Gottfried Keller
Sieben Legenden
Gottfried Keller

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Dorotheas Blumenkörbchen

Aber sich so verlieren, ist mehr sich finden.

Franciscus Ludovicus Blosius,
Geistlicher Unterricht, Cap.12

Am südlichen Ufer des Pontus Euxinus, unweit der Mündung des Flusses Halys, lag im Lichte des hellsten Frühlingsmorgens ein römisches Landhaus. Von den Wassern des Pontus her trug ein Nordostwind erfrischende Kühle durch die Gärten, daß es den Heiden und den heimlichen Christen so wohlig zumute war, wie den zitternden Blättern an den Bäumen.

In einer Laube am Meere stand abgeschieden von der übrigen Welt ein junges Paar, ein hübscher junger Mann gegenüber dem allerzartesten Mädchen. Dieses hielt eine große, schöngeschnittene Schale empor, aus durchscheinendem rötlichen Steine gemacht, um sie von dem Jüngling bewundern zu lassen, und die Morgensonne strahlte gar herrlich durch die Schale, deren roter Schein auf dem Gesichte des Mädchens dessen eigenes Erröten verbarg.

Es war die Patrizierstochter Dorothea, um welche sich Fabricius, der Statthalter der Provinz Kappadozien, heftig bewarb. Da er aber ein pedantischer Christenverfolger war und Dorotheas Eltern sich von der neuen Weltanschauung angezogen fühlten und dieselbe sich fleißig anzueignen suchten, so sträubten sie sich so gut als möglich gegen das Andrängen des mächtigen Inquisitoren. Nicht daß sie etwa ihre Kinder in geistliche Kämpfe hineinziehen und deren Herzen als Kaufschillinge des Glaubens verwerten wollten; hiezu waren sie zu edel und frei gesinnt. Allein sie dachten eben, ein religiöser Menschenquäler sei jederzeit auch ein schlechter Herzensbefriediger.

Diese Erwägung brauchte Dorothea selbst zwar nicht anzustellen, da sie ein anderes Schutzmittel gegen die Bewerbung des Statthalters besaß, nämlich die Neigung zu dessen Geheimschreiber Theophilus, der eben jetzt bei ihr stand und seltsam in die rötliche Schale blickte.

Theophilus war ein sehr wohlgebildeter und feiner Mensch von hellenischer Abkunft, der sich aus widrigen Schicksalen emporgeschwungen und bei jedermann eines guten Ansehens genoß. Aber von der Not seiner Jugend her war ihm ein etwas mißtrauisches und verschlossenes Wesen geblieben, und indem er sich mit dem, was er sich selbst verdankte, begnügte, glaubte er nicht leicht, daß ihm irgend jemand aus freien Stücken besonders zugetan sei. Er sah die junge Dorothea für sein Leben gern; aber schon der Umstand, daß der vornehmste Mann in Kappadozien sich um sie bewarb, hielt ihn ab, etwas für sich zu hoffen, und um keinen Preis hätte er neben diesem Herren eine lächerliche Figur machen mögen.

Nichtsdestoweniger suchte Dorothea ihre Wünsche zu einem guten Ziele zu führen und sich vorderhand so oft als möglich seiner Gegenwart zu versichern. Und da er fortwährend ruhig und gleichgültig schien, steigerte sich ihre Leidenschaft bis zu mißlichen kleinen Listen, und sie suchte ihn durch die Eifersucht in Bewegung zu bringen, indem sie sich mit dem Statthalter Fabricius zu schaffen zu machen und freundlicher gegen denselben zu werden schien. Aber der arme Theophil verstand dergleichen Spaß gar nicht, und wenn er ihn verstanden hätte, so wäre er viel zu stolz gewesen, sich eifersüchtig zu zeigen. Dennoch wurde er allmählich hingerissen und verwirrt, so daß er sich zuweilen verriet, aber sofort wieder zusammennahm und verschloß, und der zarten Verliebten blieb nichts anderes übrig, als etwas gewaltsam vorzugehen und bei Gelegenheit das Netz unversehens zuzuziehen.

Er hielt sich in Staatsgeschäften in der pontischen Landschaft auf, und Dorothea, dies wissend, war ihren Eltern aus Cäsarea für die angebrochenen Frühlingstage auf das Landgut gefolgt. So hatte sie ihn an diesem Morgen auf mühevoll ausgedachte und kluge Weise in die Laube zu bringen gewußt, halb wie aus Zufall, halb wie mit freundlicher Absicht, daß beides ihn, das gute Geschick und die erzeigte Freundlichkeit, heiter und zutraulich stimmen sollten und es auch taten.

Sie wollte ihm die Vase zeigen, die ihr ein wohlwollender Oheim zum Namensfest aus Trapezunt herübergesendet hatte. Ihr Gesicht strahlte in reiner Freude, den Geliebten so nah und einsam bei sich sehen und ihm etwas Schönes zeigen zu können, und auch ihm ward wirklich froh zumut; die Sonne ging endlich voll in ihm auf, so daß er nicht mehr hindern konnte, daß sein Mund gläubig lachte und seine Augen glänzten.

Aber die Alten haben vergessen, neben dem holden Eros die neidische Gottheit zu nennen, welche im entscheidenden Augenblicke, wenn das Glück dicht am nächsten steht, den Liebenden einen Schleier über die Augen wirft und ihnen das Wort im Munde verdreht.

Als sie ihm die Schale vertrauensvoll in die Hände gab und er fragte, wer sie geschenkt habe, da verleitete sie ein freudiger Übermut zu der Schalkheit, daß sie antwortete: »Fabricius!« und sie war dabei des sicheren Gefühls, daß er den Scherz nicht mißverstehen könne. Da sie jedoch unfähig war, ihrem froh erregten Lächeln jenen Zug von Spott über den genannten Abwesenden beizumischen, welcher den Scherz deutlich gemacht hätte, so glaubte Theophilus fest, ihre holde ehrliche Freude gelte nur dem Geschenk und dessen Geber und er sei arg in eine Falle gegangen, indem er einen Kreis übertreten, der schon geschlossen und ihm fremd sei. Stumm und beschämt schlug er die Augen nieder, fing an zu zittern und ließ das glänzende Schaustück zu Boden fallen, wo es in Stücke zersprang.

Im ersten Schreck vergaß Dorothea ihren Scherz gänzlich und auch ein wenig den Theophilus und bückte sich nur bekümmert nach den Scherben, indem sie rief: »Wie ungeschickt!« ohne ihn anzusehen, so daß sie jene Veränderung in seinem Gesichte nicht bemerkte und keine Ahnung von seinem Mißverständnisse hatte.

Als sie sich wieder aufrichtete und sich schnell fassend zu ihm wendete, hatte sich Theophilus schon stolz zusammengerafft. Finster und gleichgültig dreinschauend blickte er sie an, bat sie beinahe spöttisch um Verzeihung, einen vollen Ersatz für das verunglückte Gefäß verheißend, grüßte und verließ den Garten.

Erblassend und traurig sah sie seiner schlanken Gestalt nach, welche die weiße Toga fest an sich zog und den schwarzen Krauskopf wie in fern abschweifenden Gedanken zur Seite neigte.

Die Wellen des silbernen Meeres schlugen sanft und langsam gegen die Marmorstufen des Ufers, stille war es sonst weit umher und Dorothea mit ihren kleinen Künsten zu Ende.

Weinend schlich sie mit den zusammengelesenen Scherben der Schale nach ihrem Gemach, um sie dort zu verbergen.

Sie sahen sich jetzt manche Monate nicht mehr; Theophilus kehrte unverweilt nach der Hauptstadt zurück, und als auch Dorothea im Herbste wiederkam, vermied er sorgfältig jedes Zusammentreffen, da ihn schon die Möglichkeit, ihr zu begegnen, erschreckte und aufregte, und so war die ganze Herrlichkeit für einmal dahin.

Es begab sich nun auf natürliche Art, daß sie Trost suchte in dem neuen Glauben ihrer Eltern, und sobald diese es vermerkten, säumten sie nicht, ihr Kind darin zu bestärken und sie ganz in ihre Glaubens- und Ausdrucksweisen einzuführen.

Inzwischen hatten jene scheinbaren Freundlichkeiten Dorotheas auf den Statthalter ebenfalls ihre unglückliche Wirkung geübt, so daß Fabricius mit verdoppelter Heftigkeit seine Bewerbung erneuerte und sich hiezu für berechtigt hielt. Um so betroffener war auch er, als Dorothea ihn kaum mehr anzublicken vermochte und er ihr widerwärtiger geworden zu sein schien, als das Unglück selbst. Allein er zog sich deshalb nicht zurück; vielmehr steigerte er seine Zudringlichkeit, indem er zugleich anfing, wegen ihres neuen Glaubens zu zanken und ihr Gewissen zu bedrängen, Schmeicheleien mit schlecht verhehlten Bedrohungen vermischend.

Dorothea jedoch bekannte sich offen und furchtlos zu ihrem Glauben und wendete sich von ihm weg, wie von einem wesenlosen Schatten, den man nicht sieht. Theophil hörte von all diesem und wie das gute Mädchen nicht die besten Tage hätte. Am meisten überraschte ihn die Kunde, daß sie von dem Prokonsul schlechterdings nichts wissen wolle. Obgleich er in Ansehung der Religion altweltlich oder gleichgültig gesinnt war, nahm er doch kein Ärgernis an dem neuen Glauben des Mädchens und begann voll Teilnahme sich wieder mehr zu nähern, um etwa besser zu sehen und zu hören, wie es ihr ergehe. Aber wo sie stand und ging, sprach sie jetzt nichts, als in den zärtlichsten und sehnsüchtigsten Ausdrücken von einem himmlischen Bräutigam, den sie gefunden, der in unsterblicher Schönheit ihrer warte, um sie an seine leuchtende Brust zu nehmen und ihr die Rose des ewigen Lebens zu reichen und so weiter.

Diese Sprache verstand er ganz und gar nicht; sie ärgerte und kränkte ihn und erfüllte sein Herz mit einer seltsam peinlichen Eifersucht gegen den unbekannten Gott, welcher den Sinn des schwachen Weibes betöre; denn er konnte die Ausdrucksweise der aufgeregten und verlassenen Dorothea auf keine andere, als auf altmythologische Manier verstehen und erklären. Gegen einen Überirdischen aber eifersüchtig zu sein, verletzte seinen Stolz nicht mehr, sowie auch das Mitleid für ein Weib verstummte, welches sich der Vereinigung mit Göttern rühmte. Und doch war es nur die fruchtlose Liebe zu ihm, welche ihr jene Reden in den Mund gab, so wie er selbst den Stachel der Leidenschaft fortwährend im Herzen behielt.

So zog sich der Zustand eine kleine Weile hin, als Fabricius unversehens denselben gewaltsam anpackte. Erneuerte kaiserliche Befehle zur Christenverfolgung zum Vorwand nehmend, ließ er Dorothea mit ihren Eltern gefangensetzen, die Tochter jedoch getrennt in einen Kerker werfen und um ihren Glauben peinlich verhören. Neugierig näherte er sich selbst und hörte, wie sie laut die alten Götter schmähte, sich zu Christo als dem alleinigen Herren der Welt bekannte, dem sie als Braut anverlobt sei. Da befiel auch den Statthalter eine grimmige Eifersucht. Er beschloß ihre Vernichtung und befahl sie zu martern und, wenn sie beharre, zu töten. Dann ging er weg. Sie wurde auf einen eisernen Rost gelegt, unter welchem Kohlen in der Art entfacht waren, daß die Hitze nur langsam anstieg. Aber es tat dem zarten Körper doch weh. Sie schrie gedämpft einige Male, indem ihre an den Rost gefesselten Glieder sich bewegten und Tränen aus ihren Augen flossen. Unterdessen hatte Theophilus, der sich von jeder Beteiligung an solchen Verfolgungen fernzuhalten pflegte, von der Sache gehört und war voll Unruhe und Schrecken herbeigeeilt; die eigene Sicherheit vergessend, drängte er sich durch das gaffende Volk, und als er Dorothea nun selber leise klagen hörte, entriß er einem Soldaten das Schwert und stand mit einem Sprunge vor ihrem Marterbette.

»Tut es weh, Dorothea?« sagte er schmerzlich lächelnd, im Begriffe, ihre Bande zu durchschneiden. Aber sie antwortete, plötzlich wie von allem Schmerz verlassen und von größter Wonne erfüllt: »Wie sollte es weh tun, Theophilus? Das sind ja die Rosen meines vielgeliebten Bräutigams, auf denen ich liege! Sieh, heute ist meine Hochzeit!«

Gleich einem feinen lieblichen Scherze schwebte es um ihre Lippen, während ihre Augen voll Seligkeit auf ihn blickten. Ein überirdischer Glanz schien sie samt ihrem Lager zu verklären; eine feierliche Stille verbreitete sich, Theophilus ließ das Schwert sinken, warf es weg und trat wiederum beschämt und betreten zurück, wie an jenem Morgen in dem Garten am Meere.

Da brannte die Glut aufs neue, Dorothea seufzte auf und verlangte nach dem Tode. Der wurde ihr denn auch gewährt, so daß sie auf den Richtplatz hinausgeführt wurde, um dort enthauptet zu werden.

Leichten Schrittes ging sie einher, gefolgt von dem gedankenlosen und lärmenden Volke. Sie sah den Theophilus am Wege stehen, der kein Auge von ihr wandte. Ihre Blicke begegneten sich, Dorothea stand einen Augenblick stille und sagte anmutig zu ihm: »O Theophilus, wenn du wüßtest, wie schön und herrlich die Rosengärten meines Herren sind, in welchen ich nach wenig Augenblicken wandeln werde, und wie gut seine süßen Äpfel schmecken, die dort wachsen, du würdest mit mir kommen!« Da erwiderte Theophilus bitter lächelnd: »Weißt du was, Dorothea? Sende mir einige von deinen Rosen und Äpfeln, wenn du dort bist, zur Probe!«

Da nickte sie freundlich und zog ihres Weges weiter.

Theophilus blickte ihr nach, bis die von der Abendsonne vergoldete Staubwolke, welche den Zug begleitete, in der Ferne verschwand und die Straße leer und stille war. Dann ging er mit verhülltem Haupte nach seinem Hause und bestieg wankenden Schrittes dessen Zinne, von wo aus man nach dem Argeusgebirge hinschauen konnte, auf dessen Vorhügeln einem der Richtplatz gelegen war. Er konnte gar wohl ein dunkles Menschengewimmel dort erkennen und breitete sehnsüchtig seine Arme nach jener Gegend aus. Da glaubte er im Glanze der scheidenden Sonne das fallende Beil aufblitzen zu sehen und stürzte zusammen, mit dem Gesichte auf den Boden hingestreckt. Und in der Tat war Dorotheas Haupt um diese Zeit gefallen.

Aber nicht lange war er reglos so gelegen, als ein heller Glanz die Dämmerung erleuchtete und blendend unter Theophils Hände drang, auf denen sein Gesicht lag, und in seine verschlossenen Augen sich ergoß, wie ein flüssiges Gold. Gleichzeitig erfüllte ein feiner Wohlgeruch die Luft. Wie von einem ungekannten neuen Leben erfüllt, richtete der junge Mann sich auf; ein wunderschöner Knabe stand vor ihm, mit goldenen Ringelhaaren, in ein sternenbesäetes Gewand gekleidet und mit leuchtenden nackten Füßen, der in den ebenso leuchtenden Händen ein Körbchen trug. Das Körbchen war gefüllt mit den schönsten Rosen, dergleichen man nie gesehen, und in diesen Rosen lagen drei paradiesische Äpfel.

Mit einem unendlich treuherzigen und offenen Kindeslächeln und doch nicht ohne eine gewisse anmutige List sagte das Kind: »Dies schickt dir Dorothea!« gab ihm das Körbchen in die Hände, indem es noch fragte: »Hältst du's auch?« und verschwand.

Theophilus hielt das Körbchen, das nicht verschwunden war, wirklich in Händen; die drei Äpfel fand er leicht angebissen von zwei zierlichen Zähnen, wie es unter den Liebenden des Altertums gebräuchlich war. Er aß dieselben langsam auf, den entflammten Sternenhimmel über sich. Eine gewaltige Sehnsucht durchströmte ihn mit süßem Feuer und, das Körbchen an die Brust drückend, es mit dem Mantel verhüllend, eilte er vom Hausdache herunter, durch die Straßen und in den Palast des Statthalters, der beim Mahle saß und einen wilden Ärger, der ihn erfüllte, mit unvermischtem Kolcher Wein zu betäuben suchte.

Mit glänzenden Augen trat Theophilus vor ihn, ohne sein Körbchen zu enthüllen, und rief vor dem ganzen Hause: »Ich bekenne mich zu Dorotheas Glauben, die ihr soeben getötet habt, es ist der allein wahre!«

»So fahre der Hexe nach!« antwortete der Statthalter, der mit jähem Zorne und von einem glühenden Neide gepeinigt aufsprang und den Geheimschreiber noch in derselben Stunde enthaupten ließ.

So war Theophilus noch am gleichen Tage für immer mit Dorotheen vereinigt. Mit dem ruhigen Blicke der Seligen empfing sie ihn; wie zwei Tauben, die, vom Sturme getrennt, sich wiedergefunden und erst in weitem Kreise die Heimat umziehen, so schwebten die Vereinigten Hand in Hand, eilig, eilig und ohne Rasten an den äußersten Ringen des Himmels dahin, befreit von jeder Schwere und doch sie selber. Dann trennten sie sich spielend und verloren sich in weiter Unendlichkeit, während jedes wußte, wo das andere weile und was es denke, und zugleich mit ihm alle Kreatur und alles Dasein mit süßer Liebe umfaßte. Dann suchten sie sich wieder mit wachsendem Verlangen, das keinen Schmerz und keine Ungeduld kannte; sie fanden sich und wallten wieder vereinigt dahin oder ruhten im Anschauen ihrer selbst und schauten die Nähe und Ferne der unendlichen Welt. Aber einst gerieten sie in holdestem Vergessen zu nahe an das kristallene Haus der Heiligen Dreifaltigkeit und gingen hinein; dort verging ihnen das Bewußtsein, indem sie, gleich Zwillingen unter dem Herzen ihrer Mutter, entschliefen und wahrscheinlich noch schlafen, wenn sie inzwischen nicht wieder haben hinauskommen können.


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