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Dreizehntes Kapitel.

»Maisie, gehen Sie zu Bett.«

»Es ist so heiß, ich kann nicht schlafen. Quälen Sie mich nicht.«

Maisie lehnte sich mit den Ellenbogen aufs Fensterbrett und blickte auf den im Mondlicht liegenden geraden, von Pappeln eingefaßten Weg. Der Sommer hatte Vitry-sur-Marne völlig ausgedörrt; das Gras auf den Wiesen war verbrannt, die Kreide an den Ufern des Flusses war zu Ziegeln gebrannt, die Blumen an den Seiten des Weges waren seit langer Zeit verdorrt und die Rosen im Garten hingen vertrocknet an ihren Stielen. Die Hitze in dem niedrigen kleinen Schlafzimmer unter der Dachrinne war fast unerträglich. Das Mondlicht an den Wänden von Kamis Atelier über der Straße schien die Nacht noch heißer zu machen, während der Schatten des großen Glockengriffes an der geschlossenen Thüre einen Strich von schwarzer Tinte bildete, der Maisies Auge beleidigte.

»Abscheuliches Ding! Es müßte alles weiß sein,« murmelte sie. »Auch ist die Thür nicht in der Mitte der Wand. Ich habe das früher gar nicht bemerkt.«

Es war Maisie in dieser Stunde nichts recht zu machen. Erstens hatte die Hitze der letzten Wochen sie sehr ermattet; dann war ihre Arbeit, und besonders die Studie eines weiblichen Kopfes, der die Melancholie darstellen sollte, nicht zur richtigen Zeit fertig geworden und unbefriedigend ausgefallen; drittens hatte Kami vor zwei Tagen vieles daran auszusetzen gehabt, und viertens hatte Dick, ihr Eigentum, seit länger als sechs Wochen nicht mehr an sie geschrieben. Sie war ärgerlich über die Hitze, über Kami, über ihre Arbeit, am meisten jedoch über Dick.

Sie hatte demselben dreimal geschrieben – jedesmal eine neue Bearbeitung ihrer Melancholie vorschlagend – und Dick gar keine Notiz von diesen Mitteilungen genommen. Sie war entschlossen, nicht mehr an ihn zu schreiben. Wenn sie im Herbst nach England zurückkehrte – denn ihr Stolz duldete keine frühere Rückkehr – würde sie mit ihm reden. Die Konferenzen an den Sonntagnachmittagen fehlten ihr mehr, als sie zugeben wollte. Alles, was Kami sagte, war: » Continuez, mademoiselle, continuez toujours!« und er hatte diesen langweiligen Rat während des ganzen heißen Sommers wiederholt, gerade wie eine Grille – eine alte graue Grille in einem schwarzen Alpakarocke, weißen Beinkleidern und einem mächtig großen Filzhute. Aber Dick war gebieterisch in ihrem kleinen Atelier in London auf und nieder geschritten und hatte zehnmal schlimmere Dinge als » continuez« gesagt, ehe er ihr den Pinsel aus der Hand nahm und ihr zeigte, worin sie geirrt. Sein letzter Brief enthielt, wie sich Maisie erinnerte, einige triviale Ratschläge, daß sie nicht in der Sonne Skizzen machen und kein Wasser in den Bauernhäusern am Wege trinken solle; und er hatte das nicht einmal, sondern dreimal gesagt – als ob er nicht wüßte, daß Maisie sich selbst in acht nehmen könne!

Aber womit war er beschäftigt, daß er keine Zeit hatte, an sie zu schreiben? Ein Murmeln von Stimmen auf der Straße veranlaßte sie, sich zum Fenster herauszulehnen. Ein Kavallerist von der kleinen Garnison der Stadt plauderte mit Kamis Köchin; der Mondschein glitzerte aus seiner Säbelscheide, die er in der Hand hielt, um ein störendes Klappern zu verhindern. Die Mütze der Köchin warf einen tiefen Schatten auf ihr Gesicht, das sich dicht bei dem des Soldaten befand. Dieser legte seinen Arm um ihre Taille, worauf das Geräusch eines Kusses erfolgte.

»Pfui!« sagte Maisie zurücktretend.

»Was gibt's?« fragte das rothaarige Mädchen, das sich unruhig auf seinem Bette umherwarf.

»Nur einen Soldaten, der die Köchin küßt,« erwiderte Maisie. »Sie sind jetzt fortgegangen.« Sie lehnte sich wieder zum Fenster heraus und nahm einen Shawl über ihr Nachtkleid zum Schutze gegen die Kälte, denn es wehte eine leichte Nachtbrise. Wäre es möglich, daß Dick seine Gedanken von ihrer und seiner eigenen Arbeit abgewendet hätte, um so tief zu sinken wie Susanne und der Soldat? Das konnte er nicht! Dick konnte es nicht; »weil,« dachte Maisie, »er mir gehört mir. Er sagte es ja selbst. Es ist wahr, ich bekümmere mich nicht um das, was er thut; es wird nur seiner Arbeit schaden und der meinigen dazu, wenn er es thut.«

Es war durchaus kein Grund vorhanden, weshalb Dick sich nicht belustigen sollte, wenn es ihm beliebte, ausgenommen, daß er durch die Vorsehung, die Maisie war, berufen worden war, Maisie bei ihrer Arbeit beizustehen. Ihre Arbeit bestand darin, Bilder zu malen, die zuweilen an englische Provinzialausstellungen geschickt wurden, wie die Notizen in den Katalogen bewiesen, und die der Salon unabänderlich zurückwies, wenn sie Kami so lange gequält hatte, bis er ihr gestattete, dieselben einzusenden. Ihre Arbeit für die Zukunft würde, wie es schien, darin bestehen, Bilder genau in ähnlicher Weise zu malen, die genau auf dieselbe Weise zurückgewiesen würden.

Das rothaarige Mädchen wälzte sich voll Verzweiflung auf seinem Bette und stöhnte: »Es ist zu heiß zum Schlafen.«

Genau auf dieselbe Weise. Sie würde dann ihre Jahre zwischen ihrem kleinen Atelier in England und Kamis großem Atelier in Vitry-sur-Marne zubringen. Nein, sie wollte zu einem andern Meister gehen, der sie zwingen würde, Erfolg zu haben, auf den sie ein Recht hatte, wenn geduldige Arbeit und verzweifelte Ausdauer jemand ein Recht zu etwas geben. Dick hatte gesagt, daß er zehn Jahre gearbeitet habe, um seine Kunst zu verstehen. Sie hatte ebenfalls zehn Jahre lang gearbeitet und zehn Jahre bedeuteten nichts. Dick hatte gesagt, zehn Jahre wären nichts – aber doch nur in Bezug auf sie selbst. Er hatte auch gesagt – dieser selbe Mann, der keine Zeit zum Schreiben finden konnte, daß er zehn Jahre auf sie warten wolle, und daß sie früher oder später zu ihm zurückkehren müsse. Er hatte dieses in einem albernen Brief über Sonnenstich und Diphtheritis gesagt und dann aufgehört zu schreiben. Er lief im Mondschein die Straßen auf und ab und küßte Köchinnen. Sie möchte ihm am liebsten jetzt gleich Vorwürfe machen – natürlich nicht in ihrem Nachtgewande, sondern gehörig gekleidet – streng und von oben herab. Aber wenn er andere Mädchen küßte, würde er sich gewiß nichts daraus machen, ob sie ihm Vorlesungen hielte oder nicht; er würde sie auslachen.

Maisie stützte ihr Kinn auf die Hand und entschied, daß gar kein Zweifel an der Schlechtigkeit Dicks bestehe. Um sich selbst zu rechtfertigen, begann sie, ganz unweiblich, den Beweis festzustellen. Es war da ein Knabe, der gesagt, daß er sie liebe; derselbe küßte sie auf die Wange bei einem gelben Seemohn, der mit dem Kopfe dazu genickt. Dann kam ein Zwischenraum; andere Männer hatten ihr gesagt, daß sie sie liebten – gerade, wenn sie am eifrigsten mit ihrer Arbeit beschäftigt gewesen. Darauf kehrte der Knabe zurück und hatte ihr gleich bei der zweiten Begegnung gesagt, daß er sie liebe. Dann hatte er – Aber es gab ja gar kein Ende mit all den Dingen, die er gethan. Er hatte ihr seine Zeit und sein Talent gewidmet, mit ihr über Kunst, Haushaltung, Technik, Theetassen, den Mißbrauch von Mixpickles als einem Reizmittel gesprochen und ihr den besten Pinsel aus Zobelhaaren geschenkt, den sie noch täglich benutzte; er hatte ihr guten Rat erteilt, von dem sie Gebrauch gemacht, und hin und wieder einen Blick ihr zugeworfen. Solch einen Blick! Den eines geprügelten Hundes, der auf ein Wort wartet, um zu den Füßen seiner Herrin zu kriechen. Für all das hatte sie ihm gar nichts gegeben, ausgenommen – hier wischte sie sich den Mund mit dem Aermel ihres Nachtkleides ab – die Erlaubnis, sie einmal zu küssen, noch dazu auf den Mund. Schmachvoll! War das nicht genug, mehr als genug? Und wenn es nicht der Fall, hatte er nicht die Schuld gelöscht dadurch, daß er nicht geschrieben und wahrscheinlich andere Mädchen geküßt?

»Maisie, Sie werden sich erkälten. Kommen Sie und legen Sie sich hin,« sagte die müde Stimme ihrer Gefährtin. »Ich kann nicht einschlafen, so lange Sie im Fenster liegen.«

Maisie zuckte mit den Schultern und antwortete nicht. Sie dachte über die Niedrigkeit von Dick und über andere Schlechtigkeiten nach, mit denen derselbe nichts zu schaffen hatte. Der hartherzige Mondschein würde sie doch nicht schlafen lassen. Derselbe lag wie kaltes Silber auf dem Oberlichte des Ateliers über der Straße; sie starrte unausgesetzt darauf hin, bis ihre Gedanken sich zu verwirren begannen. Der Schatten des großen Glockengriffs wurde bald kürzer, bald länger und verschwand, als der Mond hinter der Weide untertauchte, während ein Hase über den Weg nach seinem Lager hinkte. Darauf strich der Abendwind über das hohe Gras und brachte Kühlung mit sich; an den ausgetrockneten Flüssen brüllte das Vieh. Maisies Kopf sank auf das Fensterbrett; der Knoten ihres schwarzen Haares bedeckte ihre Arme.

»Maisie, wachen Sie auf; Sie werden sich erkälten.«

»Ja, Liebe; ja, Liebe.« Sie stolperte wie ein müdes Kind nach ihrem Bette und murmelte, als sie ihr Gesicht in den Kissen begrub: »Ich denke – ich denke ... Aber er hätte doch schreiben müssen.«

Der Tag brachte die gewöhnliche Arbeit des Ateliers, den Geruch von Farbe und Terpentin, sowie die monotone Weisheit Kamis, der ein schwerfälliger, bleierner Künstler, aber ein goldener Lehrer war, wenn ihm der Schüler nur sympathisch erschien. Mit Maisie war das an jenem Tage nicht der Fall, so daß sie ungeduldig das Ende ihrer Arbeit erwartete. Sie wußte, wenn es kam, denn Kami würde seinen schwarzen Alpakarock hinten in einem Bündel zusammenraffen und mit mattblauen Augen, die weder Schüler noch Leinwand sahen, in die Vergangenheit zurückblicken, um die Geschichte eines gewissen Binat in Erinnerung zu bringen. »Sie alle haben es nicht so schlecht gemacht wie der,« würde er sagen. »Aber Sie müssen daran denken, daß es nicht genügt, Methode zu haben, Kunst und Talent, oder dasjenige, was man Strich nennt, zu besitzen, sondern Sie müssen auch die Ueberzeugung haben, die die Arbeit an die Wand nagelt. Von den vielen Schülern, die ich gehabt,« – hier begannen die Schüler Heftzwicken loszumachen oder ihre Farben zusammenzupacken – »war Binat der beste. Alles, was Studium, Arbeit und Wissen geben können, besaß er, als er zu mir kam; nachdem er mich verlassen, konnte er alles leisten, was mit Farbe, Form und Kenntnis zu leisten ist, nur die Ueberzeugung fehlte ihm. Deshalb höre ich heute nichts mehr von Binat – dem besten meiner Schüler – und das ist schon lange her; deshalb werden Sie auch froh sein, heute nichts mehr von mir zu hören. Continuez, mesdemoiselles, und, vor allen Dingen, mit Ueberzeugung.«

Er ging in den Garten, um zu rauchen und über den verlorenen Binat zu trauern, als die Schüler und Schülerinnen sich in ihre verschiedenen Wohnungen zerstreuten oder im Atelier noch trödelten, um Pläne zu machen, wo sie die Kühle des Nachmittags genießen wollten.

Maisie blickte auf ihre unglückselige Melancholie, unterdrückte den Wunsch, derselben eine Grimasse zu machen, und eilte dann über die Straße, um einen Brief an Dick zu schreiben, als sie einen großen Mann auf einem weißen Militärpferde bemerkte. Wie Torpenhow es fertig gebracht hatte, im Laufe von vierundzwanzig Stunden seinen Weg zu den Herzen der in Vitry-sur-Marne liegenden Kavallerieoffiziere zu finden, mit ihnen über die Gewißheit einer glorreichen Revanche für Frankreich zu sprechen, den Colonel zu Thränen reinster Leutseligkeit zu rühren und das beste Pferd der Schwadron zu einem Ritte nach Kamis Atelier zu entlehnen, ist ein Rätsel, das nur Spezialkorrespondenten lösen können.

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte er. »Es scheint eine alberne Frage zu sein, aber ich kenne sie in der That nicht bei einem andern Namen: befindet sich hier eine junge Dame, die Maisie heißt?«

»Ich bin Maisie,« lautete die Antwort aus den Tiefen eines großen Sommerhutes.

»Ich muß mich selbst vorstellen,« sagte er, während das Pferd in dem blendend weißen Staube sich bäumte. »Mein Name ist Torpenhow. Dick Heldar ist mein bester Freund, und – und – Thatsache ist, daß er blind geworden ist.«

»Blind!« rief Maisie einfältig aus. »Er kann nicht blind sein!«

»Er ist seit beinahe zwei Monaten stockblind.« Maisie richtete ihr Gesicht auf, das ganz weiß geworden. »Nein, nein! Nicht blind! Ich will ihn nicht blind haben!«

»Würde Ihnen daran liegen, ihn selbst zu sehen?« fragte Torpenhow.

»Jetzt – sogleich?«

»O nein! Der Pariser Zug geht hier erst um acht Uhr abends durch. Es wird hinreichend Zeit sein.«

»Schickte Mr. Heldar Sie zu mir?«

»O nein, gewiß nicht! Dick würde etwas derartiges nicht thun. Er sitzt in seinem Atelier und dreht einige Briefe hin und her, die er nicht lesen kann, weil er blind ist.«

Ein erstickter Ton ließ sich unter dem Sonnenhute vernehmen, Maisie neigte ihren Kopf und ging in die Cottage, wo das rothaarige Mädchen auf dem Sofa lag und über Kopfweh klagte.

»Dick ist blind!« sagte Maisie, schnell atmend, als sie sich gegen eine Stuhllehne stützte. »Mein Dick ist blind!«

»Was?« rief das Mädchen aus, vom Sofa aufspringend.

»Ein Mann ist von England herüber gekommen, um es mir mitzuteilen. Er hat seit sechs Wochen nicht an mich geschrieben.«

»Werden Sie zu ihm gehen?«

»Ich muß wohl daran denken.«

»Denken! Ich würde nach London zurückkehren und ihn sehen, ich würde seine Augen küssen und wieder küssen, bis sie wieder gut würden! Wenn Sie nicht gehen, werde ich gehen. O, was rede ich doch so? Sie böse kleine Blödsinnige! Gehen Sie sofort zu ihm, gehen Sie!«

Torpenhows Genick bekam Blasen in der Sonne, dennoch bewahrte er ein Lächeln unendlicher Geduld, als Maisie mit unbedecktem Kopfe im Sonnenschein erschien.

»Ich komme,« sagte sie mit niedergeschlagenen Augen.

»Dann bitte ich, daß Sie diesen Abend um sieben Uhr an der Station in Vitry sind.« Das war ein Befehl von jemand, der gewöhnt war, daß man ihm gehorchte. Maisie erwiderte nichts, aber sie war dankbar dafür, daß es keine Möglichkeit gab, mit diesem großen Manne zu disputiren, der alles für bewilligt annahm und das unruhige Pferd mit einer Hand regierte. Sie kehrte zu dem rothaarigen Mädchen zurück, das bitterlich weinte, und mit Thränen, Küssen, Menthol, Einpacken und einer Unterredung mit Kami ging der schwüle Nachmittag vorüber. Die Gedanken konnten später kommen. Ihre augenblickliche Pflicht war, zu Dick zu gehen – Dick, der diesen wunderlichen Freund besaß, im Dunkeln saß und mit ihren uneröffneten Briefen spielte.

»Aber was werden Sie machen?« fragte sie ihre Gefährtin.

»Ich? O, ich werde hier bleiben und Ihre Melancholie vollenden,« sagte sie, traurig lächelnd.

»Schreiben Sie mir später.«

An jenem Abend lief ein Gerücht durch Vitry-sur-Marne von einem verrückten Engländer, der zweifellos am Sonnenstich litt, sämtliche Offiziere der Garnison unter den Tisch getrunken, ein Pferd aus den St"allen entliehen hatte und dann nach englischer Sitte mit einem von diesen mehr als verrückten englischen Mädchen, die unter der Leitung dieses guten Monsieur Kami Bilder zeichneten, davongelaufen war.

»Sie sind wirklich drollig,« sagte Susanne zu ihrem Soldaten im Mondschein hinter der Wand des Ateliers. »Sie ging immer mit diesen großen Augen umher, die nichts sahen, und doch küßte sie mich auf beide Wangen, als ob sie meine Schwester wäre, und schenkte mir – sieh – zehn Franken!«

Der Soldat erhob eine Kontribution von beiden Gaben, denn er war stolz darauf, ein guter Soldat zu sein.

Torpenhow sprach nur sehr wenig mit Maisie während der Reise nach Calais, doch sorgte er aufmerksam für alle ihre Bedürfnisse, verschaffte ihr ein Coupé für sich und ließ sie allein. Er war überrascht, daß die ganze Angelegenheit so leicht ausgeführt worden war.

»Das beste wird sein, sie allein über die Sache nachdenken zu lassen. Nach Dick zu urteilen, muß sie ihn ganz gehörig unter ihrem Befehl gehalten haben. Es wundert mich, daß sie jetzt so willig gehorcht.«

Maisie sprach kein Wort. Sie saß in dem leeren Coupé oft mit geschlossenen Augen, um sich das Gefühl der Blindheit zu vergegenwärtigen. Es war ein Befehl, daß sie rasch nach London zurückkehren sollte, und schließlich fing sie an, sich über die Situation zu freuen. Das war besser, als sich um das Gepäck und eine rothaarige Freundin zu bekümmern, die niemals das geringste Interesse für ihre Umgebung hatte. Aber es lag ein Gefühl in der Luft, als ob sie, Maisie, bei allen Leuten in Ungnade gefallen sei. Sie rechtfertigte ihr Benehmen sich selbst gegenüber mit vielem Erfolge, bis Torpenhow auf dem Dampfboote zu ihr kam und ohne jede Vorrede die Geschichte von Dicks Blindheit zu erzählen begann, nur einige Einzelheiten fortlassend, aber länger bei dem Elende des Delirirens verweilend. Er hielt inne, bevor er zu Ende war, als ob er das Interesse an dem Gegenstände verloren hätte, und ging nach vorn, um zu rauchen. Maisie war wütend über ihn und sich selbst.

In größter Eile wurde sie von Dover nach London befördert, beinahe, ohne daß ihr Zeit zum Frühstücken gelassen wurde, und dann höflichst gebeten, in einem Hausflur vor einigen Stufen zu warten, während Torpenhow hinaufging, um Erkundigungen einzuziehen. Wieder ließ das Bewußtsein, daß sie wie ein unartiges kleines Mädchen behandelt würde, ihre bleichen Wangen erröten. Alles war Dicks Schuld, daß er so albern gewesen, zu erblinden. Torpenhow führte sie dann zu einer verschlossenen Thüre, die er leise öffnete. Dick saß am Fenster mit auf die Brust herabgesunkenem Kinn; in seinen Händen befanden sich drei Briefumschläge, die er hin und her drehte. Der große Mann, der ihr so Befehle erteilt, stand nicht mehr an ihrer Seite, und die Thüre des Ateliers fiel hinter ihr ins Schloß.

Dick steckte die Briefe in seine Tasche, als er das Geräusch hörte. »Hallo, Torp! Sind Sie das? Ich bin so allein gewesen.«

Seine Stimme hatte die den Blinden eigentümliche Klanglosigkeit. Maisie drückte sich in eine Ecke des Zimmers. Ihr Herz pochte heftig, so daß sie eine Hand auf die Brust legte, um es ruhig zu halten. Dick starrte direkt auf sie hin; sie sah zum erstenmale, daß er blind sei. Ihre Augen in einem Eisenbahnwaggon schließen und sie wieder öffnen, wenn es ihr beliebte, war kindische Spielerei; dieser Mann war blind, obgleich seine Augen weit offen standen.

»Torp, sind Sie es? Man sagte mir, Sie würden kommen.« Dick sah verwirrt und etwas ärgerlich über dieses Stillschweigen aus.

»Nein, ich bin es nur,« lautete die Antwort in einem nur mit Mühe hervorgebrachten Flüstern. Maisie konnte kaum ihre Lippen bewegen.

»Hm!« sagte Dick gelassen, ohne sich zu rühren. »Das ist ein neues Phänomen. Ich gewöhne mich allmälich an die Dunkelheit, aber ich weigere mich, Stimmen zu hören.«

War er wahnsinnig, ebenso wie blind, daß er mit sich selbst sprach? Maisies Herz pochte noch ungestümer, und sie schnappte nach Luft. Dick stand auf und begann sich durch das Zimmer zu tasten, jeden Tisch und jeden Stuhl im Vorübergehen berührend. Einmal blieb er mit dem Fuße in einer rauhen Decke hängen und fluchte, während er niederkniete, um zu fühlen, was ihn am Weitergehen hinderte. Maisie erinnerte sich daran, wie er im Parke gegangen, als ob die ganze Erde ihm gehöre, wie er in ihrem Atelier vor zwei Monaten auf und ab geschritten und auf der Laufplanke des Kanaldampfers gelaufen war. Das Herzklopfen machte sie krank, während Dick näher kam, durch das Geräusch ihres Atemholens geleitet. Sie streckte unwillkürlich eine Hand aus, um ihn abzuwehren oder an sich zu ziehen, sie wußte selbst nicht, was von beiden. Die Hand berührte seine Brust; er prallte zurück, als ob er von einer Kugel getroffen worden wäre.

»Es ist Maisie!« schrie er aufschluchzend. »Was thun Sie hier?«

»Ich kam – ich kam – um Sie zu sehen.«

Dicks Lippen preßten sich zusammen.

»Wollen Sie sich denn nicht setzen? Sie sehen, ich habe Unglück mit meinen Augen gehabt und –«

»Ich weiß, ich weiß. Weshalb teilten Sie es mir nicht mit?«

»Ich konnte nicht schreiben.«

»Sie hätten es Mr. Torpenhow sagen sollen.«

»Was hat derselbe mit meinen Angelegenheiten zu schaffen?«

»Er brachte mich von Vitry-sur-Marne hierher. Er glaubte, ich wollte Sie sehen.«

»Wie, was ist vorgefallen? Kann ich irgend etwas für Sie thun? Nein, ich kann es nicht. Ich vergaß.«

»O, Dick, ich bin so betrübt! Ich bin gekommen, es Ihnen zu sagen und – Lassen Sie mich Sie wieder zu Ihrem Stuhle führen.«

»Thun Sie es nicht! Ich bin kein Kind. Sie thun das nur aus Mitleid. Ich beabsichtigte niemals, Ihnen etwas davon mitzuteilen. Ich bin jetzt zu nichts gut; es ist mit mir vorbei. Lassen Sie mich allein!«

Er griff sich zurück nach seinem Stuhle; seine Brust arbeitete, als er sich niedersetzte.

Maisie betrachtete ihn; die Furcht verschwand aus ihrem Herzen, um bitterer Scham Platz zu machen. Er hatte eine Wahrheit ausgesprochen, die das Mädchen während der eiligen Fahrt nach London vor sich selbst verborgen gehalten, denn es war in der That vorbei mit ihm – nicht gebieterisch erschien er mehr, sondern eher ein wenig abschreckend, kein Künstler mehr, der bedeutender war als sie, noch ein Mann, zu dem man aufblickte – nur ein Blinder, der in einem Stuhle saß und auf dem Punkte zu stehen schien, in Weinen auszubrechen. Sie war unendlich und aufrichtig betrübt seinetwegen – trauriger, als sie jemals in ihrem Leben wegen jemand gewesen – aber nicht betrübt genug, um ihre Worte zu verleugnen. Sie stand daher still und fühlte sich beschämt, sowie etwas getroffen, weil sie aufrichtig beabsichtigt hatte, daß ihre Reise siegreich endigen sollte, und jetzt fühlte sie nur Mitleid, nichts von Liebe.

»Nun?« fragte Dick, sein Gesicht abwendend. »Ich beabsichtigte niemals, Sie noch mit irgend etwas zu belästigen. Um was handelt es sich?«

Er war sich bewußt, daß Maisie nach Atem rang, aber er war ebenso unvorbereitet wie sie selbst auf den Sturm von Erregung, der folgte. Leute, die nicht leicht weinen können, vergießen unaufhaltsam Thränen, wenn die Quellen der großen Tiefe aufgeschlossen werden. Sie war in einen Stuhl gesunken und schluchzte, während sie ihr Gesicht mit den Händen bedeckte.

»Ich kann nicht – ich kann nicht!« rief sie verzweiflungsvoll aus. »Wirklich, ich kann nicht. Es ist nicht meine Schuld. Ich bin so betrübt, O, Dickie, ich bin so sehr betrübt.«

Dicks Schultern richteten sich auf, denn die Worte trafen ihn wie ein Peitschenschlag. Das Schluchzen dauerte fort. Es ist nicht gut, zu bemerken, daß man in der Stunde der Prüfung unterlegen oder zurückgewichen ist vor der Möglichkeit, Opfer bringen zu müssen.

»Ich verachte mich selbst – wirklich, ich thue es. Aber ich kann nicht. O, Dickie, Sie werden mich nicht bitten – nicht wahr?« jammerte Maisie. Sie blickte eine Minute auf, während Dicks Augen zufällig den ihrigen begegneten. Das unrasirte Gesicht war ganz weiß und entschlossen; die Lippen versuchten ein Lächeln hervorzubringen. Aber es waren diese toten Augen, vor denen Maisie sich fürchtete. Ihr Dick war blind geworden und an seiner Stelle jemand geblieben, den sie kaum wieder erkennen konnte, bis er sprach.

»Wer bittet Sie denn, irgend etwas zu thun, Maisie? Ich sagte Ihnen ja, wie es sein würde. Weshalb quälen Sie sich so? Aus Mitleid für mich, weinen Sie nicht so; es ist wirklich nicht der Mühe wert.«

»Sie wissen nicht, wie sehr ich mich selbst hasse. O, Dick, helfen Sie mir – helfen Sie mir!« Ihr leidenschaftliches Weinen fing an, Dick zu beunruhigen. Er stolperte zu ihr hin und legte seinen Arm um sie, während sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte.

»Still, mein Liebling, still! Weinen Sie nicht, Sie haben ganz recht und sich gar nichts vorzuwerfen – niemals hatten Sie das. Sie sind nur etwas aufgeregt von der Reise und haben vielleicht gar kein Frühstück bekommen. Wie thöricht von Torp, Sie herüber zu holen!«

»Ich verlangte, herzukommen, wirklich,« sagte sie.

»Ganz schön; Sie sind nun gekommen und haben mich gesehen, und ich bin Ihnen unendlich dankbar dafür. Wenn Sie sich etwas erholt haben, so müssen Sie fortgehen und etwas zu sich nehmen. Hatten Sie eine gute Ueberfahrt?«

Maisie unterdrückte ihr Weinen etwas und war zum erstenmale in ihrem Leben froh, daß sie jemand hatte, an den sie sich anlehnen konnte. Dick klopfte sie zärtlich, aber ungeschickt auf die Schulter, denn er war nicht ganz sicher, wo sich ihre Schulter befand.

Sie wand sich schließlich aus seinen Armen los und wartete zitternd und sehr unglücklich. Er hatte sich nach dem Fenster zurückgefühlt, um die Breite des Zimmers zwischen sich und Maisie zu legen und den Aufruhr in seinem Herzen etwas zu beruhigen.

»Befinden Sie sich jetzt besser?« fragte er.

»Ja, aber – hassen Sie mich nicht?«

»Ich Sie hassen? Mein Gott! Ich?«

»Gibt es gar nichts, was ich sonst für Sie thun könnte? Ich will hier in England deswegen bleiben, wenn Sie es wünschen. Vielleicht könnte ich zuweilen herkommen und Sie sehen?«

»O nein, Teuerste. Es wäre gütiger, mich nicht mehr wiederzusehen, ich bitte Sie darum. Ich möchte nicht gerne rauh erscheinen, aber – meinen Sie nicht, daß es vielleicht besser wäre, Sie gingen jetzt?«

Er war sich bewußt, daß er es nicht wie ein Mann ertragen könnte, wenn er sich noch l"anger bezwingen müßte.

»Ich kann Ihnen in keiner Weise nützlich sein und will deshalb gehen, Dick. O, ich bin so elend, so schlecht!«

»Unsinn. Sie brauchen sich deswegen nicht zu ängstigen; ich würde es Ihnen sonst sagen. Warten Sie einen Augenblick, Liebling, ich möchte Ihnen erst etwas geben. Ich hatte es für Sie bestimmt, noch bevor dieses Unglück anfing. Es ist meine Melancholie; sie war eine Schönheit, als ich sie zuletzt erblickte. Sie können dieselbe von mir annehmen und verkaufen, sollten Sie jemals arm werden. Sie ist stets einige hundert Pfund wert.« Er suchte unter den Bildern. »Sie ist schwarz eingerahmt; ist dieses ein schwarzer Rahmen, den ich in der Hand habe? Da ist es. Was halten Sie davon?«

Er drehte Maisie ein verschrammtes, formloses Gemisch von Farben zu und strengte die Augen an, als ob er ihre Bewunderung und Ueberraschung erfassen wollte. Ein Ding, nur dieses einzige Ding konnte sie für ihn thun.

»Nun?«

Seine Stimme klang voller und kräftiger, weil der Mann wußte, daß er von seinem besten Werke sprach. Maisie blickte auf das Gekleckse, und eine wahnsinnige Lust zu lachen erfaßte sie; aber um Dicks willen durfte sie sich nichts merken lassen, was immer auch dieses verrückte Geschmiere bedeuten mochte. Ihre Stimme bebte von zurückgehaltenen Thränen, als sie antwortete: »O, Dick, es ist schön!«

Er hörte das schwache hysterische Schlucken und hielt es für ein Zeichen der Anerkennung. »Wollen Sie es denn nicht haben? Ich will es Ihnen nach Hause schicken, wenn Sie wollen.«

»Ich? O ja – ich danke Ihnen. Ha! ha!« Wenn sie jetzt nicht fortging, so w"urde das unterdrückte Lachen, das schlimmer als Thränen war, sie ersticken. Sie wandte sich ab und lief, erstickend und geblendet, die Treppen hinunter, flüchtete sich in ein Kab und fuhr durch den Park nach ihrem Hause. Dort setzte sie sich in ihrem fast kahlen Zimmer nieder und dachte an Dick in seiner Blindheit, der bis an das Ende seines Lebens, sowohl für sich als auch für sie selbst von gar keinem Nutzen mehr war. Hinter diesem Kummer, der Scham und der Demütigung erhob sich die Furcht vor dem kalten Zorne des rothaarigen Mädchens, wenn Maisie zu demselben zurückgekehrt sein würde. Maisie hatte sich früher nie vor ihrer Gefährtin gefürchtet. Sie vergegenwärtigte sich die Verachtung ihrer selbst erst, als sie sich sagte: »Nun, er hat nichts von mir verlangt!«

Hiermit nehmen wir Abschied von Maisie.

Für Dick waren noch mehr Qualen aufbewahrt. Er konnte erst gar nicht begreifen, daß Maisie, der er befohlen hatte, zu gehen, ihn ohne ein Wort des Abschieds verlassen hatte. Er war außerordentlich ärgerlich über Torpenhow, der diese Demütigung über ihn gebracht und seinen traurigen Frieden gestört hatte. Dann kam seine dunkle Stunde; er befand sich allein mit sich selbst und seinem Verlangen nach etwas, das ihn von dieser Finsternis befreien könnte. Die Königin konnte nichts Unrechtes thun, aber indem dieselbe ihrem Rechte folgte, soweit dasselbe ihrer Arbeit diente, hatte sie ihren einzigen Unterthan mehr verwundet, als dessen Gehirn ihm klar machen konnte.

»Es ist alles, was ich hatte, und ich habe es verloren,« sagte er, sobald sein Elend ihm gestattete, klar zu denken. »Torp wird glauben, er sei so höllisch klug gewesen, daß ich nicht das Herz haben werde, ihm alles zu erzählen. Ich muß die Sache ruhig durchdenken.«

»Hallo!« rief Torpenhow aus, in das Atelier tretend, nachdem Dick zwei Stunden nachgedacht.

»Ich bin zurück. Befinden Sie sich etwas besser?«

»Torp, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Kommen Sie her!« Dick keuchte heiser, da er in der That nicht wußte, was er sagen und wie er es ruhig sagen sollte.

»Ist es denn nötig, irgend etwas zu sagen? Stehen Sie auf und gehen Sie umher.« Torpenhow war vollständig befriedigt.

Sie wanderten wie gewöhnlich auf und ab, Torpenhows Hand auf Dicks Schulter ruhend und Dick in Gedanken versunken.

»Wie in aller Welt haben Sie das alles herausgefunden?« fragte Dick schließlich.

»Sie müssen nicht im Fieber sprechen, wenn Sie Geheimnisse bewahren wollen, Dickie. Es war durchaus unpassend von meiner Seite, aber wenn Sie mich gesehen hätten, wie ich bei einer glühenden Sonnenhitze auf einem halb zugerittenen französischen Kavalleriepferde zusammengeschüttelt wurde, Sie hätten sicherlich gelacht, heute abend wird es einen Charivari in meinen Zimmern geben. Sieben andere Teufel –«

»Ich weiß – der Spektakel im südlichen Sudan. Ich überraschte sie neulich bei ihren Beratungen; es machte mich ganz unglücklich, haben Sie sich entschlossen, zu gehen? Für wen arbeiten Sie?«

»Ich habe noch keinen Vertrag abgeschlossen. Ich wollte erst sehen, wie sich die Sache mit Ihnen gestalten würde.«

»Wollten Sie denn bei mir bleiben, wenn die Dinge schlecht abgelaufen wären?« Er stellte seine Frage sehr vorsichtig.

»Fragen Sie mich nicht zu viel. Ich bin nur ein Mensch.«

»Sie haben sehr erfolgreich versucht, ein Engel zu sein.«

»O ja ... Wollen Sie das Amt eines solchen heute abend übernehmen? Wir werden halb toll sein, bevor der Morgen anbricht. Alle Welt glaubt, daß der Krieg gewiß ist.«

»Ich denke nicht, daß ich es thue, alter Freund, wenn es Ihnen egal ist. Ich werde ruhig hier bleiben.«

»Und nachgrübeln? Ich tadle Sie nicht. Sie haben sich lange genug verdient gemacht wie nur je ein Mann.«

An jenem Abend gab es viel Lärm auf den Treppen. Die Korrespondenten kamen vom Theater, vom Diner und von den Konzerten zu Torpenhow, um über ihren Feldzugsplan zu sprechen, im Falle die militärischen Operationen bereits festgesetzt wären. Torpenhow, Keneu und Nilghai hatten alle diese Leute eingeladen, an der Orgie teilzunehmen; Mr. Benton, der Haushälter, erklärte, daß er noch nie während seines ganzen Lebens einen solchen tollen Haufen von Gentlemen gesehen. Sie weckten die Zimmerbewohner durch Schreien und Singen auf, und die älteren Herren waren gerade so schlimm als die jüngeren. Denn sie hatten die Zufälligkeiten des Krieges vor sich, und alle wußten, was das sagen wollte.

Dick saß in seinem Zimmer, etwas bestürzt über den zu ihm herüberschallenden Lärm; plötzlich fing er an zu lachen.

»Wenn jemand darüber nachdenkt, so ist die Situation außerordentlich komisch. Maisie hat ganz recht – armes, kleines Ding! Ich wußte früher gar nicht, daß sie so weinen könnte, aber nun ich weiß, was Torp denkt, bin ich überzeugt, er wäre thöricht genug, zu Hause zu bleiben und zu versuchen, mich zu trösten – wenn er wüßte. Außerdem ist es nicht besonders hübsch, sich sagen zu müssen, daß man wie ein zerbrochener Stuhl beiseite geworfen ist. Ich muß diese Sache allein tragen – wie gewöhnlich. Wenn es keinen Krieg gibt und Torp kommt dahinter, werde ich ihm wie ein Thor erscheinen, das ist alles. Gibt es aber Krieg, so darf ich nicht zwischen das Glück eines andern treten, Geschäft ist Geschäft, und ich muß allein sein. – Was für einen Lärm sie machen!«

Jemand hämmerte gegen die Thüre des Ateliers.

»Kommen Sie heraus, Dickie, und seien Sie lustig,« sagte Nilghai.

»Ich möchte wohl, aber ich kann nicht. Ich bin nicht aufgelegt, fröhlich zu sein.«

»Dann werde ich es den Jungens sagen, und man wird Sie wie einen Dachs herausholen.«

»Bitte, thun Sie es nicht, alter Herr. Auf mein Wort, ich möchte gerade jetzt lieber allein sein.«

»Nun gut. Können wir Ihnen irgend etwas hereinschicken? Fipp zum Beispiel. Cassavetti fängt bereits an, Lieder vom ›sonnigen Süden‹ zu singen.«

Einen Augenblick dachte Dick ernstlich über den Vorschlag nach.

»Nein, danke. Ich habe schon Kopfweh.«

»Tugendhaftes Kind! Das ist die Wirkung von Aufregungen in der Jugend. Meine Glückwünsche, Dick! Auch ich war an der Verschwörung für Ihre Wohlfahrt beteiligt.«

»Gehen Sie zum Teufel und – o, schicken Sie nur Binkie herein.«

Der kleine Hund trat mit elastischen Schritten ein, ganz aufgeregt von dem vielen Lärmen während des Abends. Er hatte geholfen, den Refrain zu singen, aber kaum befand er sich im Atelier, als er gewahr wurde, daß dies nicht der Ort sei, mit dem Schwanze zu wedeln; er setzte sich daher auf Dicks Schoß, bis es Zeit war, ins Bett zu gehen. Dann legte er sich mit Dick ins Bett, der jede Stunde schlagen hörte und am Morgen mit einem schmerzlich klaren Kopfe aufstand, um Torpenhows formellere Glückwünsche, sowie einen besonderen Bericht über das nächtliche Gelage entgegenzunehmen.

»Sie sehen nicht besonders glücklich aus für einen kürzlich angenommenen Mann,« bemerkte Torpenhow.

»Thut nichts, das ist meine Sache, ich befinde mich ganz gut. Gehen Sie wirklich fort?«

»Ja. Mit dem alten Central Southern wie gewöhnlich. Sie telegraphirten mir, und ich nahm unter besseren Bedingungen als früher an.«

»Wann reisen Sie ab?«

»Uebermorgen, nach Brindisi.«

»Gott sei Dank,« sagte Dick aus dem Grunde seines Herzens.

»Nun, das ist gerade keine hübsche Art und Weise zu sagen, daß Sie froh sind, mich los zu werden. Doch Leuten in Ihrer Lage ist es erlaubt, selbstsüchtig zu sein.«

»Ich meinte es nicht so. Wollen Sie für mich hundert Pfund einkassiren, bevor Sie abreisen?«

»Das ist eine kleine Summe zum Haushalten, nicht wahr?«

»O, es ist nur für – die Kosten der Hochzeit.«

Torpenhow brachte das Geld, zählte es in Fünf- und Zehnpfundnoten auf und schloß es sorgfältig in den Schreibtisch ein.

»Jetzt, denke ich, werde ich etwas zu hören bekommen von seiner Schwärmerei für sein Mädchen, bis ich fortgehe. Der Himmel verleihe uns Geduld mit einem verliebten Manne,« sagte er zu sich selbst.

Dick sagte indes nicht ein Wort über Maisie oder Heirat. Er lehnte in der Thür von Torpenhows Zimmer, als dieser packte, und richtete unzählige Fragen an ihn über den bevorstehenden Feldzug, bis es Torpenhow langweilig wurde.

»Sie sind ein geheimnisvolles Tier, Dickie, und verzehren Ihren eigenen Rauch, nicht wahr?« sagte er am letzten Abend.

»Ich – ich glaube so. Wie lange denken Sie beiläufig, wird dieser Feldzug dauern?«

»Tage, Wochen oder Monate; man kann das niemals vorhersagen. Er kann auch jahrelang währen.«

»Ich wünschte wohl, ich könnte mitgehen.«

»Gütiger Himmel! Sie sind wirklich das unberechenbarste Geschöpf. Ist es Ihnen nicht zu teil geworden, daß Sie sich verheiraten werden – dank meinen Bemühungen?«

»Natürlich ja. Ich werde mich verheiraten, gewiß. Werde mich verheiraten. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür. Hatte ich es Ihnen nicht mitgeteilt?«

»Nach Ihrem Aussehen zu schließen, könnten Sie ebenso gut im Begriffe stehen, gehangen zu werden,« sagte Torpenhow.

Am nächsten Tage sagte Torpenhow ihm adieu und ließ ihn in der Einsamkeit zurück, nach der er so sehr verlangt hatte.


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