Gottfried Keller
Sieben Legenden
Gottfried Keller

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Der schlimm-heilige Vitalis

Meide den traulichen Umgang mit Einem Weibe, empfiehl du überhaupt lieber das ganze andächtige Geschlecht dem lieben Gott.

Thomas a Kempis, Nachfolge, 8, 2

Im Anfang des achten Jahrhunderts lebte zu Alexandria in Ägypten ein wunderlicher Mönch, namens Vitalis, der es sich zur besondern Aufgabe gemacht hatte, verlorene weibliche Seelen vom Pfade der Sünde hinwegzulocken und zur Tugend zurückzuführen. Aber der Weg, den er dabei einschlug, war so eigentümlich, und die Liebhaberei, ja Leidenschaft, mit welcher er unablässig sein Ziel verfolgte, mit so merkwürdiger Selbstentäußerung und Heuchelei vermischt, wie in der Welt kaum wieder vorkam.

Er führte ein genaues Verzeichnis aller jener Buhlerinnen auf einem zierlichen Pergamentstreifen, und sobald er in der Stadt oder deren Umgebung ein neues Wild entdeckt, merkte er Namen und Wohnung unverweilt auf demselben vor, so daß die schlimmen Patriziersöhne von Alexandria keinen besseren Wegweiser hätten finden können, als den emsigen Vitalis, wenn er einen minder heiligen Zweck hätte verfolgen wollen. Allein wohl entlockte der Mönch ihnen in schlauem spaßhaftem Geplauder manche neue Kunde und Notiz in dieser Sache; nie aber ließ er sich dergleichen selbst ablauschen von den Wildfängen.

Jenes Verzeichnis trug er zusammengerollt in einem silbernen Büchschen in seiner Kappe und nahm es unzählige Male hervor, um einen neuentdeckten, leichtfertigen Namen beizufügen oder die bereits vorhandenen zu überblicken, zu zählen und zu berechnen, welche der Inhaberinnen demnächst an die Reihe kommen würde.

Diese suchte er dann in Eile und halb verschämt und sagte hastig: »Gewähre mir die zweite Nacht von heute und versprich keinem andern!« Wenn er zur bestimmten Zeit in das Haus trat, ließ er die Schöne stehen und machte sich in die hinterste Ecke der Kammer, fiel dort auf die Knie und betete mit Inbrunst und lauten Worten die ganze Nacht für die Bewohnerin des Hauses. Mit der Morgenfrühe verließ er sie und untersagte ihr streng, zu verraten, was er bei ihr gemacht habe.

So trieb er es eine gute Zeit und brachte sich in den allerschlechtesten Ruf. Denn während er im geheimen, in den verschlossenen Kammern der Buhlerinnen durch seine heißen Donnerworte und durch inbrünstiges süßes Gebetlispeln manche Verlorene erschütterte und rührte, daß sie in sich ging und einen frommen Lebenswandel begann, schien er es öffentlich vollständig darauf anzulegen, für einen lasterhaften und sündigen Mönch zu gelten, der sich lustig in allem Wirrsal der Welt herumschlüge und seinen geistlichen Habit als eine Fahne der Schmach aushänge.

Befand er sich des Abends, wenn es dunkelte, in ehrbarer Gesellschaft, so rief er etwa unversehens: »Ei, was mache ich doch? Bald hätt ich vergessen, daß die braune Doris meiner wartet, die kleine Freundin! Der Tausend, ich muß gleich hin, daß sie nicht schmollt!«

Schalt man ihn nun, so rief er, wie erbost: »Glaubt ihr, ich sei ein Stein? Bildet ihr euch ein, daß Gott für die Mönche keine Weiblein geschaffen habe?« Sagte jemand: »Vater, legt lieber das kirchliche Gewand ab und heiratet, damit die andern sich nicht ärgern!« so antwortete er: »Ärgere sich, wer will und mag und renne mit dem Kopfe gegen die Mauer! Wer ist mein Richter?« Alles dies sagte er mit Geräusch und großer Verstellungskunst, wie einer, der eine schlechte Sache mit vielen und frechen Worten verteidigt.

Und er ging hin und zankte sich vor den Haustüren der Mädchen mit den Nebenbuhlern herum, ja er prügelte sich sogar mit ihnen und teilte manche derbe Maulschelle aus, wenn es hieß: »Fort mit dem Mönch! Will der Kleriker uns den Platz streitig machen? Zieh ab, Glatzkopf!«

Auch war er so beharrlich und zudringlich, daß er in den meisten Fällen den Sieg davontrug und unversehens ins Haus schlüpfte.

Kehrte er beim Morgengrauen in seine Zelle zurück, so warf er sich nieder vor der Mutter Gottes, zu deren Preis und Ehre er allein diese Abenteuer unternahm und den Tadel der Welt auf sich lud, und wenn es ihm gelungen war, ein verlorenes Lamm zurückzuführen und in irgendeinem heiligen Kloster unterzubringen, so dünkte er sich seliger vor der Himmelskönigin, als wenn er tausend Heiden bekehrt hätte. Denn dies war sein ganz besonderer Geschmack, daß er das Martyrium bestand, vor der Welt als ein Unreiner und Wüstling dazustehen, während die allerreinste Frau im Himmel wohl wüßte, daß er noch nie ein Weib berührt habe und ein Kränzlein weißer Rosen unsichtbar auf seinem vielgeschmähten Haupte trage.

Einst hörte er von einer besonders gefährlichen Person, welche durch ihre Schönheit und Ungewöhnlichkeit viel Unheil und selbst Blutvergießen anrichte, da ein vornehmer und grimmiger Kriegsmann ihre Türe belagere und jeden niederstrecke, der sich mit ihm in Streit einlasse. Sogleich nahm Vitalis sich vor, diese Hölle anzugreifen und zu überwinden. Er schrieb den Namen der Sünderin nicht erst in sein Verzeichnis, sondern ging geraden Weges nach dem berüchtigten Hause und traf an der Türe richtig mit jenem Soldaten zusammen, der in Scharlach gekleidet hochmütig daherschritt und einen Wurfspieß in der Hand trug.

»Duck dich hier beiseite, Mönchlein!« rief er höhnisch dem frommen Vitalis zu, »was wagst du, an meiner Löwenhöhle herumzukrabbeln ? Für dich ist der Himmel, für uns die Welt!«

»Himmel und Erde samt allem, was darin ist«, rief Vitalis, »gehören dem Herrn und seinen fröhlichen Knechten! Pack dich, aufgeputzter Lümmel, und laß mich gehen, wo mich gelüstet!«

Zornig erhob der Krieger den Schaft seines Wurfspießes, um ihn auf den Kopf des Mönches niederzuschlagen; doch dieser zog flugs den Ast eines friedlichen Ölbaumes unter dem Gewände hervor, parierte den Streich und traf den Raufbold so derb an die Stirne, daß ihm die Sinne beinahe vergingen, worauf ihm der streitbare Kleriker noch viele Knüffe unter die Nase gab, bis der Soldat ganz betäubt und fluchend sich davonmachte.

Also drang Vitalis siegreich in das Haus, wo über einem schmalen Treppchen die Weibsperson stand, eine Lampe tragend, und auf das Lärmen und Schreien horchte. Es war eine ungewöhnlich große und feste Gestalt mit schönen großen aber trotzigen Gesichtszügen, um welche ein rötliches Haar in reichen wilden Wellen gleich einer Löwenmähne flatterte.

Verachtungsvoll schaute sie auf den anrückenden Vitalis herab und sagte: »Wohin willst du ?« – »Zu dir, mein Täubchen!« antwortete er, »hast du nie vom zärtlichen Mönch Vitalis gehört, vom lustigen Vitalis?« Allein sie versetzte barsch, indem sie die Treppe sperrte mit ihrer gewaltigen Figur: »Hast du Geld, Mönch?« Verdutzt sagte er: »Mönche tragen nie Geld mit sich!« – »So trolle dich deines Weges«, rief sie, »oder ich lasse dich mit Feuerbränden aus dem Hause peitschen!«

Ganz verblüfft kratzte Vitalis hinter den Ohren, da er diesen Fall noch nicht bedacht hatte; denn die Geschöpfe, die er bis anhin bekehrt, hatten dann natürlicherweise nicht mehr an einen Sündenlohn gedacht, und die Unbekehrten begnügten sich, ihn mit schnöden Worten für die kostbare Zeit, um die er sie gebracht, zu strafen. Hier aber konnte er gar nicht ins Innere gelangen, um seine fromme Tat zu beginnen; und doch reizte es ihn über alle Maßen, gerade diese rotschimmernde Satanstochter zu bändigen, weil große schöne Menschenbilder immer wieder die Sinne verleiten, ihnen einen höheren menschlichen Wert zuzuschreiben, als sie wirklich haben. Verlegen suchte er an seinem Gewände herum und bekam dabei jenes Silberbüchslein in die Hand, welches mit einem ziemlich wertvollen Amethyst geziert war. »Ich habe nichts, als dies«, sagte er, »laß mich hinein dafür!« Sie nahm das Büchschen, betrachtete es genau und hieß ihn dann mit hineingehen. In ihrem Schlafgemache angekommen, sah er sich nicht weiter nach ihr um, sondern kniete nach seiner Gewohnheit in eine Ecke und betete mit lauter Stimme.

Die Hetäre, welche glaubte, er wolle seine weltlichen Werke aus geistlicher Gewohnheit mit Gebet beginnen, erhob ein unbändiges Gelächter und setzte sich auf ihr Ruhbett, um ihm zuzusehen, da seine Gebärden sie höchlich belustigten. Da das Ding aber kein Ende nahm und anfing, sie zu langweilen, entblößte sie unzüchtig ihre Schultern, schritt auf ihn zu, umstrickte ihn mit ihren weißen starken Armen und drückte den guten Vitalis mit seinem geschornen und tonsurierten Kopf so derb gegen ihre Brust, daß er zu ersticken drohte und zu prusten begann, als ob er im Fegefeuer stäke. Es dauerte aber nicht lang, so fing er an, nach allen Seiten auszuschlagen, wie ein junges Pferd in der Schmiede, bis er sich von der höllischen Umschlingung befreit hatte. Dann aber nahm er den langen Strick, welchen er um den Leib trug, und packte das Weib, um ihr die Hände auf den Rücken zu binden, damit er Ruhe vor ihr habe. Er mußte jedoch tüchtig mit ihr ringen, bis es ihm gelang, sie zu fesseln; und auch die Füße band er ihr zusammen und warf den ganzen Pack mit einem mächtigen Ruck auf das Bett. Wonach er sich wieder in seinen Winkel begab und seine Gebete fortsetzte, als ob nichts geschehen wäre.

Die gefesselte Löwin wälzte sich erst zornig und unruhig hin und her, suchte sich zu befreien und stieß hundert Flüche aus; dann wurde sie stiller, während der Mönch nicht aufhörte, zu beten, zu predigen und zu beschwören, und gegen Morgen ließ sie deutliche Seufzer vernehmen, welchen bald, wie es schien, ein zerknirschtes Schluchzen folgte. Kurz, als die Sonne aufging, lag sie als eine Magdalena zu seinen Füßen, von ihren Banden befreit, und benetzte den Saum seines Gewandes mit Tränen. Würdevoll und heiter streichelte ihr Vitalis das Haupt und versprach, mit einbrechender künftiger Nacht wiederzukommen, um ihr kundzutun, in welchem Kloster er eine Bußzelle für sie ausfindig gemacht hätte. Dann verließ er sie, vergaß aber nicht, ihr vorher einzuschärfen, daß sie inzwischen nichts von ihrer Bekehrung verlauten lassen und vor allem nur jedermann, der sie darum befragen würde, sagen solle, er habe sich recht lustig bei ihr gemacht.

Allein wie erschrak er, als er, zur bestimmten Stunde wieder erscheinend, die Türe fest verschlossen fand, indessen das Frauenzimmer frisch geschmückt und stattlich aus dem Fenster sah.

»Was willst du, Priester?« rief sie herunter, und erstaunt erwiderte er halblaut: »Was soll das heißen, mein Lämmchen? Tu von dir diesen Sündenflitter und laß mich ein, daß ich dich zu deiner Buße vorbereite!« – »Du willst zu mir herein, schlimmer Mönch?« sagte sie lächelnd, als ob sie ihn mißverstanden hätte, »hast du Geld oder Geldeswert bei dir?« Mit offenem Munde starrte Vitalis empor; dann rüttelte er verzweifelt an der Türe; aber sie war und blieb verschlossen und vom Fenster war das Weib auch verschwunden.

Das Gelächter und die Verwünschungen der Vorübergehenden trieben den scheinbar verdorbenen und schamlosen Mönch endlich von dem verrufenen Hause hinweg; allein sein einziges Sinnen und Trachten ging dahin, wieder in das nämliche Haus zu gelangen und den Bösen, der in dem Weibe steckte, auf jede Weise zu überwinden.

Von diesem Gedanken beherrscht lenkte er seine Schritte in eine Kirche, wo er, statt zu beten, über Mittel und Wege sann, wie er sich den Zutritt bei der Verlorenen verschaffen könne. Indem fiel sein Blick auf die Lade, in welcher die Gaben der Mildtätigkeit aufbewahrt lagen, und kaum war die Kirche, in welcher es dunkel geworden, leer, so schlug er die Lade mit kräftiger Faust auf und warf ihren Inhalt, der aus einer Menge kleiner Silberlinge bestand, in seine aufgeschürzte Kutte und eilte schneller, als ein Verliebter, nach der Wohnung der Sünderin.

Eben wollte ein zierlicher Stutzer in die aufgehende Türe schlüpfen; Vitalis ergriff ihn hinten an den duftenden Locken, schleuderte ihn auf die Gasse und schlug die Türe, indem er hineinsprang, jenem vor der Nase zu, und so stand er nach einigen Augenblicken abermals vor der ruchlosen Person, welche ihn mit funkelnden Augen besah, da er statt des erwarteten Stutzers erschien. Vitalis schüttelte aber schnell das gestohlene Geld auf den Tisch und sagte: »Genügt das für diese Nacht ?« Stumm aber sorgfältig zählte sie das Gut und sagte dann: »Es genügt!« und tat es beiseite.

Nun standen sie sich sonderbarlich gegenüber. Das Lachen verbeißend schaute sie darein, als ob sie von nichts wüßte, und der Mönch prüfte sie mit ungewissen und kummervollen Blicken und wußte nicht, wie er es anpacken sollte, sie zur Rede zu stellen. Als aber sie plötzlich in verlockende Gebärden überging und mit der Hand in seinen glänzenden dunkeln Bart fahren wollte, da brach das Gewitter seines geistlichen Gemütes mächtig los, zornig schlug er ihr auf die Hand, warf sie dann auf ihr Bett, daß es erzitterte, und indem er auf sie hinkniete und ihre Hände festhielt, fing er, ungerührt von ihren Reizen, dergestalt an ihr in die Seele zu reden, daß ihre Verstocktheit endlich sich zu lösen schien.

Sie ließ nach in den gewaltsamen Anstrengungen, sich zu befreien, häufige Tränen flossen über das schöne und kräftige Gesicht, und als der eifrige Gottesmann sie nun freigab und aufrecht an ihrem Sündenlager stand, lag die große Gestalt auf demselben mit ausgestreckten müden Gliedern, wie von Reue und Bitterkeit zerschlagen, schluchzend und die umflorten Augen nach ihm richtend, wie verwundert über diese unfreiwillige Verwandlung.

Da verwandelte sich auch das Ungewitter seines beredten Zornes in weiche Rührung und inniges Mitleid; er pries innerlich seine himmlische Beschützerin, welcher zu Ehren ihm dieser schwerste aller Siege gelungen war, und seine Rede floß jetzt versöhnend und tröstend wie lindes Frühlingswehen über das gebrochene Eis dieses Herzens.

Fröhlicher, als wenn er das lieblichste Glück genossen hätte, eilte er von dannen, aber nicht, um auf seinem harten Lager noch ein Stündchen Schlaf zu finden, sondern um vor dem Altare der Jungfrau für die arme reuevolle Seele zu beten, bis der Tag vollends angebrochen wäre; denn er gelobte, kein Auge zu schließen, bis das verirrte Lamm nunmehr sicher hinter den schützenden Klostermauern verwahrt sei. Kaum war auch der Morgen lebendig geworden, so machte er sich wieder auf den Weg nach ihrem Hause, sah aber auch gleichzeitig vom andern Ende der Straße den wilden Kriegsmann daherkommen, welcher nach einer durchschwelgten Nacht, halb betrunken, es sich in den Kopf gesetzt hatte, die Hetäre endlich wiederzuerobern.

Vitalis war näher an der unseligen Türe und behende sprang er darauf zu, um sie vollends zu erreichen; da schleuderte jener den Speer nach ihm, der dicht neben des Mönches Kopf in der Tür steckenblieb, daß der Schaft zitterte. Aber noch ehe er ausgezittert, riß ihn der Mönch mit aller Kraft aus dem Holz, kehrte sich gegen den wütend herbeigesprungenen Soldaten, der ein bloßes Schwert zückte, und trieb ihm mit Blitzesschnelle den Speer durch die Brust; tot sank der Mann zusammen und Vitalis wurde fast im selbigen Augenblicke durch einen Trupp Kriegsknechte, die von der Nachtwache kamen und seine Tat gesehen, gefangengenommen, gebunden und in den Kerker geführt.

Wahrhaft kummervoll schaute er nach dem Häuschen zurück, in welchem er sein gutes Werk nun nicht vollenden konnte; die Wächter glaubten, er bedaure lediglich seinen Unstern, von einem sündhaften Vorsatz abgelenkt zu sein, und traktierten den vermeintlich unverbesserlichen Mönch mit Schlägen und Schimpfworten, bis er im Gefängnis war.

Dort mußte er viele Tage liegen, mehrfach vor den Richter gestellt; zwar wurde er am Ende straflos entlassen, weil er den Mann in der Notwehr umgebracht. Doch ging er immerhin als ein Totschläger aus dem Handel hervor und jedermann rief, daß man ihm endlich das geistliche Gewand abnehmen sollte. Der Bischof Johannes, welcher dazumal in Alexandria vorstand, mußte aber irgendeine Ahnung von dem wahren Sachverhalt oder sonst einen höheren Plan gefaßt haben, da er sich weigerte, den verrufenen Mönch aus der Klerisei zu stoßen, und befahl, denselben einstweilen noch seinen seltsamen Weg wandeln zu lassen.

Dieser führte ihn ohne Aufenthalt zu der bekehrten Sünderin zurück, welche sich mittlerweile abermals umgekehrt hatte und den erschrockenen und bekümmerten Vitalis nicht eher hereinließ, bis er wiederum irgendwo einen Wertgegenstand entwendet und ihr gebracht. Sie bereute und bekehrte sich zum drittenmal, und auf gleiche Weise zum vierten- und fünftenmal, da sie diese Bekehrungen einträglicher fand, als alles andere, und überdies der böse Geist in ihr ein höllisches Vergnügen empfand, mit wechselnden Künsten und Erfindungen den armen Mönch zu äffen.

Dieser war jetzt wirklich von innen heraus ein Märtyrer; denn je ärger er getäuscht wurde, desto weniger konnte er von seinem Bemühen lassen, und es dünkte ihn, als ob seine eigene Seligkeit gerade von der Besserung dieser einen Person abhänge. Er war jetzt bereits ein Totschläger, Kirchenräuber und Dieb; allein lieber hätt er sich eine Hand abgehauen, als den geringsten Teil seines Rufes als Wüstling aufgegeben, und wenn dies alles ihm endlich in seinem Herzen schwer und schwerer zu tragen war, so bestrebte er sich um so eifriger, vor der Welt die schlimme Außenseite mit frivolen Worten aufrechtzuhalten. Denn diese märtyrliche Spezialität hatte er einmal erwählt. Doch wurde er bleich und schmal dabei und fing an, herumzuschleichen, wie ein Schatten an der Wand, aber immer mit lachendem Munde.

Gegenüber jenem Hause der Prüfung nun wohnte ein reicher griechischer Kaufmann, der ein einziges Töchterchen besaß, Jole geheißen, welche tun konnte, was ihr beliebte, und daher nicht recht wußte, was sie den langen Tag hindurch beginnen sollte. Denn ihr Vater, der sich zur Ruhe gesetzt hatte,, studierte den Plato, und wenn er dessen müde war, so verfaßte er zierliche Xenien über die geschnittenen antiken Steine, deren er eine Menge sammelte und besaß. Jole hingegen, wenn sie ihr Saitenspiel beiseite gestellt hatte, wußte ihren lebhaften Gedanken keinen Ausweg und guckte unruhig in den Himmel und in die Ferne, wo sich eine Öffnung bot.

So entdeckte sie auch den Verkehr des Mönches in der Straße und erfuhr, welche Bewandtnis es mit dem berüchtigten Klerikus habe. Erschreckt und scheu betrachtete sie ihn von ihrem sicheren Versteck aus und konnte nicht umhin, seine stattliche Gestalt und sein männliches Aussehen zu bedauern. Als sie aber von einer Sklavin, welche mit der Sklavin der bösen Buhlerin vertraut war, vernahm, wie Vitalis von letzterer betrogen würde und wie es sich in Wahrheit mit ihm verhalte, da verwunderte sie sich über alle Maßen, und weit entfernt, dies Martyrium zu verehren, befiel sie ein seltsamer Zorn und sie hielt diese Art Heiligkeit der Ehre ihres Geschlechts nicht für zuträglich. Sie träumte und grübelte eine Weile darüber, und immer unzufriedener wurde sie, während gleichzeitig ihre Teilnahme für den Mönch sich erhöhte und mit jenem Zorne kreuzte.

Plötzlich entschloß sie sich, wenn die Jungfrau Maria nicht so viel Verstand habe, den Verirrten auf einen wohlanständigeren Weg zu führen, dies selbst zu übernehmen und ihr etwas ins Handwerk zu pfuschen, nicht ahnend, daß sie selbst das unbewußte Werkzeug der bereits einschreitenden Himmelskönigin war. Und alsogleich ging sie zu ihrem Vater, beschwerte sich bitterlich über die unangemessene Nachbarschaft der Buhldirne und beschwor ihn, dieselbe um jeden Preis vermittelst seines Reichtums und augenblicklich zu entfernen.

Der Alte verfügte sich, nach ihrer Anweisung, auch sogleich zu der Person und bot ihr eine gewisse Summe für ihr Häuschen, wenn sie es zur Stunde verlassen und ganz aus dem Revier wegziehen wolle. Sie verlangte nichts Besseres und war noch am gleichen Vormittag aus der Gegend verschwunden, während der Alte wieder hinter seinem Plato saß und sich nicht weiter um die Sache kümmerte.

Desto eifriger war nun Jole, das Häuschen von unten bis oben von allem räumen zu lassen, was an die frühere Besitzerin erinnern konnte, und als es gänzlich ausgefegt und gereinigt war, ließ sie es mit feinen Spezereien so durchräuchern, daß die wohlduftenden Rauchwolken aus allen Fenstern drangen.

Dann ließ sie in das leere Gemach nichts als einen Teppich, einen Rosenstock und eine Lampe hinübertragen, und als ihr Vater, welcher mit der Sonne zur Ruhe ging, eingeschlafen war, ging sie selbst hin, das Haar mit einem Rosenkränzlein geschmückt, und setzte sich mutterseelenallein auf den ausgebreiteten Teppich, indessen zwei zuverlässige alte Diener die Haustüre bewachten.

Dieselben jagten verschiedene Nachtschwärmer davon; sobald sie dagegen den Vitalis herankommen sahen, verbargen sie sich und ließen ihn ungehindert in die offene Tür treten. Mit vielen Seufzern stieg er die Treppe hinan, voll Furcht, sich abermals genarrt zu sehen, und voll Hoffnung, endlich von dieser Last befreit zu werden durch die aufrichtige Reue eines Geschöpfes, welches ihn verhinderte, so viele andere Seelen zu retten. Allein wie erstaunte er, als er, in das Gemach getreten, dasselbe von all dem Flitterstaat der wilden roten Löwin geleert und statt ihrer eine anmutige und zarte Gestalt auf dem Teppich sitzend fand, das Rosenstöckchen sich gegenüber auf demselben Boden.

»Wo ist die Unselige, die hier wohnte!« rief er, indem er verwundert um sich schaute und dann seine Blicke auf der lieblichen Erscheinung ruhen ließ, die er vor sich sah.

»Sie ist fortgewandert in die Wüste«, erwiderte Jole ohne aufzublicken, »dort will sie das Leben einer Einsiedlerin führen und büßen; denn es hat sie diesen Morgen plötzlich übernommen und darniedergeworfen gleich einem Grashalm, und ihr Gewissen ist endlich aufgewacht. Sie rief nach einem gewissen Priester Vitalis, daß er ihr beistehen möchte. Allein der Geist, der in sie gefahren, ließ sie nicht länger harren; die Törin raffte alle ihre Habe zusammen, verkaufte sie und gab das Geld den Armen, worauf sie stehenden Fußes in einem härenen Hemd und mit abgeschnittenem Haar, einen Stecken in der Hand, hinauszog, wo die Wildnis ist.«

»Gepriesen seist du, Herr! und gelobt deine gnadenvolle Mutter!« rief Vitalis, voll fröhlicher Andacht die Hände faltend, indem es ihm wie eine Steinlast vom Herzen fiel; zugleich aber betrachtete er das Mädchen mit seinem Rosenkränzchen genauer und sprach: »Warum sagtest du: die Törin? Und wer bist du? Von woher kommst du und was hast du vor?«

Die liebliche Jole richtete jetzt ihr dunkles Auge noch tiefer zur Erde; sie beugte sich vornüber und eine hohe Schamröte übergoß ihr Gesicht, da sie sich selbst der argen Dinge schämte, die sie vor einem Manne zu sagen, im Begriffe war.

»Ich bin«, sagte sie, »eine verstoßene Waise, die weder Vater noch Mutter mehr hat. Dieser Teppich, diese Lampe und dieser Rosenstock sind die letzten Überbleibsel von meinem Erbe, und damit habe ich mich hier niedergelassen, um das Leben zu beginnen, das jene verlassen hat, welche vor mir hier wohnte!«

»Ei, so soll dich doch –!« rief der Mönch und schlug die Hände zusammen, »seht mir einmal an, wie fleißig der Teufel ist! Und dies harmlose Tierlein hier sagt das Ding so trocken daher, wie wenn ich nicht der Vitalis wäre! Nun, mein Kätzchen, was willst du tun? Sag's doch noch einmal!«

»Ich will mich der Liebe weihen und den Männern dienen, solange diese Rose lebt!« sagte sie und zeigte flüchtig auf den Strauch; doch brachte sie die Worte kaum heraus und versank vor Scheu beinah in den Boden, so duckte sie sich zusammen, und diese natürliche Scham diente der Schelmin sehr gut, den Mönch zu überzeugen, daß er es hier mit einer kindlichen Unschuld zu tun habe, die nur vom Teufel besessen mit beiden Füßen in den Abgrund springen wolle. Er strich sich vor Vergnügen den Bart, einmal so zur rechten Zeit auf dem Platz erschienen zu sein, und um sein Behagen noch länger zu genießen, sagte er langsam und humoristisch: »Und dann nachher, mein Täubchen?«

»Nachher will ich in die Hölle fahren als eine allerärmste Seele, wo die schöne Frau Venus ist, oder vielleicht auch, wenn ich einen guten Prediger finde, etwa später in ein Kloster gehen und Buße tun!«

»Gut so, immer besser!« rief er, »das ist ja ein ordentlicher Kriegsplan und gar nicht übel erraten! Denn was den Prediger betrifft, so ist er schon da, er steht vor dir, du schwarzäugiges Höllenbrätchen! Und das Kloster ist dir auch schon hergerichtet wie eine Mausfalle, nur daß man ungesündigt hineinspaziert, verstanden? Ungesündigt bis auf den sauberen Vorsatz, der indessen einen erklecklichen Reueknochen für dein ganzes Leben abgeben und nützlich sein mag; denn sonst wärst du kleine Hexe auch gar zu possierlich und scherzhaft für eine rechte Büßerin! Aber nun«, fuhr er mit ernster Stimme fort, »herunter vorerst mit den Rosen vom Kopf und dann aufmerksam zugehört!«

»Nein«, sagte Jole etwas kecker, »erst will ich zuhören und dann sehen, ob ich die Rosen herunternehme. Nachdem ich einmal mein weibliches Gefühl überwunden, genügen Worte nicht mehr mich abzuhalten, eh ich die Sünde kenne, und ohne Sünde werde ich keine Reue kennen, dies gebe ich dir zu bedenken, ehe du dich bemühst! Aber immerhin will ich dich anhören!«

Jetzt begann Vitalis seine schönste Predigt, die er je gehalten. Das Mädchen hörte ihm anmutig und aufmerksam zu und ihr Anblick übte einen erheblichen Einfluß auf die Wahl seiner Worte, ohne daß er dessen inneward, da die Schönheit und Feinheit des zu bekehrenden Gegenstandes wie von selbst eine erhöhte Beredsamkeit hervorrief. Allein da es ihr nicht im mindesten ernst war mit dem, was sie frevelhafterweise vorgab, so konnte die Rede des Mönches sie auch nicht sehr erschüttern; ein liebliches Lachen schwebte vielmehr um ihren Mund, und als er geendigt und sich erwartungsvoll den Schweiß von der Stirne wischte, sagte Jole: »Ich bin nur halb gerührt von deinen Worten und kann mich nicht entschließen, mein Vorhaben aufzugeben; denn ich bin allzu neugierig, wie es sich in Lust und Sünden lebe!«

Wie versteinert stand Vitalis da und wußte nicht ein einziges Wort hervorzubringen. Es war das erstemal, daß ihm seine Bekehrungskunst gar so rund fehlgeschlagen. Seufzend und nachsinnend ging er im Gemach auf und nieder und besah dann wieder die kleine Höllenkandidatin. Die Kraft des Teufels schien sich hier auf unheimliche Weise mit der Kraft der Unschuld zu verbinden, um ihm zu widerstehen. Aber um so leidenschaftlicher gedachte er dennoch obzusiegen.

»Ich geh nicht von der Stelle«, rief er endlich, »bis du bereust, und sollt ich drei Tage und drei Nächte hier zubringen!«

»Das würde mich nur hartnäckiger machen«, erwiderte Jole, »ich will mir aber Bedenkzeit nehmen und die kommende Nacht dich wieder anhören. Jetzt bricht der Tag bald an, geh deines Weges, indessen versprech ich, nichts in der Sache zu tun und in meinem jetzigen Zustand zu verbleiben, wogegen du versprechen mußt, nirgends meiner Person zu erwähnen und nur in dunkler Nacht hieherzukommen!«

»Es sei so!« rief Vitalis, machte sich fort und Jole schlüpfte rasch in ihr väterliches Haus zurück.

Sie schlief nur kurze Zeit und erwartete mit Ungeduld den Abend, weil ihr der Mönch, dem sie die Nacht durch so nahe gewesen, noch besser gefallen hatte, als sonst aus der Ferne. Sie sah jetzt, welch ein schwärmerisches Feuer in seinen Augen glühte und wie entschieden, trotz der geistlichen Kleidung, alle seine Bewegungen waren. Wenn sie sich dazu seine Selbstverleugnung vergegenwärtigte, seine Ausdauer in dem einmal Erwählten, so konnte sie nicht umhin, diese guten Eigenschaften zu ihrem eigenen Nutzen und Vergnügen verwendet zu wünschen, und zwar in Gestalt eines verliebten und getreuen Ehemannes. Ihre Aufgabe war demnach, aus einem wackeren Märtyrer einen noch besseren Ehemann zu machen.

In der kommenden Nacht fand sie Vitalis zeitig wieder auf ihrem Teppich, und er setzte seine Bemühungen um ihre Tugend mit unvermindertem Eifer fort. Er mußte fortwährend dazu stehen, wenn er nicht zu einem Gebete niederkniete. Jole dagegen machte es sich bequem; sie legte sich mit dem Oberleib auf den Teppich zurück, schlang die Arme um den Kopf und betrachtete aus halbgeschlossenen Augen unverwandt den Mönch, der vor ihr stand und predigte. Einigemal schloß sie die Augen, wie vom Schlummer beschlichen, und sobald Vitalis das gewahrte, stieß er sie mit dem Fuße an, um sie zu wecken. Aber diese mürrische Maßregel fiel dennoch jedesmal milder aus, als er beabsichtigte; denn sobald der Fuß sich der schlanken Seite des Mädchens näherte, mäßigte er von selbst seine Schwere und berührte nur sanft die zarten Rippen, und dessenungeachtet strömte dann eine gar seltsamliche Empfindung den ganzen langen Mönch hinauf, eine Empfindung, die sich bei allen den vielen schönen Sünderinnen, mit denen er bisher verkehrt, im entferntesten nie eingestellt hatte.

Jole nickte gegen Morgen immer häufiger ein; endlich rief Vitalis unwillig: »Kind, hörst du nicht, du bist nicht zu erwecken, du verharrst in Trägheit!«

»Nicht doch«, sagte sie, indem sie die Augen plötzlich aufschlug und ein süßes Lächeln über ihr Gesicht flog, gleichsam als wenn der nahende Tag schon darauf zu sehen wäre, »ich habe gut aufgemerkt, ich hasse jetzt jene elende Sünde, die mir um so widerwärtiger geworden, als sie dir Ärgernis erregt, lieber Mönch; denn nichts könnte mir mehr gefallen, was dir mißfällt!«

»Wirklich?« rief er voll Freuden, »so ist es mir doch gelungen? Jetzt komm nur gleich in das Kloster, damit wir deiner sicher sind. Wir wollen diesmal das Eisen schmieden, weil es noch warm ist!«

»Du verstehst mich nicht recht«, erwiderte Jole und schlug errötend die Augen wieder zur Erde, »ich bin in dich verliebt und habe eine zärtliche Neigung zu dir gefaßt!«

Vitalis empfand augenblicklich, wie wenn ihm eine Hand aufs Herz schlüge, ohne daß es ihn jedoch dünkte, weh zu tun. Beklemmt sperrte er die Augen und den Mund auf und stand da.

Jole aber fuhr fort, indem sie noch röter wurde, und sagte leise und sanft: »Nun mußt du mir auch noch dies neue Unheil ausreden und verbannen, um mich gänzlich vom Übel zu befreien, und ich hoffe, daß es dir gelingen werde!«

Vitalis, ohne ein Wort zu sagen, machte kehrtum und rannte aus dem Hause. Er lief in den silbergrauen Morgen hinaus, statt sein Lager aufzusuchen, und überlegte, ob er diese verdächtige junge Person ein für allemal ihrem Schicksal überlassen oder versuchen solle, ihr diese letzte Grille auch noch auszutreiben, welche ihm die bedenklichste von allen und für ihn selbst nicht ganz ungefährlich schien. Doch eine zornige Schamröte stieg ihm ins Haupt bei dem Gedanken, daß dergleichen für ihn selbst gefährlich sein sollte; aber dann fiel ihm gleich wieder ein, der Teufel könnte ihm ein Netz gestellt haben, und wenn dem so wäre, so sei dieses am besten beizeiten zu fliehen. Aber feldflüchtig werden vor solchem federleichten Teufelsspuk? Und wenn das arme Geschöpfchen wirklich es gut meinte und durch einige kräftige grobe Worte von seiner letzten unzukömmlichen Phantasie zu heilen wäre? Kurz, Vitalis konnte nicht mit sich einig werden, und das um so weniger, als auf dem Grunde seines Herzens bereits ein dunkles Wogen das Schifflein seiner Vernunft zum Schaukeln brachte.

Er schlüpfte daher in seiner Bedrängnis in ein Gotteshäuschen, wo vor kurzem ein schönes altes Marmorbild der Göttin Juno, mit einem goldenen Heiligenschein versehen, als Marienbild aufgestellt worden war, um diese Gottesgabe der Kunst nicht umkommen zu lassen. Vor dieser Maria warf er sich nieder und trug ihr inbrünstig seinen Zweifel vor, und er bat seine Meisterin um ein Zeichen. Wenn sie mit dem Kopfe nicke, so wolle er die Bekehrung vollenden, wenn sie ihn schüttle, so wolle er davon abstehen.

Allein das Bild ließ ihn in der grausamsten Ungewißheit und tat keins von beidem, weder nickte es, noch schüttelte es den Kopf. Nur als ein rötlicher Schein vorüberziehender Frühwolken über den Marmor flog, schien das Gesicht auf das holdeste zu lächeln, mochte es nun sein, daß die alte Göttin, die Beschützerin ehelicher Zucht und Sitte, sich bemerklich machte, oder daß die neue über die Not ihres Verehrers lachen mußte; denn im Grunde waren beides Frauen und diese lächert es immer, wenn ein Liebeshandel im Anzug ist. Aber Vitalis wurde davon nicht klüger; im Gegenteil machte ihm die Schönheit des Anblickes noch wunderlicher zumut, ja merkwürdigerweise schien das Bild die Züge der errötenden Jole anzunehmen, welche ihn aufforderte, ihr die Liebe zu ihm aus dem Sinne zu treiben.

Indessen wandelte um die gleiche Zeit der Vater Joles unter den Zypressen seines Gartens umher; er hatte einige sehr schöne neue Steine erworben, deren Bildwerke ihn so früh auf die Beine gebracht. Entzückt betrachtete er dieselben, indem er sie in der aufgehenden Sonne spielen ließ. Da war ein nächtlicher Amethyst, worauf Luna ihren Wagen durch den Himmel führte, nicht ahnend, daß sich Amor hinten aufgehockt, während umherschwärmende Amoretten auf griechisch ihr zuriefen: Es sitzt einer hintenauf! Ein prächtiger Onyx zeigte Minerva, welche achtlos sinnend den Amor auf dem Schoße hielt, der mit seiner Hand eifrig ihren Brustharnisch polierte, um sich darin zu spiegeln. Auf einem Karneol endlich tummelte sich Amor als ein Salamander in einem vestalischen Feuer herum und setzte die Hüterin desselben in Verwirrung und Schrecken.

Diese Szenen reizten den Alten zu einigen Distichen und er besann sich, welches er zuerst in Angriff nehmen wolle, als sein Töchterchen Jole blaß und überwacht durch den Garten kam. Besorgt und verwundert rief er sie an und fragte, was ihr den Schlaf geraubt habe ? Ehe sie aber antworten konnte, zeigte er ihr seine Kleinode und erklärte ihr den Sinn derselben.

Da tat sie einen tiefen Seufzer und sagte: »Ach, wenn alle diese großen Mächte, die Keuschheit selbst, die Weisheit und die Religion sich nicht vor der Liebe bewahren können, wie soll ich armes unbedeutendes Geschöpf mich wider sie befestigen?«

Über diese Worte erstaunte der alte Herr nicht wenig. »Was muß ich hören?« sagte er, »sollte dich das Geschoß des starken Eros getroffen haben?«

»Es hat mich durchbohrt«, erwiderte sie, »und wenn ich nicht binnen Tag und Nacht im Besitz des Mannes bin, welchen ich liebe, so bin ich des Todes!«

Obgleich nun der Vater gewohnt war, ihr in allem zu willfahren, was sie begehrte, so war ihm diese Eile jetzt doch etwas zu heftig und er mahnte die Tochter zu Ruhe und Besonnenheit. Letztere fehlte ihr aber keineswegs und sie gebrauchte dieselbe so gut, daß der Alte ausrief: »So soll ich denn die elendeste aller Vaterpflichten ausüben, indem ich nach dem Erwählten, nach dem Männchen auslaufe und es an der Nase zum Besten hinführe, was ich mein nenne, und ihn bitte, doch ja Besitz davon zu nehmen? Hier ist ein schmuckes Weibchen, lieber Herr, bitte, verschmäh es nicht! Ich möchte dir zwar lieber einige Ohrfeigen geben, aber das Töchterchen will sterben und ich muß höflich sein! Also laß dir's doch in Gnaden belieben, genieße ums Himmels willen das Pastetchen, das sich dir bietet! Es ist trefflich gebacken und schmilzt dir auf der Zunge!«

»Alles das ist uns erspart«, sagte Jole, »denn wenn du es nur erlaubst, so hoffe ich ihn dazu zu bringen, daß er von selbst kommt und um mich anhält.«

»Und wenn er alsdann, den ich gar nicht kenne, ein Schlingel und ein Taugenichts ist?«

»Dann soll er mit Schimpf weggejagt werden! Er ist aber ein Heiliger!«

»So geh denn und überlaß mich den Musen!« sagte der gute Alte.

Als der Abend kam, folgte die Nacht nicht so schnell der Dämmerung, als Vitalis hinter Jole her im bekannten Häuschen erschien. Aber so war er noch nie hier eingetreten. Das Herz klopfte ihm und er mußte empfinden, was es heiße, ein Wesen wiederzusehen, das einen solchen Trumpf ausgespielt hat. Ein anderer Vitalis stieg die Treppe hinauf, als in der Frühe heruntergestiegen war, obschon er selbst am wenigsten davon verstand, da der arme Mädchenbekehrer und verrufene Mönch nicht einmal den Unterschied zwischen dem Lächeln einer Buhldirne und demjenigen einer ehrlichen Frau gekannt hatte.

Doch kam er immerhin in der guten Meinung und mit dem alten Vorsatze, dem Ungeheuerchen jetzt endlich alle unnützen Gedanken aus dem Köpfchen zu treiben; nur schwebte ihm vor, als ob er nach gelungenem Werke dann doch etwa eine Pause in seiner Märtyrertätigkeit sich erlauben möchte, zumal ihn diese sehr zu ermüden begann.

Aber es war ihm beschieden, daß in dieser verhexten Behausung stets neue Überraschungen seiner warteten. Als er jetzt das Gemach betrat, war es aufs anmutigste ausgeziert und mit allen Wohnlichkeiten versehen. Ein fein einschmeichelnder Blumenduft erfüllte den Raum und stimmte zu einer gewissen sittigen Weltlichkeit; auf einem blühweißen Ruhebett, an dessen Seide kein unordentliches Fältchen sichtbar war, saß Jole herrlich geschmückt, in süß bekümmerter Melancholie, gleich einem spintisierenden Engel. Unter dem schönfaltigen Brustkleide wogte es so rauh, wie der Sturm in einem Milchbecher, und so schön die weißen Arme erglänzten, die sie unter der Brust übereinandergelegt hatte, so sah doch all dieser Reiz so gesetzlich und erlaubt in die Welt, daß Vitalissens gewohnte Redekunst in seinem Halse steckenblieb.

»Du bist verwundert, schönster Mönch!« begann Jole, »diesen Staat und Putz hier zu finden! Wisse, dies ist der Abschied, den ich von der Welt zu nehmen gedenke, und damit will ich zugleich die Neigung ablegen, die ich leider zu dir empfinden muß. Allein dazu sollst du mir helfen nach deinem besten Vermögen und auf die Art, wie ich mir ausgedacht habe und wie ich von dir verlange. Wenn du nämlich in diesem Gewande und als geistlicher Mann zu mir sprichst, so ist das immer das gleiche, und das Gebaren eines Klerikers vermag mich nicht zu überzeugen, da ich der Welt angehöre. Ich kann nicht durch einen Mönch von der Liebe geheilt werden, da er sie nicht kennt und nicht weiß, von was er spricht. Ist es dir daher recht ernst, mir Ruhe zu geben und mich dem Himmel zuzuwenden, so geh in jenes Kämmerlein, wo weltliche Gewänder bereitliegen. Dort vertausche deinen Mönchshabit mit jenen, schmücke dich als Weltmann, setze dich nachher zu mir, um gemeinsam mit mir ein kleines Mahl einzunehmen, und in dieser weltlichen Lage biete alsdann all deinen Scharfsinn und Verstand auf, mich von dir ab- und der Gottseligkeit zuzudrängen!«

Vitalis erwiderte hierauf nichts, sondern besann sich eine Weile; sodann beschloß er, alle Beschwerde nun mit einem Schlage zu enden und den Weltteufel wirklich mit seinen eigenen Waffen zu Paaren zu treiben, indem er auf Joles eigensinnigen Vorschlag einging.

Er begab sich also wirklich in das anstoßende Gemach, wo ein paar Knechtlein mit prächtigen Gewändern in Linnen und Purpur seiner harrten. Kaum hatte er dieselben angezogen, so schien er um einen Kopf höher zu sein, und er schritt mit edlem Anstand zu Jolen zurück, welche mit den Augen an ihm hing und freudevoll in die Hände klatschte. Nun geschah aber ein wahres Wunder und eine seltsame Umwandlung mit dem Mönch; denn kaum saß er in seinem weltlichen Staat neben dem anmutvollen Weibe, so war die nächste Vergangenheit wie weggeblasen aus seinem Gehirn und er vergaß gänzlich seines Vorsatzes. Anstatt ein einziges Wort hervorzubringen, lauschte er begierig auf Joles Worte, welche seine Hand ergriffen hatte und ihm nun ihre wahre Geschichte erzählte, nämlich wer sie sei, wo sie wohne und wie es ihr sehnlichster Wunsch wäre, daß er seine eigentümliche Lebensweise verlassen und bei ihrem Vater sich um ihre Hand bewerben möchte, auf daß er ein guter und Gott gefälliger Ehemann würde. Sie sagte noch viele wundersame Dinge in den zierlichsten Worten über eine glückliche und tugendreiche Liebesgeschichte, schloß aber mit dem Seufzer, daß sie wohl einsehe, wie vergeblich ihre Sehnsucht sei, und daß er nun sich bemühen möge, ihr alle diese Dinge auszureden, aber nicht, bevor er sich durch Speise und Trank gehörig dazu gestärkt habe.

Nun trugen auf ihren Wink ihre Leute Trinkgefäße auf den Tisch nebst einem Körbchen mit Backwerk und Früchten. Jole mischte dem stillen Vitalis eine Schale Wein und reichte ihm liebevoll etwas zu essen, so daß er sich wie zu Hause fühlte und ihm fast seine Kinderjahre in den Sinn kamen, wo er als Knäbchen zärtlich von seiner Mutter gespeist worden. Er aß und trank, und als dies geschehen, da war es ihm, als ob er nun vorerst von langer Mühsal ausruhen möchte, und siehe da, mein Vitalis neigte sein Haupt zur Seite, nach Jolen hin, und schlief ohne Säumnis ein und bis die Sonne aufging.

Als er erwachte, war er allein und niemand weder zu sehen noch zu hören. Heftig sprang er auf und erschrak über das glänzende Gewand, in dem er steckte; hastig stürmte er durch das Haus von oben bis unten, seine Mönchskutte zu suchen; aber nicht die kleinste Spur war davon zu finden, bis er in einem kleinen Höfchen einen Haufen Kohlen und Asche sah, auf welchem ein halbverbrannter Ärmel seines Priestergewandes lag, so daß er mit Recht vermutete, dasselbe sei hier feierlich verbrannt worden. Er steckte nun vorsichtig den Kopf bald durch diese, bald durch jene Öffnung auf die Straße und zog sich jedesmal zurück, wenn jemand nahte. Endlich warf er sich auf das seidene Ruhbett, so bequem und lässig, als ob er nie auf einem harten Mönchslager geruht hätte; dann raffte er sich zusammen, ordnete das Gewand und schlich aufgeregt an die Haustüre. Dort zögerte er noch ein Weilchen; plötzlich aber riß er sie weit auf und ging mit Glanz und Würde ins Freie. Niemand erkannte ihn; alles hielt ihn für einen großen Herren aus der Ferne, welcher sich hier zu Alexandria einige gute Tage mache.

Er sah indessen weder rechts noch links, sonst würde er Jole auf der Zinne ihres Hauses gesehen haben. So ging er denn geraden Weges nach seinem Kloster, wo aber sämtliche Mönche samt ihrem Vorsteher eben beschlossen hatten, ihn aus ihrer Mitte zu verstoßen, weil das Maß seiner Sünden nun voll sei und er nur zum Ärgernis und Schaden der Kirche gereiche. Als sie ihn gar in seinem weltlichen hoffärtigen Aufzuge ankommen sahen, stieß das dem Fasse ihrer Langmut vollends den Boden aus; sie besprengten und begossen ihn mit Wasser von allen Seiten und trieben ihn mit Kreuzen, Besen, Gabeln und Kochlöffeln aus dem Kloster.

Diese schnöde Behandlung wäre ihm zu anderer Zeit ein Hochgenuß und Triumph seines Märtyrtums gewesen. Jetzt lachte er zwar auch inwendig, aber in ziemlich anderem Sinne. Noch ging er einmal um die Ringmauern der Stadt herum und ließ seinen roten Mantel im Winde fliegen; eine herrliche Luft wehte vom heiligen Lande her über das blitzende Meer, aber Vitalis wurde immer weltlicher im Gemüt und unversehens lenkte er seinen Gang wieder in die geräuschvollen Straßen der Stadt, suchte das Haus, wo Jole wohnte, und erfüllte deren Willen.

Er wurde jetzt ein ebenso trefflicher und vollkommener Weltmann und Gatte, als er ein Märtyrer gewesen war; die Kirche aber, als sie den wahren Tatbestand vernahm, war untröstlich über den Abgang eines solchen Heiligen und wendete alles an, den Flüchtigen wieder in ihren Schoß zu ziehen. Allein Jole hielt ihn fest und meinte, er sei bei ihr gut genug aufgehoben.


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