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13. Der leere Platz.

Alles ist bereits ruhig geworden, die Welt geht ihren gewöhnlichen Gang, und in den in der Ferne schimmernden blauen Bergen lebt eine Frau, die keine Kenntnis hat von der Außenwelt und die täglich die Gipfel der hohen Berge erklimmt, welche ihr Häuschen umgeben und sehnsüchtig, erwartungsvoll in der Richtung gen Stambul blickt und mit den Augen den Biegungen des Weges folgt, welcher in die Ferne führt; – kommt er denn noch immer nicht, den sie erwartet?

Traurig kehrt sie jeden Abend in ihr stilles Häuschen zurück und da sie sich zum Abendessen setzt, stellt sie sich gegenüber Glas und Teller und harrt in dieser Weise dessen, der nicht kommt. Des Nachts legt sie Halils Kopfkissen neben sich und ihr Kind zwischen Vater und Mutter, damit er es dort finde, wenn er ankommt.

So vergeht Tag für Tag.

Eines Morgens klopft es an ihrem Fenster. Freudig springt sie aus dem Bette, um zu öffnen.

Es ist nicht Halil, sondern eine Taube. Eine Brieftaube, die einen Brief brachte.

Gül-Bejaze öffnet den Brief, liest denselben, – und liest ihn zum zweiten Male, – und liest ihn dann auch zum dritten Male, und als sie ihn auch zum dritten Male zu Ende gelesen, beginnt sie zu lächeln und flüstert:

»Er wird gleich da sein.«

Von diesem Augenblick an erfaßte ein stiller Wahnsinn die Frau, eine Art der wortlosen Monomanie, die erst wahrgenommen wird, wenn die betreffende fixe Idee angeregt wird.

Als es dunkelte begab sie sich wieder auf den Weg hinaus, welcher aus dem Tale führt. Sie zeigte ihrem alten Diener den Brief und sagte ihm, in demselben stehe, daß Halil heute heimkehrt, er möge demnach ein gutes Abendessen bereiten. Jener konnte nicht lesen und glaubte alles.

Nach einer Stunde kommt die Frau in größter Freude zurück; ihr Gesicht glüht infolge der großen Eile.

»Hast du ihn nicht gesehen?« fragt sie den Diener.

»Wen, o Herrin?«

»Halil. Er ist heimgekehrt. Er hat einen anderen Weg eingeschlagen und ist nun schon zu Hause.«

Der Diener meinte, Halil sei vielleicht im geheimen angekommen und folgte ihr demnach voll Freude in das Zimmer, wo der Tisch wieder für zwei Personen gedeckt war.

»Nun siehst du, daß er da ist,« sprach Gül-Bejaze auf den leeren Platz deutend und fliegt hin, umarmt eine unsichtbare Gestalt, ihre heißen Küsse tönen durch die Luft, ihre trunkenen Augen betrachten wonnevoll das Nichts ...

»Sieh dein Kind,« spricht sie, ihren Sohn emporhebend; »nimm ihn auf den Arm. So. Küsse ihn nicht so stark, denn er schläft. Nun, siehst du, jetzt hast du ihn aufgeweckt. Dein Bart hat ihn gestochen, schaukele ihn ein wenig. Du hast ihn ja stets gerne geschaukelt. Halte ihn so in deinem Schoße. Bist du müde? Warte, ich fülle dir dein Glas. Nicht wahr, wie eiskalt das Wasser ist? ich brachte es ja soeben von der Quelle.«

Dann häufte sie wieder Speisen auf den Teller ihres Gatten und freute sich, daß es ihm so gut munde.

Nach dem Abendessen schlingt sie ihren Arm in den seinigen und freundlich flüsternd und plaudernd führte sie ihn in den Garten, in den mondhellen Abend hinaus, während ihr der treue Diener tränenden Auges nachblickte, wie sie ganz allein durch die Baumgänge wandelt und sich dabei gebärdet, wie wenn sie mit jemandem spräche. Sie richtet Fragen an ihn, erwartet Antworten, erzählt ihm Geschichten. Sie erzählt ihm alle Begebenheiten, die sich seit ihrer Trennung zugetragen, zeigt ihm ihre kleinen Vögel und Blumen, dann ruft sie ihn in die Laube hin, läßt ihn neben sich niedersitzen, zieht ihren Kaftan etwas zur Seite, damit er sich nicht auf denselben setze und sie sich an ihn schmiegen könne und dann unterhält sie sich in flüsterndem, sehnsüchtigem Tone, mit ihm und kehrt dann so glücklich, in so verschämter Freude zurück und wirft bloß verstohlen zuweilen einen liebenden Blick nach rückwärts. – Nach wem?

Im Hause angekommen, bereitet sie ihm sein Bett, legt ihm das Kissen unter dem Haupte zurecht, schiebt ihm den weißen runden Arm unter den Kopf, drückt ihn an ihren Busen und küßt ihn, worauf sie ihr Kind zwischen sich beide legt und mit einem letzten Drucke seiner Hand – wessen Hand? – ruhig einschläft.

Am nächsten Tage erwartet sie ihn abermals vom frühen Morgen bis zum späten Abend; als es dämmerte, begab sie sich abermals auf den Weg hinaus, und da sie wiederkehrt, findet sie ihn wieder in dem kleinen Häuschen. Welch beglückender Wahn!

Und so geht dies Tag für Tag.

Vom Morgen bis zum Abend versieht die Frau ihre gewöhnlichen Arbeiten; ihre Nachbarn und Bekannten gewahren keinerlei Veränderung an ihr, sobald die Sonne aber zu sinken beginnt, entfernt sie jeden von sich, meidet jedwede Gesellschaft, denn jetzt erwartet sie Halil bereits in dem kleinen Gartenzimmer.

Pünktlich erscheint sie vor ihm, sobald die Sonne untergeht. Es ist dies ihr bereits zur Gewohnheit geworden. Sie teilt all ihre Arbeiten in der Weise ein, daß ihr zu jener Zeit keine Beschäftigung bleibe. Zuweilen ist Halil sehr gut gelaunt, zuweilen aber auch sehr traurig. Unzählige Male erzählt die Frau dies ihrem alten Diener, zuweilen flüstert sie ihm auch zu, daß Halil mit hochfliegenden Plänen umgehe, doch solle er dies ja niemandem verraten, da dies sehr leicht Halils Leben kosten könnte.

Armer Halil! Lange ist seitdem sein Körper bereits zu Staub geworden, dem der Tod nichts mehr anzuhaben vermag.

Und auf diese Weise altert, ergraut, verwelkt die »weiße Rose«. Keine Nacht bleibt der liebe Gast aus ihrem Hause weg. Jahre, lange Jahre hindurch kommt er allabendlich zu ihr.

Und da ihr Sohn heranwächst, zu urteilen vermag, da er ein Mann wird, hört er seine Mutter jeden Abend mit einer unsichtbaren Gestalt sprechen und hört jeden Abend, wie sie ihn dieser unsichtbaren Gestalt vorstellt und ihn bemüßigt, eine Begrüßung zu sprechen, da er vor seinem Vater stehe. Und sie lobt den Sohn vor seinem Vater: denn er ist so tapfer, mutig und edelherzig, und dabei vergleicht sie die Gesichtszüge der beiden miteinander. Er sieht seinem Vater auf ein Haar ähnlich, nur daß Halil bereits altert, daß sein Bart zu ergrauen beginnt. Halil wird alt. Sonst würde er seinem Sohne vollständig ähnlich sein.

Und der Sohn weiß es sehr gut, daß die Janitscharen seinen Vater vor einer langen, langen Reihe von Jahren töteten.

*

 


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