Carl Karlweis
Adieu Papa
Carl Karlweis

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O Nein!

Hermine saß am Fenster und stickte. Sie stickte immer, wenn Besuch da war. Nicht aus Eitelkeit, etwa um mit ihrem Fleiß, ihrem Sinn für Häuslichkeit, ihren geschickten Feenhänden zu kokettiren, oder gar, weil sie wußte, daß ihr schwarzes Köpfchen, leicht über die flinken Finger gebeugt, im Profil einen zarteren Ausdruck gewann, und das Licht, das durch das hoher Fenster einfiel, sie mit einer Art von Glorienschein umwob. Beileibe nicht. Hermine war zu stolz, um kokett, 127 zu ernst, um über das nothwendige Maß hinaus eitel zu sein, obgleich ihr allerliebstes Capricengesichterl, ihre blitzenden, schwarzen Augen und ihre schlanke, biegsame Gestalt sie immerhin zu einer kleinen Ausschreitung in dieser Richtung berechtigt hätten. Sie flüchtete an den Stickrahmen, weil – – weil sie die Menschen verachtete. Ja wohl, verachtete. Zwischen der dritten Quadrille und dem Cotillon auf dem letzten Hausball bei Tante Rosa war sie nämlich zu drei ebenso neuen als betrüblichen Entdeckungen gelangt. Erstens: die Welt ist schlecht. Zweitens: die Menschen sind schlecht. Drittens: das Leben ist nicht werth, gelebt zu werden. Auf welchem Wege diese vernichtenden Entdeckungen ihr aufgegangen waren, verrieth sie keiner lebenden Seele. Der Stickrahmen allein kannte ihre 128 Leiden, ihre Schmerzen, ihre Läuterung.

Heimlich hatte sie sich von ihrem Nadelgeld die »Lichtstrahlen aus Schopenhauer's Werken« gekauft, und dieses Buch verließ sie fortan nie. Sie bekannte sich unbedingt zu den ernsten Lehren des Frankfurter Philosophen, ja sie ging sogar einen Schritt weiter als ihr Meister, sie verneinte nicht nur den Willen zum Leben, sie verneinte überhaupt alles, sie strich das unschuldige Wörtchen Ja vollständig und für immer aus ihrem Wortschatz.

Gespräche mit jungen Herren, wenn diese das Haus ihrer Mutter besuchten, gestalteten sich von nun an etwa wie folgt:

»Hm . . . . es ist heute schönes Wetter, mein Fräulein!«

»Ich finde es nicht schön.«

130 »O – die Sonne scheint doch so freundlich!«

»Mich friert.«

»Ist es möglich. Sie sind wohl leidend?«

»Nein.«

»Oder Sie bedürfen einer höheren Temperatur zu Ihrem Wohlsein? Da wäre ein Aufenthalt in Nizza, Korfu oder Kairo angezeigt.«

»Im Gegentheil, es ist hier unerträglich warm.«

»Ah . . . . in der That, Sie sagten eben –«

»Ich sagte nichts.«

»Aber ich dachte, Sie meinten . . . .«

»Ich meinte nichts, mein Herr!«

Die dunklen Brauen über den blitzenden Augen zogen sich unwillig zusammen, das Köpfchen beugte sich tiefer über 131 den Stickrahmen, das Gespräch war zu Ende.

Dergleichen kleine Scenen spielten sich häufig genug ab und endeten immer damit, daß der junge Herr verblüfft nach seinem Hut griff, ein paar unverständliche Abschiedsworte murmelte, der Mama respectvoll die Hand küßte und verschwand.

Mama fragte dann, was es wieder gegeben habe, schalt ein wenig und vergaß endlich den Zwischenfall. Aber die Besuche wurden immer seltener, hörten schließlich völlig auf. Hermine war es zufrieden. O, diese Männer! Wie sie dies kleine, gedankenlos plappernde Geschlecht verachtete.

Nur Einer blieb, oder kam doch regelmäßig wieder.

Und gerade ihn behandelte sie am schlechtesten. Er war auch gar zu 132 unausstehlich, zumal durch die unverwüstliche Ruhe, die er ihren Mißhandlungen entgegensetzte. Allerdings pflegte auch er, wenn sie ihr letztes, heftiges Nein gesprochen hatte, nach dem Hut zu greifen, der Mama die Hand zu küssen und zu gehen. Aber am nächsten Tag kam er wieder. Er war ganz und gar unerträglich. Hermine wurde endlich so nervös, daß sie aufstand und das Zimmer verließ, wenn er kam. Trat sie aber endlich wieder ein, so saß er noch immer da, ruhig, freundlich, ein gutmüthiges Lächeln auf den Lippen. Wie sie dieses Lächeln haßte! Sie wurde auffallend unartig, ihre philosophische Ruhe verließ sie in seiner Gegenwart – er nahm seinen Hut – kam aber am nächsten Tag pünktlich wieder.

»Er wird um Dich werben!« sagte die Mutter.

133 Hermine wurde bis über die Ohren roth vor Aerger. Jetzt wußte sie, daß sie ihn haßte – glühend, tödtlich. Sie beschloß, ihm auszuweichen. Als am nächsten Tag die Stunde kam, um welche er zu kommen pflegte, verließ sie unter dem Vorwand eines Besuches, einer dringenden Besorgung das Haus. Heimgekommen, erfuhr sie, daß er gar nicht dagewesen sei. Das ärgerte sie wieder, sie wußte selbst nicht warum. Heimtückisch war es seinerseits gewiß. Am nächsten und zweitnächsten Tag wiederholte sich dasselbe Spiel. Ihr Aerger wuchs, aber die Hoffnung erwachte, er werde gar nicht wiederkommen.

Am vierten Tag blieb sie zu Hause. Da kam er. Ruhig, freundlich, sein unausstehlich gutmüthiges Lächeln auf den Lippen, trat er ein und fragte sie nach 134 ihrem Befinden, als ob durchaus nichts vorgefallen wäre.

Sie befand sich überhaupt nicht, zum mindesten für ihn nicht! Darum antwortete sie auch gar nicht.

Er schien das nicht einmal zu bemerken, ja er hatte sogar die Kühnheit, ihr eine Rose zu überreichen.

Sie schob die Blume, zitternd vor zorniger Erregung, heftig beiseite.

Nun wird er doch endlich beleidigt sein und gehen, dachte sie. Es fiel ihm gar nicht ein. Er sah sich ruhig um – die Mutter war eben ins Nebenzimmer gegangen – und rückte seinen Stuhl ein wenig näher.

Der Unverschämte. Hastig fuhr sie zurück und riß dabei den Faden ihrer Stickarbeit ab. Auch das noch! Wie sie diesen Menschen verabscheute!

135 Sie hatte Schopenhauer immer für einen Weisen gehalten, in diesem Augenblicke erschien er ihr als ein Heiliger, zu dem man um Erlösung von allem Menschenübel beten müsse.

»Ist es gestattet, mein Fräulein, eine Frage an Sie zu richten?« begann der Verabscheuungswürdige plötzlich mit seiner impertinenten Ruhe.

Sie war starr vor Entrüstung und Staunen über so viel Kühnheit. Aber sie faßte sich doch und sah ihn an mit einem Blick, aus dem hundert Nein antworteten.

Die Augensprache verstand er offenbar nicht. War er am Ende auch noch dumm? Nein, dumm war er wohl nicht, nur unverschämt, aber das gehörig. Er wollte nicht verstehen.

Wieder rückte er ein wenig näher.

136 »Sehen Sie, mein Fräulein,« sagte er zögernd, »Sie sind nicht wie die anderen Mädchen. Sie sind klug und mißtrauen den Menschen. Das gefällt mir.«

Was war das? Verhöhnte er sie?

»Ich bin in einer gar wunderlichen Lage,« fuhr er unbeirrt fort, »ich liebe ein Mädchen – aus dem Kreise Ihrer Bekannten – und wage doch nicht, meine Gefühle zu gestehen. Sie werden vielleicht fragen, warum ich das nicht wage –«

Nein, sie fragte durchaus nicht!

Er verstand auch ihr deutliches, energisches Kopfschütteln nicht. Was war das für ein Mensch!

. . . . »Diese Frage scheint mir ganz berechtigt,« setzte er seine Ausführungen fort, »und ich will sie auch offen beantworten. Jene junge Dame zeigt mir allzu deutlich, daß sie mir gewogen ist und 137 eine Erklärung meinerseits erwartet. Sehen Sie, das macht mich irre, ja es verletzt mich. Sie werden mir das gewiß nachfühlen können, denn Sie sind ebenso stolz als klug.«

Hermine sah ihn erstaunt an. Wo sollte das hinaus? Sprach er wirklich von – – einer Anderen? Nur mechanisch erwiderte sie:

»Ich bin weder so stolz, noch so klug –«

Er fiel ihr lebhaft ins Wort.

»Verzeihen Sie, daß ich widerspreche. Sie sind stolz, und das mit vollem Recht. Ich möchte nun die Frage an Sie stellen: Glauben Sie, daß eine junge Dame, welche wahrhaft liebt, dies dem Manne ihrer Wahl durch allerlei kleine Zeichen verrathen wird, ehe sie weiß, ob dieser Mann sie wieder liebt?«

138 Hermine war völlig verblüfft. Dieser Mensch sprach allen Ernstes von einer Anderen und wagte es noch obendrein, sie mit seinen langweiligen Liebeszweifeln zu belästigen.

Ah, nun haßte sie ihn nicht mehr, nun fand sie ihn einfach lächerlich. Und diesen girrenden Jüngling, der Andere um Rath in seinen Liebesnöthen fragte, hatte sie einen Augenblick ernst genommen. Sie schämte sich ihrer Schwäche.

. . . . »Glauben Sie?« wiederholte er soeben dringend.

Nur um ihn loszuwerden, mußte sie wohl oder übel antworten.

»Nein!« sagte sie also gewohnheitsgemäß.

»Wie schade!« seufzte er. »Also wirklich: Nein, kurzweg nein. Nicht etwa: O nein!?«

139 Was sollte das? Als ob da ein Unterschied wäre. O nein! ist allenfalls ein verstärktes Nein, aber –

»Mit Verlaub, Fräulein, dem ist nicht so. Ein kurzes Nein läßt selten eine zweite Deutung zu, aber o nein! zumal im Munde eines Mädchens ist oft nur ein halbes Nein, nicht selten ein ganzes Ja! . . . . Verzeihen Sie, ich weiß, daß Sie anders geartet sind, als die Mädchen sonst. Aber denken Sie einmal, Sie wären eine Andere, etwa Diejenige, die ich liebe, und ich würde Sie bitten, mir das kleine Sträußchen zu schenken, das Sie an der Brust tragen –«

Hermine griff unwillkürlich nach den Blüthen und bedeckte sie schützend mit der Hand.

»O nein!« rief sie heftig.

»Vortrefflich, das würde . . . . jene Andere auch sagen, nur mit dem 140 Unteschied, daß dies eine Aufforderung bedeuten könnte, kühner zu fordern, während Sie mir nicht einmal die paar armen Blumen gewähren würden.«

Sie hatte es bisher vermieden, von ihrem Stickrahmen aufzusehen. Etwas in seiner Stimme zwang sie jetzt, die Augen zu ihm aufzuschlagen.

Wie er sie ansah! . . . . Sie fühlte, daß ihr das Blut in die Wangen stieg. Was wollte dieser Mann mit seinen seltsamen Fragen und Vergleichen? Trieb er sein Spiel mit ihr?! Ein beklemmendes Angstgefühl überkam sie. Sie haßte ihn wieder mehr, unsäglicher als je, und fühlte sich doch zu ihm hingezogen – nein, der Haß überwog. Sie wollte aufspringen, vermochte sich aber nicht von der Stelle zu rühren, wollte nach der Mutter rufen, aber kein Ton drang aus ihrer Kehle. 141 Und immerzu dieser räthselhafte, versengende Blick, der auf ihr ruhte.

»Sie schulden mir noch eine Antwort, Fräulein Hermine,« begann er von neuem. »Glauben Sie an eine Liebe, die sich verräth, ohne der Gegenliebe gewiß zu sein? Nein? Oder – o nein?«

Sie antwortete nicht, es war ihr unmöglich, jetzt zu sprechen. Eine wunderliche Empfindung hatte sie überkommen, als läge die Entscheidung über ihre eigene Zukunft, ihr eigenes Glück auf ihrer Zunge.

Da beugte er sich langsam, ganz langsam vor, schob den Stickrahmen beiseite und zog unter demselben das Bändchen »Lichtstrahlen« hervor, das dort stets verborgen lag, um ab und zu aufgeschlagen zu werden. Mit starrem Blick verfolgte sie jede seiner Bewegungen. War es diesem 142 Manne gegeben in den Seelen zu lesen? Woher wußte er um das Buch?!

»Lassen Sie uns diesen wunderlichen Störenfried erst entfernen!« sagte er ruhig und schleuderte das Buch in eine Ecke. Dann stand er auf, faßte Herminens Hände und hob das Mädchen sachte zu sich empor. Willenlos, wie gebannt, gehorchte sie.

»Hermine,« flüsterte er mit weicher, inniger Stimme, »kannst Du mich ein wenig lieben? Nein, oder . . . .«

Sie athmete tief, wie unter der Last eines schweren Traumes. Nein, nicht um alle Welt wollte sie antworten, was er erwartete. Sie haßte ihn ja.

»Hermine – liebst Du mich?« klang es wieder an ihr Ohr, so weich, so flehend, so zärtlich.

143 Vom Herzen stieg es heiß empor, die Lippen öffneten sich . . . . Du wirst es nicht sagen! schoß es ihr noch durch den Kopf, dann flüsterte sie:

»O nein!« 144

 

 


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