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Borgia
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XVIII

Audienz beim Papst. In langer Reihe, vom Magister ceremoniarium, Hof- und Zeremonienmeister Burkhard, geleitet, einem dürren, phlegmatischen Mann, der unfähig war, sich zu wundern, und alle Ereignisse des Lebens mit dem gleichen Gleichmut an sich vorüberziehen ließ –

so auch diese Reihe Menschen:

zogen sie vorüber und küßten auf türkische Art den Boden zu Seiner Heiligkeit Füßen – Geistliche, Nonnen, Ritter, Bauern, Frauen, Damen, Huren.

Auf letzteren weilte das Auge des Papstes mit besonderem Wohlgefallen.

Er sprach mit der einen und andern ein paar halblaute Worte, nannte eine jede Magdalena und bestellte sie in den Vatikan: die eine um vier, die andere um fünf, die dritte um sechs.

Man kann nicht zuviel von einem Gang vertragen. Abwechslung macht die Küche reizvoll. Ein Schnepfchen, ein Hühnchen, ein Täubchen! Das schmeckt. Aber drei Täubchen – die verderben einem den Magen. Als letzter der Reihe, der Papst wollte sich schon zurückziehen, trat der Florentiner Mönch Fra Girolamo auf ihn zu. Er warf sich nicht wie die andern zu Boden. Er küßte nicht den Saum seines Mantels oder seine Sandalen.

Er blieb stehen, und in seinen glühenden Augen brannte eine Forderung mehr als ein Wunsch.

Der Papst räusperte sich:

Ja – also – du bist der letzte. Was willst du, mein Sohn?

Der Mönch erwiderte:

Du bist der Erste – und siehe an – denke nach, was du tust.

Der Papst:

Willst du ein philosophisches Gespräch mit mir führen? Ich habe keine Zeit. Mein hohes Amt – Du hast keine Zeit – und willst die Ewigkeit erringen und begreifen, die aus nichts als Zeit und Zeit und Zeit besteht? Man muß Zeit haben, um die Ewigkeit zu haben. Der Mönch sprach in einem singenden, melodischen Tonfall, der den Papst einzulullen begann.

Ja, ich höre, sagte der Papst, ich höre. Und er hörte den römischen Brunnen des vatikanischen Gartens rauschen.

Weißt du, fuhr der Mönch fort, wie tief du dein hohes Amt erniedrigt hast?

So tief, dachte der Papst, so tief – er war auf eine sonderbare Art bewegt, den Anklagen des Mönches widerstandslos beizupflichten.

Durch schändliche Simonie hast du die Tiara erworben – durch Stimmenkauf –, o Schande über die Kardinale, die sich kaufen ließen! Du handelst mit Kardinalshüten wie ein Mützenmacher, mit Hirtenstäben wie ein Schreiner. Du buhlst mit allen Huren Roms, und nachts schläft der Teufel in weiblicher Gestalt bei dir. Du streust den verfluchten Samen der Borgia in alle Himmelsrichtungen. Zahllos und unzählbar sind deine Töchter und Söhne. Es gelüstet dich, auch sie zu verführen, Töchter und Söhne, du stillst deine Triebe ja nicht nur bei den Weibern – auch junge Burschen und Mönche und Ziegen und Hennen sind dir erwünscht. Es steht eine junge Stute in deinem Stall, sie wird in Milch gebadet und mit Wein abgerieben. Es ist deine Geliebte.

Borgia! Borgia! Steig hernieder vom angemaßten Thron und erweise Gott dem Herrn und Herrscher wieder die Ehre, die ihm gebührt. Laß freiwillig fahren, was deine Gold- und Machtgier sich angemaßt. Geh mit Cesare, mit Lucrezia und den Deinen aus freien Stücken in die Verbannung. Dann mag ein ökumenisches Konzil über den verwaisten Papstthron beschließen und ihm den würdigen Nachfolger Petri geben.

Der Papst hatte sich vom Sessel erhoben. Dann fiel er vor dem Mönch nieder und küßte den Saum seiner Soutane.

O – welch ein herrliches Gefühl war in ihm – wie süß, einmal erniedrigt zu sein – die Wonnen der Erniedrigung zu schmecken, getreten zu werden, beschimpft

und bespien

wie einst Christus, als er sein eigenes Kreuz zur Richtstätte schleppte.

Ja, zertritt mich, schrie er zum Mönch empor, bespei mich, geißle mich mit Dornen und Ruten. Ich will tun, wie du gesagt: von dannen gehen, in die Wüste fliehen. Erhebe doch die Faust und laß sie auf meinen tonsurierten Kopf niedersausen wie einen Hammer. Ich will dein Amboß sein. Speichel lief ihm aus den Mundecken.

Er fühlte, wie er der Erlösung nahe war – ah – jetzt – jetzt –

Apage, Satanas! schrie entsetzt der Mönch, schlug das Kreuz und floh.

Er sah nicht, wie der Papst sich erhoben hatte und ihm lächelnd eine geballte Faust nachsandte.

Auf den Korridoren des Vatikans begegnete Lucrezia dem Mönch, wie er umherirrte. Er fand den Ausgang nicht –

aus dem Vatikan nicht –

und nicht aus den Irrwegen seiner Seele.

Sie hielt ihn an:

Wo willst du hin? Zum Heiligen Vater?

Ich komme von ihm.

Nun, und jetzt?

Er verstummte.

Ihre Schönheit brannte wie eine Fackel in der Dämmerung vor ihm auf.

Möchtest du nicht auch der unheiligen Tochter des Heiligen Vaters deine Aufwartung machen? Sie lächelte ihm zu.

In diesem Lächeln war Gewähren, noch ehe er verlangt hatte, Erfüllung noch vor der Sehnsucht, Liebe noch vor der Begierde.

Sie sah den Gang nach links und rechts schnell herauf.

Komm – und sie zog den nicht Widerstrebenden in eine Seitenkammer, die voller Gerümpel war: alte Bilder, Kommoden, Fahnen, Gipsabdrücke.

Sie riegelte ab.

Im Halbdunkel sah er eine nackte weiße Figur vor sich. Es war ein Gipsabdruck nach einer Statue, die Umberto von Lucrezia gemacht hatte.

Willst du den Stein, lächelte Lucrezia, oder willst du mich? Du darfst wählen!

O Stein, o kühler, lieber Stein!

Und er barg den Kopf in den Schoß der steinernen Lucrezia.


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