht zur übrigen Frisur paßten, diese konnte auch der ebenfalls roth gewordene Hut nicht bedecken, dessen Krämpe so schmal war, daß man nicht begriff, wie es der kleine Mann anfange, wenn er Jemand durch Hutabziehen grüßen wolle. Allein dieser mehr als bescheidene Anzug machte keinen wehmüthigen Eindruck auf Einen, weil der kleine Greis unter seinem abgeschabten Rocke und seiner abgekürzten Perrücke der glücklichste Mensch auf der Welt zu sein schien: seine grauen Augen strahlten vor Lebhaftigkeit, er kniff seinen Mund mit spöttischer Miene lächelnd übereinander, und rieb sich oft während des Gehens die Hände, wie Jemand, der ein vorteilhaftes Geschäft beendigt hat oder vollkommen mit sich zufrieden ist.

Nachdem er lange auf dem Kai auf- und ab spaziert war, die schönsten Stauden in der Nähe betrachtet, und die wohlriechendsten Sträuße berochen hatte, näherte sich der Alte einer Händlerin, welche einfachere Blumen verkaufte, zeigte mit der Hand auf ein Veilchenstöckchen, und fragte sie:

»Was kostet das?« – Dieses Veilchen? ... sechs Sous. – »Warum nicht gar, sechs Sous! Das sagt Ihr zu mir, zu einem Kunden!« – Ich weiß nicht, ob Sie vielleicht oft von Andern kaufen, mit mir handeln Sie aber das erste Mal. – »Bah! Ihr erinnert Euch eben nicht! Kein Mittwoch und Samstag geht vorbei, ohne daß ich auf den Markt komme! Ich bete die Blumen an, und wenn ich einen Garten hätte, wäre er ein wahres Blumenbeet! Leider habe ich übrigens nur ein Fenster, und zwar ein sehr schmales. Hört, ich gebe Euch zwei Sous für dieses Veilchenstöckchen, das ist gut bezahlt.« – Vier, billiger gebe ich es nicht. – »Ich sage Euch ja, daß ich ein Kunde von Euch bin; alle zwei Monate kaufe ich ein neues Veilchenstöckchen, das ist meine Lieblingsblume; es ist allerdings nicht die theuerste, aber nach meiner Ansicht die lieblichste. Macht, gebt es her, hier ist Euer Geld: ich kaufe nie auf Borg.« – Nein, nein, ich lasse es nicht unter vier Sous. – »Wenn es dieser Herr nicht nimmt, so kaufe ich es,« sagte ein junges Mädchen, welches auch hinzugetreten war.

Der alte Herr sah in die Höhe und betrachtete die Person, welche ihm Concurrenz machen, und die Blume seiner Wahl steigern wollte.

Er erhob im ersten Momente seine Blicke mit einem ärgerlichen Gefühle auf die Neuhinzugekommene; aber sein Widerwille legte sich bald beim Anblick zweier schönen, schwarzen, lebhaften, strahlenden, fast geistreichen Augen, eines kleinen, aufgestülpten Näschens, eines feinen, niedlichen Mundes mit zwei Reihen blendend weißer Zähne, kurz eines eben so frischen, als reizenden und liebenswürdigen Gesichtchens, drei Vorzüge, die man nicht so oft, als man glauben könnte, vereinigt findet.

Der kleine Mann barg unter seinem abgetragenen Rocke ein für die Macht der Schönheit empfängliches Herz, vielleicht trug er nur in Folge seiner allzu großen Empfindsamkeit ein so armseliges Kostüm!

Es gibt Männer, die ihre ganze Jugendzeit damit zubringen, Thorheiten zu begehen, und im Alter nur bedauern, keine mehr begehen zu können.

Statt dem jungen Mädchen, welches ihm in den Handel stand, einen Vorwurf zu machen, nahm Herr Alexandrin (so hieß der alte Herr) hastig das Stöckchen, und überreichte es ihr mit den Worten:

»Ich bedaure weniger, es nicht zu besitzen, da ich sehe, daß diese Blume in den Besitz einer andern kommt.«

Das junge Mädchen lächelte.

Ein Compliment macht immer Freude, besonders wenn man es nicht hervorgerufen hat, und statt die Veilchen zu nehmen, die man ihr darbot, entgegnete die Jungfrau:

»Mein Gott! lieber Herr, ich habe dieses gesagt ohne daran zu denken, daß es Sie verdrießen könnte ... Sie hatten vielleicht besondere Lust zu dieser Blume; ich weiß zwar wohl, daß es viele auf dem Kai gibt, aber zuweilen gibt man einem Stock vor dem andern den Vorzug. Behalten Sie ihn nur, mein Herr, ich kaufe ihn nicht.« – Nein, wahrhaftig, Fräulein, ich bin allzu glücklich, Ihnen etwas abtreten zu können, obgleich ich nicht auf einen Gegendienst rechne; ich habe nur eine Bitte, Fräulein: wenn Sie mir auch einen Gefallen erweisen wollen, so erlauben Sie, daß ich Ihnen den gekauften Gegenstand trage; dieser Veilchenstock würde Ihr Kleid verderben oder Ihre Händchen beschmutzen, an mir ist, wie Sie wohl sehen, nichts zu verderben. Ueberdies muß Ihnen mein Alter jede Besorgniß wegen meines Vorschlags benehmen: Niemand wird vermuthen, daß ich Ihr Liebhaber sei. Gestatten Sie mir also, Ihr Träger zu sein. Das Alter muß auch seine Privilegien haben.«

Das junge Mädchen betrachtete den kleinen Greis, welcher den Blumenstock, wie ein Soldat, der das Gewehr präsentirt, im Arme hielt; sie konnte sich über das sonderbare Aeußere ihres Trägers eines Lächelns nicht erwehren, und entgegnete dann mit anmuthigem Tone:

»Wohlan! mein Herr, ich nehme es an; aber unter der Bedingung, daß Sie mir den Veilchenstock bis in mein Zimmer hinauftragen, und ich sage es Ihnen zum Voraus, ich wohne sechs Stiegen hoch.« – Wäre es auf den Thürmen von Notre-Dame, oder auf der Vendôme-Säule, wäre es selbst auf der Spitze des Obelisken oder auf der Julius-Säule, ich würde mit Vergnügen hinaufklettern, um Sie zu begleiten.«

Bei diesen Worten griff Herr Alexandrin an seinen Hut, als ob er ihn vor seiner neuen Bekannten abziehen wollte, allein er ließ es jederzeit bei der Bewegung bewenden, denn der Rand desselben war so mürbe, daß der Eigenthümer bei der geringsten Berührung befürchten mußte, nur noch den Hutkopf aufzubehalten.

Das junge Mädchen trat ihren Rückweg an, Herr Alexandrin folgte ihr oder ging vielmehr, bald hüpfend, bald springend, neben ihr her, damit sie nicht meine, er sei müde.

Das Frauenzimmer, gegen welches er sich so galant zeigte, konnte höchstens zwanzig Jahre alt sein; sie war einfach gekleidet: ein gestreiftes kattunenes Kleid, eine schwarze seidene Schürze, ein Foulard-Halstuch machten ihre ganze Toilette aus; ein Häubchen, das bis zu den Backen hereinging und die ganze Mitte des Kopfes unbedeckt ließ, vervollständigte ihr Kostüm.

War es eine Grisette, eine Arbeiterin, ein Kammermädchen oder ein Ladenmädchen?

Das war schwer zu unterscheiden; denn in Paris tragen sich so viele Leute auf die gleiche Weise, daß eine lange Gewohnheit dazu gehört, um auf den ersten Blick ihre Stellung oder ihr Gewerbe zu errathen.

Das junge Mädchen ging über den Platz vor dem Palais hinüber, die Harfen-Straße hinauf und mündete in die Mathurins-Straße ein.

Endlich hielt sie vor einem Hause, das so alt war, wie das Quartier, und sagte, während sie in einen Hausgang eintrat, der so schwarz war wie das Haus, zu ihrem Begleiter:

»Hier, mein Herr, nehmen Sie sich in Acht, der Hausgang ist finster und die Treppe schlüpfrig, wenn man aber einmal das Geländer erfaßt hat, ist man außer Gefahr.«

Der kleine Alte dachte jetzt vielleicht doch, er habe seine Galanterie etwas zu weit getrieben.

Indessen ging er doch vorwärts. Er hielt in seiner Linken immer das fest an seine Brust gepreßte Veilchenstöckchen, während er mit der Rechten das gepriesene Geländer zu finden suchte, welches ihm in diesem Labyrinthe, das man eine Treppe zu nennen beliebte, als Leitfaden dienen sollte.

Das junge Mädchen ging stets voraus und stieg die Treppen mit der durch die Gewohnheit erlangten Sicherheit hinauf, indeß der ihr nachfolgende Alte sich alle Augenblicke an die Mauer stieß.

»Es ist ein wenig hoch, mein Herr; man muß hundertundvierzehn Tritte hinauf!« sagte die Jungfrau, sich gegen ihren Begleiter zurückwendend.

»Ich zähle die Stufen nicht lange,« entgegnete Herr Alexandrin; »aber lieb würde es mir sein, wenn wir bald oben wären.«

»Hier ist mein Zimmer ...«


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