Egon Erwin Kisch
Geschichten aus sieben Ghettos
Egon Erwin Kisch

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Die Messe des Jack Oplatka

Wenngleich kein sonderlich originelles, wenngleich ein billiges, so ist es doch ein Gleichnis, das vom ausgelaufenen Ei.

Sonst verwendet Jack Oplatka keinerlei solche Vergleiche. Sonst erzählt er (gern und) sachlich, vielfach von technischen Termini und amerikanischen Interjektionen unterspickt, von seinen Konflikten und Berufen, absolut wahr, jedoch höchst unglaubwürdig. Sich dieser Unwahrscheinlichkeit bewußt, müht er sich, eben durch Sachlichkeit, Sachkenntnis, Termini und Genauigkeit alles zu beweisen.

Aber: »Das Auge – es ist auf dem Boden gelegen, wie wenn ein faules Ei ausgeronnen war.« Mit diesem Vergleich weicht er immer der Antwort aus, wenn man ihn fragt, wieso seine rechte Augenhöhle leer ist. Seit wann? »Bei einer Keile . . .« Ja, aber wo ist diese Keilerei gewesen? »Das war über dem großen Jam.«

Er war nämlich in Amerika, wie wir uns schon aus der Durchsetzung seiner Berichte mit amerikanischen Brocken denken können, und er ist stolz darauf. Über den großen Jam ist er bereits als ganz kleiner Junge durchgebrannt; nach einem Überfall auf seinen Lehrer. Bald ist er wieder zurückgekommen. (Ist er doch jetzt erst neunzehn Jahre alt.) Seither läßt er sich »Jack« nennen (vormals hieß er »Kobi«), trägt Watte in den Rockschultern, Scheitel in Haarmitte, Nacken rasiert, Hosen breit und aufgekrempelt, keine Hosenträger, keinen Stock. Spricht oft von drüben, aber nichts davon, warum und wo es war, daß einmal sein rechtes Auge auf amerikanischem Boden lag, wie wenn ein faules Ei ausgeronnen wäre.

Zu wetten ist, daß es bei einer Keile mit einem »Orl« war, wie das jüdische Jargonwort für einen Christen lautet. Oh, nicht etwa, daß er ein Christenhasser wäre! Im Gegenteil. Er ist aus religiösem Ghettohaus, und scheu respektiert er die Frömmigkeit Andersgläubiger. Er achtet die »Frömmigkeit an sich«, ist – vorausgesetzt, daß diese Worte existieren – panreligiös, allfromm. Seine Plattenkollegen sind fast ausnahmslos Arier, die nehmen ihn für voll, und sicherlich ist er stolz darauf, daß er nicht wie ein Jude aussieht, obschon er darauf stolz ist, daß er ein Jude ist. Sich immer – natürlich bloß außerdienstlich, man wird es sehen – nachdrücklich dagegen wehrt, wenn man ihn für einen Orl hält. Und wie nachdrücklich!

Gegen die Christen hat er nur eines einzuwenden: sie halten die Juden für Feiglinge.

Diesem Irrglauben entgegenzutreten, sie von diesem Wahn zu bekehren – das hält Jack Oplatka für seine Sendung. Fällt je in seiner Hörweite eine gegen Juden gerichtete Äußerung, läßt sich je in seiner Sehweite eine Gebärde antisemitisch deuten, so ist ihm das gegrüßter Anlaß zu Rache und Radau, zu gewalttätigstem, rohestem Dementi jener Ansicht von der Feigheit aller Juden. (Ob er sich nun wirklich deshalb zu seiner Propaganda der Tat, seiner handgreiflichen Aufklärungsmission entschlossen hat und so, aus der Theorie heraus, gewollt zum Gewalttäter wurde, oder ob sie einem rassengemäßen Ressentiment oder gar einfacher Rauflust entstammt und die ethische Rechtfertigung erst aposteriorisch zurechtgelegt ward – dieses werden früher oder später die Gerichtspsychiater entscheiden.)

Übrigens wartet er keineswegs immer auf einen Anlaß zu solchem Dementi der Tat. Plötzlich steht er zum Beispiel im Kaffeehaus auf. Geht auf einen gesichtsroten Feldwebel zu, der friedlich seine Hand im Schoße (seiner Begleiterin) ruhen läßt. Geht auf ihn zu, und mit der Frage »Wer ist ein beschissener Jud?« versetzt er dem Ahnungslosen einen Schlag ins Gesicht und das Lokal in Aufregung.

Gegenhieb. Prügelei. Parteienspaltung. Sausen von Biergläsern. Zersplitternde Kaffeetassen. Kellnerinnen kreischen. Entsetztes Niederhalten eines gar nicht so ernst gemeinten Säbels durch viele Hände. Ein bisserl Blut. Hinauswürfe. Arretierungen; zumindest Arretierung Jack Oplatkas.

Man fragt ihn (man fragt ihn nicht): »Warum hast du die Rauferei angefangen, der Feldwebel hat doch keinen Ton gesprochen?«

»That's right. Aber der Orl soll nicht meinen, ein Jud fürchtet sich.«

Wie gesagt: sonst hat er nichts gegen Christen und Christentum. Ist sogar, im Gegenteil, dessen treuester Diener. Was Leute aus bürgerlicher Welt schwer zu begreifen vermögen. Herr Süß ist so einer. Der dicke Herr Süß kam zufällig einmal ins Café Savoy in Begleitung des Journalisten K., eines Freundes von Jack Oplatka.

Jack zum Journalisten: »Gut, daß du kommst. I have something for you. Du mußt einen Artikel hineingeben in die Zeitung, was das für eine Wirtschaft ist in den Prager Tumes . . .«

Herr Süß, aufhorchend, einen Artikel an seiner Quelle zu vernehmen, aufhorchend, daß ihm kein Wort des berühmten Jack Oplatka verlorengehe oder unverständlich bleibe, unterbricht: »Verzeihen Sie, Herr Oplatka, was sind Tumes?«

Eine leere Augenhöhle richtet sich, unwillig ob solcher Unbildung, dem fremden Frager entgegen. Doch wird der belehrt, daß »Tume« der Ausdruck jüdischen Jargons für »Kirche« ist.

»Was ist denn los in den Prager Tumes, Jack?«

»Also, das ist so: You know, ich arbeite schon acht Monate bei Janku . . .«

»Beim Pater Janku, ja?«

»All right, bei Sankt Heinrich. Schon seit Trinitas. Vorher war ich doch Pompesfunebre, und einmal hat ein Ministrant gerade vor der Missa pro defunctis in der Sakristei die hinfallende Krankheit bekommen, so hab ich mir das Hemd angezogen und hab ihn vertreten. Seit Sonntag Trinitas bin ich dort der ständige Ministrant. Trotzdem der Janku die Heinrichsschule hat, mit Schuljungen genug, die umsonst ministrieren möchten, bloß aus Kowed.«

»Warum verwendet er also die Buben nicht?«

»Früher hat er's ja gemacht. Aber ich bitte dich: nimmt er Musterknaben, solche blasse Bürscherl, dann werden sie nach ein paar Tagen krank, wenn sie jeden Morgen um sechs Uhr in der Kirche sein müssen. Oder sie schlafen nachher in der Schule ein. Ist das ein Wunder? Always aufpassen auf das Stichwort, das ganze Sideri lateinisch aus dem Kopf hersagen, immerfort steif herumlaufen, das schwere Meßbuch auf dem linken Arm oder mit dem Meßpult oder mit der Kanne oder mit dem Räucherfaß von der Epistelseite zur Evangeliumseite, sieben Meter breit ist das Altarschiff von Sankt Heinrich und hat sechs Stufen, immerfort hinauf- und herunterrennen mit lauter Machlojkes! . . . Das ist keine Kleinigkeit for such a child. Läßt er aber kräftige Jungen ministrieren, dann treiben sie in der Sakristei lauter Lausbübereien – hat denn so ein junger Orl eine Ahnung davon, was ein heiliger Ort ist, ein Sanctuarium?«

»Du möchtest also, daß ich einen Artikel gegen die Verwendung von Kindern zu Ministrantendiensten schreiben soll?«

»O no, my boy, das ist mir ganz egal. Trotzdem man das gewiß verbieten sollte. Aber für mich ist das keine Konkurrenz. Janku weiß, daß er sich auf mich verlassen kann. An Wochentagen bei der stillen Messe ministrier ich ganz allein, am Sonntag bin ich der Oberministrant und trag dem Geistlichen den Weihkessel nach und das Aspergill . . .«

»Pardon, Herr Oplatka, was ist ein Aspergill?«

Das rechte Auge Jacks höhlt sich geschmeichelt-mißtrauisch-bedrohlich dem zwischenfragenden Herrn Süß entgegen. »Son of a bitch! Lange werden Sie mich nicht häkeln. Zuerst verstehen Sie nicht jüdisch, dann verstehen Sie nicht katholisch . . . Was verstehen Sie eigentlich?«

Aber dann – stolz auf Amt und Wissen – gibt er doch die Erklärung: »Das Aspergill ist ein Lulew, verstehen Sie? Ein Weihwedel!! – . . . Also, das Aspergill trag ich, und ich zünde beim Sanctus die Sanctuskerze an; wenn eine Missa solemnis bei ausgesetztem Allerheiligsten ist, bin ich unter den vier Ministranten der Obermacher, der Räucherfaßträger; und bei einem Begräbnis oder einer Prozession, wenn die andern weiße Rochetten ohne Ärmel anhaben und die Kerzen tragen, hab ich eine Dalmatika an und gehe mit dem Kreuz dem ganzen Leichenzug voran . . . Ich bin eigentlich gar kein Ministrant mehr, ich bin schon eine Art Schlattenschammes, der zweite Mesner.«

»Also was hast du eigentlich gegen die Tumes? Was für einen Artikel soll ich denn in die Zeitung geben?«

»Ja, richtig! Also gestern sagt der Veverka, der Küster von Sankt Heinrich, zu mir, ob ich hinausgehen will in die Scharka, in der Andreaskapelle die Messe zu ministrieren, er werde sich in der Heinrichskirche für diesmal mit den zwei Buben behelfen. Warum? frag ich. Da erzählt mir der Veverka a long story, es ist ein Kaplan dagewesen, der gehört zum Strahower Stift, aber Sonntag liest er bei Sankt Andreas das Hochamt, und er hat geklagt, es war bis jetzt ein Ministrant dort, ein armer Blödsinniger, der hat dreißig Jahre draußen ministriert, aber in dieser Woche ist er gestorben, und es ist Unordnung dort, weil die Kapelle keinen Mesner hat, und der Kaplan hat verlangt, der Veverka möcht hinauskommen, die Sachen ein bisserl herzurichten. Der Veverka hat aber doch keine Zeit, Landpartien zu machen, und da hat er dem Kaplan versprochen, er wird mich schicken. Ob ich hinausgehen möcht? Gut, sag ich, ich geh hinaus. ›Sie werden ja verschlafen, Oplatka: Um halb neun ist die Messe, um acht müßten Sie dort sein, und Sie haben fast eine Stunde zu gehen.‹ – Machen Sie sich keine Sorgen! sag ich, ich sitz bis sieben Uhr früh im Café Kagoj, dann geh ich hinaus. Verschlafen könnt ich nur eine Nachmittagsmesse.«

»Und heute früh warst du draußen?«

»Ja. Halewaj ich wär nicht hinausgegangen! Wir haben heute nacht Kotesek gespielt, Gottes Segen bei Kohn, und um sieben Uhr war ich gerade im schönsten Verlieren. Was nutzt das, sag ich mir, Gottesdienst ist Gottesdienst, bin aufgestanden, hab mein Geld im Schüsserl gelassen und bin hinausgegangen in die Scharka, im ärgsten Kot. Wie ich hineinkomm in die Sakristei, hab ich schon gesehn! Das war eine Wirtschaft, das kannst du dir gar nicht vorstellen! Fingerdick ist der Staub überall gelegen. Die Meßgewänder: mindestens seit zwei Jahren nicht gewaschen, die Volants abgetrennt, ich hab sie anspendeln müssen, weil ich Angst gehabt hab, sie fallen während der Messe hinunter. Die Stola war direkt zerfranst, mein Ehrenwort! Das Birretum war auf der einen Seite eingetepscht. Die Lavabotücheln waren ungewaschen zusammengefaltet. Die Patena war nicht einmal zugedeckt, und die Reserveoblaten für die allgemeine Kommunion waren ganz staubig. Das ist doch die höchste Hygienie! Ich hab die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Hochwürden, hab ich gesagt, das soll ein Gotteshaus sein? Das sieht aus, mit Vergeben, wie ein . . .«

»Und der Kaplan?«

»What could he do? Geschämt hat er sich vor mir. Hat mir beweisen wollen, er hat den meschuggenen Ministranten nur aus Mitleid nicht hinausgeworfen. Und hat mir lange Geschichten erzählt, daß der auch beim Hochamt alles verdreht hat: Beim letzten Evangelium, wo man das kleine Kreuz schlagen soll, hat er das große Kreuz gemacht, und wenn er am Altar vorbeigekommen ist, wo das Allerheiligste im Tabernakel drinnen ist, hat er die Kniebeuge mit beiden Knien gemacht statt mit einem Knie, aber grad ausgerechnet beim ›Domine non sum dignus‹ hat er bloß die mittlere Reverenz gemacht statt der tiefen. Konstant hat er das Meßbuch so gelegt, daß der Rücken gegen die Altarmitte gekehrt war statt der Schnitt. Beim zweiten ›Kyrie eleison‹ soll er antworten: ›Christe eleison‹ – natürlich hat er auch gesagt: ›Kyrie eleison!‹ Beim Levate ist er niedergekniet, beim Flectamus genua ist er aufgestanden! Ausgerechnet wenn er die Klingel getragen hat, ist er gestolpert, und . . .«

»Na gut, und was war mit dir?«

»Ich hab also ministriert. Es waren genug Leute da. Auch die Wirtin von der ›Schmukyrka‹. Die ist gleich in der ersten Bank gesessen. Sie kennt mich noch aus der Zeit, wie ich mit der Peptscha das Verhältnis gehabt habe – damals war ich oft in der ›Schmukyrka‹ tanzen. My word of honour, ich hab mich vor ihr geniert, mit solchen Meßgeräten zu ministrieren! Sogar die Monstranz war angelaufen, und zwischen den Strahlen hat der Staub gesteckt. No, und wie ›Ite missa est‹ war, bin ich in die Sakristei gegangen und hab die Sachen in Ordnung gebracht. Eine Dose mit Amor hab ich gefunden, aber was nützt mir die Putzpasta, wenn kein Lederlappen da ist? Da bin ich auf eine Idee gekommen – gebenscht sei mein jüdisch Köpferl! –, ich hab ein zerrissenes Zingulum zerschnitten, ein altes wollenes Zingulum, und damit das Räucherfaß blankgescheuert, das Insensorium, und den Deckel vom Missale und die Trinkgefäße. Zum Kaplan sag ich dann, die Monstranz muß unbedingt auch einmal ordentlich gereinigt werden, ich werde das gleich machen.«

»Und das hat er zugelassen?«

»Belehren hat er mich wollen! Daß das Venerabile nur von einem gereinigt werden darf, der die höheren Weihen hat. Darauf hab ich ihm geantwortet: Wegen einem bisserl Staub soll ich mich vielleicht ins Fürsterzbischöfliche Seminar einschreiben lassen?! Da hat er gelacht, und ich hab die Monstranz geputzt, daß sie wieder etwas gleichsieht; at the end hat er auch ein wenig am Ciborium herumgerieben – damit er sagen kann, er hat es gereinigt – laß er verdienen! – Und ich bin wieder in die Sakristei gegangen; die Ornate und das Pluviale hab ich zusammen mit dem Lavacrum und den Lavabotücheln in ein Bündel geschnürt, daß man sie nach Brewnow in die Klosterwäscherei schicken kann, alles geordnet und war fertig. Da legt mir der Kaplan – so soll ich leben und gesund sein! – fünfzehn Zal hin . . .«

»Was?«

»Ja, ja, fünfzehn Kreuzer als Lohn! Zuerst hab ich ihn angeschaut, ob er meschugge ist. Was ist das, frage ich ihn. Fünfzehn Kreuzer bekomm ich bei Sankt Heinrich, also mitten in der Stadt, aber herauszulaufen in der Nacht, einen Weg von einer Stunde im ärgsten Dreck, vom Spiel bin ich aufgestanden und hab mein Geld dortgelassen, und hier hab ich alles ausgeputzt, und Sie geben mir fünfzehn Kreuzer? – Sagt er, er kann mir nicht mehr geben, der alte Ministrant hat auch nur fünfzehn Kreuzer bekommen, und die Ministrantengebühr ist dem Kaplan für ein Quartal im vorhinein ausbezahlt worden, und er kann jetzt nicht mehr aufrechnen, und er zahlt nur fünfzehn Kreuzer. Da bin ich aber wild geworden. Messe lesen kann ein jeder, hab ich ihn angeschrien, Sie haben doch jedes Wort im Buch vor sich, aber der Ministrant muß alles auswendig können! Wenn ich Ihnen statt des Evangeliums ein Kochbuch hinlege, so müssen Sie ja Powidelbuchtel aufsagen statt Dominus vobiscum! Sie stehen ruhig oben und lassen sich bedienen, aber der Ministrant soll herumspringen wie ein Schalksnarr mit seinen Schellen, und dafür wollen Sie ihm so einen Hungerlohn zahlen? Das ist christliche Nächstenliebe? Eine Gaunerei ist das!«

»Und der Kaplan? Der hat sich das gefallen lassen?«

»Er hat natürlich auch angefangen zu schreien und zu schimpfen. Und wie er geschimpft hat, hab ich gesehen – traurig genug, daß ich das von einem Seelsorger sagen muß –, was er für einen schoflen, gemeinen Charakter gehabt hat. So ordinäre Worte hat er gebraucht: Bankert, Dreckkerl, ich bin, hör ich, ein Wichtigtuer, und ob ich glaube, daß er ohne mich das nicht zusammengebracht hätte, und wenn mir die fünfzehn Kreuzer zuwenig sind, soll ich sie dalassen, und ihn kann ich – Damned my soul, bin ich in Wut gekommen, schon will ich ihm zwei Fraß geben, da schreit er weiter – und jetzt hab ich gewußt, warum er mich schon früher immer so von der Seite angeschaut hat – er schreit, er läßt nicht mit sich feilschen, er ist kein stinkender Handeljud . . .Wie er das gesagt hat – du weißt nicht, was das für mich bedeutet . . .«

»Ich weiß es, ich kenne dich, Jack!«

»O nein, in so einem Moment kennst du mich nicht! In so einem Moment kenn ich mich selber nicht! In so einem Moment können mich zehn Leute halten, das nützt nichts. Da kann ein Wachmann schreien: ›Im Namen des Gesetzes‹, ich höre nichts. Ob du's glaubst oder nicht: ich sehe dann nur mit meinem rechten Aug, und Ohrensausen spür ich. Also, wie er das vom stinkenden Juden sagt, pack ich den schweren Altarleuchter . . . da hat er aufgeschrien: Sacrilegium immediatum! Und das war wie ein Wunder: es hat mich zur Besinnung gebracht.

Daß er auf lateinisch erschrocken ist – vielleicht auch, weil er mich damit als einen kirchlichen Funktionär angesprochen hat – eigentlich weiß ich selbst nicht, warum aber was ein Sacrilegium immediatum ist, weiß ich ganz genau!! Also, ich bin im Augenblick zu mir gekommen und hab ihn vor mir stehen gesehen mit einem Gesicht wie das Billardtuch da und die Hände von sich gestreckt vor Angst. Ich hab den Leuchter auf den Tisch gestellt und langsam gesagt: Geben Sie mir noch fünfzehn Kreuzer.

Ohne ein Wort zu reden, hat er sie hingelegt, ich hab die dreißig Zal eingesteckt, das kleine Kreuz geschlagen (ich weiß ganz gut, man soll das große Kreuz schlagen, aber ich hab so eine Wut gehabt!) und bin gegangen.«

Mit einem Ruck trinkt Jack sein Bierglas leer. »That's the whole story. Aber das hab ich mir unterwegs vorgenommen: Wenn ich dich treffe, werde ich dir das erzählen, daß du in die Zeitung hineingibst, was das für eine Wirtschaft ist in den Prager Tumes. Damit da einmal eine Ordnung hineinkommt!

Du mußt schreiben: Jeder Ministrant soll fünfzehn Kreuzer bekommen pro stille Messe, zwanzig Kreuzer per Hochamt am Sonntag oder Feiertag, bei einer Totenmesse die Ministranten zusammen zehn Prozent von der Messespende, und für die Kapellen auf dem Friedhof oder in den Vorstädten soll eine Zuschlagsgebühr festgesetzt werden, zehn Kreuzer per Kilometer zum Beispiel . . .«

Herrn Süß aber, in seinem jüdischen Empfinden empört, entringt sich der Ausruf: »Wie können Sie als Jude ministrieren?!«

Eine Augenbraue über ausgeronnenem Ei zieht sich empor. »Sie Ochse, wie können Sie glauben, daß ich als Jud ministrier? Ich ministrier doch als Orl!«

 


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