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11.

Drei Stunden nach dieser Episode erfuhr Christian, daß Mabel Johnson verschwunden sei. Er war in die Stadt gegangen und sah, wie Johnson erregt mit dem Bürgermeister sprach. Unbemerkt kam er näher und hörte Bemerkungen, die ihn veranlaßten, den Amerikaner ohne weiteres anzusprechen.

Der glatte Slang Christians brachte es mit sich, daß sich Johnson sogleich an ihn wandte. In wilden Worten, die deutlich eine etwas stürmische Jugend verrieten, beklagte sich Johnson über Mabels Mißgeschick. Er sagte ausdrücklich Mißgeschick und leistete bei Himmel und Hölle einen heiligen Eid, er werde dem Entführer … und so weiter. Es waren die üblichen Redensarten, die entrüstete Männer seit jeher führen.

»Wann ist sie weggefahren?« fragte Christian höflich.

»Gestern. Sie hat noch diesen Mathiessen sehen wollen.«

»Ah so.«

»Warum sagen Sie ›Ah so‹?«

»Es ist mir nur so eingefallen. Mit wem ist sie gefahren?«

»Allein«, fluchte Johnson, »a damned little fool … Wenn ich den Menschen erwische diesen –«

»Hallo«, sagte Christian jovial. »Schlucken Sie erst Ihren Zorn und versuchen Sie's dann, nochmals zu erzählen. Vielleicht könnten Sie den Brief vorlesen.«

Als Johnson zur Stelle kam: … ich bin in einer nicht gerade luxuriösen, aber immerhin ganz netten Blockhütte, huschte ein leichtes Lächeln über Christians Gesicht.

Er dachte in dem Augenblick an Nyström und stellte sich dessen Erstaunen vor, als er das Mädchen als Mitbewohnerin bekommen hatte.

»Eine ganz romantische Geschichte«, sagte er bedächtig. »Miß Mabel wird sich mächtig freuen, so was zu erleben.«

»Haben Sie nicht zufällig zuviel getrunken«, erkundigte sich Johnson.

»Ah nein. Und Sie?«

»Das geht Sie den Teufel an«, polterte der andere wütend.

»Nichts für ungut. Ich wollte Sie nicht kränken. Schreibt Miß Mabel etwas über Lösegeld …?«

»Ja – dreihunderttausend.«

»Mächtig viel Geld«, sagte Christian, »für einen solchen Unsinn.«

»Scheußlicher Unsinn«, echote Johnson.

»Was soll das heißen?« fauchte er endlich wütend.

»Nichts.« Christian zuckte die Achsel. »Ich wollte den Schluß des Briefes hören.«

Als der andere bis zur Unterschrift »Deine unglückliche Mabel« gekommen war, zerknitterte er den Brief und machte Miene, ihn in die Luft zu werfen.

»Sie müssen ihn aufheben«, mahnte Christian begütigend. »Man kann ihn brauchen.«

»Und«, fragte Johnson erregt, »was soll ich tun?«

»Nichts«, sagte Christian lächelnd.

»Aber sie verlangen Geld von mir?«

»Sie werden ihnen keines geben.«

Mister Johnson schnappte nach Luft; der hagere, grauhaarige Herr sprach mit einer solchen Sicherheit, daß er unwillkürlich stutzte; außerdem war es ihm ganz sympathisch, für einen solchen Zweck kein Geld ausgeben zu müssen.

»Und – wenn sie Mabel …«

»Hören Sie«, sagte Christian und legte dem erregten USA.-Mann eine Hand auf den Arm, »Sie werden Mabel nichts tun, dafür bürge ich.«

»Sie bürgen? Ja, wie …«

»Das lassen Sie meine Sorge sein; und wenn man wieder mit Geldforderungen an Sie herantritt, werfen Sie den Kerl, der es verlangt, einfach hinaus.«

»Der Bürgermeister hat versprochen, den Überbringer jedes Briefes verhaften zu lassen.«

Christian hob beide Hände wie in Abwehr. »Das tun Sie auf keinen Fall. Wer hat Ihnen übrigens die Briefe bisher gebracht?«

Johnson zuckte die Achsel. »Ich habe sie in meinem Zimmer gefunden. Als Deponierungsort für das Geld ist die Höhe nördlich der Draga-Schlucht angegeben.« Er sagte Dretsche, was nicht schön klang.

Christian dachte nach. »Äußerst vorsichtig. Von der Höhe kann man die ganze Gegend mühelos übersehen. Sie haben mit Jeff oder Gil – verzeihen Sie, ich meinte mit Holl und Mac Warren nicht darüber gesprochen?«

»Doch. Sie haben mir lange Geschichten erzählt über die Gefährlichkeit dieser Entführer.«

»Aha«, sagte Christian; »sie müssen es ja wissen.«

Johnson blickte ihn erstaunt an. »Wieso?«

»Ich dachte nur daran …«

Der Fall Mabel Johnson schien Christian nicht besonders zu interessieren.

Was den Amerikaner am meisten erregte, war das Benehmen Olaf Mathiessens; er tat, als wäre nichts geschehen; ging mit lachendem Gesicht umher und pfiff dabei schauderhafte Gassenhauer.

Jeff sah ihn zuerst und stieß Gil an. »Ich dachte Wunder, was er tun würde, und dabei … Übrigens; wann ist er zurückgekommen?«

»Weiß der Teufel! In der Früh war er plötzlich da.«

»Hast du ihn nicht gefragt?«

»Doch. Er behauptet, mit dem Mitternachtsschiff angekommen zu sein!«

»So?« Jeff stieß einen scharfen Pfiff aus und eine tiefe Falte grub sich zwischen seine Brauen.

Knapp darauf sprach er mit Hoffmann über die gleiche Geschichte. Aber dieser winkte ab.

»Es ist immerhin möglich«, meinte er, »daß ihr ihn im Regen übersehen habt … Mehr noch als alles wundert mich, daß sich der Yankee nicht die geringsten Sorgen um seine Tochter zu machen scheint.

Jeff grinste. »Er glaubt uns nicht.«

»Er wird bald daran glauben müssen«, nickte Hoffmann mit einem häßlichen Lächeln.

*

Zehn Minuten vorher hatte Christian an Johnsons Tür geklopft; er fand den Amerikaner im leichten Anzug neben einer eisgekühlten Mineralwasserflasche. Und hatte mit ihm eine lange Unterredung. Welcher Art diese Unterredung war, ist unbekannt; jedenfalls schien er den USA.-Mann umgestimmt zu haben. Ein alter, weißhaariger Herr verließ zuerst das Haus.

Ein sorgenvoller, leicht gebückter Johnson folgte ihm …

Als er im halbdunklen Hausflur Jeff Strucks traf, sagte er mit zitternder Stimme:

»Ich weiß nicht, was ich tun soll …«

»Wovon reden Sie eigentlich?« fragte Jeff erstaunt.

»Von Mabel.«

»Ah – ist sie zurückgekommen? Ich dachte mir's. Es war bestimmt nichts als ein häßliches Mißverständnis.«

Johnson schüttelte den Kopf. »Das ist es leider nicht. Ich habe mich entschlossen, zu zahlen.«

»Aber …« Jeff tat noch mehr erstaunt; seine Augen funkelten verdächtig und seine wulstigen Lippen begannen zu zittern.

»Kein aber, Herr. Ich muß Mabel haben. Ich kann ohne sie nicht leben. Wenn ihr etwas zustoßen würde …«

»Ich«, sagte Jeff listig blinzelnd, »würde es auch nicht anders tun. Aber wie wollen Sie in der Eile das Geld beschaffen.«

»Ich habe zufällig so viel bei mir.«

»So viel!« staunte Jeff; der Ausruf war ihm unwillkürlich entschlüpft. »Und –«

»Nichts«, nickte der USA.-Mann. »Ich möchte nur, daß mich jemand an den Ort führt, an dem ich das Geld niederlegen soll.«

Nach einigem Reden konnte Jeff Strucks dem erfreuten Amerikaner mitteilen, daß sich Hoffmann, sein Freund, wie er sagte, bereiterklärt hätte, den Amerikaner zu begleiten.

»Wenn Sie glauben«, sagte Johnson, »daß ich mich für diesen Freundschaftsdienst erkenntlich zeigen soll …«

»Ah nein«, sagte Jeff. »Er ist ein guter Mensch und wird Ihnen den Gefallen gerne tun.«

Als die beiden um vier Uhr nachmittags in einem rasch geholten Wagen abfuhren, sagte Jeff aufatmend: »Jetzt nur noch das Motorboot sichergestellt und dann können wir gehen.«

»Ich glaube, es ist höchste Zeit«, nickte Gil, der seit vielen Tagen zum erstenmal ein freundliches Gesicht zeigte.

*

Um die Zeit war Farr unruhig geworden. Er hatte Christian seit sieben Stunden nicht gesehen und ihn vergebens in der Stadt gesucht; auch im Hotel »Narenta« war er nicht zu treffen gewesen. Die versteckten Andeutungen seines Herrn in den letzten Tagen und die fieberhafte Tätigkeit der Strucks-Brüder flößten dem Jungen ernste Besorgnisse ein.

Er begann zu fragen; erst vorsichtig, dann immer stürmischer. Bis er erfuhr, daß man den alten, weißhaarigen Herrn zum letztenmal gesehen hatte, wie er gerade in das Zimmer Mister Johnsons aus USA. ging. Von dem Moment an war Christian Mortensen nicht mehr gesehen worden.

Einen Augenblick zögerte Farr; dann brach vor seinen schrecklichen Sorgen jede andere Erwägung zusammen. Er klopfte viermal vergebens an die Tür des Amerikaners. Aber niemand öffnete. Dieser Umstand brachte sein Blut in Wallung. Wie ein Coyote umschlich er das verschlossene Zimmer, in dem sich nichts regte, und beging zwei ungesetzliche Handlungen, indem er einfach fremde Zimmer betrat und an verschlossenen Türen rüttelte. Dann entdeckte er, daß eine lange Eisenstange die Hausfront entlang lief und an allen Fenstern vorbeiführte, und machte sich ohne Überlegung auf den Weg, um in Mister Johnsons Zimmer Einblick zu gewinnen.

Minuten später verließ er es auf dem normalen Wege; durch die Tür, aber in fieberhafter Aufregung.

Die wenigen Bauern, die zu dieser Tageszeit in die Stadt gingen, wunderten sich, einen jungen, dunklen Mann zu sehen, der eilig, trotz der Hitze, in langen Sätzen auf der Straße nach Norden dahinstürmte.

Aber Farr interessierte nichts mehr.

Ein schrecklicher Schmerz saß in seinem Herzen und er fühlte das dringende Bedürfnis, seinen Herrn zu finden, koste es, was es wolle.

John Farr war ein guter und braver Diener.

Gegen sieben Uhr abends erreichte er erst den ersten Engpaß und machte sich ohne Zögern daran, über die ziemlich steile Wand zu klettern, um so den Weg abzukürzen. Die eng an die Lehne geschmiegte Hütte übersah er im ersten Moment. Als er sie zu Gesicht bekam, war es bereits zu spät.

Ein starker, bärtiger Mann schoß hinter einem Gebüsch heraus. Im Augenblick hatte Farr den ihm unsympathischen Hoffmann erkannt, und zwei starke Arme umklammerten ihn. Er versuchte sich zu wehren, aber gegen die fürchterliche Kraft dieses Mannes war er so gut wie wehrlos. Einen hohen schrillen Schrei stieß er noch aus, dann fiel er zurück und begann still zu weinen; er machte keine Schwierigkeiten, als ihm Hoffmann die Füße band.

Die Sonne war im Sinken und die letzten Strahlen vergoldeten die starren Bergwände; ein leiser Wind sprang auf, und drüben, jenseits der Hügel, schrillte die Sirene eines abfahrenden Dampfers.

Dann krochen violette Schatten ins Tal und hüllten alles in einen durchsichtigen zitternden Schleier, hinter dem die Umrisse verschwanden und verwoben. Im Nu verwandelte sich die Hölle in ein Märchenland.

Aber Farr hatte keinen Sinn für diese Schönheiten einer ewigen, farbenfreudigen Natur.

Einmal bildete er sich ein, Christian sei in der Nähe – dann verfiel er wieder in dumpfes Brüten und seine unruhigen Augen füllten sich mit Tränen.

Knapp vor dem Ziel war er zusammengebrochen und eine schreckliche, lebensverzehrende Traurigkeit füllte seine Seele …

*

Stunde um Stunde verging, seit der Amerikaner hochherzigerweise für seine Tochter das Lösegeld hatte bezahlen wollen, und noch immer war keine Nachricht von Hoffmann gekommen. Jeff saß im heißen Zimmer, kaute an seinen Nägeln und begann wüste Gedanken in seinem überhitzten Hirn herumzuwälzen.

Gil stand beim Fenster und trommelte gegen die Scheiben.

»Wenn der Schuft mit dem Geld durchgeht«, knurrte er, »entgeht er mir nicht; und sollte ich ihm bis ans Ende der Welt folgen.« Das Vertrauen, das die Mitglieder der Gesellschaft einander entgegenbrachten, war nicht allzu groß.

Arnoldi lachte. »Verdammt noch mal«, sagte er und stand auf. »Was sollen wir tun?«

Olaf Mathiessen dachte einen Augenblick nach. »Es führt nur eine einzige Straße nach Norden, und die ist um die Tageszeit – es ist nahezu acht Uhr – vollkommen ausgestorben. Ich schlage vor, daß wir uns auf den Weg machen und bis zur Hütte vorgehen.«

»Sie haben recht«, sagte Arnoldi, »gehen wir.«

Sie entfernten sich einzeln aus dem Gasthof und gingen auf Umwegen durch die Stadt. In der jetzt dunklen Allee trafen sie sich und trabten mißmutig und schweigsam die staubige Straße entlang …

Nach einer halben Stunde kamen sie in den Engpaß; dann stiegen sie ins Geröll und erreichten müde und nervös die einsame Hütte. Jetzt, in der Abendstille, sah die Gegend trostlos aus.

Ein Mann erwartete sie vor dem Blockhaus.

Es war Hoffmann. Sein Gesicht schien ernst zu sein und seine Bewegungen waren müde.

Jeff machte einen Sprung. »Wo ist das Geld«, keuchte er.

Hoffmann schüttelte ihn leicht ab. Sein schwarzer Bart zuckte.

»Das müssen Sie Johnson fragen. Er liegt dort drüben – hinter jenen Steinen –«

Die anderen erstarrten. »Ist – er – tot?« stöhnte Mathiessen.

»Nicht tot …« Hoffmann lachte rauh; es klang wie das Greinen eines Kindes. »Er wollte nicht zahlen, und ich habe ihn einfach niedergeschlagen.«

»Das hätten Sie uns doch sagen können«, stieß Gil wütend heraus. Nicht, daß wir im Gasthaus wie die Dummköpfe warten.«

»Ich konnte nicht weg«, sagte Hoffmann ärgerlich. »Ich habe zwei zu bewachen!«

»Zwei?«

»Johnson und – Farr.«

Einen Augenblick senkte sich lähmendes Schweigen auf die Gruppe; Jeff begann stoßweise zu atmen.

»Meinen Sie den – Diener?«

»Den Diener und Freund dieses verdammten Kerls, der uns seit Wochen hetzt.«

»Einen Augenblick«, mengte sich der kühle Mathiessen ins Gespräch. »Wo haben Sie ihn gefangen?«

»Hier vor der Hütte. Er hat versucht, das Schloß zu öffnen. Zum Glück war ich ganz in der Nähe.«

»Ausgezeichnet«, lachte Arnoldi. »Wir werden dann über die Todesart dieses Burschen beraten. Ich glaube, ihr habt nichts dagegen, daß ich mich mit ihm in die Felsen da zurückziehe.«

»Erst«, sagte Gil finster, »wird er uns den Aufenthaltsort seines Herrn verraten.«

Farr saß verschüchtert am Boden und betrachtete die Männer mit großen, starren Augen. Eine fürchterliche Hoffnungslosigkeit hatte ihn überfallen, und die Zukunft schien ihm grau und düster.

Mathiessen war der erste, der die anderen an die Arbeit trieb.

»Wir dürfen hier keine Versammlung abhalten«, sagte er mahnend, »irgend jemand kann vorbeikommen. Außerdem gibt es hier manchmal Gendarmeriepatrouillen, und ich möchte mit diesen Leuten nicht gerne zusammenwachsen.«

Hoffmann nickte. »Los, Mann, sagen Sie, was zu geschehen hat«

Mathiessen lachte. »Auf und davon! Johnson lassen wir hier.«

»Sind Sie verrückt«, schrie Jeff plötzlich wütend. »Was soll das heißen?«

Mathiessen riß aus seinem Notizbuch ein Papier und warf hastig einige Worte aufs Papier.

»Was ist das?« fragte Gil mißtrauisch. Der andere reichte ihm den Zettel.

»Der Brief an Mr. Johnson. Wenn er erwacht, wird er ihn in der Hand finden und wissen, was er zu tun hat Ich habe unsere Athener Adresse angegeben. Dort habe ich die besten Verbindungen.«

»Einverstanden«, sagte Gil großartig. »Hoffmann, Sie wissen, wo der Kerl liegt, geben Sie's ihm, falls er nicht ruhig ist …«

»Keine Angst«, lachte der Schwarzbärtige. »Er wird noch einige Stunden schlafen.« Er wandte sich um und ging in die Dunkelheit.

Mathiessen zog einen Schlüssel und öffnete das Vorhängeschloß.

Im Innern der Hütte war es hell. Eine große Petroleumlampe brannte, und die Schatten der Gegenstände zitterten an den Wänden.

Mabel stand an der Wand; sie war bleich, aber entschlossen, und ihre Augen blickten den Männern furchtlos entgegen.

»Was wollen Sie?« fragte sie ruhig. Als sie Mathiessen sah, machte sie eine kleine Bewegung – dann sank sie in sich zusammen …

»Dich«, höhnte Jeff und rieb sich die Hände.

Arnoldi wollte sich vordrängen, aber Mathiessen hielt ihn zurück.

»Keine Gewalt«, sagte er ruhig. »Die Dame wird uns das Versprechen geben, nicht zu schreien, dann brauchen wir sie nicht zu knebeln.«

»Und wenn Sie's doch tut«, fauchte Gil.

Mathiessen lachte. »Dann wird es sicher niemand hören. Das Boot liegt außerhalb der Stadt und die Gegend ist unbewohnt.«

Eine Weile stritten sie noch, dann kam Hoffmann und stellte sich auf die Seite Mathiessens.

»Alles in Ordnung«, grinste er, »und jetzt los …«

In dem Augenblick ließ ein Geräusch die Männer zusammenfahren. Arnoldi riß eine Pistole heraus; Mathiessen zog ein langes, glitzerndes Messer.

Eine Gestalt arbeitete sich unterm Bett heraus, und Hoffmann riß sie hoch. Er blickte erstaunt in das farblose Gesicht Axel Nyströms.

»Himmel«, sagte er und ging langsam zurück.

»Hände hoch«, schrie Arnoldi und hob die Pistole.

»So sind Sie doch ruhig«, ärgerte sich Mathiessen, »der Kerl ist ja unbewaffnet. Ich bin sehr zufrieden, ihn hier gefunden zu haben. Für Detektivs habe ich nicht viel übrig …«

Er lachte ein hartes, unangenehmes Lachen. »Das Meer ist tief und verschwiegen …«

»Sehr verschwiegen«, sagte Gil mit einem bezeichnenden Blick auf Farr, dessen Arm er fest zwischen seinen Fingern hielt.

»Und nun …?«

»Vorwärts«, sagte Mathiessen ungeduldig. »Herrgott – wir können es nicht riskieren, daß uns jemand das Boot stiehlt.«

Sie löschten das Licht aus und verschlossen die Hütte; dann trabten sie leise davon. Querfeldein.

Die Nacht war dunkel, und ein leiser Wind strich über die Steine; irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Am Himmel glitzerten die Sterne …

*

Gil stolperte und blieb fluchend zurück.

»Der Teufel könnte sich hier nicht fortbewegen«, sagte er wütend. »Wie lange dauert noch die Geschichte?«

»Wir sind gleich unten«, sagte Hoffmann.

In dem Augenblick fühlte Mabel, wie Mathiessen neben ihr nach ihrer Hand haschte; sie wollte sie voll Ekel zurückziehen, aber eine leise Stimme schlug an ihr Ohr. »Du brauchst keine Angst haben, Mabel. Ich bin bei dir …«

»Olaf«, sagte sie ebenso leise und ein zufriedenes Lächeln umspielte ihr Gesicht.

Nyström ging verdrossen neben Jeff, der ihn andauernd beobachtete. »Das wird Ihnen teuer zu stehen kommen«, knurrte der Detektiv.

»Freund«, sagte Jeff und leckte die Lippen, »du wirst bald in den kühlen Fluten baden. Aber«, setzte er blinzelnd hinzu, »mit einem Gewicht an den Beinen.«

Auf das hin sprach Nyström kein Wort mehr.

Es war fast Mitternacht, als sie die einsame, verlassene Bucht erreichten. Das Wetter war schlecht, der Himmel mit schwarzen Wolken überzogen, und man sah kaum zehn Schritte weit.

Knapp am Ufer lag ein großes, weißes Motorboot.

»Hinein mit den Leuten«, lachte Mathiessen übermütig und reichte Mabel galant die Hand. Sie sprang mit einem Satz in das Boot und warf dem jungen Mann einen kurzen Blick zu.

Dann folgte Nyström; Jeff gab ihm einen freundschaftlichen Stoß, und der Detektiv wäre fast gefallen; als letzter kam Hoffmann mit Farr.

»Alles bereit«, kam die Stimme Mathiessens durch die Dunkelheit.

»Los«, sagte Jeff und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Mit einem Satz schoß das Motorboot aus der Bucht.

*

Die Küste versank hinter ihnen.

»Wo fahren Sie eigentlich hin?« fragte Hoffmann, der neben Mathiessen vor dem Steuerrüder kauerte.

»Nach Süden. Bei der Jahreszeit können wir in vier Tagen in Griechenland sein.«

»Eine feine Idee«, lobte Jeff, der näher gekommen war.

Sie fuhren knapp die Küste entlang; dann tauchte in der Ferne ein heller Schein auf; ein Leuchtfeuer, und Mathiessen bog ab.

Die Bugwellen rauschten und der Motor arbeitete tadellos. Die Explosionen rollten wie eine Kette, und ein leiser, singender Ton lag über dem Meere …

Nach zwei Stunden erreichten sie das felsige Gestade einer Insel, die sich unvermittelt aus dem Wasser hob.

Leichter Dunst lagerte über dem Meere. Hinter der Insel war es ruhig.

Plötzlich stieß Gil, der im Bug kauerte, einen Pfiff aus.

»Was ist's?« fragte Mathiessen und hob den Kopf.

»Ein Schiff ist vor uns …«

»Seien Sie ganz ruhig … wird irgendein Passagierdampfer sein, der sich hierher verirrt hat. Wir sind jetzt in exterritorialen Gewässern.«

»Umso besser«, lachte Jeff und blickte selbstzufrieden vor sich hin.

Das Boot machte eine scharfe Wendung; irgend etwas knirschte, und Mathiessen stieß einen Fluch aus.

»Was passiert?« fragte Hoffmann hastig.

»Nein, die Steuerkette muß sich geklemmt haben … Nehmen Sie das Rad einen Augenblick, Hoffmann, Herrgott – da fassen Sie's an!«

Er wollte aufstehen – in dem Augenblick wuchs knapp vor ihnen eine große, schwarze Wand. Lichter flammten auf, und Mathiessen hatte gerade noch Zeit, den Gashebel zurückzuschieben.

»Ahoi …« kam ein lauter Ruf übers Wasser.

Einen Moment legte sich bleierne Stille übers Meer … Irgendwo fiel etwas mit dumpfem Klatschen aufs Meer und dumpfes Motorgeräusch sprang auf.

Mathiessen erhob sich rasch. »Was zum Teufel fahren Sie mit abgeblendeten Lichtern«, schrie er wütend.

»Machen Sie weiter«, flüsterte Jeff ängstlich. Lassen Sie sich mit den Leuten in keinen Streit ein.«

»Da haben Sie recht … so ein Unsinn …«

Mathiessen wollte eben den Gashebel vorwerfen, als eine warnende Stimme durch das Dunkel scholl: »Bleiben Sie liegen … Wie Sie anfahren, lasse ich schießen!« Der Befehl war in klarem Deutsch erfolgt.

»Himmel und Hölle«, fluchte Hoffmann und machte eine verzweifelte Bewegung …

Ein großes, leichtes Boot sauste heran und legte sich breitseits des Motorkahnes; zwanzig schwielige Fäuste griffen durch die Nacht und die Männer blieben starr.

Nyström erhob sich langsam. »Im letzten Augenblick«, sagte er klar und deutlich.

Minuten später waren Männer im Boot … Fremde, freundliche Männer, die harte Fäuste hatten und keinen Widerstand duldeten.

»Das ist gemeine Piraterie«, schrie Jeff zornbebend; aber eine breite Hand legte sich auf seinen Mund.

»Aufs Schiff mit ihnen«, schrie jemand von oben; und von unten kam die helle Antwort: »Jawohl, Kapitän.«

Hoffmann stieg als letzter an Bord des fremden Schiffes, und neben ihm ging Farr; in den Augen des Jungen leuchtete es, und ein leises Lächeln lag auf dem gequälten Gesicht.

*

Mabel Johnson ließ sich in den tiefen, bequemen Sessel fallen, den ihr der Kapitän mit einer höflichen Bewegung zuschob.

Sie saß im freundlichen, hell erleuchteten Salon und betrachtete neugierig ihre neue Umgebung.

Der Kapitän, ein großer, stattlicher Mann, dessen glattrasiertes Gesicht wundervoll in das Milieu paßte, blieb in abwartender Haltung neben ihr stehen.

An der Wand standen Jeff und Gil Strucks; dann Hoffmann und Arnoldi; als letzte Nyström und Farr. Rechts und links von den Männern sechs bewaffnete, stämmige Matrosen.

»Meine Damen und Herren«, sagte der Kapitän mit einer leichten Verbeugung, »ich begrüße Sie an Bord des deutschen Regierungsschiffes ›Rügen‹.«

»Das ist Piraterie«, keuchte Jeff und trat einen Schritt vor, »und wir protestieren gegen ein solches Vorgehen. Die jugoslawische Regierung …«

»Einen Augenblick«, sagte der Kapitän und hob die Hand. »Wir sind nicht mehr in jugoslawischen Hoheitsgewässern.«

»Umso schlimmer …«

Eine Pause folgte. Mabel hob sich halb im Sessel und ihre Augen suchten Mathiessen, der etwas abseits stand.

Und in diesem Augenblick trat Hoffmann vor; das Licht fiel auf sein bärtiges Gesicht. Er nickte dem Kapitän zu, der sich seltsamerweise tief vor ihm verbeugte.

Er zog ein Papier aus der Tasche und begann zu lesen.

»Jeff Strucks, Gil Strucks, Vinzenz Arnoldi. Ich verhafte sie im Namen der Reichsregierung wegen: Mord, Mordverdacht und Dokumentendiebstahl; ferner wegen Anleitung zum Dokumentendiebstahl und wegen Spionage …« Er hob den Kopf. »Damit ist der berüchtigten Jeff-Bande endgültig das Handwerk gelegt.«

Langsam, ganz langsam kam Jeff Strucks zu sich; dann fauchte er wütend. »Sie elender, feiger Verräter, Sie …«

»Ah so …« Hoffmann lächelte; mit einem Griff entfernte er den schwarzen Bart und die große, schwarze Perücke, und das lächelnde, freundliche Gesicht Christian Mortensens kam zum Vorschein.

»Sie«, keuchte Arnoldi und wollte vorspringen; aber zwei kräftige Fäuste rissen ihn zurück. Das charakteristische Klingeln von Handschellen war zu hören. Im nächsten Augenblick waren auch Jeff und Gill gefesselt.

Im Handumdrehen waren sie aus dem Zimmer. Ihre Schritte verklangen.

Mathiessen stand neben dem Tisch und stützte sich leicht mit einer Hand auf die Platte; Farr kauerte in der Ecke, und seine großen Augen starrten ungläubig auf Christian.

»Und wer sind Sie?« fragte Mabel und deutete auf Olaf Mathiessen.

»Ah so …« Christian lächelte. »Sie gestatten, daß ich einen Formfehler gutmache. Dr. Olaf Mathiessen, Assessor im Staatsamt des Äußeren. Und ich – hm, ich bin der Regierungsrat und Leiter des Gegenspionagebüros desselben Ministeriums …«

»Olaf«, sagte Mabel und stand auf. »Ich wußte, daß du kein Verbrecher wärest.« Sie küßte ihn lang und blickte ihn lachend an. »Und wo ist Pa?«

»In der Stadt. Wir werden ihm ein Telegramm senden und ihn bitten, nach Hamburg zu kommen.«

Der Kapitän reichte der jungen Dame die Hand; er murmelte einen leisen Glückwunsch und Mabel nickte begeistert. »Ja – wir werden heiraten. Aber sagen Sie –.« Sie wandte sich an Christian, »wie ist das alles?«

»Die berühmte kurze Aufklärung«, sagte der junge Mann höflich. »Sie haben nichts dagegen, wenn ich mich kurz fasse. Die letzten Stunden waren etwas anstrengend.« Er nahm eine Zigarette. »Darf ich? Thanks. Also – die Jeff-Bande, ja, sie heißt nach unserem Freund Strucks, hat seit Jahren ganz Europa unsicher gemacht. Diebstahl von Geheimdokumenten, Fälschung von internationalen Aktien und Spionage. Und sie arbeitete so geschickt, daß es unmöglich war, ihr auf die Spur zu kommen. Jeff, dann Gil, dazwischen wieder Hoffmann – eine Gesellschaft, die sich die Dinge zuwarf wie andere Leute Bälle. Wir haben dreißig Einbrüche bei den Leuten riskiert und nichts gefunden. Dabei haben sie Verbindungen bis hinauf. Dann entschlossen wir uns, Mathiessen und ich, als Verbrecher unterzutauchen. Und ich muß sagen, wir machten unsere Sache so gut, daß wir berühmt wurden; mit der Zeit lernte uns auch die Jeff-Bande kennen. Mathiessen nahmen sie auf, während ich sie trieb. Teufel – ich habe sie getrieben wie ein Hirt seine Schafe, und sie haben scheußliche Angst ausgestanden. Von Mossul nach Bagdad, von Bagdad nach Kairo, dann quer durch Nordafrika und Spanien … Bis ich endlich, als Ihr Papa – Sie dürfen nicht lachen, Miß Mabel, aber er war sehr schwer zu kopieren, mich über die Bestände der Bande informieren konnte. Und gerade als ich zugreifen wollte, ist mir Nyström …« Er warf einen Blick in die Runde. »Wahrscheinlich sonnt er sich oben an fremdem Ruhm – also ist mir Nyström in die Quere gekommen. Es war noch zu früh, mich ihm zu entdecken, außerdem war nur ein Teil der Bande da – so ließ ich ihn arbeiten und trieb die Leute weiter, bis sie endlich, verzweifelt und verschüchtert eine Generalversammlung einberiefen … Aber die Geschäfte schienen flau zu gehen. Vielleicht haben sie auch zu viel verlangt für ihre Dokumente, kurz und gut, um ihr Depot zu ergänzen, sind sie auf den Gedanken gekommen, Sie zu entführen und Lösegeld zu verlangen. Wie meinen Sie? Ja, Nyström habe ich in die Hütte gebracht. Den Rest wissen Sie. Hoffmann habe ich gestern nachmittags der jugoslawischen Gendarmerie übergeben; er hat in Mazedonien zwei Morde begangen und wird aller Wahrscheinlichkeit nach gehenkt werden. In Berlin sind vorgestern zwei Mitglieder verhaftet worden, und der letzte sitzt in Cayenne. Wir haben ihn der französischen Regierung denunziert. Damit ist die Bande gesprengt. Das Spiel ist aus. Und um lästige und fragliche Auslieferungsbegehren zu vermeiden, haben wir die Leute in exterritoriale Gewässer gelockt und hier einfach verhaftet. Sind alles deutsche Staatsbürger und können sich nur bei der deutschen Regierung beschweren. Die Dokumente sind hier.« Er zog ein Bündel Papiere aus der Tasche und warf sie auf den Tisch. »Dinge, die Millionen wert sind.«

»Sie haben Ihre Sache wundervoll gemacht«, sagte der Kapitän.

Christian wehrte ab. »Mathiessen hat eigentlich den gefährlicheren Teil übernommen. Wenn sie ihm d'raufkommen wären, ich glaube kaum, daß er am Leben geblieben wäre.«

»Das«, sagte Mathiessen lachend, »glaube ich auch nicht.«

Die Tür flog auf und Axel Nyström kam herein; rot und zufrieden.

»Sie sind ein verteufelt geschickter Mann«, sagte er anerkennend zu Christian, »aber – im Grunde meiner Seele …«

»Nyström«, sagte der junge Mann ernst, »flunkern Sie nicht.«

Mabel Johnson stand auf. Sie reichte ihm die Hand. »Very nice … Ich habe Sie schon einmal geküßt, das war heute. Wollen wir an Deck gehen, Olaf?«

Sie wandte sich um und schritt hinaus, gefolgt von Mathiessen und dem Kapitän; Nyström schloß sich ihnen achselzuckend an. Er war mit der Entwicklung der Ereignisse nicht ganz zufrieden.

»Wenn ich«, sagte er zum Kapitän, gerade als dieser die Tür schloß, »nicht so …«

Eine Weile blieb Christian beim Tisch sitzen und vertiefte sich in das Studium der Papiere; dann hörte er ein leichtes Geräusch und wandte sich um.

»Ah – du bist's, Farr? Ich habe dich ganz vergessen gehabt. Willst du nicht auch hinaufgehen?«

Langsam kam Farr näher; er setzte fast zögernd Fuß vor Fuß. Ein eigenartiger Ausdruck stand in seinem Gesicht

»Ich möchte Ihnen – ich …«

Der junge Mann winkte wohlwollend ab. »Gut, Farr. Unsere Arbeit ist jetzt beendet und du mußt auch trachten, in ruhigere Verhältnisse zu kommen. Willst du bei mir bleiben?«

»Ja«, sagte der Junge schüchtern und errötete.

»Schön – und jetzt geh …« Christian machte ein abwehrendes Gesicht, und der Junge wandte sich enttäuscht um. Seine Mundwinkel zuckten.

Er blieb an der Tür stehen und schien über irgend etwas zu grübeln. Die Stimme seines Herrn riß ihn aus seinem Nachdenken. Christian kam auf ihn zu und blieb knapp vor ihm stehen.

»Was ich noch sagen wollte, Farr. Zur Regelung unseres zukünftigen Verhältnisses zueinander. Wann willst du, daß wir – heiraten?«

Erst fuhr Farr zurück und griff mit beiden Händen unsicher nach einem Halt; dann schrie er auf.

»Christian …« Er warf die Arme um den Hals Christians und preßte sich eng an ihn. »Christian – wann – hast – du …?«

»Wann, Ulla? Seit du diese lockere Geschichte mit der Geisterkorrespondenz inszeniert hast. Aber – ich wollte …«

Die weiteren Worte waren nicht zu verstehen.

Es gibt keinen Mann, der sprechen kann, wenn ihn ein junges, verliebtes Mädchen küßt …

*


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