Heinrich von Kleist
Der zerbrochene Krug
Heinrich von Kleist

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Erster Auftritt

Adam sitzt und verbindet sich ein Bein. Licht tritt auf.

Licht
Ei, was zum Henker, sagt, Gevatter Adam!
Was ist mit Euch geschehn? Wie seht Ihr aus?

Adam
Ja, seht. Zum Straucheln brauchts doch nichts als Füße.
Auf diesem glatten Boden, ist ein Strauch hier?
Gestrauchelt bin ich hier; denn jeder trägt
Den leid'gen Stein zum Anstoß in sich selbst.

Licht
Nein, sagt mir, Freund! Den Stein trüg jeglicher –?

Adam
Ja, in sich selbst!

Licht
Verflucht das!

Adam
Was beliebt?

Licht
Ihr stammt von einem lockern Ältervater,
Der so beim Anbeginn der Dinge fiel,
Und wegen seines Falls berühmt geworden;
Ihr seid doch nicht –?

Adam
Nun?

Licht
Gleichfalls –?

Adam
Ob ich –? Ich glaube –!
Hier bin ich hingefallen, sag ich Euch.

Licht
Unbildlich hingeschlagen?

Adam
Ja, unbildlich.
Es mag ein schlechtes Bild gewesen sein.

Licht
Wann trug sich die Begebenheit denn zu?

Adam
Jetzt, in dem Augenblick, da ich dem Bett
Entsteig. Ich hatte noch das Morgenlied
Im Mund, da stolpr ich in den Morgen schon,
Und eh ich noch den Lauf des Tags beginne,
Renkt unser Herrgott mir den Fuß schon aus.

Licht
Und wohl den linken obenein?

Adam
Den linken?

Licht
Hier, den gesetzten?

Adam
Freilich!

Licht
Allgerechter!
Der ohnehin schwer den Weg der Sünde wandelt?

Adam
Der Fuß! Was? Schwer! Warum?

Licht
Der Klumpfuß?

Adam
Klumpfuß!
Ein Fuß ist, wie der andere, ein Klumpen.

Licht
Erlaubt! Da tut Ihr Eurem rechten unrecht.
Der rechte kann sich dieser – Wucht nicht rühmen,
Und wagt sich ehr aufs Schlüpfrige.

Adam
Ach, was!
Wo sich der eine hinwagt, folgt der andre.

Licht
Und was hat das Gesicht Euch so verrenkt?

Adam
Mir das Gesicht?

Licht
Wie? Davon wißt Ihr nichts?

Adam
Ich müßt ein Lügner sein – wie siehts denn aus?

Licht
Wie's aussieht?

Adam
Ja, Gevatterchen.

Licht
Abscheulich!

Adam
Erklärt Euch deutlicher.

Licht
Geschunden ists,
Ein Greul zu sehn. Ein Stück fehlt von der Wange,
Wie groß? Nicht ohne Waage kann ichs schätzen.

Adam
Den Teufel auch!

Licht bringt einen Spiegel.
Hier! Überzeugt Euch selbst!
Ein Schaf, das, eingehetzt von Hunden, sich
Durch Dornen drängt, läßt nicht mehr Wolle sitzen,
Als Ihr – Gott weiß wo? – Fleisch habt sitzen lassen.

Adam
Hm! Ja! 's ist wahr. Unlieblich sieht es aus.
Die Nas hat auch gelitten.

Licht
Und das Auge.

Adam
Das Auge nicht, Gevatter.

Licht
Ei, hier liegt
Querfeld ein Schlag, blutrünstig, straf mich Gott,
Als hätt ein Großknecht wütend ihn geführt.

Adam
Das ist der Augenknochen. – Ja, nun seht,
Das alles hatt ich nicht einmal gespürt.

Licht
Ja, ja! So gehts im Feuer des Gefechts.

Adam
Gefecht! Was? – Mit dem verfluchten Ziegenbock
Am Ofen focht ich, wenn Ihr wollt. Jetzt weiß ichs.
Da ich das Gleichgewicht verlier, und gleichsam
Ertrunken in den Lüften um mich greife,
Fass' ich die Hosen, die ich gestern abend
Durchnäßt an das Gestell des Ofens hing.
Nun fass' ich sie, versteht Ihr, denke mich,
Ich Tor, daran zu halten, und nun reißt
Der Bund; Bund jetzt und Hos und ich, wir stürzen,
Und häuptlings mit dem Stirnblatt schmettr ich auf
Den Ofen hin, just wo ein Ziegenbock
Die Nase an der Ecke vorgestreckt.

Licht lacht.
Gut, gut.

Adam
Verdammt!

Licht
Der erste Adamsfall,
Den Ihr aus einem Bett hinaus getan.

Adam
Mein Seel! – Doch, was ich sagen wollte, was gibts
Neues?

Licht
Ja, was es Neues gibt! Der Henker hols,
Hätt ichs doch bald vergessen.

Adam
Nun?

Licht
Macht Euch bereit auf unerwarteten
Besuch aus Utrecht.

Adam
So?

Licht
Der Herr Gerichtsrat kömmt.

Adam
Wer kömmt?

Licht
Der Herr Gerichtsrat Walter kömmt, aus Utrecht.
Er ist in Revisions-Bereisung auf den Ämtern,
Und heut noch trifft er bei uns ein.

Adam
Noch heut! Seid Ihr bei Trost?

Licht
So wahr ich lebe.
Er war in Holla, auf dem Grenzdorf, gestern,
Hat das Justizamt dort schon revidiert.
Ein Bauer sah zur Fahrt nach Huisum schon
Die Vorspannpferde vor den Wagen schirren.

Adam
Heut noch, er, der Gerichtsrat, her, aus Utrecht!
Zur Revision, der wackre Mann, der selbst
Sein Schäfchen schiert, dergleichen Fratzen haßt.
Nach Huisum kommen und uns kujonieren!

Licht
Kam er bis Holla, kommt er auch bis Huisum.
Nehmt Euch in acht.

Adam
Ach, geht!

Licht
Ich sag es Euch.

Adam
Geht mir mit Eurem Märchen, sag ich Euch.

Licht
Der Bauer hat ihn selbst gesehn, zum Henker.

Adam
Wer weiß, wen der triefäugige Schuft gesehn.
Die Kerle unterscheiden ein Gesicht
Von einem Hinterkopf nicht, wenn er kahl ist.
Setzt einen Hut dreieckig auf mein Rohr,
Hängt ihm den Mantel um, zwei Stiefeln drunter,
So hält so'n Schubjak ihn, für wen Ihr wollt.

Licht
Wohlan, so zweifelt fort, ins Teufels Namen,
Bis er zur Tür hier eintritt.

Adam
Er, eintreten! –
Ohn uns ein Wort vorher gesteckt zu haben.

Licht
Der Unverstand! Als obs der vorige
Revisor noch, der Rat Wacholder, wäre!
Es ist Rat Walter jetzt, der revidiert.

Adam
Wenn gleich Rat Walter! Geht, laßt mich zufrieden.
Der Mann hat seinen Amtseid ja geschworen,
Und praktisiert, wie wir, nach den
Bestehenden Edikten und Gebräuchen.

Licht
Nun, ich versichr Euch, der Gerichtsrat Walter
Erschien in Holla unvermutet gestern,
Vis'tierte Kassen und Registraturen,
Und suspendierte Richter dort und Schreiber,
Warum? ich weiß nicht, ab officio.

Adam
Den Teufel auch? Hat das der Bauer gesagt?

Licht
Dies und noch mehr –

Adam
So?

Licht
Wenn Ihrs wissen wollt.
Denn in der Frühe heut sucht man den Richter,
Dem man in seinem Haus Arrest gegeben,
Und findet hinten in der Scheuer ihn
Am Sparren hoch des Daches aufgehangen.

Adam
Was sagt Ihr?

Licht
Hilf inzwischen kommt herbei,
Man löst ihn ab, man reibt ihn, und begießt ihn,
Ins nackte Leben bringt man ihn zurück.

Adam
So? Bringt man ihn?

Licht
Doch jetzo wird versiegelt
In seinem Haus, vereidet und verschlossen,
Es ist, als wär er eine Leiche schon,
Und auch sein Richteramt ist schon beerbt.

Adam
Ei, Henker, seht! – Ein liederlicher Hund wars –
Sonst eine ehrliche Haut, so wahr ich lebe,
Ein Kerl, mit dem sichs gut zusammen war;
Doch grausam liederlich, das muß ich sagen.
Wenn der Gerichtsrat heut in Holla war,
So gings ihm schlecht, dem armen Kauz, das glaub ich.

Licht
Und dieser Vorfall einzig, sprach der Bauer,
Sei schuld, daß der Gerichtsrat noch nicht hier;
Zu Mittag treff er doch ohnfehlbar ein.

Adam
Zu Mittag! Gut, Gevatter! Jetzt gilts Freundschaft.
Ihr wißt, wie sich zwei Hände waschen können.
Ihr wollt auch gern, ich weiß, Dorfrichter werden,
Und Ihr verdients, bei Gott, so gut wie einer.
Doch heut ist noch nicht die Gelegenheit,
Heut laßt Ihr noch den Kelch vorübergehn.

Licht
Dorfrichter, ich! Was denkt Ihr auch von mir?

Adam
Ihr seid ein Freund von wohlgesetzter Rede,
Und Euren Cicero habt Ihr studiert
Trotz Einem auf der Schul in Amsterdam.
Drückt Euren Ehrgeiz heut hinunter, hört Ihr?
Es werden wohl sich Fälle noch ergeben,
Wo Ihr mit Eurer Kunst Euch zeigen könnt.

Licht
Wir zwei Gevatterleute! Geht mir fort.

Adam
Zu seiner Zeit, Ihr wißts, schwieg auch der große
Demosthenes. Folgt hierin seinem Muster.
Und bin ich König nicht von Mazedonien,
Kann ich auf meine Art doch dankbar sein.

Licht
Geht mir mit Eurem Argwohn, sag ich Euch.
Hab ich jemals –?

Adam
Seht, ich, ich, für mein Teil,
Dem großen Griechen folg ich auch. Es ließe
Von Depositionen sich und Zinsen
Zuletzt auch eine Rede ausarbeiten:
Wer wollte solche Perioden drehn?

Licht
Nun, also!

Adam
Von solchem Vorwurf bin ich rein,
Der Henker hols! Und alles, was es gilt,
Ein Schwank ists etwa, der, zur Nacht geboren,
Des Tags vorwitz'gen Lichtstrahl scheut.

Licht
Ich weiß.

Adam
Mein Seel! Es ist kein Grund, warum ein Richter,
Wenn er nicht auf dem Richtstuhl sitzt,
Soll gravitätisch wie ein Eisbär sein.

Licht
Das sag ich auch.

Adam
Nun denn, so kommt, Gevatter,
Folgt mir ein wenig zur Registratur;
Die Aktenstöße setz ich auf, denn die,
Die liegen wie der Turm zu Babylon.


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