Adam Karrillon
Im Lande unserer Urenkel
Adam Karrillon

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Fünftes Kapitel

Nordwärts und der Elbemündung entgegen

Tag und die ganze Nacht über war das Meer stürmisch bewegt. So oft der unterbrochene Schlaf meinen Gehörnerven eine Wahrnehmung gestattete, hörte ich, wie die Salzflut über das Deck klatschte und mit knöchernem Finger an die Scheibe meines Fensters klopfte. Dann kam wieder das Vergessen über mich in todesmattem Dämmerzustand. So war es wiederum Tag geworden, als mich ein Kanonenschuß zu vollem Erwachen aufschreckte. Wir lagen abermals vor Lome. Die Ladebäume krachten und drehten sich in ihren Lagern, während sie aus Leichterschiffen schwere Lasten herüberholten an Bord der »Eleonore«. Gegen Mittag war das Werk vollendet, und die Sirene rief unseren deutschen Landsleuten am Strande von Togo ein langgezogenes, sehnsuchtsvolles Lebewohl zu.

Westwärts ging die Fahrt, mit dem Laufe der Sonne, die schon hinter Palmenhainen einen purpurroten Teppich spannte, als wir vor der Barre von Sekondi den Anker in den Dünensand warfen. Hunderte von breitbauchigen Schuten kamen vom Lande herüber über die Wellen getänzelt und machten fest an der Steuerbordseite unseres Schiffes. Weiße, braune und schwarze Menschen kletterten am Fallreep herauf. Andere standen noch zögernd 308 in den schaukelnden Nachen und suchten nach dem günstigen Augenblick, der ihnen das Überspringen vom Boot auf die Treppe ermöglichen sollte. Die zuströmenden Europäer waren voll zappelnder Unruhe und halb geschoben, halb gezogen, wagten sie den unsicheren Schritt über den schäumenden Gischt hinüber, der sich alle Augenblicke mit kräuselnden Kämmen zwischen Nachen und Schiffstreppe hineindrängte.

Wer, so wie ich, als müßiger Zuschauer oben an der Reeling stand, konnte dem neckischen Treiben der erregten See eine heitere Seite abgewinnen; wer aber da unten um sein Leben zu kämpfen hatte, der nahm die Sache schon ernster. Da war ein mit Mekkapilgern gefüllter Nachen, dessen schwarze Bemannung aus Leibeskräften arbeitete, um sich zwischen den Schuten durchzudrängen. Immer wieder und wieder zog die abströmende Flut den flachen Kiel gegen die Düne hin mit sich, bis es endlich gelungen war, von Bord der »Eleonore« aus ein Seil in das Fahrzeug zu werfen. Nun ging es besser. Nun konnte die lebende Ware an das Aussteigen denken. Man sah auch, wie sich die Leute aufrichteten und hilflos aneinandergelehnt dastanden wie Garben in der Herbstflur. Potz Hagelwetter und Sonnenschein! Es war ein ganzer Harem, der da wie Efeuranken von dem alternden Stamm eines eisgrauen Somalifürsten herniederhing. Erbarme sich der Himmel, und wie sie nun alle aussahen in ihren zerknüllten buntgestickten Seidengewändern, als sie so langsam, eine 309 hinter der anderen, die Schiffstreppe heraufstiegen. Wie ein Honigguß hatten sich die durchweichten Stoffe um die üppigen Glieder gelegt. Jeder Schritt nach vorwärts war ein Kampf mit der triefenden Schleppe, die sich am Boden festleimte und sich von den Weibern wie Fußeisen nachziehen ließ. Ach, und in dieses ganz trostlose Bild malte auch noch die Seekrankheit einige bedenkliche Striche. Was der verschwenderische Magen nach vorwärts ausstreute, kehrte die geizige Schleppe hinterrücks wieder fein säuberlich zusammen. Verwelkte Sträuße, zerschlagene Becher, das alles sind für das Auge beleidigende Dinge, aber sie sind doch noch gar nichts gegen derartig geschändete Festgewänder, und das waren doch die Kleider dieser Damen, oder sie sollten es noch werden. Der alte, kranke Somalifürst war nämlich auf einer Wallfahrt nach Beit-Allah, dem Hause Gottes in Mekka. Dort wollte er den Brunnen Zem-Zem trinken, damit er ihm seine Kräfte wieder gebe, wie er es einst bei Hagar und Ismael getan hatte. Und dann sollte es dort bei der heiligen Kaaba ein großes Genesungsfest werden, und seine Diener sollten jauchzen und seine Frauen in glänzenden Gewändern tanzen und den Reigen schlingen.

Wie ich den Alten am Arm eines riesenstarken Haussanegers übers Deck wanken sah, konnte ich an den glücklichen Ausgang der frommen Reise nicht recht glauben. Ich hatte Mitleid mit dem Kranken, wenn ich an all die Gefahren seines langen Weges dachte, 310 und ich wollte ihm deshalb den Vorschlag machen, daß er zu den heiligen Wassern von Lourdes gehen möchte, die seien bequemer zu erreichen. Da fiel es mir noch rechtzeitig ein, daß das Wunder ein Wechselbalg des Vaters Glaube und der Mutter Dummheit ist, und daß keiner je vom Salbeitee gerettet wurde, der an die Heilkraft der Kamille glaubte. Übrigens wäre ich für heute wenigstens mit meinem Rat zu spät gekommen, denn unsere neuen Reisegenossen waren für uns unsichtbar geworden und hatten sich zum Schlafe unter kleine Zelte verkrochen, die man auf der vorderen Luke für sie errichtet hatte.

Da ich nun vorläufig nichts anderes mehr zu begucken hatte, so betrachtete ich das Wasser, soweit es den Kiel unserer »Eleonore« umspülte. Es hatte eine seltsame Farbe und Zeichnung angenommen. Vanillebraune Streifen wechselten mit ockergelben und silbergrauen in unregelmäßig gefransten Mustern wie auf dem Rücken eines Tigers. Dann floß wieder einmal alles in ein tiefgetöntes Dunkelblau zusammen, aus dem silberne Spiegel zu mir herauf erglänzten wie vom Schuppenpanzer einer Weißfischhaut. Das ganze Formen- und Farbenspiel war unruhig und in stetem Wechsel wie die Bilder eines Kaleidoskopes. Während wir so standen und uns über die Ursache der seltsamen Erscheinung die Köpfe zerbrachen, kam der Schiffsbarbier Schneidig vorüber. Da diese Künstler auf dem beweglichen Element des Wassers noch um ein gutes Teil allwissender sind als ihre Kollegen auf dem Festlande, so kann man sich in allen Dingen 311 vertrauensvoll an sie wenden und sicher sein, daß man für jedes Phänomen eine Erklärung bekommt, wenn auch selten die richtige. So war denn unser Schaumschläger durchaus nicht verlegen und erklärte mit dem ruhigsten Gewissen von der Welt, daß da drüben irgendwo am Lande der Tigerfluß sich ins Meer ergieße und das Wasser so herrichte, daß es einem Katzenfelle gleiche. Wer mit diesem Schiedsgerichtsurteil nicht auszukommen vermochte, dem war einfach nicht zu helfen, der konnte gehen und sich einen anderen Salomo suchen. Ich meinerseits ging auch und zwar direkt auf den ersten Maschinisten zu, der am Gangspill stand und die Unterhaltung lächelnd mit angehört hatte.

»Wie ist's, Herr Wolf,« so redete ich den Maschinisten an, »hat der Streichriemen recht?«

»Unrecht hat er nicht und zwar deshalb, weil er selbst an seine Aufschneidereien glaubt. An die Wahrheit kommt aber sein Erklärungsversuch so wenig heran wie der Tausendmarkschein an den Scherenschleifer. Das, was hier das Wasser trübt und färbt, sind kleine Infusorien, die, Gott weiß aus welchem Grunde, von Zeit zu Zeit aus den Meerestiefen an die Oberfläche kommen, um zu illuminieren. Sie werden sehen, wenn erst die Sonne gesunken sein wird, haben wir Meeresleuchten.«

Meeresleuchten. Diese Ankündigung überraschte mich nicht einmal. Ich glaubte, das Phänomen schon zweimal in nordischen Meeren gesehen zu haben, und hielt mich für blasiert genug, um während der dritten Aufführung das Monokel nicht aus dem Auge verlieren 312 zu müssen. Aber der Feuerzauber, der nun kam, überstieg doch bei weitem alles, was mein staunend Auge je gesehen und meine erregteste Phantasie je geträumt hatte.

Die Nacht war da. Hoch am Fockmast funkelte die weiße Laterne, rechts und links von grünem und rotem Lichte flankiert. So strich unser Schiff ruhig und selbstbewußt über schwarze Wellentäler und schäumende Wellenberge hin. Da, wie von einem Zauberschlage in die Wirklichkeit hereingerufen, setzte die Metamorphose ein. Die Wogen unter uns waren ein rotes Feuermeer geworden. Weißglühende Krausen strichen darüber hin, und aus ihrem flammenden Wirrwarr lösten sich blaue, grüne und gelbe Leuchtkugeln los, standen einen Augenblick flammenglänzend in der Luft, um dann anderen Platz zu machen, die, wie aus einem Maschinengewehre herausgeschleudert, zu Tausenden aufleuchteten und immer wieder in dunkler Nacht verschwanden. Wie in einen Schmelzofen hinein wühlte sich der leuchtende Kiel des Schiffes. Glühende Flammenzungen leckten an ihm hinauf bis zum Galeonenbild, und riesenhafte Fackeln flohen von ihm hinweg, hinaus in die rätselhafte Unendlichkeit. Was die Schraube am Hintersteven des Schiffes aufwühlte, war flüssig gewordener Bergkristall, der in allen Farben des Sonnenspektrums schillerte und eine purpurrote Schleppe wie einen Kometenschweif hinter sich nachzog. Weiße Sonnenglut war über das Verdeck gegossen. In gespenstischer Helle standen die Masten und Ladebäume da, während 313 es an den Raaenspitzen wie Elmsfeuer blitzte und geisterte, bis zu den Sternen hinauf, die, vom Vollmond gehütet, zwinkernd zu uns herunterschauten. Raum, Zeit und alles, was die plumpe Erde sonst noch an niederzwingenden Fesseln um uns hängt, war verschwunden. Die Schwerkraft hatte ihre Wirkung verloren. Von ihr befreit, hatten wir die Welt unter uns gelassen und flogen, einem Kometen gleich, zwischen Sternen hin in die dunkelblaue Unendlichkeit des Raumes hinein.

Ein großes Staunen war über alle unsere Mitreisenden gekommen. Starr und mit offenem Munde sah man sie dastehen, unfähig die Glieder zu gebrauchen. Die weißhaarige, schon fast zur Mumie eingetrocknete Stewardeß saß, mit ihrem Strickstrumpf zwischen den knöchernen Fingern, auf der Back und weinte. Der Hund des Schiffszimmermanns hatte seinen Kopf unter die Teerdecken geschoben und ließ von seiner ganzen Wesenheit unserem Auge nichts, als sein zitterndes Schwanzende.

Eine halbe Stunde vielleicht oder auch etwas länger mochte der Feuerzauber gedauert haben, dann verblaßte er allmählich. Die Lichter des Schiffes kamen wieder zum Vorschein; der Salon zeigte seine Scheiben, und das Gong rief die Reisenden aus transcendentalen Gedanken und Vorstellungen zurück an die Abendtafel.

Während des Essens konnte man die erfreuliche Wahrnehmung machen, daß selbst der Anblick der höchsten Schönheit den Menschen nicht ganz zu sättigen vermag. 314 Hammelgoulasch und Vierländer Gänsebrüste waren Dinge, die selbst nach einem Meeresleuchten noch auf die Teilnehmer des erhabenen Schauspiels eine anziehende Wirkung ausübten.

In der Nacht, als wir am Gestade des einst so mächtigen Aschantireiches vorüberfuhren, da träumte mir, der Sultan von Kumassi sei gestorben und ich hätte sein ganzes Lager von Haremsdamen geerbt. Es waren 3 333 Stück. Die Zahl mußte genau stimmen, denn sie wurde von einem Herrn Meyer kontrolliert und zwar von jenem Herrn Meyer, den ich unter den 33 333 Meyern des deutschen Reiches für den zuverlässigsten halte und den auch andere so nehmen, da er sonst keine Abnehmer gefunden hätte für ein Konversationslexikon, das er in Leipzig herausgegeben hat. Als ich mich am nächsten Morgen in meiner Kabine allein fand, schlug ich Purzelbäume, und wenn mich einer bei dieser närrischen Beschäftigung beobachtet hätte, so mußte er von beiden Möglichkeiten eine als Tatsache annehmen: Entweder, ich war übergeschnappt, oder ich hatte das große Los gewonnen. Und doch war von beiden keines richtig. Ich war nur die Hölle der Weiber wieder los, und das Aschantireich lag hinter mir, denn schon näherten wir uns dem Kap Palmas.

»Es ist Zeit, Doktor, daß sie aus den Federn kommen,« rief eine Stimme durch das Bullenauge meiner Kabine herein. »Bringen Sie Ihr Fernglas mit heraus, und ich zeige Ihnen vom Brückendeck aus die Stelle drüben 315 an Land, wo man den Forscher Nachtigal begraben hat.«

In den Tropen ist man bald angezogen, und ehe noch eine Minute verstrichen war, stand ich neben Herrn Jäger, dem Konsul von Monrovia, und ließ mir von ihm erklären, was es außer einigen Palmen, die sich selber erklärten, noch Sehenswertes am Kap Palmas gab.

»Bemerken Sie das Haus da drüben, das mit seinem Fachwerkgiebel einer deutschen Scheune gleicht?«

»Ganz recht, und was ist's mit diesem?«

»Nun, es steht auf einem Felsen, und am Fuße dieses Felsens, dort wo Sie so etwas wie eine Grotte sehen, da war es, wo man Nachtigal begraben hat, nachdem er auf der Möwe gestorben war, gerade etwa an der Stelle, wo wir uns jetzt mit der »Eleonore« befinden. Es war im Jahre 1885. Über seinen Gebeinen wollte man ihm ein Denkmal errichten. Da aber dazumal in dem Negerstaate Liberia das politische Gleichgewicht der an der Spitze Stehenden ein recht labiles 316 war, so habe ich im Jahre 1887 Nachtigals Knochen ausgegraben und nach Duala überführt, wo sie nun im Garten des Gouvernementsgebäudes ruhen.«

»Schade um den Mann,« sagte Hans Dominik, der unterdessen zu uns herangetreten war, »er hat dem deutschen Reiche Togo und Kamerun gewonnen.«

Ja, schade um Nachtigal. Schade aber auch noch um einen anderen, um Hans Dominik. Kaum zwölf Monate später hat die »Eleonore« ihn, den Unermüdlichen, den Unerschrockenen, den Unwiderstehlichen an Kap Palmas vorübergetragen, um ihn dem Berliner Apostelfriedhof zuzuführen. Dort in märkischer Erde liegt sein Leib. Der Respekt aber vor seinem Namen wandelt zwischen dem Tschadsee und dem Kamerunflusse hin und her und schützt noch auf lange hinaus dem deutschen Farmer sein Leben, seine Habe und sein Gut.

Je weiter die »Eleonore« von Kap Palmas ab nach Westen ging, um so aufgeregter wurde unsere schwarze Schiffsbemannung. Der Koch, der Schiffszimmermann, der Barbier, keiner hatte Ruhe vor den nackten Ungetümen. Schachteln und leere Kisten waren es vor allem, worum sie bettelten. Sie wollten darinnen ihre Schätze nach Hause bringen, altes Emaillegeschirr, halbzerbrochene Gläser, Heringsbüchsen und Senfkrüge. Vom Doktor forderten sie die übelduftende Himmelsgabe des Jodoforms und Chininkapseln. Man stelle sich vor, welcher Glanz einen solch geheimnisvollen Quadratlackel umstrahlen wird, wenn er zu Hause mit den paar 317 Medikamenten als Medizinmann auftreten und Wunder wirken kann.

Übrigens verschmähen sie es auch nicht, Kleinigkeiten gegen den Willen ihres Besitzers mitzunehmen, obwohl sie am ganzen Körper nur die Backentaschen haben, um das unrechte Gut darin verschwinden zu lassen. Vorläufig sind sie ja noch Stümper in der Stehlerei. Erst die größere Kultur wird sie zu größeren Dieben machen, die dann mit den Hunderttausenden auf Reisen gehen.

Wie jetzt der Dampfer vor Monrovia stille liegt, da wird es auf der Schiffstreppe seltsam belebt. Nachen sind vom Lande zu uns herübergekommen und haben längsseits festgemacht. Nun will jeder von den Krujungen zuerst im Boote sitzen und von der »Eleonore« loskommen. Ein schwarzer Tintenstrom ergießt sich in Kaskaden das Fallreep hinunter. Wer nichts zu tragen hat, stürzt sich über die Reeling hinweg direkt ins Meer hinein und schwimmt dem ersten besten Boote zu. Nur fort; mit dem verdienten Geld zwischen den Zähnen aus dem Regiment des Europäers und hinein in die Ungebundenheit des urwüchsigen heimischen Lebens, zu Durabier, Palmwein und zu den ebenholzglänzenden Weibern. Nach fünf Minuten war die »Eleonore« ihre schwarze Bemannung los. Die Krahnen, Winden und Flaschenzüge brauchten keine Bedienung mehr. Wir hatten unsere Ladung und konnten nordwärts steuern. Hinter uns wurden die schwankenden Nachen kleiner und kleiner und an Zahl weniger und weniger. Einer nach dem anderen 318 waren sie am grünumbuschten Strande von Liberia verschwunden.

Damit waren wir die Rabenschwarzen los, nur einige Chokoladenfarbene hatten wir noch an Bord, unsere Mekkapilger, den Somalifürsten und seinen Hofstaat. Sie waren stille Gäste. Schweigend und bethelkauend hockten sie in ihren Zelten. Nur in den Gebetstunden ließen sich die Männer hören. Das »Mulier taceat in ecclesia« geht in den Vorschriften des Korans so weit, daß es den Weibern sogar beim Gottesdienst verboten ist, die Mäuler aufzureißen und mitzuplärren.

Die Männer allein sind würdig, als Bittsteller vor Gottes Angesicht zu treten. In langer Reihe stehen sie da vor den bunten Gebetsteppichen, das Antlitz dem heiligen Berge Arafat zugewendet und die flachen Hände flehend dem Himmel zugekehrt. Ihre Andacht läßt sich nicht stören durch die zudringliche Neugier kultivierter Maulaffen, noch durch das Lachen blödsinniger Übermenschen aus teutonischen Jagdgründen. Sie sind beim Herrn der Herren zur Audienz geladen, und was die Küchenjungen und Kammerdiener auf der Palasttreppe des Ewigen von ihnen denken, ist ihnen gleichgültig. Ein Albino, mit verzagten blinzelnden Augen singt das Antiphon, und die anderen fallen mit näselnden Stimmen in den Responsorien ein. Ein monotoner, fast ermüdender Gesang ringt sich qualvoll von der Erde los und schwebt über die Wasser hin. Gott wird ihn hören und wird sie sehen, die sich jetzt vor ihm auf den Boden werfen 319 und den Staub küssen. Er wäre kein Gott, sondern der herzloseste aller Väter, wenn er wie Jakob nur den weiberscheuen Josef liebte und die anderen Söhne von sich stieße.

Ach, wenn doch endlich einmal die Religionen anfangen wollten, etwas größer von Gott zu denken. Wer so viel Kostgänger hat wie er, der muß dem Geschmack verschiedener Zungen gerecht zu werden suchen. Das waren die Gedanken, mit denen ich heute zu Bett ging, nachdem das Abendgebet der Islamiten verklungen war.

»Heute halten wir zum letzten Male an der Küste des afrikanischen Kontinents. In zwei Stunden werden wir vor Conakry liegen. Das Wetter ist klar, die See friedfertig. Wenn die Herren etwa noch einmal an Land gehen wollen, die Barkasse wird soeben klar gemacht.«

So sprach Kapitän Triebe, während wir das Frühstück einnahmen.

»Wie lange wollen Sie uns Zeit geben?« fragte Herr Jäger, der ehemalige Konsul von Monrovia.

»Drei Stunden etwa, dann werde ich mit der Sirene ein Signal geben, dem sie unbedingt folgen und zurückkehren müssen, sonst fürwahr, beim Barte des Propheten dampfe ich ab, und sie können hinter der ›Eleonore‹ herschwimmen.«

Der Alte erhob sich mit einem schalkhaften Lachen in den Augenwinkeln, und wir folgten ihm zum Fallreep.

»Grüßen Sie mir Herrn Koch und seine junge 320 Frankfurterin,« waren die Abschiedsworte des vielbekannten Seemanns, die er uns noch nachrief, während die Barkasse schon einige hundert Meter von der »Eleonore« entfernt sich über kleine Wellenkämme hinüberarbeitete. Traumverloren schweiften meine Blicke über die blauen Berge hin, die nordwärts den Horizont begrenzten, als Herr Jäger mir leise auf das Knie tupfte und meine Aufmerksamkeit für seine Rede forderte.

»Zwölf Jahre sind es her, daß ich zum letztenmal in Conakry weilte. Es war damals noch in deutschem Besitz. Mutter Germania hatte das herrenlose Land an sich genommen wie einen wertlosen Kieselstein. Dichter Urwald bedeckte die flache Insel. Wenige zerstreute Hütten lagen im Dickicht versteckt, den Strand entlang. Der Tiger war der souveräne Herr des ganzen Eilandes, und wer des Nachts den Besuch von seiner vierfüßigen Majestät in seinem Schlafzimmer nicht gerade sehr schätzte, der zog am Abend die Leiter auf die Veranda seines Hauses hinauf. Deutschland hat später den Franzosen diesen seinen Kolonialbesitz im Austausch gegen das Hinterland von Togo überlassen. Ich bin sehr neugierig, was die Pariser Kleiderkünstler aus diesem Flicklappen herauszuschneidern verstanden haben.«

»Jedenfalls etwas Erstaunliches, Herr Jäger,« bemerkte ich. »Guckt da nicht ein Leuchtturm zu uns herüber, der auf einem steinernen Pier steht, und dort ein Palasthotel, das sich am Genfer See könnte sehen lassen? Und an der Landungsbrücke liegen Schiffe unter Dampf, 321 eins, zwei, drei große und eine Masse kleinerer. Ja, und sehen Sie nur, wie sich drüben Menschenfluten an der Strandpromenade auf- und niederwälzen. Immer hin und wieder zurück – hin und zurück – fechtend und gestikulierend wie in der Mittagsstunde eines Pferdemarktes.«

»Sie haben Recht, das menschenleere Eiland scheint ein Haupthandelsplatz geworden zu sein, seitdem die Bahn ausgebaut ist zwischen Conakry und dem oberen Flußtal des Niger.«

Unsere Unterhaltung erlitt an dieser Stelle einen Stoß, weil wir selber einen erlitten hatten, und weil es der Barkasse geradeso ging wie uns und der Unterhaltung. Wir waren an die Treppe des Piers angefahren, und es hieß aussteigen. Nach Überwindung von wenigen Stufen nur waren wir mitten drinnen in einem vielbewegten Jahrmarktstreiben. Händler zerrten einander feilschend hin und her. Kaufleute schrien ihre Waren aus. Müßiggänger begafften einander gegenseitig und dann uns, die frisch Zugereisten. Kommissionäre und Lastträger drängten, mit Kisten und Kasten beladen, durch die Menge. Beduinen in langen weißen Mänteln, Negerinnen in bunte Kattune gewickelt, Sudanesen in farbigem Turban, Juden mit langem Kaftan, und Eingeborene mit gar nichts bekleidet, wimmelten durcheinander. Kurzum, es fehlte zum Bilde eines rheinischen Faschingtreibens fast nur der Bretzelbub.

Herr Jäger und ich machten, daß wir aus dem 322 Rasseduft des Hafengedränges hinaus in eine stille Straße kamen. Ein breiter, mächtiger Fahrdamm, und über ihm an hohen Masten die Isolatoren und Drähte der Elektrizitätswerke. Wie auf Gummischuhen kommt der Zug über blinkende Schienen geschlichen und hält klingelnd im Schatten weit geästeter Mangoalleen.

Schwarze Diener kommen aus dem Hofe einer Faktorei herausgestürmt und schieben eine Art von Bundeslade vor sich her. Ein blühend weißes Sonnendach überspannt das ganze sonderbare Vehikel. Madeiraspitzen hängen als Gardinen seitwärts nieder. Und das Allerheilige in diesem Tabernakel? Nun, es ist nicht mehr und nicht weniger als eine elegante Pariserin, die verführerisch in den Polstern liegt, mit den Glutaugen uns anblitzt und Flammen sendet und zu gleicher Zeit sich selber mit dem Fächer aus Straußenfedern Kühlung zuwinkt.

»Was sagst du dazu, genügsamer Mitteleuropäer, daß am Rande des schwarzen Erdteils der halbwegs Begüterte seinen eigenen Wagen hat, den man der Elektrischen anhängt, um die Gnädige zu ihren Freundinnen in die Kaffeeschlacht fahren zu lassen?«

Aber so geht es. Dort, wo die neuzeitlichen Erfindungen gemacht werden, müssen sie Althergebrachtem Rechnung tragen, müssen sich zwischen Urväterhausrat hineinzwängen, und zwischen Ruinen ist ihnen nicht mehr Luft gelassen, als daß sie eben nicht zu ersticken brauchen. Dort aber, wo alles ursprünglich, alles erst im Werden begriffen, und der Boden billig ist, dort kann sich in 323 breiter Behäbigkeit das Neue ausleben, und so kommt es, daß der Spruch der Bibel zur Blasphemie wird, der Schüler über seinen Meister steigt und der Knecht über seinen Herrn.

Wir werfen der eleganten Schönen grüßende Kußhände zu, die mit freudestrahlenden Augen zurückgegeben werden, und gehen weiter, dem Gouvernementspalast entgegen.

Vor seiner breiten Front mit den vornehmen geschlossenen Läden breitet ein großer öffentlicher Garten sich aus, und Magnolienbäume, Kamelien und Rhododendron bilden den Hintergrund für ein überaus rührendes, ergreifendes Denkmal.

Es ist Herrn Balley gewidmet, dem ersten französischen Gouverneur von Conakry. Auf hohem Sockel steht er da. Die Rechte hält eine Jünglingsgestalt mit Negertypus liebevoll umschlungen, und die Linke hält dem erstaunten Eingeborenen ein offenes Buch vor die Augen. Herr Balley ist in geschmackvollem Gesellschaftsanzuge, während der Wilde rein gar nichts an hat, obwohl er dem äußeren Aussehen nach bereits in einem sehr heiratsfähigen Alter angekommen sein muß. Ein Glück ist es für diesen armen Schwarzen, daß der noch schwärzere Zentrumsroeren nicht auf afrikanische Reisen geht. Ich glaube, er würde dann von dem bronzenen Niggerantonio sein Stück Menschenfleisch fordern, kalt und unerbittlich, wie Shylock im Kaufmann von Venedig.

Mit süßen Heimatsklängen schlug eine Turmuhr 324 unserm Ohr die zehnte Stunde und bewirkte doch, daß wir zusammenfuhren. Der Kapitän hatte uns nur eine kurze Frist gegeben, alle Wetter, und wir hatten die Zeit verbummelt, als ob sie für uns wertlos wie für Festungsgefangene wäre. Nun hieß es aber im Sturmschritt los und den Herrn Koch aufgesucht. Aber es ging unser Eilmarsch nur halb so schnell, als er intendiert war. An jeder Straßenkreuzung mußten wir stehen bleiben und die lange Allee hinuntergucken, durch deren lichte Öffnung, wohin man sich auch wenden mochte, das blaue Meer überall zu uns herübersah. Die Perspektive, so gleichmäßig sie an sich war, bot doch des Schönen so viel, daß man sich von ihrem Anblick nur schwer trennen konnte. Aber wir taten's halt doch und kamen vor eine Apotheke, zwischen deren Türpfosten ein wohlbeleibter Herr mit einem Spitzbärtchen stand.

»Bon jour. Vous êtes monsieur le pharmacien? Est ce, que vous pouvez nous dire, par où nou trouverons la maison de monsieur Koch?«

Le monsieur Coq n'est ce pas? Oh c'est tout près. C'est mon voisin le monsieur Coq, mon cher voisin,« und der freundliche Apotheker kam wie eine Bachstelze zu uns herübergehüpft und stieß die Gittertür zu einem reizenden Vorgärtchen auf. Kaum war das Knarren der Türangeln laut geworden, als auf der Terrasse des Hauses sich eine Stimme hören ließ.

»Geh, Schatz und mach den Eiskübel zurecht, der Apotheker kommt und bringt zwei Gäste mit.«

325 Na also, viele Worte sind hier nicht mehr zu machen. Nach wenigen Augenblicken schon saßen wir in bequemen Korbstühlen um einen splendid ausgestatteten Tisch herum, tranken Champagner und produzierten dazu der schönen Frau Koch zuliebe das urwüchsige Sachsenhäuser »Apfelweindeutsch«, bis die Sirene der »Eleonore« vom Meere herüber uns zum Aufbruch mahnte. Unsere lieben Wirte gaben uns noch das Geleit bis zum Strand hinaus.

»Hier, beim Staubregen der Fontaine, spielt am Abend eine Musikkapelle. Hier ist der Kinderspielplatz,« erklärten sie uns, »und hier um den gewaltigen Stamm des Urwaldriesen herum da ist abends eine Art Heiratskarussel, ähnlich wie vorm Hotel Viktoria zu Heidelberg.«

Da sich nun zum Brüllen der »Eleonore« auch die Barkasse mit heiserem Gekreische hören ließ, reichten wir unseren verehrten Landsleuten die Hand und gingen an Bord. Tücherschwenken und Abschiedswinken, während die Barkasse drehte. Dann wurde das Eiland in unserem Rücken kleiner und kleiner, indessen wir beide nachdenklicher und immer nachdenklicher wurden. Als wir schon unsere Mitreisenden auf dem Promenadendeck der »Eleonore« wieder zu erkennen vermochten, wagte ich es, dem Herrn Jäger auf die Schulter zu klopfen und ihn zu fragen: »Wäre es denn nicht möglich gewesen, daß dieses Conakry in deutschem Besitz geblieben wäre?«

»Der Himmel mag's wissen,« antwortete er traurig, 326 »aber ich glaube, er wird unseren Kolonialräten, die den Handel abgeschlossen haben, verzeihen, denn sie wußten nicht, was sie taten. Wer weiß denn bei uns in Deutschland überhaupt etwas von unseren Kolonien?«

Die »Eleonore« hatte nur noch auf uns gewartet. Nun wir da waren, zog sie die Anker hoch und kehrte das Achterteil dem afrikanischen Festland zu. Trüber und trüber wurde es um den schwarzen rätselvollen Erdteil, bis er endlich mit den sanftgeschwungenen Wellenlinien seiner Berge hinter dem Horizont verschwunden war.

Am nächsten Morgen warf ich mein Tagebuch in den Koffer zu der schmutzigen Wäsche. Ich hatte mich müde gesehen und müde geschrieben. Ich setzte mich oben auf das Brückendeck und überließ meinen Hirnkasten dem Passatwinde zum Ausstäuben. Puff, da war die Mütze weggeblasen. Wie sie unten übers Hauptdeck rollte, schlossen sich ihr noch zwei andere an, die auf anderen Köpfen gesessen hatten.

»Drei Blätter hat der Wind verweht, wer weiß, wohin die Reise geht.« Diese Frage machte dem Barbier keine Sorge, er war im Gegenteil sehr froh, als gleichzeitig drei Herren in seinen Laden traten und Mützen zu kaufen verlangten, aber Mützen mit einem Sturmband, Mützen denen man durch eine Schnalle unter dem Barte das Ausreißen unmöglich machen konnte. Diese Vorsicht war durchaus nicht überflüssig, denn der Wind war zum Sturm geworden. Wie eine Herde wilder Gänse trieb er die Wogen vor sich her. Schnatternd 327 stürzten sie sich über die Eleonore, rissen das Bugspriet nieder und überfluteten die Back. Die Alarmkanone wurde von den Wogen aus ihrem Lager gerissen und hinuntergeschleudert vor die vordere Luke. Besen, Kübel, Kisten und Kasten, alles was nicht niet- und nagelfest war, schwamm in chaotischem Durcheinander auf dem Vorderdeck umher, als das kämpfende Schiff seine Nase wieder aus dem Wasser hob. Und dieses »Spiel der Wellen«, das auch vom trockenen Standpunkt des Brückendecks aus gesehen wenig Liebliches an sich hatte, wiederholte sich alle paar Minuten und brachte schließlich den geizigsten Magen so weit, daß er wohl oder übel mehr hergab, als er selber hatte.

»Das kann eine schöne Nacht werden,« dachte ich mir und ging in den Rauchsalon, als es zu dunkeln anfing. Alle Augenblicke schlugen Spritzwellen an die Fenster und blendeten die Scheiben. Kaum daß es gelang, das Leuchtfeuer zu sichten, welches Afrika als letzten Gruß von den Kapverdischen Inseln gegen Mitternacht zu uns herübersendete. Keiner von uns Männern ging zu Bett. Einige spielten Skat, andere lagen auf den Ledersophas herum und versuchten es, die Angst in Tabaksqualm zu ersticken.

Noch war der Tag nicht angebrochen, da sahen wir Feuersignale. Sie kamen von der Zwillingsschwester unserer »Eleonore«, der »Lucie Wörmann«, die auf der Ausreise nach Kamerun begriffen war. Sie hatte es besser als die »Eleonore.« Den Wind im Rücken 328 machte sie trotz hohen Seeganges eine flotte Fahrt, während wir dem blasenden Äolos gerade ins Gesicht hineinzusteuern gezwungen waren. Seine Wut packte und schüttelte alles, was an dem Schiffe beweglich und lose war. Sie schlug die Ketten wider die Schornsteine, die Taue wider die Masten. Sie zischte, weinte und heulte auf allen Registern und verschlang jeden anderen Laut, sogar das tremulierende Gebetsingen unserer Mekkapilger.

So ging es vier Tage ununterbrochen fort, bis am fünften die See ruhiger wurde und in der Morgenfrühe die leuchtenden Berge von Gran Canaria in Sicht kamen.

Stadt und Hafen von Las Palmas lagen zum zweiten Male vor unseren Blicken. Schwerfälligen und müden 329 Schrittes wankten unsere Mekkapilger die Stufen zum Fallreep hinunter und in die bereitstehende Barke hinein. Sie entbehrten während all der Sturmtage die Bequemlichkeit der ersten Kajüte und hatten mehr gelitten als wir anderen. Möge ihre Reise, die sie von jetzt ab durch die Straße von Gibraltar und durch den Suezkanal an die Küste des steinigen Arabiens führt, unter dem Schutze Allahs stehen. Wir sehen den mutigen, glaubensstarken Menschen mit stiller Bewunderung nach und freuen uns, als sie drüben an der Kaimauer von Bekannten begrüßt werden, die wohl auf demselben Wege sind wie sie, und die gleich ihnen in Las Palmas auf eine Schiffsgelegenheit warten. Der buntbeturbante Haufen schritt dem Häusergewirr der Stadt zu, während der Wind den weißen Burnus der Männer blähte und die violetten Seidengewänder der Frauen zu einem Blütenkelche drehte, daß ihre Trägerinnen hilflos dastanden wie die Herbstzeitlosen auf der Oktoberwiese.

Ich hatte zuerst nicht die Absicht, an Land zu gehen. Später gereute mich dieser Entschluß, als ich auf der Kaimauer einen Handkarren mit wunderbaren Trauben beladen stehen sah. Ich lieh mir von der Stewardeß ein Schienenkörbchen und ließ mich mit einem Boote ans Ufer bringen. Mit dem Obsthändler war ich bald handelseinig geworden, und nun floh ich mit meinen Delikatessen in eine kostbare Einsamkeit hinein, mitten in die hügelige Sandwüste, die zwischen Las Palmas und seinem Hafen ausgebreitet ist. Ich bettete mich so im 330 Schatten einer einsamen Palme, daß ich das Meer vor meinen Augen hatte, sein zorniges Anstürmen gegen die Ufermauern der Stadt sehen und seinen monotonen ewigen Schlachtgesang hören konnte. Da ward es mir so seltsam ruhevoll zumute, so wunschlos zu Sinne, daß ich nur noch das eine Verlangen hatte, nicht mehr aufstehen zu müssen. Bald umnebelten sich meine Sinne, die Lider fielen über die müden Augen, das Gehör versagte seinen Dienst. Ich war eingeschlafen und läge vielleicht heute noch auf dem Sande von Gran Canaria, wenn nicht eine Ziege gekommen wäre und sich über meinen Obstkorb hergemacht hätte. Ihr zufriedenes Meckern nach einer guten Mahlzeit hatte mich aus dem Paradies der Träume aufgescheucht. Ein Blick auf meine Uhr, und dann ein tolles Losstürmen nach dem Meere hinunter. Rasch in das erste beste Boot hinein, und dann mit kräftigen Ruderschlägen zur »Eleonore« hinüber. Schon war man an der Arbeit, das Fallreep hochzuziehen, denn schon war das Schiff in leichter drehender Bewegung. Nun schnell die Stufen empor. Das Bugspriet sah bereits nordwärts und schnitt wieder in den Passatwind hinein, gegen den uns eine vorspringende Landzunge für wenige Stunden gnädigst geschützt hatte.

Während meiner Abwesenheit war mit dem Promenadendeck der »Eleonore« eine große Metamorphose vorgegangen. Fliegende Händler waren gekommen und hatten es in einen Jahrmarkt umgewandelt. Von allen 331 Tischen und allen Stühlen hingen Spitzen und Seidenstoffe nieder. Kästen mit Gold und Edelsteingeschmeide waren wie Fußangeln über die Dielung des Promenadendeckes hingestreut, und mancher sauer erworbene Hundertmarkschein, der seinen Weg in den Thüringerwald hätte nehmen sollen, verirrte sich aus weichen Damenfingern in die Sackgasse eines abgegriffenen Krämergeldbeutels. Als Eva unmittelbar nach dem Sündenfall merkte, daß sie ausser dem Feigenblatt nichts anzuziehen habe, lachte ganz Brüssel und die Spitzenchristen der ganzen Welt. Adam aber weinte und mit ihm viele, die aus Mangel an Genie nicht Damenschneider werden konnten und doch eine Evastochter bekleiden müssen.

332 Ich persönlich wußte meine Kauflust wohl zu zügeln; allein das ewige Feilschen der anderen, das ewige Zuschlagen, Abnehmen, Zurückgeben und Wiederumtauschen ermüdete mich doch, und ich war froh, als die »Eleonore« nach mehrstündiger Fahrt vor Santa Cruz im Hafen lag. So schnell ich konnte, ging ich an Land und schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen durch die sonnigen Straßen. Wenn mir die Hitze gar zu lästig wurde, flüchtete ich mich in den kühlen Beichtstuhl irgend einer der Kirchen oder Kapellen oder auch in ein Albergo zu einer semmelblonden Limonade, die von einer glutäugigen Andalusierin serviert wurde, bis mich der Zwang der Stunde zur »Eleonore« zurückrief.

Der letze Schritt auf fremder Erde war getan, als ich vom Lande ins Boot stieg. Aber damit war das letzte Abenteuer noch nicht überstanden. Die schurkischen Ruderknechte ließen nämlich, als ich noch hundert Meter von unserem Schiffe entfernt war, plötzlich die Riemen fallen und verlangten, außer dem gezahlten Fahrlohn, noch ein ganz respektables Trinkgeld. Als ich mich ihren Wünschen nicht fügte, drehten sie einfach um und ruderten ihren Fahrgast gemächlich wieder dem Lande zu. Daß man in einer solchen Lage den Revolver zieht und ein paar Löcher in den Boden des Nachens schießt, wußte ich wohl, da ich aber erstens keinen Revolver hatte, und mich zweitens in dem Falle, daß das Boot sank, auf meine Schwimmkunst nicht verlassen konnte, so zog ich in Gottesnamen den Geldbeutel und kam geschröpft, 333 aber nicht ausgeblutet gegen Abend zur »Eleonore« zurück.

Die Nacht und all die folgenden Tage wühlte sich nun das wackere Schiff immer tiefer in den aus vollen Backen blasenden Passatwind hinein.

»Auf der Höhe von Lissabon werden wir den Unhold los werden,« so ging die Weissagung, von der niemand wußte, woher sie kam, von Munde zu Munde. Der fünfunddreißigste Breitengrad lag hinter uns und sogar der vierzigste, und immer und immer noch wälzte ein steifer Nord-Oststurm unermüdlich die schäumenden Wogen vor den Kiel der »Eleonore«. Da fiel ein verzweifelter Pessimismus wie ein Nachtfrost in die Stimmung der Reisenden hinein.

»Die Atlantik hat uns mit Ruten gezüchtigt; morgen kommen wir in die Biskayasee hinein. Sie wird uns mit Skorpionen peitschen.« So ging die Prophezeiung um wie ein unheilverkündender Hausgeist.

Und die Stunden schwanden, die Nacht wich dem Licht, und die gefürchtete See war da, still, glatt und lächelnd, so wie sie immer ist, wenn sie merkt, daß ich in ihre Nähe komme. Sie weiß, daß ich das Wasser nicht besonders liebe, und dann erst recht nicht, wenn es mir aufdringlich werden will. Daher das Circelächeln des betrügerischen Elementes über dem vollen Busen von Biskaya.

Ich ließ mir die gute Laune der hysterischen Zauberin gefallen und benützte sie dazu, mich wieder langsam an 334 die Säure des Moselweines zu gewöhnen, die allerdings hier etwas aufdringlicher war als im »Landsknecht zu Cochem«, wo ich an der Seite des weinfrohen Joseph Lauff mich einmal gehörig festgekneipt hatte.

Es war in der Morgenfrühe eines hellen Sonntages, als uns auf Backbordseite die englische Küste bei Portland mit weißen Kreidefelsen entgegentrat. Das Meer lag still und schien kaum zu atmen, während Glockenklänge, – die ersten, die wir seit langer Zeit wieder hörten – in verwehten Akkorden feierlich zu uns herüberklangen. Fischerboote mit gebauchten Segeln glitten lautlos an uns vorüber. Kein Mensch und keine Seele war an Deck zu sehen. Sonntagsstille! Der Wind allein war's, der keinen Sabbat hielt, der arbeitete und den Kiel heimwärts nach den Häfen von Hampshire trieb.

Je mehr wir uns übrigens dem Eingange zum Solent näherten, um so belebter wurde das Fahrwasser.

Schmucke, schlanke Jachten, bald ganz in Weiß gehalten, bald chokoladebraun, schossen mit blinkenden Segeln wie Libellen über das Wasser hin. Oft kamen sie so nahe an uns vorbei, daß das »I wish you a good day« ihrer Bemannung zu uns herüberdrang und mit einem »I wish you the same« kräftig beantwortet werden konnte. Unser Auge schaute, wenn auch noch so flüchtig, in die Behaglichkeit des reichen englischen Familienlebens hinein. Damen in faltenreichen Morgentoiletten lagen in bequemen Liegestühlen um den Frühstückstisch herum, die Teetasse in der Hand oder auch 335 ein Buch, während die Herren der Schöpfung in weiße Wollstoffe gekleidet dabeistanden und den Rauch der Manilazigarren in die Luft bliesen. Dazwischen herein sah man Diener geschäftig hin- und herlaufen und allerliebste Kinder mit ihren Siebensachen am Boden spielen. Ich kann mir kein größeres Glück denken, als es der Besitz eines solchen schwimmenden Hauses gewähren muß. Man sitzt auf seinem Grund und Boden und kann sich doch von diesem hintragen lassen, wohin man will. Der Staub der Landstraße geniert einen nicht, und da uns die eigene Küche begleitet, so werden die gefürstete Gunst oder Ungunst vom Hotelkoch und Oberkellner für uns negligeable Werte.

Um eines geliebten Mädchens willen würde ich bereitwilligst dreißig meiner durchlebten Jahre herschenken und noch einmal ein Zwanziger werden. Könnte diesem Opfer gegenüber das Schicksal nicht auch freigebig sein und meinem Einkommen dreißig Millionen zulegen? Ich würde mir dann eine Jacht anschaffen und brauchte nicht den Teufel, daß er zu mir, wie einst zu Fauste sagte:

»Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.«

Derweilen war Hurst Castle in Sicht gekommen und seine Kanonen, die den südlichen Eingang zum Solent verteidigen. Auch die »Neadles« waren da, und seit drei Wochen zum ersten Male wieder hatten wir an beiden Seiten des Schiffes Land. Gegen Mittag lagen wir 336 vor Southampton, gaben einige Passagiere ab und nahmen die ersten Zeitungen entgegen. Dann drehten wir. Es ging an Cowes und Osborn vorüber ins Spithead hinein. Ein überaus lebhafter Sonntagsverkehr herrschte auf der Wasserstraße zwischen der Insel Wight und dem englischen Festland, und die mit Frauen in buntem Sonntagsputz überfüllten Oberdecks glichen Blumenschalen, die von einer unsichtbaren Macht bewegt, herüber und hinüber schwammen.

Als wir die Höhe von Selsey Bill erreicht hatten, war es Nacht geworden, aber nicht dunkel; denn an der bäderreichen Küste von Hampshire flammten die elektrischen Lichter auf. Über Brighton und Hastings hinaus war der Saum von Britannias grünem Kleide mit einer lichtgoldenen Borte umsäumt, die der Widerschein des Meeres zu einer Feuerstraße verbreiterte, in der unser Schiff still und majestätisch dem Hafen von Boulogne zusteuerte.

Es war mindestens noch drei Stunden vor Mitternacht, als wir hinterm Pier dieser Stadt den Anker fallen ließen. Nun lag die abgehetzte »Eleonore« ruhig und still im Halbschlummer da; wie ein Jagdhund nach dem Fuchstreiben. Kein Stoßen und Stampfen der Maschine mehr, kein Schlagen der Schraube, kein Knarren der schweren Ankerkette.

Eine stille Nacht wird es werden, und ein erquicklicher Schlummer wird kommen, so hoffte ich und schlug den Teppich meines Bettes zurück, um das Schlafengehen einzuleiten, 337 als der Vorhang meiner Kabine in den Messingringen rauschte. Ich drehte mich um und sah einen der jungen Offiziere, denen die Führung unseres Schiffes anvertraut war, vor mir. In seinen frischen, gesunden Zügen lag in diesem Augenblick ein frommer Schimmer kindlicher Verlegenheit, der dem energischen Seemannsgesicht sonst fremd war, ihm aber schön stand wie dem Alpenfirn die Morgenröte.

»Gestatten Sie, verehrter Herr Doktor, daß ich einen Augenblick bei Ihnen Platz nehme und Sie mit meinen ganz persönlichen Angelegenheiten behellige,« sagte der Eintretende, der die Spuren einer guten Erziehung in jeder Modulation seiner Worte, in jeder Form seiner Bewegungen zum Ausdrucke brachte.

»Betrachten Sie mich als Ihren Beichtvater, mein junger Freund, denn ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich Ihnen irgendwie nützlich sein könnte.«

»Sie könnens, Sie, der so viel und tief ins Menschenleben hineingesehen hat. Hören Sie meine Bekenntnisse,« sagte mein artiger Besuch, und er fuhr fort, nachdem er sich einen Stuhl an meinen kleinen Tisch herangerückt hatte: »Meine Eltern waren früh gestorben. Im Hause meines Onkels verlebte ich meine Schuljahre in Gesellschaft Erna's, meiner Cousine. Wir waren uns gute Kameraden. Wenn ich aber manchmal übermütig gelaunt war und auch Courage hatte, dann wagte ich es, sie zu umarmen und sie meine kleine Frau zu nennen.

338 »›Deine Frau,‹ scherzte sie, ›gewiß, das will ich sein, aber du darfst kein Seemann werden. Ich würde mich zu Tod um dich ängstigen, wenn der Sturm heult und das Meer so schäumt. Wenn du mein Mann bist, dann sollst du nicht in der Welt umherfahren, sondern bei mir sein, wenn ich Teig schlage, und die Schüssel halten, so wie's Klaus Korte seiner Alten tut, der Schuster uns gegenüber.‹

»Ich weiß nicht, ob ich ihr je versprochen habe, dies zu tun. Ich weiß nur, daß das Meer mich lockte, wenn ich am Ufer stand, und daß jedes schwimmende Segel mir zurief: ›Komm mit, komm mit‹, und ich konnte nicht widerstehn.

»So ging ich auf die Seemannsschule und später in das weite Meer hinaus. Bei gelegentlichen Besuchen in der Heimat sah ich Erna wieder. Sie war ein schönes, großes Mädchen geworden und sah mich ausdauernd mit großen, verzagten Augen an, als ob sie mich etwas fragen wolle, aber sie tat es nicht. Und manchmal lag mir etwas auf der Zunge, was ich ihr sagen wollte, aber ich fand keine Worte. Uns schieden zwei Glaubenssätze. Der ihre war: Er mag Dich nicht, weil er ein Seemann wurde. Der meine war: Sie mag Dich nicht, seit Du ein Seemann wurdest.

So ging das ein paar Jahre fort, bis ich mein Kapitänsexamen bestanden hatte und wieder einmal beim Onkel zu Besuch war. Da nahm mich eine Freundin meiner seligen Mutter eines Tages ins Gebet und sagte mir 339 ohne Umschweife gerade ins Gesicht: ›Nun hör mal, Friedel, nun wird es Zeit; Du mußt nun einmal mit Erna reden, Erna wartet auf Dich.‹

»›Wo denkst Du hin,‹ gab ich der guten Frau zur Antwort, ›ich werde mir doch keinen Korb holen. Erna, die so viel umschwärmt ist, nimmt einen Seemann sicher nicht. Und dann mußt Du doch auch gemerkt haben, daß sie in den letzten Jahren ausweicht und sich vor mir in die Winkel versteckt.‹

»›Großer, dummer Junge,‹ lachte die Gute, ›so folg ihr doch einmal nach in die Winkel und laß Deine Lippen reden, wenn Deine Zunge nichts Gescheites stammeln kann. Nun aber geh, mein tapferer Kapitän, und laß Dich durch keinen Wind des Verzagens mehr aus Deinem Kurs bringen.‹«

»Und Sie gingen?« unterbrach ich den Erzähler.

»Ja, und alles verlief wider Erwarten günstig.«

»Und nun kommen Sie, um den Doktor zu fragen, was Sie tun sollen? Warum fragen Sie nicht den Pfarrer: ›Hochwürden, an welchem Tag und zu welcher Stunde kommen ihnen die Hochtzeitsleute gelegen?‹«

»Sie haben recht, und so müßt es sein und so würde das auch geschehen, wenn nicht die Anderen wären, die mit ihren Stichelreden, die so fürsorglich süß zu sagen wissen: ›Na, heirat Du man nur, mein Junge! Seemann und heiraten!! Wenn der Deckel auf Reisen geht, kommen die Maulaffen und lecken an dem Topf.‹«

340 »Sehen Sie, Doktor, das ist's, was mir den Gedanken an ein Familienleben vergiftet. Steht es so um die Tugend der Weiber, daß man sie stets warm halten und zugedeckt lassen muß wie junge Erbsen im April? Wenn dem so ist, dann will ich nicht mein leichtes Reisegepäck mit einem Zentner Eifersucht beschweren. Dann Adieu, Familienglück, dann bist du eben für den Seemann nicht vorhanden.«

»Seemann oder Landmann, mein junger Freund! Ein kleines Risiko ist bei diesem wie bei jedem anderen Handel. Die Bäuerin, die ihren Bauer betrügen will, tut's, während er die Hühner füttert. Sie wissen aus der Schule, daß es auch Penelopes gibt, deren Treue einen trojanischen Krieg überdauert. Wenn Sie zu Erna das Vertrauen haben, daß sie der Königin von Ithaka gleicht, dann heiraten Sie man immer zu und lassen Sie sich durch kein Gerede in Ihrem Entschluß wankend machen, ansonst, bei Gott, werd ich mich um die Dame bemühen und mit ihr durchgehen. Ist sie übrigens hübsch?«

»Wie Venus selber. Das ist es nebenbei auch, was mich stutzig macht. Sie ist fast zu schön für mich.«

»Sie machen mich neugierig, dies Wunder der Natur kennen zu lernen. Wird sie nicht vielleicht übermorgen zu Hamburg am Petersenkai stehen und mit nassen Augen unsere Ankunft erwarten?«

»Vielleicht, daß Sie ihrer schon eher ansichtig werden können, – mich interessiert's, von Ihnen zu hören, was 341 Sie von ihr denken – vielleicht kommt sie übermorgen mit dem Kutter an die »Eleonore« herangefahren, wenn wir bei Borkum den ersten Lotsen an Bord nehmen. Ihr Vater ist mit all den Seeleuten gut bekannt. Durch ihn kann ihr eine solche Extratour leicht vermittelt werden.«

»Abgemacht für heute,« sagte ich. »Greifen Sie vorläufig bei mir zu. Hier steht die Flasche mit Kognak, und da sind meine Zigaretten. Über Ihr Fräulein Braut reden wir noch einmal, wenn ich sie gesehen haben werde.«

Wir rauchten noch ein Weilchen zusammen, sprachen von den Ereignissen, die hinter uns lagen, und als endlich die Stunde geglast wurde, die den jungen Offizier aufs Brückendeck rief, ging er ruhigen Schrittes auf seinen Posten, und ich ins Bett.

Am nächsten Morgen beim Erwachen lag die »Eleonore« noch still. Das Bullenauge meiner Kammer war wie mit einem grauen Mouselinschleier verhängt. Als ich die Tür zum Promenadendeck aufstieß, drang ein dicker, klumpiger Nebel zu mir herein. Da hatten wir's. Nebel im Ärmelkanal, einer der belebtesten Wasserstraßen der Welt! Ich erinnerte mich daran, daß mir einmal ein vielgereister Steuermann gesagt hatte: »Das Schiff, das aus einem Nebel glücklich herauskommt, hat eben Glück gehabt. Helfen können ihm alle Kunststücke der Nautik nicht.«

»Gott befohlen, ›Eleonore‹,« rief ich aus. Möchte 342 doch Neptun selber Dein Steuer regieren. Trägst Du auch nicht den Cäsar und sein Glück, so hast Du doch mein Tagebuch an Bord und meine halbe Monatsgage. Was soll aus der Menschheit werden, wenn Beides ins Wasser fällt?«

Und ich trat an die Reeling, um das gefährliche Element zu betrachten. Ich bemerkte es nicht, erkannte aber einen Tender, der Gepäck und Passagiere von Boulogne herausbefördert und neben uns festgemacht hatte. Sein vierschrötiger Kapitän lehnte an der Brücke, hatte den Ellenbogen aufs Geländer gestützt und sein behaartes Kinn in den Handteller seiner Rechten gelegt.

»Schlechtes Wetter,« redete ich ihn an.

»Für alle Welt, nur für den Teufel nicht,« erwiderte er. »Der macht an solchen Tagen an Seeleuten ein gutes Geschäft. Wenn's nur kein Unglück gegeben hat draußen vor dem Pier. Wir erwarten seit zwei Stunden schon die »Pennsylvania« mit zwölfhundert Passagieren an Bord nach New York. Gebt Acht, daß Ihr dem Ungetüm nicht in den Bauch rennt. Eine Barbierschüssel, wie eure ›Eleonore‹ da, wäre darin aufgehoben wie der Wurm in der Winterbirne.«

Das Heulen unserer Sirene machte der Unterhaltung ein Ende. Wir drehten, und die »Eleonore« tastete sich aus dem Hafen hinaus in die offene See. Zum Schneiden dick lag der Nebel auf den Wassern, – gleichwohl, unsere Maschine arbeitete mit großer Tourenzahl. Das 343 mag wie ein freventliches Spiel erscheinen und ist es doch nicht. Leichter nämlich gehorcht ein Schiff unter Volldampf dem Steuer, und behender weicht es der drohenden Kollission aus als eines, das mit verminderter Kraft fährt. Abgesehen davon, pflegt auch das Glück dem Kühnen zur Seite zu stehen. So kamen wir denn nordwärts steuernd rasch voran und schwammen bald in eine Gegend hinein, wo Nebelwände mit sonnenbeschienenen Flächen wechselten, als wir die Warnungssignale einer Sirene hörten. Nicht lange, und aus einem breiten Nebeltor trat die »Pennsylvania« respektverlangend hervor. Sie ist ein Berg von einem Schiff. Was von ihr überm Wasserspiegel sichtbar ist, kann die Bevölkerung einer kleinen Stadt beherbergen, und mit dem, was unter ihrem Hauptdeck verborgen ist, könnte man bei Schandau die Elbe schwellen, so daß die Hamburger Reeder mit ihren Schiffen auf dem Trockenen säßen. Angesichts dieses Riesenkastens schrumpfte unsere »Eleonore« förmlich in sich zusammen. Sie war nur noch ein Ferkelchen gegenüber einem Mutterschwein. Ihr selber schien es in der Nähe dieses Ungetüms nicht behaglich zu sein. Sie machte, daß sie fort kam. Wir Reisenden waren mit dieser Eile wohl zufrieden, denn sie brachte uns gegen Mittag schon aus der dumpfen Nebelregion in den fröhlichsten Sonnenschein hinein.

Eine kühle Nacht hatte den warmen Tag verdrängt und einen wunderbar schönen Sternenhimmel über unseren Häuptern aufgespannt.

344 Die Abschiedstafel, so vorzüglich sie auch war, vermochte ihre Gäste nicht auf den Stühlen zu halten. Alle strebten sie aus der Tiefe nach oben und unter die ewigen Lichter. Ein kräftiger Ostwind trug den Geruch der Heimaterde zu uns herüber und weckte scheinbar längst verklungene zarte Melodien. Auf dem Promenadendeck fiel einer dem anderen um den Hals, als ob er ihn erst jetzt, wo doch die Stunde des Auseinandergehens schon so nahe war, zum ersten Male gesehen hätte. Pläne für die Zukunft wurden geschmiedet und goldene Schlösser in die Luft gebaut. Alle Tore am Herzensdome waren weit geöffnet, als erwartete man das leibhaftige Venerabile. Und es kam herangeflogen auf den Schwingen der Andacht, ein wahrer Himmelstau, der die im Sonnenbrand der Arbeit vertrocknete Seele vom Staube befreite und zu neuem hoffnungsvollen Grünen aufrichtete.

In der hinteren Laube hatte sich nämlich die Schiffskapelle aufgestellt und zu ihrem letzten Konzerte die Instrumente gestimmt. Niemand hatte von den Musikanten Notiz genommen, bis zu dem Augenblicke, wo die getragene Melodie des schönen Liedes:

»Sei gegrüßt in weiter Ferne,
Teure Heimat, sei gegrüßt!
Deine Täler, deine Höhen,
Deiner heil'gen Wälder Grün,
O, die möcht ich wiedersehen –
Dorthin, dorthin möcht ich ziehn!« 345

über das Verdeck hinzitterte. Da mit einem Male war's geschehen. Der inneren Seelenspannung war ein Ventil geöffnet, und die Allgewalt kräftiger Männerstimmen löste die weiche Sehnsucht auf in ein begeistertes Lied, das seinen Weg zum Sternenzelte nahm. Das, was jeder von uns da erlebt hat, war eine tief ergreifende Stunde der Andacht, die mir zum wenigsten, zwei Jahre lang bis zum jetzigen Augenblick noch in der erinnerungsfrohen Seele nachzittert.

Bevor ich zur Ruhe ging, besuchte ich noch die Rasierstube meines Adlatus Schneidig. Wir mußten voraussichtlich am nächsten Tage in Hamburg ankommen, und da wollte ich, wenngleich aus wildem Lande kommend, doch wieder so kultiviert wie möglich aussehen. Der Barbier arbeitete aus Leibeskräften an meiner Instandsetzung, und mein Honorar war so bemessen, daß seine Arbeit nicht nur bezahlt, sondern sogar überbezahlt war. Das fühlte er auch heraus, und seine Gutmütigkeit brachte ihn auf eine sonderbare Idee, wie er sich revanchieren könnte.

»Doktor, daß Sie mir nicht von Hamburg weggehen, ohne meine Bräute gesehen zu haben,« sagte er im Tone zärtlicher Vertraulichkeit.

»Gewiß nicht, mein Verehrter. Wer Ihren Geschmack kennt, wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den Inbegriff von allen Himmeln, den Sie Ihr Eigentum nennen, zu beschauen. Übrigens, mein vielerfahrener Seemann, können Sie mir sagen, zu welcher Stunde 346 wir morgen früh auf der Höhe von Borkum sein werden?«

»Um fünf Uhr einundzwanzig Minuten und sieben Sekunden, genau berechnet. Im übrigen brauchen der Herr Doktor so früh sich nicht aus dem Bette zu bemühen. Zu sehen ist nichts. Es kommt nur so eine alte Teerjacke mit tranigen Stiefeln und einem Striefelbart zu uns herüber gerudert, der als Lotse das Kommando übernimmt.«

»Auch Sie, mein weltkundiger Cicerone, werden zugeben, daß oft neben den Möglichkeiten Überraschungen herlaufen. Könnte da nicht einmal so eine blonde Nixe mit herübergeschwommen kommen? Borkum ist doch Badeort.«

»Da, auf den Inseln Nixen? Ja, es gibt da welche, die nach Stockfisch riechen und blauweiße Gesichter haben wie Margarinebutter. Kein Futter für einen Gentleman, Doktor. Kenn ich alle. Nach solchen Austern schnappt unser einer nicht und wenn das Dutzend einen Groschen kostet.«

Ich sagte ihm nun, ich würde mich in dieser Sache doch lieber auf meinen Instinkt verlassen als auf seine Sachkenntnis. Mir schwante, als ob auch von Borkum mal etwas Rechtes kommen könne, und deshalb und darum –

»Ich habe nichts dagegen, daß Sie tun, was Sie wollen. Sie heißen mit Vornamen Adam. Nun vielleicht läuft Ihnen wie unserem gemeinsamen Stammvater eine hübsche Eva zu. Aber bei der Brautschau in Hamburg bleibt es hoffentlich?«

347 »Ohne Zweifel, Herr Schneidig, wer möchte Ägypten verlassen, ohne einige Mumien gesehen zu haben,« rief ich noch von der Stiege aus in die Barbierstube hinunter und ging schlafen.

Als ich in der Frühe des nächsten Morgens meine Kammer verließ, sah ich eben noch, wie mein Beichtkind vom vergangenen Abend eiligen Schrittes die Brücke hinaufstürmte.

»Der wird oben Dienst haben,« dachte ich nur. »Da wirst du ihn wohl bei seiner Braut vertreten müssen, wenn sie kommen sollte,« und ich postierte mich in die äußerste Ecke der vorderen Laube, nahm das Seeglas vor die Augen und beobachtete den östlichen Horizont. Anfangs sah ich nichts als die weiße Krause der Dünung, die das Flachland andeutet. Dann erschien ein schwarzer Punkt, der zunächst einem schwimmenden Pudel glich, dann einem Flußpferd, einem Walfisch, und der sich zuletzt als der Lotsenkutter entpuppte. Sein geblähtes Segel hinderte mich anfangs, die Besatzung des Bootes zu übersehen; später aber unterschied ich deutlich drei Seeleute in Teerröcken und eine in einen Lilastoff gekleidete vermummte Gestalt.

»Dies kann nur Erna sein, Erna, die Braut meines jungen Freundes,« klügelte ich heraus, und ich nahm meine weiße Seemannsmütze und fing mit langem Arme kräftig an zu winken. Daß ich richtig kalkuliert hatte, bewies mir alsbald ein weißes Taschentuch, das aus dem Kutter 348 heraus lebhaft zu flattern begann und immer lebhafter und lebhafter, je näher das Boot an die »Eleonore« herankam.

»Weiter darfst du deine Leporello-Rolle nicht spielen,« sagte ich mir und zog mich zurück, als ich sah, wie der, den ich vertreten hatte, plötzlich hinter der Back erschien und eine Strickleiter in den Kutter hinunterwarf. Sie wurde aufgefangen, und eine in grobem Teerrock verhüllte Gestalt arbeitete sich an ihren Sprossen schwerfällig aufs Hauptdeck herauf.

Die wenigen Minuten, die dieser Aufstieg erforderte, waren leider auch die kurze Frist, die den Liebenden vergönnt war, um sich nach langer Trennung einmal wieder in die funkelnden Augen zu sehen. Das Mädchen hatte sich im Boden des Kutters wie eine Palme aufgerichtet und streckte ihren libellenschlanken Leib sehnsüchtig dem Freunde entgegen. Er hing mit dem ganzen Oberkörper so verwegen über der Reeling, daß ich allen Ernstes fürchtete, er möchte in das Boot hinunterstürzen. Ich hörte, wie sie sich warme Worte der Liebe zuriefen, war aber froh, als die »Eleonore« abdrehte und das Lotsenboot sich von der Steuerbordseite entfernte. Kußhände und wehmütiges Tücherwehen, das war's, was die Verlobten einstweilen als Surrogat der Liebe hinnehmen mußten. Seemannsleben! – Vielleicht wird auch die Ehe nicht viel mehr bringen, als der Brautstand bot – – – ein Meiden und Scheiden ohne Ende.

»Tausend Segenswünsche zu einem so schönen 349 Schatze,« sagte ich später dem glückstrahlenden Bräutigam.

»Hat sie Ihnen gefallen?« fragte er selig.

»Über alle Maßen, aber daß ich's Ihnen, ohne Ihre Eifersucht erregen zu wollen, nur eingestehe: Ich meinerseits muß auch ihr nicht wenig imponiert haben, denn ehe sie noch Liebenswürdigkeiten an Sie verschwenden konnte, hatte sie es schon bei mir getan.«

Da lachte er hell auf: »Ich fange zu begreifen an. ›Lang schon hab ich, Guter, Dich gesehen und Dir zugewinkt‹ hat sie zu mir gesagt, und es war doch ganz unmöglich, daß sie mich sehen konnte. Ich war ja doch im Kartenhäuschen beschäftigt. Nun hab ich's heraus. Sie sind also für mich eingesprungen?«

»Ja, – und offen gestanden – ich würde dies auch in Zukunft gerne tun, so oft der Deckel auf Reisen ist, wenn ich nicht fürchten müßte, daß Ihre Eifersucht mich eines Tages übern Haufen säbelt.«

»Wagen Sie immerhin den Versuch,« sagte er lachend. »Seitdem ich ihr heute ins Auge gesehn, fürchte ich Sie nicht und keinen anderen.«

»Nun haben Sie zum Hochzeitmachen die richtige Courage. Gott segne Ihren Pantoffel.« Dies war mein letztes Wort in diesem Liebeshandel, von dessen Fortsetzung ich zu meinem Bedauern auch nicht ein Wörtchen mehr zu berichten weiß.

* * *

350 Wie der Hirsch vor der Meute so lief die »Eleonore« vor den aufgepeitschten Wogen her, und sie tat gut daran. Ein Südsturm hatte sich aufgemacht und blies aus vollen Backen hinter uns her. Ein Glück war's, daß wir um die Cuxhavener Ecke herum noch rechtzeitig in die Elbe hinein kamen. Von den Uferdämmen kaum aufgehalten, fegte der Wind über unsere Masten weg, rappelte mit den Schornsteinketten und brüllte uns von Zeit zu Zeit mit zornigem Wüten ins Ohr hinein. Doch auf beiden Seiten vom Lande geschützt, fühlten wir uns geborgen. Die Sturmsignale, die den ausfahrenden Schiffer schrecken, hatten für uns keine Bedeutung.

Wir hatten Altona hinter uns und fuhren schon nicht mehr mit eigener Kraft. Ein kleiner Schlepper war uns vorgespannt worden, der uns nach dem Petersenkai hinüberzog. Wie wir uns der langen Reihe der Lagerschuppen näherten, sah man, daß es unter den weit vorspringenden Ziegeldächern von Männern, Frauen und Kindern wimmelte. Das waren Leute, die auf uns warteten. Menschen, die mit feuchten Augen und klopfendem Herzen dastanden und zitternd auf den Augenblick hofften, wo sie dem oder jenem von uns ans Herz fallen und ihn küssen konnten, küssen, in der tränenreichen Freude des Wiederfindens.

Welch eine Summe von Menschenglück wurde da in flüchtigem Geben und Empfangen nicht zum Umsatz gebracht! Fast tat es mir leid, daß im ganzen Haufen 351 drüben nicht ein einziges Wesen stand, das für mich gebangt hatte und das sich nun auf meine Umarmung freute.

Wie ich so an der Reeling lehnte und mir die weinende und tücherschwenkende Menge betrachtete, legte jemand seinen Arm um mich, während eine andere noch freie Hand mir zärtlich über die Backen fuhr. Und wer war's? Herr Schneidig, der Barbier.

»Unser Doktor,« rief er mit großzügiger Geste nach dem Kai hinüber, »und mein Freund,« setzte er nicht ohne Selbstgefälligkeit hinzu. »Meine Bräute,« fuhr er gegen mich gewendet fort, indem er die Vorstellung komplett machte.

In der Tat, da drüben standen knapp gemessen ein Vierteldutzend schöner Mädchen, die uns zwei mit Blumen bewarfen und mit Kußhänden reichlich traktierten. Himmelsbräute waren's sicherlich, denn aus den Verlobungen kommt diese Sorte auf Erden selten heraus, und den meisten von ihnen wird das Hochzeitsmahl erst über den Sternen gedeckt.

Nun hätte auch ich von den gutmütigen Geschöpfen noch Empfangsküsse und Umarmungen in Menge haben können. Doch vor lauter Abschiednehmen kam ich nicht dazu, den Bräuten des Herrn Schneidig die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

Zuletzt zog Herr Lüders, mein Reisegenosse von der Mukonjefarm, mich über die Laufplanke in einen Wagen hinein, und fort ging's nach dem Rödingsmarkt. Dort 352 schnitten Hasenbalg und Vogler, die Uniformschneider, mir die Knöpfe von meinem Rock herunter und trennten die Litzen ab. Damit war der schöne, vielwöchige Seefahrertraum zu

Ende.

 


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