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Viertes Capitel.
Susanne erfüllt das an Helene gegebene Versprechen.

Wir kehren nun wieder zu Susanne, der Frau des Waldhüters, zurück, die sich darauf vorbereitete, das Versprechen zu erfüllen, welches sie Helene gegeben hatte.

»Halte Dein Weib in Ordnung und sieh ihr scharf auf die Finger, denn ich hege gegen sie Verdacht,« hatte der Freiherr von Bartenstein zu seinem Vertrauten gesagt, und bei diesem waren solche Worte nicht verloren gegangen. Der rohe Mensch haßte die arme Frau, deren Rosen auf den Wangen unter seinen Quälereien und Mißhandlungen längst verblüht waren, und seitdem sie die unglückliche Helene in jener stürmischen Nacht, die wir dem Leser eingehend geschildert, in ihrem Hause aufgenommen, haßte er sie noch mehr, denn in Folge dessen hatte ihn der Baron an das gewaltsame Ende des Försters gemahnt und Watts böses Blut regte sich bei solchen Erinnerungen jedesmal gewaltig, nicht etwa, weil er erneuerte Gewissensbisse empfand, sondern weil sich bei ihm dadurch stets wieder die Ueberzeugung auffrischte, daß er eigentlich doch nichts weiter als eine Bulldogge sei, welche sein Herr an der Leine hielt und die dieser gelegentlich, um sein Gedächtniß aufzufrischen, mit einem derben Fußtritt regalirte. Leider mußte die arme Susanne dann der Wuth der Trunkenbolds als Ableiter dienen und mehr als einmal war bereits seine Faust schwer auf sie niedergefallen.

Unheimliche Gerüchte hatten sich über dem in Betreff der Vergangenheit ihres Mannes in der Umgegend geltend gemacht, und zwar so schwere, daß sie tief aufseufzte und erzitterte, wenn sie bedachte, daß sie, deren Ruf ein fleckenloser war, sich nunmehr vielleicht unbewußt gezwungen sah, an der Seite eines ehemaligen Verbrechers durch's Leben zu gehen. Dieser Gedanke erregte bei ihr jedesmal ein tiefes Grausen, aber muthig suchte sie denselben schließlich zu bekämpfen, obgleich dies natürlich nicht verhinderte, daß sie nur mit innerem Abscheu zu dem wüsten Gesellen emporblickte.

Seit jenem Tage aber, wo sie Zeugin des so plötzlichen und schrecklichen Todes ihrer ehemaligen jungen Gebieterin im Schlosse gewesen war, hatte sich immer mehr und mehr ein stiller Cultus bei ihr ausgebildet, dem sie Tag und Nacht in ihren einsamen Stunden nachhing. Sie erachtete es als eine heilige Pflicht, das Versprechen, welches sie Helene gegeben, zu erfüllen und dem Hauptmann die ihr von dieser eingehändigten Papiere zu überbringen. Sie kannte die Folgen recht gut, welche ihrer warteten, wenn sie dabei ertappt wurde und wußte, welche grausame Behandlung ihr dann von Seiten ihres Mannes bevorstand, aber muthig schüttelte sie schließlich ihre Furcht ab und so edel und fromm war ihre Seele, daß sie meinte, durch Ausübung eines so guten Werkes werde es ihrem Gebet dann um so eher gelingen, von Gott eine Verzeihung nicht für sich, – denn sie hatte nichts verbrochen – sondern für die vielleicht von ihrem Gatten verübten Unthaten zu erflehen.

Muthiger Widerstand war von ihr auch geleistet worden, als ihr Watt zu verschiedenen Malen auf den Kopf zusagte, sie habe von Helene Documente empfangen, welche über deren Trauung und über die legale Geburt ihres Kindes Zeugniß ablegten und sie unter den rohesten Drohungen zur Herausgabe derselben aufforderte. Das arme Weib beging zwar eine Unwahrheit, als sie beharrlich leugnete, aber sie kannte die Bosheit der Menschen, mit denen sie zu thun hatte, und diesen gegenüber erachtete sie es als eine Pflicht, das ihr anvertraute Geheimniß unter allen Umständen zu bewahren.

Der Waldhüter war indessen nicht der Mann, sich durch dieses beharrliche Ableugnen in Sicherheit wiegen zu lassen. Mehr als zehn Mal hatte er die Sachen Susannens durchwühlt, um nach den Papieren zu forschen, und obgleich sein Suchen ein vergebliches gewesen, so wurde sein Mißtrauen dadurch noch nicht beseitigt. Er hatte es sich einmal in den Kopf gesetzt, daß seine Gattin ihn hintergehe und dies steigerte seine Rohheit, und Bosheit gegen dieselbe nur noch mehr. Er behandelte sie jetzt wie eine Gefangene, und da er wußte, daß er an dem Baron eine Stütze fand, so setzte er schließlich gegen die arme Frau alle Rücksichten bei Seite und spielte die Rolle eines rohen, verwilderten Kerkermeisters.

Eines Morgens trat er, vollständig zu einer Reise gerüstet, vor Susanne. Mit finsteren stechenden Blicken betrachtete er sie, während er in der einen Hand einen dicken Strick hielt.

»Um Gotteswillen, was willst Du thun?« rief die Unglückliche und blickte angsterfüllt in das Antlitz ihres Mannes.

Dieser antwortete durch ein boshaftes Grinsen. »Du sollst mir hinter meinem Rücken keine Streiche spielen,« bemerkte er höhnisch, »denn so oft Du auch gegen mich geleugnet hast, so bin ich doch überzeugt, daß Dein falsches Herz darauf sinnt, mich bei der ersten günstigen Gelegenheit zu hintergehen.«

Susanne erbleichte. Sie nahm alle ihre Kraft zusammen und sagte so ruhig wie möglich: »Caspar, laß ab von mir. Du hast mich genug gemartert und gequält, treibe Deine Grausamkeit nicht noch weiter, bedenke, daß ich nur ein schwaches hilfloses Weib bin, welches Gott in einer unglücklichen Stunde in Deine Hand gegeben hat.«

Diese in einem Augenblick der Verzweiflung ausgestoßenen Worte reizten den Unhold nur noch mehr.

»Eine Schlange bist Du, der man eigentlich den Kopf zertreten müßte, und um mich vor Deiner Hinterlist und Falschheit zu schützen, finde ich es für angemessen, Vorsicht zu gebrauchen. Folge mir!«

»Wohin soll ich Dir folgen?« fragte zitternd Susanne, wobei sie nicht ohne Angst auf den Strick blickte, welchen der Waldhüter in der Hand hielt.

»Nun, auf Dein Leben ist es nicht abgesehen,« bemerkte dieser, »sondern ich will Dich nur während meiner Abwesenheit unschädlich machen. Es ist möglich, daß ich erst morgen von einer Reise zurückkehre, welche ich antreten muß. Damit Du nun nicht während dieser Zeit Gelegenheit hast, das Haus zu verlassen und Unheil zu stiften, habe ich mir ein wirksames Mittel ausgedacht, dies zu verhindern.«

»Und dazu brauchst Du einen Strick?« stieß Susanne heraus.

»Ja, mein Schatz,« grinste Watt, und blickte seine Frau hohnlachend an. »Mit dieser Leine werde ich Dich im Keller festbinden und den Schlüssel zum Hause inzwischen zu mir stecken. Es wird Dir übrigens nichts abgehen; ich habe für eine weiche Matratze gesorgt und auch an Nahrung soll es Dir nicht fehlen.«

»Um Gotteswillen, Caspar,« rief die Arme, indem sie flehend ihre Hände emporhob, wobei zwei dicke Thränen auf ihre Wangen herabrollten, »bei Allem, was Dir heilig ist, bitte ich Dich, thue mir diese Schmach nicht an.«

»Folge mir!« knurrte der Waldhüter ungeduldig, indem er einen drohenden Blick auf sein Opfer warf.

»Nein, ich lasse mir eine so unwürdige Behandlung nicht gefallen,« rief Susanne, ihre ganze Willenskraft zusammennehmend, »Du hast mich in aller möglichen Weise gequält, Du hast mich geschlagen, tödte mich nun vollends, aber diese neue Schmach nehme ich nicht ruhig hin, so lange ich noch die Kraft besitze, Widerstand zu leisten.«

Die letzten Worte kamen nur noch halb verständlich über die Lippen Susannens. Wie ein wildes Raubthier hatte sich der Waldhüter auf sie gestürzt, und indem seine rohe Faust die Beklagenswerthe mit eisernem Griff umklammerte, schleppte er dieselbe unter einem Hohngelächter mit sich fort.

»So!« rief er, »ich werde Dir zeigen, wie man eine unfolgsame Frau zum Gehorsam zwingt! Und nun halte Dich ruhig bis zu meiner Rückkehr, den guten Rath gebe ich Dir! Lebe wohl, Schätzchen, und laß Dir die Zeit nicht lang werden. Deine Lage ist wirklich nicht so unbequem, wie Du Dir einbildest, und ich kenne Leute, die es schon viel schlimmer gehabt haben!«

Während Watt diese Worte voll Hohn und mit der Kaltblütigkeit eines vollendeten Schurken sprach, hatte er seine Frau an einen Pfosten festgebunden, und verließ jetzt, ohne auch nur einen weiteren Blick auf dieselbe zu werfen, so ruhig, als sei nicht das mindeste vorgefallen, den unterirdischen Raum, in welchem sie von ihm eingesperrt worden war. Bald darauf wurde die Hausthüre heftig zugeschlagen und die Gefangene hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte.

In der ersten Zeit bemächtigte sich ihrer ein Zustand der Betäubung, und so schwer ihr das Herz auch war, so vermochte sie doch keine Thräne hervorzubringen. Dann aber ging plötzlich eine Veränderung bei ihr vor. Der ganze Grimm, welcher sich bei ihr seit Jahren gegen ihren Tyrannen angesammelt, den sie aber bisher mit engelgleicher Geduld stets zurückgedrängt hatte, kam jetzt auf einmal in seiner ganzen Stärke zum Ausbruch. Der Waldhüter erschien ihr nunmehr als das, was er wirklich war: als ein rohes, gefühlloses Ungeheuer, der nur seine Lust daran fand, ihr das Leben zu einer Hölle zu machen. Bisher hatte sie unter den Einflüssen der Furcht seine rohen Mißhandlungen ertragen, jetzt brach ihr Haß gegen ihn mächtig hervor, sie fing an ihn zu verabscheuen und beschloß, die erste Gelegenheit zu benutzen, um ihm zu entfliehen und ihr Brod in der Ferne unter fremden Leuten zu suchen.

Zuerst wollte sie aber das ihrer ehemaligen Herrin gegebene Versprechen erfüllen – ein Strahl der Hoffnung dämmerte hier bei ihr auf – vielleicht fand sich der Hauptmann von Wenkstern, wenn sie diesem ihre Leiden schilderte, bewogen, sie in seinen Schutz zu nehmen und ihr auf der einen oder der anderen Weise zu helfen. War sie erst wieder frei, dann wollte sie ihr Vorhaben ausführen, selbst auf die Gefahr hin, von neuem in die rohen Hände ihres Mannes zu fallen.

Susanne versuchte jetzt, sich zunächst von dem Strick zu befreien, der ihr jede größere Bewegung unmöglich machte, aber ihre Kräfte waren hierzu zu schwach, und wenn ihr dies auch gelungen wäre, so würde sie doch ihrem Kerker nicht haben entrinnen können, denn Watt, das wußte sie, hatte mit einer schweren eisernen Stange die Kellerthüre von Außen verriegelt. Seufzend stellte sie daher ihre Anstrengungen ein und ließ ergebungsvoll den Kopf auf die Brust sinken.

Eine Zeitlang verharrte sie in dieser Stellung, als sie plötzlich emporfuhr und horchte. Eine Hand hatte heftig an der verschlossenen Hausthüre gerüttelt, das war von ihr ganz deutlich vernommen worden, und jetzt hörte sie sogar, wie Jemand lebhaft an's Fenster klopfte. Sollte ihr Mann aus irgend einer Ursache wieder zurückgekehrt sein? Aber dann hätte er ja nur ganz einfach den Eingang der Wohnung zu öffnen brauchen, denn er befand sich ja im Besitz des Schlüssels.

Der Wunsch, aus der schmählichen Lage, in der sie sich befand, befreit zu werden, verschärfte das Gehör der Gefangenen. In diesem Augenblick glitt von Außen ein Schatten an ihr vorüber und sie konnte sogar deutlich den Schritt eines Entfernenden hören. Es war also Beistand in der Nähe. Mit einer Stimme, deren Ton sie nach Kräften steigerte, rief sie um Hilfe. Daß sie gehört worden war, erkannte sie schon in der nächsten Minute, denn die sich entfernenden Schritte kamen wieder näher und eine Stimme, welche sie zu kennen glaubte, fragte in einem halb verwunderten, halb theilnehmenden Tone:

»Wer ruft hier?«

»Ich bin es – Susanne Watt ist es,« lautete die Antwort.

»Wie, Ihr seid es, und in Eurem eigenen Hause eingesperrt?«

»Ja, Derichsen, der Schändliche hat mich sogar festgebunden.«

Jetzt flog ein derber Fluch über die Lippen des Draußenstehenden.

»Die Pest über den Kerl, welcher nicht werth ist, daß ein ehrlicher Mann mit ihm spricht! Ein Stück Vieh bindet man an, aber nicht einen Menschen, und am allerwenigsten eine Frau!«

Derichsen war ein junger Pachter, der sich einst selbst um Susanne beworben hatte und dessen Neigung für die ehemalige Zofe wohl auch im Laufe der Zeit noch nicht ganz erloschen war, obgleich er ihr seit ihrer Verheirathung rücksichtsvoll fern blieb.

»Steht mir bei, befreit mich aus dieser schmählichen Lage,« bat die Frau des Waldhüters.

»Natürlich! Geduldet Euch nur einige Augenblicke.«

»Aber das Haus ist verschlossen,« rief die Eingesperrte.

Derichsen lachte. »Als wenn man auf einen solchen Hallunken noch viel Rücksicht nehmen würde! … O Susanne, o Susanne, hättet Ihr vor Jahren, als es noch Zeit war, auf mich gehört!«

»Schweigt, ich bitte Euch, es läßt sich ja doch nichts mehr ändern! Doch wie wollt Ihr zu mir gelangen? Der Weg ist Euch versperrt.«

Zwei Schläge mit meiner Axt würden genügen, um das Schloß von der Hausthüre zu trennen,« bemerkte der Pachter, »doch das ist nicht nothwendig,« und klirr! flog eine der Fensterscheiben zertrümmert zu Boden, während Derichsen zugleich die Hand durch die Oeffnung steckte und den Fensterriegel zurückschob. Im nächsten Augenblick verschwand er selbst im Innern des Hauses und kurz darauf hörte unsere Bekannte, wie er die Eisenstange, welche vor die Kellerthüre gelegt worden war, beseitigte.

»Jetzt seid Ihr frei,« sagte der junge Mann mit einer von Mitleid bewegten Stimme, während er gleichzeitig mit dem Ausdruck des tiefsten Unwillens unsere Bekannte von dem Strick befreite, mit dem sie festgebunden worden war; »Schande, Schande über einen Mann, welcher sich nicht scheut, eine brave Frau, wie Ihr seid, in solcher Weise zu behandeln!«

»Laßt es gut sein, Derichsen,« erwiderte Susanne in ihrer sanften Weise, »ich bin seit Jahren an Leiden aller Art gewöhnt und Gott hat mir seither die Kraft gegeben, dieselben zu tragen. Doch nun ist es am Ende! Welches Schicksal mir bevorstände, wenn ich dem Unhold wieder in die Hände fiele, das weiß ich; Schläge und rohe Mißhandlungen aller Art würden mein Loos sein, zudem habe ich einen Auftrag zu erfüllen, dessen Ausführung ich einer Sterbenden zugeschworen, und so mag Gott meine Schritte leiten und die Welt wird es mir verzeihen, wenn ich einen Mann verlasse, welcher stets nur eine Befriedigung darin fand, mich auf das Schimpflichste zu behandeln.«

»Arme Susanne,« wiederholte der Pachter, und ergriff dabei theilnehmend die Hand der jungen Frau, »arme Susanne, wie ganz anders wäre alles gekommen, wenn Ihr vor Jahren meinen Anträgen Gehör geschenkt hättet! … Aber wo wollt Ihr hin? – seid Ihr auch sicher, nicht von neuem in die Gewalt dieses Menschen zu gerathen?«

»Ich denke es nicht. Ich kenne einen Herrn, welcher die Macht, und wie ich hoffe auch den Willen besitzt, mich zu schützen.«

»Nennt mir denselben, denn Ihr wißt, welche Theilnahme ich für Euch hege.«

»Nun, ich habe Euch ja schon bemerkt, daß mir von einer Sterbenden ein Auftrag ertheilt wurde. Ihr wißt so gut wie ich, was drüben im Schlosse vorgefallen ist, als die unglückliche Tochter der Gräfin die Füße der Mutter umklammerte, um deren Verzeihung zu erflehen.«

»Man trug sie als Leiche aus dem Zimmer,« bemerkte Derichsen.

»Die ganze Umgegend war damals über diesen Vorfall auf's Tiefste empört. In der letzten Zeit soll aber die alte Gräfin von Gewissensbissen gequält werden, man erzählt sich wenigstens, daß sie oft stundenlang dumpfbrütend vor sich hin blicke und sich von ihrem Stiefsohn fast gänzlich zurückgezogen habe. Doch wie verhält es sich mit dem Euch ertheilten Auftrag?«

»Euch, Derichsen, darf ich trauen, das weiß ich. Nun, so hört. Bevor meine ehemalige Gebieterin das Schloß betrat, händigte sie mir gewisse Papiere ein, welche in Betreff ihrer mit Georg von Lockstädt geschlossenen rechtmäßigen Ehe Zeugniß ablegen und zugleich über den gegenwärtigen Aufenthalt ihres Sohnes Aufschluß geben. Sie beschwor mich, dieselben mit einem Briefe dem Hauptmann von Wenkstern zu überbringen, wenn ihr ein Unglück zustoßen sollte, und dieses von mir geleistete Versprechen bin ich jetzt bereit zu erfüllen.«

»Wo habt Ihr die Schriftstücke?« fragte der junge Mann.

»Ich vergrub sie in einem Kästchen im Garten unter einem Stachelbeerstrauch.«

»So holt sie, ich werde Euch eine Strecke Weges begleiten, wenn Ihr es erlaubt.«

»Ich nehme dies mit Dank an und Ihr betheiligt Euch dadurch auch bei einem guten Werke.«

»So beeilt Euch, denn je früher wir aufbrechen, desto besser ist es.«

Unsere Bekannte entfernte sich und nach Verlauf von etwa zehn Minuten kehrte sie mit einem kleinen viereckigen Kasten zurück.

»Hier sind die Papiere,« sagte sie, und stellte den Kasten auf den Tisch.

»Wollt Ihr Euch nicht noch einmal überzeugen, daß auch Nichts fehlt?«

Susanne ergriff das mit einer Schnur zusammengebundene Packet und riß dabei auch den Zettel heraus, auf welchem die Wohnung der Dame verzeichnet war; bei welcher sich augenblicklich der kleine Alfred befand. Ohne daß sie in ihrer Hast darauf achtete, fiel derselbe zur Erde.

»Es befindet sich Alles in Ordnung,« rief sie, die einzelnen Blätter untersuchend, »hier ist der Trauschein, hier der Taufschein und hier der Brief an den Hauptmann.«

Susanne warf rasch ein Tuch über den Kopf, zog ein paar derbe Reiseschuhe an und öffnete dann mit einem zweiten Schlüssel von Innen das Haus.

»Er soll nicht sagen, daß ich Etwas mitgenommen habe,« bemerkte sie, »er mag Alles behalten, Gott wird mir weiter helfen!« Dann rollte eine Thräne über ihre eingefallene Wange und auf das kleine Häuschen zurückblickend, sagte sie:

»Es ist traurig, wenn eine Frau auf diese Weise von ihrem Manne scheiden muß, aber ich habe getragen, was ich zu tragen vermochte, und ich sehne mich nach jahrelangen Mißhandlungen endlich nach Ruhe.«

»Und wenn der Unhold,« bemerkte Derichsen, »Euch bei seiner Rückkehr hier nicht mehr antrifft, so wird er darüber nur deßhalb Schmerz empfinden, weil er den alten Mißhandlungen nicht neue hinzufügen kann, darauf dürft Ihr Euch verlassen. Was Caspar Watt früher getrieben, davon hat Niemand Kenntniß, daß aber Blut an seinen Händen klebt, davon ist Jedermann überzeugt und die Geschichte mit dem Förster, welcher im Walde erschossen wurde – –«

»Still, um Gottes willen still!« rief Susanne, »vergeßt nicht, daß ich noch immer seine Frau bin und daß ich als solche weder seine Anklägerin, noch Richterin sein will.«

Der junge Pachter besaß Zartgefühl genug, um auf diese Bitte zu achten. »Ich ehre Euer Gefühl,« bemerkte er, »und ich begreife, daß es für Euch peinlich sein muß, über diese Dinge zu sprechen. Laßt uns daher rüstig zuschreiten und gebe der Himmel, daß wir uns einst in besseren Zeiten wiedersehen.«

Eine Stunde mochten sie neben einander fortgeschritten sein, als der Begleiter unserer Bekannten stehen blieb und sagte:

»Jetzt seid Ihr in Sicherheit, denn dort unter den Bäumen blickt schon das Herrenhaus hervor. Lebt wohl, Susanne, und möge Gott Euern Gang segnen! Fasset Muth und blickt getrost in die Zukunft und gefällt es Euch, mir in einer einsamen Stunde mitunter eine Erinnerung zu schenken, so sollt Ihr dafür gesegnet sein.«

Es war klar, daß das Herz des braven Mannes wieder von der alten Liebe überwältigt wurde. Aber er war edel genug, sich gerade jetzt, wo die arme Frau schutzloser als je war, eine strenge Zurückhaltung aufzuerlegen.

Auch unsere Bekannte erbebte leise, als sie nunmehr Derichsen ihre Hand zum Abschied reichte.

»Lebt wohl,« sagte sie mit unsicherer Stimme, »und habt Dank für den Beistand, welchen Ihr mir geleistet. Lasset die Zukunft walten, vielleicht führt sie uns später wieder zusammen, für jetzt wollen wir als treue Freunde scheiden, denn ein treuer und theilnehmender Freund seid Ihr mir ja stets gewesen.«

Schnell machte die junge Frau ihre Hand von der ihres Begleiters los und eilte, um diesem nicht ihre Erregtheit blicken zu lassen, von dannen. Derichsen aber sah ihr noch lange nach und als er sich endlich mit einem tiefen Seufzer zur Rückkehr umwendete, murmelte er:

»Sie war ein unwissendes, unerfahrenes Ding, als sie sich zu der Heirath mit diesem Menschen überreden ließ und auch sie hat der Freiherr auf seinem Gewissen, denn um den wüsten Kerl bei guter Laune zu erhalten, überlieferte er ihm Susanne, auf die er seine begehrlichen Augen geworfen hatte.«

 

Inzwischen war die ehemalige Zofe rüstig fortgeschritten, und befand sich nun vor der Wohnung des Hauptmann von Wenkstern, welcher eben am Fenster stand. Sie war sowohl diesem, wie seinen Leuten keine Unbekannte, er hatte sie ja oft genug im Hause der Gräfin gesehen, als er dort noch verkehrte, er kannte ihre ganze Leidensgeschichte und mehr als einmal war von ihm offen seine Theilnahme für die arme Frau ausgesprochen worden.

Als Susanne jetzt vor ihm stand und sich bescheiden verneigte, lächelte er ihr freundlich zu. »Tretet ein und lasset hören, was Ihr bringt,« sagte er, »denn daß Ihr mit einer Botschaft für mich betraut seid, darf ich wohl annehmen?«

»Es sind die letzten Aufträge einer Sterbenden,« lautete die Antwort.

Herr von Wenkstern horchte hoch auf und machte plötzlich ein sehr ernstes Gesicht. Er ahnte den Zusammenhang und beeilte sich jetzt, unsere Bekannte persönlich in sein Arbeitszimmer zu führen.

»Setzt Euch,« sagte er freundlich, »und nun entledigt Euch Eurer Sendung.«

Susanne erzählte kurz das, was die Leser schon wissen, dann holte sie die Papiere hervor und überreichte dieselben dem Hauptmann.

»Und besitzt Euer Mann Kenntniß von Eurer Reise?« fragte er im wohlwollenden Tone.

»Nein,« antwortete die junge Frau, »und wenn er eine Ahnung davon gehabt hätte, so würde er dieselbe gewiß um jeden Preis verhindert haben. Sein einziges Dichten und Trachten war ja, diese Schriftstücke in die Hände zu bekommen, um sie dem Freiherrn zu überliefern.«

»Das glaube ich,« bemerkte Herr von Wenkstern mit finster zusammengezogener Stirn, »ich kenne die Pläne dieses heimtückischen Schleichers und ich weiß, daß es auf die Betäubung der armen Helene und ihres Knaben abgesehen ist. Doch wie stelltet Ihr es an, um die Papiere vor den Augen Eures Mannes zu verbergen?«

»Ich vergrub sie in einem abgelegenen Winkel des Gartens.«

»Und wenn Ihr nun wieder zurückkehrt, welches Schicksal wartet Euer? –« fragte der Hauptmann, und sein Auge ruhte mit tiefer Theilnahme auf der jungen Frau.

»Das mag Gott wissen,« erwiderte diese mit einem schweren Seufzer, »aber die letzte Bitte meiner ehemaligen unglücklichen Herrin war mir ein heiliges Gebot, und so will ich auch ferner dulden und leiden, wenn sich nicht Jemand findet, der mich in Schutz nimmt.«

»Nun, diesen Schutz werdet Ihr bei mir finden,« rief Herr von Wenkstern, und reichte Susanne gerührt die Hand. »Es sind Gründe genug vorhanden, um Eure Rückkehr zu Eurem Manne zu verhindern und dies auch durch das Gesetz zu rechtfertigen. Aber Ihr dürft unbesorgt sein, weder Caspar Watt, noch Herr von Bartenstein werden es wagen, Euch hier zu belästigen. Ihr schlechtes Gewissen wird sie davon abhalten und ich darf wohl behaupten, daß beide einige Furcht vor mir hegen.«

Unsere Bekannte wollte sich in Danksagungen ergehen, aber der Hauptmann lehnte dies mit einem freundlichen Lächeln ab und bemerkte nur noch:

»Einstweilen stelle ich Euch unter die Aufsicht meiner Haushälterin, die ja eine langjährige Bekannte von Euch ist Die alte Liesbeth wird schon dafür sorgen, daß es Euch nicht an Beschäftigung fehlt und später dürfte sich wohl ein Platz für Euch finden lassen, wo Ihr ruhig und unbehelligt leben könnt. Doch jetzt laßt mich diese Papiere und diesen Brief durchsehen; mein armer Georg und seine Helene sollen nicht umsonst auf mich gerechnet haben.«

Herr von Wenkstern erbrach das Schreiben der Verstorbenen und vertiefte sich bald in dasselbe. Zorn und Rührung wechselten in seinem Gesicht und im Stillen schien er sich ein Gelöbniß zu machen. Endlich legte er das mit den Thränen der Schreiberin reichlich getränkte Blatt aus der Hand und sagte zu Susanne gewendet:

»Aber hier ist ja auch von einem Zettel die Rede, auf dem der Name und die Wohnung der Dame verzeichnet steht, welcher die arme Helene ihr Kind bei ihrer Abreise übergeben hat.«

»Mein Gott!« rief erschrocken unsere Bekannte und fuhr sich unwillkürlich nach dem Herzen, »liegt derselbe denn nicht bei den übrigen Papieren?«

»Wie ich Euch sage, er fehlt.«

»Dann muß ich ihn zu Hause haben liegen lassen, ich will zurückeilen und ihn holen.«

»Um aller Wahrscheinlichkeit nach abermals mit den rohen Fäusten Eures Mannes Bekanntschaft zu machen,« bemerkte der Hauptmann.

»Mag es sein, aber den Zettel darf Watt nicht zu Gesicht bekommen! Sicher wäre es um das arme Kind geschehen, sie würden es rauben, oder vielleicht gar ermorden.«

Herr von Wenkstern machte plötzlich ein sehr ernstes Gesicht.

»Da habt Ihr Recht, diesen Leuten ist selbst das Schlechteste zuzutrauen! Heute ist es freilich schon zu spät, doch morgen mit dem Frühesten will ich mich selbst nach der Stadt begeben, um nach dem kleinen Alfred zu forschen.«

»Aber den Zettel, den ich verloren habe, und auf welchem die Adresse der Dame verzeichnet steht, unter deren Obhut sich der Knabe befindet?« warf Susanne nochmals besorgt ein.

»Ja, der Zettel, das ist freilich eine schlimme Sache! …« Der Hauptmann hatte den Brief Helenens nochmals aufgenommen und ohne gerade eine bestimmte Absicht dabei zu haben, durchflog er denselben zum zweiten Mal. Plötzlich rief er mit einem zufriedenen Lächeln:

»Wir haben uns unnöthige Sorge gemacht, hier ganz am Ende ist Folgendes zu lesen: » Ich wiederhole nochmals, daß meinen Sohn Frau Hallbach in Verwahrung genommen hat. Dieselbe wohnt Glockenstraße Nr. 16 und wird Ihnen Alfred übergeben, sobald Sie sich durch diesen Brief bei ihr legitimirt haben.«

»Gott sei gedankt!« preßte Susanne in einem Tone heraus, als sei ihr ein Stein vom Herzen genommen. »Aber immer ist Eile nöthig, denn wenn Watt die Zeilen findet, so wird er sich mit denselben sogleich zum Freiherrn begeben.«

»Nun, Ihr sagtet mir ja selbst, daß er vor morgen nicht zurückkehren wird, dann aber bin ich schon unterwegs. Beruhigt Euch also und nun begebt Euch zu meiner alten Liesbeth und erneuert die unterbrochene Bekanntschaft mit ihr. Macht Euch im Uebrigen keine Sorgen, Ihr bleibt hier, und steht von jetzt an unter meinem Schutz.«

Der Hauptmann winkte freundlich und unsere Bekannte entfernte sich mit einer dankbaren Verbeugung.

Bald saß sie der Haushälterin gegenüber und wurde von der alten neugierigen Dame über die verschiedensten Dinge in ein wahres Kreuzverhör genommen. Aber sie fühlte sich dabei wohl und erleichtert, denn überall begegnete man ihr mit freundlicher Zuvorkommenheit und Jeder lobte ihren Entschluß, sich von einem Manne getrennt zu haben, dessen Ruf der schlechteste war und von dem sie so viel hatte leiden müssen.

 

Inzwischen war der Forsthüter früher als gewöhnlich zurückgekehrt. Sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe, nicht etwa weil er Reue fühlte und sich beeilen wollte, seine Frau aus der unwürdigen Lage, in die er sie versetzt hatte, zu befreien, sondern weil er fürchtete, es möchte unterdessen Etwas vorgefallen sein, was ihm Gefahr bringen konnte. Mit starken Schritten eilte er seinem Hause zu und die Sonne war bereits stark im Sinken begriffen, als er sich demselben näherte. Ein höhnisches Lächeln umspielte seinen Mund, denn seine dämonische Natur ergötzte sich an dem Gedanken, Susanne in seiner Gewalt zu haben und sie nach Belieben quälen zu können. Er wollte ihr mit einem boshaften Grinsen entgegentreten und dann dem Hohn noch den Spott hinzufügen.

Schon hatte er den Schlüssel hervorgezogen, um damit die Thüre seiner Wohnung zu öffnen, als er plötzlich überrascht stehen blieb und gleichzeitig einen rohen Fluch ausstieß. Sein Blick war an dem eingeschlagenen Fenster haften geblieben, dessen einer Flügel sogar offen stand. Der erste Gedanke Watts war, daß Diebe sich seine Abwesenheit zu Nutze gemacht haben könnten, um einzubrechen, und er bereute es jetzt sogar für einen Augenblick, Susanne eingesperrt zu haben, bald aber gab er diese Ansicht wieder auf, und Verrath und Befreiung seiner Frau witternd, leuchteten seine Augen tückisch auf und ohne zu zögern, nahm er den Weg durch's Fenster und befand sich eine Minute darauf im Wohnzimmer.

Nur einen flüchtigen Blick warf er umher, um sich zu überzeugen, daß alle Gegenstände noch unberührt seien. Dann stürzte er nach dem Keller und seine Vermuthung wurde nun fast zur Gewißheit, als er die schwere Eisenstange zurückgeschoben und die Lucke unverschlossen fand. Wie ein wildes Thier eilte er die Stufen hinunter und ballte inzwischen ingrimmig die Faust.

»Fällst Du mir in die Hände, so erwürge ich Dich,« knurrte er, und jetzt stand er an der Stelle, wo er die Arme angebunden hatte. Der Strick war freilich noch da, aber Susanne war verschwunden, die Speisen, die er ihr hingestellt, zeigten sich noch als unberührt. Die Augen des Unholdes glühten wild, als er spähend und suchend in dem halbfinsteren Raum umherblickte. »Also entlaufen bist Du mir,« höhnte er rachsüchtig – »na warte Schätzchen, Du kannst Dich darauf gefaßt machen, daß ich Dich grün und blau schlage, wenn ich Dich erwische!«

Watt war übrigens nicht der Mann, um sich viel bei Worten aufzuhalten. Nachdem er auf diese Weise seinem Herzen Luft gemacht, stieg er wieder die Treppe hinauf und betrat von neuem das Wohnzimmer. Da es inzwischen dunkel geworden, so steckte er die Lampe an. Im Begriff dieselbe auf den Tisch zu stellen, gewahrte er, daß auf dem Fußboden ein Zettel lag.

»Also ein Abschiedsbriefchen hat mir mein Liebchen zurückgelassen,« höhnte er und griff nach dem Streifen Papier, indem er denselben der Flamme näher brachte.

Einige Zeit dauerte es, bevor der unwissende Mensch den Sinn der Buchstaben zu entziffern vermochte, als ihm dies aber schließlich gelungen war, ließ er einen langgedehnten Pfiff ertönen; ein Zeichen, daß er eine wichtige Entdeckung gemacht habe.

»Meine Vermuthung bestätigt sich also,« rief er, »sie befindet sich wirklich im Besitz der Papiere und ist mit denselben jetzt entflohen! Dumm genug hat sie es aber doch angefangen, denn das Beste ließ sie zurück, – mag sie zum Teufel gehen, weiß ich doch nun, wo das Kind zu finden ist!«

Ohne sich weiter aufzuhalten, warf der Waldhüter die Flinte über die Schulter, löschte die Lampe aus und verließ eilig das Haus. Querfeldein stürzte er, gerade der Richtung zu, wo die Besitzung des Baron von Bartenstein lag. Athemlos kam er dort an, und ungestüm forderte er, dem Herrn gemeldet zu werden.

Uebel gelaunt trat ihm dieser entgegen »Was giebt es?« fragte er kurz,.»ist denn die Sache so wichtig, daß Du mich so spät stören mußt?«

Triumphirend hielt Caspar den Zettel in die Höhe. »Die Sache ist so wichtig,« rief er, »daß Sie mir jeden Buchstaben, den diese paar Zeilen enthalten, mit einem Goldstück bezahlen werden«

Der Freiherr horchte hoch auf. »So laß hören, Dein Lohn soll Dir gewiß sein«

»Der Aufenthalt des Kindes ist entdeckt.«

»Entdeckt?« – und Herr von Bartenstein zuckte überrascht zusammen.

»Lesen Sie selbst. Meine Frau ist mir heute entlaufen und hat, wahrscheinlich in der Eile, diese Notiz zurückgelassen.«

Der Schloßherr griff nach dem Papier und prüfte es. Seine Augen funkelten. Dann trat er an einen Schreibtisch und holte eine Anzahl Goldstücke heraus.

»Hier nimm,« bemerkte er, diesmal hast Du das Geld wohl verdient und eine doppelte Summe erhältst Du, wenn Du meine weiteren Aufträge pünktlich ausführst.«

»Weshalb sollte ich denn nicht,« erwiderte Caspar und machte dabei das Gesicht eines echten Galgenvogels.

»Denke Dir die Sache nur nicht zu leicht, es gehört Muth und Verschwiegenheit dazu.«

»Wenn es nöthig ist, kann ich Beides zeigen. Was soll ich also thun?

»Du muß das Kind entführen.«

Caspar kratzte sich hinter den Ohren, die Sache kam ihm doch etwas überraschend.

»Nun, ich werde Dich an einen Herren verweisen, welcher in solchen Dingen erfahren ist. Du kennst ja den Advokaten Strubs?«

Watt machte ein Gesicht, als wenn er sagen wollte: »Ob ich den wohl kenne!« und nickte dann blos zustimmend.

»Gut, von diesem wirst Du Deine Instructionen erhalten. In einer halben Stunde mußt Du auf dem Wege nach der Stadt sein. Laß Dir in der Küche einen stärkenden Imbiß geben, inzwischen schreibe ich den Brief, welchen Du dem Sachwalter einzuhändigen hast.«

 

Es war noch sehr früh am Morgen und Strubs stand eben im Begriff seinen Kaffee einzunehmen, als Wabbs den Kopf zur Thüre hineinsteckte und meldete, daß Caspar Watt, der Forsthüter des Baron von Bartenstein, einen Brief von seinem Herrn abzugeben habe und dringend verlange, persönlich vorgelassen zu werden.

Der Advokat spitzte die Ohren. Er war zu klug, um nicht zu begreifen, daß hinter diesem Besuche etwas Außergewöhnliches stecke und in seinem Gesicht drückte sich eine gewisse Spannung aus, die den aufmerksamen Blicken des Schreibers nicht entging.

»Lassen Sie den Menschen eintreten,« sagte er scheinbar ruhig, blickte aber doch dabei seinen Vertrauten, wie er dies stets zu thun pflegte, wenn er kein gutes Gewissen hatte, mißtrauisch heimlich von der Seite an.

Kurz darauf stand der Waldhüter vor ihm und machte eine ungeschickte Verbeugung.

»Setzt Euch,« bemerkte Strubs herablassend und wies dabei auf einen Stuhl. »Ihr habt also einen Brief von dem Freiherrn an mich einzuhändigen?«

»Ja, es handelt sich darin, wie ich glaube, um einen Knaben – na, Sie werden schon wissen, wen ich meine.«

»So? – Laßt doch mal sehen,« und der Sachwalter nahm das Schreiben in Empfang, erbrach dasselbe und vertiefte sich in dessen Inhalt.

Nach einer Weile blickte er wieder auf und schob, seiner Gewohnheit gemäß, die Brille in die Höhe.

»Ein kitzlicher Auftrag das,« bemerkte er, Watt fixirend, »doch ich glaube, Ihr seid der Mann, um ihn auszuführen.«

»Ich habe schon Manches vollbracht, was wohl noch gefährlicher war,« entgegnete der Waldhüter nicht ohne eine gewisse Prahlerei.

»Und dafür seid Ihr bei der Criminal-Polizei auch als ein Mann notirt, auf welchen man ein besonderes Auge haben muß,« lachte der Advokat. »Na, laßt es gut sein,« setzte er beruhigend hinzu, als er den finsteren Blick bemerkte, welcher unter den buschigen Augenbraunen des Waldhüters hervorschoß, »es ist nicht meine Sache, Euch an die Vergangenheit zu erinnern, und eigentlich wollte ich damit auch nur sagen, daß Ihr wohl daran thun werdet, bei dem Auftrage, den Euch Euer Brodherr gegeben hat, vorsichtig zu Werke zu gehen.«

»Das dachte ich auch, aber es wäre mir doch lieb, wenn Sie mir Ihren Rath ertheilten und ich meine, der Freiherr hat dies auch gewünscht.«

Strubs war ein vorsichtiger Mann, er suchte sich, dem Gesetz gegenüber, immer möglichst den Rücken frei zu halten. Diesmal war er aber persönlich bei der Sache interessirt, er hatte ja selbst den Raub des Kindes in Vorschlag gebracht und gelang derselbe, so stand ihm eine erhebliche Geldsumme in Aussicht.

»Wollt Ihr denn Gewalt anwenden?« fragte er noch immer zurückhaltend.

»Besser wäre es wohl, wenn dieselbe unterbliebe.«

»Das denke ich auch. Straße und Hausnummer sind Euch also genau bekannt?«

»'S ist gar nicht zu verfehlen.«

»Kennt Ihr denn den Knaben persönlich?«

»Ich habe mir ihn beschreiben lassen. Er soll blondes Haar, dunkle Augen, und eine zarte schlanke Gestalt haben.«

»Das trifft zu. Jetzt hört, was ich Euch sagen werde. Kennt Ihr die Geschichte von dem Rattenfänger zu Hameln?«

»Ist mir nicht bekannt,« antwortete Watt etwas verblüfft.

»Nun, das war auch so ein Kerl, der den Eltern ihre Kinder stahl und sie mit seiner Pfeife in den Berg lockte, welcher sich dann hinter ihnen schloß. Eine Pfeife habt Ihr nun zwar nicht und in einem Berge werdet Ihr wohl auch nicht verschwinden, aber es giebt ähnliche Mittel, womit man leichtgläubige Kinder an sich lockt und mit diesen will ich Euch jetzt näher bekannt machen.«

Es folgte nun eine längere Unterredung zwischen dem Forsthüter und dem Advokaten und als der Erstere den Letzteren verließ, war zwischen Beiden ein sehr genauer Operationsplan besprochen worden.

 

Eine halbe Stunde später schritt Watt, anscheinend harmlos, in der Glockengasse vor dem Hause Nummer 16 auf und ab. Mitunter that er so, als wenn er nach Etwas suche und blickte zu dem Zwecke die Häuserreihe entlang.

Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Eine Frau trat aus dem bezeichneten Hause und sei es Neugier, sei es der Wunsch, dem Unbekannten, welcher offenbar nach Etwas suchte, gefällig zu sein, genug sie blieb stehen und fragte schließlich: »Zu wem wollen Sie denn, lieber Mann?«

Unser Bekannter machte ein möglichst entgegenkommendes Gesicht, faßte an seine Kopfbedeckung und fragte:

»Um Vergebung, wohnt hier in der Nähe vielleicht Frau Hallbach?«

»Ei freilich. Gerade hier, drei Treppen hoch.«

»Ich habe einen Auftrag an sie. Sie ist doch dieselbe, bei welcher sich ein etwa fünfjähriger Knabe befindet?«

»Ganz richtig, es ist ein hübscher Bube mit blondem Haar und dunklen Augen. Man sagt, er sei vornehmer Leute Kind und vorläufig bei Frau Hallbach in Pension gegeben. Mich wundert es, daß er noch nicht unten ist, denn um diese Zeit pflegt er in der Regel eine Stunde vor dem Hause zu spielen.«

Watt wußte nun genug. »Mein Auftrag eilt nicht so,« bemerkte er anscheinend gleichgiltig und entfernte sich grüßend nach der entgegengesetzten Seite.

Von dort beobachtete er unausgesetzt, doch nicht so, daß es hätte auffallen können, das Haus. Es dauerte auch nicht lange, als der kleine Alfred erschien. Ein Blick auf ihn reichte hin, um sich zu überzeugen, daß er zu der von uns gegebenen Beschreibung paßte. Er war dürftig, aber reinlich gekleidet; ein Beweis, daß seine Pflegemutter eine brave Frau war, die es mit ihm gut meinte, obwohl sie bisher wohl kaum eine Entschädigung für die Pflege des Knaben erhalten hatte und nicht wußte, ob ihr Jemand diese Bürde abnehmen würde. Aber im Sinne wahrhafter Menschenliebe und aus Theilnahme für die unglückliche Helene hatte sie deren Kind aufgenommen, als diese die Reise zu ihrer Mutter antrat.

Nach Kindesart hüpfte und sprang der kleine Alfred an den Häusern entlang und näherte sich, mit einem Ball spielend, schließlich Watt, der ihn bereits schon seit einiger Zeit wie ein Raubthier, welches sich eine Beute ausersehen, umkreist hatte. Jetzt stand er vor dem Kinde und lächelte es so freundlich an, als ihm dies überhaupt bei seinen eben nicht gewinnenden Zügen möglich war.

»Guten Tag Alfred,« begann er mit zutraulicher Stimme, indem er sich vor diesen hinstellte.

Der Knabe warf ihm einen mißtrauischen Blick zu, der fremde Mann flößte ihm offenbar kein großes Vertrauen ein.

»Kennst Du mich nicht mehr?« fragte der Waldhüter in seiner gewöhnlichen dreisten Weise.

»Nein, ich kenne Sie nicht,« erhielt er schüchtern zur Antwort.

»Hat Dir denn Deine Mama nicht von einem großen Schlosse erzählt, wohin sie gereist ist?« lautete die weitere Frage.

»Ja,« flog es über die Lippen des Kleinen und seine Augen blitzten auf, »sind Sie von Mama geschickt?«

»Allerdings, und auch von Papa.«

»Von Papa? – Ist denn derselbe schon von seiner großen Reise zurück?«

Wir müssen hier bemerken, daß Watt das nichts Arges ahnende Kind während dieses Gesprächs unvermerkt an der Hand gefaßt und daß er sich jetzt mit ihm bereits eine ziemliche Strecke von dem Hause Nr. 16 entfernt befand.

»Allerdings ist er von seiner Reise zurück und hat Dir viele schöne Spielsachen mitgebracht.«

Die Augen Alfreds leuchteten auf vor Freude.

»Viele schöne Spielsachen? – Aber weßhalb ist denn Papa nicht selbst gekommen?«

»Er erwartet Dich im Schlosse bei der Großmutter.«

»Und meine gute liebe Mama?«

»Ist ebenfalls dort. Ich soll Dich abholen.«

Abermals sah ihn der Knabe mißtrauisch an. »Ich kenne Dich ja nicht.«

»Ist es denn nicht genug, wenn ich Dir sage, daß ich von Deinen Eltern geschickt bin?« ergänzte Watt mit einem zutraulichen Lächeln.

Diese Bemerkung war ganz dazu geeignet, das Fassungsvermögen des Kindes zu verwirren. Lug und Trug waren ihm noch unbekannt und wenn der fremde Mann behauptete, daß er es abholen sollte, so mußte dies nach seinen Begriffen auch wirklich wahr sein.

»So will ich zurück zur Frau Hallbach und ihr diese Nachricht mittheilen,« bemerkte der Knabe.

»Nein, Du mußt gleich mitkommen, Deine Eltern warten auf Dich.«

Beide befanden sich jetzt bereits in einem fremden Stadttheil, welchen der kleine Alfred bisher noch nie betreten hatte.

»Nein, ich will nach Hause,« rief er plötzlich stehen bleibend und wieder mißtrauisch zu seinem Begleiter emporblickend.

»Komm nur,« erwiderte dieser, und zog das widerstrebende Kind mit sich fort.

Thränen drangen jetzt aus dessen Augen, es ahnte eine Gefahr, ohne sie begreifen zu können.

Aber auch der Waldhüter änderte jetzt sein Benehmen. Was er bisher durch Freundlichkeit zu erreichen gesucht hatte, glaubte er nun durch Einschüchterung durchsetzen zu können. Indem er daher seinem Opfer einen drohenden Blick zuwarf, knurrte er:

»Mache keine Umstände, Junge und folge mir! Papa und Mama werden sich eben nicht freuen, wenn sie hören, wie unfolgsam Du gewesen bist.«

Papa und Mama! … Diese geheiligten Namen verfehlten ihre Wirkung nicht, Alfred glaubte von Neuem an dieses Märchen und schweigend, mit gesenktem Kopfe folgte er seinem Entführer.

Jetzt befanden sich Beide im Freien, die große Stadt lag hinter ihnen. Befriedigt blickte der Vertraute des Freiherrn nach einer Höhe, welche in der Ferne auftauchte; hatte er diese erreicht, so bog er von der Hauptstraße ab und befand sich mit seinem Raub in Sicherheit.

Aber auch dem Kinde wurde wieder bange. »Laßt mich los,« rief es, »ich will nicht mit Dir gehen, ich fürchte mich vor Dir!«

Die wilde rohe Natur des Waldhüters erwachte, er vergaß die so nothwendige Vorsicht. Heftig begann er den Knaben zu schütteln und unter lauten Drohungen schleppte er ihn mit sich fort.

Aber gerade dadurch vermehrte er den Widerstand des Kleinen. Alfred zitterte vor Furcht am ganzen Körper und in seiner Angst erwartete er offenbar das Schlimmste von seinem Begleiter. Er fing an aus Leibeskräften zu schreien, während ihm Watt fluchend die geballte Faust vor's Gesicht hielt.

In diesem Augenblick erschien auf der nun nicht mehr fern liegenden Höhe eine Equipage. Ein Herr saß in der zurückgeschlagenen leichten Chaise und aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er den Hilferuf des Knaben gehört, denn der Kutscher trieb plötzlich die Pferde zum raschen Laufe an und mit Geschwindigkeit rollte das Fuhrwerk heran.

Indessen auch Watt hatte seine Augen offen gehalten, denn bei den vielen spitzbübischen Streichen, die er im Leben verübt, hatte er sich daran gewöhnt, nie die Vorsicht außer Acht zu lassen. Sein scharfes Auge erkannte die Schimmel und jetzt erkannte er auch den Kutscher; der Herr im Wagen war niemand Anders als Herr von Wenkstern. Sollte er sich von diesem einfangen und wegen Kindesraub unter Anklage stellen lassen? – Nein, dafür war der alte abgefeimte Bösewicht viel zu klug, entweder galt es hier den Raub fahren zu lassen und die eigene Haut in Sicherheit zu bringen, oder in die Hände des Hauptmanns zu fallen, von dem er, wie er sehr gut wußte, auf keine Nachsicht zu rechnen hatte. Er wählte daher das Erstere.

»Fahre zum Teufel!« knurrte er, und gab dabei dem Kinde einen so heftigen Stoß, daß dieses in den Chausseegraben stürzte, während er selbst querfeldein die Flucht ergriff und bald in dem welligen Terrain verschwand.

Kurz darauf hielt der Wagen des Herrn von Wenkstern an der Stelle, wo der Sohn Helenens noch immer schluchzend an der Erde lag. Mit einer raschen Bewegung sprang der Hauptmann aus demselben und indem er das Kind aufrichtete und demselben beruhigend über das blonde Haar strich, fragte er mit Zutrauen erweckender Stimme:

»Was ist Dir begegnet, Kleiner?«

»Dort der böse garstige Mann,« rief Alfred, indem er nach der Seite zeigte, nach welcher hin Watt entflohen war, »er hat mich zu Papa und Mama bringen wollen, aber er ist ein Lügner, und als ich nicht mit ihm gehen wollte, bin ich von ihm gestoßen worden!«

»Nun, beruhige Dich, Du bist jetzt in Sicherheit.«

In der That trocknete Alfred auch seine Thränen und blickte zu dem neuen Beschützer vertrauensvoll empor.

»Wie heißt Du denn?« fragte Herr von Wenkstern.

»Alfred nennt man mich.«

Der Hauptmann stutzte. »Und wo wohnst Du?« forschte er weiter.

»Dort in der Stadt, in der Glockenstraße bei Frau Hallbach.«

Jetzt fiel es dem Ersteren wie Schuppen von den Augen, es wurde ihm klar, daß hier ein Kindesraub hatte ausgeführt werden sollen und wer die Anstifter desselben waren, darüber blieb er keinen Augenblick im Zweifel.

»Ich irre mich ganz gewiß nicht, wenn ich in dem Davoneilenden den Schurken von Waldhüter zu erkennen glaubte,« dachte er, »und nur im Auftrage seines Herrn kann er abgeschickt worden sein, diese Frevelthat zu vollführen. Gott sei Dank, daß ein günstiger Zufall mich noch gerade zur rechten Zeit hierher führte, um das Bubenstück zu verhindern.«

Er hatte den kleinen Alfred inzwischen in den Wagen gehoben und beruhigte denselben durch freundliches Zureden bald vollends.

»Wir fahren jetzt Beide zusammen zur Frau Hallbach,« sagte er lächelnd, »und nie soll Dir Jemand wieder etwas zu Leide thun.«

»Und Mama und Papa?« fragte der Knabe.

»Du wirst sie wiedersehen. Ich nehme Dich mit in ein großes schönes Haus.«

»Aber wenn mich der böse garstige Mann mit dem großen Bart dort findet?«

»Er wird nicht kommen, dafür laß mich nur sorgen.«

Indem hielt der Wagen vor Nummer 16 und das Kind an der Hand führend, trat er mit diesem in's Haus.

Vermöge des Briefes, welchen Helene an ihn gerichtet, gelang es ihm bald, die einfache brave Frau davon zu überzeugen, daß er nicht blos ein Recht habe, sondern daß es sogar der Wille der Mutter des Knaben sei, diesen unter seinen Schutz zu stellen und ihn mit sich zu nehmen. Auch der Letztere fand sich bald in seine neue Lage, da Herr von Wenkstern fortfuhr, durch ein leutseliges Entgegenkommen sein Vertrauen zu gewinnen. Ein Uebereinkommen mit Frau Hallbach war bald getroffen, sie empfing eine angemessene Summe für Verpflegungskosten und außerdem auch noch einen Schein, welcher sie wegen der Uebergabe ihres bisherigen Pfleglings an den Hauptmann für alle Fälle sicher stellte.

Eine Stunde später befand sich derselbe mit seinem Schützling bereits wieder auf dem Rückwege und als die Sonne sich dem Untergang zuneigte, hatte er ihn in seinem Hause in Sicherheit gebracht.

Niemand war glücklicher wie Susanne, als sie den kleinen Alfred in ihre Arme schloß. Selbst kinderlos, schien bei ihr die ganze Liebe einer Mutter für denselben zu erwachen; eine Liebe, welche bei der braven Frau noch dadurch verstärkt würde, daß sich bei ihr gleichzeitig das Gefühl rege machte, ihrer ehemaligen Herrin, an der sie mit so großer Innigkeit gehangen, das gegebene Wort eingelöst zu haben. Auch Herr von Wenkstern zeigte sich über diese Zuneigung Susannens zu dem Knaben sehr befriedigt.

»Zu Eurem Manne dürft Ihr nicht wieder zurück,« bemerkte er, »denn dort stände Euch das Aergste bevor. Aber auch hier scheint mir das Kind nicht sicher genug aufgehoben, um weiteren Nachstellungen seiner Verfolger zu entgehen. Ich habe daher beschlossen, dasselbe vorläufig einem zuverlässigen Bekannten anzuvertrauen, auf dessen Redlichkeit ich mich verlassen kann und welcher in einer völlig abgelegenen Gegend wohnt. Hättet Ihr daher Lust, den kleinen Alfred zu begleiten, so würdet Ihr nicht allein selbst eine sichere Zufluchtsstätte finden, sondern auch dem Kinde eine treue Pflegerin sein können.«

Natürlich nahm Susanne diesen Vorschlag mit Dank an. »Ich habe zur Genüge unter Watts rohen Fäusten gelitten und getragen, was eine Frau zu tragen vermag,« sagte sie, »der Himmel ist auch mein Zeuge, daß Uebermuth mich nicht von ihm treibt. Ueberdies sehne ich mich nach Stille und Einsamkeit und gleich vom ersten Augenblick hat sich mein Herz wunderbar zu der armen Waise hingezogen gefühlt.«

»Nun gut,« bemerkte der Hauptmann, »so bereitet Euch vor, mich dieser Tage auf einer Reise zu begleiten. Arm ist Alfred übrigens nicht, denn rechtmäßig steht ihm einst als Erbe das große Besitzthum seiner Großmutter zu, wenn dies aber auch nicht der Fall wäre, so betrachte ich mich jetzt als seinen Vormund und es soll ihm gewiß an Nichts mangeln.«

 

Wir bitten jetzt den Leser, uns in eine Gegend zu folgen, welche ganz dazu geeignet war, Jemand zu fesseln, dem die Neigung beiwohnte, ein stilles beschauliches Leben zu führen Ein fruchtbares, ausgedehntes, von mäßigen Höhen begrenztes Thal bot sich den Blicken des Reisenden dar, wenn er zu Wagen auf der Chaussee dahinrollte, oder an einem milden Sommertage zu Fuß von den bewaldeten Bergen herabstieg.

Noch berührte kein Schienenweg dieses kleine Paradies und deshalb war auch der Fremdenverkehr nur ein mäßiger. Zerstreut liegende Gehöfte traten hier und da hervor und besonders fiel dicht an der Landstraße ein kleines, weiß angestrichenes, mit grünen Fensterläden versehenes Haus in die Augen, an dessen Fenstern sich der Weinstock emporrankte, während weiter hinten ein großer Obstgarten sichtbar wurde.

Eines dieser Fenster war in dem Augenblick, wo wir die Leser dort einführen, geöffnet, und die eben im Sinken begriffene Sonne sendete ihre letzten Strahlen in das kühle Gemach. Ein kleiner, mit einer reinlichen Serviette bedeckter Tisch stand im Vordergrunde und auf diesem Tisch befand sich ein zinnerner Deckelkrug und zwei Gläser, welche in diesem Augenblick ein Mann mit schäumendem Bier füllte.

Dieser Herr mochte etwa fünfunddreißig Jahre alt sein, hatte bereits einen ziemlichen Ansatz von Corpulenz, schwarzes lockiges Haar und ein äußerst lebensfrohes Gesicht. Ihm gegenüber saß eine Frau fast im gleichen Alter, ebenfalls von behaglichem Aussehen, die ein Strickzeug in der Hand hielt, während sie wohlgefällig auf die Plaudereien ihres Gesellschafters lauschte.

»Stoß an, Frau,« rief der Mann und ergriff den eben gefüllten Pokal, »stoß an und beantworte mir die Frage, giebt es wohl ein glücklicheres Paar, als wir sind?«

Herr Titus Feuerkopf hatte diese Worte mit erhobenem Glase gesprochen und seine Gattin that ihm jetzt Bescheid.

»Na,« erwiderte sie lächelnd, »ich denke, wir können gegenseitig mit einander zufrieden sein, Sorgen sind uns Gott sei Dank ja unbekannt und eine gewisse Seelenverwandschaft besteht allerdings zwischen uns.«

»D'rum traute Brüder, trotz des blassen Neides,
Der uns des Lebens Freude stört –«

summte Herr Titus Feuerkopf, dann that er einen langen Zug, setzte befriedigend das Glas ab und rief:

»Wohlgesprochen, mein trautes Lieb', und daß Du keinen Kummer hast, das beweisen Deine Körperformen, welche täglich mehr und mehr an Rundung gewinnen.«

»Auch hierin folge ich Deinem Beispiel,« lachte die Dame, »Mann und Frau sollen Eins sein, an Körper und Seele.«

»Prächtig! rief Herr Titus, »eine solche Ansicht gefällt mir, und hierauf bringe ich Dir einen Salamander!«

»Trinkt nur Euren Salamander allein, Herr Studiosus von ehedem,« bemerkte die dicke Ehehälfte humoristisch.

»O schöne Zeit,« intonirte der frühere Student pathetisch, »wo ich noch den Musen diente und – –«

»Und das Collegium schwänzte,« ergänzte seine Frau

»Oder im Kneipgarten unter einem duftenden Apfelbaum, der seine Blüthen auf mich herabschüttelte, meinen Rausch ausschlief,« bemerkte Herr Titus nicht ohne Selbstgefühl. »Und jetzt? – O, heiliger Bacchus, zu was hast Du mich gemacht? – Zu einem simplen Philister hast Du mich degradirt, welcher Dir nur schüchtern seine Dankopfer darbringt.«

Der ehemalige Student that hierbei abermals einen langen Zug und stellte dann mit dem Ausdrucke der Wehmuth das leere Glas vor sich hin.

»Nun, das Philisterthum scheint dem Herrn aber ganz gut zu bekommen,« bemerkte lachend seine Gattin.

»Habe ich mich jemals über Deine Pflege beklagt, Weib meiner Wahl?« fragte der lustige Zecher in seinem unverwüstlichen Humor, indem er jetzt einen zärtlichen Blick auf seinen wohlgenährten Leib warf.

In diesem Augenblicke rollte ein, Reisewagen heran, in welchem drei Personen saßen und wenige Minuten darauf hielt derselbe vor dem Häuschen still.

Herr Titus Feuerkopf blickte verwundert auf.

»Sie glauben hier noch den ehemaligen Gasthof zur ›goldenen Sonne‹ zu finden,« bemerkte, er zu seiner Frau, und im nächsten Augenblick steckte er schon den schwarzen Lockenkopf zum Fenster hinaus und rief in seiner humoristischen Weise:

»Setze, nur Deinen Weg fort, o Rosselenker, denn die Sonne, welche einst hier ihre Strahlen warf, ist längst untergegangen.«

»Sei kein Narr, lieber Junge,« rief lachend der Herr im Wagen; »ich bin von Deinen trefflichen Eigenschaften zu sehr überzeugt, als daß ich glauben könnte, Du vermöchtest einen Jugendfreund so kalt abzuweisen.«

»Einen Jugendfreund?« und der Bewohner des Häuschens blickte den Sprecher fragend an.

»Nun, muß ich Dir erst meinen Namen nennen? Kennst Du denn Deinen Spielgefährten Wenkstern nicht mehr?«

»O, heiliger Bacchus, wo hatte ich meine Augen!« tönte es jetzt von des ehemaligen Studenten Lippen, und im Nu war er im Freien und schüttelte jetzt herzlich die ihm dargereichte Hand des Hauptmannes.

»Gesegnet sei die Stunde dieses Wiedersehens!« rief er, indem er zugleich den Schlag aufriß und unserem Bekannten, sowie Susanne und dem kleinen Alfred aus dem Fuhrwerk half.

In der nächsten Minute befanden sich die Reisenden in dem netten ansprechenden Wohnzimmer und nachdem Herr Titus seine Frau vorgestellt, lud er seine Gäste ein, Platz zu nehmen und bat, es sich bequem zu machen.

»Du hast Dich also endlich auch entschlossen, an Hymens Altar zu treten?« fragte er auf den Knaben deutend.

»Nein,« sagte lächelnd der Hauptmann, »dieses Kind ist ein mir anvertrautes Gut und seinetwegen habe ich die Reise gemacht, um es Deiner und Deiner braven Frau Obhut zu übergeben«

»O, das ist ja herrlich,« rief die Letztere und freundlich zog sie Alfred zu sich heran, »ich und mein Mann, wir lieben Beide die Kinder und sicher soll es dem Kleinen an Nichts fehlen.«

»Dies ist seine Wärterin,« fuhr Herr von Wenkstern, auf Susanne deutend, fort, »und auch für sie bitte ich um ein Asyl.«

»Auch ihr sei gewährt die Bitte,« rief Herr Titus, theatralisch den Arm ausstreckend.

»Nun, ich sehe wohl, Dein Humor hat Dich noch nicht verlassen,« lachte der Hauptmann. »Du mußt mir aber versprechen, den Kleinen treulich zu hüten,« fuhr er weiter fort, »denn ein eigenes Verhängniß waltet über ihm, er hat Feinde, die ihm nachstellen und deshalb fand ich es für angemessen, ihn an einen abgelegenen Ort in Sicherheit zu bringen.«

»Also ein vollständiger Roman?«

»Leider! Wie er sich in der Wirklichkeit wohl mitunter abspielt. Doch die Details werde ich Dir später mittheilen, für jetzt nehme ich auf einige Stunden Deine Gastfreundschaft in Anspruch.«

»Nein, Sie müssen die Nacht hier bleiben,« rief die Hausfrau in ihrer offenen freundlichen Weise, »wir haben oben ein paar gut eingerichtete Gastzimmer und auch für den Kutscher und die Pferde fehlt es nicht an einem Unterkommen.«

»Nun, es sei. Eine so herzliche Einladung wage ich nicht auszuschlagen, und daß dieselbe von Ihnen aufrichtig gemeint ist, das sehe ich Ihnen an.«

Die dicke Dame knixte sehr verbindlich. Dann wendete sie sich an Susanne und sagte:

»Kommen Sie, meine Liebe, ich will Ihnen und dem kleinen Alfred das Zimmer anweisen, welches Sie künftig Beide bewohnen sollen. Wenn Sie später Zeit haben, mir in der Küche etwas zur Hand zu gehen, so werde ich dies nicht übelnehmen.«

Während sich die beiden Frauen mit dem Kinde entfernten, rückte Herr von Wenkstern näher an den Tisch und indem er seinen Jugendgespielen lächelnd betrachtete, sagte er:

»Aber in aller Welt, Ortmann, wie kommst Du hierher?«

»Ja,« erwiderte dieser, das ist eigentlich eine Geschichte, welche von Neuem darthut, daß der Mensch nie weiß, was das Schicksal mit ihm beschlossen hat. Siehst Du, als wir noch als halberwachsene Knaben mit einander spielten, da hatte sich mein Vater in Betreff meiner besondere Pläne zurechtgelegt. Gleich ihm, sollte ich einst ein gelehrter Theologe werden und er ließ sich die Mühe nicht verdrießen, mir schon früh das Latein einzupauken und mir einen Vorgeschmack von den gelehrten Wissenschaften zu geben. Freilich fand ich es viel behaglicher, dem Pfarrhofe zu entlaufen und Dich im Herrenhause abzuholen, um gemeinsam durch Feld und Flur zu streichen. Später trennte uns das Schicksal, Du wurdest Soldat und ich bezog die Universität. Ja die Universität! … Da muß Einer Sitzfleisch haben, um es zu einem trockenen Gelehrten zu bringen und hierzu fehlte mir, wie Du schon aus unserer Jugendzeit weißt, jede Anlage. Kurz und gut, statt der Collegia besuchte ich unsere Corpskneipe, der Geist der theologischen Erkenntniß kam nicht über mich und von der Offenbarung wollte auch nichts in meinen Kopf; aus einem Gottesgelehrten entpuppte sich ein zweifelnder Philosoph und als nun auch noch zum Unglück mein guter Vater starb, gewahrte ich zu meinem Schrecken, daß damit auch meine Studiengelder zu Ende gingen und daß dieselben eben noch hinreichten, mir den Doctorgrad zu erwerben.

Da faßte ich den heilsamen Entschluß, zu meiner Erholung eine Bierreise durch Deutschlands Gauen zu unternehmen. Heilsam nenne ich denselben, denn hierbei fand ich mein liebes Weibchen, welches ein hübsches Besitzthum hat und die als alleinstehende Witwe das Bedürfniß fühlte, sich an eine gleichgesinnte Seele anzuschließen, so daß es also keiner allzugroßen Ueberredung bedurfte, um sie zu überzeugen, daß ich auch ihren Wünschen entgegenkommen würde, wenn sie mir den Gefallen erzeigte, sich in mich zu verlieben.«

Unser Philosoph brach beim Schluß dieser Worte in ein gemüthliches Gelächter aus, hob sein Glas empor und rief:

Wer nicht liebet Bier, Weiber und Gesang,
Der bleibt ein Narr sein Lebelang!

und somit kennst Du jetzt meine Irrfahrten und wirst zu Deiner Befriedigung erfahren haben, daß ich schließlich ganz gemüthlich in den Hafen der Ruhe eingelaufen bin.«

Der Hauptmann drückte dem ehemaligen Jugendgefährten warm die Hand. »Ende gut, alles gut!« sagte er, »und was mir am meisten bei unserem Wiedersehen gefällt, ist die Wahrnehmung, daß Du Dir nicht allein Deinen alten Humor, sondern auch Deinen früheren offenen Sinn und Dein gutes Herz bewahrt hast.«

»Wenn die Menschen nur wüßten, wie leicht es sich damit lebt,« erwiderte Herr Titus Feuerkopf, »so würden sie um ein Bedeutenderes glücklicher sein. Ich genüge mir selbst, und den Sittenrichter gegen Andere zu spielen, hierzu fühle ich nicht die mindeste Neigung, im Gegentheil, ich halte es für Pflicht, mich zuerst immer selbst an die Nase zu fassen, bevor ich den Splitter in anderer Leute Augen herauszufinden bemüht bin.«

 

Noch einen ganzen Tag – blieb Herr von Wenkstern bei diesem in glücklicher Eintracht lebenden Paare und ergötzte sich an dessen Originalität. Alles Erforderliche wurde in Betreff des kleinen Alfred verabredet, und nachdem unser Bekannter die baldige Wiederholung seines Besuchs in Aussicht gestellt hatte, schied er von seinem Freunde Titus Feuerkopf unter einer herzlichen Umarmung, sagte der dicken Dame noch einige schmeichelhafte Worte, welche diese unter einer tiefen Verbeugung sehr wohlgefällig aufnahm, ermahnte den Knaben zur Folgsamkeit, Susanne zur Vorsicht und schied mit der Ueberzeugung, daß ein einfaches sorgenfreies Loos am besten geeignet sei, dem Menschen seine innere Zufriedenheit zu bewahren und daß es auf Gottes weiter Erde noch manches Fleckchen gebe, wo ein bescheidenes Gemüth das Eden zu finden vermöge, nach welchem so Viele täglich verlangend seufzen.



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