Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11. Blicke in die Zukunft.

Halil Patrona saß auf dem Balkone seines Palastes, welchen ihm die Gunst des Sultans und des Volkes geschenkt. Die Sonne war im Begriffe unterzugehen, der Wasserspiegel des goldenen Hornes sprüht Funken und Hunderte von farbigen Segeln und Flaggen flattern in dem leisen Abendwinde.

Gül-Bejaze liegt dort neben ihm auf einer Ottomane, das schöne Haupt senkt sie mit dem schlaffen Gefühl des Glückes auf den Busen ihres Gatten, die langen Augenwimpern beschatten das liebliche Gesicht, während ihre schneeweißen Arme seinen Nacken umschlungen halten. Von Zeit zu Zeit schlummert sie ein, doch schreckt sie der warme Schlag des Herzens, welcher die Brust ihres Gatten hebt, immer wieder empor. Halil Patrona liest in einem großen Buche, in welchem mit schöner Talikschrift bunte Buchstaben gezeichnet sind, Gül-Bejaze kennt diese Schrift nicht, für sie sind diese Buchstaben unbekannte Zeichen, doch betrachtet sie mit Wohlgefallen die schön gemalten Rosen- und Liliengirlanden und die bunten Vögel, mit welchen die Anfangsbuchstaben verziert sind und gewahrt dabei gar nicht, welch dunkeln Schatten diese schönen bunten ausgemalten Buchstaben über Halils Antlitz werfen.

»Welch ein Buch ist das, welches du da liest?« fragt ihn Gül-Bejaze.

»Feenmärchen und Zaubersprüche,« antwortet Patrona.

»Stehen hierin all die schönen Geschichten, welche du mir am Abend zu erzählen pflegst?«

»Ja, in diesem Buche stehen sie.«

»Wirst du mir auch erzählen, was du jetzt gelesen hast?«

»Wenn du wach sein wirst,« spricht Halil und blickt entzückt in das Gesicht des schönen Weibes, welches in seinem Schoße einschlummert und blättert weiter in dem großen Buche.

Was steht darin? Was enthalten diese glänzend gemalten Buchstaben? Wie heißt dieses Buch?

Es enthält keine Märchen, keine Sprüche, keine lustigen Geschichten.

Dieses Buch ist das » Takimi Vekai«.

Frage den Muselman nicht, was das Takimi Vekai ist, denn er verfällt darob in Traurigkeit, und auch vor der Mohammedanerin erwähne diesen Namen nicht, sonst entstürzen Tränen ihren Augen. Das Takimi Vekai ist das »Buch der Zukunftssprüche«, welches vor drittehalbhundert Jahren der weise Sid-Achmed-Ben-Mustafa schrieb und welches in der Mohammedijemoschee aufbewahrt wird. Bloß den Mächtigsten ist Gelegenheit geboten, das Buch in Wirklichkeit zu sehen Décsy macht auch in seiner »Osmanographie« hiervon Erwähnung, nur daß die Türken nach ihm bereits mit dem Ende des XVIII. Jahrhunderts die Erfüllung dieser Prophezeiung erwarteten. Anm. d. Übers..

Die mit prächtigen Blumen gezierten und mit goldener Tusche gemalten Buchstaben enthalten folgende finstere Worte:

»Takimi Vekai. (Das Blatt der Zukunft.)

»Am achtundzwanzigsten Tage des Monates Rabi Estani, im 886. Jahre der Hedschira (1481 n. Chr.) bestieg ich, Sid-Achmed-Ben-Mustafa, der Yek-Naib (Statthalter) von Skutari und Chodscha-Efterdar (Palastschreiber), nachdem ich das Abdestan (das Waschen vor dem Gebet) beendet hatte und meine Hände gen Himmel erhebend, das Fateha (erster Abschnitt des Alkoran) hergesagt, den Turm Njuk-Kule, von wo man ganz Stambul überblicken kann und dort begann ich nachzudenken.

»Und siehe! da erschien der Prophet vor mir und hauchte meine Augen und Ohren an, auf daß ich nichts weiter sehen und hören könne, als was er mir zu sehen und zu hören befiehlt.

»Und ich schrieb nieder, was mir der Prophet sagte.

»Die Giaurs sehen bereits die Zelte der fremden Heere auf dem Tschiraganplatze errichtet, sehen den Halbmond in den Staub gezerrt und das Doppelkreuz auf den Moscheen errichtet, die Khazne (Schatzkammer des Sultans) ausgeraubt und die Gläubigen dem Karadsch (Hinrichtung) unterworfen. In den Fanar-Vierteln (wo die Griechen wohnen) zählt man bereits die Tage und sagt einander morgen! ... morgen! ...

»Allah ist aber der Gott, der die Padischahs der Osmanen beschützt. Ihre Odschaks (Reitertruppen) werden Furcht und Schrecken verbreiten. Allah akbar! Gott ist mächtig!

»Und die Basch-Raiks (Schiffskapitäne), die Raietters (Steuermänner), die Baschi-Topodschiks (Artilleriehauptleute) und die Behariks (Piraten) werden sich in die Schätze teilen, welche sie den Ungläubigen abnehmen.

»Und die Padischahs werden über dreizehn Nationen regieren Diese dreizehn Nationen waren zu jener Zeit die türkische, slawische, walachische, armenische, griechische, arnautische, jüdische, tatarische, arabische, syrische, Drusen, Turkomanen und Kurden. Anm. d. Übers..

»Doch da erscheint finsteres Gewölk vom kalten Norden her; ein Feind zieht heran, furchtbarer und verheerender als die Ungarn, als die Venetianer und als die Perser. Noch ist er schwach, gleich den Jungen des Falken vom Balkan, doch wird er gar bald seine Fittiche regen. Hervor Silihdar Aga, Retschin Obad Aga, erfüllet eure Pflichten (des Sultans Schwert- und Steigbügelhalter). Ihr Feriks (Anführer) sammelt die Redifs (Reserven). Jene Männer, die von dem Lande herkommen, wo die Tannen und Fichten ihre jungfräulichen Äste zum Himmel emporstrecken, wollen die warmen Provinzen erobern, wo die Ölbäume, die Leftisk, der Terebinth und die Palmen mit ihren Kronen den Himmel berühren. Die Väter zeigen ihren Söhnen Stambul mit dem Finger, gleich der Beute, welche sie nähren wird; schwache Frauen greifen zum Schwert und werden wie Helden gegen die Osmanen kämpfen ... Doch sind hiermit die Tage ihrer Tage noch nicht zu Ende; sie werden widerstehen, gleich dem Salamander inmitten der brennenden Glut.

»Die Jahre ziehen über die Welt dahin; abermals kommen die Giaurs scharenweise und drohen. Aber der Diwan sagt ihnen: olmaz! Das kann nicht sein. Sie werden das Nahen fremder Schiffsheere aus den Höhen des anatolischen und rumilischen Fanar verkünden.

»Dies wird viel später geschehen, nachdem bereits dreiundzwanzig Padischahs über die dreizehn Nationen regierten. Wehe! wehe über uns! Ewig unbesiegbar wären sie gewesen, wenn sie festen Schrittes nach den Befehlen des Korans vorgegangen wären; – doch es wird eine Zeit kommen, da die alten Gebräuche in Vergessenheit geraten, da neue Sitten unter den Muselmans Platz greifen werden, gleich der Klapperschlange, die sich in den Rosengarten einschleicht. Der Glaube verleiht keine Kräfte mehr gegen jene Eismänner, und sie dringen durch achtundzwanzig Tore in die Siebenhügelstadt ein.

»Dies offenbarte mir der Prophet in der Zeit vom El-Assörgebet bis zur Zeit des Meghereb (Sonnenuntergang).

»Allah gebe seinen Segen den Herren der Welt!«

... Dies besagt das Takimi Vekai.

Oft hatte Halil Patrona bereits diese Zeilen durchgelesen, deren jeden Buchstaben er bereits kannte, und er denkt nach darüber, träumt davon, und das Toben des immer wiederkehrenden Gedanken läßt seine Seele nicht zur Ruhe gelangen: ob denn diese Weissagung nicht zu widerlegen wäre! Ob denn eine starke Hand nicht in das rollende Rad des Schicksals eingreifen, dasselbe anhalten und anderweitig wenden könnte, daß, was seit der Erschaffung der Sonne und des Mondes in die Bücher Thoras geschrieben ist, daraus verwischt sei und die Engel gezwungen seien, andere Zeilen statt jener dahin zu schreiben.

Der Gedanke ist keines Muselmans angemessen, es ist nicht die Idee der pietätvollen Entsagung, welche der Mohammedaner für die Zukunft hegt. Er ergibt sich in die Fügungen des Schicksals und bemüht sich nicht, mit sterblicher Hand gegen allmächtige Kräfte anzukämpfen. – Ehrgeizige, welterschaffende Gedanken wühlten in Patronas Seele, welche für keinen Sterblichen bestimmt sind. Armut ist der Gedanke des Menschen; er erschafft eine Welt über der anderen und baut für Jahrtausende; da weht ein leiser Wind daher, und alles wird zu Staube; weshalb denkt denn der Mensch an den morgigen Tag?

Allmählich senkt sich die Nacht herab; der Südstrahl wird immer bleicher über dem Halbmond an den Minaretts, bis sie endlich in völliger Dunkelheit daliegen, und der Ruf der Muezzims tönt aus den Türmen der Moscheen.

»Allah kerim! Allah akbar! La illah il Allah! Mohammed rasul Allah!«

(Gott ist hoch! Gott ist mächtig! Gott ist einzig und Mohammed ist sein Prophet.)

Und nach einigen Minuten ruft er neuerdings:

»Kommet her ihr Völker in Gottes Ruhe, an den Ort der Gerechtigkeit; kommet in den Hain der Seligkeit« Décsy, »Osmanographie«..

Gül-Bejaze erwachte. Halil wäscht sich die Hände, und sein Angesicht gegen Mehrab wendend, beginnt er zu beten Zeigetafeln, welche die Lage Mekkas angeben, wohin sich der Mohammedaner zu wenden hat, wenn er betet. Anm. d. Übers..

Vergebens sandte er jedoch Gül-Bejaze von sich (Frauen dürfen nicht beim Gebet der Männer und diese nicht beim Gebet der Frauen zugegen sein), vergebens hob er die Hände zum Himmel empor, vergebens kniete er nieder und berührte mit dem Gesichte die Erde – in seinem Herzen wühlten andere Gedanken, erschreckende, störende Ideen, so daß er bereits dachte, daß jener Gott gar nicht mehr lebe, zu dem er betet, denn so wie hier auf Erden sein Reich zerstört wurde, so nahm es auch im Himmel oben sein Ende. Dreimal mußte er sein Gebet von neuem beginnen, denn dreimal unterbrach ihn der Husten und ein unterbrochenes Gebet darf nicht fortgesetzt werden. Noch einmal warf er einen Blick auf die in Dunkelheit gehüllte Stadt und fühlte sich traurig darüber, daß er nirgends einen Halbmond glänzen sah und damit ging er hinein, suchte Gül-Bejaze auf und erzählte ihr schöne Feenmärchen, wie er sie in jenem Talikbuche gelesen.

Am nächsten Tage versammelte Halil in seinem geheimen Gemach alle, zu denen er Vertrauen hatte.

Unter ihnen befand sich Kaplan Giraj (Tiger), ein Glied der tartarischen über die Krim herrschenden Fürstenfamilie, Mussli, der alte Wuadi, Mohammed Derwisch und Sulali.

Sulali schrieb nieder, was Halil sprach.

»Muselmans! Gestern las ich vor dem Abdestan ein Buch, welches Takimi Vekai heißt.«

»Jash Allah!« riefen die Mohammedaner schmerzlich aus.

»In diesem Buche ist der Untergang des osmanischen Reiches prophezeit. Das Jahr, der Tag wird kommen, da man Allah nicht mehr anruft, bei den Springbrunnen ertönt das Glockengeläute der Herden und in den Türmen die Stimmen der Christenglocken, deren Klänge Allah verhaßt sind. Die Giaurs werden mit den Köpfen der Gläubigen Ball spielen und über ihren Gräbern Häuser erbauen.«

»Mash Allah! Gottes Wille geschehe!« sprach der alte Derwisch Mohammed zitternden Tones; »dann werden wir alle im Paradiese sein, oben im siebenten Himmel, dessen Boden aus lauterem Kraftmehl, Ambra, Bisam und Safran besteht und dessen Steine Hyazinthensteine und dessen Kiesel echte Perlen sind, welche des Tubabaumes glückseliger Schatten deckt; dies ist ein Baum mit goldenen Blüten, silbernen Blättern und süßen Früchten, aus dessen Stamme Milch, Wein und Honig fließt. Dort sind die Wohnungen Mohammeds, Jesus und Moses in unaussprechlicher Pracht erbaut und über die Wohnstätte eines jeden Gläubigen neigen sich die Äste des heiligen Baumes, dessen Früchte niemals schwinden, niemals trocknen und niemals verfaulen, und hier werden wir in diesem glänzenden Paradiese wohnen, wo jeder Gläubige seinen Palast hat und in jedem Palaste werden ihm zweiundsiebenzig schöne herrliche Huris entgegenlächeln; junge, ewig schöne Jungfrauen, deren Gesicht niemals eine Runzel erhält und die hundertmal liebeglühender sind als die irdischen Frauen.«

Ruhig hörte Halil des greisen Vueli Lobpreisungen der Freuden des Paradieses an.

»Alles, was du da gesagt, ist schön und wahr, doch entsinne dich auch dessen, was der Prophet geschrieben über die Beurteilung der Sünden und Verdienste. Wenn der Engel Azrael unsere Leiber unmerklich von unseren Seelen trennt, und man uns begrabend, den doppelten Grabstein, auf welchem geschrieben steht: Dame Allah ju te ale Siemaeti (Gott möge ihm ewiglich gnädig sein) zu unseren Häupten stellt, kommen die beiden richtenden Engel Monker und Nakir zu uns. Und sie werden uns fragen, ob wir die Gebote des Propheten befolgt? Wir werden mit zitternden Lippen antworten. Und wenn sie uns fragen werden, ob ihr den wahren Glauben verteidigt habt, ob ihr das Vaterland gegen die Ungläubigen beschützt habt? was werden wir da antworten? Glücklich die, die da antworten können: »ich habe erfüllt, was mir anvertraut worden«; ihre Seelen werden in Ismaels Brunnen das Endurteil erwarten; – die aber antworten werden: »ich sah die Gefahr, welche das Volk der Osmanen bedrohte, es ist in meiner Macht gelegen zu helfen, und ich tat es nicht«, die werden von den Engeln mit eisernen Ruten gepeitscht werden, ihre Seelen werden in Morhuts Grube geworfen, wo sie bis zum jüngsten Gericht verharren müssen. Und wenn die Posaune des Engels Israsil erschallt und das Wunderbild vom Berge Safa erscheint und auf die Stirne des Menschen das Wort »Mumem« (Gläubiger) oder »Giaur« (Ungläubiger) schreibt; wenn der Al-Dallaja (Antichrist) kommt und das Volk der Osmanen ausrottet; wenn Christus vom Himmel steigt und Al-Dallaja tötet; wenn die Scharen des Gog und Magog kommen und die Gläubigen Christi ausrotten, das Wasser der Flüsse austrinken und der Mohdi endlich alle umbringt; dann beim Krachen der Berge, am Tage, da die Sterne vom Himmel fallen, wenn die Erzengel Gabriel und Michael die Gräber öffnen und vor Allahs Angesicht all die zitternden bleichen Gestalten führen, die durchsichtig sein werden gleich dem Kristall und jeder Gedanken in ihren Herzen lesbar sein wird – was werdet ihr da antworten? Ihr, deren Macht es anheimgegeben ist, Mohammeds Reich zu erhalten, in deren Händen das Schwert und in deren Köpfen der Verstand gegeben wurde, um das Reich zu befestigen, wenn die ehernen Worte ertönen werden: habt ihr das Verderben gesehen und habt ihr demselben Einhalt getan: was wird es dir, greiser Vueli, und den übrigen nützen, daß ihr niemals die Abdestan-, Güzül- und Thuharetwaschung, noch die fünf Namazalgebete versäumtet; daß ihr am Ramazat fastetet und das Fejramfest feiertet; daß ihr die Zakat (die vom Koran vorgeschriebenen Almosen) reichlich austeiltet; daß ihr so und so oft zur Kaba nach Mekka (wo Mohammed geboren wurde) gepilgert seid, daß ihr den verzeihungverheißenden schwarzen Stein geküßt, aus Zenzemets Brunnen (Hagars Brunnen) getrunken, siebenmal den Arafberg umschritten und im Dschemrettale Steine gegen den Teufel geschleudert habt, wenn ihr auf diese Frage nicht antworten könnt? Denn wer gegen Gott gesündigt, dem verzeiht Gott; wer gegen seinen Nächsten gesündigt, dem kann sein Nächster verzeihen; wer aber gegen sich selbst gesündigt – von wem sollte denn der Verzeihung erbitten? Wehe euch, und wehe uns allen, die wir sehen, hören und dennoch träumen! Denn da wir die Alschiratbrücke betreten werden, über deren haarscharfen Rand jeder Gläubige ins Paradies hinüberläuft, wird uns die Last dieser einzigen Sünde in die Tiefe hinunterreißen, hinunter in die Hölle; aber nicht in die erste Hölle, in die Jehenna, wo die Gläubigen büßen, nicht in die Badhana, wo die Seelen der Juden gereinigt werden, auch nicht in die Hotama, wo die Christen seufzen, und nicht in die Sair, welche den Ketzern gehört, auch nicht in die Sakar, wo die Feueranbeter das Feuer verfluchen, und nicht in die Jahim, welche von dem Gebrüll der Götzenanbeter widerhallt, sondern sie wird uns hinunterreißen in die tiefste, in die verdammteste: in die siebente Hölle, deren Name Al-Havija ist, und wo bloß diejenigen büßen, die sich nur mit dem Munde zum Glauben bekannten und ihn niemals im Herzen fühlten; denn wir beteten Lügen, als wir sagten, daß wir Allah anbeten und dabei seine Tempel beflecken ließen!«

Diese Worte erschütterten die Herzen der Anwesenden. Jeder Satz behandelte den gewichtigsten aller moslemitischen Begriffe, es war dies ein an die Brennpunkte ihrer Politik, Religion und ihres öffentlichen Lebens geknüpftes Netz, mit welchem Halil ihre Seelen umgarnte, so daß sie, die Arme über der Brust kreuzend, sich verneigten und sagten:

»Befiehl mit uns, und wir werden gehorchen.«

Mit der Begeisterung eines Sehers sprach Halil Patrona zu den versammelten Männern:

»Wehe uns, wenn wir meinen, die angedrohten Tage seien noch ferne! Wehe uns, wenn wir glauben, die Sünden, welche das Volk der Osmanen verderben, seien noch nicht begangen. Solange unsere Vorfahren unter Zelten und Tierhäuten wohnten, zitterte die ganze Welt vor unserem Namen, seitdem aber das Volk der Osmanen in Samt und Seide geht, ist es zum Gespött unserer Feinde geworden. Sie züchten Blumen in den Palästen, unsere Großen verbringen ihre Tage bei Wein, Musik und in den Armen der Weiber, sie entsetzen sich vor dem Schlachtfelde und – o Schrecken! – sie spotten Allahs. Wenn es unter den Giaurs Gottesleugner gibt, so wundert es mich nicht, denn das viele weltliche Wissen beraubt sie ihrer Sinne; aber wie kann ein Muselman sein Haupt gegen Gott erheben, ein Muselman, der in seinem Leben nichts weiter gelernt hat, als Ehrfurcht gegen Gott; wie kann am Abend des Halwetfestes ein Scheik, ein Nachkomme der Familie des Propheten, ein Scheik, vor dem sich das Volk in Ehrfurcht verneigt, solche Worte vor den vom Weine berauschten Chodschagias (Palastherren) aussprechen: ›Es gibt keinen Allah, oder wenn es einen Allah gibt, so ist er nicht allmächtig; denn wenn er allmächtig wäre, würde er mir verbieten zu sagen: es gibt keinen Allah!‹«

Entsetzt brauste es unter den Anwesenden auf und gleich dem immer entfernteren Heulen des Windes verstummten nur allmählich die Kundgebungen des Abscheus unter ihnen.

»Wer war der Verfluchte?« schrie Mohammed Derwisch und drohte mit den geballten Fäusten.

»Uzun Abdi, der Janitscharenaga war es,« antwortete Patrona; »er sprach diese Worte und die übrigen lachten über dieselben.«

»Mögen sie alle verflucht sein!«

»Der Reichtum hat die Herzen der Osmanliks verdorben. Die das Geschick unseres Landes leiten, die Günstlinge der Sultanin, die Sklaven des Kislar Aga, die Idsoglans, deren Entartung das Schicksal Sodoms und Gomorrahs auf Stambul herabflehen: diese werden unsere Lenker, unsere Schatzverwalter, und wenn das Schicksal zuweilen einen Helden unter sie führt, gleich dem auf Ruß gefallenen Wassertropfen, so wird auch er schwarz, denn die Schätze, Paläste und Freudenmädchen des der Gunst verlustig gegangenen Anführers gehen auf ihn über und verderben auch ihn, gleich seinem Vorgänger und solange diese Paläste an den süßen Wassern stehen, werden in Stambuls Mauern mehr Flüche als Gebete laut werden! Und deshalb, wenn ihr Stambul retten wollt, so steckt die Paläste in Brand, denn Gott lebt, damit diese Paläste Stambul verzehren!«

»Wir werden zum Sultan gehen,« sprach der Derwisch Mohammed.«

»Sie müssen niedergerissen werden, denn kein Gerechter wohnt in denselben. Möge das ganze Steinreich erbeben; sündig ist, wer die anderen auch nur mit einem Kopfe überragt. Die zu unterst sind, mögen erhoben werden. Hinunter mit euch, ihr um Geld erkaufte Wojwoden, Khans und Paschas, die ihr einen Teil des Landes für Geld erkauftet und es neuerdings für Geld verschachert. Andere, unbekannte, kampfesmutige Männer mögen an eure Stellen kommen. Selbst die Luft ist bestochen, in welcher jene lebten. Seit einiger Zeit kursieren geprägte Goldstücke und Taler mit Gestalten und Löwenköpfen auf dem Markte, obschon es bekannt ist, daß auf das Geld des Muselmans keine Figuren geprägt werden und daß uns weder Russen, noch Polen, noch Schweden Tribut entrichten und dennoch kursiert dieses Geld unter uns. O, seitdem Baltadschi den Kaiser des Nordens, den weißen Bart (Peter der Große) entkommen ließ, wissen sie sehr gut, daß mit Gold und Silber weiter und sicherer ins Schwarze zu treffen ist, als mit Blei und Eisen. Wir müssen eine neue Welt erschaffen, niemand soll von der alten übrig bleiben. Verfertiget eine lange Liste und unterbreitet dieselbe dem Großwesir. Weigert er sich, dieselbe anzunehmen, so setzet statt ihn auch einen anderen auf die Liste und traget sie zum Sultan. Wehe, wehe dem Osmanenvolke, wenn sich unter ihm nicht so viele rechtliche Menschen fänden, als wie es deren benötigt.«

Hierauf verfertigten die Versammelten rasch eine lange Liste, auf welcher sie für jedes bedeutendere Amt des Landes neue Kandidaten bestimmten. An die Stelle des Kapudan setzten sie den Chodscha Dschamüm, an die Stelle des Ministers des Innern den Beg Mustafa und für die Stelle des Janitscharenaga bestimmten sie Mussli; die gegenwärtigen Richter und Kämmerer wurden verbannt, die Verbannten zurückgerufen; an die Stelle des fremdländischen Maurocordato wurde dessen Feind, der Dschihan genannte Richard Rakovicza zum Wojwoden der Walachei ernannt. Zum Herzog der Moldau wurde statt Ghyka der Peraer Fleischhauer Janaki ernannt und an die Stelle des Chans von der Krim Mengligiraj ward der anwesende Kaplan Giraj auf den Thron seiner Väter berufen.

Dankend für dieses Vertrauen reichte Kaplan Giraj Halil die Hand.

Und sonderbar! Als Halil die Hand des Khans drückte, schien ein elektrisches Zucken durch seinen Arm zu gehen.

Was bedeutet das?

Da stellte sich Mussli vor ihn hin.

»Gestatte mir,« sprach er; »daß ich mit dieser Liste zum Großwesir gehe. Du warst einmal bereits im Serail, überlasse nun mir den Ruhm, auch eine Probe meines Mutes geben zu können; nimm nicht allen Ruhm für dich in Anspruch, lasse auch anderen etwas. Denn dann würde es sich auch gar nicht passen, wenn du deine Botschaften im Serail selbst überbrächtest. Sieh, die Giaursfürsten kommen auch nicht selbst, sondern senden Abgesandte.«

Gerührt reicht Halil Patrona dem Janitscharen die Hand. Er wußte, daß nicht Ruhmsucht aus ihm spreche, sondern daß er aus dem Grunde an seiner Stelle gehen wolle, weil es geschehen kann, daß der Überreicher dieser Forderungen sofort enthauptet wird.

Noch einmal bat Mussli Halil inständig, ihn mit dem Unterbreiten dieser Forderungen zu betrauen, und stellte seine Bitten so dringend und derart mit seinem Stolze verknüpft dar, daß es ihm Halil Patrona nicht abschlagen konnte.

Mussli war ein Schlaukopf. Er wußte, daß es ein sehr gewagtes Unterfangen sei, mit einer solchen Menge von Forderungen auf einmal vorzutreten und deshalb teilte er die Sache seinem eigenen Verstande gemäß derart ein, daß der überraschte Großwesir nicht zu Atem kommen, und wenn er die erste Forderung bewilligte, die zweite nicht verweigern könne.

Der neue Großwesir führte den Beinamen Kabakulak, Grobohr, weil er schwer hörte, was ein großes Glück für Mussli war, da dieser auch für gewöhnlich sehr zu schreien pflegte.

Anfänglich wollte Kabakulak absolut gar nichts hören. Er schien vollständig taub geworden zu sein und ließ sich alles dreimal wiederholen. Als ihm aber Mussli ungefähr das Folgende sagte: wenn du nicht hören willst, so gehe ich zum Sultan und werde mit ihm sprechen, da öffneten sich seine Ohren ein wenig, er wurde gnädiger und fragte Mussli ganz freundlich, womit er ihm dienen könne?

Das gezwungene Schreien erhöhte Musslis Mut.

»Halil Patrona befiehlt es dir!« schrie er Kabakulak ins Ohr.

Der Großwesir warf den Kopf zurück. Vor Schrecken über den Sinn der Worte, oder vor dem übermäßigen Schreien?

»Nun, nun, mein Sohn, schreie mir doch nicht in die Ohren, wie wenn ich taub wäre. Worum bittet mich Halil Patrona?«

»Deutele nicht an meinen Worten, alte Eule.« (Dies sprach Mussli indessen mit leiser Stimme). »Er will, du mögest den Dschamüm Chodscha zum Kapudan Pascha ernennen.«

»Gut, gut, mein Sohn; ich wollte es ja selbst so, und das ist schon längst bestimmt worden. Du kannst nun nach Hause gehen.«

»Ich kann noch lange nicht ... Die Walachei muß einen neuen Wojwoden haben.«

»Sie hat ihn schon, mein Sohn. Er heißt Maurokordato; kannst du's behalten? Mau-ro-kor-da-to!«

»Ich bemühe meine Zunge gar nicht damit. Dafür kann ich aber Dschihan aussprechen.«

»Was soll's denn mit Dschihan?«

»Fürst der Walachei soll er werden.«

»Gut, soll geschehen, und was willst du werden?«

Mussli kandidierte auf der Liste als Janitscharenaga; doch schämte er sich, über sich selbst zu sprechen.

»Nur mich lasse aus dem Spiele, Kabakulak, solange von würdigeren Leuten die Rede ist. Wir wollen den Fürsten der Krim absetzen und statt ihm den verbannten Kaplan Giraj.«

»Nun, wir werden Mengligiraj von seiner Enthebung in Kenntnis setzen.«

»Nicht, wir werden, sondern gleich! Sofort, augenblicklich und ohne jede Verzögerung!«

Mussli begleitete seine Rede mit solchen Gestikulationen, dass es der Großwesir für ratsam hielt, zu retirieren.

»Nun, fehlt dir sonst noch was?« fragte er sodann Mussli, der nun schwieg, da er die übrigen Forderungen vergessen hatte.

»Ganz gewiß!« antwortete er, setzte sich gemächlich auf die Erde, zog die ihm anvertraute Liste aus dem Busen und dieselbe ganz bequem vor sich ausbreitend, zählte er Halils Ernennungen der Reihe nach her.

Der Großwesir bestätigte alles, ohne eine einzige Einwendung zu erheben.

Ganz zu Ende folgte Janaki.

»Und diesen mußt du zum Fürsten der Moldau ernennen.«

Kabakulak war mit einem Male taub geworden. Er vernahm die Bitte nicht.

Mussli ging hin zu ihm, machte ein Schallrohr aus der flachen Hand und schrie ihm derart ins Ohr:

»Ich sagte Janaki.«

»So! ich höre ja. Du willst, er möge die Küche des Sultans mit Rindfleisch versehen? Gut, es soll geschehen.«

»Daß doch der Engel Israsil dir seine Posaune an dein Ohr halte!« sagte Mussli leise; »da ist keine Rede von einem Fleischerladen, sondern davon, daß du ihn zum Fürsten der Moldau ernennst.«

Kabakulak fand es nunmehr für angezeigt, den Wunsch zu vernehmen und er antwortete ernsthaft:

»Du weißt nicht, was du willst! Vor genau vier Tagen hat der Padischah diese Stellung dem Herzoge Ghyka verliehen, der ein sehr weiser und vornehmer Mann ist. Und der Sultan kann doch sein Wort nicht zurückziehen.«

»Ein weiser und vornehmer Mann?« fragte Mussli staunend. »Was soll ich hierunter verstehen? Welcher Unterschied ist denn zwischen einem Giaur und einem anderen Giaur vorhanden Musslis eigene Worte, nach: Histoire des deux rebellions.

»Der Sultan fand dies so für gut, und ohne sein Vorwissen kann ich seine Taten nicht widerrufen.«

»Nun so gehe zurück zum Sultan und er soll selbst widerrufen, was er getan, sonst aber mache, was du willst, und achte auf das eine, daß du Halil Patronas Gunst ja nicht verlierst Musslis eigene Worte, nach: Histoire des deux rebellions.

Kabakulak wünschte Mussli bereits über alle Berge, während dieser noch immer in seiner Liste herumsuchte. Er erinnerte sich, daß ihm Halil noch etwas aufgetragen hatte, nur wußte er nicht, was?

»Ja ich habe es; endlich ist es mir eingefallen. Halil Patrona befahl, jene abscheulichen Paläste an den Ufern der süßen Wasser in Brand stecken zu dürfen.«

»So bittet doch auch um Erlaubnis, verehrliche Brandstifter, Stambul auszurauben.«

»Du tust sehr unrecht, Kabakulak, indem du so sprichst. Halil will jene Paläste nicht deshalb in Brand stecken, weil ihm das Vergnügen bereitet, sondern damit die Verräter keine Stätte hätten, wo sie sich verbergen, Blumen züchten und wollüstige Freuden suchen können, gerade dann, wenn sie in den Kampf ziehen sollten. Wenn nicht jeder Pascha sein eigenes Paradies auf Erden haben wird, werden sie sich mehr nach dem himmlischen Paradies sehnen. Und aus diesem Grunde will Halil Patrona die Wohnstätten der Üppigkeit verbrennen.«

»Möge er lange leben. Ich werde dies gleichfalls dem Sultan berichten.«

»Nun, mach rasch. – Ich werde dich indessen hier in deinem Zimmer erwarten.«

»Hier wirst du warten?«

»Ängstige dich nicht meinethalben. Ich habe hinterlassen, daß man mir mein Mittagsessen hierherbringe; Kaffee und Tabak wirst du mir geben, und wenn du bis morgen früh ausbleiben solltest, so werde ich hier auf dem Teppich schlafen.«

Kabakulak sah ein, daß er es mit einem entschlossenen Menschen zu tun habe, der sich nicht früher vom Fleck rührt, als bis er vollständig befriedigt ist. Es wäre ihm wohl freigestellt, ihn auf die einfachste Weise zu befriedigen, das heißt, einige Soldaten herein zu rufen und dem Kerl den Schädel zu den Füßen legen zu lassen, doch war der Horizont zu solchen Wagnissen noch nicht rein genug. Die Scharen der Aufständischen kampierten noch draußen auf den Marktplätzen. Erst mußten sie beschwichtigt werden, und dann konnte man etwas gegen sie unternehmen.

Der Großwesir konnte nichts weiter tun, als dem Sultan Halil Patronas Forderungen in aller Aufrichtigkeit unterbreiten.

Mahmud bestätigte alles.

Schon nach einer Stunde war Mussli im Besitz der gewünschten Ernennungen, Verbannungsfermans und Hattischeriffs.

Blos in bezug auf die Zerstörungsmanier der Kiosks bemerkte der Sultan, »dieselben sollten nicht in Brand gesteckt werden, da man sich dadurch vor den christlichen Völkern lächerlich machen würde, sondern man solle die Mauern niederreißen und die Vergnügungsgärten ausrotten.«

Und binnen drei Tagen wurden hundertundzwanzig prächtige Kiosks an den Ufern der süßen Wasser in Schutt und Trümmer gelegt; die Pflanzen der prächtigen Blumengärten wurden ins Wasser geworfen und die Haine der Liebeständeleien samt den Wurzeln ausgerottet. Bloß Ruinen sind mehr von jenen feenhaften Räumen übrig, wo einstmals alle Arten von Erdenwonnen hausten und welche Halil Patrona binnen drei Tagen zerstören ließ, damit, so wie es nur einen Gott gibt, es auch nur ein Paradies und auch nicht auf Erden, sondern oben im Himmel gebe, damit, wer es erreichen will, darum zu kämpfen lerne.


 << zurück weiter >>