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Der Steinwurf

1.

»Piroska, spute dich und spar' dir das Träumen für eine gelegenere Zeit auf! Man sollte wirklich meinen, daß du den Sonnenuntergang zum erstenmal in deinem Leben siehst! Wie albern doch alle Frauenzimmer sind!«

Die schmucke Bauerndirne, an welche diese nicht gerade höflichen Worte gerichtet waren, stand, an ihren Rechen gelehnt, mitten auf einer großen Wiese und blickte träumerisch nach dem hinter den Bergen versinkenden glutroten Ball. Sie schien die Bemerkung des ungeschlachten Burschen, der wenige Schritte von ihr entfernt das Heu umwandte, gar nicht gehört zu haben, denn sie änderte ihre Stellung nicht im geringsten.

»Ich möchte wissen, wie lange du noch starr wie ein angemaltes Bild da stehen wirst, statt nach deiner Arbeit zu sehen, wie es sich gehört. Du gibst den Taglöhnern ein nettes Beispiel, das muß ich sagen!«

»Den Menschen möchte ich gerne sehen, der es dir Brummbär einmal recht macht!« gab sie schnippisch und mit verächtlich gekräuselten Lippen zurück. »Uebrigens weißt du sehr gut, daß ich mit einer Armbewegung mehr schaffe, als wenn du mit deinen plumpen Händen dich eine halbe Stunde lang abmühst. Es genügt ja auch, wenn einer in der Familie den Leuten als leuchtendes Beispiel dient, und dieser eine bist ja du!«

»Du loser Schnabel, halte deine Zunge im Zaum! Du weißt, ich vertrage alles, nur keinen Spott. Hüte dich! Meine plumpen Hände könnten dir sonst eine Lektion geben – –«

»Du glaubst gar, daß ich mich vor dir fürchte! Da müßtest du früher aufstehen, mein lieber Pista. Mich schreckt deine finstere Miene nicht, die du aufzustecken beliebtst, um dir Respekt zu verschaffen. Ich tu' doch nur das, was ich will – das solltest du wissen. Ein gutes Wort und du kannst mich um den Finger wickeln; aber befehlen lasse ich mir nicht und am allerwenigsten von dir – –«

»Sooo? Das wollen wir sehen!« entgegnete Pista und pflanzte sich mit seiner Riesengestalt dicht vor sie hin. »In einer Stunde mußt du das Heu von hier bis zum Graben umgedreht haben – –«

»Wirklich? Muß ich?« Und ehe er sich's versah, warf sie ihm den Rechen vor die Füße und lief den Abhang hinab, als ob sie gejagt würde. Sie blieb erst an der Brücke, die über den Wildbach führte, mit fliegendem Atem und hochgeröteten Wangen stehen. Die Sonne war jetzt schon ganz hinter der Gebirgskette verschwunden und das herrliche Abendrot übergoß das Tal mit rosigen Tinten. Eine entzückende Kühle umfächelte das erhitzte Gesicht Piroskas, die sich erschöpft an das Geländer der Brücke lehnte und dem Gegurgel des munter über Stock und Stein hüpfenden Baches lauschte. Ihr vorhin noch so trotziges und herausforderndes Gesicht nahm einen träumerischen Ausdruck an, und gar mancher Maler würde sich glücklich geschätzt haben, das hübsche Mädchen in dieser Stellung malen zu dürfen.

Eine Weile blickte Piroska sinnend auf das Getändel der Wellen hinab, dann lachte sie hell auf:

»Nein, so dumm zu sein! Wie konnte ich mich nur von Pista in Zorn bringen lassen und noch dazu heute, wo ich meinen Gyula erwarte!« rief sie ganz laut. »Ich muß mich ein bißchen hübsch machen. Wenn er wüßte, wie wahnsinnig lieb ich ihn habe! Aber das soll er nie erfahren – –«

»Dann darfst du es nicht so laut in die Welt hinausschreien, Liebste,« flüsterte ihr eine Stimme ins Ohr.

Mit einem halb unterdrückten Jubelruf wandte sie sich um und blickte in das erregte Gesicht eines hübschen Burschen, der sie an seine Brust drückte. Es war ein schönes Paar, an dem der Liebesgott seine Freude haben mußte. Die kleidsame ungarische Nationaltracht hob die eigenartige Schönheit der Bauerndirne nur noch mehr. Ueber dem groben, aber schneeweißen Leinenhemd mit kurzen Puffärmeln, die ihre vollen Arme mit dem Grübchen am Ellbogen freiließen, trug sie ein dunkles, prall sitzendes Mieder, dazu ein kurzes scharlachrotes Röckchen und schwarze Schaftstiefel. Ihr weiches, welliges, nußbraunes Haar hing in einen Zopf geflochten den Rücken hinab. Geradezu bezaubernd wirkte das frische, runde Apfelgesichtchen mit den blitzenden Grauaugen, die in allen Farben schillerten und gar schelmischvergnügt und selbstbewußt in die Welt blicken konnten. Gyula war ein mittelgroßer, kräftig gebauter Jüngling, dessen von Natur weiße Haut die Sonne gebräunt hatte; aus seinen dunklen Augen sprach große Gutmütigkeit, aber auch heiße Glut – wehe, wenn er einmal seine Selbstbeherrschung verlor!

»Wie du mich erschreckt hast, Gyula!« begann Piroska, nachdem sich die erste Freude des Wiedersehens etwas gelegt hatte. »Ich habe dich auch gar nicht kommen hören. Du schleichst dich wie eine Katze heran – –«

»Höchstens wie ein Kater, mein Mädchen,« entgegnete er lachend. »Aber weißt du, ich könnte auch eifersüchtig wie ein solcher werden. Ich wußte, daß du heute beim Heuwenden helfen würdest, und deshalb machte ich früher als gewöhnlich Feierabend, schloß meine Werkstatt und kam dir entgegen. Ihr habt es heute rechtschaffen heiß bei der Arbeit gehabt – –«

»Ist es nicht schade, daß man nicht im Winter Heu mähen kann, statt in einer solchen Gluthitze? Ich bin beinahe verschmachtet und dann hat mich noch mein Bruder, der dumme Pista, geärgert, so daß ich einfach durchgegangen bin. Die andern sind noch oben.«

Sie zeigte mit der Hand nach der Wiese hinauf und fuhr fort:

»Ich war so zornig – – du glaubst es nicht? Freilich, du hast mich noch nie sauertöpfisch gesehen; aber ich versichere dich, wenn ich wild werde, könnte ich in einem Augenblick frischgemolkene Milch in saure verwandeln. Ich rate dir, Gyula, mir nie Predigten zu halten, wie mein Bruder es so sehr liebt.«

»Dein Bruder ist ein seltsamer Kauz. Auf die Dauer würde auch ich mich wohl schwerlich mit ihm vertragen können. Seine angeborene Faulheit, seine Zärtlichkeit gegen alle Tiere und seine Grobheit gegen alle Menschen könnten den Geduldigsten schließlich reizen.«

»Die Länge seines Rückens und seiner Schritte gleichen sich, wie ein Ei dem anderen. Er ist nächst Peter Harmat der größte Mann in der Gegend und nicht wenig stolz darauf.«

»Er hat aber auch gute Eigenschaften – –«

»Lassen wir das, Gyula, und sprechen wir von etwas anderem. Ich muß dir eine Neuigkeit erzählen. Weißt du, daß ich für den ersten Tanz am Kirchweihfest bereits vergeben bin? Rate, mit wem? Aber nein, das kannst du ja gar nicht.«

»Mit Matthias oder Peter Harmat?« entgegnete Gyula Karsai verstimmt.

»Fällt mir nicht ein!« rief sie erregt. »Gyula, du wirst stolz auf mich sein; ich werde mit einem Budapester Herrn tanzen. Nun, was sagst du dazu?«

»Daß du scherzest, mein Schatz!«

»Nein, wahrhaftig nicht! Er ist ein Maler aus der Hauptstadt und wohnt seit einigen Tagen bei uns. Herrn v. Peti, so heißt er nämlich, gefällt unsere Gegend so gut, daß er sie malen will, und da er im ganzen Dorf kein Zimmer bekam, ließ er sich zum Richter führen, das ist doch mein Vater und quälte ihn so lange, bis dieser ihm unser leeres Hinterzimmer vermietete. Denke dir, er fürchtet sich weder vor Ratten noch vor Mäusen und will auf einem harten Strohsack schlafen und sich beim Brunnen waschen. Mutter hat ein Handtuch über die Kiste gebreitet, meinen kleinen Spiegel darauf gestellt, einen Krug und eine große irdene Schüssel dazu, ich mußte ihm aus meinem Kämmerchen auch noch den dreibeinigen, mit dem durchbohrten Herzen bemalten Stuhl, den du mir zu Weihnachten geschenkt hast, abtreten. Und nun steckt er, wenn er nicht im Freien arbeiten kann, dort und sitzt vor einem merkwürdigen Gestell, worauf Leinwand gespannt ist, dicht am Fenster, hat ein Kistchen voll Farben, ein Dutzend Pinsel und noch andere Dinge und damit malt er die wunderbarsten Bilder. Er hat schon den Wasserfall und die Coroniquelle und den Hirschsprung und unsere Dora, weißt du, die Schweizer Kuh mit den braunen Flecken am Rücken, und Caro, wie er mit den jungen Katzen aus einer Schüssel frißt, gemalt. Und du mußt ihn kennen lernen, Gyula, er wird dir auch gefallen, denn er ist mit jedem sehr freundlich.«

»Hast du nicht noch mehr »und – und – und« auf Lager?« fragte er mit gezwungenem Lachen.

»Noch eine Menge,« entgegnete sie arglos.

»Ich habe genug davon,« unterbrach er sie barsch.

»Ist es dir vielleicht nicht recht, daß er bei uns wohnt? Unser Haus gefällt ihm so sehr, weil es wie an den Berg geklebt ist und weil der Bach Tag und Nacht so wild vorbeirauscht; er nennt den Blick von seinem Fenster piko – piktoresk oder so ähnlich. Ich sagte Mutter gestern, wenn er zu der Kapelle hinaufblickt, sieht er aus, als ob er voll Wonne ein Bonbon sutzeln würde. Es ist zu komisch!«

»Du siehst ihn wohl sehr oft?«

»So oft ich Zeit habe. Es macht mir solchen Spaß, ihm beim Malen zuzusehen.«

Karsai beobachtete das Mädchen mißtrauisch von der Seite. Seine Miene verdüsterte sich.

»Ich will dir nicht verhehlen, Piroska, daß ich kein rechtes Vertrauen zu den Großstädtern habe, sie sind uns in vielen Dingen überlegen und machen sich gewöhnlich über uns Landleute lustig. Vor Jahren, wie ich als Lehrjunge bei meinem Onkel in Budapest eintrat, hatte ich nicht wenig von meinen Kameraden auszustehen. Sie lachten über mein plumpes, schüchternes Wesen, über meine roten Backen, meine Kleider, meine Art, zu essen, und ich fühlte mich anfangs so unbehaglich wie ein Fisch auf trockenem Lande, ich glaube, daß es einem Großstädter bei uns ebenso ergehen muß. Diese jungen, feinen Herren führen auch nichts Gutes im Schilde und sind oft sehr gewissenlos.«

»Was du nicht für feine Herren in Budapest kennen gelernt haben wirst!« warf sie spöttisch ein.

Dem jungen Schlossermeister wurde immer angst und bange, wenn Piroska diesen Ton anschlug; er sagte daher begütigend:

»Ich weiß, daß dir niemand nahetreten darf –«

»Weshalb verlierst du also so viele Worte, wenn du das weißt?« schmollte sie.

»Du kannst aber doch über das, was ich dir von den jungen Herren gesagt, nachdenken.«

»Mit keinem Gedanken!«

»Des wohlgeborenen Herrn Richters Töchterlein weiß leider, wie gerne sie ein gewisser Jemand hat und braucht sich nicht zu verwundern, wenn diese Liebe mit ein wenig Eifersucht gewürzt ist; sie täte gut, diese nicht zu reizen.«

»Und dieser Jemand sollte mehr Vertrauen zu des Richters Töchterlein haben und wissen, daß es sich ärgert, wenn man ihm nicht vertraut. Es wird wild, wenn ein gewisser Jemand es einer Untreue für fähig hält. Des Richters Töchterlein hält auf ihre Ehre, als ob es eine hochgeborene Prinzessin wäre! Das sollte sich der gewisse Jemand ein für allemal merken, wenn ihm an der Liebe seines Mädchens etwas liegt,« schloß sie heftig und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Weil ich dich so unsäglich liebe, du törichtes Kind, habe ich immer Angst, daß uns etwas trennen könnte.«

Ein Schatten flog über ihr sonst so heiteres Gesicht und schweigend legte das Pärchen den Rest des Weges zurück.

Als höchstes und letztes von den am Fuße des Berges zerstreut gelegenen Häusern lag das langgestreckte Gebäude des Dorfrichters Mihály Varga. Von weitem leuchteten ihnen das rote Ziegeldach und die blitzende Fensterreihe entgegen. Piroska beschleunigte ihren Schritt, stieß hastig die kleine Gartentür auf und wollte, ohne sich auch nur nach Gyula umzusehen, ins Haus treten. Da stieg ihr ein süßer Duft in die Nase, sie blieb stehen und bückte sich, um ein Zweiglein Eberraute abzupflücken. Sie führte es zu ihrem kleinen Stumpfnäschen, sog den Duft ein, dabei verklärte sich ihr ernstes Gesicht, ihre Lippen kräuselten sich zu einem neckischen Lächeln und mit halber Kopfwendung reichte sie ihrem Verlobten die Blume.

»Gib acht, Liebster, daß dein saures Gesicht das arme Blümchen nicht welken macht!«

»O du Schelmin! Ein Nichts genügt, um deine Stimmung zu ändern.«

»Kann ich dafür, daß ich so bin? Du mußt mich eben so nehmen, wie ich bin.«

Ein Kuß besiegelte die Versöhnung. Arm in Arm traten sie in die Küche, wo die Familie und das Hausgesinde bereits um den langen Eichentisch saß. Eine Schüssel mit dampfenden Kartoffeln und ein Krug saurer Milch stand darauf, alle ließen sich's nach der harten Tagesarbeit gut schmecken.

»Ei, mein Blitzmädel, warum so spät? Du weißt, ich als Richter liebe auch im eigenen Hause die Pünktlichkeit über alles,« begrüßte der alte Varga mit dröhnender Stimme seinen Liebling. Man merkte es ihm an, daß er der Verspäteten nicht zürnte. Ueber sein ganzes ausdrucksvolles Gesicht mit all den vielen Falten und Fältchen ging ein behagliches Schmunzeln. Die scharfen Falkenaugen strahlten in verhaltener Vaterfreude und seine langen grauen Schnurrbartenden zuckten förmlich, während er sich vergeblich bemühte, eine strenge Miene aufzusetzen. Piroska kannte ihren »Alten« genau und wußte, wie sie ihm am besten beizukommen habe. Ehrerbietig küßte sie erst ihm, dann der daneben sitzenden Mutter die Hand und setzte sich dann züchtig und mit niedergeschlagenen Blicken auf ihren Platz. Gyula ließ sich in ihrer Nähe nieder. Während des Mahles wurde kein Wort mehr gesprochen. Nach dem kurzen Tischgebet, das der Alte mit lauter Stimme vorsprach, und das alle leise mitbeteten, erhob sich Piroska rasch, langte vom Pfeifenständer eine kurze, silberbeschlagene Meerschaumpfeife herab, putzte und stopfte sie und reichte sie zugleich mit dem brennenden Fidibus ihrem Vater, der sich's mittlerweile in dem großen, lederüberzogenen Lehnstuhl in der Nähe des Herdes bequem gemacht. Einige Minuten paffte er wie ein Türke. Mutter Varga, die nimmer rastende Hausfrau, nahm ein Dutzend Maiskolben von der Wand und begann dieselben »abzurippeln«. Sie war ein beleibtes und doch sehr bewegliches und energisches Weibchen, nach deren Pfeife alle im Hause tanzten und dabei doch kein Hausdrache. Beileibe nicht! Man nannte sie im Dorfe nur die »gute« Mutter Varga, und das mit Recht, denn kein Armer ging unbeschenkt von ihrer Türe und ihre Hausmittelchen hatten schon manchen Kranken geheilt. Pista bemühte sich, einem lahmen Entlein einen Verband anzulegen, was mit seinen plumpen, langen Fingern nur schwer vonstatten ging. Piroska räumte geschäftig den Tisch ab. Als sich die Tür hinter dem letzten der Knechte und Mägde geschlossen, tat Vater Varga noch einen tiefen, tiefen Zug aus seiner Pfeife, klappte den Deckel zu, zog sein buntes Taschentuch aus der kurzen Jacke und fuhr sich damit übers Gesicht. Aller Augen richteten sich gespannt auf ihn, denn nun wußte man, daß er eine Rede loslassen werde.

»Weib, Kinder und Freunde!« sagte er zu den Anwesenden. »Das Heu ist gemäht und würzt mit seinem süßen Dufte die Luft. Gott hat uns in diesem Jahr mit einer reichen Ernte gesegnet. Lob und Dank gebühren ihm. Und wie können wir dies besser ausdrücken, als durch ein Kirchweihfest? Wie alle Jahre, wird das Fest nächsten Sonntag stattfinden. Frauen, bereitet euren Putz vor und du, Gyula, mein Junge, wirst morgen schon mit den Einladungen beginnen. Was Küche und Keller zu bieten vermag, soll unseren Gästen vorgesetzt werden. Der alte Varga läßt sich nicht lumpen! Nicht umsonst ist er seit zehn Jahren Richter.« Hier machte der »wohlgeborene Herr Richter« eine Kunstpause. Gyula klatschte Beifall und rief lebhaft:

»Bravo, Mihály bácsi!« (= Onkel; so werden in Ungarn alle älteren Herren von der Jugend angesprochen.)

»Bravo! Sie könnten sich als Vorredner in den Reichstag wählen lassen! Von Ihnen kann man lernen, wie man gediegene Reden zu halten hat! Sie sind noch ein Kernmagyar!«

Piroska nickte ihrem Liebsten dankbar zu. Die freudige Erregung hatte ihre Wangen gerötet, sie sah bezaubernd aus.

Der alte Varga räusperte sich noch einmal, ehe er sich an seinen zukünftigen Schwiegersohn wandte:

»Ich danke dir, mein Sohn, für dein Lob. Nichts ziert die Jugend mehr, als wenn sie das Alter ehrt. Um ein guter Redner zu werden, muß man Uebung haben und früh anfangen. Zeig jetzt du, was du kannst.«

Der junge Schlossermeister lachte, ließ sich aber nicht zweimal auffordern, sondern erhob sich sofort und begann:

»Man sagt, Schweigen sei Gold, Reden Silber. Wenn aber ein sonst schweigsamer Mann spricht, fließt sicherlich nur Gold aus seinem Munde, wie Mihály bácsi es auch vorhin bewiesen hat. Ich selbst bin freilich kein schweigsamer Mensch, und da Sie mir die Ehre erweisen, mich zum Einlader für das diesjährige Kirchweihfest zu ernennen, will ich es bald der ganzen Nachbarschaft verkünden. Wir loben vorerst den Herrn und danken ihm für die reiche Heuernte; drauf folgt die weltliche Freude, der Tanz, der das Fest beschließen soll und wobei ich Gelegenheit haben werde, mit der schönsten Dirne des Dorfes recht viel zu tanzen. Wer die sein wird, will ich noch nicht verraten.« Sein Auge suchte dasjenige Piroskas.

Seine leichte und hübsche Art sich auszudrücken, entzückte Frau Varga förmlich:

»Gyula ist wahrhaftig kein Tölpel, er hat so gar nichts Tölpelhaftes an sich. Er wird ein trefflicher »Einlader« sein, das Fest muß gelingen!« meinte sie zuversichtlich.

Alle waren mit der Rede Gyulas zufrieden, nur Pista nicht, der dem jungen Meister nicht gewogen war, weil er seine Pläne, die er mit Piroska gehabt, durch seine Werbung durchkreuzte. Er grollte auch der Schwester, die ihn so sehr enttäuscht hatte. Solange sie klein und auf fremde Hilfe angewiesen gewesen, war sie unter seinem besonderen Schutz gestanden, gleich allen hilflosen Geschöpfen, die der Zärtlichkeit und Pflege bedürfen, wie ein Lämmchen, die Kälber, das junge Geflügel und die kümmerlichen Pflanzen. Pista selbst war noch nie verliebt gewesen, aber für die Zukunft seines Schwesterchens hatte er einen so schönen Plan ausgeheckt! Sie sollte seinen besten Freund, Peter Harmat, heiraten, einen prächtigen, arbeitsamen und auch wohlhabenden Menschen, bei dem sie es so gut wie in Abrahams Schoß haben würde. Peter war ganz entzückt von dem Plan und gern bereit, die schöne Richterstochter heimzuführen. Aber seine Vertrauensseligkeit und Gutmütigkeit grenzte schon an Einfalt; es fiel ihm nicht im Traum ein, seinem schlauen Bruder Matthias zu mißtrauen, der ein immer häufigerer Gast im Richterhause wurde und sich Piroska bei jeder Gelegenheit näherte. Wie ein Keulenschlag traf ihn die Nachricht, daß Matthias sich einen Korb von ihr geholt habe. Nun beeilte er sich, seine eigene Werbung anzubringen und sein einziger Trost war, daß Piroska ihn nicht so derb hatte abfahren lassen wie seinen Bruder. Ja, sie weinte sogar, als sie ihm sagte: »Du tust mir sehr leid, Peter, denn du bist ein kreuzbraver Junge, aber ich kann dir mein Herz nicht schenken, denn es gehört bereits Karsai Gyula. Wie es so gekommen ist, weiß ich selbst nicht. Als ich ihn das erste Mal auf dem Tanzboden sah, wußte ich, daß er oder keiner mein Mann würde. Ich bitte dich, sei mir nicht böse, Peter.«

Wie konnte man einem solchen Mädchen zürnen! Ihr Vertrauen machte ihn stolz. Wehe dem, der es wagen sollte, ein böses Wort über sie zu sprechen. Ganz anders dachte Pista. Er fand es abscheulich von seiner Schwester, sich in den erstbesten hergelaufenen Schlossermeister zu verlieben. Gyula war wohl ein sehr hübscher und auch tüchtiger Mensch mit großstädtischen Manieren, aber er war kein Kind des Dorfes, man wußte nichts von ihm, als daß er sich voriges Jahr seine Werkstätte in der Hauptstraße des Dorfes unten errichtet hatte, und das, was er selbst von sich erzählte. Und er sprach nicht viel von sich. Seine Lehrjahre hatte er in den größeren Städten des Landes zugebracht; überall hatte er gute Zeugnisse erhalten. Von einer alten Tante hatte er im vorigen Herbst einige hundert Gulden geerbt, nun litt es ihn nicht mehr in dienender Stellung und er beschloß, sich selbständig zu machen. Ein Kamerad aus dieser Gegend riet ihm, sich in Kismárton niederzulassen, da dort kein einziger Schlosser sei. Er kam, sah sich das Dorf an, die schöne Lage und auch die Menschen gefielen ihm – vier Wochen später eröffnete er seine Werkstatt. Der Schloßherr, der gerade seine Wirtschaftsgebäude vergrößern ließ, gab dem jungen und geschickten Meister Probeaufträge, die so gut ausfielen, daß er ihm die ganzen Arbeiten übertrug. Dieser Erfolg brachte ihm von nah und fern Kunden, so daß er es noch keinen Augenblick bereute, gerade Kismárton zu seiner neuen Heimat gemacht zu haben. Alle heiratsfähigen Mädchen warfen ihre Köder aus; aber schon nach wenigen Monaten war es kein Geheimnis mehr, daß des Richters Töchterlein es ihm angetan und Piroska ihrerseits wußte, daß sie nur ihm zum Altar folgen würde.

2.

Während der ganzen folgenden Woche war der junge Meister verhindert, seine Braut aufzusuchen; aber Piroska fand eine Ausrede, um auf einen Sprung in seine Werkstatt zu gehen und ein wenig mit ihm zu plaudern. In ihrer lebhaften, lustigen Weise erzählte sie ihm von ihrem neuen Hausgenossen, dem Maler Peti. Gyulas Brauen zogen sich immer drohender zusammen, Blutwellen schossen ihm in die Wangen; endlich hielt er es nicht mehr aus, warf die Feile hin, nahm seinen Rock vom Nagel und sagte, daß er einen Geschäftsgang in die Pfarre zu machen habe.

»Eins will ich dir nur sagen, bevor ich gehe. Mit deinem Herrn v. Peti ist es nicht ganz richtig. Wenn er die Herrschaft vom Schlosse kennt, weshalb wartete er mit seiner Reise hierher nicht, bis sie zu den Jagden hier eintrifft? Wozu braucht er schon wochenlang vorher hier herumzubummeln? Mir wird ganz übel, wenn ich dich nur seinen Namen aussprechen höre; du weißt ja auch gar nichts anderes mehr zu erzählen, als von ihm.«

»Pfui, schäme dich! Du bist eifersüchtig!« Damit ließ sie ihn mitten auf der Straße stehen und lief zum Postamt hinab, um für Herrn J. v. Peti ein großes Bündel Briefe abzuholen.

Karsai schritt, leise vor sich hinpfeifend, seines Weges dahin. Eigentlich schämte er sich seiner Eifersucht. Gab ihm Piroska auch nur den leisesten Grund dazu? Hatte sie ihm nicht heute klar und deutlich ihre Liebe bewiesen, indem sie ihn aufsuchte, um ein halbes Stündchen mit ihm zu plaudern? War es denn zu verwundern, daß sie ihm von ihrem vornehmen Hausgenossen soviel erzählte? Einen Edelmann, der Maler ist und in einer einfachen Bauernhütte vorlieb nimmt, lernt man nicht alle Tage kennen.

Nach Feierabend schlenderte Karsai langsam zum Richterhaus hinauf. Peti saß auf der niedrigen Gartenmauer, seine Beine schlenkerten wie Pendel hin und her. Piroska stand vor ihm und beschattete sich mit einer Hand die Augen, um besser die Straße hinabsehen zu können. Dem Dorf-Othello kam gar nicht der naheliegende Gedanke, daß seine Braut nach ihm ausschaue und daß sie mit stolzer Genugtuung ihn über alle Männer, die sie kannte, stelle.

»Das ist Gyula,« wandte sie sich an den Maler. Sie mußte an sich halten, um ihrem Liebsten nicht mit einem Jubelschrei an den Hals zu fliegen. Als dieser bemerkte, daß sie ihm nicht entgegenkam, verlangsamte er seinen Schritt und köpfte einige Disteln am Wege.

»Er ist so schüchtern,« flüsterte sie. »Ist er nicht hübsch?«

Peti bejahte und riet ihr lächelnd, dem Meister entgegenzugehen. Aber sie blieb wie festgewurzelt stehen und runzelte die Stirne, als sie sah, daß Gyula sich plötzlich umdrehte und die steile Straße hinabeilte.

»Er will, daß ich ihm nachlaufe; aber das tue ich nicht!«

»Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich ihm diesmal doch nachlaufen,« bemerkte der Maler.

Sie schüttelte heftig ihr Köpfchen, aber als sie sah, daß Gyula wirklich ernst machte, rannte sie ihm verblüfft nach. Er blieb nicht wie sonst an der Brücke stehen, sondern schlug mit hastigen Schritten den Weg zur Wiese ein. Sie rief ihm nach, er drehte sich aber nicht einmal um.

»Gyula, Gyula! Was hab' ich dir getan?«

In ihrer Stimme lag ein solcher Schmerz, daß er plötzlich stehen blieb. Ganz atemlos, die Augen voll Wasser, warf sie sich an seine Brust.

Peti beobachtete von seinem erhöhten Sitz die Begegnung und lächelte befriedigt vor sich hin. »Die sind wieder versöhnt, die Glücklichen,« seufzte er, »während ich mich selbst verbannt habe, um aus dem schönen Traum zu erwachen. Damit ich mir die blöden Gedanken aus dem Kopfe schlage, will ich wieder einmal auf der Terrasse des Jagdschlosses drüben meine Zigarre rauchen.« Kaum war er einige Schritte gegangen, als sich ihm der Nachbar-Pächter Matthias Harmat zugesellte.

»Haben Sie die hübsche Hexe bemerkt?« fragte er, höflich den Hut lüftend und mit dem Daumen ins Tal deutend, wo Piroska und Gyula noch immer standen.

»Es ist ein hübsches Mädchen,« gab Peti zu.

»Man wird nicht viele hübschere in der Hauptstadt finden.«

»Dort würde sie sich denn doch verlieren.«

»Ich weiß, daß Kleider Leute machen. Wenn sie wie eine Stadtdame herausgeputzt wäre, könnte sie's mit jeder aufnehmen an Schönheit und Frische.«

»Am besten für sie, sie bleibt, wo und wie sie ist. Der Schlosser und sie werden ein prächtiges Paar abgeben,« entgegnete der Maler und sah Matthias scharf ins Auge. »Sie gehört zu jenen Mädchen, die ihr Herz nur aus Liebe verschenken.«

»Ich habe auch um sie geworben, aber wir beide hätten wohl wie Liebe und Haß zusammengepaßt,« entgegnete der Pächter giftig. »Ich trage ihr deshalb nichts nach, aber mir scheint, die Bauernprinzessin hat noch nicht den Mann gefunden, der ihr paßt. Sie hat mir den Laufpaß gegeben und meinem Bruder auch, der aus anderem Holz geschnitzt ist, als ich, und hat sich Karsai an den Hals geworfen, weil er ihr damals als der höchste Preis erschien; wie ich aber in die Karten hineinsehe, wird sie auch mit ihm nicht zum Altar gehen, sie strebt höher hinauf.«

»Es tut mir leid, das zu hören,« entgegnete Peti, der in seiner Arglosigkeit die boshafte Anspielung gar nicht verstand. »Mir erscheint das Mädchen nicht leichtfertig oder flatterhaft, dagegen halte ich ihren Bräutigam für eifersüchtig. Wenn dem so ist, sollten beide vorsichtig sein.«

»Es ist leider so, gnädiger Herr! Er ist eifersüchtig und sie sehr heftig und empfindlich. Sie wird noch Manches erleben!«

Peti, der nicht an dieses »Ende der Welt« gekommen war, um der Vertraute von Liebespaaren zu werden oder Dorfklatsch zu hören, sondern um seine eigene Wunde vernarben zu lassen, die ihm von schöner Hand geschlagen worden, schüttelte sich den ihm ohnedies unausstehlichen Matthias bald ab und erklomm den Hügel, wo das Jagdschloß stand, auf dessen Terrasse zu verweilen er sich die Erlaubnis vom Verwalter erbeten hatte.

Es war ein köstlicher Sommerabend. Von der Terrasse überblickte man die Gebirgskette mit ihren merkwürdigen Formationen, die sich gespenstisch vom hellen Firmament abhoben. Der Springbrunnen im Hofe plätscherte eintönig ins Becken zurück, im Busch flötete eine Nachtigall, vom Dorfe her sah man einzelne Lichter aufblitzen und die bleiche Mondsichel warf ihr fahles Licht über die romantische Szenerie. Es war ein Abend wie geschaffen zur Träumerei. Und der Maler gab sich voll und ganz derselben hin, bis die energischen Schritte des Verwalters ihn daraus erweckten.

»Ein schönes Fleckchen Erde das, nicht wahr, mein Herr? Ja, unser Ungarn ist ein gesegnetes Land! Schöne Gegenden, noch schönere Frauen und – guter Wein! Darf ich Sie einladen, mit mir einer Flasche Magyaráter den Hals zu brechen?«

Peti nahm dankend an. Ein hübsches Mädchen brachte einen Imbiß und mehrere Flaschen Wein herauf und bald waren die Herren in ein gemütliches Gespräch vertieft.

»Sagen Sie mir, Herr Verwalter, seit wann gehört dieses Schlößchen dem Baron Berczy? Ich hatte keine Ahnung davon, daß er auch in dieser Gegend begütert ist. Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich wahrlich nicht hierher gekommen! Begleitet Baronesse Mizi die Herren zuweilen hierher? Kennt sie diese herrliche Gegend?«

»Das will ich meinen! Sie weilt sogar sehr gerne hier. Sie ist eine große Naturfreundin und macht Streifzüge in Wald und Berg. Wissen Sie denn nicht, daß diese ziemlich große Besitzung ebenso ihr Privateigentum ist wie Schloß Lilienfeld? Sie ist ja eine der reichsten Erbinnen des Landes.«

Auf diese Mitteilung verdüsterte sich das hübsche Antlitz des Malers so sehr, als ob man ihm irgendeine Unglücksbotschaft hinterbracht hätte. Er wurde ganz melancholisch, seufzte verstohlen und schien von einer riesigen Unruhe befallen, so daß er sich bald empfehlen mußte, um sich nicht zu verraten.

»War ich ein Narr, hierherzukommen!« murmelte er auf dem Heimwege vor sich hin. »Wenn es einen Ort auf der Welt gibt, wo ich immerfort an meine hoffnungslose Liebe erinnert werde, so ist es dieser. Alter Bursche, packe deine Sachen und mach' daß du so rasch als möglich fortkommst!«

Einige Tage später begab sich Matthias Harmat in die Werkstätte des jungen Schlossermeisters, um eine kleine Bestellung zu machen. Diese Gelegenheit benützte er, um das Feuer ein wenig zu schüren und die Eifersucht seines glücklichen Nebenbuhlers wieder anzufachen. Er erzählte ihm von einer Hexe unten im Tale, für die kein gewöhnlicher Sterblicher gut genug sei. Er meinte damit nicht Piroska, Gott behüte, obgleich auch diese die Nase hoch genug trage, aber das sei nicht seine Sache, sondern die des Meisters. Ja, ja, die Weiber, die gaben einem zu denken; wohl dem, der nichts mit ihnen zu schaffen habe.

Gyula wechselte die Farbe, die Zornesader an seiner Stirne schwoll und er feilte mit doppelter Aufmerksamkeit an einem Schlüssel. Kaum hatte sich Matthias, befriedigt von dem Erfolg seiner Mission, entfernt, als der Meister sein Werkzeug zu Boden warf, zum Brunnen eilte, um sich zu waschen, die Werkstatt schloß und quer über die Wiesen dem Hause des Dorfrichters zueilte. Er wollte diesmal von hinten eintreten, um Piroska zu überraschen. Das Gift der Eifersucht war bereits tiefer gedrungen, als er sich's eingestehen wollte.

Das Haus stand hart an der Berglehne, vom Garten führte ein Pfad bis zur waldigen Bergschlucht, in die sich der Wildbach ergoß. Gyula blieb wie festgebannt stehen und lauschte. Ja, das war Piroskas frohes Lachen, und jetzt unterschied er ganz genau den tiefen, wohlklingenden Bariton Petis. Er folgte den Stimmen und hielt sich im Schatten der Bäume versteckt. Piroska sprang munter wie ein Reh von einem Steinblock zum andern, dabei fortwährend plaudernd:

»Heute nicht, heute nicht, morgen wenn Sie wollen!«

»Ah, ich weiß,« sagte der Bariton. »Sie erwarten den hübschen Jüngling.«

»Falsch geraten. Er ist zu bequem, um solche mühsame Wege zu ersteigen. Sehen Sie doch, sehen Sie diese herrliche Kaskade!«

Der »hübsche Jüngling« fand es an der Zeit, vorzutreten, Piroska hüpfte fast in seine Arme und sah ihn voll Erstaunen in holder Verwirrung an. Er mißdeutete diesen Blick und hielt ihn für angstvolles Schuldbewußtsein.

»Nun, Piroska, weshalb bist du plötzlich so still geworden? Das ist ja sonst nicht deine Art! Aber freilich, du hast mich ja nicht erwartet,« sagte er höhnisch.

»Was hast du schon wieder, Gyula? Du weißt, daß solche Scherze mich verletzen und mir wehe tun!«

»Frägst du denn darnach, ob du anderen Leuten wehe tust? Ich wollte nicht glauben, was ich hörte, aber was meine eigenen Augen sehen, das muß ich wohl glauben. Es scheint also wahr zu sein, daß du der geborene Wankelmut bist!«

»Der geborene Wankelmut!« wiederholte sie.

Es war ja ganz undenkbar, daß er sie wirklich dafür hielt; er wollte sie vor dem vornehmen Herrn nur ein wenig ärgern. Als Peti sich ihnen anschloß, lächelte sie diesem voll naiven Stolzes auf ihren Geliebten zu. Ihre Blicke schienen ihm zu sagen: Bin ich nicht zu beneiden? Der Maler reichte in seiner angeborenen Liebenswürdigkeit, und auch um dem hübschen Mädchen Freude zu machen, dem Meister freundlich die Hand. Aber dieser, jede Selbstbeherrschung verlierend und von blinder Eifersucht gequält, starrte seinen vermeintlichen Nebenbuhler feindselig an und schlug in die dargebotene Rechte nicht ein. Wie ein Schatten flog es über Piroskas Gesicht, ihre Augen sprühten vor Unmut.

»Was muß der fremde Herr von dir denken?«

»Was kümmert's mich?« gab er trotzig zurück.

»Schäme dich, Gyula, so unhöflich zu sein, das ist sonst nicht deine Art,« rief sie erzürnt. »Er wird einen netten Begriff von meinem Geschmack bekommen.«

»Liegt dir denn so viel daran, wie man über mich denkt?« gab er höhnisch zurück. »Uebrigens sind mir über dich die Augen jetzt aufgegangen.«

Sie würdigte ihn keiner Antwort, denn sie fühlte sich im Innersten verletzt und wollte es ihn empfinden lassen. Mit dem süßesten Lächeln wandte sie sich an den Maler:

»Gehen wir, Herr v. Peti! Es wird am besten sein, den Brummbären sich selbst zu überlassen. Wann darf ich Ihnen wieder zu meinem Bilde sitzen?«

Peti, der sehr wohl wußte, wie sehr Piroska den eifersüchtigen Burschen liebte, wollte die Situation nicht noch mehr zuspitzen; er flüsterte ihr eine Warnung zu, lüftete seinen Hut und setzte seinen Weg in die Klamm allein fort. Mit einem Sprung war Karsai an ihrer Seite, faßte sie so hart am Handgelenk, daß sie einen leisen Schmerzensschrei nicht unterdrücken konnte, und zischte ihr zu:

»Jetzt muß es klar zwischen uns werden! Heraus mit der Wahrheit! Glaubst du wirklich, daß diese städtische Zierpuppe, dieser herausgeputzte Affe es ernst mit dir meint? Jetzt weiß ich, daß das Gerede der Leute doch nicht ohne Grund war, aber weder der feine Herr noch du wird mich zum Gespötte machen.«

»Die Wahrheit willst du hören? Heute wirst du weder die Wahrheit noch eine Lüge von mir hören. Ich wiederhole dir, daß ich Mißtrauen nicht vertragen kann; merk dir das!«

Und ehe er noch etwas erwidern konnte, lief sie den Abhang hinab und verschwand in der Milchkammer.

»Bei Gott, das Mädchen hat Geist und Temperament!« dachte Peti und warf sich auf den weichen Moosteppich unter eine prächtige alte Eiche. »Und der Kerl ist ein Narr! Die menschliche Natur bleibt also auf der ganzen Welt die gleiche, bloß mit dem Unterschiede, daß wir Kulturmenschen vom Konventionalismus beleckt sind. Ich möchte nur wissen, wie weit sich Baronesse Mizi von ihrem Temperament hinreißen ließe und wie weit meine Narretei gehen könnte! Ah, ich glaube, es wird vernünftiger sein, die Einladung Berczys, ins Schlößchen zu übersiedeln, nicht anzunehmen und das Feld zu räumen, ehe die Jagdgesellschaft hier eintrifft.«

Peti hatte im vorigen Herbst Baronesse Mizi bei ihrem Vormund und Onkel, dem jovialen Baron Berczy, kennen gelernt. Da sie ihm als Waise vorgestellt wurde, die abwechselnd bei ihren Verwandten und Freunden lebte, hatte er gefolgert, daß sie mittellos sein müsse. Sie war in ihrem Wesen und Auftreten so bescheiden und anspruchslos und verstand es, sich überall so nützlich zu machen, daß er dadurch in seiner Ansicht bestärkt wurde und den Mut fand, ihr lebhaft den Hof zu machen, sich in falschen Hoffnungen zu wiegen. Mit Genugtuung nahm er wahr, daß sie ihn vor allen anderen jungen Leuten auszeichnete; ihre Blicke verrieten ihm, daß er ihr nicht gleichgültig sei. Wie ihn das beglückte! Nun hatte er ein herrliches Ziel vor Augen. Seine finanziellen Verhältnisse hätten es ihm nicht ermöglicht, einen Hausstand zu gründen, aber mit Hilfe seiner Kunst, die er bislang nur zu seinem Vergnügen betrieben, hoffte er seinen Traum erfüllen zu können. Wenn erst Mizi sein Weib geworden, wie wollte er da arbeiten und schaffen, seinen Ruhm und Wohlstand begründen!

Aber eines Tages wurde er durch einen Freund aus allen Himmeln gerissen. Er erzählte dem Maler, ohne zu ahnen, wie tief dessen Stolz und Ehrgefühl darunter litt, daß Baronesse Mizi über ein großes Vermögen verfüge und in Siebenbürgen sowohl als auch im Norden Ungarns begütert sei. Der Gedanke, daß seine Freunde ihn am Ende für einen Goldfischjäger halten könnten, war Peti so fürchterlich, daß er schon am nächsten Tage unter einer Ausrede das gastliche Haus des Barons Berczy verließ und sich, um seine Träume zu vergessen, in dieses Gebirgsnest im Herzen der Karpathen verbannte. Den letzten Hoffnungsstrahl, Mizi doch noch einmal sein nennen zu können, hatte ihm gestern der Verwalter zerstört. Kein Zweifel, sie galt als eine der reichsten Erbinnen im Lande! Wie durfte er, der arme Landedelmann, sich vergessen, zu ihr emporzublicken? Sein Entschluß stand fest, Kismárton zu verlassen, ehe die Jagdgesellschaft eintraf. Als Ehrenmann durfte er die Einladung des ahnungslosen Vormundes seiner Angebeteten nicht annehmen …

3.

Die nächste halbe Stunde verbrachte Gyula wie in einem Fegefeuer. Er wußte nicht, was tun, Liebe und Eifersucht kämpften in ihm einen harten Strauß, aber für diesmal siegte die erstere. Er trieb sich in der Nähe des Hauses herum, hörte Piroska im Stalle mit den Milchkübeln hantieren und mit ihrer silberhellen Stimme sein Lieblingsliedchen singen. Das Zuschlagen der Stalltüre war das Zeichen, daß sie nun erscheinen werde. Den vollen Milcheimer auf dem Kopfe, die Arme in die Hüften gestemmt, um das Gleichgewicht zu erhalten, durchquerte sie mit ihren elastischen Schritten den Hof, ohne nach rechts oder links zu blicken. Er näherte sich ihr; aber sie tat, als ob sie ihn nicht bemerkte, und verschwand in der Milchkammer, wo Frau Varga in ein riesiges Butterfaß Rahm schüttete und ihrer Tochter bedeutete, ihn sofort zu Butter zu rühren, die morgen zu Markte getragen werden sollte. Piroska tat, wie ihr befohlen. Die Mutter verließ die Kammer und jetzt schlich sich Gyula schüchtern herein. Sie waren allein. Ein gutes Wort und der Zwist wäre beigelegt gewesen. Aber er hatte sie zu tief verletzt und sie bestrafte ihn mit erheuchelter Gleichgültigkeit und Kälte. Ein Liedchen summend, schien sie sich ausschließlich mit ihrer Arbeit zu beschäftigen, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Als die Butter fertig war, walkte und schnitt sie dieselbe in Pfundstücke, um sie zierlich zu verpacken. Noch immer hatte keines von beiden ein Wort gesprochen. Aus dem Fegefeuer war Gyula in die Hölle geraten. Sein Blut kochte und wallte, schließlich verlor er jede Selbstbeherrschung und er begann mit vor Aufregung zitternder Stimme:

»Du hast mir schon öfter bewiesen, daß du kein Maß und keine Grenzen kennst. Dein Verstand geht mit deinem Temperament durch. Du bist wahrhaftig eine Meisterin im Buttermachen mit sittsam zu Boden gesenkten Blicken, aber eine noch größere Meisterin im verliebten Augenaufschlag, wie ich heute an der Bergschlucht bemerkte. Du selbst hast dich dem Gecken erboten, ihm Modell zu sitzen. Nun durchschau ich dein Spiel. Du hast dich von seinen Blicken betören lassen – –«

»Wirklich?« gab sie schnippisch zurück. »Sag mal, Karsai Gyula, bildest du dir wirklich ein, daß mich niemand mehr ansehen darf, als deine Herrlichkeit? Schreib doch auf die Tafel am Gemeindehaus: Es wird hiermit allen Männern von Kismárton kund und zu wissen getan, daß ich jeden, den ich dabei ertappe, meine Braut, des Richters Tochter, Varga Piroska, anzusehen, zur Rechenschaft ziehen werde. Setze deinen Namen darunter und mache dich zur Zielscheibe des Spottes. Die meisten Männer sind stolz darauf, wenn die Geliebte ihrer Wahl auch anderen gefällt, und du tust, als ob das eine Todsünde wäre. Den meisten Mädchen und mir auch, macht es Freude, zu gefallen – –«

»Aber nicht, wenn sie bereits verlobt sind,« entgegnete Gyula bitter. Er glaubte, vor Wut ersticken zu müssen. »Uebrigens geht es mich nichts an, was andere Mädchen tun – bei dir dulde ich es nicht. Ich verzichte auf eine Braut, deren Namen befleckt und in aller Munde ist! Wenn dir in Zukunft meine Blicke nicht genügen, ist es besser, du sagst es und wir machen der Komödie für immer ein Ende. Ich will mein Weib für mich allein haben! Piroska, ich könnte dich erwürgen!«

Die Tür fiel dröhnend ins Schloß und Piroska war allein. Jetzt erst kam sie zur Besinnung dessen, was geschehen. Sie war in ihrem beleidigten Stolz zu weit gegangen. Bangigkeit erfaßte sie, sie schlug die Schürze über den Kopf und schluchzte bitterlich. Sie fühlte, daß es keine bloße Drohung war, mit der er sie schrecken gewollt. Sie würde Gyula nie, nie wiedersehen! Nein, das schien unmöglich! Ein Leben ohne ihn war ihr undenkbar. Wollte sie nicht an dieser Stunde zugrunde gehen, so mußte sie allen Stolz und Trotz von sich werfen und ihn wieder aussöhnen. Er konnte ja noch nicht weit sein … Sie sprang auf, eilte über den Hof und die Wiese und blieb erst an der Lärchenbrücke stehen. Erschöpft und halb ohnmächtig mußte sie sich an das Geländer lehnen. Spähend ließ sie ihre tränenumflorten Blicke in der Runde schweifen, von ihm noch keine Spur. Aber er mußte ja hier vorüber, in ihrem wahnsinnigen Lauf hatte sie nur einen großen Vorsprung erzielt!

»Gyula, Gyula!« rief sie verzweiflungsvoll in die Dämmerung hinein.

Keine Antwort. Sie stöhnte schwer auf und begrub ihr glühendes Gesicht in den Händen. Das lustige Geplätscher des Baches schien ihr wie Spott, ein Schauer lief durch ihren Körper. Sie hatte das Gefühl, als ob die Bergriesen ringsum immer näher und näher rückten, um sie schließlich mit ihrer Umarmung zu erdrücken. Würden sie's doch tun, dann hätte aller Jammer ein Ende!

Gyula war mit seinem Schmerz in den Wald geflüchtet und fühlte sich nicht minder unglücklich als das Mädchen, von dem er sich losgesagt. Er rief sich all die glücklichen Stunden zurück, die er in ihrer Nähe verbracht und sah im Geiste das stattliche Bauernhaus, das sein Glück geborgen. War es denn möglich, daß er es für immer verloren?! Matthias hatte also recht behalten – sie spielte mit Männerherzen, die Leichtfertige! Grimmig ballte er die Hände. Und wie er sie geliebt hatte! Hatte? Nein, er liebte sie ja noch, sie war ja so schön! Aufschluchzend warf er sich ins Moos und verbrachte die halbe Nacht im Freien. Erst bei Tagesgrauen schlich er sich mit steifen Gliedern und Verzweiflung im Herzen nach Hause.

Auch Piroska hatte eine schlaflose Nacht verlebt. Ihr Trotz war wieder erwacht. Niemand wußte von dem Zerwürfnis und niemand brauchte davon zu erfahren. Bis zum Kirchweihfest waren nur noch einige Tage und es schien ihr undenkbar, daß Gyulas Zorn und Eifersucht sich bis dahin nicht gelegt haben sollte. Er mußte ja zu ihr zurückkehren. Sie unterdrückte tapfer ihre Besorgnisse und bemühte sich, heiter wie gewöhnlich zu erscheinen. In den nächsten Tagen gab es alle Hände voll zu tun mit Vorbereitungen für das Kirchweihfest. Fast in jedem Hause erwartete man auswärtige Gäste. In Ungarn ist man bekanntlich sehr gastfreundlich, namentlich bei solchen außergewöhnlichen Gelegenheiten und die Gastfreundschaft des Richters Varga war ja in der ganzen Umgebung sprichwörtlich. Piroska mußte Berge von Mehlspeisen bereiten – das war ihre Spezialität – ihren Sonntagsstaat in Ordnung bringen und Kränze zur Ausschmückung der großen Tenne flechten. Es blieb ihr wahrlich nicht viel Zeit zum Grübeln. Da auch die guten Nachbarn vollauf beschäftigt waren, fiel es niemandem auf, daß sich der »Einlader« gar nicht bei »Richters« zeigte. Nur Piroska empfand es bitter, daß Gyula noch keinen Versöhnungsversuch gemacht hatte.

»Piroska, ich gehe ins Dorf hinab,« sagte eines Morgens Peti, in den Garten tretend, wo das junge Mädchen gerade Beeren pflückte. Sie fuhr so heftig zusammen, daß es dem jungen Mann klar wurde, ihre Gedanken seien weit weg gewesen. Enttäuscht und mit Tränen in den Augen blickte sie zu ihm auf. Sie hatte wohl jemand anderen erwartet. Das hübsche Mädchen mit den rosigen Wangen, den lebhaften grauen Augen und dem kecken Stumpfnäschen sah mit dem tragischen Ausdruck in ihrem Gesicht so rührend und hilflos aus, daß Peti sich sagte, er müsse, da er die unschuldige Ursache des Zerwürfnisses mit ihrem eifersüchtigen Liebsten sei, auch die Versöhnung herbeiführen. Das kindlich reine, junge Ding dauerte ihn.

Sie schien seine Bemerkung überhört zu haben, denn nachdem sie sich etwas gefaßt hatte, fragte sie, noch immer mit ihrer Verlegenheit kämpfend:

»Sie kennen doch den Herrn Baron Berczy?«

»Jawohl.«

»Nun, dann wird es Sie auch interessieren, zu hören, daß man drüben« – sie deutete aufs Jagdschloß hinüber – »einen leblosen Gast, der dennoch sprechen kann, erwartet. Die Wirtschafterin hat es mir heute erzählt.«

»Eine Geige oder ein Klavier?«

»Ein Klavier. Frau Berg hat auch hinzugefügt, daß sie es sehr seltsam findet, denn vornehme Herren, wenn sie nicht mehr kleine Jungen sind, spielen ja nicht Klavier.«

»Es pflegt doch zuweilen vorzukommen. Mich soll's nur wundern, wenn das Instrument nicht in Scherben hier ankommt.«

»Ganz andere Dinge erleiden im Leben Schaden und wenn ich bedenke, was die menschliche Kreatur alles erdulden muß – –«

Es lag ein so tiefes Weh in dem Ton ihrer Worte, daß der junge Mann erstaunt aufblickte. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, denn sie hatte das Kopftuch tief in die Stirne gezogen, um sich vor der Sonne oder vor seinen Blicken zu schützen, aber ihre klagende Stimme verriet ihm ihren Seelenzustand. Der eifersüchtige Tor da unten im Dorfe verdiente wahrlich dieses reizende Geschöpf nicht, für dessen naive Harmlosigkeit und Unschuld Peti einstehen konnte.

»Jetzt muß ich gehen, wenn ich noch die heutige Post erwischen will,« sagte der Maler. »Irre ich nicht, so muß ich an der Schlosserwerkstätte vorbei. Grübeln Sie nicht zu viel über die Gebrechlichkeit der Dinge nach und sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.«

»Ich bin sehr unglücklich,« bemerkte sie nach einer Pause leise, »und durch meine eigene Schuld.«

»Er war neulich an der Schlucht sehr unvernünftig. Glauben Sie nicht, daß ihn jemand gegen Sie aufhetzt? Mir macht es den Eindruck.«

»Wer sollte so boshaft sein? Und weshalb denn? Nein, nein, ich muß mich selbst anklagen, ich war zu heftig und trotzig und bin zu weit gegangen. Wenn ihm das nur jemand sagen wollte!«

»Sie sind zu ungerecht gegen sich selbst. Wenn er unter dem Bruch nicht ebenso leidet, wie Sie, so wird diese Botschaft nicht viel nützen. Das morgige Fest ohne ihn würde für Sie eine Qual sein, nicht wahr? Ich sehe jetzt, was ich zu tun habe.«

»Wie dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie die Geschichte wieder in Ordnung brächten! Ich liebe ihn ja mehr denn je.«

Wie reizend sie aussah und wie kindlich vertrauensvoll sie ihn anblickte!

4.

Mit dem festen Vorsatz, Gyula den Kopf zurechtzusetzen, schlenderte der Maler ins Dorf hinab. Seine Gedanken beschäftigten sich auch mit der Nachricht, die ihm Piroska hinterbracht hatte. Er konnte tun, was er wollte, ein Klavier ohne Damen vermochte er sich nicht vorzustellen. Es dünkte ihm so unwahrscheinlich, daß Herren, von der Schnepfenjagd müde, Lust zum Musizieren haben würden. Und dann hatte das Jagdschloß soviele Jahre ohne Klavier bestanden, wozu ließ der Baron gerade jetzt eines herschaffen? …

Die Dorfstraße war heute ungewöhnlich belebt. Alt und Jung stand vor den Türen und schien irgendetwas anzustaunen. Er beschleunigte seine Schritte, um zu erfahren, was los sei. Als er um die Ecke bog, stieß er auf einen mit dem Klavier beladenen Wagen, hinter dem der Verwalter des Schlosses erregt einhertrottete. Als er des Malers ansichtig wurde, blieb er stehen, um endlich seinem Unmut Luft zu machen.

»Schönen guten Tag, Herr v. Peti! Was sagen Sie zu dem Einfall unseres Barons, ein Klavier dort hinauf zu schaffen? Mir soll's recht sein, wenn wir es unversehrt den Berg heraufbekommen. Der Herr Baron schrieb mir in seinem letzten Briefe, wenn die Sendung auch nicht Glas sei, so erfordere sie doch ebenso große Vorsicht. An ein Klavier habe ich wahrhaftig dabei nicht gedacht. Sehen Sie doch, das ganze Dorf ist in Aufregung! Was sich der Herr Baron einmal in den Kopf setzt, das führt er auch aus. Ich habe übrigens auch für Sie etwas. Da wir an dem Richterhaus vorbei müssen, habe ich Ihre Post mitgenommen. Ein halbes Schock Briefe – hier sind sie.«

Peti nahm sie dankend in Empfang, dann schüttelten sich die Herren die Hände und trennten sich. Peti warf einen flüchtigen Blick auf den obersten Brief. Sofort war der Hauptzweck seines Besuches im Dorfe vergessen. Er ging an der Schlosserwerkstätte vorbei, ohne sich seines Auftrages zu erinnern – ein Glück, daß Piroska nichts davon ahnte, sonst hätte sie wohl nicht so hoffnungsfreudig dem morgigen Tag entgegengesehen – und durcheilte ein paar Winkelgassen, bis er endlich in die kleine Au kam, die hinter dem Dorfe lag. Hier warf er sich am Ufer des Baches nieder und erbrach den Brief. Er war vom Baron Berczy, der ihm sein freudiges Erstaunen mitteilte, ihn in Kismárton zu wissen und ihn aufs neue liebenswürdig einlud, seinen Aufenthalt im Jagdschloß zu nehmen.

»Sie werden es dort auf jeden Fall bequemer haben, als bei unserm Richter, der übrigens trotz seiner Schrullen ein prächtiger Mensch ist, ein Charakter. Wie abscheulich von Ihnen, daß ich erst durch unsern Freund Aladár erfahren mußte, Sie seien in Kismárton. Sie bleiben unbedingt dort, um mit uns an der Schnepfenjagd teilzunehmen. Es wird sehr lustig werden. Servus! Ihr alter Berczy.«

Rein, daß diese Plaudertasche von einem Aladár nicht reinen Mund halten konnte! Uebrigens fand sich unter den Briefen auch einer von ihm. Hastig überflog er ihn. Wie ein Kichern ging es durch die Zeilen. Er beglückwünschte Peti, ein so herrliches buen retiro wie Kismárton gefunden zu haben, beschwor ihn, sich nicht zu überarbeiten und sich um Gottes willen nicht in eine der Dorfschönen zu verschauen, das sei für einen aristokratischen Maler, nach welchem gewisse schöne Augen vergebens auslugen, entschieden gefährlich. Er möge vielmehr das Jagdgebiet studieren, das passe für einen Ausreißer besser. Mit keinem Worte erwähnte er aber, wo sich Baronesse Mizi befinde, und ob der unausstehliche Oberleutnant sie noch immer wie ihr Schatten begleite.

Der Gedanke, Mitte August in die Hauptstadt zurück zu müssen, hatte für Peti nichts Verlockendes, wenn er bedachte, welche Gluthitze die Asphaltstraßen ausströmen. Wie idyllisch schön war es dagegen hier! Das Auge schwelgte förmlich in Farbentönen und erfreute sich an der Verschiedenartigkeit der Bergformationen. Welche Anregungen schöpfte er täglich in den riesigen Wäldern, die sich meilenweit ausdehnten. Er hätte kein besseres Plätzchen für malerische Vorwürfe finden können, als diese wildromantische Hochgebirgslandschaft. Hier lernte er in einer Woche mehr, als in der Stadt in einem Jahre. Und doch mußte er fort. Er durfte, wenn er sich selbst treu bleiben wollte, die Einladung Berczys nicht annehmen. Nein, gewiß nicht! Aber was hinderte ihn denn, nach wie vor seine Kammer bei Vargas zu behalten? Es waren biedere, freundliche Menschen – durchweg Studienköpfe, die er nach und nach seiner Mappe einverleiben konnte. Mihály bácsi weigerte sich allerdings noch immer standhaft, Modell zu stehen, und war erst gestern wieder ob dieser Zumutung in Harnisch geraten. »Das fehlte noch, daß ich, der Richter von Kismárton, in irgendeiner Bildergalerie aufgehängt werde und meine Augen, meine Nase, ja vielleicht sogar meinen Attila von wildfremden Menschen kritisieren und angaffen lasse!« meinte er zornig. »Ich weiß, was ich meinem Namen und meinem Stande schuldig bin. Wenn wir gut' Freund' bleiben wollen, Herr v. Peti, kommen Sie mir nie mehr mit solchen Zumutungen! Und damit basta!«

Die Jagdgesellschaft wurde ja erst in vierzehn Tagen erwartet, er hatte also noch immer Zeit, zu überlegen, ob er gehen oder bleiben solle. Am Ende kam Mizi doch mit? Das Klavier sprach für diese Annahme. Der Name Mizi versetzte ihn in eine angenehme Träumerei. Es war auch zu schön, im Schatten der Buchen, am Ufer des leise murmelnden Baches zu ruhen und, eingelullt von Vogelgezwitscher und Blumenduft, seinen Gedanken Audienz zu erteilen. Erst die hinter den Bergen verschwindende Sonne mahnte ihn zum Aufbruch. Als er wieder an der Schlosserwerkstätte vorbeikam, erinnerte er sich seines Versprechens, Karsai mit Piroska auszusöhnen. Entschlossen, den Fehler sofort gut zu machen, wollte er bei dem Schlosser eintreten, zu seinem Aerger fand er aber die Türen gesperrt. Vergebens rüttelte er an der Klinke. Durch seinen eigenen Herzenskummer hatte er ganz den seiner Hausgenossin vergessen. Das arme Kind! Wie, wenn er für Karsai eine Botschaft hinterließe? Er kreuzte die Straße; drüben in der weit geöffneten Haustüre stand ein dickes Bauernweib, das ihn neugierig beobachtet hatte; dieses bat er nun, dem Schlossermeister auszurichten, daß er von jemandem, der sich für ihn interessiere und ihm Wichtiges mitzuteilen habe, morgen beim Festschmaus im Richterhause erwartet werde.

Die »dicke Julcsa«, wie das Bauernweib im Dorfe genannt wurde, hütete sich, den Auftrag des »noblen Herrn« auszurichten. Durch ihren Vetter Matthias wußte sie bereits, wie es im Richterhause bestellt war, und daß zwischen Piroska und dem Schlosser eine Spannung eingetreten sei. Das leichtfertige, hochnäsige Ding, das allen braven, sittsamen Mädchen im Dorfe die Freier abspenstig machte, sollte morgen vergebens auf Gyula warten. Dieser wollte nichts mehr von der Falschen wissen – dank den Einflüsterungen des Vetters Matthias, der Piroska seit ihrer Zurückweisung ebenso glühend haßte, wie er sie vorher geliebt hatte, und der bei allen Heiligen geschworen, nicht eher zu ruhen, als bis er sie vor dem ganzen Dorfe gedemütigt haben werde. Eine kluge Mutter, die eine heiratsfähige Tochter besitzt, muß das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Wäre die stolze Richterstochter ihrer Janka nicht ins Gehege gekommen, würde diese längst schon Frau Schlossermeister sein. Aber diesmal wollte Julcsa schon dafür sorgen, daß der Schlosser ihr Schwiegersohn werde. Sie gab ihm Gelegenheit, Janka so oft als möglich zu sehen und er fing auch bereits an, ihr Aufmerksamkeit zu schenken.

Gyula sehnte im Innersten seines Herzens eine Aussöhnung mit Piroska herbei, denn er konnte sich das reizende Geschöpf nicht aus dem Kopfe schlagen. Von einem unbestimmten Instinkt getrieben, sprach er am Morgen des Kirchweihfestes bei der »dicken Julcsa« vor, um anzufragen, ob ihm gestern abend niemand eine Botschaft hinterlassen. Ein Glück, daß die Frau gerade vor dem Kochherd stand, sonst hätte die Röte ihres Gesichtes sie verraten müssen. Mit der ihr eigenen Zungengeläufigkeit versicherte sie, daß sie keine Menschenseele gesehen und die Straße den ganzen Abend wie ausgestorben gewesen sei. Um ihn von dem Gedanken abzulenken, erzählte sie, daß sie von Vetter Matthias interessante Dinge gehört habe:

»Bei Vargas soll es heute hoch hergehen. Der alte Sonderling hat das ganze Dorf zu Gaste geladen und getanzt wird nicht im Wirtshaus, sondern auf seiner Tenne. Piroska, das fleißige, geschickte Kind, bäckt Tag und Nacht unglaubliche Mengen Kuchen. Varga soll sich nicht wenig darauf einbilden, daß das Fest in diesem Jahre bei ihm stattfindet, der Alte wird vor lauter Hochmut noch schließlich den Verstand verlieren. Sie, mein lieber Schlossermeister, sind ihm wohl nicht mehr gut genug zum Schwiegersohn, seit der noble Farbenklexer sich so auffallend viel mit seiner Tochter beschäftigt. Mich soll's nicht wundern, wenn der Windbeutel die Ehre der hübschen, stolzen Piroska besudelt und diese dann im Stiche läßt. Man erzählt sich nette Geschichten!«

»Von wem?« fragte Gyula, entschlossen, den bitteren Kelch bis zum letzten Tropfen zu leeren.

»Aber, lieber Meister, dringen Sie doch nicht in mich, Ihnen so unangenehme Dinge zu erzählen. Man darf nicht alles glauben, was die böse Welt spricht. Es ist eine Sünde, ein Liebespaar zu entzweien und ich wäre untröstlich, wenn ein Wort von mir – –«

»Sie wissen ganz gut, Mutter Julcsa, daß es zwischen mir und Piroska aus ist.«

»Nein, wer hätte so etwas gedacht! Nun ja, sie hat mit Vetter Matthias und mit Peter auch so lange ihr Spiel getrieben, bis diese um sie geworben haben, dann hat sie ihnen den Laufpaß gegeben. Und das waren nicht die ersten, sie treibt es schon seit sie die Schule verlassen hat. Sie will gar hoch hinaus, aber das Sprichwort sagt: Wer hoch steigt, fällt tief. Freilich, ein Herr v. Peti, der Freund des Barons Berczy, ist eine bessere Partie, als ein einfacher Schlossermeister! Zum Glück gibt es noch Mädchen auf der Welt, die anders denken. Leider sehen die Männer heutzutage mehr auf äußere als auf innere Vorzüge, und so kommt es, daß Mädchen, wie meine Janka, unbeachtet bleiben, während  … Doch ich will lieber schweigen, denn Gott behüte mich, daß ich Unheil stifte. Uebereilen Sie sich nicht, lieber Meister, denn wie gesagt, die Welt ist schlecht. Beobachten Sie Piroska noch ein Weilchen. Vielleicht tut man dem armen Kinde unrecht und es ist alles nur Wind, was die Leute sprechen.«

»Wind! Mag sein, aber für mich taugt kein Mädchen, das in dem Munde aller Welt ist!« rief er heftig. »Es ist noch ein Glück, daß sie sich vor der Hochzeit entpuppt hat. Ich habe sie nicht genügend gekannt, als ich mit ihr anknüpfte, aber die gütige Vorsehung hat es so gefügt, daß mir die Binde von den Augen fällt, ehe es zu spät ist. Ich würde ein leichtfertiges Weib ermorden! Als sie auch Peter mit einem Korb abspeiste, hätte ich sie ja schon durchschauen müssen.«

»Peter liebt sie noch immer. Er läßt kein böses Wort auf sie kommen und hält sie für die Unschuld selbst.«

»Eine saubere Unschuld! Wenn das Unschuld ist, so kann der Teufel zu ihr in die Schule gehen! Doch was geht es mich an? Ich bin ein für allemal fertig mit ihr. Mag sie sich den dummen Peter oder den Gecken aus der Hauptstadt nehmen und beiden Hörner aufsetzen. Das weiß ich, daß ich heute nicht zum Tanz gehe, aber ich werde morgen wieder bei Ihnen vorsprechen und Janka wird mir vielleicht erzählen, wie es dort zugegangen ist.«

Ehe sich's die beiden Frauen versahen, war er zur Türe hinaus. Frau Julcsa war mit dem Erfolg dieser Unterredung sehr zufrieden. Matthias strahlte vor Vergnügen, als er hörte, daß Karsai nicht zum Tanze gehen werde.

5.

Die Türe zur Tenne stand weit offen. Die sauber gedeckten Tische waren mit allerlei guten Dingen beladen. Der Duft der Tannenzweige, mit denen die Wände bekränzt waren, mischte sich mit dem süßen Geruch der Kuchen. Nach dem Nachmittagsgottesdienste strömten Alt und Jung herbei, um sich an der guten Küche und dem noch besseren Wein des alten Varga gütlich zu tun. Selbst aus den benachbarten Orten erschienen Gäste. Wenn die Zeche nichts kostet, warum soll man den kurzen Weg über den Berg scheuen? Freilich brannte die Sonne heiß vom Firmament herab, aber um so besser schmeckte dann der kühle Trunk. Und der Keller des alten Richters durfte sich sehen lassen, selten genug öffneten sich seine Pforten!

Frau Varga und Piroska erfüllten musterhaft ihre Pflicht als Hausfrauen und wurden von Frau Berg, der Wirtschafterin des Schlosses, dabei unterstützt. Der freundlichen Alten, die Piroska in ihr Herz geschlossen hatte, war das Gerede der Leute zu Ohren gekommen, doch sie konnte es nicht glauben, daß ihr Liebling sich wirklich mit Peti eingelassen habe. Piroska war ein lebhaftes, lustiges Geschöpf, aber gewiß nicht wankelmütig und leichtfertig, und wem sie einmal ihr Herz geschenkt, dem gab sie es auch ganz, das mußte der Schlosser wohl wissen. Durch sein Erscheinen werde er den Leuten beweisen, daß an dem ganzen Gerede nichts sei. Als aber die Sonne immer weiter vorrückte und Gyula noch nicht erschien, begann sie Unheil zu wittern.

Piroska hatte sich bis zur Stunde noch immer in dem Glauben gewiegt, daß niemand von ihrem Zerwürfnis mit Gyula eine Ahnung habe: sie wußte nicht, daß sie von aller Welt beobachtet wurde. Erst ein Gespräch zweier Frauen, das sie unbewußt belauschte, als sie hinter ihnen stand, um ihre leeren Kaffeetassen zu füllen, öffnete ihr die Augen:

»Eigentlich tut sie mir leid, denn der Schlosser ist nicht der Mann, sich so etwas gefallen zu lassen. Man sagt, er hätte sie mit dem Maler ertappt, und es soll eine schreckliche Szene gegeben haben.«

»Warum läßt sie sich auch in solche Geschichten ein! Es war ein Unsinn von dem Richter, den Mann ins Haus zu nehmen. Wenn man eine so schöne Tochter hat – –«

Piroska mußte ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ihre Erregung nicht zu verraten. Sie bildete also schon das Dorfgespräch und man hielt sie für fähig – – –. Sie wagte gar nicht, den Gedanken auszudenken. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen und jeder Blutstropfen war aus ihrem Gesicht gewichen. Verzweiflung erfaßte sie. Schwach sollten sie die bösen Menschen nicht sehen, bedauert wollte sie nicht sein, lieber sterben. Und da sie sich bei dem Haus voll Gäste nicht verstecken konnte, um sich auszuweinen, zwang sie sich zur Heiterkeit.

Die Zigeuner stimmten ihre Geigen und der Tanz sollte sogleich beginnen, – draußen im Hofe unter dem großen Nußbaum. Als Tochter des Hauses mußte sie sich einen Partner wählen. Ihr Blick fiel auf Matthias, und da derjenige, mit dem sie gerne getanzt hätte, nicht da war, glaubte sie den schlechten Tänzer bald los werden zu können und trat mit einem Knix auf ihn zu. Dieser Tanz machte dem heimtückischen, rachsüchtigen Burschen Mut. Hinter seinem Haß glühte eine tiefe Leidenschaft für das schöne Mädchen, er beobachtete sie genau und bemerkte, daß sie außer sich sei und mit der erheuchelten Lustigkeit nur ihren Kummer zu verbergen suche. Sein Plan war rasch gefaßt. Er forderte sie beim nächsten Tanz wieder auf:

»Ich wollte, wir wären auch fürs Leben ein Paar,« flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie hörte kaum, was er sprach. Ihre Gedanken weilten bei Gyula, der ihr so weh tun konnte. So durfte es nicht weiter gehen. Das Mißverständnis mußte endlich aufgeklärt werden. Gleich morgen wollte sie ihn wieder in seiner Werkstatt aufsuchen und ihm alles, alles erzählen. Zum erstenmal kam es ihr in den Sinn, ob der Maler nicht richtig vermutet habe, daß jemand ihren Gyula gegen sie aufhetze. Besaß sie Feinde? Sollte Janka, die ein Auge auf den Schlosser geworfen hatte, dahinter stecken oder Matthias der Geschichtenträger sein? Ein Mensch wie Gyula konnte doch nicht infolge eines so nichtssagenden Streites mit einem Mädchen brechen, dessen Gesellschaft ihn ein ganzes Jahr beglückt hatte! Und sie hatte doch den ersten Schritt zur Aussöhnung getan! Ob er aber ihre Botschaft erhalten hatte, da der Maler ihn nicht getroffen? Kaum wurde sie von diesem Zweifel gepackt, als sie Matthias mitten im Tanze stehen ließ, auf Janka zueilte, und sie hastig fragte:

»Sag mal, hat deine Mutter die Botschaft, die ihr Herr v. Peti für Gyula hinterließ, ausgerichtet?«

Sie nahm den Arm der etwas verlegen dreinschauenden Janka und zwang sie, mit ihr abseits zu gehen.

»Weißt du, ich habe gerade gewaschen, als Herr Karsai heute morgen herüberkam. Ich kann dir nicht sagen, was die Mutter mit ihm gesprochen hat. Ist er denn nicht hier?« fragte sie ganz harmlos.

Piroska ließ sie stehen und ging ins Haus, wo Frau Varga ihr ängstlich entgegenkam:

»Kind, Kind, Vater ist ganz böse, weil Gyula sich nicht sehen läßt. Die Nachbarn müssen dem Alten den Kopf heiß gemacht haben, und jetzt soll ich schuld daran sein, daß ihr euch entzweit habt.«

»Geh' dem Vater heute aus dem Wege, Mütterchen, du weißt, er kann Wein nicht vertragen. Man darf ihn nicht reizen. Und was Gyula betrifft, so wird er schon zur Besinnung kommen. Sei unbesorgt, morgen ist alles wieder in Ordnung.«

Wie langsam die Stunden verflossen! Endlich machte die Sonne dem Monde Platz, aber noch immer wimmelte es im Richterhause von Gästen. Die älteren Leute entfernten sich zwar nach und nach, doch die Jugend tanzte lustig weiter. Als das Gras vom Abendtau feucht geworden war, versammelten sie sich in der Tenne, die durch einige Stallampen erleuchtet wurde. Matthias, der dem Wein tüchtig zugesprochen hatte, holte Piroska zum nächsten Tanz. Da sie merkte, daß er nicht mehr ganz Herr seiner Sinne sei, blieb sie nach wenigen Minuten stehen; er aber ließ sie nicht los und zog sie zu einer Bank in der Ecke.

»Mädchen, Mädchen, heute hast du alles wieder gut gemacht! Ich fühle mich wirklich geschmeichelt,« lallte er.

»Du bist ein Narr und hast über den Durst getrunken.«

»Wie oft haben wir heute zusammen getanzt, was, Schätzchen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Aber ich! Fünfmal, jawohl, fünfmal! Keinen von den Burschen hast du so ausgezeichnet. Wenn ich bedenke, was daraus folgen wird – –«

»Ich versteh' dich nicht,« unterbrach sie ihn barsch.

»Ziere dich nicht, mein Täubchen, ich weiß, was du dir denkst – –«

»Ich denke, daß die Welt verdreht ist.«

»Und du bist das verdrehteste Frauenzimmerchen in ihr.«

»Schweig! Was ich denke, geht dich übrigens gar nichts an.«

»Nach dem, was heute zwischen uns vorgefallen ist, bin ich nicht dieser Meinung,« kicherte er. »Ich sehe es klar, wir beide werden einem gewissen anderen Paar am Altar zuvorkommen.«

Er strich ihr sanft, wie einem kranken Kinde, die Wangen. Durch ihren Widerstand gereizt, versuchte er, seinen Arm um sie zu schlingen. Sie sprang auf und lief quer über die Tenne hinaus, er folgte ihr taumelnd nach. Ueber der Türschwelle stolperte sie und fiel in den dicht danebenstehenden Heuschober. Diese Gelegenheit benützte er, um ihr einen Kuß zu rauben und sie fest an sich zu drücken. Sie suchte sich zu befreien, aber er hielt sie wie mit eisernen Klammern fest.

»Vater, Vater, hilf mir!« schrie sie verzweifelt auf. Da sprang der Betrunkene auf. Im Augenblick, wo sie sich frei fühlte, versetzte sie ihm mit all ihrer Kraft einen Schlag ins Gesicht. Im hellen Mondlicht konnte er sehen, wie ihre Wangen vor Zorn flammten, und ihre Augen sprühten. Noch einmal holte sie zum Schlage aus, aber er warf sich zornschnaubend auf sie und der Kampf begann von neuem. Wer weiß, wie er geendet hätte, wenn nicht plötzlich ganz in der Nähe Stimmen laut geworden wären. Der Feigling schlich sich scheu davon und Piroska blieb erschöpft zurück. Sie verbarg ihr glühendes Gesicht im Heu und ihre Empörung gegen alle Männer machte sich in einem Tränenstrom Luft.

»Ich hasse sie, alle, alle! Mein Gott, wie sehr muß man auf der Hut vor ihnen sein! Sie sind ja schlimmer als die Bestien. Was habe ich getan, um eine solche Strafe zu verdienen?«

Krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihren Körper. Sie verfluchte ihre Schönheit, die die Männer heranlockte. Der lange Peter hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, als er sagte, daß sie bis an die Fingernägel natürlich und unschuldig wie ein Lamm sei.

Peter stand jetzt auch vor der in sich zusammengekauerten Gestalt im Heuschober und blickte verwundert auf sie herab. Das konnte doch nicht die fröhliche und glückliche Braut des Schlossermeisters sein? Spät am Nachmittag war es Peter eingefallen, daß drüben in Kismárton das Kirchweihfest gefeiert werde und daß der Richter auch ihn dazu eingeladen habe. Er ließ sofort sein Pferd satteln und ritt aus dem Nachbardorf, wo er sich kürzlich angekauft hatte, herüber, in der Hoffnung, den Abend in lustiger Gesellschaft fröhlich zu beschließen. Zu seinem grenzenlosen Erstaunen taumelte am Eingang der Dorfstraße sein Bruder Matthias wutschnaubend an ihm vorüber, ohne ihn zu erkennen. Peter witterte sofort Unheil und jetzt, wo er vor der bitter schluchzenden Piroska stand, war es ihm klar, daß Matthias der Urheber ihres Kummers sein müsse. Der Bursche hatte ja immer den Satan im Leibe und war nur froh, wenn er jemandem einen bösen Streich spielen konnte! Wo war aber Karsai, weshalb schützte er seine Braut nicht?

Peter überlegte einen Augenblick, ob er sich still wegschleichen oder die Schluchzende ansprechen sollte. Seine ganze mächtige Gestalt hing wie gebannt an ihren Bewegungen. Er konnte sie nicht ansehen, ohne im Innersten bewegt zu sein, wie er es immer in ihrer Nähe war. Seine guten blauen Augen leuchteten, in warmem Mitgefühl und Erbarmen. Er konnte ja keine Kreatur leiden sehen – wie erst Piroska, die er liebte, seit sie das erste Röckchen trug! Hatte er sie nicht auf seinen Armen gewiegt, sie nicht gehen gelehrt, sich von ihr quälen lassen? Wahrlich, er hatte sich das Recht erworben, der Vertraute ihres Kummers zu werden.

»Piroska!« flüsterte er, sanft ihre Schulter berührend.

Sie hielt ihren Atem an und unterdrückte aufhorchend einen Seufzer. Sie war zu verwirrt, um aufzublicken.

»Piroska, was ist geschehen? Dein Jammer bricht mir das Herz. Dein Freund Peter ist da, vertrau' ihm dein Leid, es wird dich erleichtern. Steckt Matthias dahinter?«

Sie nickte stumm.

»Kann ich dir nicht helfen?«

Sie blickte dankend zu ihm empor. Sein Herz krampfte sich zusammen, als er die Verzweiflung in ihren Blicken las.

»Du bist gut, Peter, aber ich bitte dich, laß mich allein. Mir kann niemand, niemand mehr helfen.«

Er strich ihr sanft, wie einem kranken Kinde, das wirre Haar aus der Stirne.

»Wenn du einen treuen Freund brauchst, weißt du, wo ich zu finden bin,« sagte er und schlich sich betrübt davon. Die Musik in der Tenne lockte ihn nicht mehr. Piroska stand auf, glättete ihre zerdrückten Kleider und eilte ins Haus. Sie mußte mit sich allein sein, und wollte heute niemanden mehr sehen. Ihr Vater und Pista waren ja noch bei den letzten Gästen unten und Mutter lag nach der anstrengenden Tagesarbeit wahrscheinlich schon zu Bette. Leise schlich sie die Treppe zu ihrer Kammer hinauf und trat ein. Sie fuhr mit einem leisen Aufschrei zurück. Auf ihrem Bette saß eine in sich zusammengesunkene Gestalt. Es war die Mutter.

»Erschrick nicht, Kind, ich bin es. Ich konnte nicht schlafen, ohne mit dir gesprochen zu haben. Heraus mit der Wahrheit, wie stehst du mit Gyula? Hast du wirklich mit ihm gebrochen oder vielmehr er mit dir, wie die Leute munkeln? Vater hat heute Verschiedenes gehört, du kannst dich morgen auf eine nette Predigt gefaßt machen. Du weißt, wie stolz er auf seinen reinen Namen ist. Kind, Kind, mir ist ordentlich bange,« jammerte Frau Varga und fuhr sich mit dem Zipfel ihrer Schürze zu den Augen.

Piroska stand jetzt am Fenster und kämmte die welligen Massen ihres Haares, auf dem der Mond seine Silberstrahlen tanzen ließ. Ihre Lippen waren fest zusammengepreßt, aber ihr Busen wogte heftig.

»Piroska, ich beschwöre dich, sprich ein Wort. Ich vergehe vor Angst,« seufzte die Mutter.

»Geh' schlafen, Mutter, es ist schon spät und du bist sehr müde,« sagte das Mädchen ruhig. »Um mich brauchst du dich nicht zu ängstigen, ich habe nichts Unrechtes getan. Gute Nacht!«

Frau Varga küßte ihre Tochter und ging. Sie bemerkte in ihrem Kummer gar nicht, daß Petis Tür noch offen stand – ein Zeichen, daß er noch nicht heimgekommen.

Als Piroska allein war, kniete sie vor dem offenen Fenster nieder und streckte wie flehend ihre Arme zum Sternenzelt empor. Ein einzelnes Licht flimmerte von der Neugasse herüber, dort rang ein Kind mit dem Tode. Ach, wäre sie doch an dessen Stelle! Wie der Wildbach heute heftig rauschte! Plötzlich fiel es ihr ein, wie lange es schon her sei, daß er das Tal unten überschwemmt und sogar bis in die Tropfsteinhöhle gedrungen war.

Viele, viele Stunden lag sie wach im Bette, von den tollsten Gedanken gequält. Erst mit dem Morgengrauen erbarmte sich der Sandmann ihrer. – Die Sonne stand schon hoch, als Frau Varga keuchend die Treppe heraufkam.

»Piroska, Piroska! Nein, so etwas! Sein Bett ist noch unberührt. Er muß die ganze Nacht ausgeblieben sein. Wenn ihm nur kein Unglück zugestoßen ist! Am Ende ist er irgendwo abgestürzt, er wollte ja durchaus die »Zuckerspitze« erklimmen. Piroska, Piroska, wach' doch auf! Am hellichten Tage wie ein Murmeltier zu schlafen!«

»Was ist geschehen, Mutter?« fragte Piroska, sich den Schlaf aus den Augen reibend.

»Wenn ich das wüßte! Herr v. Peti ist nicht da. Als ich ihm früh morgens wie gewöhnlich warmes Wasser zum Rasieren bringen wollte, fand ich die Tür offen und sein Bett unberührt. In dem Rummel gestern haben wir gar nicht an ihn gedacht.«

Mit einem Satz war das Mädchen aus dem Bette und kleidete sich hastig an.

»Hast du Vater schon davon gesagt?«

»Nein, und auch Pista nicht. Ich bin ja so erschrocken, aber ich will ihnen gleich winken, dein Fenster geht ja gerade auf die Wiese hinaus.« Sie öffnete es, beugte sich weit vor, winkte mit Piroskas Handtuch und schrie dabei so laut sie konnte ihrem Manne zu. Es dauerte eine Weile, ehe die Männer sie bemerkten und Pista ihrem Rufe folgte.

»Mutter, weißt du, was mir jetzt einfällt?« sagte Piroska plötzlich. »Frau Berg hat uns doch gestern erzählt, daß der Baron ihr geschrieben hat, für Herrn v. Peti ein Zimmer bereit zu halten, da er ins Schloß übersiedeln werde. Vielleicht hat er schon dort übernachtet, um dem Lärm hier auszuweichen. Freilich sagte er mir, ehe er nach Tisch fortging, daß er früh zurückkommen werde, um zu sehen, wie bei uns getanzt wird. Er meinte, er werde schon um vier Uhr von der Tropfsteinhöhle – –«

»Tropfsteinhöhle? Kind, mir schwant ein Unglück. Ja, ja, am Abend hat auch die Türe gekracht. Mein Gott, der junge Herr war noch nie drin, es ist finster und schlüpfrig, auch Schlangen soll es geben – doch da kommt Pista.«

Mit unglaublicher Schnelligkeit lief sie die Treppe hinab und befahl dem Burschen, so rasch ihn seine Beine trugen, aufs Schloß zu laufen und anzufragen, ob Herr v. Peti die Nacht dort verbracht habe.

»Mutter, laß mich gehen,« sagte Piroska, »ich werde in der halben Zeit dort sein.« Und ohne die Antwort abzuwarten, eilte sie davon, quer über Stock und Stein ins Schloß hinauf.

»Was ist denn mit dem Großstädter los?« fragte Pista in seiner gewohnten Ruhe.

»Er ist heute nacht nicht nach Hause gekommen, und ich glaube nicht, daß er im Schlosse war, denn er hat ja gar nichts mitgenommen. Seine Nachtwäsche, seine Kämme und Seife, alles ist da. Er ist ja so eigen auf seinen Schnurrbart, seine Haare und seine Nägel, daß er sein Toilettezeug nicht entbehren kann. Etwas an der Geschichte ist nicht in Ordnung, mein Sohn.«

Die Mutter ließ sich erschöpft auf die Steinbank vor der Haustüre nieder und sah sehr niedergeschlagen und ängstlich drein. Pista, der immer gern Böses witterte, schüttelte sein Haupt, strich sich bedächtig übers Kinn und brummte:

»Was werden wir tun, wenn er nicht auf dem Schlosse ist? Und du hast recht, er wird nicht dort sein, denn ich hörte, wie er zu Piroska sagte, daß er sich den Tanz ansehen wolle – –«

»Er wird sich's überlegt haben, denn er weiß, wie sich die Leute über ihn und Gyula die Mäuler zerreißen. Ich glaube kein Wort davon. Piroska ist kein leichtfertiges Mädchen, sie ist nur übermütig und lebenslustig und Gyula hat in seiner Eifersucht aus einem Floh einen Elefanten gemacht. Ich habe als Mutter meine Augen offen gehalten und muß sagen, daß Herr v. Peti unsere Piroska wie seinesgleichen behandelt und sich nie Zutraulichkeiten erlaubt hat. Ich denke mir wohl, woher der Wind weht. Dein sauberer Freund Matthias steckt dahinter. Er kann es Piroska noch immer nicht verzeihen, daß sie ihn abgewiesen hat. Der eitle Tropf haßt sie und wer weiß – –«

»Aber Mutter, du kannst nie bei einer Sache bleiben. Das hat doch nichts mit dem Verschwinden des Malers zu tun,« sagte Pista, überlegen lächelnd.

»Meinst du? Ich bin dessen nicht so sicher. Aber freilich, du denkst ja immer so langsam und kannst nur schwer dem Faden folgen. Ich habe heute in meiner Sorge um Piroska kein Auge geschlossen und gegrübelt, bis mich der Herr erleuchtete und auf den Erzschurken Matthias hinwies. Der hat das Feuer bei Gyula geschürt und geschürt – – aber wir dürfen uns jetzt nicht mit unseren Sorgen beschäftigen, sondern müssen an Herrn v. Peti denken. Was wirst du anfangen, wenn –«

»Da ist Piroska und sie schüttelt den Kopf,« unterbrach er sie.

Frau Varga sprang auf, aber sie konnte vor Erregung kein Glied rühren und zitterte wie Espenlaub, während Piroska ihren Bericht erstattete. Frau Berg, nicht minder aufgeregt als die beiden Frauen, war ihr auf dem Fuße gefolgt und auch der alte Varga, den sie von der Wiese geholt, trat mit ernster Miene hinzu. Sie hielten großen Kriegsrat.

»Er hat dir also gesagt, daß er in die Tropfsteinhöhle gehen wird, was?« begann der Alte, seine Tochter scharf ins Auge fassend.

»Er sagte nicht, daß er hineingehen wolle, Vater, sondern nur in die Richtung, am Wildbach entlang, um Steine und Farren zu sammeln, wie es seine Gewohnheit ist, aber er hat schon öfter erwähnt, daß er auch einmal hineingehen werde, um zu erforschen, wie tief man kommt – doch, was schwatze ich da,« unterbrach sie sich ungeduldig, »jetzt heißt es handeln. Was soll geschehen?«

»Kind, du bist blaß wie der Tod, du hast ja heute noch keinen Bissen im Munde gehabt,« rief Frau Varga besorgt und brachte eine Schüssel Milch und Brot herbei. Piroska nippte mechanisch davon, um die Mutter zu beruhigen. Eine innere Unruhe verzehrte sie und sie wäre nicht um eine Welt mit den Frauen daheimgeblieben, sondern schloß sich der Rettungsexpedition an.

»Wir und ein paar Knechte begeben uns sofort zur Höhle. Du, Piroska, geh' hinab ins Dorf und zu den Holzhauern in den Schlag und erzähle, was los ist. Sie sollen ein Auge offen haben, und wer von seiner Arbeit abkommen kann, soll uns folgen,« befahl der Richter.

Die Männer gingen bergauf, während Piroska ins Dorf hinabjagte und von dort zum Waldhüter, der Fremdenführer der Höhle war. Atemlos erzählte sie ihm das Vorgefallene und forderte ihn auf, sie sofort mit Fackeln und Leitern dahin zu begleiten. Auf halbem Wege trafen sie mit der bereits angewachsenen Expedition zusammen. Das Mädchen raste allen voran, Karo, der Haushund, lief schnüffelnd bald rechts, bald links, als ob er wüßte, um was es sich handle. Endlich hatten sie den steilen Weg zur Höhle erklommen. Piroska blickte, am ganzen Leibe zitternd, ängstlich in das niedere, dunkle Loch hinein, das in den riesigen kahlen Felsen gehauen schien und von Gestrüpp und Epheu umrankt war. Ein Durcheinander von Steinen versperrte den Weg. Einige Schritte weiter schlängelte sich der Wildbach, der im hellen Sonnenschein ganz harmlos aussah. Aber wehe, wenn er nach einem Regen anschwoll! Da überschritt der wilde Geselle sein Bett und stürzte sich mit Wucht durch den engen Eingang in die Höhle, wo er schrankenlos wüten und sich zu einem See verwandeln konnte. Eine Sage erzählt, daß einst eine Gans, vom Gewitter überrascht, durch eine mäßige Flut in die Grotte geschwemmt worden war und daß sie, als man sie fand, keine einzige Feder mehr am Leibe hatte. Die Wucht des Wassers hatte das arme Tier so arg zugerichtet. Zum Glück gab es gestern keinen Sturm und die Höhle war voraussichtlich trocken; aber die ernsten Gesichter gaben Zeugnis, daß sie trotzdem nicht ohne Angst um das Schicksal des Malers waren. Sie fürchteten, daß er in der finsteren Höhle sich verirrt haben oder gestolpert und in einen Abgrund gefallen sein könnte. Beides war gleich gefährlich.

6.

Die Männer bahnten sich vorsichtig einen Weg über die aufgetürmten Steine und verschwanden bald im Innern. Ihre Stimmen drangen zu Piroska, die unruhig vor dem Eingang auf und ab ging. Sie hielt es nicht lange da draußen aus und kletterte, trotzdem ihr Vater es verboten hatte, über die schlüpfrigen Steine hinein, um den Stimmen zu folgen, die von den weißen Felswänden widerhallten. Der flackernde Schein der Fackeln wies ihr den Weg. Als sie aber um eine Ecke bog, umgab sie tiefe Finsternis, die Luft war feucht und dumpf. Piroska mußte, daß die Grotte in verschiedene Kammern, Hallen und Seitengänge geteilt war; hier ging es in eine unabsehbare Tiefe hinunter, dort bildeten sich Kamine und Stockwerke in der Höhe. Sie lauschte anhaltend und hörte, daß die Retter die Leiter anlegten, um in die Tiefe zu steigen. Weiter konnte sie nicht, sie kroch daher auf allen Vieren dem Ausgange zu, um wieder Licht und Luft zu haben. Plötzlich blieb ihr Auge auf etwas Glänzendem haften. Sie griff in die Felsspalte und stieß einen Freudenschrei aus, denn sie hielt die silberne Streichholzbüchse Petis zwischen den Fingern. Nun zweifelte sie keinen Augenblick länger, daß er in der Höhle gefunden werden müsse. Sie richtete sich wieder auf und da sich ihr Auge bereits an die Dunkelheit gewöhnt hatte, ließ sie es prüfend umherschweifen. Sie tat einige Schritte nach vorwärts und zündete vorsichtshalber eins von Petis Wachshölzchen an. Gut, daß sie es getan. Sie stand an der Kante eines Abgrundes. War ihr Hausgenosse vielleicht da hinabgestürzt? Sie legte sich flach hin und starrte hinab. Beim ersten Wachsholz konnte sie nichts entdecken, als eine gähnende Kluft; sie zündete ein zweites, ein drittes und viertes an und war schließlich überzeugt, daß das Licht auf etwas Weißes fiel, das von einem Felsen beschattet wurde, aber sie konnte sich nicht klar werden, was es war. Es blieb ihr nichts übrig, als zu warten, bis die Männer wieder herauskamen; ihnen wollte sie dann ihre Entdeckung mitteilen. Sie blieb geduldig auf der Stelle sitzen, um sie nicht wieder zu verlieren, denn eine solche Höhle ist wie ein tückisches Labyrinth. Endlich kletterten die Männer einer nach dem anderen wieder die Leiter hinan. Beim flackernden Schein der Fackeln erkannte das Mädchen an den ernsten Mienen, daß sie unverrichteter Dinge zurückkehrten.

»Vater, Vater, komm her zu mir, aber vorsichtig!« schrie sie mit ihrer hellen Stimme.

Der Alte bahnte sich einen Weg zu ihr und folgte mit den Blicken ihrem Finger.

»Allmächtiger Gott, ist er tot oder lebendig?«

»Ist er es also?« flüsterte sie entsetzt. »Wie werdet ihr ihn nur heraufschaffen? Ist euere Leiter fest genug? Ich werde sofort ins Waldhüterhaus hinüberrennen, um Stricke, Schnaps und eine Tragbahre herzuschicken. Jemand muß auch zum Doktor nach Ujfalu reiten.«

Sie war überzeugt, daß der Verunglückte besinnungslos oder tot im Abgrund lag, denn sonst hätte er schon ein Lebenszeichen von sich gegeben. Der Alte mahnte sie zur Eile, aber das war unnötig. Wie ein Reh kletterte sie den steilen Weg hinab. Gerade, als sie das Waldhüterhaus vor sich sah, trat jemand aus der Türe. Das konnte nur Peter sein. Sie rief ihn an. Erstaunt kam er ihr mit seinen langen Beinen entgegengerannt.

Sie erzählte ihm, was sich zugetragen, und er traute seinen Ohren kaum, denn er hatte vor einer halben Stunde die Höhle passiert, ohne etwas Ungewöhnliches bemerkt zu haben.

»Nicht wahr, du wirst Stricke, Schnaps und eine Tragbahre sofort hinbringen? Wie gut, daß ich dich getroffen! Hier ist ja niemand zu Hause, wie ich sehe, als die alte, taube Großmutter. Ach, Peter, wenn du die Dinge hinaufbringst, kann ich rasch das Pferd satteln, der Waldhüter wird ja in diesem Fall nichts dagegen haben und zum Doktor nach Ujfalu hinüberreiten. Wer weiß, wie nötig man ihn brauchen wird! Wenn wir uns beeilen, können wir den Armen vielleicht noch retten!«

Ihr rasches Denken und Handeln verwirrten ihn förmlich. Er stimmte auch allem zu, nur wollte er nicht erlauben, daß sie zum Arzt ritt. Der Weg übers Gebirge sei sehr schlecht und für eine Frau geradezu gefährlich. Aber da sie sich nicht zurückhalten ließ, sattelte er das Pferd für sie, hob sie hinauf und ehe er sich's versah, jagte sie zum Tore hinaus. Man spricht in der Gegend noch bis zum heutigen Tage bewundernd von ihrem Meisterritt. Kopf und Herz waren ihr so sehr von dem einen Gedanken, den Verunglückten zu retten, erfüllt, daß sie der eigenen Gefahren gar nicht gedachte und wie wahnsinnig den steilen, schmalen Gebirgspfad dahinsprengte, an schwindelnden Abgründen vorbei, immer weiter und weiter, bis sie nach Ujfalu gelangte. Als die Bewohner das Mädchen mit den fliegenden Haaren wie die wilde Jagd daherrasen sahen, stürzten sie aus den Häusern, und als sie gar des Richters von Kismárton einzige Tochter in ihr erkannten, liefen sie ihr nach und bestürmten sie mit Fragen. Sie aber ließ sich nicht aufhalten, bis sie das Wohnhäuschen des Arztes erreichte. Zum Glück fand sie ihn zu Hause, berichtete rasch, was vorgefallen und flocht, um ihn zur Eile anzuspornen, geschickt ein, daß der Verunglückte ein Freund des Barons Berczy sei.

Dann gab sie wieder ihrem Pferde die Sporen und ließ die gaffende Menge hinter sich. Außerhalb der Dorfstraße lockerte sie die Zügel; nun hatte sie ja ihre Pflicht erfüllt, der Arzt war verständigt, Peter hatte sicherlich alle nötigen Rettungsmittel zur Höhle geschafft, sie durfte endlich auch an sich denken. Es mußte zwischen ihr und Gyula klar werden. Die Kluft durfte sich nicht noch mehr erweitern: das würde sie aber, wenn sie es boshaften Zungen überließe, ihm das heutige Ereignis zu Ohren zu bringen. Aber wie es verhindern? Energisch warf sie den Kopf zurück. War es nicht am besten, wenn sie den großen Umweg nicht scheute und selbst ins Dorf hinabritt, um ihm alles auf das genaueste zu erzählen?

In Kismárton erregte sie dasselbe Aufsehen, wie in Ujfalu. Man hatte auch da noch nichts von dem Unfall des Malers vernommen, denn die Männer waren direkt vom Felde aus an den Unglücksplatz geeilt. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich nun die Kunde, und wie ein summender Bienenschwarm umringten die Neugierigen Piroska. Sie benützte eine günstige Gelegenheit, um zu entwischen und hielt vor der Schlosserwerkstätte an. Aber vergebens rief sie nach dem Besitzer. Die »dicke Julcsa« von drüben gab ihr den Bescheid, daß Karsai schon vor Tagesgrauen dem Walde zugegangen sei, wahrscheinlich sei er aufs Schloß geholt worden. Piroska ritt mit wehem Herzen, von den schadenfrohen Blicken der Frauen verfolgt, davon. Es blieb ihr nichts übrig, als den Ereignissen ihren Lauf zu lassen.

Als sie ins Waldhüterhäuschen kam, war der Arzt bereits anwesend. Pista und Peter halfen ihr vom Pferde und berichteten auf ihre stumme Frage, daß der Maler lebe. Man habe ihn in tiefer Ohnmacht gefunden; an die frische Luft gebracht, sei er sofort zur Besinnung gekommen, habe die an ihn gestellten Fragen beantwortet, aber nach wenigen Minuten habe er wieder das Bewußtsein verloren. Der Arzt und Frau Berg, die herbeigeholt worden waren, bemühten sich drinnen in der guten Stube um ihn.

»Armer Herr v. Peti!« war alles, was sie sagte. Sie machte nicht einmal Miene, hineinzugehen, und zeigte auch sonst keine Unruhe mehr. Sie hatte zur Errettung des Verunglückten getan, was sich tun ließ, das Uebrige war die Sache des Arztes. Sie erzählte ganz harmlos, daß sie über Kismárton heraufgekommen sei, weil sie Gyula sprechen gewollt. Peter und Pista wechselten verständnisvolle Blicke. Nun war es ja sonnenklar, daß das Geschwätz der Leute jeder Begründung entbehrte, denn wenn ihr Herz für den Verunglückten höher geschlagen hätte, würde sie nicht, während er zwischen Leben und Tod schwebte, einen so großen Umweg gemacht haben, sondern wäre zu ihm geeilt. Boshafte Zungen hatten sie ins Gerede gebracht und Gyula gegen sie aufgehetzt. Der etwas schwerfällige, aber im Grunde gutmütige Pista fühlte seine alte Liebe für die Schwester erwachen. Die stumme Verzweiflung, die er in ihren matten, traurigen Augen las, rührte ihn und er sprach freundlicher und milder mit ihr, als seit langer Zeit. Peter, der an sich erfahren, wie weh ein Herzenskummer tat, beschloß, ihr in dieser aufregenden Zeit als Freund zur Seite zu stehen. Es sollte nur jemand wagen, in seiner Gegenwart über Piroska ein böses Wort zu sagen! Wozu hatte er denn seine zwei starken Arme?

Das schwüle Schweigen wurde endlich durch den gesprächigen alten Arzt, der aus der Krankenstube trat, unterbrochen:

»Mut, ihr braven Leute, wir werden kein Begräbnis haben! Ich bin ganz zufrieden mit meinem Patienten, sein Schutzengel scheint ihn bewacht zu haben. Er hat weder einen Knochenbruch noch auch eine innere Verletzung davongetragen. Er scheint in einen Wassertümpel gefallen zu sein und dort die Besinnung verloren zu haben. Zum Bewußtsein gekommen, kroch er heraus, um bald wieder in eine tiefe Ohnmacht zu fallen. Jetzt braucht er nichts als vollständige Ruhe. Sein Geist ist noch etwas verwirrt, denn er erzählt eine ganz merkwürdige Geschichte, wie er in den Abgrund geraten sei. Er sei in der Höhle am Rande eines tiefen Loches gestanden und habe ein Wachsholz angezündet, um hinabzublicken. Plötzlich sei er vom Eingang der Höhle durch ein dröhnendes Geräusch überrascht worden; aufblickend, habe er bemerkt, wie ein großer Stein gegen die gegenüberliegende Wand flog; er wisse jedoch nicht mehr, ob er von dem Stein getroffen wurde und dadurch das Gleichgewicht verloren habe und abgestürzt sei. Das ist natürlich die Ausgeburt eines überreizten Nervensystems, denn wer sollte den Stein geschleudert haben? Sicher ist, daß der junge Mann in eine beträchtliche Tiefe stürzte, eine tüchtige Erschütterung erlitt und eine schlimme Nacht verbrachte. Eine Verletzung, die von dem Steinwurfe herrühren könnte, ist am ganzen Körper nicht zu finden, dagegen hat er sich das rechte Knie und den rechten Ellbogen tüchtig abgeschürft und einige leichte Quetschungen erlitten.«

Frau Berg bestand darauf, den Patienten, sobald es sein Zustand erlaubte, ins Schloß hinaufzunehmen, wogegen der Arzt nichts einzuwenden hatte, da »ein so vornehmer Herr« nirgends im Dorfe so gut versorgt werden konnte. Mit der Adresse des Barons Berczy versehen, ritt er, nachdem er für den Tag alle nötigen Anordnungen getroffen, nach einer Stunde davon. Am nächsten Morgen überwachte er, da sich kein bedenkliches Fieber eingestellt, die Ueberführung Petis aufs Schloß.

»Ein reizendes Plätzchen das, Frau Berg,« rief der joviale Doktor entzückt aus. »Diese frische, würzige Luft, die gute Pflege und Kost wird unseren Patienten in einer Woche auf die Beine bringen … Was Sie sagen! Dieses kleine Paradies hier gehört also nicht dem Baron Berczy, sondern seinem reizenden Mündel, der Baronesse Mizi, die kennen zu lernen ich voriges Jahr die Ehre hatte?! Ein Prachtmädel, sag' ich Ihnen! Keine Spur von Hochmut, so aufgeweckt und lustig und dabei hübsch, Donnerwetter – wie hübsch! Glücklich der Mann, der einmal diese Perle heimführt! Scheint aber sehr wählerisch zu sein, habe gehört, daß sie Körbe nach Dutzenden austeilt. Na, wer die kriegt, braucht mit dem Schah von Persien nicht zu tauschen.«

7.

Baronesse Mizi saß emsig schreibend auf dem Balkon des »Hotel des Etrangers« in Ostende, während ihr Vormund sich unten im Garten von den bis an die Marmortreppen schlagenden Meereswellen sanft in den Schlaf lullen ließ. Eine Zeitung lag zum Schutz gegen lästige Fliegen auf seinem Angesicht. Es war furchtbar heiß, kein Wölkchen bedeckte den azurblauen Horizont, der sich auf der glatten Meeresfläche wiederspiegelte, kein Laut störte die idyllische Ruhe ringsum. Wie im Märchen vom Dornröschen der Prinz die Rosenhecke durchbricht und plötzlich Leben ins ganze verwunschene Schloß bringt, so geschah es hier durch den Telegraphenboten, der für Baron Berczy eine Depesche aus Ujfalu brachte. Nachdem der Baron sie rasch durchflogen, knüllte er sie zusammen, steckte sie ärgerlich ein und eilte höchst aufgeregt in seine Gemächer.

»Klothilde! Mizi! Wo steckt ihr? Ach, auf dem Balkon. Es ist rein zum Teufelholen! Gerade heute, wo wir unseren Reiseplan endlich festgesetzt haben und ihr bereits dem Verwalter und Frau Berg geschrieben, daß sie alles für eure Ankunft vorbereiten mögen, die Geschichte aber geheimhalten sollen, mußte das passieren! Meiner Seel', es ist zu dumm! Wie kann der Doktor auch wissen, ob es nicht einen Monat dauern wird!«

»Was denn, Männchen? Erkläre dich doch deutlicher! Du bist trotz der vierzig Seebäder noch ebenso leicht erregbar, wie früher,« klagte die sanfte Baronin Klothilde.

»Was denn, was denn?! Der Unfall des Farbenklexers Peti. Ich wollte, ich hätte den Menschen nie kennen gelernt! Daß ich mich auch von Aladár bestimmen ließ, ihn aufs Schloß zu bitten! Er ist zwar nicht auf Grund meiner Einladung dort – doch was rede ich viel, leset die Depesche!«

Mizi war erbleicht, hatte sich aber sofort genügend gefaßt, um die Depesche mit fester Stimme vorlesen zu können. Baron Berczy saß da wie ein Häufchen Jammer. Da er nicht gewöhnt war, seine Pläne durchkreuzt zu sehen, brachte ihn die Nachricht aus der Fassung und sein ganzes Wesen drückte die Frage aus: »Was in aller Welt soll ich mit mir anfangen, wenn ich nächste Woche nicht nach Kismárton zur Schnepfenjagd gehen kann?«

»Es ist das eine sehr bedauerliche Geschichte und ich denke dabei natürlich nur an den armen Peti,« nahm jetzt Baronin Klothilde das Wort, die sehr gut die Erregung der Baronesse bemerkt hatte, und deren sehnlichster Wunsch es war, aus dem begabten Maler und ihrem Mündel ein Paar zu machen. »Mit der nächsten Post werden wir wohl Näheres hören. Verzweifelt kann der Fall übrigens nicht sein, da man Peti aufs Schloß transportieren konnte. Ich sehe gar nicht ein, inwiefern diese Angelegenheit unseren Reiseplan beeinflussen soll.«

»Ich begreife dich wahrhaftig nicht, Klothilde! Heute ist Mittwoch, Montag wollen wir abreisen, wie kann Frau Berg in so kurzer Zeit das Schloß für Damenbesuch herrichten und dabei einen Verwundeten pflegen! Ich denke dabei natürlich nur an euch – –«

»Nun, dann können wir ja unsere Abreise um eine Woche verschieben. Dabei wäre ja auch weiter nichts – –«

»Aber wozu denn, Tantchen?« nahm Mizi das Wort. »Es gibt doch in Kismárton ein gutes Gasthaus, wo man zur Not einige Tage vorlieb nehmen kann. Ich hasse jeden Aufschub eines bereits gefaßten Planes und dann habe ich mich schon sehr auf die Ueberraschung der guten, alten Frau Berg gefreut!«

»Mizi hat recht; so gehen wir dem Karbolgeruch im Schlosse aus dem Wege, ohne unsere Pläne zu stören,« meinte die Baronin.

»Wie ihr wollt, Kinder! Es war sehr egoistisch von mir, dem armen Peti zu grollen. Wir werden ihn selbstverständlich nicht vor die Tür setzen. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm mit ihm bestellt und wir können ohne große Störung das Schloß beziehen. Wie konnte ich überhaupt Verfügungen treffen! Du bist ja die Herrin und ich ebenso nur dein Gast, wie Herr von Peti, der ja an keiner ansteckenden Krankheit darniederliegt. Sein Herz wird wohl auch nicht verletzt sein,« schloß er mit einem Seitenblick auf sein Mündel, das denselben ruhig aushielt. Der Baron war trotzdem überzeugter denn je, daß Mizis Herz dem Künstler gehöre. Um es sich für immer zu eigen zu machen, hatte dieser nichts Besseres tun können, als, durch die Nachricht von ihrem Reichtum erschreckt, Reißaus zu nehmen. Diese selbstlose Handlung umwob ihn in ihren Augen mit einer Gloriole. Ein nicht gerade in den glänzendsten Verhältnissen lebender Mann, der nur das Herz seiner Angebeteten erobern will, vor ihrem Reichtum aber flieht, war in unserem materialistischen Jahrhundert ein weißer Rabe, der es verdiente, daß man sich ihm zu eigen gab.

Der Baron fand es angezeigt, die beiden Damen allein zu lassen. Diese vermieden es, sich anzusehen, waren aber darüber einig, daß man nun dem Brief an Frau Berg eine andere Fassung geben müsse. Mizi nahm daher wieder am Tische Platz – froh, sich den Blicken ihrer mütterlichen Freundin entziehen zu können. Die Angst, die ihr beim Durchlesen der Depesche das Herz zusammengekrampft, erleuchtete sie über sich selbst. Nun wußte sie, weshalb sie die glänzendsten Partien ausgeschlagen und weshalb sie sich so übermenschlich auf die Reise nach Kismárton gefreut. »Er« weilte ja dort, sie sollte den lieben Ausreißer wiedersehen! Es war geradezu undenkbar, die Reise auch nur um eine Stunde zu verschieben! Während sie nach dem Diktat der Baronin Berczy an Frau Berg schrieb, dachte sie darüber nach, ob er wohl wisse, daß er sich unter ihrem Dache befinde und ob ihn das Schloß, der Blick von der Terrasse, die Berge, der Teich und die wilde Bergschlucht ebenso entzückte wie sie. Gewiß, die Farbenpracht und die Romantik mußten sein künstlerisches Auge erfreuen! Er würde bald genesen und dann wollten sie zusammen die herrliche Landluft genießen. Sie wird ihn mit ihrem Schützling, der lieben Piroska, bekannt machen, die einen reizenden Studienkopf abgeben wird, und auch mit dem gutmütigen, aber komischen langen Peter.

Die Baronesse verbrachte die nächsten Tage in einer grenzenlosen Unruhe, immer von der unbestimmten Angst gequält, irgendetwas könne ihre Abreise noch im letzten Augenblick verhindern. Der Arzt schrieb auf Verlangen des Barons täglich und er versicherte, daß die Genesung seines Patienten befriedigende Fortschritte mache. Der Herr Baron könne ganz beruhigt Montag auf dem Schlosse eintreffen. Dank der Verschwiegenheit Frau Bergs ahnte niemand, daß er auch die Damen mitbringen werde.

8.

Peti beharrte bei seiner ersten Aussage, in der Höhle von einem Steinwurf erschreckt und wahrscheinlich auch getroffen worden zu sein.

Der Arzt, Baron Berczy und er saßen auf der Terrasse. Der Baron, vor einer Stunde angekommen, ließ sich von ihm über den Unfall berichten.

»In der Tropfsteinhöhle von einem Steinwurf getroffen? Wie wollen Sie das erklären, lieber Freund?«

»Jemand muß beim Eingang gewesen sein und den Stein geworfen haben. Er prallte an der gegenüberliegenden Felswand ab und flog in einem Bogen mit furchtbarem Getöse auf mich zu. Ich wankte und stürzte in eine, wie mir schien, unermeßliche Tiefe. Um dem Rummel des Kirchweihfestes, das bei meinen Quartiersleuten großartig gefeiert wurde, zu entgehen, hatte ich einen längeren Spaziergang unternommen und wollte endlich einmal mit Muße das Innere der sehr interessanten Tropfsteinhöhle studieren. Einer der Festbesucher wird wohl vorübergegangen sein und, nicht wissend, daß jemand drinnen war, das Echo haben erproben wollen. Ich sah von meinem Standpunkte aus ganz deutlich, wie sich vom Eingang der Schatten einer hohen, kräftigen Gestalt abzeichnete, die, zum Wurf bereit, die Arme über den Kopf hob. Sie sah wie eine antike Bronze aus. »Halt, halt!« rief ich, so laut ich konnte, aber im nächsten Augenblick wiederhallte von den Felswänden ein ohrbetäubendes Getöse, mir wurde es schwarz vor den Augen, ein kalter Schauer rieselte meinem Rücken entlang und ich sank immer tiefer und tiefer in die dunkle Nacht hinab – –«

Er erschauerte und sein Gesicht erbleichte in der Rückerinnerung an den fürchterlichen Augenblick. Peti war eben noch immer sehr schwach, erklärte aber noch einmal mit Bestimmtheit, daß sein Bericht durchaus keine Ausgeburt einer aufgeregten Phantasie sei, sondern auf Wahrheit beruhe. Berczy und der Arzt wechselten verständnisvolle Blicke ohne dem Rekonvaleszenten weiter zu widersprechen.

»Ein unangenehmes Erlebnis!« meinte der Baron.

»Ich kann Ihnen versichern, daß es fürchterlich war. Als ich aus der ersten Ohnmacht erwachte, sah ich den sicheren Tod vor Augen, denn ich war mir bewußt, ohne Hilfe nicht aus dem verfluchten Loch heraus zu können. Niemand ahnte, was geschehen war, meine Hilferufe verhallten ungehört. Ich war ein lebendig Begrabener – ein Gedanke, fähig, den mutigsten Menschen aus der Fassung zu bringen. Zum Glück verlor ich bald wieder das Bewußtsein.«

»Eine solche Situation vermag die kräftigsten Nerven zu erschüttern,« bemerkte der Arzt. »Sie behaupten, daß Sie der Gestalt am Eingang »Halt!« zugerufen hätten. Was ich nicht begreife, ist, daß der Mann, der den Ruf sicherlich gehört haben müßte, da die Höhle bekanntermaßen ein wundervolles Echo hat, sich nicht weiter um Sie kümmerte.«

»Sie werden mich in meiner Ueberzeugung nicht wankend machen, lieber Doktor,« entgegnete Peti lächelnd. »Mein armer Kopf ist zum Rätsellösen noch immer zu schwach, ich berichte nur den wahren Sachverhalt.«

»Sie werden doch nicht annehmen, daß jemand böswillig den Stein nach Ihnen geschleudert hat?«

»Nein, das nehme ich nicht an, da ich weiß, daß in der Gegend keine Wahnsinnigen frei umhergehen. Denn nur ein Wahnsinniger könnte einem so harmlosen Menschen, wie ich es bin, nach dem Leben trachten. Ich vermute keine böswillige Absicht hinter dem Bubenstück, aber das ist sicher, daß der Stein geschleudert worden ist. Auch will ich zugeben, daß ich im Schreck nur geglaubt habe, »Halt!« gerufen zu haben und daß der Werfer keine Ahnung hatte, einen Menschen in Lebensgefahr gebracht zu haben. Aber nun, da mein Unfall sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Gegend verbreitet hat, sollte der Täter soviel Takt besitzen, mich aufzusuchen und um Entschuldigung zu bitten. Wahrscheinlich hält er sich aus Angst vor Strafe verborgen. Wenn wir bekanntmachen ließen, daß der Täter nichts zu fürchten habe, würde er sich vielleicht freiwillig melden.«

»Für heute haben wir genug geplaudert, lieber Herr v. Peti. Ihr Puls schlägt wieder etwas rascher, als er sollte und ich meine daher, daß wir uns auf den Heimweg machen, Herr Baron,« sagte der Arzt.

»Es beschämt mich ordentlich, daß Sie meinthalben im Wirtshaus vorlieb nehmen müssen. Ich fühle mich wahrhaftig kräftig genug, um morgen schon mein altes Quartier zu beziehen. Wenn ich geahnt hätte, daß Frau Berg, meine aufopfernde Pflegerin, mich aufs Schloß transportieren lassen werde, hätte ich wahrlich ein Fieber vorgeschützt, um bei den Waldhütersleuten zu bleiben.«

»Unsinn! Sie geben mir Ihr Wort, daß Sie sich ohne meine Erlaubnis nicht von hier fortrühren. Sie brauchen noch einige Tage vollständige Ruhe und deshalb kommen wir – will sagen: ich – nicht herauf. Wir, d. h. ich fühle mich unten ganz kannibalisch wohl. Es ist doch etwas Neues! Ich gehe täglich auf die Schnepfenjagd und erlaube Ihnen, von der Terrasse aus meine Schüsse zu zählen. Frau Berg hat Ihnen wohl schon ein paar Prachtexemplare gebraten? O, sie ist eine Meisterin darin! Hat sie Ihnen nicht auch den köstlichen Spaß erzählt, wie im vorigen Jahre die Wirtin unten im Dorfe, nicht wissend, was sie mit den Austern, die eine Jagdgesellschaft mitgebracht, machen sollte, einen Riesenstrudel daraus fabrizierte? Ein Austernstrudel! Schmeckte scheußlich! Brrr!«

Nach kurzer Zeit empfahlen sich die Herren und Peti blieb mit seinen Gedanken allein, die nicht gerade angenehmer Natur waren. Um die trübe Stimmung, die ihn beherrschte, abzuschütteln, sprang er auf und schritt von der Terrasse über die Marmortreppen in den Park hinab. Er war ganz allein im Hause. Frau Berg hatte in den Wirtschaftsgebäuden zu tun und der Verwalter war in das nächste Städtchen gefahren. Eine Zigarette rauchend, schlenderte der Rekonvaleszent zwischen den Bäumen umher und freute sich seiner wiederkehrenden Kräfte.

»Herr v. Peti – –«

Er blieb stehen und lauschte. War das nicht Piroskas Stimme? Er hatte seit dem Kirchweihfeste nichts von ihr gesehen oder gehört. Gehört doch. Frau Berg hatte ihm ja erzählt, daß er nur ihrem tatkräftigen Einschreiten sein Leben zu verdanken habe. Nun konnte er ihr wenigstens danken.

»Herr v. Peti, darf ich? Sind Sie allein?« hörte er ganz dicht neben sich ihre schüchterne Stimme. Und ehe er noch antworten konnte, stieg sie über die niedrige Mauer zu ihm herein. Die goldenen Strahlen der untergehenden Sonne überfluteten sie förmlich mit ihrer Glut und doch merkte der Maler auf den ersten Blick, daß sie sich in der kurzen Zeit sehr verändert hatte. Müde und traurig blickten ihre sonst so hellen Augen. Ihre Wangen waren blaß. Ein geheimer Kummer sprach aus ihren Zügen; sie schien auch schmächtiger, kleiner geworden zu sein.

Wie erschöpft sank sie auf die niedrige Mauer, als ob die Füße ihr den Dienst versagten.

»Ich muß fort vom Hause. Vater hat heute seine Hand gegen mich erhoben, Mutter ist verzweifelt und Pista glaubt mir nicht,« begann sie mit tonloser Stimme. »Ich habe mich hergeschlichen, um von Ihnen die Wahrheit zu hören.«

»Kind, was ist denn vorgefallen? Weshalb ist Ihr Vater so erzürnt? Steckt der Schlossermeister hinter der Geschichte? Hat er sich noch nicht beruhigt? Da hat ein Ohrenbläser die Hand im Spiele! Ich müßte alle Menschenkenntnis verloren haben, wenn der törichte, eifersüchtige Narr sich nicht von dem sauberen Matthias Harmat umgarnen ließ – –«

»Kein Wort gegen Gyula,« rief sie mit flammenden Blicken, »bis ich mich nicht selbst überzeugt habe, daß er einer bösen Handlung fähig ist. Und deshalb eben bin ich zu Ihnen gekommen. Sie müssen mir die Wahrheit sagen. O, ich bin ja so elend und unglücklich! Ich beschwöre Sie, sagen Sie mir, was Sie wissen. Schonen Sie mich nicht. Ich mag nicht geschont sein. Ich habe in den letzten zwei Wochen so Schlimmes durchgemacht, daß ich alles ertragen kann. Vater geht wie ein wütender Löwe herum, ißt nicht, schläft nicht und spricht außer mit Pista mit keiner Menschenseele. Ich darf ihm nicht einmal die Pfeife mehr stopfen. Und dabei keine Nachricht von Gyula! Ich war schon zweimal in seiner Werkstätte, ohne ihn sprechen zu können, die dicke Julcsa hat mich mit ihrem Hohn und Spott vertrieben. Heute früh hat mich Vater ins Schlafzimmer gerufen und gefragt: »Wessen Hand hat den Stein nach Herrn v. Peti geschleudert? He?« Dabei sah er mich mit so furchtbaren Augen an, daß mir angst und bange wurde. Der Gedanke schoß mir durch den Kopf, daß er Gyula im Verdacht habe; nun läßt diese Idee mich nicht mehr los. Sie, Sie allein können mir die Wahrheit sagen! War's Gyula? Und plante er Mord?« fragte sie mit zuckenden Lippen. Ihre gemarterte Seele lag in den weit aufgerissenen Augen, mit denen sie den Maler anstarrte.

»Piroska, ich gebe Ihnen mein Wort, daß mir bis zu diesem Augenblick der Gedanke an den Schlossermeister nicht gekommen war – –«

»Aber jemand hat den Stein doch geschleudert! Sie haben es bestimmt versichert. Ich werde noch wahnsinnig! Vater sagte mir heute auch, ich hätte durch mein Benehmen Gyula dazu getrieben. Gott weiß, daß ich ihm keine Ursache zur Eifersucht gegeben habe. Morgen in aller Frühe muß ich das Haus verlassen, Vater will mich nicht mehr vor Augen sehen. Ich gehe zu meiner Tante auf die Pußta. Dort ist es furchtbar einsam. Kein Dorf, kein Haus weit und breit, nichts als eine endlose Ebene ohne Wald und Berg. Und ich bin doch so an meine Berge gewöhnt; ich werde vor Sehnsucht nach ihnen vergehen. Was tut's aber? Ich wollte, ich wäre schon tot. Vater sagt, ich habe das Herz eines guten Menschen vergiftet und ich dürfe nicht mehr an Gyula denken. Wenn der ›lange Peter‹ mich noch einmal verlange, müsse ich ihn heiraten. Aber das tu' ich nie, nie! Ich habe solche Angst vor Peter; er kennt durch Pista meine verzweifelte Lage und er wird mich aus Gutmütigkeit verlangen und Vater wird wüten. Er hält mich für ein leichtfertiges Geschöpf, aber ich bin es nicht, ich kann nur einmal lieben. Bevor ich gehe, sagen Sie mir, ob Gyula es getan hat und ob er Mord plante? Ich muß es wissen, um zu entscheiden, was ich mit mir beginnen soll.«

Peti war von dem Schmerz und der Leidenschaftlichkeit Piroskas aufs tiefste erschüttert. Er fühlte aus ihren Worten, daß sie ihren Liebsten lieber verdammt wissen wollte, als noch länger die peinigende Ungewißheit zu ertragen. Zu welcher tragischen Tat könnte dieses feinfühlige Bauernmädchen getrieben werden? Werden solche Geschöpfe durch die Umstände geschaffen oder schaffen sie die Umstände?

Piroska schluchzte zum Herzbrechen.

»Armes Kind!« sagte Peti mit sanfter Stimme.

Sein Mitleid tat ihr wohl und beruhigte sie allmählich. Er war, während sie gesprochen, erregt auf und ab gegangen; nun blieb er vor ihr stehen und sprach ihr milde zu. Sie beschwor ihn von neuem, ihr die Wahrheit zu sagen, sie nicht zu schonen.

»Ich kann Ihnen nichts sagen, weil ich nichts Bestimmtes weiß. Sie tun am besten, für eine Zeit zu ihrer Tante zu gehen. Sobald ich ausgehen darf, werde ich Karsai aufsuchen, der Sache auf den Grund kommen und Ihnen dann schreiben. Nehmen wir an, der junge Mann hätte sich von seiner Leidenschaft hinreißen lassen, da die Gelegenheit so günstig war; es hat ja doch aber dank Ihrer Energie keine weiteren Folgen gehabt –«

»Dann hätte er ja einen Mord beabsichtigt! Er wußte, daß Sie in das Loch fallen und dort wie eine Maus in der Falle umkommen müssen, wenn er sich's nicht überlegt und Sie rettet! Es macht mich ganz krank, an eine solche Schlechtigkeit zu denken und für nichts und wieder nichts! Sie und ich, wir haben doch nichts Unrechtes getan – –«

»Mit keinem Gedanken!« versicherte er.

Ernst blickte sie zu ihm empor. Ihre Augen schwammen noch immer in Tränen, aber ein schwaches Lächeln huschte bei seiner Versicherung um ihre Lippen.

»Ich sagte Vater, daß mein Gewissen rein sei, aber er glaubte es nicht; er sagte, ich sei schon als Kind gefallsüchtig gewesen. Pista hat ihn gegen mich aufgehetzt. Er kann es mir nicht verzeihen, daß ich seinen Freund Peter nicht zum Mann genommen habe. Ein leichtfertiges Mädchen würde sich doch küssen lassen, nicht wahr? Mich hat noch kein Mann außer Gyula geküßt, nicht einmal beim Pfänderspiel. Daß ich lustig war, ist richtig, ich kann nichts dafür, es liegt in meiner Natur, aber wem schadet es denn? Während ich mit Ihnen plauderte, dachte ich immer an Gyula, nur an Gyula!«

»Ich weiß es. Und er liebt Sie auch sehr, sonst hätte er nicht gehandelt, wie er getan hat. Nur die Angst, Sie zu verlieren – –«

»Daran habe ich auch schon gedacht und es hat mich getröstet,« unterbrach sie ihn lebhaft.

Eine Pause entstand. »Aus solchem Material werden Heldinnen gemacht,« sagte sich Peti. Wird sie die Sünde ihres Liebsten auf ihre Schultern laden? Wird sie für ihn büßen? Denn daß Gyula gesündigt hatte, daran zweifelte er, seit Piroska ihm die Idee nahegelegt, keinen Augenblick mehr. Wird sie ihr Herz gegen ihn stählen, sich von ihm losreißen und ihn verdammen, ein einsames Leben zu führen und sich an ein ungeliebtes Weib zu binden?

»Piroska,« unterbrach er die Stille, »Sie dürfen nicht grausam sein!«

»Was wollen Sie damit sagen?« fuhr sie auf.

»Ich kann Ihnen das nicht so erklären, fürchte ich. Ein Gedanke reihte sich an den anderen und ich sah Sie im Geiste schließlich der Einsamkeit und Verzweiflung preisgegeben. Eine augenblickliche Verblendung soll nicht die Macht haben, zwei Menschenleben zu vernichten. Ich bin zur Zeit machtlos, Karsai würde, wenn ich ihn auch herbitten ließe, nicht kommen und noch weniger mir Red' und Antwort stehen, ich muß ihn überrumpeln. Wenn ich ihm vergebe, Piroska, so können Sie es auch. Wir dürfen ihn nicht zum Sündenbock machen. Alles wird noch gut werden, glauben Sie mir!«

»Aber auf wie lange?« gab sie bitter zurück.

»Kind, Kind, Sie dürfen nicht so sprechen! Diese Prüfung wird ihn geläutert haben und Sie müssen ihm helfen, der alte zu werden. Die Zukunft ist uns allen verborgen – –«

»Sie sprechen wie ein Priester. Die Wechselfälle des Lebens haben mir schon so oft zu denken gegeben, sie lassen uns so klein und machtlos erscheinen, wie neugeborene Kinder. So oft ich Brot knetete, sagte ich mir: so macht es Gott mit uns Menschen – er knetet uns!«

Sie erhob sich und reichte ihm stumm die Hand zum Abschied. Er blickte ihr gedankenvoll nach. Plötzlich drehte sie sich um und fragte:

»Wie lange werden Sie noch hier oben bleiben?«

»Das weiß ich nicht. Man will, daß ich an den Jagden teilnehme.«

»Man? Ist darunter auch die Baronesse Mizi zu verstehen? Sie ist hier und wohnt unten im Wirtshaus; aber die Leute sagen, daß sie bald heraufkommen wird. Dies alles gehört ihr,« dabei machte sie einen weiten Bogen mit dem Arm, »und noch weit, weit mehr. Sie werden sie kennen lernen, Herr v. Peti, sie ist eine so schöne, süße und feine junge Dame,« schloß sie mit einem Schatten ihrer alten Schalkhaftigkeit. Er war zu verblüfft, um zu antworten, und als er sich gefaßt hatte, war Piroska verschwunden. Er blieb dort, wo sie ihn verlassen, wie festgewurzelt stehen. Was hatte sie gesagt? Durfte er seinen Ohren trauen? Mizi hier? Bei Frau Berg wollte er sich sofort Gewißheit verschaffen. Er beschleunigte seine Schritte, ließ sich aber dann auf der Terrasse in einen Stuhl sinken. Wenn Baron Berczy ihm die Anwesenheit der Damen verheimlichte, mußte er wohl seine guten Gründe dafür haben. Oder Piroska täuschte sich.

Der Gedanke, daß Mizi in seiner Nähe weile, regte ihn derart auf, daß er schlecht schlief und infolgedessen spät zum Frühstück hinunterging. Frau Berg brachte ihm den Kaffee und machte sich gegen ihre Gewohnheit am Tische zu schaffen. Der Gedanke schoß ihm blitzartig durch den Kopf, daß sie vielleicht wünsche, Piroskas Mitteilung zu bestätigen.

»Haben Sie Neuigkeiten für mich?« holte er sie aus.

»Ja, gnädiger Herr! Und wenn es wahr ist, was sich die Leute erzählen, keine angenehmen. Man munkelt allgemein, daß der Schlossermeister Sie wirklich meuchlings habe ermorden wollen, nur Julcsa und deren Tochter verteidigen ihn. Man will die Polizei aufmerksam machen, und es wird ihn seine Werkstätte kosten. Beim Richter sind sie alle aus dem Häuschen, der Alte tobt förmlich und das arme Kind, die Piroska, ist mit gebrochenem Herzen fort. Sie ist so stolz, wer weiß, wer weiß, ob sie sich nicht noch etwas antut.«

Er würgte hastig sein Frühstück hinab und damit seine persönliche Enttäuschung.

»Ich glaube nicht an den endgültigen Bruch zwischen dem Schlosser und Piroska. Es wäre ja zu toll!«

»Julcsa will ihn schon lange ködern. Sie wird ihn jetzt nicht mehr loslassen. Wo fände sie noch eine so gute Partie für ihre Janka! Das mit dem Mord hat der Neidhammel, der Pächter Matthias unter die Leute gebracht. Weiß Gott, was er gegen den Schlosser hat!«

»Ich muß Karsai sprechen,« rief er entschlossen.

»Sie?« schrie Frau Berg entsetzt auf. »Sie sind der letzte, der sich ihm nähern darf. Er soll im Oberstübchen nicht ganz richtig sein, tagelang in den Wäldern herumstreifen und allen Menschen aus dem Wege gehen. Am Morgen nach dem Kirchweihfeste hat ihn ein Bauer doch oben im Gebirge, wo die Schafhirten hausen, getroffen, und als er ihm von Ihrem Unfall erzählte und daß man Sie leblos aus dem Loch geholt, sei er mit einem Aufschrei zu Boden gestürzt. Er erhob sich zwar sofort und erklärte, daß ihn eine Natter gestochen habe. Man behauptet aber, sein Gewissen sei die Natter gewesen.«

»Wenn jemand ihn wieder zur Vernunft bringen kann, so bin ich es – ich lebe ja und bin gesund. Sagen Sie dem Verwalter, daß ich ihn bitten lasse, das Pony zu satteln.«

Frau Berg starrte ihn entsetzt an. Da hatte sie nun eine nette Sache angerichtet. Sie kannte Peti schon zur Genüge, und wußte, daß er seinen Willen durchzusetzen verstand und sich durch niemanden beeinflussen ließ. Der Ritt konnte ihm heute zwar nicht mehr schaden, aber bei dem Schlosser lagen allerlei Werkzeuge umher – wie, wenn der Wütende sich an dem Maler vergriffe? Auf keinen Fall durfte dieser den gefährlichen Gang allein unternehmen. In ihrer Verzweiflung dachte sie an den Baron.

»Herr v. Peti, Sie gehen ja an dem Wirtshaus vorbei, unser Herr Baron wird Sie gern zu dem Schlosser begleiten. Man weiß nie, wozu so ein verzweifelter Mensch imstande ist. Schon wegen der Damen dürfen Sie nicht allein gehen; Frau Baronin ist herzleidend, die leichteste Aufregung könnte ihr schaden –«

Der Maler gab ihr ein Zeichen, zu schweigen und fiel dann in seinen Stuhl zurück, um in tiefes Nachdenken zu versinken. Eine halbe Stunde später ritt er ins Dorf hinab. Vor dem Gasthaus bot sich ihm ein bewegtes Bild. Der Baron war eben mit seinen Begleitern von der Jagd heimgekehrt und wurde von zwei eleganten Damen, die ihn im Haustor erwarteten, begrüßt. Petis Augen leuchteten beim Anblick der jüngeren, einer schlanken Blondine mit träumerischen grauen Augen, auf. Auch über ihr Gesichtchen flog ein rosiger Schimmer, während sie ihm lächelnd einige Schritte entgegenging. Mit einem Satz sprang er vom Pferde und hielt das kleine Händchen fest mit seiner Rechten umschlossen. Ihre Blicke versenkten sich ineinander und schienen sich nicht trennen zu können. Das Ehepaar bemerkte es und war darüber gar nicht erstaunt.

»Hallo, was bringt Sie her! Habe ich Ihnen nicht verboten, das Schloß zu verlassen?« begrüßte ihn der Baron lachend. »Sie haben wohl von dem Damenbesuch Wind bekommen, he?«

Peti erzählte, daß er den Schlossermeister aufsuchen wolle, um ihm den Kopf zurechtzusetzen. Die Herrschaften kannten bereits die dumme Geschichte; namentlich Mizi war sehr erregt darüber, da sie Piroska wohl wollte und das Mädchen sehr bedauerte. Sie glaubte natürlich kein Wort von dem Gerede der Leute.

»Der Bursche muß rein den Verstand verloren haben, daß er Sie in die Geschichte mischt!« rief der Baron ärgerlich. »Sie brauchen gar nicht so verlegen zu werden, mein Freund; wir sind überzeugt, daß nichts dahinter ist. Es ist ja der bare Unsinn! Gehen wir doch auf unsere Zimmer, Sie scheinen mir für jetzt dringend der Ruhe zu benötigen.«

Als Peti behaglich in der Ecke des alten Sofas Platz genommen – er hätte es nie für möglich gehalten, daß ein altes Sofa eine solche Wohltat sein könne – fuhr der Baron fort:

»Sagen Sie mal, dachten Sie an den Schlosser, als Sie mit solcher Bestimmtheit versicherten, daß Sie von einem Stein getroffen worden? Ist es wirklich möglich, daß der Bursche den teuflischen Mord beabsichtigte?«

»Darüber habe ich kein Urteil. Ich selbst habe keinen Augenblick an Karsai gedacht. Gestern abend suchte mich Piroska in ihrer grenzenlosen Verzweiflung auf und erzählte mir von dem Gerede der Leute. Das arme Kind dauert mich wirklich. Ich muß gestehen, daß ich ihn seither selbst für den Täter halte. Er muß in einem Falle geistiger Verwirrung gehandelt haben, oder, was noch wahrscheinlicher ist, von jemanden aufgehetzt worden sein. Eifersucht, wenn einmal entfacht, ist bekanntlich imstande, die gesündeste Vernunft zu ersticken. Ich bin, wie gesagt, ins Dorf gekommen, um den Burschen ordentlich ins Gebet zu nehmen.«

»Je eher Sie das tun, desto besser,« rief die Baronin. »Die Heirat Piroskas mit dem schmucken Burschen soll nicht wegen dummer Zwischenträgereien ins Wasser fallen, das Mädchen ist unser aller Liebling und verdient glücklich zu werden, nicht wahr, Mizi? Und dann haben wir auch schon das Hochzeitsgeschenk besorgt, es muß also auch seiner Bestimmung dienen!«

Der Baron verließ für heute die Jäger und machte sich bereit, Peti in die Schlosserwerkstätte zu begleiten. Letzterer mußte den Damen versprechen, den Tag mit ihnen zu verbringen. Sie ahnten kaum, wie gerne er es tat! Durch die lange Trennung war es ihm erst klar geworden, wie sehr er die Baronesse liebe.

In der Schlosserwerkstätte fanden sie kein Zeichen von Leben. Die Tür war verschlossen, die Läden herabgelassen. Die Herren kreuzten die Straße, um sich bei der »dicken Julcsa«, die im Hofe Wäsche wusch, Auskunft zu holen.

»Wie heißen Sie?« wandte sich der Baron an sie.

»Lánczy, mit Respekt zu melden, Herr Baron,« entgegnete sie unter zahllosen Bücklingen.

»Sie haben eine Tochter – –«

»Und was für eine, mit Respekt zu vermelden! Sie ist ein fleißiges, braves Mädchen und ich als Mutter darf sagen, daß sie auch hübsch ist. Wenn der hochwohlgeborene Herr Baron sie vielleicht zu sehen wünschen.«

»Bemühen Sie sich nicht,« gab er trocken zurück. »Sie sind, wie ich gehört habe, mit meinem Pächter Harmat verwandt?«

»Zu Befehl, Herr Baron, er ist mein Vetter.«

»Sie stehen wohl auf sehr vertrautem Fuße mit Matthias?« mischte sich Peti ins Gespräch.

Die Alte warf ihm einen vernichtenden Blick zu; erst als der Baron die Frage wiederholte, entgegnete sie:

»Er ist mir ein willkommener Gast.«

»Und der lange Peter?«

»Der ist nur selten hier, seit er die Pachtung drüben im Gebirge übernommen hat – –«

»Und er ist auch ein ganz anderer Mensch, kein Geschichtenträger, der die Leute aufhetzt, was, Alte?« sagte der Baron stirnrunzelnd.

»Ich weiß nicht, was der hochwohlgeborene Herr damit sagen wollen – –«

»Schon gut, schon gut, wo ist der Schlosser?«

»Er hat auf der Pfarre zu tun.«

Die Herren grüßten und schlenderten auf einem Umweg ins Wirtshaus zurück.

»Die Sache ist ganz klar. Die alte Hexe will den Schlosser für ihre Tochter ködern und Matthias rächt sich an Piroska für den Korb. Der eifersüchtige Narr hat sich von ihnen um den Verstand schwatzen lassen,« bemerkte der Baron.

Peti lenkte das Gespräch auf die Damen und der Baron erriet aus demselben, daß der stolze Künstler sein Mündel geflohen hatte und daß er die stille Absicht habe, dies wieder zu tun. Das mußte um jeden Preis verhindert werden, da Mizi ihn liebte und reich genug für beide war.

»Ich habe mich in das reizende Geschöpf verliebt,« gestand Peti auf die Kreuz- und Querfragen Berczys, »ohne daran zu denken, ob sie arm oder reich sei. Aladár erzählte mir eines Tages von ihrem fabelhaften Reichtum; was konnte ich da als Ehrenmann anders tun, als sie fliehen? Ein gütiges Geschick hat uns heute wieder zusammengeführt. – In den nächsten Tagen muß ich nach der Hauptstadt zurück, um das Porträt des Grafen A. zu malen.«

»Aber, lieber Peti, was ist's dann mit unserer Schnepfenjagd? Uebrigens eine Frage zur Güte: Wie gefällt Ihnen das Jagdschlößchen?« Dabei sah er ihn blinzelnd von der Seite an.

»Ausnehmend!«

»Nun, verzeihen Sie, dann begreife ich wahrhaftig nicht, weshalb Sie, weil es einer jungen Dame gehört, Ihr Herz gegen diese stählen wollen. Armes Ding, kann sie dafür, daß ihr Vater ihr ein fürstliches Vermögen hinterlassen hat? Sie sagen, Ihre Verhältnisse seien nicht glänzend. Das verstehen Sie nicht, sie sind mehr als das. Ein Glückspilz, der das Herz eines solchen Weibes erobert! Verstanden, he?«

9.

Der Schlossermeister war seit dem Kirchweihfeste wie verhext. Stumm und in sich gekehrt schlich er einher und redete mit niemandem. Wenn man zu ihm sprach, hörte er zu, ohne zu antworten. Er sang nun nicht mehr bei der Arbeit wie früher, kurz: er war nicht wieder zu erkennen. Ungefähr eine Woche nach dem vergeblichen Versuch Petis, ihn zu sprechen, wurde er aufs Schloß berufen. Die Herrschaft wohnte bereits seit einigen Tagen oben und es ging lustig her, wie in dem entzauberten Schlosse Dornröschens. Der Prinz hatte ja Mizi aus ihrem Hangen und Bangen erlöst und zum Lohn dafür hielt sie ihn an der goldenen Kette der Liebe fest. Peti, der sich so namenlos glücklich fühlte und, wenn auch ohne seine Schuld das Leben des Schlossers verdüstert hatte, wollte noch einen Versuch wagen, auch ihn aus seinem Bann zu erlösen. Er sprach ernst und eindringlich mit ihm. Als Ehrenmann müsse er Piroska, die ihn liebe und über die er durch seine törichte Eifersucht soviel unverdientes Leid gebracht, zu seinem Weibe machen. Gyula hörte ihn mit zu Boden gesenkten Blicken an. Ein schmerzliches Stöhnen war die Antwort. Auch Mizi suchte ihn zu überreden, sein Glück nicht durch seinen Eigensinn von sich zu stoßen. Man spreche allgemein davon, daß er Janka heiraten werde, aber eines solchen Bubenstreiches halte sie ihn nicht für fähig. Wer einmal eine Piroska geliebt, könne sich unmöglich an eine Janka wegwerfen. Er schüttelte stumm den Kopf und blickte flehend zu ihr empor, nicht weiter in ihn zu dringen. In diesem scheuen Blick lag eine reuevolle Beichte, ein stummes Schuldbekenntnis.

Als er gegangen war, wandte sich Mizi an ihren Bräutigam: »Weißt du, Jenö, daß aus seinem scheuen Wesen das böse Gewissen spricht? Sein Blick hat es mir gesagt, daß er nach deinem Leben getrachtet hat und die böse Tat bitter büßt!«

»Der dumme Mensch wird sich doch wegen einer Verirrung, die er in einem Moment der höchsten Erregung begangen hat, nicht sein ganzes Leben verpfuschen? Was will er denn? Ich lebe, bin gesund und habe ihm von Herzen vergeben. Sein verfluchter Trotz, der Trotz des Schuldigen, läßt es nicht zu, daß er seinen Fehler gutmache. Er hatte den Stiel einfach umgekehrt. Er war von dem Wahn erfüllt, daß man gegen ihn gesündigt und darum sündigte er. Er kann sich nicht überwinden und das Mädchen um Verzeihung bitten. Wie sollen wir ihn bekehren?«

»Gar nicht! Er muß, wie bei allen schweren Krankheiten, die Krisis überstehen, dann, mein Lieber, wird er von selbst den Weg zu Piroska finden. Er meidet die Menschen, weil er sich als Kain fühlt. Fürchte nicht, daß er das unsympathische Mädchen heimführt, er liebt Piroska mehr denn je! Und diese? Mein Gott, was verzeiht ein liebendes Weib nicht alles! Wir dürfen den Ereignissen nicht plump vorgreifen. Ein Schwerkranker braucht lange Zeit zur Heilung.«

Und krank war das Gemüt Gyulas, ja, sehr krank! Er war so schweigsam geworden, weil er nicht reden konnte. Was er getan, war so ungeheuerlich, so ganz gegen seine gutmütige, biedere und offene Natur, daß ihn das Entsetzen vor sich selbst verfolgte. Schuld, Angst und Reue sprachen aus seinen Zügen. Er mochte tun, was er wollte, im Wachen und im Träumen sah er nur das furchtbare Bild, wie er, vor dem Eingang der Höhle stehend, einen Mann am Rande des Abgrundes bemerkte. In jenem Augenblick schien sich die Sonne verfinstert zu haben, sein Herz stand still. Unter dem Einfluß einer ihm bis dahin fremden dämonischen Macht bückte er sich, hob einen schweren Stein auf und schleuderte ihn in die Höhle. Von den Felswänden hallte ein furchtbares Echo, das ihm Mark und Bein erstarren ließ. Ihm war's, als müsse in diesem Augenblick die Welt untergehen. Hören und Sehen verging ihm und er sank mit dem Gesicht zu Boden. Als er sich gefaßt hatte, war die Gestalt in der Höhle verschwunden und er ging ruhig seiner Wege, aber nicht, wie er sich vorgenommen, zum Kirchweihschmaus ins Richterhaus, sondern tief in den Wald hinein. Es war ein herrlicher Tag, aber er erfreute sich nicht wie sonst an Gottes Natur; er lief, als ob er mit Hunden gehetzt würde, immer weiter, immer weiter, bis er erschöpft und schweißgebadet zu Boden fiel. Gegen Mitternacht erwachte er und schlich sich wie ein Dieb zur Höhle zurück. Er kam sich wie ein Hund vor, der den Leichnam seines Herrn beschnuppert und immer wieder zu demselben zurückkehrt. Was tat er hier? Er war ja nur im Walde eingeschlafen und hatte einen furchtbaren Traum geträumt. Der Mond schien hell und warf gespensterhafte Schatten. In den Wipfeln säuselte es »Mörder! Mörder!« Das Knarren seiner Schuhe machte ihn vor Angst erbeben, er glaubte das ganze Dorf damit zu erwecken. Nun stand er am Eingang der Höhle! Entweder alles war nur ein Traum oder sein Opfer lag zerschmettert da unten. Totenstille ringsum … Wie zerschlagen kam er in der Morgendämmerung nach Hause. Mit den goldenen Sonnenstrahlen klärten sich auch seine Gedanken und er konnte wieder überlegen. Wenn es kein grausiger Traum gewesen, wenn der Böse wirklich Macht über ihn gewonnen und er die Gestalt in der Höhle getötet hatte, konnte es ja niemand erfahren. Tote reden nicht. Man wird annehmen, daß der Maler, ohne eine Spur zu hinterlassen, verschwunden sei. Sollte man ihn suchen und in dem Abgrund finden, wird alle Welt denken, daß er verunglückt sei. Mit der Möglichkeit, daß ein Wunder geschehen und der Mann lebend aufgefunden werden könne, rechnete er nicht. Nun hieß es möglichst unbefangen erscheinen. Er schulterte seinen Rucksack mit Werkzeugen, als ob er über Land zu gehen hätte und trieb sich den ganzen Tag im Gebirge umher, ohne einen Bissen zu sich zu nehmen. Gegen Abend fiel es ihm ein, daß er heimkehren müsse, um zu erfahren, ob man das Verschwinden des Malers bemerkt habe. Auf halbem Wege traf er einen Bauer, der ihm von der Aufregung in Kismárton und von der Rettung des Verunglückten erzählte. Gyula war wie vor den Kopf gestoßen und hielt sich für verloren. Täglich und stündlich fühlte er, wie ihn die Nachbarn beobachteten, wie sich der Verdacht immer mehr gegen ihn richtete, wie ihm seine alten Freunde auswichen; aber keine gerichtliche Anklage erhob sich gegen ihn. Piroska, das heldenmütige Mädchen, das er jetzt wie eine Heilige anbetete und zu der seine Gedanken zu erheben ihm eine Todsünde dünkte, ward seinethalben aus dem Vaterhause gejagt und mit ihr waren Friede und Eintracht aus dem Hause des Richters gewichen. Der Alte wurde schwermütig, sein stolzer Nacken krümmte sich, die dunklen Locken ergrauten und immer tiefer gruben sich die Sorgenfalten in sein Gesicht. Pista wurde noch brummiger und bissiger, als er früher gewesen und drückte Gyula, dem Urheber aller Leiden, so oft er ihn auf der Gasse traf, seine Verachtung dadurch aus, daß er vor ihm ausspuckte. Am schlimmsten erging es Frau Varga. Vater und Sohn ließen ihren Unmut an ihr aus und dabei sehnte sie sich krankhaft nach ihrer Tochter, die noch immer auf der einsamen Pußta bei ihrer Tante weilte.

Ein ungewöhnlich kalter Winter stellte sich ein, die alte Frau kränkelte und schließlich sah sich der Richter gezwungen, Piroska heimkommen zu lassen. Niemand hätte in dem schmächtigen Mädchen mit dem durchsichtig blassen Gesicht und den fieberhaft glänzenden Augen die einst so lebensfrohe, lustige Piroska erkannt. Ohne Klage, still und emsig, verrichtete sie ihre Arbeit. Die eine Frage, die ihr auf den Lippen zitterte, sprach sie nie aus; sie vermied es auch, ins Dorf hinabzugehen. Eines Tages mußte sie mit einem Auftrag aufs Schloß. Die Herrschaft war längst wieder in die Hauptstadt übersiedelt. An einer Biegung des Weges fand sie sich plötzlich Gyula gegenüber; beide erbleichten bis an die Lippen, aber ihre Augen sogen sich fest, als ob sie sich nie wieder voneinander losreißen könnten. Wie ein Betrunkener wankte Gyula davon; er mußte sich an den nächsten Gartenzaun anlehnen, um nicht umzusinken. Seine Kniee schlotterten. Er hatte das seltsame Gefühl, als ob Piroska das erste lebende Wesen sei, das er erblickte, seit er den Maler in die Tiefe stürzen sah. Zwei große Tropfen rannen ihm in den verwilderten Bart. Wie das wohl tat! Eine Zentnerlast schien sich ihm plötzlich von der Brust zu lösen – die Welt bekam wie durch einen Zauberschlag wieder Farbe und Licht.

Auch Piroska wurde durch die unerwartete Begegnung in den Grundtiefen ihrer Seele erschüttert.

»Großer Gott,« schrie es in ihr auf, »wie hat er sich in dem halben Jahr verändert! Was muß er gelitten haben, und das alles nur durch die Böswilligkeit schlechter Menschen! Ist es wirklich so weit gekommen, daß ich und Gyula wie die Fremden aneinander vorübergehen können!«

Nicht als Fremde waren sie sich begegnet. Der Anblick des durch Schuld und Reue gebrochenen Mannes hatte ein tiefes Mitleid in ihr erweckt. Sie vergaß, was sie durch ihn gelitten, ein gutes Wort von ihm und ihr gedemütigter Stolz hätte sich in vergebende Liebe verwandelt.

Seit jenem Begegnen nahm auch in seinem Denken und Fühlen ihre Gestalt den alten Platz ein und der fürchterliche Alp, der ihn so lange stumpf gegen die Außenwelt gemacht, verblaßte immer mehr. Sie war ihm treu geblieben, treu, trotz all des Leides, das er ihr zugefügt, trotz der großen, unsühnbaren Schuld, die er auf sich geladen! Wie eine Erleuchtung kam ihm die Erkenntnis, daß er ihr wenigstens die volle Wahrheit werde eingestehen können.

Nach den Weihnachtsfeiertagen nahm der alte Varga seine Tochter ernstlich ins Gebet:

»Du hast mir viel Kummer gemacht, mein Kind, aber alles soll vergessen werden und vergeben sein, wenn du einwilligst, Peter zu heiraten.«

»Gut, Vater, wenn Peter mich verlangt, werde ich es tun,« sagte sie mit eigentümlichem Lächeln.

Der harmlose Alte wußte nicht, daß sie ihrer Sache sicher war. Im Spätherbst einmal hatte sie auf der Pußta unerwarteten Besuch erhalten.

»Piroska, Piroska, so komm doch rasch, ein Riese, ein lebendiger Riese frägt nach dir,« rief ihr kleiner Vetter ganz atemlos, als sie im Garten das Spargelbeet zudeckte. »Ich bitte dich, sei recht vorsichtig, damit er dir nichts tue. Die Riesen sind gar wilde Leute!«

Erstaunt ging sie ins Haus und fand den »langen Peter« in der Wohnstube. Die Tante war gerade zur Stadt gefahren und so konnten sie sich ungestört aussprechen. Der gute Mensch bat sie auf zarte Weise noch einmal um ihre Hand. Sie solle es gut bei ihm haben und an seiner Seite vergessen lernen, was sie in den letzten Monaten geduldet. Gerührt von seiner Herzensgüte dankte sie ihm, beschwor ihn aber, nicht mehr an sie zu denken, ihr Herz gehöre nach wie vor Gyula, und da dieser es nicht mehr wolle, werde sie überhaupt nicht heiraten. Sie halte die Ehe für ein heiliges Sakrament und könne daher ohne Liebe nicht in dieselbe eintreten. Sie schieden als die besten Freunde – mit dem gegenseitigen Versprechen, kein Mensch solle von seinem Besuch bei ihr jemals etwas erfahren.

10.

Der Frühling zog mit Sturm und Brausen ins Land. Seit einigen Tagen weilten Mizi und Jenö als Neuvermählte auf dem Schlosse. Sie wollten den Sommer in der herrlichen Gebirgseinsamkeit verbringen, wo sich ihre Herzen nach langen Kämpfen endlich gefunden. Und da waren allerlei Reparaturen notwendig, Maurer, Maler, Tischler und Schlosser wurden beschäftigt. Mit dem Rucksack auf der Schulter, von ernsten Gedanken erfüllt, stieg Gyula den steilen Weg hinan. Der feste Entschluß, nicht eher die Arbeit aufzunehmen, als bis er dem neuen Schloßherrn eine umfassende Beichte abgelegt, war in ihm gereift. Wenn er, was er erhoffte, dessen Verzeihung erlangte, wollte er am Pfingstsonntag nach der heiligen Messe vor Piroska hintreten und sie in aller Form zum Weibe begehren.

Nach einem mehrtägigen heftigen Regen wagte sich heute endlich wieder die Sonne in ihrer strahlenden Pracht hervor. Zwar standen noch immer im Westen drohende Gewitterwolken, aber ein prächtiger Regenbogen wölbte sich am Firmament. Gyula betrachtete ihn als gutes Zeichen für seine Aussöhnung mit Gott und der Welt. Die Regentropfen auf den Grashalmen glitzerten wie Diamanten. Aus dem nahen Forste erschallten laute Kuckucksrufe – wohin das Auge blickte, überall neues, knospendes Leben. Trillernd erhoben sich die Lerchen und sangen ihre Jubellieder zum Himmel empor.

Als Gyula sich auf seinem Wege der Höhle näherte, verdüsterten sich seine Züge. Doch was war das? Welches fürchterliche Brausen und Toben im Innern! Er blickte erschrocken hinein und sah, daß sie überschwemmt war. Eine bleierne Flut gurgelte schaurig da drinnen und bahnte sich den Weg in die Kammern, Hallen und Seitengänge, um sich am entgegengesetzten Ende wieder hinauszuwälzen. Auch der Wildbach war mächtig angeschwollen – eine kochende, schäumende Flut, die sich wie eine große, ringelnde Schlange um den Forst wand und dem Tale zustrebte, Baumwurzeln, ertrunkene Schafe und andere Tiere mit sich führend. Kopfschüttelnd schritt Gyula der Brücke zu, an der er so gerne mit Piroska gestanden und von Liebe und Glück geträumt hatte. Ein markerschütternder Schrei erfüllte die Luft. Es war ein Hilferuf. Gyula rannte zur Brücke, aber plötzlich versank ein Teil derselben im Wasser und mit ihr ein Mann. Einen Augenblick stand Gyula wie gelähmt da, dann aber warf er, ohne sich zu besinnen, seinen Rock ab, schwang sich auf die den Bach überschattende Esche und lauerte, bis der Verunglückte dahingeschwemmt wurde. Der Zweig, auf dem er lag, zitterte unter ihm und knackte bedenklich. Gyula ließ sich aber nicht beirren – der Mann mußte gerettet werden. Endlich tauchte dessen Arm empor, ein rascher, fester Griff und er hob die triefende Gestalt zu sich empor. Es war – Herr v. Peti. Einige Sekunden später standen beide auf dem Trockenen und blickten sich sprachlos an. Gyula wandte sich ab, denn er schämte sich der Freudentränen, die in seinen Augen glänzten. Der Schloßherr berührte seine Schulter und sagte mit zitternder Stimme: »Gyula!«

Dieser sah ihm flehend ins Gesicht, indem er rief: »Danken Sie mir nicht, gnädiger Herr! Ich preise das Geschick, das mich zu dieser Stunde hierherbrachte. Die schwanke Brücke brach unter Ihnen zusammen und ich, der ich Sie in der Höhle ermorden gewollt, ich habe Sie aus dieser reißenden Flut gerettet! Glauben Sie mir, mein Herr, heute wollte ich Ihnen die volle Wahrheit gestehen, ehe ich die Arbeit von Ihnen übernahm, denn das Geld von Ihnen hätte mir in den Händen gebrannt, wenn Sie nicht alles gewußt hätten! Ich war nicht Herr meiner Sinne, als ich es tat, der Teufel hatte mich versucht – –«

»Ich bin bis auf die Haut durchnäßt und auch Sie sind nicht trocken geblieben, wir wollen so rasch als möglich aufs Schloß hinauf« – unterbrach ihn Peti. »Und ehe Sie heute von der Arbeit heimkehren, werden Sie einen Abstecher zum Richter machen und Piroska erzählen, was hier vorgefallen ist. Dem Teufel der Eifersucht aber geben Sie für immer den Abschied und beglücken Sie Ihr braves, hübsches Weib!«

Piroska war ganz allein zu Hause, als sie einen wohlbekannten Tritt im Flur hörte. Ihr Herz stand still. Auf der Schwelle blieb Gyula stehen und sah sie flehend an. Mit einem Satz war sie an seiner Seite, schlang die Arme um seinen Hals und weinte. Als er sie nach einer Stunde verließ, schallte wieder ihr altes, fröhliches Singen durchs Haus. In der Abenddämmerung kam die Schloßfrau, um die junge Braut zu beschenken. Am Pfingstmontag ging's im Richterhaus hoch her. Aus Nah und Fern strömten Gäste herbei zur Hochzeit der schönen Piroska, deren Brautführer der »lange Peter« war.

 

Ende.

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