Gottfried Keller
Sieben Legenden
Gottfried Keller

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Die Jungfrau als Ritter

Maria wird genenn't ein Thron und Gott's Gezelt,
Ein Arche, Burg, Thurm, Haus, ein Brunn, Baum, Garten, Spiegel,
Ein Meer, ein Stern, der Mond, die Morgenröth', ein Hügel:
Wie kann sie alles seyn? sie ist ein' andre Welt.

Angeli Silesii Cherub. Wandersmann
4. Buch, 42

Gebizo hatte zu seinen früheren Besitzungen noch so viele neue erworben, daß Bertrade über eine bedeutende Grafschaft gebot und sowohl ihres Reichtums als ihrer Schönheit wegen im deutschen Reiche berühmt wurde. Da sie zugleich eine große Bescheidenheit und Freundlichkeit gegen jedermann kundtat, so schien das Kleinod ihrer Person allen unternehmenden und schüchternen, kühnen und furchtsamen, großen und kleinen Edelleuten gleich leicht zu gewinnen, und männiglich, wer sie einigemal gesehen, wunderte sich, warum er sie eigentlich nicht schon an der Hand hatte. Dennoch war mehr als ein Jahr verflossen, ohne daß man von einem vernahm, der wirkliche Hoffnung gewonnen.

Auch der Kaiser hörte von ihr, und da er wünschte, daß ein so ansehnliches Lehen in die Hand eines rechten Mannes käme, beschloß er, auf einer Reise die berühmte Witwe zu besuchen, und zeigte ihr dies in einem gar wohlgeneigten und freundlichen Briefe an. Diesen gab er einem jungen Ritter Zendelwald, welcher gerade des Weges zu reiten hatte. Der wurde von Bertrade huldreich empfangen und bewirtet wie jeder, der auf ihrer Burg einkehrte; er besah sich ehrerbietig die herrlichen Säle, Zinnen und Gärten und verliebte sich nebenbei heftig in die Besitzerin. Doch blieb er um deswillen nicht eine Stunde länger auf der Burg, sondern als er seinen Auftrag verrichtet und alles gesehen, nahm er kurzen Abschied von der Frau und ritt von dannen, der einzige von allen, die je hier gewesen, der nicht daran dachte, diesen Preis erringen zu können.

Überdies war er träg in Handlungen und Worten. Wenn sein Geist und sein Herz sich eines Dinges bemächtigt hatten, was immer vollständig und mit Feuer geschah, so brachte es Zendelwald nicht über sich, den ersten Schritt zu einer Verwirklichung zu tun, da die Sache für ihn abgemacht schien, wenn er inwendig damit im reinen war. Obgleich er sich gern unterhielt, wo es nicht etwa galt, etwas zu erreichen, redete er doch nie ein Wort zur rechten Zeit, welches ihm Glück gebracht hätte. Aber nicht nur seinem Munde, auch seiner Hand waren seine Gedanken so voraus, daß er im Kampfe von seinen Feinden öfters beinahe besiegt wurde, weil er zögerte, den letzten Streich zu tun, den Gegner schon im voraus zu seinen Füßen sehend. Deshalb erregte seine Kampfweise auf allen Turnieren Verwunderung, indem er stets zuerst sich kaum rührte und nur in der größten Not mit einem tüchtigen Ruck obsiegte.

In voller Gedankenarbeit, deren Gegenstand die schöne Bertrade war, ritt dieser Zendelwald jetzt nach seinem Heimatschlößchen, das in einem einsamen Bergwalde lag. Nur wenige Köhler und Holzschläger waren seine Untertanen, und seine Mutter harrte daher jedesmal seiner Rückkunft mit bitterer Ungeduld, ob er jetzt endlich das Glück nach Hause bringe.

So lässig Zendelwald war, so handlich und entschlossen war seine Mutter, ohne daß es ihr viel genützt hätte, da sie ihrerseits diese Eigenschaft ebenfalls jederzeit übertrieben geltend gemacht und daher zur Zwecklosigkeit umgewandelt hatte. In ihrer Jugend hatte sie so bald als möglich an den Mann zu kommen gesucht und mehrere Gelegenheiten so schnell und eifrig überhetzt, daß sie in der Eile gerade die schlechteste Wahl traf in der Person eines unbedachten und tollkühnen Gesellen, der sein Erbe durchjagte, einen frühzeitigen Tod fand und ihr nichts als ein langes Witwentum, Armut und einen Sohn hinterließ, der sich nicht rühren wollte, das Glück zu erhaschen. Die einzige Nahrung der kleinen Familie bestand aus der Milch einiger Ziegen, Waldfrüchten und aus Wild. Zendelwalds Mutter war eine vollkommene Jägerin und schoß mit der Armbrust wilde Tauben und Waldhühner nach Gelüsten; auch fischte sie Forellen aus den Bächen und pflasterte eigenhändig das Schlößchen mit Kalk und Steinen, wo es schadhaft geworden. Eben kehrte sie mit einem erlegten Hasen heim und schaute, als sie das Tier vor das Fenster ihrer hochgelegenen Küche hing, nochmals ins Tal hinaus; da sah sie ihren Sohn den Weg heraufreiten und ließ freudig die Brücke nieder, weil er seit Monaten fortgewesen.

Sogleich begann sie zu forschen, ob er nicht irgendein Schwänzchen oder eine Feder des Glückes erwischt und mitgebracht hätte, woran sich klüglich zu halten wäre, und als er die wie gewöhnlich unerheblichen Ergebnisse seiner letzten Kriegsfahrt erzählte, schüttelte sie schon zornig den Kopf; als er aber vollends seiner Botschaft zur reichen und reizenden Bertrade erwähnte und deren Huld und Schönheit rühmte, da schalt sie ihn einen Faulpelz und Bärenhäuter wegen seines schimpflichen Abzuges. Bald sah sie auch, daß Zendelwald an nichts dachte als an die ferne Herrenfrau, und nun wurde sie erst recht ungeduldig über ihn, da er mit einer so trefflichen Leidenschaft im Herzen gar nichts anzuwenden wüßte, während ihm die schwere Verliebtheit eher ein Hemmnis als ein Antrieb zum Handeln war.

So hatte er nicht die besten Tage; die Mutter schmollte mit ihm und aus Ärger, um sich zu zerstreuen, besserte sie das zerfallende Dach des Schloßturmes aus, so daß es dem guten Zendelwald angst und bange ward, als er sie oben herumklettern sah. Unwirsch warf sie die zerbrochenen Ziegel herunter und hätte fast einen fremden Reitersmann totgeschmissen, welcher eben in das Tor zog, um sich ein Nachtlager auszubitten.

Es gelang diesem aber, die Freundlichkeit der herben Dame zu wecken, als er beim Abendbrot viele gute Dinge erzählte und besonders, wie der Kaiser soeben auf der großen Burg der schönen Witwe weile, wo ein Fest das andere dränge und die wonnige Frau vom Kaiser und seinen Herren unablässig bestürmt werde, unter diesen sich einen Gemahl zu wählen. Sie habe aber den Ausweg ergriffen, ein großes Turnier auszuschreiben und dem Sieger über alle ihre Hand zu reichen, fest vertrauend, daß ihre Beschützerin, die göttliche Jungfrau, sich ins Mittel legen und dem Rechten, der ihr gebühre, den Arm zum Siege lenken werde.

»Das wäre nun eine Unternehmung für Euch«, schloß der Mann, sich an Zendelwald wendend, »ein so hübscher junger Ritter sollte sich recht daran hinmachen, das Beste zu erwerben, was es nach irdischen Begriffen in diesen Zeitläuften gibt; auch sagt man allgemein, die Frau hoffe, es werde sich auf diesem Wege irgendein unbekanntes Glück für sie einfinden, so ein armer tugendlicher Held, welchen sie alsdann recht hätscheln könnte, und die großen bekannten Grafen und eiteln Freier seien ihr alle zuwider.«

Als der Fremde weggeritten war, sagte die Mutter: »Nun will ich wetten, daß niemand anderes als Bertrade selbst diesen Boten hergesandt hat, dich auf die richtige Spur zu locken, mein lieber Zendelwald! Das ist mit Händen zu greifen; was hätte der Kauz, der unser letztes Krüglein Wein zu sich genommen hat, sonst zu tun und zu reisen in diesem Wald?«

Der Sohn fing über ihre Worte mächtig an zu lachen und lachte immer stärker, teils über die offenbare Unmöglichkeit der mütterlichen Einbildungen, teils weil ihm diese Einbildungen doch wohlgefielen. Der bloße Gedanke, Bertrade könnte wünschen, seiner habhaft zu werden, ließ ihn nicht aus dem Lachen herauskommen. Doch die Mutter, welche glaubte, er lache, um sie zu verspotten, geriet in Zorn und rief: »So höre denn! Meinen Fluch gebe ich dir, wenn du mir nicht gehorchst und dich von Stund an auf den Weg machst, jenes Glück zu erwerben! Ohne dasselbe kehre nicht zurück, ich mag dich dann nie wieder sehen! Oder wenn du dennoch kommst, so nehme ich mein Schießzeug und gehe selbst fort, ein Grab zu suchen, wo ich von deiner Dummheit unbelästiget bin!« So hatte Zendelwald nun keine Wahl; um des lieben Friedens willen rüstete er seufzend seine Waffen und ritt in Gottes Namen in der Richtung nach Bertradens Wohnsitz hin, ohne daß er überzeugt war, wirklich dort anzukommen. Doch hielt er den Weg so ziemlich inne und je näher er dem Ziele kam, um so deutlicher gestaltete sich der Gedanke, daß er das Ding eigentlich wohl unternehmen könnte, so gut wie ein anderer, und wenn er mit den Rivalen fertig geworden sei, so werde es den Kopf auch nicht kosten, mit der schönen Frau ein Tänzchen zu wagen. Zug für Zug fand jetzt in seiner Vorstellung das Abenteuer statt und verlief auf das beste, ja er hielt bereits tagelang, während er durch das sommergrüne Land ritt, süße Zwiegespräche mit der Geliebten, worin er ihr die schönsten Erfindungen vorsagte, daß ihr Antlitz in holder Freude sich rötete, alles dies in seinen Gedanken.

Als er eben wieder eine erfreuliche Begebenheit innerlich ausmalte, sah er in Wirklichkeit an einem blauen Höhenzuge die Türme und Zinnen der Burg in der Morgensonne erglänzen und die vergoldeten Geländer aus der Ferne herüberfunkeln und erschrak so darüber, daß all sein Traumwerk zerstob und nur ein zages unschlüssiges Herz zurückließ.

Unwillkürlich hielt er das Pferd an und schaute, nach Art der Zauderer, rings nach einer Zuflucht aus. Da gewahrte er ein zierliches Kirchlein, das nämliche, welches einst Bertrade der Mutter Gottes erbaut und in welchem sie jenen Schlaf getan hatte. Sogleich beschloß er, da einzukehren und sich vor dem Altare ein wenig zu sammeln, besonders da es der Tag war, an welchem das Turnier abgehalten wurde.

Eben sang der Priester die Messe, welcher bloß zwei oder drei arme Leute beiwohnten, so daß der Ritter der kleinen Gemeinde zur nicht geringen Zierde gereichte; als aber alles vorbei war und Pfaff und Küster das Kirchlein verlassen, fühlte Zendelwald sich so wohl in diesem Aufenthalte, daß er ganz gemächlich einschlief und Turnier und Geliebte vergaß, wenn er nicht davon träumte. Da stieg die Jungfrau Maria wieder von ihrem Altare herunter, nahm seine Gestalt und Waffenrüstung an, bestieg sein Pferd und ritt, geschlossenen Helmes, eine kühne Brunhilde, an Zendelwalds Statt nach der Burg.

Als sie eine Weile geritten, lag am Wege ein Haufen grauen Schuttes und verdorrten Reisigs. Das kam der aufmerksamen Jungfrau verdächtig vor und sie bemerkte auch, daß etwas wie das Schwanzende einer Schlange aus dem Wirrsal hervorguckte. Da sah sie, daß es der Teufel war, welcher, noch immer verliebt, auch in der Nähe der Burg herumgeschlichen und sich vor der Jungfrau schnell in das Gerölle versteckt hatte. Scheinbar achtlos ritt sie vorüber, ließ aber geschickt das Pferd einen kleinen Seitensprung tun, so daß es mit dem Hinterhufe auf jenes verdächtige Schwanzende trat. Pfeifend fuhr der Böse hervor und davon und machte sich in dieser Angelegenheit nicht mehr bemerklich.

Durch das kleine Abenteuer erheitert, ritt sie voll guten Mutes vollends auf die Burg Bertrades, wo sie eben ankam, als die zwei stärksten Kämpen übriggeblieben, um die Entscheidung unter sich herbeizuführen.

Langsam und in nachlässiger Haltung, ganz wie Zendelwald, ritt sie auf den Platz und schien unentschlossen, ob sie sich beteiligen wolle oder nicht.

»Da kommt noch der träge Zendelwald«, hieß es, und die zwei starken Ritter sagten: »Was will uns der? Laß uns ihn noch schnell abtun, ehe wir's unter uns ausmachen!«

Der eine nannte sich »Guhl der Geschwinde«. Er pflegte sich mit seinem Rosse wie ein Wirbelwind herumzutummeln und suchte seine Gegner mit hundert Streichen und Listen zu verwirren und zu besiegen. Mit ihm mußte der vermeintliche Zendelwald zuerst den Kampf bestehen. Er trug einen pechschwarzen Schnurrbart, dessen Spitzen so steif gedreht waagrecht in die Luft ragten, daß zwei silberne Glöckchen, die daran hingen, sie nicht zu biegen vermochten und fortwährend klingelten, wenn er den Kopf bewegte. Dies nannte er das Geläute des Schreckens für seine Feinde, des Wohlgefallens für seine Dame! Sein Schild glänzte, je nachdem er ihn drehte, bald in dieser, bald in jener Farbe, und er wußte diesen Wechsel so rasch zu handhaben, daß das Auge davon geblendet wurde. Sein Helmbusch bestand aus einem ungeheuern Hahnenschwanz.

Der andere starke Ritter nannte sich »Maus der Zahllose«, womit er zu verstehen gab, daß er einem ungezählten Heere gleich zu achten sei. Zum Zeichen seiner Stärke hatte er die aus seinen Naslöchern hervorstehenden Haare etwa sechs Zoll lang wachsen lassen und in zwei Zöpfchen geflochten, welche ihm über den Mund herabhingen und an den Enden mit zierlichen roten Bandschleifchen geschmückt waren. Er trug einen großen weiten Mantel über seiner Rüstung, der ihn fast samt dem Pferde umhüllte und aus tausend Mausfellchen künstlich zusammengenäht war. Als Helmzierde überschatteten ihn die mächtig ausgebreiteten Flügel einer Fledermaus, unter welchen er drohende Blicke aus geschlitzten Augen hervorsandte.

Als nun das Signal zum Kampfe mit Guhl dem Geschwinden gegeben wurde, ritt dieser gegen die Jungfrau heran und umkreiste sie mit immer größerer Schnelligkeit, sie mit seinem Schilde zu blenden suchend und mit der Lanze hundert Stöße nach ihr führend. Inzwischen verharrte die Jungfrau immer auf derselben Stelle in der Mitte des Turnierplatzes und schien nur die Angriffe mit Schild und Speer abzuwehren, wobei sie mit großer Kunst das Pferd auf den Hinterfüßen sich drehen ließ, so daß sie stets dem Feinde das Angesicht zuwendete. Als Guhl das bemerkte, ritt er plötzlich weit weg, kehrte dann um und rannte mit eingelegter Lanze auf sie ein, um sie über den Haufen zu stechen. Unbeweglich erwartete ihn die Jungfrau; aber Mann und Pferd schienen von Erz, so fest standen sie da, und der arme Kerl, der nicht wußte, daß er mit einer höhern Gewalt stritt, flog unversehens, als er auf ihren Speer rannte, während der seinige wie ein Halm an ihrem Schilde zerbrach, aus dem Sattel und lag auf der Erde. Unverweilt sprang die Jungfrau vom Pferde, kniete ihm auf die Brust, daß er unter der gewaltigen Stärke sich nicht rühren konnte, und schnitt ihm mit ihrem Dolche die beiden Schnäuze mit den Silberglöcklein ab, welche sie an ihrem Wehrgehänge befestigte, indessen die Fanfaren sie oder vielmehr den Zendelwald als Sieger begrüßten.

Nun kam Ritter Maus der Zahllose an den Tanz. Gewaltig sprengte er einher, daß sein Mantel wie eine unheildrohende graue Wolke in der Luft schwebte. Allein die Jungfrau-Zendelwald, welche sich erst jetzt an dem Kampfe zu erwärmen schien, sprengte ihm ebenso rüstig entgegen, warf ihn auf den ersten Stoß mit Leichtigkeit aus dem Sattel und sprang, als Maus sich rasch erhob und das Schwert zog, ebenfalls vom Pferde, um zu Fuße mit ihm zu kämpfen. Bald aber war er betäubt von den raschen Schlägen, mit denen ihr Schwert ihm auf Haupt und Schultern fiel, und er hielt mit der Linken seinen Mantel vor, um sich dahinter zu verbergen und ihn dem Gegner bei günstiger Gelegenheit über den Kopf zu werfen. Da fing die Jungfrau mit der Spitze ihres Schwertes einen Zipfel des Mantels und wickelte Maus den Zahllosen mit solch zierlicher Schnelligkeit selbst vom Kopf bis zum Fuße in den Mantel ein, daß er in kurzer Zeit wie eine von einer Spinne eingesponnene ungeheure Wespe aussah und zuckend auf der Erde lag.

Nun zerdrasch ihn die Jungfrau mit der flachen Klinge und mit solcher Behendigkeit, daß der Mantel sich in seine ursprünglichen Bestandteile auflöste und die umherstäubenden Mäusepelzchen unter dem allgemeinen Gelächter der Zuschauer die Luft verfinsterten, während der Ritter allmählich wieder zutage kam und als ein geschlagener Mann davonhinkte, nachdem sein Besieger ihm die bebänderten Zöpfchen abgeschnitten hatte.

So war denn die Jungfrau als Zendelwald der letzte Sieger auf dem Platze.

Sie schlug nun das Visier auf, schritt hinauf zur Königin des Festes, beugte das Knie und legte die Siegestrophäen zu deren Füßen. Dann erhob sie sich und stellte einen Zendelwald dar, wie dieser gewöhnlich zu blöde war, es zu sein. Ohne indessen seiner Bescheidenheit zuviel zu vergeben, grüßte sie Bertraden mit einem Blicke, dessen Wirkung auf ein Frauenherz sie wohl kannte; kurz, sie wußte sich als Liebhaber wie als Ritter so zu benehmen, daß Bertrade ihr Wort nicht zurücknahm, sondern dem Zureden des Kaisers, der am Ende froh war, einen so tapfern und edlen Mann mächtig zu sehen, ein williges Ohr lieh.

Es geschah jetzt ein großer Festzug nach dem hochragenden Lindengarten, in welchem das Bankett bereitet war. Dort saß Bertrade zwischen dem Kaiser und ihrem Zendelwald; aber es schien gut, daß jenem für eine zweite muntere Nachbarin gesorgt worden; denn dieser ließ seiner Braut nicht viel Zeit, mit andern zu sprechen, so geschickt und zärtlich unterhielt er sie. Er sagte ihr augenscheinlich die feinsten Dinge, da sie einmal um das andere glückselig errötete. Heitere Wonne verbreitete sich über alle; in den grünen Laubgewölben in der Höhe sangen die Vögel um die Wette mit den Musikinstrumenten, ein Schmetterling setzte sich auf die goldene Krone des Kaisers, und die Weinpokale dufteten wie durch einen besonderen Segen gleich Veilchen und Reseda.

Aber vor allem fühlte sich Bertrade so glücklich, daß sie, während Zendelwald sie bei der Hand hielt, in ihrem Herzen ihrer göttlichen Beschützerin gedachte und derselben ein heißes stilles Dankgebet abstattete. Die Jungfrau Maria, welche ja als Zendelwald neben ihr saß, las dies Gebet in ihrem Herzen und war so erfreut über die fromme Dankbarkeit ihres Schützlings, daß sie Bertraden zärtlich umfing und einen Kuß auf ihre Lippen drückte, der begreiflicherweise das holde Weib mit himmlischer Seligkeit erfüllte; denn wenn die Himmlischen einmal Zuckerzeug backen, so gerät es zur Süße.

Der Kaiser aber und die übrige Gesellschaft riefen dem vermeintlichen Zendelwald ihren Beifall zu, erhoben die Becher und tranken auf das Wohl des schönen Paares.

Indessen erwachte der wirkliche Zendelwald aus seinem unzeitigen Schlafe und fand die Sonne so stark vorgeschritten, daß das Turnier wohl vorbei sein mußte. Obgleich er nun des Handelns glücklich enthoben war, fühlte er sich doch sehr unglücklich und traurig, denn er hätte doch die Frau Bertrade gar zu gerne geheiratet. Auch durfte er jetzt nicht mehr zu seiner Mutter zurückkehren, und so entschloß er sich, eine immerwährende freudlose Irrfahrt anzutreten, bis ihn der Tod von seinem unnützen Dasein erlösen würde. Nur wollte er vorher noch einmal die Geliebte sehen und sich ihr Bild für die übrigen Tage einprägen, damit er stets wüßte, was er verscherzt habe.

Er legte also den Weg bis zur Burg vollends zurück. Als er das Menschengedränge erreichte, hörte er überall das Lob und das Glück eines armen Ritters Zendelwald ausrufen, der den Preis errungen habe, und bitterlich neugierig, wer dieser glückliche Namensvetter sein möge, stieg er vom Pferde und drängte sich durch die Menge, bis er am Rande des Gartens einen Platz gewinnen konnte, und zwar an einer erhöhten Stelle, wo er das ganze Fest übersah.

Da erblickte er in Schmuck und Glanz und unweit der funkelnden Krone des Königs das in Glück strahlende Antlitz der Geliebten, aber Haupt an Haupt bei ihr zu seinem bleichen Erstaunen seine eigene Person, wie er leibte und lebte. Wie leblos starrte er hin, just sah er seinen Doppelgänger die fromme Braut umfangen und küssen; da schritt er, unbeachtet in der allgemeinen Freude, unaufhaltsam durch die Reihen, bis er dicht hinter dem Paare stand, von seltsamer Eifersucht gepeinigt. In demselben Augenblicke war sein Ebenbild von Bertrades Seite verschwunden, und diese sah sich erschrocken nach ihm um. Als sie aber Zendelwald hinter sich sah, lachte sie voll Freuden und sagte: »Wo willst du hin? Komm bleibe fein bei mir!« Und sie ergriff seine Hand und zog ihn an ihre Seite.

So saß er denn, und um den vermeintlichen Traum recht zu erproben, ergriff er den vor ihm stehenden Becher und leerte ihn auf einen Zug. Der Wein hielt Stich und strömte ein zuversichtliches Leben in seine Adern; wohlaufgelegt wandte er sich zum lächelnden Weibe und sah ihr in die Augen, worauf diese zufrieden die trauliche Unterhaltung fortsetzte, in welcher sie vorhin unterbrochen worden war. Allein Zendelwald wußte nicht, wie ihm geschah, als Bertrade ihm wohlbekannte Worte sprach, auf welche er einige Male, ohne sich zu besinnen, Worte erwiderte, die er auch schon irgendwo gesprochen hatte; ja, nach einiger Zeit merkte er, daß sein Vorgänger genau das nämliche Gespräch mit ihr geführt haben mußte, welches er während der Reisetage phantasierend ausgedacht hatte, und welches er jetzt bedächtig fortsetzte, um zu sehen, welches Ende das Spiel eigentlich nehmen wolle.

Aber es nahm kein Ende, vielmehr wurde es immer erbaulicher; denn als die Sonne niederging, wurden Fackeln angezündet und die ganze Versammlung zog auf den größten Saal der Burg, um dort des Tanzes zu pflegen. Nachdem der Kaiser den ersten Gang mit der Braut getan, nahm Zendelwald sie in den Arm und tanzte mit ihr drei- oder viermal um den Saal, bis die Erglühende ihn plötzlich bei der Hand nahm und zur Seite führte in ein stilles Erkergemach, das vom Mondschein erfüllt war. Dort warf sie sich an seine Brust, streichelte ihm den blonden Bart und dankte ihm für sein Kommen und seine Neigung. Der ehrliche Zendelwald aber wollte jetzt wissen, ob er träume oder wache, und befragte sie um den richtigen Sachverhalt, besonders was seinen Doppelgänger betraf. Sie verstand ihn lange nicht; doch ein Wort gab das andere, Zendelwald sagte, so und so ist es mir ergangen, und erzählte seine ganze Fahrt, von seiner Einkehr in das Kirchlein und wie er eingeschlafen sei und das Turnier versäumt habe.

Da ward Bertraden die Sache so weit klar, daß sie abermals die Hand ihrer gnädigen Patronin erblickte. Jetzt erst aber durfte sie den wackern Ritter keck als eine Himmelsgabe betrachten, und sie war dankbar genug, das handfeste Geschenk recht ans Herz zu drücken und demselben den süßen Kuß vollwichtig zurückzugeben, den sie vom Himmel selbst empfangen.

Von jetzt an verließ aber den Ritter Zendelwald alle seine Trägheit und träumerische Unentschlossenheit; er tat und redete alles zur rechten Zeit, vor der zärtlichen Bertrade sowohl, als vor der übrigen Welt, und wurde ein ganzer Mann im Reiche, so daß der Kaiser ebenso zufrieden mit ihm war, als seine Gemahlin.

Zendelwalds Mutter aber erschien bei der Hochzeit hoch zu Roß und so stolz, als ob sie zeitlebens im Glück gesessen hätte. Sie verwaltete Geld und Gut und jagte bis in ihr hohes Alter in den weitläufigen Forsten, während Bertrade es sich nicht nehmen ließ, sich alljährlich einmal von Zendelwald in dessen einsames Heimatschlößchen bringen zu lassen, wo sie auf dem grauen Turme mit ihrem Liebsten so zärtlich horstete, wie die wilden Tauben auf den Bäumen umher. Aber niemals unterließen sie, unterwegs in jenes Kirchlein zu treten und ihr Gebet zu verrichten vor der Jungfrau, die auf ihrem Altar so still und heilig stand, als ob sie nie von demselben heruntergestiegen wäre.


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