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3. Sultan Achmed.

Die Sonne schien bereits durch die Fenster des Serails; die beiden Ulemas, die mit dem Sultan zu beten pflegten, hatten sich soeben entfernt und der Kapu Agassi und der Anaktar Oglan (Obertürsteher und Schlüsselbewahrer) eilen die Türen zu öffnen, durch welche der Padischah in sein Ankleidezimmer zu treten pflegt, wo seiner bereits die bedeutendsten Persönlichkeiten des Hofes harren: Der Khaß-Oda Baschi (Oberankleider), der Tschohodar, der dem Sultan den Oberrock umgibt, der Dulbendar, der den Schal um seine Mitte schlingt, der Berber-Baschi, der ihm den Kopf rasiert, der Ibrikdar aga, der ihm die Hände wäscht, der Peschkiridschi-Baschi, der dieselben abtrocknet, der Scherbedschi-Baschi, der seinen Trank zurechtmacht, und der Tirnakdschi-Baschi, der ihm die Nägel schneidet. Alle verneigen sich in tiefster Demut und Ehrfurcht bis zur Erde, als sie das Antlitz des Padischah erblicken, der durch die zahllosen geschnitzten Türen in sein Ankleidezimmer tritt.

Es ist dies ein einfacher sechseckiger Raum, mit hohen, mit goldenem Gitter versehenen Fenstern, dessen ganze Schönheit darin besteht, daß seine Wände mit Amethysten ausgelegt sind, von deren Hyazinthenfarbe die aus Topasen und Dalmatinen eingelegten Arabesken lebhaft abstechen. Der Padischah ist ein großer Liebhaber von Edelsteinen; jedes Stück seines Anzuges funkelt von Diamanten, Rubinen und Perlen, und seine Finger verschwinden beinahe unter der Menge der sie bedeckenden Ringe. Er findet seine Freude an dieser Pracht. Und sein Gesicht steht im Einklange mit diesem Glanze. Es ist ein sanftes, freundliches, leuchtendes Gesicht, gleich dem eines Vaters, der unter seine Kinder tritt. Seine großen träumerischen Augen ruhen milde auf dem Gesicht eines jeden, die schöne glatte Stirn ist von keiner Runzel entstellt, man sieht, daß er dieselbe nicht in Falten zu legen pflegt, daß er niemals zürnt: der lange, dichte, schwarze Bart zeigt kein graues Härchen; – es ist leicht ersichtlich, daß er keinen Kummer hat, daß er sehr glücklich ist.

Er ist es wirklich. Seit siebenundzwanzig Jahren sitzt er auf dem Throne. Es mag sein, daß sich während diesen siebenundzwanzig Jahren solche Dinge in seinem Reiche ereigneten, über welche er keinen Grund zur Freude hätte, doch segnete ihn Allah mit der Gabe, daß er sich nicht um derlei traurige Dinge kümmerte, sondern, gleich jedem Philosophen, sich dessen freute, worüber man sich freuen konnte. Er liebte die schönen Blumen und schönen Frauen; auch besaß er beides in Hülle und Fülle. Sein Garten war großartiger als unter Soliman »dem Prächtigen«, und daß sein Serail nicht freudenleer war, bewies die Tatsache, daß er bis zurzeit glücklicher Vater von einunddreißig Kindern geworden.

Heute mußte er ausnehmend gute Träume gehabt haben, oder mochten die Märchen der Sultanin Asseki (Favoritin) der unvergleichlich schönen Aldschalis sehr unterhaltend gewesen sein, oder war des Nachts eine neue Tulpenart erblüht, denn er reichte jedem die Hand zum Kusse, und als der Berberbaschi das Kissen unter ihm zurechtrückte, tätschelte er dessen gesundheitstrotzende Wangen, welche sich der ehrenwerte Baschi noch zur Zeit, da er in Zara Barbiergehilfe gewesen, angelegt und die er seither so sorgfältig gehegt hatte, daß dieselben jedwedem Berberbaschi zur Ehre gereicht hätten.

»Allah möge dafür sorgen, daß dein Mund niemals gegen deine Hand zu klagen habe, wackerer Berberbaschi. Was hat sich seit gestern neues in der Stadt zugetragen?«

Es scheint, daß die Berberbaschis auch in Stambul dafür bekannt sind, daß sie die Ereignisse des Tages mit Aufmerksamkeit zu begleiten und dann solche auch anderen mitzuteilen lieben, um jene Langeweile zu verscheuchen, welche durch das Rasieren gewöhnlich herbeigeführt wird.

»Wenn du mich dessen für würdig erachtest, großmächtigster und allergnädigster Herr, daß die Worte, die aus dem verdienstlosen Munde deines unwürdigsten Knechtes kommen, an dein für himmlische Laute geschaffenes Ohr tönen, so will ich dir erzählen, was sich jüngst in Stambul zugetragen.«

Der Sultan spielte mit seinen Ringen, welche er von einem Finger auf den anderen gleiten ließ.

»Du hast mir befohlen, allergroßmütigster Padischah,« begann der Berberbaschi, indem er den perlenbesetzten Kauk (Turban) von dem Haupte des Großherrn löste, »nachzuforschen, was sich weiterhin mit Gül-Bejaze begab, nachdem sie aus deinem Harem entfernt wurde? Vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zum Morgen forschte ich von Haus zu Haus; ich fragte, horchte, spionierte, mengte mich verkleidet unter die Händler, knüpfte Unterhaltungen an mit ihnen, bis ich der Sache endlich auf den Grund kam. Lange wagte niemand das Mädchen zu kaufen, denn es gehört sich, daß niemand aufzuheben wage, was der mächtigste Herr der Welt von sich wirft, und wo er die Asche seiner Pfeife ausklopft, dem Platze weiche jeder aus und wage ja niemand, seinen Fuß auf dieselbe zu setzen. Es fand sich indessen ein verwegener Mann im Basar, den der Anblick der Schönheit des Mädchens verführte und der dasselbe von dem Ausrufer für fünftausend Piaster kaufte. Dies war sein ganzes Geld, welches er von einem fremden Fleischhauer, den er in seinem Hause aufgenommen, zum Geschenke erhalten hatte.«

»Wie heißt dieser Mann?«

»Halil Patrona.«

»Was geschah dann weiter?«

»Der Mann nahm das Mädchen mit sich nach Hause, da dessen Schönheit jeden überwältigen mußte, der da noch nicht weiß, was sich mit demselben im Serail, in den Kiosks des Kiaja Begs und Damad Ibrahims und im Harem des weißen Herzogs zugetragen. Es ist in der Tat eine Wonne, dieses Mädchen zu sehen und leichtlich kann seinethalben jemand den Verstand verlieren, der noch nicht weiß, daß die schöne Blume nur betrachtet, nicht aber gepflückt werden kann, daß die schöne und die Huris des Paradieses beschämende Gestalt sofort tot und starr wird, sobald sie von der Hand eines Mannes berührt wird und daß weder das sonnengleich erwärmende Angesicht des Padischah noch der Zorn des Großwesirs, noch die Geißelhiebe der Sultanin Asseki, noch das Flehen des weißen Herzogs sie aus dieser Totenstarre zu erwecken vermochte.«

»Und forschtest du danach, was sich weiterhin mit diesem Mädchen begab?«

»Gesegnet sei jedes Wort, welches von deinen Lippen mich betrifft, o allermächtigster Padischah. Ja, ich forschte danach. Der fromme Krämer nahm das Mädchen mit sich nach Hause und freute sich unbändig, daß er alles, was er besessen, für dasselbe hingeben konnte. Er ließ es an seiner Seite niedersitzen. Er genoß das Abendessen mit ihm, wollte es sodann umarmen, zog es an seinen Busen und in demselben Momente sank das Mädchen tot in seinen Armen zusammen, wobei es ein zauberkräftiges Wort aussprach, wie es jedesmal tat, sobald es von einem Manne berührt ward und vor welchem der Prophet jeden Gläubigen beschützen wolle. Es ist das der Name jener heiligen Frau, deren Bildnis die Giaurs auf ihren Fahnen haben und diesen Namen rufen sie auch an, wenn sie in den Kampf gegen die Gläubigen ziehen.«

»Ward der Käufer zornig?«

»Nein; er ergab sich im Gegenteile darein und seit jener Zeit läßt er das Mädchen in Frieden. Er betrachtet sie wie eine Fee, wie es Sitte ist, die Wahnsinnigen zu betrachten, denen niemand etwas zuleide tut. Sie bewegt sich völlig frei in seinem Hause. Halil läßt sie keine schwere Arbeit verrichten, lieber besorgt er alles selbst, so daß sein Name unter jenen, die ihn kennen, schon sprichwörtlich zu werden beginnt, denn man sagt, Halil habe sich eine Sklavin gekauft und sei nun selbst deren Sklave geworden.«

»Das ist in der Tat eine merkwürdige Begebenheit,« sagte der Padischah; »trachte auch weiterhin in Erfahrung zu bringen, welchen Ausgang die Sache nehmen wird. Der Teßkeredschi Baschi Sekretär. soll zum ewigen Angedenken alles aufzeichnen, was du erzählst.«

Während dieses Gespräches hatte der Berberbaschi gewandt seine Operation mit dem Kopfe des Padischah beendet, worauf der Ibrikdar Aga kam, ihm die Hände wusch, welche der Peschkiridschi abtrocknete, der Tirnakdschi Baschi schnitt ihm die Nägel, der Dulbendar schlang den perlenbesetzten Kauk um sein Haupt und den langen indischen Schal um seine Hüften, der Tschohodar gab ihm den von Türkisen schweren Binis (Oberrock) um, der Ssilibdar umgürtete ihn mit dem edelsteinbesetzten Schwerte, worauf sich alle mit den gewohnten Ehrenbezeugungen entfernten und bloß der Khaß-Oda Baschi und der Kapu Agassi zurückblieben.

Der Khaß-Oda Baschi meldete, daß in den Vorhallen des Serails die zwei untertänigsten Diener des Sultans warteten: Abdullah der Obermufti und Damad Ibrahim der Großwesir, die dem Großherrn wichtige, das Wohl des Reiches betreffende Angelegenheiten zu unterbreiten haben.

Noch hatte der Sultan keine Antwort gegeben, als durch eine der zu dem Harem führenden Türen der Kislar Aga (Oberhaupt der Eunuchen), ein ehrenwerter schwarzer Herr mit gespaltenen Lippen eintrat, der das traurige Privilegium genießt, im Harem des Sultans frei ein- und auszugehen, ohne daß ihm dies Freude bereitet.

»Was willst du mein getreuer Diener, Kislar Aga?« sprach Achmed ihm entgegengehend und ihn von der Erde aufhebend, wohin sich jener vor ihm geworfen.

»Allergnädigster Padischah! Die Blume kann die Sonne nicht entbehren; die schönste, die duftendste der Blumen, die Sultanin Asseki sehnt sich, dein Angesicht zu sehen.«

Bei diesen Worten nahm Achmeds Gesicht einen noch sanfteren, noch lächelnderen Ausdruck an; er winkte dem Khaß-Oda Baschi und dem Kapu Agassi sich in das Nebengemach zurückzuziehen, während er den Kislar Aga zurückschickte, um die Sultanin Asseki vor sein Angesicht zu führen.

Aldschalis war eine wunderbare Damaszenerin. Die Natur hatte sie verschwenderisch mit allen Reizen ausgestattet; ihre Haut war weißer wie Elfenbein und glatter wie Samt. Neben ihren Locken ist die finsterste Nacht bloß ein Schatten und die Farbe ihrer vollen lächelnden Lippen beschämte den anbrechenden Morgen und die knospende Rose, und wenn sie mit ihren Augen, in denen die ganze Wonnewelt paradiesischer Freuden brannte, Achmed anblickte, fühlte der Padischah sein Herz wie von süßen Blitzen getroffen, und wenn diese zauberischen Lippen zu sprechen begannen, wer hätte sich den Worten derselben zu widersetzen vermocht? Achmed sicherlich nicht. Ach nein. »Verlange die Hälfte meines Reiches,« lautete die geringste jener Schmeicheleien, womit er sie zu überhäufen pflegte. Wenn er sie umarmen, wenn er in ihre brennenden Augen blicken, wenn er sie lächeln sehen kann, vergißt er Stambul und das Kriegsheer und den Krieg und die fremden Gesandten, was ein großer Segen des Propheten ist.

Die Lieblingssultanin trat mit jenem verführerischen Lächeln vor Achmed hin, welchem dieser niemals zu widerstehen vermochte und die Lippen des Sultans niemals eine weigernde Antwort aussprechen ließen.

Welch dringende Bitte mochte sie haben? Der Padischah hatte sich ja erst im Morgengrauen von ihr getrennt; welches Traumbild mochte sie seitdem gesehen haben, dessen Verwirklichung sie wünscht?

Der Sultan führte sie an der Hand zu seiner Purpurottomane und gestattete ihr, sich zu seinen Füßen zu setzen; die Sultanin faltete die Hände über den Knien des Padischah und ihre Augen zu seinem Gesichte emporhebend, spricht sie:

»Ich komme von deiner Tochter, der kleinen Eminah, die mich zu dir sendet, um statt ihrer deine Füße zu küssen. So oft ich sie sehe, mächtiger Chan, ist's mir, wie wenn ich dein Gesicht sähe und so oft ich ihr Antlitz betrachte, meine ich deine Züge vor mir zu sehen. Sie gleicht dir, wie der glänzende Stern der leuchtenden Sonne gleicht. Drei Jahre hat sie bereits zurückgelegt, nun tritt sie in das vierte und noch ist kein Gatte für sie gewählt. Heute morgen, als du dein Antlitz von mir wandtest, hatte ich folgendes Traumgesicht: Deine drei Töchter: Aisah, Hadischa und Eminah saßen unter prächtigen, glänzenden Zelten auf dem Pfeilplatze. Drei Zelte standen nebeneinander, das eine weiß, das zweite violettfarben, das dritte naphthagrün, in welchen die Herzoginnen in silberdurchwirkte Kapanidschaks gehüllt, saßen, mit den runden Selmiks auf den Köpfen und mit den sieben Glücksreifen geschmückt, welche dem Weibe Glück bringen und die folgenden sind: Das Istifan (Diadem), das Halsband, die Ohrringe, der Ring, der Gürtel, das Armband und die Mantelspange Diese sieben Zeichen bekommen die türkischen Bräute zum Geschenk. Anm. d. Übers.. Daneben erhoben sich wieder unzählige Zelte, dreierlei Blau, dreierlei Grün, welche von einer ganzen Menge der Emirs Defterdars, der Reis Effendis, der Mudarris und der Scheichs besetzt waren. Und drei hohe Palmenbäume waren vor dem Serail errichtet, welches Elefanten auf großen Rädern zogen und drei Gärten, in welchen jede Blume aus Zucker bereitet war und da begannen die Großwesire das Fest. Nach dem Handkuß vollzog der Obermufti die Zeremonie, bei welcher der Bräutigam durch den Kiaja und die Braut durch den Kislar Aga vertreten war und die alle wurden beschenkt. Nun kamen die Brautführer mit den Hochzeitsgeschenken, hundert Kamele mit Blumen und Obst beladen, ein Elefant mit Edelsteinen und glitzernden Schleiern; zwei Eunuchen brachten mit Smaragden ausgelegte Spiegel und die Miri-Achoren (Reitknechte) prächtig aufgezäumte Pferde. Hierauf kamen die Begleiter des Großherrn und ergötzten die staunenden Augen mit dem Dschiridschleudern; diesen folgten die Schlauchträger, in einem Zelte ließ man hölzerne Menschen und einen lebenden Zentauren spielen; dann sah man ägyptische Schwert- und Reiftänzer, indische Taschenspieler und Schlangenbändiger, denen der Obermufti folgte, der vor dir einen Vers aus dem Koran verlas, und denselben schön deutete. Hierauf folgten die Leute aus dem Arsenal, die auf großen Zylindern eine ganze Segelgaleere daherzogen, diesen wieder die Topidschiks (Kanoniere), die gleichfalls auf Zylindern eine Festung mit Kanonen versehen, aus welchen geschossen wurde, zu allgemeinem Staunen zeigten. Nunmehr folgte der Tanz der ägyptischen Opiumesser, welcher sehr sonderbar ist, wonach Affen und Bären sehr unterhaltende Dinge zum besten gaben: all dem folgte der Zug der Zünfte und die Bewirtung der Janitscharen, ganz zuletzt aber das Palmenfest, als diese nebst den Zuckergärten bis zu den Toren des Serails gebracht wurden und das Lampenfest, wobei zehntausend farbige Lampen zwischen zwanzigtausend blühenden Tulpen glühten, so daß man glauben konnte, daß die Lampen blühten und die Tulpen beleuchteten, dazwischen donnerten die Kanonen des Rumili und Anatoli Hissar und der Bosporus schien sich vor den glänzenden Schiffen und sprühenden Feuerwerken in ein Flammenmeer verwandelt zu haben. – Diesen Traum hatte deine alleruntertänigste Dienerin im Morgengrauen des zwölften Dschemachir (15. Juni), welches ein Glückstag der Osmanen ist.«

Es wäre eine sehr langweilige Sache, derlei Träume anzuhören, Achmed fand indessen großes Gefallen an derselben; die Festlichkeiten bereiteten ihm Freude und durch nichts konnte man sich seine Gunst so leicht erringen, als durch eine neue, auffallende, glänzende Pracht, wie sie seine Vorfahren noch nicht kannten. Aldschalis stand darum so hoch in seiner Gunst, da sie das Fest der Lampen und Tulpen erfunden, welches man alljährlich feierte und das »Palmenfest« war wieder eine neue Idee, gleich der der »Zuckergärten«. Entzückt umarmte Achmed die Lieblingssultanin und gelobte ihr, ihren Traum zu erfüllen, worauf er sie erst in den Harem entließ.

Der Kislar Aga ließ die draußen harrenden zwei Edelleute herein. Voran schritt der Obermufti, nach ihm kam Damad Ibrahim der Großwesir, beide mit schneeweißen langen Bärten und ernsten, ehrfurchtgebietenden Gesichtern.

Sie verneigten sich vor dem Sultan, küßten den Saum seines Mantels und blieben vor ihm auf der Erde liegen, bis er sie aufhob.

»Was führt Euch in das Serail, wackere Reichsstände?«

Wie es sich geziemte, begann der Oberpriester zu sprechen.

»Allergnädigster und allergroßmächtigster Herr! Entziehe uns nicht deine Gnade, da wir die Freuden deines Lebens mit unseren Worten stören, denn obschon der Schlaf ein Segen ist, ist wachen dennoch besser als schlafen, und wer die Gefahr nicht erkennen will, handelt, wie wenn er sich selbst bestehlen würde. Es wird dir bekannt sein, ruhmreichster Padischah, daß es Allah vor einigen Jahren zu gestatten gefiel, daß der Empörer Esref Persiens gesetzlichen Fürsten, den Schah Tamasip aus seiner Hauptstadt verjage. Der Fürst wurde ein Flüchtling und die Mutter des Fürsten fristete in Lumpen gehüllt als gemeine Dienste verrichtende Magd ihr Leben in Ispahan. Die osmanischen Waffen konnten dem Usurpator nicht gestatten, ruhig auf dem geraubten Throne zu sitzen und deine siegreichen Heere, welche Ibrahim und Nuuman Kuprili, der Nachkomme Kuprili des Tugendhaften anführten, eroberten Kormandschahan und einverleibten es deinem Reiche. Indessen gefiel es dem Propheten das Ereignen von Wundern zu gestatten. Plötzlich erscheint der verloren geglaubte Schah Tamasip mit einem winzigen Heere und schlägt in drei Schlachten, bei Ispahan, Damaghan und Derechar, Esref Chan, während dieser selbst auf der Flucht von Pferden zerstampft wird. Nun fordert der zurückgekehrte Fürst die eroberten Provinzen von der hohen Pforte zurück, und sein Großwesir Ssafikuli Chan nähert sich mit einem Heere gen Kuprilizade. Finsternis bedroht die Sonne der osmanischen Waffen. Allergroßmächtigster Herr! Lasse deinen Ruhm nicht dieser Schmach anheimfallen; wir haben mit dem Großwesir bereits das Heer gesammelt, welches an den Ufern des Bosporus bereit ist, jeden Moment die Schiffe zu besteigen, während fünfzehnhundert mit Geld und Lebensmitteln beladene Kamele nach den Grenzen für Nuumann vorausgeschickt worden sind. Nur ein Wort von dir, und das Reich wird eine bewaffnete Hand, deren Schlag ein zweites Reich zertrümmert; nur ein Wink deiner Augen, und die Erde speit Bewaffnete hervor, wie wenn die seit vierhundert Jahren gefallenen Osmanen alle auf einmal aus ihren Gräbern auferständen, um die Fahne des Propheten zu verteidigen. Diese Fahne mußt aber du ergreifen, ruhmreichster Padischah, denn nur deine Anwesenheit vermag unseren Waffen den Sieg zu verleihen. Und deshalb erhebe dich, umgürte deine Hüften mit Mohammeds Schwert und steige zu deinem Heere nieder, welches sehnsüchtig dem Anblicke deines Angesichts entgegenharrt, wie das Aufgehen der Sonne von dem Schlaflosen erwartet wird, dem die Nacht zu lange währt.«

Mild blickte Sultan Achmed auf den Sprecher nieder, wie wenn er, während jener sprach, an etwas ganz anderes dächte und kein Wort davon vernähme, was zu ihm gesprochen wird.

»Meine getreuen Diener!« sprach er freundlich lächelnd. »Der heutige Tag ist ein Glückstag für mich. Die Sultanin Asseki sah in der Morgendämmerung ein Traumbild, welches würdig ist, verwirklicht zu werden. Ein glänzendes Fest ward in Istambuls Gassen gefeiert, die ganze Stadt war erleuchtet, Lampen und Tulpen leuchteten in den Gärten der Puspangbäume und in den Höfen der Kiosks an den ›süßen Wassern‹ und aus beweglichen Palmen und Zucker bereitete Gärten wurden in den Straßen und auf Rollen bewegliche Galeeren und Burgen auf den öffentlichen Plätzen umhergeführt. Dieser Traum ist so schön, daß er der Verwirklichung würdig ist.«

Der Obermufti faltete die Hände über seiner Brust und verneigte sich.

»Allah akbar! Allah kerim! Gott ist allmächtig. Es sei, wie du befiehlst. Möge die Sonne im Westen aufgehen, so du es wünschest.«

Damit zog sich der Oberpriester zurück und schwieg.

Nun trat der greise Großwesir Damad Ibrahim hervor und mit dem Saume seines Kaftans die Tränen seiner Augen trocknend, blieb er traurig vor dem Padischah stehen und sprach:

»O Herr! Allah bestimmte gewisse Tage für die Freude, gewisse für die Trauer, und es ist nicht gut, dieselben miteinander zu verwechseln. Gegenwärtig ist keinerlei Ursache zur Freude, desto mehr aber zur Trauer vorhanden. Aus allen Teilen des Landes langen Trauerbotschaften ein, gleich schwarzen Raben, wenn ein Gewitter naht: Feuersbrunst, Seuchen, Erdbeben, Überschwemmungen und Stürme erschrecken das Volk. Im Laufe dieser Woche brannte Stambuls schönster Teil neben dem Chodsabascha nieder, vor einigen Wochen die Vorstadt Ejul längs des Meeresufers, als der andere Teil der Stadt aus Freude über die Geburt des Herzogs Murad illuminiert war. In Kallipolis schlug der Blitz in die Pulvermühle ein und sechshundert Arbeiter fanden den Tod. Der Bach Kiagaduhane schwoll eines Nachts derartig an, daß er das ganze Tal der süßen Wasser mit seinen Fluten übergoß und die aufgestellten Kanonen hinwegschwemmte, und jetzt hat sich sogar neben der Insel Santorin eine neue Insel aus dem Meere gehoben, die während dreier Monate fortwährend zunahm und solange sie im Zunehmen begriffen war, bebte unter Stambul die Erde. O Herr, dies ist kein gutes Zeichen für uns, und wenn du dem Rate deiner Knechte Gehör schenken willst, so ordne einen Fast- und Bußtag statt des Festes an, denn schlimme Tage ziehen für Stambul heran. Feindeswort ertönt an unseren Grenzen, von den Ufern des Ton (Donau), von den Gewässern des Pruth und von den Bergen Erivans, sowie von der Seite der Inseln her, und wenn jeder Muselman zehn Hände hätte, käme für jede ein Schwert, um das Reich damit zu verteidigen. Zürne meinem grauen Bart und bestrafe mich ob meiner Verwegenheit, aber ich sehe Stambul in Flammen gehüllt, so oft dasselbe zu einer Festlichkeit beleuchtet wird und erschrocken rufe ich dich und den Propheten an: Helfet!«

Sultan Achmed lächelte fortwährend gnädig. Seine Stimme war süß wie Honig, als er antwortete:

»Nicht wahr, wackerer Ibrahim, du hast einen Sohn Namens Omar, der das vierte Jahr bereits zurückgelegt hat? Auch ich habe eine Tochter, Eminah, die bereits drei Jahre zählt. Bei meiner Seele sei's geschworen, daß ich des Propheten Schwert erst umgürte und die Fahne der Gefahr erst ergreife, wenn ich die beiden miteinander verheiratet habe. Schon seit langer Zeit sind sie füreinander bestimmt und deine zunehmenden Verdienste erheischen eine Beschleunigung ihrer Vereinigung. Ich gelobte dies mit einem Eide der Sultanin Asseki und zurückschwören kann man nicht, wie es die ungläubigen Feueranbeter tun, die, wenn sie einen Eid oder ein Gelöbnis leisteten, die Worte verkehrt hersagen und dann meinen, ihres Schwures entbunden zu sein. Einem Gläubigen steht dies nicht an. Ich habe das Fest zu veranstalten versprochen und ich will, daß es sich prächtig gestalte.

Ibrahim stieß einen Seufzer aus und dankte traurig für diesen neuerlichen Beweis der großherrlichen Gunst. Zwar hätte die Verlobung noch verschoben werden können, der Bräutigam zählte ja erst vier, die Braut erst drei Jahre.

»Allah, kerim! Möge Gott deinen Schatten nicht kürzer werden lassen, großmächtiger Padischah!« sprach Damad Ibrahim, die Hand des Großherrn küssend; so verließen beide den Saal.

Traurig sprach beim Tore des Serails angekommen der Obermufti zum Großwesir:

»Es wäre besser gewesen, wenn wir beide nicht grau geworden wären!«

Achmed aber eilte in Begleitung der Bostandschicks (Gärtner) in den Garten der Puspangbäume zu seinen Tulpen hinunter.


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