Alexander Kielland
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Alexander Kielland

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Ein Mittagsessen.

Beim Großhändler fand ein großes Mittagsessen statt. Der Amtmann hatte eine Rede zu Ehren des heimgekehrten Studenten gehalten – des Hauses ältester Sohn – und der Großhändler hatte mit einer Gesundheit auf den Amtmann geantwortet; so weit war nun alles schön und gut. Und doch konnte man sehen, daß irgend etwas den Hausherrn beunruhigte. Er antwortete verkehrt, goß Rheinwein in Portwein und verrieth auf jede Weise, daß sein Geist abwesend war.

Er dachte nämlich über eine Rede nach, eine Rede, die nicht zu den reglementsmäßigen gehörte, und das war etwas sehr Merkwürdiges; denn der Großhändler war kein Redner, und – – was noch merkwürdiger war, er wußte es selbst.

Als er daher fast schon gegen Ende der Mahlzeit an das Glas schlug und sagte, daß er etwas auf dem Herzen habe, was er aussprechen müsse, da merkten sofort alle, daß etwas Ungewöhnliches bevorstand. Es wurde plötzlich so still an der Tafel, daß man das lebhafte Gespräch der Damen hörte, welche nach norwegischer Sitte im anstoßenden Zimmer speisten.

Endlich kam die Stille auch bis zu ihnen und sie drängten sich in der Thür zusammen um zu hören. Nur die Frau des Hauses hielt sich zurück und warf einen bekümmerten Blick auf ihren Mann. »Ach, mein Gott!« seufzte sie halblaut, »jetzt wird es ihm gewiß schlecht gehen. Er hat ja all seine Reden schon gehalten; was will er denn jetzt noch!«

Und es fing auch nicht gut an. Der Redner stotterte, räusperte sich und verirrte sich zwischen den gewöhnlichen Redewendungen: »Ich will nicht unterlassen, zu – hm – ich fühle den Drang zu sagen, daß, daß – das heißt, ich wollte Sie bitten, meine Herren, mir behilflich zu sein, damit – – –«

Meine Herren saßen und starrten in ihre Gläser, bereit dieselben bei der geringsten Veranlassung zu leeren. Aber diese Veranlassung kam nicht.

Doch der Redner kam zu sich.

Denn er hatte wirklich etwas auf dem Herzen. Die Freude und der Stolz über den Sohn, der frisch und gesund nach einem glücklichen Examen heimgekehrt war, die schmeichelhafte Rede des Amtmanns, das Essen, der Wein, die festliche Stimmung, – aber vor allen Dingen die ungetrübte Freude über den Erstgeborenen – dies alles legte ihm die Worte in den Mund. Und als er erst über die fatalen Einleitungsphrasen fort war, ging es immer fließender.

Es war ein skaal (Gesundheit) für die Jugend. Der Redner verweilte bei der Verantwortung, welche wir den Kindern gegenüber haben, bei den vielen Sorgen, aber auch den vielen Freuden, welche sie den Eltern machen. Er mußte zuweilen sehr schnell sprechen, um nicht gerührt zu werden; denn er fühlte, was er sagte.

Und als er zu den erwachsenen Kindern kam, als er sich den eigenen, theuren Sohn als Associé im Geschäft, als er an seine Kindeskinder dachte, da bekamen seine Worte einen Schwung von Beredsamkeit, der alle Zuhörer in Erstaunen setzte; und der lebhafteste Beifall begrüßte den Schluß:

»Denn – meine Herren! in diesen Kindern setzen wir gleichsam unser Dasein fort. Wir hinterlassen ihnen nicht nur unsern Namen, sondern auch unsere Arbeit. Und wir hinterlassen ihnen diese, nicht damit sie im Müßiggang deren Früchte genießen, sondern damit sie dieselbe fortsetzen, weiter entwickeln können, ja – um sie besser zu verrichten, als ihre Väter es konnten. Denn das ist unsere Hoffnung, daß die junge Generation sich die Früchte der Arbeit unserer Zeit zueignen möge, daß sie sich von vielen Vorurtheilen befreien möge, welche die Vergangenheit und theilweise auch die Gegenwart verdunkeln, und wir wollen wünschen – indem wir die Gesundheit der Jugend trinken – daß diese durch stetes Vorwärtsschreiten ihrer Väter würdig werden, ja – sagen wir es nur! – ihnen über den Kopf wachsen möge.

Und nur, wenn wir wissen, daß wir die Arbeit in tüchtigeren Händen zurücklassen werden, können wir ruhig der Zeit entgegensehen, da wir unser Tagewerk verlassen müssen, und dann dürfen wir fest auf eine lichte und ehrenvolle Zukunft für unser theures Vaterland bauen! Skaal für die Jugend!!«

Die Hausfrau, welche näher getreten war, als sie merkte, daß die Sache gut ging, war stolz und gerührt über ihren Mann; die ganze Gesellschaft war in animirter Stimmung; aber am meisten von allen freute sich doch der Student.

Er hatte gleichsam ein wenig Furcht vor dem Vater gehegt, dessen streng patriarchalische Grundsätze er kannte. Jetzt hörte er ja, daß der Alte höchst liberal gegen die Jugend sei, und er freute sich recht darauf, mit ihm über ernste Dinge sprechen zu können.

Aber vorläufig war nur von Spaß die Rede, indem sich durch die »Gesundheit« veranlaßt, eine jener interessanten Tischreden darüber entspann, wer denn eigentlich jung und wer alt sei. Endlich war man zu dem witzigen Resultat gekommen, daß die Aeltesten in Wirklichkeit die Jüngsten seien, und dann ging man an den Desserttisch, welcher im Damenzimmer gedeckt war.

Aber wie galant die Herren – besonders die aus der alten Schule – auch dem schönen Geschlecht gegenüber sein mögen, so vermag doch weder weibliche Liebenswürdigkeit noch das ausgesuchteste Dessert sie lange auf ihrem Wege nach dem Rauchzimmer aufzuhalten. Und bald verkündete der erste Cigarrenduft, der ein so großer Genuß für die Raucher ist, daß der Proceß begonnen habe.

Der Student und ein paar andere junge Herren verweilten noch einige Zeit bei den jungen Damen – unter strenger Bewachung der älteren; aber nach und nach verloren auch sie sich in der grauen Wolke, welche den Weg bezeichneten, den die Väter gegangen waren.

Hier im Rauchzimmer wurde ein sehr lebhaftes Gespräch über mehre socialpolitische Gegenstände geführt. Der Hausherr hatte das Wort und stützte seine Auffassung durch etliche »historische Facta«, die indessen ganz unzuverlässig waren.

Sein Gegner – der Obergerichtsanwalt – saß just da und freute sich darauf, diese factischen Unrichtigkeiten widerlegen zu können, als der Student eintrat.

Er kam noch grade zur rechten Zeit, um den Schnitzer des Vaters zu hören, und in seiner festlichen Stimmung, in seiner Freude über die neue Anschauungsweise des Vaters, welche ihm die Tischrede offenbart hatte, sagte er munter und einfach:

»Nein, entschuldige, Vater! darin irrst du. Das verhält sich durchaus nicht so – im Gegentheil.«

Weiter kam er nicht, denn der Vater schlug ihn lachend auf die Schulter: »Ei, ei! Willst auch du mit den Zeitungen scherzen! – Du darfst uns übrigens nicht stören, wir führen ein ernsthaftes Gespräch.«

Der Sohn hörte ein hämisches Kichern aus der grauen Wolke; außerdem reizte ihn das Höhnische in der Bemerkung, daß seine Einmischung eine Störung in einem ernsten Gespräch bedeute.

Deshalb gab er eine ziemlich scharfe Antwort.

Der Vater, welcher den Ton des Sohnes sofort empfand, änderte plötzlich den Ausdruck: »Willst du im Ernst kommen und behaupten, daß dein Vater hier steht und Unsinn spricht?«

»Das habe ich nicht gesagt; ich meinte nur, daß du dich irrst – –«

»Wenn du es auch nicht in dürren Worten sagtest, so hast du es gedacht,« sagte der Großhändler, welcher begann zornig zu werden. Denn er hörte wie einer der Herren zu seinem Nachbar sagte: »Das hätte ich nur meinem Vater bieten sollen.«

Jetzt gab ein Wort das andere, und die Situation wurde äußerst peinlich.

Die Hausfrau, welche immer mit einem Ohr auf das Gespräch der Herren lauschte, trat schnell in die Thür, als sie die Heftigkeit ihres Gatten hörte:

»Was giebt es? – Adjunct Hansen!«

»O, Ihr Sohn hat sich ein wenig vergaloppirt,« antwortete dieser.

»Gegen seinen eigenen Vater! Herrgott – er muß zu viel getrunken haben. Lieber Hansen! Sehen Sie zu, daß Sie ihn heraus bekommen!«

Der Adjunct, der mehr wohlwollend als diplomatisch war, und von dem sein früherer Schüler überdies unendlich viel hielt – eine Sache, die bei alten Lehrern seltener der Fall ist, als man glaubt – ging hin und nahm den Studenten ohne weiteres unter den Arm: »Komm, wir beiden werden einen Gang durch den Garten machen.«

Der junge Mann wandte sich heftig um; aber als er den alten Lehrer gewahrte und zugleich einen flehenden, bekümmerten Blick von der Mutter auffing, ließ er sich ohne Widerstand fortführen.

In der Thür hörte er den Anwalt, welchen er niemals hatte leiden können, etwas sagen von dem Hühnchen, das die Henne brüten lehren will, ein Witz, der mit stürmischem Gelächter gelohnt wurde. Es durchzuckte ihn; aber der Adjunct hielt fest, und so kamen sie glücklich hinaus.

Es dauerte lange, bevor der alte Lehrer ihn so weit beruhigen konnte, daß er Vernunftsgründen zugänglich wurde. Die Enttäuschung und das bittere Bewußtsein, mit dem Vater uneins geworden zu sein, nicht minder die Kränkung darüber, in Gegenwart so vieler Männer als Knabe behandelt zu sein – alles dieses mußte in ihm austoben.

Aber endlich wurde er ruhig, setzte sich zu seinem alten Freunde und ließ sich von diesem erklären, daß es doch immerhin verletzend für einen ältern Mann sein müsse, sich von einem so jungen Burschen zurecht setzen zu lassen.

»Ja, aber ich hatte Recht!« sagte der Student wohl zum zwanzigsten Mal.

»Gut, gut! aber trotzdem darfst du dir nicht das Ansehen geben, als wolltest du klüger sein als dein Vater.«

»Mein Vater hat aber doch selbst gesagt, daß er es so haben will!«

»Wie? Was? Wann hat dein Vater das gesagt?« Der Adjunct fing beinahe an zu glauben, daß der Wein dem jungen Herrn zu Kopf gestiegen sei.

»Bei Tische – in der Rede!« rief dieser.

»Bei Tische – ja! in der Rede – ja! Aber siehst du, das ist ja eine ganz andere Sache. So etwas läßt sich wohl sagen, – besonders in einer Rede; aber damit ist doch durchaus nicht gemeint, daß es auch in der Praxis durchgeführt werden soll. Nein, glaub' du mir – mein Junge! Ich bin alt, ich kenne die Menschen! Das muß nun einmal so zugehen in der Welt; wir sind nicht anders. In der Jugend hat man eine eigene Ansicht vom Leben; aber junger Mann! das ist nicht die rechte. Erst wenn man in vorgerücktem Alter zur Ruhe gekommen ist, sieht man die Dinge in ihrem wahren Lichte. Und – jetzt will ich dir etwas sagen, worauf du dich getrost verlassen kannst. Wenn du erst die Jahre und die Stellung deines Vaters hast, so werden deine Anschauungen dieselben sein wie die seinen, und wie er, wirst auch du dich bestreben, sie deinen Kindern einzuimpfen und einzuprägen.«

»Nein, niemals! das schwöre ich,« rief der junge Mensch indem er aufsprang. Und dann sprach er in glühenden Worten darüber, daß für ihn Recht stets Recht bleiben werde! Achtung vor der Wahrheit, welcher Art diese auch immer sein möge! Achtung vor der Jugend! u. s. w. – kurzum, er sprach wie hoffnungsvolle Jünglinge nach einem guten Diner und einer starken Gemüthsbewegung zu reden pflegen. –

Er war schön wie er so da stand, das Antlitz nach oben gewandt, die Strahlen der Abendsonne auf seinem blonden Haar spielend.

In seiner ganzen Erscheinung, in seinen Worten lag etwas Hinreißendes, Ueberzeugendes, das nicht verfehlen konnte, Eindruck zu machen; – das heißt, wenn ein anderer als der Adjunct ihn gesehen und gehört hätte.

Denn auf diesen machte es durchaus gar keinen Eindruck; – er war ja alt.

Das Schauspiel, dessen Zeuge er heute gewesen war, hatte er schon oft gesehen. Er selbst hatte successive beide Hauptrollen gespielt; er hatte viele Debütanten wie den Studenten und viele alte Schauspieler wie den Großhändler gesehen.

Deshalb schüttelte er sein ehrwürdiges Haupt und sagte zu sich selbst:

»Ja, ja, das ist alles recht schön. Aber sieh nur zu; ich behalte doch Recht: der da wird grade so wie wir andern.«

Und der Adjunct behielt Recht.


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