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3.

Hadem ward früh gewahr, daß Ernstens Dasein und Wirken mehr in seinem Innern ruhte, sich mehr gegen dieses richtete, als nach außen und um sich her. Er bemerkte schon in den ersten Tagen, daß er ohne Aufwand und Geräusche höher und tiefer empfand und dachte, als Ferdinand von ***, mit dem lebendigsten Ausguß und Gebrause einer feurigen Einbildungskraft; mit Einem Worte, er sah, daß sich die Welt in der Seele Ernstens abspiegelte, und Ferdinands Seele in der Welt. Er hielt diese Entdeckung für so wichtig, daß er seine Erziehung darauf bauen zu müssen glaubte. Fragen und Proben überzeugten ihn in kurzer Zeit, daß in Ernsten, vermöge seiner moralischen Kraft, der Stoff zu einem Manne verborgen läge, der einstens wohl das Wagestück mit seinen Sinnen, der Welt und dem Schicksale bestehen könnte; daß Ferdinand, mehr auf den Flügeln einer warmen Phantasie getragen, zwar kühnere Dinge unternehmen möchte, das Maß seiner moralischen Kraft aber sehr schwer mit der Leichtigkeit und Kühnheit seines Wollens und Begehrens in ein richtiges Verhältniß treten würde. Nach diesen Beobachtungen fürchtete er nur für den Letztern. Er strebte nun, die moralische Kraft in Ernsten zu entwickeln, ihn durch dieselbe über alle Ereignisse des Schicksals zu erheben und in Ferdinand die Einbildungskraft mehr in Einverständnis mit der seinigen zu bringen, ihn so fest daran zu knüpfen, daß er bei den feurigen Aufwallungen der Begierde und den ersten Schlägen des Schicksals nicht erläge; jenen nicht auf Kosten seines bessern Werths nachgäbe; oder vor diesen, um denselben hohen Preis, sich zu bergen suchte.

In diesem Sinne unternahm Hadem die Bildung der Jünglinge; und da er mehr entwickelte, als lehrte, und nichts lehrte, was nicht mit seinem Hauptzwecke in Verbindung stand, so bildete sich der Geist aus der moralischen Kraft des Herzens, und jede neue Kenntniß und Anschauung dienten nur dazu, diese zu verstärken, zu erheben und zu veredeln. Durch den milden und schimmernden Glanz guter und großer Thaten des Alterthums und der neuem Zeit, führte er sie, mit der Erlernung der Sprachen, zur Kenntniß der Welt und der Geschichte. Ferdinands lebhafte Einbildungskraft folgte der Bahn der Helden. Er erkämpfte ihre Siege mit ihnen, zog mit ihnen die Augen der Menschen auf sich, genoß ihres Ruhms, sprang an das Ziel, pflückte mit ihnen den Lorbeer; und, trunken von dem Siegesgeschrei, verblendet von dem Glanze der Thaten, übersprang sein feuriger Geist die Mühe und Aufopferungen, die sie erforderten, übersah er die Mittel und die Folgen dieser täuschenden Thaten für ihre Urheber, ihr Glück und das Glück ihrer Zeitgenossen. Nur auf dem Siegeswagen erblickte er die Helden der Vorwelt, und ihr schimmernder Glanz verbarg ihm sowohl ihr wahres Bild, als das Bild der echten Menschengröße.

In tiefer Stille aber betrat Ernstens Geist jenes Land der reinen, erhabenen Tugend, das die Menschen idealisch nennen, weil sie, versunken im Schlamme des Eigennutzes und der niedrigen Begierden, das Gefühl bis zur Ahnung verloren haben: daß der Mensch sich nur als Bewohner dieses Landes von den Thieren unterscheidet, daß wir dieses unsichtbare Land nicht nur ahnen, daß wir uns bis in sein innerstes Heiligthum schwingen können. Wer es erreicht hat, ist über das Schicksal erhaben; ihn tragen für immer die Fittige der hohen und echten Begeisterung, der Dichtkunst, die nur aus jenem Lande die Farben und die Kraft zu ihren Darstellungen erhält. Es eröffnet sich den Geistern der Geweihten in dem Augenblicke, da die moralische Kraft ihres Herzens die Wolken durchdringt und dort ihr Dasein mit höhern Zwecken verknüpft. Die dieses Land betreten, werden von der Beherrscherin desselben mit hohen Gesinnungen, mit unüberwindlichen Waffen zum Kampfe ausgerüstet, und ihre Thaten, ihre Gedanken und ihre Empfindungen tragen das unnachahmliche Merkzeichen ihres wieder errungenen Vaterlands an sich. So sind alle großen und edlen Menschen, die von dem Wege des Haufens abtraten und Gutes, Wahres, Edles denken, thun und laut sagen, die Bewohner jenes unsichtbaren Landes, das die Menge nicht ahnet und durch dessen Einfluß gleichwohl auch sie von diesen unter sich verwandten Geistern zu den Zwecken geführt werden, welche der erhabenste Geist dem Menschengeschlecht dort aufgestellt hat. Daher entspringt das Eigenthümliche, Kräftige, Feste und Sichere jener Dichter, thätiger Menschen und Helden; und umsonst bemühen sich alle Andern, die sich über die Erde, ihre Verhältnisse und die Vortheile, die sie gewahrt, nicht erheben, den sichern Schwung, die feste Haltung, in Wort und Thal nachzuschweben oder nachzuahmen; ihre Handlungen, wie ihre Darstellung, sind nur Abdrücke ihres eignen, um sich besorgten Selbsts. Ihre kalte, berechnende Vernunft, die über That und Darstellung wuchernd und künstelnd dasitzt, entfernt den Geist jener Geweihten. Ernst drang in die Mitte dieses Heiligthums und ward da zum Dichter für dieses Leben eingeweiht. Ungern setze ich zur Erläuterung dieses Worts hinzu, daß er seine Gefühle weder in Versen noch in Prosa der Welt mitgetheilt hat; daß er Dichter in einem Sinne war, den ich nicht nöthig hätte, anzudeuten, wenn Dichter dieser Art so gemein wären, als es diejenigen sind, die sich darum Dichter nennen, weil sie die Spiele ihres Witzes und ihrer Phantasie in wohlklingenden Versen zur Schau ausstellen. Die Spuren der Theorie der Dichtkunst, von welcher ich rede, findet man eben so selten in geistigen Darstellungen, als in Thaten und Handlungen; denn ich rede von der hohen moralischen Kraft, die allein den Helden und den Dichter macht und ohne welche es zwar Mancher durch Talente und glückliche Umstände scheinen, aber nie es wirklich in seinem Innern sein kann.

Gleich der Tochter Jupiters, mit Schild und Speer bewaffnet, sprang die Göttin, welcher sich Ernst im Stillen weihte, plötzlich aus seinem Herzen; mit dem Speer, um die niedrigen Ungeheuer, die Feinde des Lichts und der Wahrheit zu bekriegen; mit dem Schild, um den Liebling gegen die Pfeile des Schicksals, gegen die Angriffe des Neides und der Bosheit zu decken. So schwebte sie vor ihm, so wandelte er, ein anderer Telemach, an der Seite der unsichtbaren, erhabenen Führerin; von ihr war Hadem ihm zugesellt. Selbst in reifern Jahren verließ ihn dieses, über ihm schwebende jugendliche Bild nicht; und oft, wenn ihn Alles verließ, wenn er in Gefahr war sich selbst zu verlassen, trat es in seiner ganzen Klarheit aus den verdunkelten Wolken hervor.

Schon lange war Ernst in dieses idealische Land gedrungen, schon hatte er sich dort angepflanzt, es gleich den Gärten der Hesperiden ausgeschmückt und mit den Geistern bevölkert, deren Asche um ihn her zu lebendigen Wesen wurden, ehe Hadem bemerkte, daß der Jüngling das Irdische übersprungen, das Land seines Ursprungs erobert hätte und sich dort an der Tafel der Unsterblichen labte.

Ein besonderer Vorfall mußte ihm dieses entdecken. Oft gingen die Jünglinge durch den Eichenwald, in welchem ihre Phantasie die vergangenen Zeiten träumte, sie mit den jetzigen verband, wieder trennte und alle thätig im Geiste durchlebte, nach der Höhle im nahen Gebirge. In dem Riesensaale der Höhle überfiel sie das erhabene Erstaunen, der gedankenvolle geheime Schauder, der uns bei den mächtigen Gegenständen der Natur ergreift; und aus diesen Gefühlen erwachten in der Seele der Jünglinge das Nachsinnen und Ahnen über die Höhe, Tiefe, den Zweck, die Mittel alles Geschaffenen, der denkenden, der fühllos scheinenden Wesen, die diese Schöpfung beleben und darstellen. Ferdinand nannte den Riesensaal den Tempel des Ruhms, weil ihn keine menschliche Kraft zerstören könnte, weil er so alt wäre, als die Welt, und so lange als sie dauern müßte. Ernst nannte ihn den stillen Tempel der Tugend, weil ihn Menschenhände nicht gebaut hätten. Ferdinand schuf die Säulen um sich her zu Denkmälern der von ihm bewunderten Helden und nannte sie nach ihnen. Ernst behielt sich, fern von den Denkmälern seines Gespielen, nur eine Blende in der Felsenwand des Bergs nahe bei dem Abgrund vor, deren Mitte zu einer Stunde des Tags ein Lichtstrahl traf und erleuchtete.

Eines Tages drangen die Jünglinge weiter in dieses unterirdische Labyrinth, als sie bisher noch gekommen waren. Ihre Schritte und abgebrochenen Worte hallten dumpf an den Felsen. Ohne Verabredung schien Jeder von ihnen das schwere Räthsel der Natur in ihrem düstern, geheimnißvollen Schooße auflösen zu wollen. Hand in Hand wandten sie sich forschend aus einem Gang in den andern. Auf einmal standen sie Beide vor dem ihnen bekannten Abgrund, der sich der Sage nach in einem Gange unter dem Fluß weg endet und nach einem Gebäude führt, von dem die Bewohner der Gegend viele wunderbare Geschichten zu erzählen wußten. Und eben dieses Wunderbare entflammte Ferdinands Phantasie; seine aufkeimende Ehrbegierde sah in diesem Dunkel seine erste Heldenthat vergraben. Zuckend drückte er Ernstens Hand, und sein kühner Vorsatz sprang durch die Adern in Ernstens Herz über. Er erwiederte den Druck und zog ihn sanft zurück. Nun erst erglühte Ferdinands Einbildungskraft, und er rief in einem starken Tone:

»Ernst, ich will hinunter, das Geheimniß enthüllen und aus dieser Finsterniß an das Licht bringen. Herkules stieg in den Schlund des Orkus, um den Höllenhund herauszuziehen; – ich muß der Erste sein, über dessen Haupte der Strom hinrollt!«

Ernst bewies ihm das Verwegene und Unsinnige des Unternehmens, die Unmöglichkeit der That und der Rückkehr, die unvermeidliche Gefahr des Todes, und reizte durch den Widerspruch Ferdinands stolze Kühnheit nur um so mehr. Schon machte er Anstalten, den Abgrund hinab zu gleiten, als Ernst vor ihn trat und entschlossen zu ihm sagte:

»Du willst? Wohlan! so warte nur eine Sekunde. Den Weg der Gefahr muß man nicht so langsam kriechen, wie du thun willst; man muß ihn überspringen. Dieses will ich nun thun. Tritt zurück.«

Ernst war im Begriff den Sprung zu wagen, als ihn Ferdinand umfaßte, an sein Herz drückte, seine Wangen und Lippen küßte und, vor Freude bebend, rief:

»Ernst! ich weiß, warum du es thun wolltest! Mich, der eine Tollheit begehen wollte, durch eine wahre Heldenthat zu retten!«

Eine Heldenthat? erwiederte Ernst ruhig.

Ferdinand. Wäre sie es nicht, da der Tod, wie du selbst sagtest, bei der That unvermeidlich ist?

Ernst. Könnte sie es sonst sein? Aber daran dachte ich gar nicht. Würde ich dir nicht ohnedies gefolgt sein, wenn du die Tollheit, wie du es nun selbst nennst, begangen hättest? Sollte ich ohne dich zurückkehren? Freilich hatten vielleicht mein guter Vater und der gute Hadem nie erfahren, was aus uns geworden wäre. – Und, Ferdinand, sprang ich allein hinein, so hatte ich auch mehr Hoffnung, als du, an das Licht zurückzukehren. – Dein Führer war nur die Ruhmbegierde; aber ich – ich trat unter den Schild einer Göttin, die mich nicht verlassen, die mich in diesen Schlund begleitet hätte.

Ferdinand. Und wer ist diese Göttin?

Ernst. Die Tugend, die, wie Hadem sagt, ruhig und prunklos einhergeht, die Denen immer zur Seite steht, welche den Pfad nach ihrem erhabenen Tempel wandeln. Erinnerst du dich, wie uns Hadem vor einiger Zeit die Fabel von Minerva erklärte? Freilich nannte er es eine Fabel; aber er erklärte sie sehr schön. Auch ich deutete sie, und zwar nach meinem Sinne; und seit dieser Zeit schwebt diese Tochter Jupiters immer vor mir – und ich sah sie in dem tiefen Abgrund, wie ich sie in der lichten Höhe sehe.

Ferdinand. Was du sagst, begreife ich nicht ganz; aber ich bewundere dich jetzt mehr als Alexandern, der allein über die Mauern der feindlichen Stadt sprang. Du wolltest für mich Thoren aus Liebe thun, was er um seines Ruhmes willen that; und darum nenne ich die ihm geweihte Säule meines Tempels nach deinem Namen. Er sprang in die Stadt, wie ich in den Abgrund; aber du! Du!

Ferdinands ganzes Herz war in seinen Umarmungen; zum ersten Mal nannten sich die Jünglinge Freunde und schworen an dem gefährlichen, dunkeln Abgrund, der ihnen wie ein Bild des Lebens vorschwebte, den Bund der Liebe, und Jeder von ihnen verpfändete der Seele des Andern sein Leben und Dasein.

Hadem, der die Jünglinge nie aus den Augen verlor und ihnen oft, unbemerkt von ihnen, folgte, um die Früchte seines Unterrichts in ihren Reden, ihrem Thun und den freien Ergießungen ihres Herzens zu beobachten, hatte hinter einem Felsen die ganze Scene angehört. Als Ernst den gefährlichen Sprung zu wagen unternahm, wollte er schon hinzuspringen; als er aber gewahr wurde, daß Ferdinand ihm zuvorgekommen war, zog er sich leise zurück. Auf den Schrecken und den Schauder, die ihn bei dem Wagestück der Jünglinge überfiel, erfolgte Staunen und Bewunderung; und bei den letzten Worten Ernstens, die den Grund seines Entschlusses so klar enthüllten, erglühte sein Herz in sanfter Wonne. Er blickte gegen das Gewölbe der Höhle und lispelte leise:

»Braucht Dieser mich noch, da du ihm zur Seite stehest?«

Die Jünglinge eilten aus der Höhle. Als Ferdinand an Alexanders Denkmal vorüberging, rief er: »Du heißest Ernst!«

Hadem folgte ihnen und erreichte sie in dem Eichenwald. Sie hatten sich unter dem größten Baum gelagert; noch glühten ihre Wangen sanft von der vergangenen Scene, und der Abendwind spielte in ihren Locken.

Hadem setzte sich nicht weit von ihnen auf eine Anhöhe, noch tief über Das bewegt, was er vernommen hatte. Er sah die Jünglinge nah bei dem Abgrunde stehen. Plötzlich stellte sich ihm das menschliche Leben, in Rücksicht ihrer, unter diesem düstern Bilde vor; und unter diesem Gesichtspunkt fühlte er nun den ganzen Vorgang. Ferdinands Kühnheit, die ihn um des Wahns willen zu der Erforschung des Abgrunds trieb, erregte Sorge und Angst in seinem Busen. Selbst Ernstens Entschluß, der ihn in dem ersten Augenblick des Vorgangs dahinriß, erschien ihm nun unter düstrer erhabener Gestalt, und er konnte seine Gedanken lange von der Zukunft nickt ablenken, die sich ihm hier in weissagendem Gesichte enthüllt zu haben schien. Die Geschichte und seine Erfahrung hatten ihn gelehrt, was den Mann in der Welt erwartet, was das Schicksal von Dem fordert, der sich der Göttin weiht, unter deren Schutze sich sein Zögling für so sicher hielt. Er kannte die Gefahr der Proben, die ihre Verehrer zu bestehen haben; er wußte, daß man selten mit dem Geist und Herzen aus ihnen hervortritt, mit denen man sie beginnt. Der rastlose Kampf mit den Menschen, ihren Verfassungen, ihren wirbelnden Leidenschaften, ihrem Wahne und Eigennutze, malte sich in wilder Gährung vor seinen Augen. Auf dem Schlachtfelde stand endlich der ermüdete Kämpfer, zwischen nagenden Zweifeln, grämlichem Mißmuth, der kalten Selbstigkeit, dem bittern Menschenhaß; und statt des Triumphgesangs hört er zischendes Hohngelächter und die frostigen, erstarrenden, giftigen Sarkasmen der Vernünftler. Sein Herz rief ihm zu: »so könne sein Ernst nicht enden;« aber ob er ihn gleich am Ziele der Laufbahn in sich selbst unbesiegt sah, so faßte er doch den festen Entschluß, seines Zöglings Begriffe über die Tugend, in Rücksicht auf die Menschen und ihre Verhältnisse, so zu berichtigen, daß sie nicht in schimärische Ueberspannung ausarteten: eine Stimmung der Seele, in welcher sich nur die Edelsten der Erde befinden können, und die gewiß die glücklichste, beneidungswürdigste wäre und bliebe, wenn nur Diejenigen, zu deren Bestem diese Stimmung immer wirkt, sie nicht auf Tod und Leben davon zu heilen suchten. Ernsten dachte er nun dahin zu leiten, daß ihm zwar die Höhe und Reinheit seines Geistes und Herzens verblieben, seine Begriffe aber sich so berichtigten, daß ihn die Widersprüche und Mißverhältnisse von außen mit seinem Gefühl weder irre machen, noch zerrütten möchten. Vorzüglich sollte er Das, was ihn belebte, in den Menschen nicht mit der Kraft suchen, noch von ihnen erwarten, wie er es zu empfinden schien; und zu dieser gefährlichen Erkenntniß wollte er ihn durch Nachsicht und schonende milde Menschlichkeit führen. Ferdinands eitle Ruhmsucht hoffte er durch Ernstens milden Geist und seine eignen, absichtslos scheinenden Lehren zu läutern.

Nach diesen Betrachtungen nahte er sich den Jünglingen.

Das Abendroth glühte an dem Horizont, und der Eichenwald glänzte in seinem goldnen Feuer. Ferdinand stand heftig redend vor Ernsten; und dieser blickte ihn so eben mit sanfter Begeisterung an, und sagte:

»Ferdinand, ich habe es gefunden.«

Hadem trat hinzu: »Was hat Ernst gefunden?«

Ferdinand. Den Stoff zu einem Heldengedicht über unsere Altväter, die Cherusker, Katten und Sueven.

Hadem. Und wie kommt ihr darauf?

Ernst. Der Strom, die Abendröthe, die Vergangenheit, Homer, der Eichenwald – die Schatten unserer Vorfahren traten herein, wir träumten sie lebend, mit den Römern im Kampfe um ihre Tugenden.

Hadem. Wie das? Ernst, wie das?

Ernst. Dies ist eben der Sinn des Heldengedichts, das wir dachten oder träumten, als Sie kamen. Der Deutsche kriegt mit den ihn angreifenden Römern um seine Tugenden, seine Sitten, seine Freiheit. Hermann ist der Held. Der Kampf wird nun geführt zwischen den unverdorbenen Söhnen der Natur und den durch Glück, Kunst und Ueppigkeit ausgearteten Römern. Spott, List, Betrug, Biederkeit, Aufrichtigkeit und Treue stehen gegen einander auf. Es ist der Krieg der edlen, einfachen Natur mit der Ausartung der Kultur. Die römisch-griechischen Götter schweben über dem Schauplatz im Kampfe für ihr Volk, mit den Göttern unserer Väter, die Sie uns bekannt gemacht haben. –

Hadem. Gut, recht gut; aber ich fürchte für die Götter des Nordens.

Ernst. Fürchten Sie nichts, Hadem; jedem der griechisch-römischen Götter haben wir einen kühnern und mächtigern entgegen zu stellen.

Hadem. Und doch fehlt eine Göttin, die leicht den Ausschlag, zum Vortheil der Götter des griechisch-römischen Himmels, geben könnte.

Ernst. Und diese?

Hadem. Wer anders als Minerva, die erhabene Tochter Jupiters, die Göttin der Weisheit und Klugheit.

Ernst. O, auch sie war unter den Göttern des Nordens; unsre Väter kannten sie recht gut, und unter einem viel reinern und kräftigern Bilde.

Hadem. Sagen Sie doch! Unter welchem?

Ernst. Unter dem Bilde der männlichen Tugend, um deren Besitz sie eben mit den Römern stritten, von denen sie sich die griechisch-römische Göttin nicht aufdringen lassen wollten, weil die Klugheit derselben ihrem geraden, aufrichtigen Sinne zuwider war, weil Klugheit so gern in List ausartet, sich so leicht in List gefällt. Unsere Väter dachten sich ihre Götter, wie sie selbst waren: ohne alle List, Betrug und Feinheit. Und siegten sie nicht, unter dem Schilde ihrer Göttin, über die Zöglinge der Kunst? Ja, eben diese Göttin müßte die Muse des Heldengedichts sein, den Dichter begeistern und die Helden so beleben, daß sie sich selbst in ihnen kräftig darstellte.

Hadem sagte lächelnd: »Ernst, Sie sprechen ja selbst wie ein Dichter.«

Ernst erwiederte: »Macht Dieses, was ich empfinde, den Menschen zum Dichter, Hadem, so soll mein ganzes Leben unter ihrer Leitung ein Heldengedicht werden; denn auch ich will unter dem Schilde dieser erhabenen Göttin stehen. Die Tugend der Helden blüht nicht allein auf dem Schlachtfelde; dieses haben unsre Vorfahren gezeigt.«

Hadem. Wozu auch immer Heldentugend? Warum ein so großes, ein so schallendes Wort?

Ernst. Nicht wahr? Denn ist nicht Ausübung der Pflicht, wenn ein Sieg über uns, unsere Leidenschaften, unsern Eigennutz vorausgeht, eine Heldenthat? Lehrten Sie uns dieses nicht?

Hadem. Freilich, wenn wir sie ohne Rücksicht auf uns selbst, mit Gefahr für uns, zum Besten Anderer ausüben. Ich wünschte nur dem schönen, guten Gefühl ein bescheidneres Beiwort. Ich kenne zum Beispiel einen Mann, der sich keiner Heldentugend und Heldenthat bewußt ist, sich wenigstens keinen Helden nennt und gleichwohl, nach meiner Meinung, ein reinerer Held ist, als euer Macedonier.

Ferdinand. Als Alexander? O, lassen Sie uns geschwind seine Thaten hören!

Hadem. Thaten? Ich sagte ja, er weiß nichts von Thaten. – Ich rede nur von dem Kammerrath Kalkheim. Lachen Sie immer, Ferdinand; Sie werden dessen ungeachtet sehen, daß dieses Mannes Geschichte, in dem Herzen einer großen Anzahl von Menschen im Stillen gefühlt, einen Werth hat, um den ihn wohl mancher große Held beim letzten Ueberblick seiner Thaten beneiden möchte.

Dieser Kalkheim hatte früh einen großen Theil seines Vermögens zu einer Reise angewendet, um die Entdeckungen zur Verbesserung der Landwirthschaft praktisch ausüben zu sehen. Mit diesem Zwecke, den er sich zur künftigen Bestimmung machte, allein beschäftigt, versagte er sich allen andern Genuß, den sonst junge Leute auf Reisen suchen. Als ihm bei seiner Rückkehr ins Vaterland der Fürst diese Stelle anvertraute, machte er viele Versuche der gesehenen Neuerungen auf seinem eignen Lande nach; er hoffte, die Aufmerksamkeit Anderer dadurch zu reizen. Aber die Vorliebe oder das Vorurtheil für das Alte schien unüberwindlich, und ob er es gleich über sich nahm, den aus seinen Versuchen entstehenden Schaden zu ersetzen, so konnte er doch nur mit großer Mühe einige Landleute dahin bringen, sie nachzuahmen. So erreichte er seinen Zweck nur nach und nach, nur unter Streit, Kampf und Mühe. Durch den nähern Umgang mit den Landleuten lernte er so viel Elend und Armuth kennen und sah die Quellen davon so genau ein, daß er sich bald mit der fürstlichen Kammer in eine Fehde einließ; aber da er hier nichts ausrichten konnte und doch helfen wollte, so war er in Kurzem dahin gebracht, von seinem beträchtlichen Vermögen nichts mehr übrig zu behalten als ein kleines Haus und ein kleines Gärtchen, in welchem er Gesäme zieht. Seinen Sold theilt er mit den Dürftigen. Der Verlust seines Vermögens zog den Verlust der Freundschaft eines Mannes nach sich, der ihm ohne alle Schonung seine versprochene Tochter, in welcher der Kammerrath den Lohn für Alles hoffte, versagte. Dieses verwundete sein Herz; und doch ist er glücklich: denn er sieht seine Thaten auf den Feldern der einst Armen blühen, und die ganze Gegend unter seiner Aufsicht gleicht einem von ihm gebauten Paradiese, in welchem ihn der reinste Segen und Dank von den Lippen und Augen der Bewohner empfängt, wenn er es betritt.

Ernst. Hadem, lassen Sie uns diesen Mann, diesen Glücklichen in seinem Paradiese, besuchen.

Ferdinand. Wäre der Macedonier ein Kammerrath gewesen, er hätte dies auch gethan; denn Gold achtete er nicht.

Ernst. Ich fürchte, Ferdinand, um die Herrschaft über dieses Paradies hätte er es im Kampfe zerstört.

Ferdinand. Um es schöner wieder aufzubauen.

Ernst. Führen Sie uns zu ihm, Hadem!

Hadem. Gern und bald. Ihr Herr Vater will ohnedies, daß wir uns in der Residenz bei Ihrem Oheim aufhalten sollen, während er nach den Bädern reist.


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