Eduard von Keyserling
Am Südhang
Eduard von Keyserling

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Frühmorgens brach man zur Entenjagd auf. Auf der großen Bankdroschke sollte zum See gefahren werden, und die ganze Familie nahm an der Jagd teil. Nur Frau von Wallbaum blieb zu Hause. Sie stand bei der Abfahrt auf der Treppe in ihrem hellen Morgenkleide, das Gesicht ganz rosa von der Teilnahme an der Jagderregung der andern. »Unterhaltet euch gut, vertragt euch gut«, rief sie hinab. Sie hob dabei die Hände und winkte wie eine kleine Priesterin der Heiterkeit, die ihre Gläubigen segnet.

Der Morgen war hell und der Tag versprach heiß zu werden. Jetzt sandten noch die tauigen Felder eine leichte, starkduftende Kühle herüber, die sich köstlich atmete und das Blut erregte. Überall auf dem Lande, an dem sie vorüberfuhren, fing das Licht sich in Tropfen und feuchten Spinnweben. Auf dem Felde waren die Schnitter bei der Arbeit, weiße Gestalten, die in lauter Glanz zu waten schienen. Wenn der Wagen an ihnen vorüberfuhr, hielten die Männer in ihrer Arbeit inne, schauten blinzelnd auf, zogen die Mützen und lachten über das ganze Gesicht.

»Wie gutmütig dieses Volk ist«, sagte Aristides Dorn, »Sie müssen arbeiten, und wir fahren müßig in den Morgen hinein, und doch lachen sie und zeigen keine Spur von Neid.« Dorn fühlte sich heute angeregt und sicher, daher wollte er mit einer hübschen Bemerkung die Unterhaltung beleben, da gerade keiner sprach. Der Graf Lynck zog die Augenbrauen ein wenig empor und meinte: »Gott, Neid! Man kann doch nicht vom Morgen bis zum Abend beneiden, und an einem Sommermorgen bei gutem Wetter denkt man nicht an die soziale Frage. Das kommt abends, wenn der Rücken schmerzt.«

»Die Leute lachen, weil das hübsch ist, was an ihnen vorüberfährt, das ist doch natürlich«, bemerkte Oda, und es klang ein wenig gereizt. Dorn lächelte hochmütig und griff nach seiner Stirnlocke. Er empfand jedoch, daß seine Bemerkung der Gesellschaft nicht sympathisch war. Er schaute zu Daniela hinüber, diese schien nichts gehört zu haben, sie blickte vor sich hin mit glitzernden Augen, die Lippen halb geöffnet, ganz versunken in ein starkes körperliches Genießen.

»Überhaupt Neid«, nahm Herr von Wallbaum jetzt das Wort, der heute ganz wohlwollendes und gutgelauntes Familienoberhaupt war, »was fehlt denn den Kerls mit solchen Gliedern? Um die könnte ich sie jetzt beneiden. Na ja, früher, meine Generation, die war nicht so feingliedrig wie ihr Heutigen. Damals eine Entenjagd war doch eine andere Sache. Man band sich Bastschuhe an die Füße, ging am Seeufer entlang und sank jeden Augenblick bis zur Brust in den Sumpf ein. Da war noch was von Gefahr, ein bißchen Wildheit dabei, so was von Urinstinkten. Heute gehen Damen und Kinder auf die Jagd.« Herr von Wallbaum lachte und beugte sich vor, um seinen langen Backenbart im Winde flattern zu lassen, was ihm besonders wohlzutun schien.

»Wildheit und Urinstinkte«, meinte Graf Lynck, »müssen etwas Berauschendes haben, denn diejenigen, die sie verspürt zu haben meinen, sprechen davon, wie man von einem ganz hohen Bordeaux spricht.«

»Ich liebe wilde Männer«, erklang Heidas Stimme, und als sie das laute Lachen der andern hörte, wurde sie dunkelrot. Leo aber meinte: »Für Legationssekretäre also bei Heida keine Aussicht.« »Still!« befahl Herr von Wallbaum, »bei Kindern wünsche ich weniger Urinstinkt und mehr Haltung.«

»Freuen Sie sich?« fragte Karl Erdmann Daniela leise.

»Ja«, antwortete sie ebenso leise, ohne ihn anzusehen, als wollte sie sich im Genuß von Licht und Luft nicht stören lassen. »Ich freue mich sehr auf diesen Tag. Und Sie, freuen Sie sich? Oder sind Sie heute auch düster und geheimnisvoll?«

»Nein, nein«, sagte Karl Erdmann, »ich freue mich kolossal.« Das leise Zwiegespräch machte ihn glücklich, es schien ihm, als verbände es ihn mit Daniela und rückte sie beide zusammen, von den andern ab. – »Still!« kommandierte Herr von Wallbaum jetzt, »sonst fliegen die Enten aus.« In der Nähe des Sees hielt der Wagen, die Gesellschaft stieg aus und ging schweigend zum Seeufer, wo die Kähne bereitlagen. Herr von Wallbaum hielt streng darauf, daß das Besteigen der Kähne ganz geräuschlos vor sich gehe. Daniela fuhr mit Karl Erdmann und Leo, sie war die einzige Dame, die schießen wollte. Ein Waldhüter stieß mit einer langen Stange den Kahn vorsichtig in das Schilf hinein.

Der See glich einem großen Felde voll hellgrüner Halme, das hie und da von breiten Wasserstraßen durchkreuzt wurde. Kein Luftzug regte sich, unbeweglich stand das Schilf da, und das Zittern des Lichtes auf dem Wasser und auf den feuchten Spitzen der Schachtelhalme schien die einzige Bewegung. Große Stille lag über der Fläche, nur zuweilen erklang schläfrig und klagend der Ruf eines Bläßhuhns, oder ein Fisch schnalzte, oder es raschelte leise wie von Wesen, die heimlich durch das Schilf schritten. »Köstlich!« flüsterte Daniela, »ist das nicht wie ein großes, vornehmes Haus, in dem die Herrschaft noch schläft und in dem nur die Dienstboten schon leise bei der Arbeit sind.« »Und wir sind die Einbrecher«, ergänzte Leo. »Ach ja«, meinte Daniela, »wer weiß, ob Einbrecher, wenn sie in ein Haus schleichen, auch so angenehmes Herzklopfen haben wie ich jetzt.« »Ganz gewiß«, versicherte Leo. Dann plötzlich rauschte und klatschte es von allen Seiten, und schwerfällig stiegen die Enten auf. Daniela war aufgesprungen, sie stützte das eine Knie auf das Sitzbrett des Bootes und schoß. Karl Erdmann vergaß zu schießen, weil es ihn so interessierte, Daniela anzusehen, wie die schlanke Gestalt im grauen Leinwandkleide, einen Knabenhut aus weißem Stroh auf dem Kopfe, die Wangen heiß, sich in der Erregung aufrichtete und straffte. Und wenn sie geschossen hatte und der große Vogel dort in der Luft schlaff wurde wie ein abgespannter Bogen und schwer in das Wasser fiel, dann ließ sie das Gewehr ein wenig sinken, und es zuckte um ihre Lippen ein seltsames, fast leidenschaftliches Lächeln. Dann aber regte sie sich sofort auf, sie fürchtete, die Ente könnte verlorengehen, sie rief dem Waldhüter zu, hinzusteuern, beugte sich weit aus dem Kahn, faßte die Ente an den Ständern und hob sie triumphierend empor. Allmählich wurde auch Karl Erdmann von der Jagdleidenschaft erfaßt, wurde ganz Auge und Ohr, und alles um ihn her, das Schilf und die Blätter wurden zur Partei, wurden zu Dingen, die entweder auf Seite der Jäger oder auf Seite der Enten waren. Lange und hitzig war die Verfolgung eines alten mausernden Erpels, der ihnen immer wieder entwischte und immer wieder neue Listen erfand, um sich zu verstecken und zu entkommen. Daniela war so erregt, daß sie zitterte und kleine schrille Schreie ausstieß. Endlich hatten sie ihn, Daniela faßte ihn, warf ihn in das Boot und lachte. Und da überkam Karl Erdmann plötzlich ein wunderliches und unerwartetes Gefühl. Er sah auf den Haufen toter Vögel nieder, die im Boote lagen, auf die schlaff wie müde gebogenen Hälse, auf das geronnene Blut, er sah, wie der eben geschossene Vogel noch matt und hilflos die Ständer bewegte und ein Zucken wie eine plötzliche Angst seinen Körper schüttelte, wie er sich streckte und dann schlaff und regungslos liegen blieb. Das empfand Karl Erdmann als furchtbar traurig, ja es wurde ihm so unerträglich, daß es ihm die Kehle zusammenschnürte, und er merkte, daß er sein Gesicht verzog. Schnell blickte er auf, besorgt, jemand könne es gesehen haben. Daniela saß auf ihrem Sitzbrett und schaute ihn so angstvoll an, daß es ihm schien, als ahmte sie unwillkürlich den Ausdruck seines Gesichtes nach. »Sie weiß alles«, dachte Karl Erdmann sofort. Er errötete und wandte sein Gesicht ab, er schämte sich wie nach einer schlechten Tat. Da hörte er Daniela mit einer Stimme, die sehr heiter und unbefangen zu klingen sich bemühte, ausrufen: »Sehen Sie, wie da etwas durch die Schachtelhalme fortschießt, ein Hecht wohl. Möchten Sie auch so dahinschießen können? Das muß doch gut sein.«

»Für einen Krieger wohl kein passender Wunsch«, bemerkte Leo. Darüber begannen sie nun alle drei zu lachen, sie lachten sehr laut und sehr lange, als könnte das Lachen sie vor etwas schützen, das für einen Augenblick unheimlich und hinterrücks sie überfallen hatte.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und zwischen dem Schilf und dem Kolbenrohr wurde es schwül. Enten wollten auch nicht mehr steigen. Wie eine große Schläfrigkeit legte sich über den See, regungslos standen die Fische im Wasser, und die Frösche saßen schweigend auf den Blättern der Wasserrosen und schienen zu schlafen. »Fühlen Sie, wie die Mittagsstunde einem in die Glieder fährt?« fragte Karl Erdmann. Ja, Daniela fühlte es und war müde. Alle drei setzten sich auf die Sitzbretter des Kahns und legten die Gewehre beiseite. »Fahr ans Land zum Frühstück«, befahl Karl Erdmann dem Waldhüter. »Wir haben gute Arbeit getan«, meinte Daniela. »Ja«, sagte Karl Erdmann, »zusammen eine Arbeit tun und dann zusammen müde sein, das ist sehr gemütlich, das verstehen die wenigsten.« Wie muß man das machen?« fragte Daniela. »So«, Karl Erdmann legte beide Hände mit gespreizten Fingern auf seine Knie, »und dann starrt man einander an mit ganz leeren friedlichen Augen. Das habe ich bei den Bauern gesehen, wenn sie sich um Mittagzeit unter die Eiche setzen und nach dem Essen noch ein wenig warten, ehe sie sich ausstrecken, um zu schlafen.«

Gehorsam legte Daniela ihre Hände auf die Knie und sah vor sich hin. »Wirklich«, meinte sie, »es ist sehr angenehm.« So saßen sie nun alle drei da und schwiegen. Endlich schloß Daniela die Augen. »Seltsam«, rief sie, »wenn Sie die Augen schließen, hören Sie einen einzigen Ton, einen Ton, als ob jemand schläft und leise zu schnarchen beginnt.« »Ich behalte die Augen lieber offen«, sagte Karl Erdmann, »wenn ich die Augen schließe, dann bin ich allein, und wir wollen doch zusammen müde sein.« Daniela schlug die Augen auf: »Gewiß«, versetzte sie schnell, »wir wollen beisammen sein.« Ihre Stimme klang bei diesen Worten freundlich und mitleidig, als spräche sie zu einem Kranken. Daß ihn das plötzlich rührte, fand Karl Erdmann albern genug.

Sie näherten sich jetzt einer schmalen mit Erlen bestandenen Landzunge, dort sollte das Frühstück eingenommen werden. Die andern waren schon da, die Herren hatten sich um ein weißes Tischtuch auf den Rasen hingestreckt, Heida und Oda packten die Vorräte aus.

»Kommen Sie«, sagte Daniela, als sie ans Land stiegen, und legte einen Arm in Leos, den andern in Karl Erdmanns Arm. »Jetzt wollen wir essen wie Ihre Bauern, ganz still, lange kauen und dabei zum Horizont hinabsehen und vor allem uns um die andern gar nicht kümmern.« Auf dem Frühstücksplatz setzten sie sich ein wenig abseits von den andern. »Ist das eine Demonstration?« fragte Botho. »Wir sind eine Gruppe für uns«, erwiderte Daniela, »und ich werde meine Herren bedienen.« »Bitte!« meinte Heida ein wenig gereizt, »Wir sind hier auch exklusiv.« »Gruppe, Gruppe!« begann Herr von Wallbaum und lächelte. Er wollte etwas Hübsches sagen, denn er fühlte sich jugendlich und galant. »Eigen, daß Damen, schöne Damen, immer Parteibildungen begünstigen. Das kommt wohl daher, daß Damen, schöne Damen, geborene Parteihäupter sind.« Er sah die andern an, um Beifall für seine Bemerkung zu ernten, allein nur Aristides Dorn lächelte ironisch. »Die Sache ist die«, erklärte Leo, »wir sind zusammen müde, das ist Karl Erdmanns neueste Erfindung, das soll ein großer Genuß sein.«

Graf Lynck klemmte ein Glas in sein linkes Auge und schaute zu Daniela hinüber: »Ah«, meinte er, »das scheint allerdings eine gute Erfindung zu sein, ziemlich raffiniert, zu der kann man Karl Erdmann Glück wünschen.« Oda lehnte ihren blonden Kopf an die Schulter ihres Bräutigams und sagte klagend: »Ach Lieber, das haben wir doch schon längst erfunden.«

Die Gesellschaft wurde jetzt einsilbig, jeder aß und trank schweigend, Botho schien verstimmt, die andern Herren waren nachdenklich, Graf Lynck gähnte diskret, und um sie her standen die sonnenwarmen Erlenbüsche voll mittäglichen Gesummes, als wollten sie die Gesellschaft in Schlaf singen.

Endlich hielt es Aristides Dorn nicht länger aus, so still von Daniela unbemerkt dazusitzen, er eröffnete daher wieder die Unterhaltung, er sprach scharf und ein wenig zu laut, weil es ihn aufregte, so in die Stille hineinzusprechen: »Müde, ich gebe zu, daß wir müde sind, wir haben uns aufgeregt, ich gebe zu, ich habe mich aufgeregt, als gälte es etwas ganz Großes, und warum das alles? Einiger Enten wegen, eines Bratens wegen. Ist das nicht seltsam? Ist das ein Resultat?« Er schaute gespannt zu Daniela hinüber, errötete und drehte seine schwarze Stirnlocke. Aber Botho ärgerte diese Rede. »Was wollen Sie denn für Resultate haben?« sagte er. »Ein Vergnügen hat eben kein Resultat, das man einkassieren kann. Ist es vorüber, dann muß es vorüber sein, wie ein gutes Parfüm, das auch verfliegt und nichts zurückläßt.« – Graf Lynck hatte sich flach auf den Rasen gelegt, rauchte eine Zigarette und schaute zum Himmel hinauf: »Ich kannte in England einen alten Lord«, begann er langsam und knarrend zu erzählen, »der hatte irgendein böses Magenleiden. Er litt an starkem Hunger, aber wenn er sich zu Tische gesetzt hatte und zu essen beginnen wollte, bekam er einen solchen Widerwillen vor den Speisen, daß er die Tafel verlassen mußte. Nun, dieser alte Herr pflegte zu sagen, ihr braucht mich nicht zu bedauern; wenn ich mich zu Tische setze, so freue ich mich so stark auf das Essen, daß ich mehr Vergnügen daran habe als ihr an eurem ganzen Diner.« Niemand fand darauf etwas zu sagen, und die Unterhaltung verstummte wieder, nur Heida flüsterte Fräulein Undamm zu: »So geht es immer. Daniela sucht sich ein oder zwei Herren als Privatbesitz aus, das kann sie ja tun, nur daß alle andern Herren dann verstimmt und langweilig werden.«

Endlich gab Herr von Wallbaum das Zeichen zum Aufbruch, und man bestieg wieder die Kähne. Allein die heißen Nachmittagstunden dämpften die Jagdlust. Daniela und Karl Erdmann spannten bald ihre Gewehre ab, setzten sich und sahen zu, wie Leo schoß. Dabei unterhielten sie sich in abgebrochenen Sätzen, sprachen von friedlichen Dingen, von den Sonntagmittagessen im Kadettenhause, von früheren Jagden und früheren Sommern, und dann, als wären sie auch noch dazu zu träge, verstummte das Gespräch. Daniela versank in Sinnen, ließ ihre Hände über den Rand des Bootes hinabhängen und zog, um sie zu kühlen, die Schachtelhalme durch die Finger. »Jetzt könnte es langweilig, fast traurig werden«, dachte Karl Erdmann. Es gibt Stunden, wie es Menschen gibt, die mit säuerlicher Nüchternheit uns die Freuden und Hoffnungen des Lebens ausreden. Karl Erdmann hatte plötzlich das Bedürfnis, sich über etwas zu ärgern, daher sagte er: »Der Ottomar Lynck hat immer so dumme Geschichten. Was ist das nun wieder mit dem alten Mann, dessen größte Freude es ist, sich zu Tisch zu setzen und mit leerem Magen aufzustehen. Phantasien eines verdorbenen Magens; Ottomar Lynck ist, glaube ich, auch so einer, der sich immerfort zu Tisch setzen möchte und dem die Suppe schon die Illusion verdirbt.«

Daniela zuckte leicht mit den Schultern und schaute zerstreut dem lautlosen Fluge der Libellen über den Wasserrosen zu. »Nun ja«, meinte sie, »aber wir sitzen alle immer zu lange bei Tisch. So diese Jagd, nicht wahr? Das Wahre ist, sich lange auf ein Glück freuen, und dann kommt das Glück ganz stark und schnell, und dann ist es wieder fort, dann ist es aus, und um uns ist es still und dunkel. Möchten Sie das nicht auch?«

»Ja«, sagte Karl Erdmann leise. Er errötete dabei und fühlte es deutlich, daß Daniela von ihm sprach. Eine starke Freude fuhr ihm heiß in die Glieder, und plötzlich sah er sich wieder in seiner eigenen, schönen und traurigen Geschichte, empfand die Erregung alles dessen, was er noch erleben mußte.

Die Jagd war zu Ende, und alle waren zufrieden damit. Jetzt kam das angenehme Nachhausefahren mit dem kühler werdenden Abend, die Sonne stand schon tief und lag rotgolden über den Grannen der Gerstenfelder, und die Hüterjungen sangen aus Leibeskräften auf den Weiden. Dann kam das Mittagessen mit dem großen Appetit und das Beieinandersitzen auf der Veranda. Alle waren müde, streckten die heißen Glieder von sich, starrten mit den Augen, die zu viel grelles Licht hatten trinken müssen, in die kühle Finsternis des Gartens hinein. Zum Sprechen hatte keiner Lust, nur Frau von Wallbaum sprach mit ihrer gleichmäßigen, freundlichen Stimme, als wollte sie die andern einschläfern. Sie erzählte ihren Tag, sie hatte ihr Tagebuch geschrieben und Jagd auf Löwenzahn gemacht, endlich war sie hinausgegangen, um ihre Kühe auf der Weide zu sehen. Auf Wege jedoch hatte sie, zwischen den Feldern eingeschlossen, ein kleines, ungemähtes Stückchen Wiese bemerkt, das heiß von Sonnenschein und voller Schafgarbenduft und kleiner blauer Schmetterlinge war. Das hatte ihr gefallen, sie hatte sich dort niedergesetzt, um den Thomas a Kempis zu lesen bis zum zweiten Frühstück. Später war sie durch das Haus gegangen, durch die stillen leeren Zimmer, und hatte sich gefreut, daß sie über die Stille und Leere nicht betrübt zu sein brauchte, denn gleich würden alle wieder da sein und würden wieder gemütlich und glücklich beieinander sitzen. »Ach ja«, dachte Karl Erdmann, »glücklich und gemütlich beieinander sitzen!« Eine Ewigkeit hätte er so dasitzen können, die müden Glieder von sich strecken, die laue Luft einatmen, die ganz süß von den Düften des Gartens war, die schlaff machte, daß er glaubte, er werde nie mehr etwas wollen können, und dennoch das Blut seltsam erhitzte und aufpeitschte. »Ein schnelles, starkes Glück, das uns überrumpelt«, hatte Daniela gesagt, »und dann Stille und Dunkelheit.« So mußte diese Stille sein und diese Dunkelheit, in der er fühlte, daß Daniela nicht fern von ihm saß.

 


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