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Einleitung

Kaudel, der arme Balthasar Kaudel war Einer von den Männern, welche Mutter Natur, in ihrer gewöhnlichen Vorliebe für das weibliche Geschlecht, nur auf die Erde gesetzt hatte um zu hören. Er schien in der That »ganz Ohr«, und diese Gehörwerkzeuge nahm denn auch Madame Kaudel (sein ihm angetrautes eheliches Gemahl, wie sie nicht verfehlte ihn dann und wann wissen zu lassen, da sie keineswegs zu den Frauen gehörte, die ihre Ketten tragen, ohne sie zu schütteln) ganz und gar für sich in Anspruch. Sie waren ihr alleiniges Eigenthum und scheinbar nur deshalb angefertigt, um ihre (Madame Kaudels) ausströmende Weisheit dem Gehirne ihres Ehegemahls so schnell und vollständig als möglich zuzuführen, und zwar auf dieselbe Art etwa, wie sie im Herbst ihren Obstwein durch den blechernen Trichter in die dazu bestimmten Flaschen füllte. Zwischen dem Wein und der Weisheit blieb nur noch der Unterschied, daß der erstere um ihn zu mildern versüßt wurde, die zweite dagegen nie. Scharf und bitter kam sie von den Lippen der Madame Kaudel, die sich dann auf die Sanftmuth ihres eheherrlichen Gemüths verließ, durch Vermischung des »Strengen mit dem Zarten« die gehörige und nöthige Harmonie hervorzubringen.

Philosophen haben schon oft darüber gestritten, welche Zeit, ob Morgen oder Abend, am geeignetsten für moralische Eindrücke wäre; der griechische Weise hat sogar gestanden, seine Arbeiten röchen nach der Lampe. Wenn das aber der Fall war, so roch Madame Kaudels Weisheit ohne Zweifel nach dem Nachtlicht. Sie wußte recht gut, daß ihr Gatte den Tag über durch sein Geschäft als Puppen- und Spielwaarenhändler zu viel in Anspruch genommen wurde, um in dieser Zeit ihre Lehren ordentlich und gehörig würdigen zu können; überdies war er ihr dann auch nicht gewiß, denn er konnte in jedem Augenblicke in den Laden hinaus gerufen werden. Nachts aber, von Abends eilf bis Morgens um sieben Uhr, gab es für ihn keinen Rückzug mehr, er mußte, einige verzweifelte Fälle ausgenommen, ruhig liegen bleiben und zuhören.

Manchem könnte es nun freilich scheinen, als ob Madame Kaudel hierin nicht ganz großmüthig gehandelt hätte; im Krieg aber wie in der Ehe ist jeder Vortheil, den man dem Feinde abgewinnen kann, erlaubt. Ueberdies folgte auch Madame Kaudel dabei sehr klassischen Autoritäten; der Vogel der Minerva, das klügste Geschöpf in Federn – schweigt den ganzen Tag; eben so machte es Madame Kaudel, – sie schrie blos Nachts.

Herr Kaudel besaß übrigens eine ausgezeichnete Constitution, wie diese einzige Thatsache vollkommen beweisen wird: daß er nämlich dreißig volle Jahre als Gatte seiner Frau bestand, und sie sogar noch überlebte. Ja! dreißig lange Jahre sprach und disputirte Madame Kaudel über Freuden, Leiden, Sorgen, Pflichten und Wechsel, die alle in dem anscheinend kleinen Zirkel, dem Trauring, vereinigt sind. Ich sage anscheinend kleinen Zirkel, denn das Ding, mit den gewöhnlichen blinden Maulwurfsaugen des flüchtigen Beschauers betrachtet, ist weiter Nichts als ein dünner Goldreif, gemacht, um an dem vierten Finger der rechten Hand getragen zu werden. Aber, wie der Ring des Saturn, umschließt er, in Gutem und Bösem, eine ganze Welt; oder, um ein weniger kolossales Bild zu nehmen, doch zum mindesten einen ungemein großen Landstrich, der aber freilich Arabia felix oder Arabia petraea sein kann.

Ein sauertöpfischer Cyniker könnte auch vielleicht den Trauring noch mit einem Circus vergleichen, wie sie früher Sitte waren und in welchem sich wilde Thiere, zum Vergnügen und zur Unterhaltung der umhersitzenden Zuschauer, zerkratzten und zerrissen; aber fort mit solchen Bildern. Nein, da mag er lieber einem Zauberring ähnlich sein, in welchem tanzende Elfen die rosigsten Ketten um die schwachen, lieben Menschenkinder schlingen.

Wenn es nun aber auch keinem weitern Zweifel unterliegt, daß Ringe auf diesem, unserem wunderlichen Erdball, zu sehr verschiedenen, oft mit einander gar nichts gemein habenden Zwecken verwendet werden, so sind wir dadurch keineswegs berechtigt, Schlüsse von dem einen auf den anderen zu ziehen; auch hat dies mit dem uns hier vorliegenden Fall gar nichts zu thun. Uns genügt es, wenn wir wissen, Herr Kaudel war verheirathet und wurde deshalb als Niederlage für die Weisheit seiner theueren Ehehälfte verwendet.

Madame Kaudel pickte, wie weiland Mahomets Taube, fortwährend an den Ohren ihres guten Mannes; aber wir haben durch seine Hinterlassenschaft wenigstens die Beruhigung gewonnen, das er ihre Worte nicht allein hörte, sondern auch bewahrte, und in dem heiteren Abend seines Lebens das niederschrieb, was jetzt, durch ewige Druckerschwärze, unsterblich gemacht werden soll.

Als Balthasar Kaudel in dieser dornenvollen, schicksalsharten Welt von seiner treuen Gattin allein zurückgelassen wurde, als er allen – allen ihren nächtlichen Ermahnungen entrückt, ach! für immer entrückt war, befand er sich gerade in der vollsten Blüthe seines siebenundfünfzigsten Jahres. Jede Nacht aber, und zwar drei volle Stunden lang, nachdem er sich niedergelegt hatte (denn solche Sclaven der Gewohnheit sind wir), konnte er kein Auge zuthun, und ein ruhiges Einschlafen schien zu den Unmöglichkeiten zu gehören. Seine Frau sprach noch an seiner Seite.

Freilich konnte es nicht geleugnet werden, daß sie todt und anständig begraben war, sein Geist – ( der Gedanke beruhigte ihn ungemein) – vermochte nicht sich in dieser Hinsicht zu irren; dennoch aber war sie bei ihm und das Gespenst ihrer Zunge sprach zu ihm wie in lieben, vergangenen Zeiten. Balthasar Kaudel konnte es ordentlich hören und verstehen, und so laut, so lebhaft waren manchmal die Klänge, daß er häufig mit einem kalten Schauder daran zweifelte, Wittwer zu sein, und sich dann erst vorsichtig, durch Ausstrecken eines Armes oder Beines überzeugte, ob er wirklich in seinem Ehebette allein liege und nicht blos so schön geträumt habe.

Trotzdem hörte aber die Stimme nicht auf, und es wurde ihm mit jedem Abend unheimlicher und bänglicher zu Muthe, wenn er fortwährend die spukenden Ermahnungen und Warnungen auf sich einströmen hörte, ohne die Haube seiner Frau zu sehen, aus der sie sonst hervorzuquellen pflegten. Jetzt sprach die Stimme aus den Gardinen, jetzt vom Kleiderschrank, nun vom Waschtisch und dann gar von dem eigenen Kissen aus, auf dem er lag.

»Es ist entsetzlich, daß ihre Zunge noch so herum gehen sollte,« sagte Balthasar zu sich selber, und dann dachte er an Exorcismus oder wenigstens sehr ernste Unterhaltung mit dem Prediger. Endlich, ob aus eigenem Antriebe oder von außen angeregt, beschloß er, an jedem Abend eine Gardinenpredigt seines seligen Weibes niederzuschreiben, das vertrieb vielleicht den Geist, der ihn plagte, denn ihre theuere Zunge rief nach Gerechtigkeit und gab sich, wenn befriedigt, möglicher Weise zur Ruhe, obgleich Kaudel bei dem Gedanken manchmal hoffnungslos den Kopf schüttelte.

Dennoch machte er den Versuch, und siehe da, es half. Treulich brachte er alle ihre früheren Predigten zu Papier und der Geist störte ihn nicht länger. Balthasar schlief in Frieden.

Nach Balthasar Kaudels Tode fand man unter seinen Papieren ein folgendermaßen überschriebenes Packet:

Gardinen-Predigten von Margarethe Kaudel gehalten, und von Balthasar, ihrem Gatten, geduldig angehört.


Daß übrigens Herr Kaudel schon damals an den späteren Druck dieser Schriften dachte, geht aus den Überschriften hervor, die er hie und da, seine tägliche Aufführung betreffend, niederschrieb und wonach sich dann die nächtliche Predigt richtete.

Einen Theil seiner dreißigjährigen Erfahrungen (um nicht zu sagen, des dreißigjährigen Krieges) mag also hier der Leser, der weibliche zur Belehrung, der männliche zur Warnung hinnehmen, und wir wollen hoffen, daß er (der Theil der Predigten nämlich) in beiden Fällen seinen Zweck erfüllt.

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