Alexander Kielland
Novelletten
Alexander Kielland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Welke Blätter.

Man kann müde werden, wenn man lange ein einzelnes Bild betrachtet; aber man muß es werden, wenn man deren viele betrachtet. Deshalb werden die Augenlider so schwer in den großen Galerien, und deshalb sind die Sitzplätze dort so dicht besetzt, wie ein Omnibus am Sonntag.

Glücklich der, welcher Selbstüberwindung genug hat, um aus der großen Mannigfaltigkeit eine kleine Anzahl Bilder zu wählen, zu denen er täglich pilgern kann.

Auf diese Weise kann man – ohne daß die Aufseher es merken – sich eine kleine Privatgalerie aneignen, welche man ganz für sich allein hat, obgleich sie in den großen Sälen vertheilt ist. Alles, was nicht zu dieser Privatsammlung gehört, sinkt herab zu bloßer Vergoldung und Leinwand, eine Decoration, an welcher man auf seinem Wege vorbei wandelt, die aber das Auge nicht ermüdet.

Dann und wann geschieht es, daß man ein Bild entdeckt, welches man bis jetzt übersehen hat, das man aber nach näherer Besichtigung mit in die engere Auswahl aufnimmt. So vergrößert sich die Sammlung stetig, und so ist es denkbar, daß man durch systematische Durchführung dieser Methode eine große Bildersammlung zu einer Art Privateigenthum macht.

Aber gewöhnlich hat man keine Zeit. Es gilt, sich schnell zu orientiren; man macht im Catalog ein Kreuz neben den Bildern, welche man zu anectiren gedenkt, grade so wie der Forstmann seine Bäume bezeichnet, wenn er durch den Wald geht.

Diese Privatsammlungen sind natürlich sehr verschiedener Art. Oft sucht man in ihnen vergebens nach den großen, anerkannten Meisterwerken, während man ein kleines, unbeachtetes Bild auf dem Ehrenplatze findet, und um das wunderliche Arrangement in vielen dieser kleinen Sammlungen zu begreifen, thut man am besten, wenn man sich von dem führen läßt, welcher die Auswahl getroffen hat.

Hier nur ein Bild aus einer solchen Privatgalerie.

In einem Winkel des »Salon« von 1878 hing ein Bild von dem englischen Maler Mr. Everton Sainsbury. Es erregte durchaus keine Aufmerksamkeit. Es war weder groß noch klein genug, um die banale Neugierde zu fesseln; auch fand sich weder in Farbe noch Manier eine Spur der modernen Extravaganz.

Indem man daran vorüber ging, sandte man ihm einen wohlwollenden Blick, denn es machte einen harmonischen Eindruck, und das Sujet war einfach und leichtfaßlich.

Es waren zwei Liebende, die ein wenig uneinig geworden waren. Und das Publikum lächelte, während jeder in seinem stillen Sinne an diese reizenden, kleinen Zwistigkeiten dachte, die so stürmisch und so kurz sind; sie entstehen aus den unglaublichsten und verschiedensten Ursachen, aber sie endigen unter allen Umständen mit einem Kuß.

Und doch sammelte dies Bild sich nach und nach eine kleine Gemeinde; man konnte sehen, daß es schon in mehrere Privatsammlungen aufgenommen war.

Wenn man dem bekannten Winkel zusteuerte, fand man den Platz oft von einer einzigen Person besetzt, die in tiefe Gedanken versunken da stand. Es waren Menschen der verschiedensten Art, aber alle bekamen sie vor diesem Gemälde den gleichen Gesichtsausdruck; es war als würfe es einen fahlen, geblichen Widerschein.

Trat man dann näher, so pflegte der Beschauer sich gern zu entfernen: es war als könne nur einer zur Zeit dies Kunstwerk genießen, als wäre man am liebsten allein mit demselben.

In einem Winkel des Gartens, dicht an der hohen Mauer steht eine offene Laube. Sie ist einfach aus grünen Latten zusammengesetzt, die einen großen Bogen mit einer Rückwand bilden. Die ganze Laube ist mit wildem Wein bedeckt, der sich von der linken Seite auf das gewölbte Dach zieht und in langen, schwanken Zweigen rechts herunterhängt.

Es ist im Spätherbst; die Laube hat schon ihr dichtes Laubdach verloren. Nur die äußersten feinen Stengel des wilden Weins haben ihre Blätter noch behalten. Und bevor sie abfallen, schenkt der Sommer ihnen vor seinem Scheiden alle die Farben, welche ihm übrig geblieben sind; und wie leichte Guirlanden rother und gelber Blüten hängen sie noch eine Zeitlang da und schmücken den Garten mit der schwermüthigen Pracht des Herbstes.

Rund umher auf der Erde liegen die abgefallenen Blätter; und grade vor der Laube hat der Wind mit dem größten Fleiß die schönsten derselben zu einem kleinen, runden, zierlichen Grabhügel zusammengewirbelt.

Die Bäume sind schon kahl geworden, und auf einem nackten Zweig sitzt der kleine Gartensänger mit der rothbraunen Brust – selbst wie ein welkes Blatt – und wiederholt unermüdlich die Laute, deren er sich noch von seinem Frühlingssang her erinnert.

Das einzig Ueppige auf dem ganzen Bilde ist der Epheu. Denn der Epheu ist wie die Sorge, er hält sich Sommer und Winter frisch.

Er kriecht mit seinen weichen Fühlhörnern daher, er legt sich in die kleinsten Spalten, er drängt sich durch die unscheinbarsten Oeffnungen; und erst wenn er groß und stark geworden ist, merken wir, daß er sich nicht mehr ausrotten läßt, und daß er unerbittlich fortfährt, das ganze Gebäude zu zerstören.

Aber der Epheu ist auch wie die wohlerzogene Sorge; er bedeckt sein Zerstörungswerk mit schönen, glänzenden Blättern. Und die Menschen lächeln mit strahlendem Angesicht, indem sie thun, als wüßten sie nicht, daß sie unter epheubedeckten Ruinen umherwandeln.

Mitten in der Laube sitzt ein junges Mädchen auf einem Strohstuhl; ihre beiden Hände ruhen im Schooße. Sie sitzt mit gesenktem Haupte da und ein seltsamer Ausdruck liegt auf dem hübschen Gesicht. Es ist nicht so sehr Kränkung oder Zorn, noch weniger gewöhnliches Schmollen, das aus diesen Zügen spricht; nein, es ist vielmehr eine ungeheure, bittere Enttäuschung. Sie sieht aus, als stände sie im Begriff, etwas zu verlieren, ohne die Kraft zu besitzen, es fest halten zu können; – als welke auch für sie etwas dahin.

Er, der sich mit einer Hand auf ihren Stuhl stützt, fängt an zu begreifen, daß die Situation ernster geworden ist, als er geglaubt. Er hat alle Mittel versucht, um den ursprünglich so unbedeutenden Streit beizulegen und vergessen zu machen; er hat Vernunft gepredigt, er hat es mit Scherzen versucht; er hat um Verzeihung gebeten und hat sich gedemüthigt – vielleicht sogar mehr als er wollte–; aber alles vergebens. Nichts scheint im Stande, sie aus der halbtodten Stimmung zu reißen, in welche sie versunken ist.

Deshalb beugt er sich mit einem Ausdruck der Angst über sie:

»Aber du weißt doch, daß wir im Grunde so viel von einander halten.«

»Weshalb entzweien wir uns dann so leicht und sind so bitter und so böse mit einander?«

»Aber, Liebste, das Ganze war doch im Anfang so unbedeutend.«

»Grade deshalb! – erinnerst du dich, was wir uns gesagt haben? Wie wir mit einander wetteiferten, um die Worte zu finden, von denen wir wußten, daß sie am tiefsten verletzen würden? O – zu denken, daß wir die Kenntnis, die wir von einander haben, dazu benützen, um die Stellen ausfindig zu machen, wo die bösen Worte am meisten verwunden!! – und das nennen wir Liebe

»Liebste – nimm es doch nicht so feierlich,« antwortete er, indem er einen leichteren Ton anzuschlagen versuchte, – »wenn die Menschen sich noch so lieb haben, so kommen doch Augenblicke, wo sie uneinig sind; das kann nun einmal nicht anders sein!«

»Doch, doch!« rief sie, »es muß eine Liebe geben, für welche ein Streit unmöglich ist; oder auch – – auch ich habe mich getäuscht und das, was wir Liebe nennen, ist nichts anderes, als, als – – –«

»Zweifle nicht an der Liebe!« unterbrach er sie eifrig; und in warmen, beredten Worten schilderte er das Gefühl, das den Menschen veredelt, indem es uns lehrt, Nachsicht mit den Schwächen des anderen zu haben; das uns die höchste Glückseligkeit schenkt, indem es uns trotz aller kleinen Zwistigkeiten mit dem schönsten Bande vereint.

Sie hatte ihm nur halb zugehört. Ihr Blick war über den welken Garten geschweift; sie hatte die schwere Luft des sterbenden Pflanzenlebens eingeathmet – und sie hatte des Frühlings gedacht, der Hoffnung und der allmächtigen Liebe, die dahin welkt wie eine Blume im Herbst.

»Welke Blätter« – sagte sie ruhig und indem sie sich erhob, stieß sie mit dem Fuße all die schönen Blätter auseinander, welche der Wind mit so viel Mühe zusammengetragen hatte.

Sie ging die Allee hinauf, welche zum Hause führte; er folgte ihr in geringer Entfernung. Er schwieg, denn er fand keine Worte. Ein müdes Gefühl von Angst und Ermattung bemächtigte sich seiner; er fragte sich selbst, ob er sie noch erreichen könne, oder ob sie schon hundert Meilen fern sei.

Sie ging mit gesenktem Haupte und blickte auf die Blumenbeete. Da standen die Astern wie zerrissene Papierblumen auf Kartoffelkraut; die Georginen hingen mit ihren dicken Krämer-Köpfen an den geknickten Stengeln, und die Stockrosen hatten kleine, verkümmerte Knospen an der Spitze und große, nasse, verfaulte Blüten unten am Stengel.

Und Bitterkeit und Enttäuschung bemächtigten sich ihres jungen Herzens. Während die Blumen dahin starben, reifte sie dem Winter des Lebens entgegen.

So verschwanden sie oben in der Allee. Aber der leere Stuhl blieb in der welkenden Laube stehen, während der Wind die Blätter wieder geschäftig zu dem kleinen Grabhügel zusammentrug. – – –

Und im Laufe der Zeit setzen wir uns alle – alle nach der Reihe – auf den leeren Stuhl in einem Winkel des Gartens und starren auf einen kleinen Grabhügel welker Blätter.


 << zurück weiter >>