Elisha Kent Kane
Die Todesfahrt der Advance im ewigen Eise
Elisha Kent Kane

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Dem eisigen Norden entgegen

Im Dezember 1852 wurde ich vom Sekretariat der Flotte damit beauftragt, eine Expedition zur Aufsuchung Sir John Franklins nach den nordischen Gewässern zu führen. Ich hatte unter Leutnant de Haven an der Grinnellexpedition teilgenommen, welche 1850 zu demselben Zweck von den Vereinigten Staaten ausgegangen war, und mich nach meiner Rückkehr mit der Ausarbeitung eines Planes beschäftigt, wie durch eine erneute Anstrengung dem Vermißten Hilfe zu bringen oder wenigstens das Rätsel seines Schicksals zu lösen sei. Herr Grinnell hatte in seltener Freigebigkeit die Brigg »Advance«, an deren Bord ich mich bereits früher befunden, abermals zur Verfügung gestellt, Herr Peabody aus London für deren Ausrüstung reichliche Mittel gespendet. Die Geographische Gesellschaft zu New York, das Smithsonsche Institut und andere wissenschaftliche Vereine und Freunde der Wissenschaft gesellten sich hilfreich hinzu, so daß ich mich auch mit Beobachtungsmitteln besser ausgestattet sah, als es sonst möglich gewesen wäre.

Zehn Mann unserer kleinen Reisegesellschaft gehörten der Flotte an und waren mir dienstlich zugewiesen; die übrigen waren lauter Freiwillige. Wir fuhren nicht unter den sonst auf amerikanischen Schiffen gültigen Vorschriften, sondern hatten unsere besonderen wohlüberlegten Regeln, die jedem vorher bekannt gemacht und in der Folge bei allen Wechselfällen der Expedition streng eingehalten wurden. Sie lauteten: l. Unbedingter Gehorsam gegen den Kommandanten oder dessen Stellvertreter. 2. Enthaltung von allen berauschenden Getränken, soweit sie nicht infolge besonderer Vorschrift gereicht werden. 3. Vermeidung der gemeinen Redeweise.

Sonstige Gesetze gab es nicht ... –

Bei unserer Abreise zählten wir siebzehn Köpfe; ein achtzehntes Mitglied nahmen wir einige Tage später unterwegs noch auf. Unser Schiff, die »Advance«, hatte bereits in manchem Kampf mit dem nordischen Eise die Probe bestanden; sie wurde sorgfältig untersucht, und es bedurfte nur geringer Arbeit, um sie wieder vollkommen seetüchtig zu machen. Die »Advance« war eine Brigg von 144 Tonnen, ursprünglich zum Transport schweren Gußeisens bestimmt und späterhin mit großem Geschick und vielen Kosten noch verstärkt worden; außerdem war sie ein guter Segler und führte sich leicht. Weiterhin besaßen wir neben einem metallnen vier hölzerne Rettungsboote.

Unsere Ausrüstung mußte gleichfalls äußerst einfach genannt werden; denn sie bestand aus wenig mehr als einem Stapel roher Bretter, um das Schiff im Winter zu überdachen, einigen Zelten von Kautschuk und Segeltuch sowie einigen mit vieler Sorgfalt konstruierten Schlitten.

Bei der Auswahl unserer Lebensmittelvorräte wurde jeder Luxus vermieden. Wir besaßen ein paar tausend Pfund gutes Preßfleisch (sogen. Pemmikan), eine Partie Fleischzwieback, etwas eingelegten Kohl und einen reichen Vorrat getrockneter Früchte und Vegetabilien. Daneben das übliche Pökelrinder- und Schweinefleisch der Kriegsflotte, Schiffszwieback und Mehl, einen sehr bescheidenen Vorrat Spirituosen und die sonstigen kleineren Erfordernisse einer Reise im hohen Norden. Einiges frisches Fleisch hoffte ich noch aufnehmen zu können, bevor wir die oberen Grönlandsküsten erreichten; auch nahm ich einige Fässer Malz und einen Brauapparat mit.

Schließlich besaßen wir eine bescheidene Garderobe an wollenen Anzügen, einen reichlichen Vorrat an Messern, Nadeln und anderen Tauschartikeln, eine sorgsam ausgewählte, ziemlich umfangreiche Bibliothek und ein wertvolles Sortiment von Instrumenten für wissenschaftliche Beobachtungen.

fiskernaes

New York verließen wir am 30. Mai 1853 und erreichten in achtzehn Tagen St. Johns auf Neufundland, wo uns der herzlichste Empfang zuteil wurde. Der Gouverneur, die Beamten und die ganze Einwohnerschaft beeiferten sich, uns jede erdenkliche Gefälligkeit zu leisten. Hier kaufte ich einen Vorrat frisches Rindfleisch, das wir nach Seemannsart von Knochen und Sehnen befreiten, mit Bindfaden fest umwickelten und in Rollen formten, die im Takelwerk aufgehangen wurden. Nach zwei Tagen verließen wir die blühende und gastfreundliche Stadt und richteten, mit einem imposanten Zug Neufundländer Hunde an Bord, die uns der Gouverneur geschenkt hatte, unsern Kurs nach der grönländischen Küste. Ohne Zwischenfall erreichten wir die Baffinsbai. Bei Annäherung an ihre Mittellinie sondierten wir und fanden die ansehnliche Tiefe von 1900 Faden – eine interessante Tatsache, und gleichzeitig ein Beweis dafür, daß das Plateau des Meeresgrundes, das sich bekanntlich zwischen Irland und Neufundland erstreckt, weiter nördlich einsinkt.

Wenige Tage später waren wir auf der Höhe der grönländischen Küste und liefen unter dem Freudengeschrei der ganzen Bevölkerung, die sich zu unserem Empfang auf dem Felsen versammelt hatte, in den Hafen von Fiskernaes ein.

Ich hatte eingesehen, daß ich für unsere Hunde frisches Fleisch beschaffen mußte, das wir aber schwerlich aus unseren Vorräten abgeben konnten. Deshalb suchte ich für die Expedition einen Eskimojäger. Man empfahl mir einen neunzehnjährigen Burschen, Hans Christian, als ebenso geschickt mit dem Kajak wie mit dem Wurfspieß. Ich verpflichtete ihn für die Expedition, nachdem er eine Probe seiner Geschicklichkeit dadurch abgelegt hatte, daß er mit dem Speer einen Vogel im Fluge traf. Wenn nicht die Jagd seine Lebensgeister elektrisierte, war er ein gutmütiger Junge, so teilnahmslos und unempfänglich wie unsere Rothäute. Neben seinem sehr bescheidenen Lohne machte er für seine Mutter noch ein paar Fässer Brot und 52 Pfund Schweinefleisch aus. Und als ich dem noch eine Flinte und einen neuen Kajak hinzufügte, da besaß ich in seinen Augen den Nimbus eines sehr freigebigen Mannes. In der Folgezeit leistete er uns sehr wertvolle Dienste; denn er übte nicht nur die Funktionen eines Proviantmeisters für unsere Hunde aus, sondern auch unsere eigene Küche war mehr als einmal von seinem Eifer abhängig ....

Aufgehalten von Windstillen und leichten Gegenwinden schleppten wir uns die nächsten neun Tage an der Küste entlang und erreichten erst am 10. Juli die Ansiedlung Sukkertoppen. Der Sukkertoppen (Zuckerhut) ist ein isolierter wilder Steinkegel von 3000 Fuß Höhe. Die kleine, an seinem Fuße hausende Kolonie sitzt in einem so engen und verworrenen Felsenschlunde, daß die verschiedenen Hütten durch Treppen verbunden sind. Die steigende Flut verwandelt einen Teil des Grundes zeitweilig in eine Insel.

Wir kamen nach Mitternacht an. Das seltsame Licht des nordischen Sommers mahnte zu dieser Stunde an die Beleuchtung bei einer Sonnenfinsternis und übergoß alles mit grauen Tinten; den Hintergrund ausgenommen, der einer Alpenkette auf hochrot strahlendem Horizonte glich.

Suppertoppen ist das Hauptdepot für Renntierfelle; die Eingeborenen befanden sich eben auf der Sommerjagd, um Felle zu sammeln. Viertausend Stück waren bereits nach Dänemark gesandt worden, und mehr noch lagen schon wieder da, von denen ich einen Vorrat der besten Qualität zu einem halben Dollar das Stück kaufte. Diese Renntierfelle werden wegen ihrer Leichtigkeit und Wärme geschätzt. Sie bilden das gewöhnliche Oberkleid für beide Geschlechter, während die Seehundsfelle zu Hosen und wasserdichten Ueberziehern verwendet werden. Auch gewalkte Seehundsstiefel oder Mokassins kaufte ich, soviele ich an mich bringen konnte; denn sie sind für Fußgänger unübertrefflich und schützen gegen Nässe sicherer als alles genähte Schuhwerk.

Noch am 10. Juli gingen wir wieder in See und lavierten Nord und West einem steifen Winde in die Zähne.


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