Alexander Kielland
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Alexander Kielland

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Ballstimmung.

Ohne Unfall, ohne Anstrengung war sie die glatten Marmorstufen emporgestiegen, nur von ihrer großen Schönheit und ihren guten Anlagen getragen. Sie hatte ihren Platz in den Sälen der Reichen und Mächtigen eingenommen, ohne den Zutritt mit ihrer Ehre und ihrem guten Rufe bezahlt zu haben. Und doch konnte niemand sagen, woher sie gekommen; man flüsterte nur, daß sie der Hefe entstiegen.

In einer Vorstadt von Paris hatte sie ihre Kindheit zwischen Armuth und Laster hingehungert, ein Leben, von dem nur jene einen Begriff haben, welche es aus Erfahrung kennen. Wir andern, die wir unser Wissen aus Büchern und Erzählungen haben, müssen unsere Phantasie zu Hilfe nehmen, um eine Idee von dem erblichen Jammer in einer großen Stadt zu bekommen; – und doch sind die schrecklichsten Bilder, welche wir uns ausmalen, farblos im Vergleiche zur Wirklichkeit.

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, wann das Laster sie erfassen würde – wie ein Zahnrad den ergreift, welcher der Maschine zu nahe kommt – um sie, nachdem es sie durch ein kurzes Leben der Schande und Erniedrigung gewirbelt, mit der unerbittlichen Genauigkeit einer Maschine in einen Winkel zu werfen, wo sie ungekannt und unkenntlich dieses Zerrbild eines Menschenlebens hätte beenden können.

Da aber wurde sie, wie es zuweilen geschieht, von einem reichen und hochstehenden Manne »entdeckt«, wie sie als vierzehnjähriges Kind über eine der besseren Pariser Straßen lief. Sie war auf dem Wege nach einem dunklen Hinterzimmer in der rue des quatre vents, wo sie bei einer Frau arbeitete, deren Spezialität Ballblumen waren.

Es war nicht nur ihre außerordentliche Schönheit, welche den reichen Mann fesselte, sondern ihre Bewegungen, ihr Wesen, der Ausdruck in diesen halbfertigen Zügen – alles schien ihm darauf hinzudeuten, daß hier ein Kampf zwischen einem ursprünglich guten Charakter und aufkeimender Frechheit gekämpft wurde. Und da er die unberechenbaren Launen des überflüssigen Reichthums besaß, beschloß er, den Versuch zur Rettung des armen Kindes zu machen.

Es war nicht schwer, in ihren Besitz zu gelangen, denn sie gehörte ja niemandem an. Sie bekam einen Namen und wurde in eines der besten Klöster gebracht; und ihr Wohlthäter hatte die Freude wahrzunehmen, daß die bösen Keime dahin welkten und verschwanden. Es entwickelte sich ein liebenswürdiger, etwas indolenter Charakter, ein ruhiges, tadelloses Benehmen und eine seltene Schönheit. Als sie erwachsen war, heirathete er sie. Sie führten eine gute und friedliche Ehe. Ungeachtet des großen Unterschiedes im Alter hatte er ein unbegrenztes Vertrauen zu ihr und sie verdiente es.

In Frankreich leben die Eheleute nicht so eng verbunden mit einander wie bei uns; ihre gegenseitigen Ansprüche sind daher minder groß und ihre Enttäuschungen kleiner. Sie war nicht glücklich, aber zufrieden. Ihr Charakter eignete sich zur Dankbarkeit. Der Reichthum langweilte sie nicht; im Gegentheile – sie freute sich oft kindisch über denselben. Aber das ahnte niemand, denn ihr Wesen war stets sicher und würdig. Man ahnte nur, daß es mit ihrer Herkunft nicht ganz richtig sei; aber da niemand antwortete, hörte man auf zu fragen: man hat so viel anderes zu denken in Paris.

Ihre Vergangenheit hatte sie vergessen. Sie hatte sie so vergessen, wie wir die Rosen, die seidenen Bänder und die vergilbten Briefe unserer Jugend vergessen, – wir denken niemals an sie. Sie liegen verschlossen in einer Schublade, welche wir niemals öffnen. Und doch – geschieht es einmal, daß wir einen Blick in die heimliche Lade werfen, so merken wir sofort, wenn eine einzige dieser Rosen oder das kleinste Band fehlt. Denn wir erinnern uns an alles so genau: – die Erinnerungen liegen da, ebenso frisch – ebenso süß – und ebenso bitter.

Und so hatte sie ihre Vergangenheit vergessen, eingeschlossen und den Schlüssel von sich geworfen – –. Aber in der Nacht träumte sie zuweilen schreckliche Dinge. Sie fühlte wieder, wie die alte Hexe, bei welcher sie einst gewohnt, sie an den Schultern rüttelte, um sie hinaus zu jagen in die kalte Morgenluft zu der Frau mit den Ballblumen. Dann fuhr sie im Bette empor und starrte in tödtlicher Angst in das Dunkel. Aber gleich darauf fühlte sie die seidene Decke und die weichen Kissen und ihre Finger glitten an den reichen Verzierungen ihres prächtigen Bettes entlang; und während kleine, schläfrige Engelskinder langsam die schwere Traumdecke zur Seite zogen, genoß sie in vollen Zügen dieses eigentümliche, unbeschreibliche Wohlbehagen, welches wir empfinden, wenn wir entdecken, daß ein häßlicher und böser Traum – nur ein Traum war.

In die schwellenden Polster zurückgelehnt, fuhr sie zum Balle beim russischen Botschafter. Je näher man dem Ziele kam, desto langsamer ging die Fahrt, bis der Wagen die feste Queue erreichte, wo es nur noch Schritt für Schritt ging. Auf dem großen Platze vor dem Hotel, welches reich mit Gas und Fackeln erleuchtet war, hatte sich eine große Volksmenge gesammelt. Nicht nur Spaziergänger standen dort, sondern hauptsächlich Arbeiter, Müßiggänger, arme Weiber und zweifelhafte Damen standen fest zusammengedrängt zu beiden Seiten der Wagenreihe. Lustige Bemerkungen und unfeine Witze im urwüchsigsten Pariser Jargon hagelten auf die vornehmen Leute nieder. Sie hörte Worte, welche sie seit langen Jahren nicht gehört, und sie erröthete bei dem Gedanken, daß sie vielleicht die Einzige in der ganzen langen Wagenreihe, welche diese gemeinen Ausdrücke der Hefe von Paris verstand. Sie begann die Gesichter um sich herum zu betrachten; ihr war, als kenne sie alle. Sie wußte, was sie dachten, was in diesen Köpfen vorging, und nach und nach strömte ein Heer von Erinnerungen auf sie ein. Sie wehrte sich dagegen, so gut sie konnte, aber an diesem Abende kannte sie sich selbst kaum wieder.

Sie hatte also nicht den Schlüssel zu dem verborgenen Fache verloren; widerstrebend zog sie ihn heraus und die Erinnerungen überwältigten sie.

Sie erinnerte sich, wie oft sie selbst – ein halbes Kind – mit gierigen Augen die Damen verschlungen hatte, welche geschmückt zu Ball und Theater fuhren; wie oft hatte sie in bitterm Neid über den Blumen geweint, welche sie mühsam zusammensetzen mußte, um Andre damit zu schmücken. Hier sah sie dieselben gierigen Augen, denselben unersättlichen, gehässigen Neid. – Und die dunklen, ernsten Männer, welche mit halb verächtlichem, halb drohendem Blicke die Equipagen musterten – sie kannten sie alle. – Hatte sie nicht selbst als kleines Mädchen in einem Winkel gelegen und mit weit aufgerissenen Augen gelauscht auf ihre Gespräche über die Ungerechtigkeit des Lebens, über die Tyrannei der Reichen, über das Recht der Arbeiter, nach welchem diese nur die Hand auszustrecken brauchten? Sie wußte, daß sie alles haßten – von den wohlgenährten Pferden und dem feierlichen Kutscher an bis zu den glänzenden Wagen; am meisten aber jene, welche darin saßen – jene gierigen Vampyre und jene Damen, deren Schmuck und Putz mehr kostete, als die Arbeit eines ganzen Lebens einem von ihnen einbringen konnte. Und Während sie die Wagenreihe betrachtete, welche sich langsam durch die Menge zog, tauchte eine andere Erinnerung auf, ein halb vergessenes Bild aus dem Schulleben im Kloster. Sie mußte plötzlich an die Erzählung von Pharao denken, welcher mit seinen Streitwagen die Juden durch das rothe Meer verfolgen wollte. Sie sah die Wogen, welche sie sich immer blutroth vorgestellt hatte, wie eine Mauer zu beiden Seiten der Aegypter stehen. Da ertönte Moses' Stimme, er streckte seinen Stab über die Wasser und die Wogen des rothen Meeres verschlangen Pharao und all seine Wagen. Sie wußte, daß die Mauer, welche hier zu beiden Seiten vor ihr stand, wilder und raubgieriger sei als die Wellen des Meeres; sie wußte, daß es nur einer Stimme bedurfte, eines Moses, um dieses Menschenmeer in Bewegung zu setzen, so daß es sich verheerend vorwärts wälzte und mit seinen blutrothen Wogen den Glanz des Reichthums und der Macht verschlang.

Ihr Herz klopfte, sie drückte sich bebend in eine Ecke des Wagens. Aber nicht aus Angst, sondern weil die da draußen sie nicht sehen sollten; denn sie schämte sich vor ihnen. Zum ersten Male erschien ihr eignes Glück ihr wie eine Ungerechtigkeit, wie etwas, dessen sie sich schämen mußte.

War denn ihr Platz in der schwellenden, eleganten Equipage? Gehörte sie nicht eigentlich hinaus in jene wogende Masse, zwischen die Kinder des Hasses? Halbvergessene Gedanken und Gefühle erhoben ihr Haupt wie Raubthiere, welche lange gefesselt gewesen. Sie fühlte sich fremd und heimatslos in ihrem glänzenden Leben und mit einer Art dämonischer Sehnsucht gedachte sie der entsetzlichen Orte, von welchen sie gekommen war. Sie ergriff ihren kostbaren Spitzenshawl; ein wilder Drang irgend etwas zu zerstören, bemächtigte sich ihrer – da fuhr der Wagen in das Portal des Hôtels.

Der Diener riß den Wagenschlag auf, und mit ihrem wohlwollenden Lächeln, ihrem ruhigen, aristokratischen Anstande stieg sie langsam aus. Ein junges, attachéartiges Wesen stürzte hinzu und war glücklich, als sie seinen Arm annahm, noch mehr entzückt, als er einen ungewöhnlichen Glanz in ihrem Blicke wahrzunehmen glaubte, und im siebenten Himmel, als er ihren Arm erbeben fühlte. Voll Stolz und Hoffnung führte er sie die glatten Marmorstufen hinauf. – – – – –

»Sagen Sie mir doch, schöne Frau, welche gütige Fee hat Ihnen die wunderbare Gabe in die Wiege gelegt, daß in allem, was Sie thun und was Sie angeht, etwas Apartes liegt. Und wenn es nur eine Blume in Ihrem Haar ist, so hat sie einen eigenen Reiz, als hätte der frische Morgenthau sie benetzt. Und wenn Sie tanzen, ist es, als beuge und füge der Boden sich Ihren Schritten.«

Der Graf war ganz erstaunt über dies lange und wohlklingende Compliment; denn es wurde ihm durchaus nicht so leicht, sich zusammenhängend auszudrücken. Er erwartete auch, daß die schöne Frau ihren Beifall aussprechen würde. Aber er täuschte sich. Sie lehnte sich über die Brüstung des Balkons, wo sie nach dem Tanze Kühlung suchten, und starrte hinaus auf die Menge und die noch immer ankommenden Wagen. Sie schien die Bravour des Grafen durchaus nicht aufgefaßt zu haben; er hingegen hörte sie das unerklärliche Wort »Pharao« murmeln. Er wollte sich gerade beklagen, als sie sich umwandte, um in den Saal zurückzugehen. Plötzlich blieb sie vor ihm stehen und blickte ihn mit großen, seltsamen Augen an, die dem Grafen ganz fremd erschienen.

»Ich glaube kaum, daß eine gütige Fee an meiner Wiege stand – daß ich überhaupt jemals in einer Wiege lag – Herr Graf! Aber Ihr Scharfsinn hat eine große Entdeckung gemacht in dem, was Sie über meine Blumen und meinen Tanz sagten. Ich will Ihnen das Geheimnis des frischen Morgenthaues anvertrauen, welcher die Blumen netzt. Das sind die Thränen, Herr Graf, welche Neid und Schande, Täuschung und Wuth darüber geweint haben. Und wenn es Ihnen scheint, daß der Boden sich beugt, während wir tanzen, so ist es, weil er unter dem Neide von Millionen erzittert.« Sie hatte mit ihrer gewöhnlichen Ruhe gesprochen und nach einem freundlichen Gruße verschwand sie im Saale. – –

Der Graf stand wieder ganz bestürzt da. Er warf einen Blick auf die Volksmassen – ein Anblick, den er oft gehabt; er hatte viele schlechte und wenig gute Witze über dieses »vielköpfige Ungeheuer« gemacht. Aber erst heute Abend fiel es ihm ein, daß dies Ungeheuer eigentlich die unheimlichste Umgebung sei, welche man für ein Palais ersinnen könne.

Fremde und lästige Gedanken schwirrten durch das Gehirn des Grafen, wo sie viel Platz fanden. Er war ganz aus dem Gleichgewicht gekommen, während einer ganzen Polka konnte er seine Stimmung nicht wiederfinden.


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