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Drittes Kapitel

Damit schloß das junge Mädchen eine Thüre auf, und man trat in ein äußerst einfach möblirtes Stübchen ein, wo man sicher nicht einen einzigen überflüssigen Gegenstand gefunden hätte, in dem aber Alles ordentlich aufgeräumt, abgestäubt und sehr reinlich war.

Die Bewohnerin des Zimmers beeilte sich nun, den alten Herrn, der den Veilchentopf noch immer im Arme hatte, von demselben zu befreien, stellte ihm einen Stuhl hin und sagte zu ihm:

»Nun, mein Herr, hoffe ich, daß Sie es nicht ausschlagen werden, Theil an meinem bescheidenen Mittagessen zu nehmen; ich habe Ihnen die Bedingung, so weit heraufzukommen, nur gestellt, um das Vergnügen zu haben, Ihnen dieses Anerbieten machen zu können, und Sie werden mir das Leid nicht anthun, mir diese Bitte zu verweigern. Vor allen Dingen aber will ich Ihnen, da es natürlich ist, daß man zu wissen wünscht, bei wem man sich befindet, meine Geschichte erzählen.

»Ich heiße Jenny Desgrillon, bin die Tochter rechtschaffener Handwerksleute, die mich das Coloriren erlernen ließen, eine Beschäftigung, welche ich noch heute treibe; vor drei Jahren hatte ich aber das Unglück, meine Eltern zu verlieren.

»Vor ihrem Tode empfahlen sie mich noch angelegentlichst einem ihrer Freunde, dem Herrn Spezereihändler Benoît. Dieser Herr Benoît hat einen Sohn, den Herrn Fanfan, welcher mir die Cour macht und mich heirathen will.

»Ich gestehe Ihnen jedoch, daß ich durchaus keine Liebe für Herrn Fanfan fühle, daß ich nicht im mindesten darnach trachte, Spezereihändlerin zu werden, sondern daß ich im Gegentheil eine entschiedene Neigung für's Theater in mir empfinde.

»Ja, mein Herr, ich möchte Schauspielerin sein, Rollen spielen, vor dem Publikum auftreten, den Beifall der Menge verdienen, schöne Kostüme anhaben, heute Fürstin, morgen Bäuerin, bald Engländerin, bald Polin sein; die Liebeserklärung eines jungen Ritters, der sich aus Leidenschaft für mich tödten will, oder ein artiges, in Musik gesetztes Compliment eines eleganten Herrn anhören, der mir nach der Melodie aus dem Ueberbringer einen Kuß oder aus der Doktor und Apotheker schwört, daß ich reizend sei.

»O, das muß ein Glück sein! Davon träume ich wachend, während ich meinen Ritter Blaubart oder meinen Kleinen Däumling illuminire. Wie kann man aber Schauspielerin werden, wenn man Niemand kennt, als die Familie Benoît, welche, was das Theater anbetrifft, nur an chinesischen Schattenspielen oder Wachsfiguren Gefallen findet!

»Ach, mein Herr, Sie sehen wohl, daß ich Rathes und Schutzes bedürftig bin; Ihr Alter und Aeußeres haben mir so viel Zutrauen eingeflößt, daß ich auch Ihre Ansicht hierüber hören möchte.« – »Fräulein,« erwiderte Herr Alexandrin, nachdem er das junge Mädchen, ohne sie zu unterbrechen, angehört hatte, »Ihr Zutrauen schmeichelt mir; da aber ein Vertrauen das andere werth ist, so will ich Ihnen auch gleich sagen, wer ich bin.

»Ich heiße Triptolomäus Erasistratus Alexandrin, mein Großvater war Schulmeister, mein Vater Notar. Ich gebe Unterricht im Schreiben und Versmachen zu zwanzig Sous die Marke; das ist billig, und doch schreibe ich eine hübsche Hand! Allein die Stahlfedern haben uns einen bedeutenden Schaden zugefügt; mit diesen nimmt sich nun Jedermann heraus, zu schreiben, ohne den geringsten Begriff von Cursiv-, Mittel- oder geschobener Schrift zu haben.

»Ich hätte mich übrigens anständig durchbringen können und wäre nicht genöthigt gewesen, meine Kleider so lange zu tragen, wenn ich nicht auch eine unselige Leidenschaft gehabt hätte, die mich oft zur Vernachlässigung meiner Schüler verleitete ... und diese Leidenschaft, Fräulein, ist ebenfalls die für's Theater. – »Wie, mein Herr, Sie möchten Schauspieler sein?« fragte das junge Mädchen, mit Mühe ein etwas spöttisches Lächeln unterdrückend, welches ihr wahrscheinlich die Gestalt des kleinen Männchens abnöthigte. – »Nein, Fräulein, Schauspieler gerade nicht, sondern Autor, Dichter ... Letzteres bin ich eigentlich bereits, denn ich habe schon wenigstens dreißig Stücke, sowohl Dramen als Vaudevilles und Trauerspiele geschrieben; aber keinem ist noch die Ehre der Aufführung zu Theil geworden, und doch wäre es zum Erstaunen, mein liebes Kind, wenn unter meinen dreißig Stücken sich nicht wenigstens ein Meisterstück befände.

»Allein man stößt mich zurück, man weist mich ab, man gibt mir kein Gehör; die Verbindungen und die Eifersucht meiner bevorzugten Collegen hindern mich, bis zu den Direktoren zu dringen. Das ist mir aber einerlei, ich lasse mich nicht irre machen, ich folge fortwährend meiner Neigung: ich dichte, ich mache Verse und Lieder! Ich finde in den geringfügigsten Dingen den Gegenstand zu einem Theaterstück ... in zwei Chaisen, die ineinander fahren ... in einem Dachziegel, der auf einen Vorübergehenden herabfällt ... in einem Stadt-Sergeanten, der einem Diebe nachläuft ... in einem Manne, der sein Weib betrügt ... in einem Weibe, das ihren Mann nicht betrügt, kurz, in Allem! ... Ich sende an alle Theater, von der großen Oper bis zum Petit-Lazary, von Bobino bis zur Renaissance, Manuskripte.

»In einem Monate oder in sechs Wochen werden vielleicht acht Stücke von mir einstudirt, und als ich Sie, Fräulein, zum ersten Mal erblickte, als ich Ihr liebliches, schelmisches, geistreiches Gesichtchen zu bewundern Gelegenheit hatte, dachte ich gleich bei mir: Was gäbe das für eine reizende Liebhaberin! wie gut würde sie zu einer Molière'schen Zofe passen! wie köstlich sich als Page ausnehmen! Und ich will Ihnen nicht verhehlen, daß mich dieser Gedanke hauptsächlich zu dem Antrage bewogen hat, Ihr Veilchenstöckchen zu tragen. – »Wie, Herr Alexandrin, Sie sind Autor?« – Insofern man es sein kann, ohne daß Etwas von Einem gedruckt ist. – »Ach! wie froh bin ich, Ihnen begegnet zu sein, Herr Alexandrin! Sie müssen mir Deklamations-Unterricht geben und mich Rollen einstudiren lehren.« – Recht gern, liebes Kind; ich kann meinen Racine, Voltaire, Molière, Picard auswendig. – »Mir sind nur die Stücke von Victor Ducange und Herrn Scribe bekannt, ich habe aber ein vorzügliches Gedächtniß, ich würde die längste Rolle in einer Nacht lernen!« – Ich werde Ihnen meine dreißig Stücke vorlesen, liebes Kind, wählen Sie davon die Rollen aus, die Ihnen am besten gefallen, und ich studire sie dann mit Ihnen ein.«

Zwischen einem Theaterdichter und einer angehenden Schauspielerin ist bald Bekanntschaft gemacht.

Der Dichter war zwar ein wenig alt und die Schauspielerin ein wenig jung, aber die Erfahrung des Einen sollte der Unerfahrenheit der Andern an die Hand gehen. Man setzte sich, entzückt, sich kennen gelernt zu haben, zu Tische.

Während des ganzen Essens deklamirte die hübsche Jenny, was ihr aus verschiedenen Rollen im Gedächtniß geblieben war, und Herr Alexandrin wurde nicht müde, ihr umständlich die Verwickelungen seiner Stücke zu erzählen; Keines hörte auf das Andere, aber sie waren ganz vergnügt, sich selbst zu hören ... Auf diese Weise unterhält man sich fast immer in der Welt.

Gegen das Ende der Mahlzeit trat ein junger Mann in's Zimmer, der ein mit dürren Zwetschen angefülltes Säckchen in den Händen hatte.

Das war Herr Fanfan Benoît, welcher der jungen Coloristin, in die er verliebt war, seine Aufwartung machen und ihr mit einem Pfund dürrer Zwetschen seine Huldigung darbringen wollte.

In dem Augenblick jedoch, als der junge Gewürzkrämer bei der hübschen Coloristin eintrat, hatte diese, welche kürzlich auf einem Theater des Weichbildes einer Aufführung von Paul und Virginie beigewohnt, den alten Schreiblehrer beim Arme ergriffen und zog ihn durch das Zimmer, einen aufgespannten Regenschirm über ihm und sich haltend, um die Scene des Gewitters nachzuahmen, während dessen sich Paul und Virginie unter dem Kleide der Letztern bergen.

Herr Fanfan Benoît blieb einen Augenblick erstaunt stehen, Fräulein Jenny in einer Ecke ihrer Stube mit einem Manne unter einem Regendache zusammengekauert zu sehen; er blickte an die Decke hinauf, näherte sich ihr besorgt und fragte: »Regnet es bei Ihnen herein, Fräulein?«

Statt aller Erwiderung riß der alte Schreibmeister, von dem Geiste seiner Rolle durchdrungen, das junge Mädchen auf die entgegengesetzte Seite der Stube und rief aus: »Das ist Herr von la Bourdonnaye! Er kommt, um Dich wegzuführen, Virginie! man soll Dich aber meinen Armen nicht entreißen!«

Herr Fanfan Benoît starrte diese Scene mit einfältiger Miene an; aber das Alter der Person, die sich mit Fräulein Jenny unter einem Regenschirme verbarg, hatte bereits die Besorgnisse des jungen Spezereihändlers verscheucht, und da er keinen Nebenbuhler in diesem Herrn befürchtete, den er zum ersten Male sah, wartete er ruhig die Entwicklung dessen, was vor seinen Augen vorging, ab.

Als endlich der Auftritt aus Paul und Virginie zu Ende war, trat die junge Coloristin Herrn Fanfan Benoît entgegen und stellte ihm den alten Herrn mit den Worten vor:

»Ich stelle Ihnen hier den Herrn Autor Alexandrin vor.«

Der junge Spezereihändler sah mit großen Augen die abgenützten Kleider des alten Herrn an und murmelte: »Autor ... ah! Autor ... Womit handelt man, wenn man Autor ist?«

Fräulein Jenny schlug ein gellendes Gelächter auf und sagte: »Diese Frage riecht recht nach Ihrem Spezereikram! Aber seien Sie ruhig, ein Autor ist kein Concurrent, er handelt nicht mit Käse ... höchstens liefert er zuweilen das Papier dazu!«

»Nein mein Herr,« versetzte der alte Alexandrin, sich dem Jünglinge nähernd und mit seinen Fingern in den Zwetschensack langend, den Herr Fanfan Benoît offen hinbot, »nein, ein Autor handelt mit Nichts! Ich habe wenigstens noch kein einziges meiner Werke verkauft; aber ein Autor verschafft seinen Mitbürgern tausend Genüsse: er versetzt sie in süße Träumereien ... macht sie lachen oder weinen, kurz, er unterhält sie. Das Schlimmste, was er thun kann, ist, sie einzuschläfern, aber selbst dann verschafft er ihnen noch einen Genuß, denn es ist eine köstliche Sache um den Schlaf. Sie sehen hieraus, daß ein Autor ein herrlicher, ein fast göttlicher Mann ist. Auch baute man ihnen ehemals Altäre! In gegenwärtiger Zeit ziehen sie vor, sich Häuser und Landgüter zu kaufen, das ist nicht so ruhmvoll, aber solider.« – So, sie kaufen Häuser und Landgüter!« entgegnete Fanfan Benoît, fortwährend auf den durchlöcherten Rock des kleinen Greises schauend; »dann muß das ein gutes Gewerbe sein; wenn ich das gewußt hätte, hätte ich es auch erlernt. Gleichviel, Fräulein Jenny, hier ist ein Pfund dürre Zwetschen erster Qualität, die ich Ihnen im Auftrage meines Vaters zu überbringen habe ... sie sind von Tours und ganz zuckersüß ... er läßt Sie auf morgen Mittag zum Essen einladen, um wegen unserer Verheirathung mit Ihnen zu sprechen, weil er diese Angelegenheit beendigt wissen, sich vom Geschäfte zurückziehen und mir seinen Laden und Waarenlager übertragen möchte. – »Herr Fanfan,« antwortete das junge Mädchen, mehrere Bilder zusammenrollend, welche die Mährchen von meiner Mutter Gans zu illustriren bestimmt waren, »wenn Sie Ihr Herr Vater aus diesem Grunde schickt, so haben Sie sich überflüssige Mühe gemacht; ich will weder Sie noch Ihre Zwetschen. Ich werde keine Spezereihändlerin, ich werde Schauspielerin! Statt mein Leben in einem Laden zuzubringen, wo ich den Mägden des Quartiers Geld herausgeben muß, werde ich auf einem Theater glänzen! Ich werde belorgnettirt, beklatscht, bewundert, angebetet werden; man wird in allen Zeitungen von mir sprechen ... Ach! bedenken Sie, welcher Genuß, welcher Ruhm! Mein Name wird auf den Zetteln stehen, und ich werde ihn hundertmal des Tags an allen Straßenecken lesen können ... Dieser Herr hier, der sich darauf versteht, hat mir gesagt, daß ich ein für erste Liebhaberinnen, Zofen und Pagen geeignetes Aeußere habe! Er wird mir Stunden geben, mich deklamiren lehren und meine Rollen mit mir durchgehen. Ach! das ist viel schöner als Zucker und Kaffee zu verkaufen. Es ist somit entschieden ausgesprochen: ich heirathe Sie nicht.«

Nach diesen Worten nahm die junge Coloristin ihre Rolle und ging hinaus, während sie zurückrief: »Adieu, Herr Fanfan, ich will meine Arbeit forttragen und drei Stücke kaufen, in welchen ich spielen will. Herr Alexandrin, warten Sie so lange: Sie müssen mir meine erste Stunde geben.«


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