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5.

Herr von Kielhausen, ein seigneuraler Großgrundbesitzer aus der Umgebung Münchens, saß in seinem Zimmer und las die Morgenblätter. Er las sie aufmerksam mit der Miene eines Mannes, dessen Beruf es ist, die Stimmung der großen Welt zu ergründen; zwischendurch trank er in kleinen Schlucken Kaffee und horchte auf die Geräusche, die durch das halbgeöffnete Fenster von der Straße hereindrangen.

»Das erste, was ihm in die Augen fiel, war eine kurze Notiz. »Flucht eines gefährlichen Hochstaplers. Wie uns gemeldet wird, ist die Polizei einer Hochstaplerbande, die sich in den letzten Jahren am Kontinent herumgetrieben, auf der Spur. Gefahndet wird in erster Linie nach einem jungen, mittelgroßen Mann, der in den verschiedensten Verkleidungen auftritt. Er bevorzugt die Maske alter, hochstehender Persönlichkeiten und bemüht sich, einen Ausländer – speziell Engländer – zu markieren. In seiner Begleitung befindet sich ein kleiner, rothaariger, sommersprossiger Diener. Die Polizeibehörden des In- und Auslandes sind ersucht worden, auf die Genannten ein Augenmerk zu haben.«

»C' est ça«, sagte Herr von Kielhausen und streckte sich wohlig. Er hatte wundervoll geschlafen, und hinter dem Einglas funkelte ein zufriedenes Auge. Der Diener, der in der Ecke die Kleider seines Herrn untersuchte, blickte auf.

»Was Neues, Herr?«

»Sie suchen uns«, sagte der Gutsbesitzer gelangweilt. »Sie haben alle Polizeibehörden des In- und Auslandes auf uns aufmerksam gemacht. Du kannst ruhig sein, Farr. Sie schildern dich als häßlichen, sommersprossigen, rothaarigen Menschen von schlechten Manieren.«

»Ja«, sagte Farr schwach. »Und Sie?«

»Als älteren, wohlgesetzten Menschen.« Er stand rasch auf. »Weg mit dem Zeug. Wo sind unsere beiden Freunde?«

»Sitzen fest im Bristol. Ich habe mit dem Nachtportier Freundschaft geschlossen. Sie haben die Zimmer auf acht Tage genommen.«

»Unter ihrem Namen?«

»Nein, Frank J. Holl und Rubby Mac Marlow aus Genf.«

»Schön«, sagte Christian, »endlich was neues Wo ist Nyström?«

»Er muß privat wohnen; in den größeren Hotels ist er nicht abgestiegen.«

»Ausgezeichnet – Wir werden die Leute etwas locken. Die Sache geht verdammt flau. Hast du den Brief an Tante Agathe gestern aufgegeben?«

»Aufgegeben«, kam die kurze Antwort. Farr rieb mit hochroten Wangen einen kleinen Fleck auf einem dunklen Anzug.

Später aßen sie im Restaurant; Farr in der Schwemme, sein Herr im luxuriösen Speisesaal, der um die Zeit gut besucht war; elegante Damen und Herren saßen ringsum an kleinen Tischen, und das diskrete Klappern der Bestecke verlieh dem Raum eine Atmosphäre wunderbarer Behaglichkeit. Durch die gelblichen Fenster floß das Licht in diskreten Bündeln in den Saal, und die schwarzgekleideten Kellner ähnelten mehr russischen Großfürsten denn Nachkommen des sagenhaften Ganymed.

Der Saal war fast ganz voll, als ein neues Paar erschien; ein alter hagerer Herr, unverkennbar Made in USA., und neben ihm eine junge Dame: Typ Hollywood-Girl, mit einer weichen, samtenen Haut und großen, ständig fragenden Kinderaugen. Sie betrachteten eine Weile das Treiben im Raum, ohne sich durch die neugierigen Blicke der vielen Menschen gestört zu fühlen; dann machte das Mädchen eine halblaute Bemerkung, und der Oberkellner kam in Person auf Christian zugeschossen. Eine leichte, halb vertrauliche Bewegung: »Mister Johnson und Tochter Mabel werden hier Platz nehmen.« Kein Wort der Entschuldigung, keine Geste des Bedauerns.

Christian hob den Kopf und schloß halb die Augen. »Wenn ich es erlaube«, sagte er scharf, und der Schwarzbefrackte knickte ein.

»Verzeihung – in der Eile …«

»Kein Grund. Lassen Sie die Trustler hier niedersetzen.«

Mister Johnson riskierte eine leichte Verbeugung; Mabel tastete den jungen Mann mit den blauen Kinderaugen ab. Keine Miene verzog sich in seinem Gesicht.

»Bitte.«

»Thanks.«

Die deutsche Speisekarte bereitete einige Schwierigkeiten. Der englisch sprechende Kellner sei bedauerlicherweise gerade krank, meinte der ununterbrochen sich verneigende Speisenträger, und bemühte sich krampfhaft, jedes Wort aufzufangen, das über die Lippen des Amerikaners kam.

Ob er helfen dürfe, fragte Christian, ohne Höflichkeit in der Stimme; der barsche Ton machte auf Mr. Johnson sichtlichen Eindruck.

»Es ist sehr nett von Ihnen«, sagte er, und Mabel fügte ein leises »Very nice« hinzu.

Nach der Schildkrötensuppe begann sich ein Gespräch zu entwickeln. Im ersten Anlauf erzählte Johnson, daß er vier Millionen habe; und daß die Mabel zwei davon bekäme, falls sie in Europa einen passenden Mann fände. »Einen Aristokraten«, sagte der Amerikaner betont, »mit einem Schloß und viel Schulden. Aber guten Namen; so gut wie der der ersten Passagiere der May Flower.« Er selbst sei ein Nachkomme eines solchen Passagiers, setzte er rasch hinzu.

Christian meinte, man sähe es ihm an; in Anbetracht der vielen Passagiere, die das immerhin kleine Schiff damals gehabt hatte, wären noch die Nachkommen etwas flach geraten.

Der harmlose Scherz ging verloren; Johnson aus USA. verstand ihn nicht. Was er wäre, fragte er ohne Zeremonie.

»Baron Balthasar von Kielhausen«, sagte Christian, ohne mit einer Wimper zu zucken. »Ich habe ein Schloß bei Regensburg, falls Sie wissen, wo das liegt, und bin mit dem König von Bayern verwandt …«

»Oah …« sagte Johnson und klappte den Mund zu, »das trifft sich ausgezeichnet; dann können Sie versuchen, Mabel den Hof zu machen und sie zu heiraten.«

Christian zuckte arrogant die Achsel. Er bedauerte, aber er hätte sich's in den Kopf gesetzt, nur ein armes Mädchen zu heiraten, da er selbst mehr als acht Millionen Dollars besäße …

Mabel begann ihn aufmerksam zu mustern; er schien ihr immer besser zu gefallen.

»Sie gefallen mir«, sagte sie weich und legte ihm eine klassisch schöne Hand auf den Arm. »Sie müssen jedesmal mit uns essen.«

»Gern«, meinte Christian und warf dem Mädchen einen Blick zu. »Sie gefallen mir auch sehr gut …«

Eine Stunde später lümmelte er wieder in seinem tiefen Klubsessel und las die Mittagsblätter. Farr putzte wieder die Kleider; es schien sein ausschließlicher Lebenszweck zu sein.

»Nyström hat sich da herumgetrieben«, sagte er, »und war auch in der Schwemme; aber er hat mich nicht erkannt.«

»Nyström ist ein Esel«, sagte Christian gähnend. »Mir hat eine hübsche, reiche Amerikanerin einen Heiratsantrag gemacht.«

Der schwarze Sakko fiel zu Boden und die Bürste folgte. »Einen Hei…« Farrs Gesicht war ein großes Fragezeichen.

»…ratsantrag«, ergänzte Christian liebenswürdig. Er erzählte lachend die Episode. »Sind doch verteufelt ungenierte Menschen diese Amerikaner.«

»Ich finde das protzenhaft und ungezogen«, sagte Farr wütend. Seine ausdrucksvollen Augen funkelten und seine Hände zerrten am Sakkokragen wie ein feuriger Gaul am Zügel. »Und was wollen Sie tun?«

»Ich? Du lieber Gott – nichts. Vielleicht erwische ich Jeff in einer schwachen Stunde, dann ist der Zweck meines Lebens erfüllt; geht er mir durch die Lappen, mache ich der famosen Mabel einen feierlichen Antrag.«

»Sie«, sagte Farr betont, »werden doch diesen dummen Jeff sicher erwischen.«

Erst später, als sie durch die Straßen schlenderten, kam er wieder auf das Thema zurück.

»Ich verstehe Ihre Art nicht«, sagte Farr zweifelnd, »aber manchmal habe ich den Eindruck, als liege Ihnen an Jeff und seinem Bruder gar nichts daran.«

»Wie kommst du – auf diese seltsame Idee?« fragte Christian verwundert.

»Sie gehen ihm nach – aber Sie haben keine Eile, ihn zu fassen; warum nehmen Sie nicht seine Maske und gehen einfach ins Imperial? Oder warten Sie, bis sich Gil entfernt – sie gehen jetzt niemals zusammen aus … Sie können sich ihm in der Maske Gils unbemerkt nähern. Aber Sie wollen scheinbar nicht. Sie wollen's ganz gewiß nicht«, setzte er fast hartnäckig hinzu, »sonst hätten Sie bereits den Marinevertrag und alles andere.«

»Welches andere, Farr?«

»Was Sie suchen …« kam es unsicher zurück. Und Christian schwieg. Er war den ganzen Weg über schweigsam und nachdenklich; einmal nur betrachtete er Farr forschend, aber sein Gesicht blieb vollkommen unverändert.

*

Den ganzen nächsten Tag war Christian stark beschäftigt; er kam erst gegen Abend nach Hause – allem Anscheine nach ziemlich müde.

Farr betrachtete ihn vorwurfsvoll. »Ich hatte keine Ahnung, daß Sie so spät kommen würden.«

»Wenn ich nicht rechtzeitig erscheine«, sagte Christian kurz, »kannst du über deine Zeit verfügen.« Das war alles; außerdem schien er mißmutig zu sein, denn er warf die Zeitungen achtlos beiseite und sah dann erst nach dem Brief, der auf dem Schreibtisch lag. »Post«, murmelte er erstaunt, »ah so – im Wege der Deckadresse. Wer hat den Brief gebracht?«

»Ich habe ihn geholt«, sagte Farr entgegenkommend.

Christian riß den Umschlag auf – es war, wie er gleich vermutet hatte, ein Schreiben Tante Agathes. »… ich weiß natürlich nicht, was Du treibst und warum Du wahllos in der Welt herumstreifst, aber ich bin um Dich besorgt … In neuerer Zeit scheint die Familie Mortensen ein Wandertrieb überkommen zu haben. Ich habe Ulla eingeladen, aber sie ist nicht gekommen. Gestern bekam ich von ihr einen Brief aus Wien. Aus Wien! Was sagst Du dazu, Christian? Hoffentlich bleibst. Du genügend lange, um sie kennenzulernen. Sie wird Dir gewiß gefallen. Ich habe ihr unter einem Deine Adresse – unter Wahrung aller Vorsichtsmaßregeln, die ich natürlich nicht verstehe, – mitgeteilt …«

Christian zerriß den Brief in kleine Stückchen.

»Das Schrecklichste, was mir passieren konnte«, seufzte er und lehnte sich bequem zurück. »Wenn in den nächsten Tagen, irgendein verrücktes Frauenzimmer nach mir fragen sollte, sagst du ihr, ich sei nach Benares abgereist. Hast du's? Benares. Oder von mir aus nach Tientsin.«

»Ja«, sagte Farr leise und reinigte emsig einen Rock. »Ich werde lieber Tientsin wählen – es klingt schöner …« und Christian hob den Kopf.

»Was zum Teufel sind das für Bemerkungen?« fragte er scharf.

Farr begann zu kichern. »Wo sich's doch um die Amerikanerin handelt.«

»Ah was – Amerikanerin. Die ist ruhig und bescheiden; da schreibt mir meine Tante, Ulla – du hast doch den Namen schon gehört – wäre auf der Suche nach mir. Nach mir, Farr. Hast du so einen Unsinn wo gelesen?«

»Nein«, sagte Farr demütig. Eine jähe Röte überzog sein Gesicht, und seine Stimme klang unsicher. »Ich dachte, Sie könnten sich die – hm – junge Dame einmal ansehen.«

»Eine Mortensen und ansehen, Farr? Hast du eine Ahnung, was das für Menschen sind? Nicht zum ausdenken … Übrigens – wenn du sie siehst, kannst du ihr ruhig sagen, ich wäre im Begriffe, mich mit einer reichen Amerikanerin zu verloben. That's all.«

Farr huschte aus dem Zimmer; so entging ihm der Schluß des nun zum Monolog gewordenen Dialogs.

Im Foyer sah er Nyström hinter einer Palme sitzen; der Inspektor blickte forschend umher und musterte alle Gäste – aber in seinen Augen stand eine, große Enttäuschung. So sehen Kinder aus, wenn sie ihre Begleiter im Menschengewühl verlieren.

Der Empfangchef neigte sich leicht zu ihm. »Ich sage Ihnen, Herr, der Amerikaner ist prima. Massig reich und nicht zum erstenmal hier; Sie dürfen ihn unter keinen Umständen belästigen.«

»Ansehen«, sagte Nyström und blinzelte. Er war mit Rücksicht auf den Ort, an dem er sich aufhielt, elegant gekleidet, und mehrere Ringe blitzten an seinen Fingern. »Nichts als ansehen. Aber wenn er's ist … Sagen Sie, das Frauenzimmer – klein, mager und rot?«

Der andere hob entsetzt beide Hände. »Eine Schönheit«, jammerte er, »eine preisgekrönte Schönheit; vom Direktor bis zum letzten Liftboy sind alle in sie verliebt.«

»Umso besser«, lachte Nyström und brannte eine Zigarette an; er war so ins Gespräch vertieft, daß er völlig übersah, wie sich Farr knapp hinter ihm aufstellte und anscheinend gelangweilt in die Luft blickte. Erst als Mr. Johnson mit Tochter hereintrat, kam Leben in die Menschen.

»Was sagen Sie?« flüsterte der Empfangchef und verbeugte sich unaufhörlich.

»Der Diener ist's nicht«, sagte der Inspektor lachend, »der ganz gewiß nicht – aber er … hm.«

Farr schlängelte sich behend vor und kam knapp vor Miß Johnson zu stehen; einen Augenblick versanken vier Augen in einander, und zwei Menschen musterten sich aufmerksam. Das schöne Gesicht Miß Mabels überzog eine leichte Röte, und sie lächelte dem hübschen kleinen Farr freundlich zu.

Fünf Minuten später sprachen sie miteinander, ohne daß Farr eigentlich wußte, wie es dazu gekommen. »Sind Sie Amerikaner?« fragte Mabel interessiert.

»Graf Johannes Farr …«

Die Amerikanerin stieß ihr stereotypes »Very nice« heraus und rief nach ihrem Papa.

»Hier gibt es eine Menge Aristokraten«, sagte Mr. Johnson lachend, »mehr als bei uns Millionäre. Von wo sind Sie eigentlich?«

Farr setzte sein nettestes Gesicht auf. »Hamburger Uradel. Meine Mutter war eine Washington; die Urenkelin George Washingtons.«

»Indeed?« Der alte USA.-Mann begann zu strahlen; er berechnete im Stillen den Kredit, den er mit einem solchen Schwiegersohn bei den oberen Zehntausend haben konnte. »Besitzen Sie Bilder? Photographien?«

»Eine Menge«, log Farr und machte eine großartige Handbewegung. »Auch Briefe, Anzüge, Stiefel.«

Johnson kam nur langsam zu sich. »Sie müssen Mabel den Hof machen«, sagte er eifrig und nickte dazu wie ein Religionsstifter, »wenn Sie ihr gefallen, ich habe nichts dagegen.«

Einen kleinen Augenblick stutzte Farr; dann machte er eine tadellose Verbeugung. »Ich werde mich bemühen.«

Ob er einen Baron Kielhausen kenne, fragte der Amerikaner weiter.

»Natürlich«, sagte Farr, »aber es ist ganz junger Adel.«

Mabel hob erstaunt den Kopf. »Er sagte doch, er wäre mit einem König verwandt?«

»Möglich«, erklärte Farr rasch, »sehr möglich; nach der Revolution haben viele Könige Bürgerliche geheiratet und sind so mit allen möglichen Leuten verwandt geworden. Ja – mit allen möglichen Leuten; mein Diener ist beispielsweise der Neffe eines Herzogs.«

»Wonderful«, sagte der ehrgeizige Johnson. »Wenn Sie heiraten, müssen. Sie den Diener mitnehmen. Ich werde dann der einzige Mann in USA. sein, der den Neffen eines Herzogs als Diener hat.«

Farr lenkte auf ein weniger persönliches Thema ab. Ob ihm die Stadt gefiele? Ob sie Bekannte hätten?

»Nicht der Rede wert«, sagte Mabel geringschätzig. »Pa hat mir gestern zwei Amerikaner vorgestellt. Wie heißen sie doch gleich? Frank. Holl und Mac Marlow …«

»Brrr …« Farr schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser steigt. »Ich habe die Leute gesehen …«

Mr. Johnson zog die Stirn in Falten; in seinem langen, nicht immer einwandfreien Leben war er mit vielen Leuten zusammengekommen, die auch nicht besser waren als die Brüder Strucks. »Ich finde sie ganz nett«, sagte er kalt und ging weiter.

Nyström war der ganzen Szene mit Aufmerksamkeit gefolgt.

»Ein verdammt hübsches Frauenzimmer«, sagte er anerkennend. »Wer ist der Junge, mit dem sie sich so gut unterhalten?«

Dem Empfangdirektor war der Name Farrs zum Glück nicht geläufig. So sagte er nur: »Der Begleiter eines Herrn Kielhausen; nette Menschen.«

»Scheint so«, sagte Nyström und klappte die Lider zu.

Als Farr ins Zimmer Christians platzte, saß dieser noch vor dem Schreibtisch und schrieb; beim Eintritt des aufgeregten Jungen hob er den Kopf. »Was zum Kuckuck treibst du dich um Mitternacht auf den Gängen herum wie ein ruheloser Geist?«

Farr trat ganz nahe an den Tisch. Er stützte die Hände auf die Platte. »Die Strucks«, sagte er bedächtig, »haben mit den Johnsons Freundschaft geschlossen. Ich bin Graf Farr, und wenn ich Mabel gefalle, soll ich sie heiraten, das ist alles.« Er atmete erleichtert auf und schritt langsam zur Tür.

»Einen Augenblick«, sagte Christian und runzelte die Brauen. »Du hast nicht zufällig zu viel Wein getrunken?«

»Nein. Aber wenn alles gut geht, heirate ich die Amerikanerin; was ich noch sagen wollte – in der Halle unten sitzt Nyström und brütet; Sie werden sich scheußlich in acht nehmen müssen …«

*

Auch den nächsten Tag blieb Nyström im Vestibül sitzen und musterte die Menschen. Es waren viele Leute im Hotel – elegante und minder elegante, und das Stimmengewirr. stieg manchmal wie das Brausen eines fernen Wasserfalls …

Aber soviel Nyström auch herumäugte, Herrn von Kielhausen und seinen feudalen Begleiter bekam er nicht zu Gesicht. Farr ging und kam durch einen rückwärtigen Ausgang, nachdem er den dort Angestellten mit Hilfe eines anständigen Trinkgeldes versichert hatte, es handle sich um eine Wette, auf Grund derer er ein Jahr lang kein Hotel durch den Haupteingang betreten dürfte. Der Unsinn war groß genug, um von allen anstandslos geglaubt zu werden.

Zu Mittag erschien dann Mr. Johnson und setzte sich neben den Inspektor; er entfaltete eine deutsche Zeitung und begann aufmerksam zu lesen. Nyström erging sich in haltlosen Betrachtungen. Plötzlich tauchte eine weiße Hand vor seinen Augen auf, begleitet von einem raschelnden Papier, und eine rauhe Stimme sagte herrisch: »Uas ist das?« Der Inspektor war einen Augenblick verblüfft und dachte an tausend Möglichkeiten; dann aber stellte es sich heraus, daß Mr. Johnson trotz seinen geradezu katastrophalen Manieren ein ganz netter Mann war, der über alles Mögliche zu plaudern wußte.

»Kielhausen?« sagte er und zog die Stirn in Falten. »Ja – das ist der Mann, der da wohnt. Netter Mensch …« Leider war der Amerikaner etwas protzenhaft veranlagt und hatte kein ganz einwandfreies Gedächtnis; er vermengte in der Eile drei Erzählungen, in denen eine Amme George Washingtons, ein Graf Bornholm und ein Paar Stiefel eine große Rolle spielten.

»Sie kennen ihn von früher?« fragte Nyström scheinbar achtlos.

»Natürlich«, sagte der Amerikaner lebhaft »Er ist drüben aufgewachsen und hat mit Mabel gespielt, wie sie so klein war.« Er zeigte mit der Hand eine ganz unwahrscheinliche Größe und nickte dazu heftig. Damit war aber das Interesse des Inspektors abgekühlt. Er empfahl sich bald und verließ seinen Beobachtungsort mit der Miene eines Menschen, dem eine gute Chance entgangen …

Und wenn es Kielhausen nicht war? Wer war es dann?

Mr. Johnson aus USA. streckte sich eine Weile gelangweilt in seinem Klubsessel; dann stand er langsam auf und schlenderte hinüber ins Bristol. Er übersah den devoten Gruß der grüngekleideten Boys und das freundschaftliche Nicken des Portiers. In einer Ecke saßen Jeff und Gil Strucks, und der Amerikaner ging auf sie zu wie eine Brigg auf das Feuer eines Leuchtturmes.

»Endlich«, knurrte Gil, aber sein Gesicht wechselte sofort, als Johnson näherkam. »Ich dachte schon, Sie wären abgereist.«

»Nicht, ehe das Geschäft gemacht ist.«

»Welches Geschäft?« fragte Jeff unschuldig.

»Na«, sagte Johnson und zwinkerte. »Sie wissen schon.«

Ausnahmsweise wußten die Brüder Strucks nicht, um was es sich handelte, aber sie nahmen als gewisse Menschen die Feiertage wie sie fielen. Sie wechselten einen kurzen Blick und begannen vorsichtig zu reden. Ein einfacher Mann hätte das Ganze als ein leeres Dreschen bezeichnet, aber Mr. Johnson hatte ein feines Ohr. Er begann zu lächeln.

»Man muß sehr vorsichtig sein«, sagte er, »wenn man in Europa kauft; aber ich kaufe alles.«

»Alles«, echote Jeff Strucks und gab seinem Bruder einen Tritt ins Schienbein.

»Was man verkaufen kann«, meinte Johnson einlenkend. »Und wenn es preiswert ist.«

Das Gespräch floß weiter; die Gesichter wechselten auf beiden Seiten und jeder schien zu wissen, was er vom anderen zu halten hatte, aber schließlich schien das entscheidende Wort gefallen zu sein.

»Wenn Sie Dokumente kaufen wollen …« sagte Jeff vorsichtig und machte eine Bewegung, als wollte er das ihm entschlüpfte Wort wieder einfangen.

Johnson erkundigte sich, was das für Dokumente wären. Er sagte, er kaufe prinzipiell alles, und als Dokumentenkäufer käme er in erster Linie in Betracht, da er unter dem Schutze des amerikanischen Gesandten stünde. Aber …

»Kein aber, Herr«, fuhr Gil erregt dazwischen. Er war ein temperamentvoller Mann, »was wir Ihnen bieten können, ist außer jeder Konkurrenz.«

Ob er die Waren bei der Hand hätte, erkundigte sich Johnson neugierig.

»Nicht die Spur«, lachte der verschlagene Jeff. »Wir werden Sie zu einem Mann führen, der alle diese Dinge hat und mit ihm können Sie dann abschließen. Selbstredend sind wir beteiligt.«

»Ich verstehe«, nickte der einsichtsvolle Johnson. Es schien, als hätte er derartige Geschäfte bereits oftmals gemacht. »Und wann soll die Sache perfekt werden?«

Gil blickte Jeff an und dieser nickte unmerklich. »Übermorgen«, sagte er leise. »Paßt es Ihnen um zehn Uhr?«

»All right«, lachte der USA.-Mann und stand auf. »Sie scheinen smarte Geschäftsleute zu sein …«

Ein langer, freundlicher Blick Jeffs und Gils folgte ihm, als er langsam zum Ausgang schritt und alle Welt glatt übersah. Sie hätten sich weniger gefreut, hätten Sie Mr. Johnson eine Viertelstunde später gesehen. Er ging ins Zimmer Herrn von Kielhausens, entfernte vorsichtig die graue Perücke und den grauen Backenbart, und begann mit einem Tuch seine Wangen zu reiben. Das freundliche und sattzufriedene Gesicht Christian Mortensens kam zum Vorschein.

»Also, Sie waren das?« sagte Farr gedehnt. »Ich dachte Mr. Johnson wäre gekommen, um mich für Mabel zu gewinnen.«

Christian sah den Jungen starr an; dann zuckte er die Achsel. »Ich verstehe dich nicht, Farr … Wenn du aber einen Rat annehmen willst, laß die Hände von dem Mädel; die Amerikanerinnen sind anders als unsere Frauen.«

»Mädel ist Mädel«, trotzte Farr. »Sie haben wohl Angst, daß ich Ihnen in die Quere komme.«

»Unsinn. Ich denke nicht daran, mich an das Frauenzimmer heranzumachen.« Und Farr schien erleichtert aufzuatmen.

»Dann«, sagte er blinzelnd, »kann ich Ihnen verraten, daß Besuch da war.«

»Was für ein Besuch?« Christian tat sehr uninteressiert, obwohl er ein eigenartiges Ziehen in den Gelenken fühlte.

»Ulla«, sagte Farr und zog sich in eine Ecke zurück, wo er ohne Übergang einen Anzug zu bürsten begann. »Ulla Mortensen. Sie hätte Sie gerne gesprochen.«

»Rede keinen Unsinn.«

Farr bürstete heftig. »Es ist kein Unsinn … aber das Mädel ist famos, Herr. Die Amerikanerin kann ihr nichts vorgeben, im Gegenteil. Vier Pferdelängen. – wenn Sie den Ausdruck kennen – und sie hat so was Eigenartiges. Wenn nicht die Mabel wäre, ich würde mir's keinen Augenblick überlegen.«

»Farr«, sagte Christian ernst und heftig, »wenn du auch nur den Versuch unternimmst, das Mädel anzusehen, schlage ich dir den Schädel ein.«

Seltsamerweise schien Farr diese Drohung zu gefallen; später, als Christian zum Essen ging, sang er leise vor sich hin.

*

Der Lunch verlief, wie alle derartigen Unternehmungen zu verlaufen pflegen. Mabel schien etwas zerstreut; sie blickte mehrmals forschend umher, aber sie sagte nichts. Christian lächelte leise.

»Mein Freund ist nicht ganz wohl«, sagte er später, »und blieb in seinem Zimmer.«

»Es ist doch nichts Ernstes«, erkundigte sich die junge Dame lebhaft.

»Nein, eine kleine Indisposition. Ich glaube, er hat Ärger gehabt, und Leute, die aus so alten Familien stammen, sind für derlei Dinge äußerst empfindlich …« Er fügte eine kleine Geschichte bei, über einen ihm bekannten Fürsten, der nach jedem lebhafteren Gespräch Migräne bekam und einen Tag lang das Bett hüten mußte.

»Wenn er mal in Kolorado ist«, sagte Johnson großartig, »wird das vergehen. Sie müssen uns auch besuchen.«

»Gern«, sagte Christian, »wenn Sie nette Gesellschaft haben.«

»Was Sie nicht sagen?« Mabel riß die fragenden Kinderaugen auf und begann nervös zu werden.

»Es kann sein«, meinte Christian düster. »Er hat mir davon erzählt und dabei am ganzen Körper gezittert. Jetzt erinnere ich mich, ich mußte ihm Riechsalz geben und ihn zu Bett bringen. Sie sollten in solchen Dingen wirklich vorsichtiger sein.«

Mabel richtete sich auf; das siegreiche American-Girl brach sich unvermittelt Bahn. »Ich kann die Leute nicht sehen«, sagte sie heftig und warf ihrem Vater einen vernichtenden Blick zu. »Aber Pa will von seinen schlechten Gewohnheiten nicht lassen.«


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