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Der Bauernfänger

Es war an einem kalten, stürmischen Tage; der Hafen tief unter der Brooklynbrücke galoppierte mit grauen, gepeitschten Wogen, und die Fähren und Bugsierboote manöverierten seitwärts gegen den Strom, um ihr Ziel zu erreichen. Die Turmhäuser drüben in Neuyork ragten farblos in die klare Luft hinein und alle sendeten schneeweiße Dampfwolken aus ihren Dächern, die in den Raum hinausgerissen und im selben Augenblick verflüchtigt wurden, immer aber wieder von neuem hervorschlugen. Während die Hängebrücke unter den alltäglichen Reihen von Straßenbahnen und Zügen donnerte und vibrierte, war ich einen Augenblick am Geländer beim Brückenturm stehen geblieben, und indem ich mich wieder zum Gehen wendete, stand ein junger Mann hinter mir, der seine Hand aus der Manteltasche zog, in die Ferne deutete und fragte:

»Wie heißt die Insel dahinten?«

»Governors Island,« antwortete ich.

»So, so ...«

Er nickte langsam und grub seine Hand wieder in die abgetragene Manteltasche, indem er fortfuhr zu der Insel hinüberzublicken.

»Das runde Gebäude, daß Sie sehen, ist Castle William,« erklärte ich weiter, nicht unwillig, mich in ein Gespräch einzulassen, da man mich so ohne weiteres als kundig betrachtete. Ich bemerkte, daß es ein stürmischer Tag sei, worauf er triumphierend ausrief, darauf könne ich meinen Kopf verwetten. Ich deutete auf verschiedene Dinge in der Ferne und gab Erklärungen dazu, und der junge Mann nickte erkenntlich, während er noch immer mit hellen Augen übers Wasser blickte – sehr hellen und außerordentlich flüchtigen Augen, viel zu sorglosen Augen ... offenbar ein grüner Junge, ein Bauernbursche ... und ganz richtig, ohne mich weiter angesehen oder darüber nachgedacht zu haben, wer ich sei, schnaufte er gedankenlos auf, auf Agrarierart, und sagte leichthin:

»Sie müssen wissen, ich bin aus Missouri ...«

»So,« sagte ich und lachte, denn das ist eine Redensart in Amerika, die ungefähr dasselbe bedeutet, wie »aus Hinterpommern sein«. Er sah übrigens ganz danach aus. Er war groß und breitschultrig, und sein Anzug, der einen ländlichen Schnitt hatte, war überall zu kurz, als habe er ihn im Übergangsalter bekommen, er hatte einen weichen Filzhut auf dem Kopf mit auffallend schmalem Rand, eine richtige Farmerkopfbedeckung. Das junge, glatte Gesicht zeichnete sich durch eine fast dunkelrote Farbe aus, wie man sie häufig bei jungen Leuten sieht, die bei jedem Wetter draußen sind, und diese Farbe hob die kleinen weißlichblauen Augen noch mehr.

Wir kamen ins Gespräch und schlenderten über die Brücke nach Neuyork hinein. Er sah immer geradeaus und schien es nicht für nötig zu erachten, seine neue Bekanntschaft näher ins Auge zu fassen, er atmete gesund und hörbar durch die Nase, so daß man auf ein paar Härchen aufmerksam wurde, die ihm in dem sonst glatten Gesicht aus den Nasenlöchern wuchsen. Er hatte etwas natürlich Neugieriges an sich und war just so zutraulich und offen in seinem Wesen, wie junge Leute in Amerika, die von Gesundheit strotzen, es zu sein pflegen. Er mußte einem gefallen. Ja, er sei in Neuyork, um sich umzusehen – auf der Durchreise, er solle nach Deutschland, eine Verwandte zu besuchen, die er gar nicht kenne ... ob ich übrigens nicht Deutscher sei?

Hier wendete er mir sein feuerrotes, unschuldiges Gesicht zu, schien mich aber nicht zu sehen. Und als ich nicht gleich antwortete, fing er an, Deutsch zu sprechen, irgend einen alten, verbrauchten Bauerndialekt, von dem ich nur die Hälfte verstand. Doch ging er bald wieder zu Englisch über, und bevor wir noch die Brücke passiert hatten, hatte er mir seine ganze Geschichte erzählt, mir eine Rolle Papiergeld vorgestellt, die er in der Seitentasche seines Rockes trug und die ihn zu jucken schien, und mich für den Abend ins Hippodrom eingeladen. Denn nicht wahr, meinte der junge Mann, Neuyork sei eine Stadt, die man sehen, aber vor der man sich auch in acht nehmen müsse, und der Gedanke, sich allein in ihre Mysterien zu vertiefen, sei ihm nicht gerade angenehm ... er habe allerhand von den gesetzlosen Existenzen gehört, die den Fremden in den Straßen von Neuyork auflauerten, und natürlich, er sei vom Lande, ein ehrlicher Farmer. Darum sei er froh (mit einem erneuten Fluch), so einen anständigen Menschen getroffen zu haben, und – wir waren inzwischen die Treppe hinaufgestiegen und um die Ecke zur Bowery gebogen, wo mein Freund ohne weitere Förmlichkeiten die Drehtür zu einem Saloon aufstieß und mich hineinführte – und was er mir anbieten dürfe? Bier, Cocktail ... oder ob ich Sjampanje haben wolle ... ein Prachtkerl!

Der Lärm draußen vor dem Saloon, der vom Straßenverkehr, von den Straßenbahnen, der Brücke, den L-Zügen herkam, und das Geräusch der Stimmen längs des dichtbelagerten Schenktisches waren so ohrenbetäubend, daß wir dicht nebeneinander stehen und uns in die Ohren brüllen mußten. Das schien meinem Freunde vom Lande offenbar zu gefallen, er schwang ein schäumendes Glas Bier, lächelte den Barhalter freundlich an, trank mir zu, brüllte etwas ...

»Was sagen Sie?« schrie ich.

Er legte die hohle Hand an den Mund und brüllte mit voller Lunge:

»Williams ...«

»Williams, Sie heißen Williams?« brüllte ich zurück.

»Ja!« schrie er; »glad to meet you!«

Wir blieben eine Viertelstunde und tranken verschiedene Runden. Erst gab er eine und dann natürlich ich, worauf er mit der Papierrolle in der Hand dem Verwalter ein Geheimnis zuschrie und eine Flasche fragwürdigen Champagners angebrochen wurde. Ich tat ihm Bescheid, wir stießen mit dem vielbeschäftigten Manne mit der weißen Schürze hinter dem Schenktisch an, und darauf machten wir uns ohne Furcht und Beben an das Free-Lunch, das an der andern Wand des Lokals unter zwei riesengroßen Gemälden, die entzückende Mädchen im Bade darstellten, zu haben war; Williams benutzte die Gelegenheit, sich ein solides Frühstück zu Gemüte zu führen. Er stopfte die trockenen Brotscheiben in den Mund, fischte Sauerkraut oder was es sonst war, aus einer tiefen Schüssel, in der Holzgabeln standen, und da ihm dies Appetit machte, ging er allen Ernstes an einen Kessel mit siedenden und hüpfenden Würsten, die dort für jedermanns Gaumen kochten und einen Zwiebelgeruch im ganzen Lokal verbreiteten. Diese Würste hat man voll Galgenhumor »hot dog« »heißer Hund« genannt, und man behauptet sogar, daß sie im Kessel wedeln und imstande sind, »Wau« zu sagen, wenn man hineinbeißt; Williams aber nahm es mit verschiedenen von ihnen auf, ob sie nun wedelten oder bellten. Nachdem das erledigt war, starteten wir eine qualmende Verkohlung von zwei Zigarren, die Williams bei sich hatte, wahrscheinlich direkt aus Missouri, und dann schlenderten wir wieder auf die Straße hinaus, Williams nicht ohne Schluckauf und nachdem er dem Barhalter freundschaftlich zugewinkt hatte.

Es war ja aber noch viel zu früh fürs Hippodrom, und an der Ecke vor dem Posthaus stehen bleibend, verabredeten wir, uns an derselben Stelle abends um acht Uhr zu treffen, worauf wir uns trennten.

 

Ich kam präzise, und Williams war schon da. Schon von weitem konnte ich seine blühende Physiognomie im Gedränge unterm Kandelaber erkennen. Als er mich sah, setzte er sich spornstreichs in Gang ohne zu grüßen und ohne etwas zu sagen, und indem ich ihm folgte, gelangten wir selbstverständlich in eine Bar und tranken mehrere Glas Bier. Williams sah etwas nachdenklich aus. Auf dem Wege durch die Stadt und in der Straßenbahn sprachen wir wenig miteinander, als wir aber ungefähr in die zwanzigste Straße gekommen waren, schlug er vor, daß wir aussteigen und gehen wollten. Es war noch zeitig, wir konnten das letzte Stück Weges zu Fuß zurücklegen. Wir waren noch nicht viele Schritte gegangen, als Williams eine Drehtür vor sich sah, sie aufstieß und vor mir hineinging. Es war in Bowery, und der Saloon, in den wir hineinkamen, gefiel mir nicht recht. Das Publikum längs der Bar war fragwürdiger als gewöhnlich; ich glaube, daß auch Williams sich etwas abgestoßen fühlte, denn nachdem er die Gäste einen Augenblick mit zusammengekniffenen Augen gemustert hatte, ging er geradeswegs durchs Lokal in ein dahinter gelegenes Zimmer. Hier waren nicht viele Gäste, wir nahmen an einem der kleinen Tische Platz und bekamen schleunigst jeder einen Cocktail. Jetzt taute Williams aus und begann lebhaft in seinem Englisch, das jeder als ländlich erkennen konnte, zu schwatzen; wir bekamen noch einen Cocktail, und jetzt wurde Williams heiter ... plötzlich schleudert er einen Vierteldollar auf den Tisch und fragt mich, während er die Hand darauf legt, welche Seite oben liegt. Ich rate auf Kopf, und als Williams die Hand wegnimmt, sehe ich, daß es richtig ist.

»Dann gehört er Ihnen,« sagt Williams. »Raten Sie nochmal.«

Ich gewann noch einen Dollar und noch einen, und das war ja ganz angenehm. Aber die Sache gefiel mir nicht. Denn ich, der ich meine Augen gebrauchte, war auf einen kleinen Herrn aufmerksam geworden, der am Nebentische mit einem halben Cocktail saß und der uns beobachtete! Das gefiel mir nicht. Es war unvorsichtig von Williams, hier zu spielen. Konnte er seine Geldrolle nicht in der Tasche behalten? Wir erregten Aufsehen, man wurde auf uns aufmerksam, wir waren aus Missouri ... wie gesagt, es gefiel mir nicht und es war mit ziemlich geteilter Aufmerksamkeit, daß ich auf Williams Vierteldollars riet, die ich übrigens fortgesetzt gewann. Inzwischen blickte ich hin und wieder verstohlen zu dem Herrn hinüber, der uns beobachtete, und versuchte, mir ein Urteil über ihn zu bilden. Es war ein ganz kleiner Herr, sorgsam gekleidet, mit fast mädchenhafter Zierlichkeit. Aber er hatte einen gefährlichen Kopf, mit einer fast unheimlichen Gereiftheit im Ausdruck. Der Hinterkopf war so unverhältnismäßig groß, daß der runde, steife Hut in einem steilen Winkel zum Gesicht saß. Die feinen Züge sprachen von der vielfachen Verderbtheit, die ein einzelner sich nicht anzueignen vermag, sondern die durch mehrere Generationen hindurch vererbt werden muß; er war ein Stadtmensch, ein gesunder und reeller Spitzbube ... Gott, wie kribbelte es mich, ihn kennen zu lernen! Ich hatte ihn bereits länger angesehen, als man darf, ohne die Folgen zu tragen, ... jetzt lüftete er elegant den Hut und fragte mit näselnder Stimme, ob einer der Herren vielleicht eine Zigarette bei sich habe? Komische Frage. Seit wann bittet man fremde Leute um Zigaretten? Wir haben leider keine, und für eine Zigarre dankt er. Er raucht nur Zigaretten, und indem er dies ausführlich erzählt – er spricht mit einem knorrigen, schottischen Akzent –, rückt er unmerklich seinen Stuhl näher, bis er an unserem Tisch sitzt – und als der Kellner, ohne daß wir eine Bestellung gehört hätten, drei frische Cocktails auf den Tisch setzt, macht der Fremde eine hübsche Bewegung mit der Hand – bitte, Gentlemen! – und während Williams' helle Augen wie in geblendeter Neugier an dem feinen Dandy hängen, führen wir die Gläser zeremoniell an die Lippen und trinken, und wenn man das getan hat, ist man ja eine Gesellschaft geworden.

Von jetzt ab stand der Mund des kleinen Modeherrn keine Sekunde still. Er stellte sich als Mr. Burke vor und war bald in ein Gespräch über Frauen vertieft, wobei er eine so allumfassende Kenntnis entfaltete, mit einer so frechen Ausdrucksweise, wie ich es in Amerika nicht für möglich gehalten hätte, wo man wenigstens von solchen Dingen zu schweigen pflegt, selbst wenn man ein Schwein ist. Es überraschte mich, wie ich in diese schwüle Atmosphäre gekommen war. Williams aber schien sie fast zu lähmen. Er schnappte wie ein Fisch, wurde ganz verkalkt im Blick bei allem, was er hörte. Und nachdem Burke sich auf diesem übrigens nicht ungewöhnlichen Wege die Stellung als Nummer Eins gesichert hatte, ging er mit nicht geringerer Fachkenntnis zum letzten Pferderennen über. Auch hierbei zogen wir den Kürzeren. Mr. Burke sprach wie ein Virtuose von Wunderpferden, deren Namen wir zu unserer Schande nie gehört hatten, und gab uns im Vorübergehen zu verstehen, daß er gerade gestern fabelhaft auf Mabel II gewonnen habe, und im Anschluß daran ließ er sich herab dem kleinen Spiel Aufmerksamkeit zu schenken, das wir mit einigen armseligen Silberschillingen betrieben. Wie um mit der Gesellschaft, in die er geraten war, auf ein gleiches Niveau zu kommen, ließ er sich dazu herab, ein paarmal zu raten, und verlor. Dann knallte er selbst einen Vierteldollar auf den Tisch, sah Williams an und forderte ihn auf, zu raten.

Bevor Williams aber etwas gesagt hatte, rief Burke mit dem brutalen Aufflammen, das den Spieler verrat:

»Ich wette fünf Dollar, daß Sie verlieren!«

Im selben Augenblick entschied Williams sich. Seine verzinnten Augen hingen wie festgenagelt an Burkes kleiner wohlgepflegter Hand, die die Münze verdeckte. »Kopf«, stammelte er. Burke zog die Hand fort, und Williams wurde noch röter im Gesicht, als er sah, daß er gewonnen hatte. Burke sagte kein Wort, zog aber mit unvergleichlicher Nonchalance eine Rolle Geldscheine hervor, so dick wie ein Arm, und fing an, darin zu blättern. Die äußeren Schichten waren Hundertdollarscheine; er blätterte lange, bevor er einen Fünfdollarschein fand, den er zu Williams hinüberschob. Im nächsten Augenblick hatte Burke das Spiel vergessen, er sah sich um, schmeckte mit den Lippen und äußerte wieder das Verlangen nach einer Zigarette. Der Kellner wurde gefragt, bedauerte aber sehr, daß das Café keine habe. Da erhob Burke sich und erklärte, er wolle auf die Straße gehen und sich eine Schachtel kaufen – hoffentlich blieben die Herren so lange sitzen. Er ließ sein Glas stehen und trippelte hinaus, und da sah ich, daß Mr. Burke Damenstiefel trug, ganz kleine Stiefel mit hohen Absätzen!

Kaum war er aus der Tür, als Williams mich am Arm packte: »Donnerwetter, den Kerl wollen wir plündern!«

Ich lachte in dem Glauben, daß Williams scherze oder etwas angetrunken sei. Es war ihm aber bitter ernst; er schwitzte vor Fieber, schwur darauf, daß dies unsere Chance sei, jetzt oder nie, er fuchtelte mit den Armen durch die Luft, legte einen Quarter vor mich hin und einen vor sich selbst, und begann mir in größter Eile ein »System« zu erklären, durch das wir nie verlieren konnten! Ich sollte nur immer dafür sorgen, bei meiner Münze das Wappen nach oben zu legen, dann wolle er Kopf zeigen. Auf diese Weise müsse Burke jedes einzige Mal verlieren oder jedenfalls so oft, wie wir es wünschten! O, das sei die einfachste Sache von der Welt, jeden einzigen Cent könnten wir ihm abgewinnen, wenn ich nur wollte.

Ich sah Williams an, ungläubig, zornig. Bildete er sich wirklich ein, daß wir Burke mit solchem jämmerlichen Kniff überlisten konnten? War es möglich, daß er Burke nicht entdeckt, daß er nicht gesehen hatte, mit was für einer gefährlichen Person wir es hier zu tun hatten? Er war also hoffnungslos aus Missouri, und es würde wohl nicht einmal nützen, ihm die Augen zu öffnen. Er zischte vor Begehrlichkeit wie ein glühendes Eisen, leuchtete weithin vor ländliches Unschuld. Ich beschränkte mich darauf, seine Aufforderung, gemeinsame Sache mit ihm zu machen, kühl abzulehnen. Er fuhr indessen fort mich dringend zu nötigen, beschwor mich und bat – bis er plötzlich verstummte, da Burke in der Tür erschien. Burke näherte sich mit kleinen Katzentritten auf dem mit Sägespänen bestreuten Fußboden, setzte sich und pustete eine Rauchwolke von sich. Endlich hatte er Zigaretten bekommen. Er sah von einem zum andern, unendlich wohlerzogen, verbindlich, er war unser bester Freund. So hatte ich mir Lantier in »L'Assommoir« vorgestellt. Aber der Vergleich mit Lantier paßte doch nicht ganz. Indem er sich setzte und die patent gebügelten Beinkleider hochzog, bemerkte ich eine große Beule von unverkennbarer Form auf seiner Lende unterm Rockschoß – der kleine sorgfältig parfümierte und geschniegelte Wicht trug einen schweren Revolver bei sich! Wie sich das übrigens von selbst ergab. Man konnte es diesem Nacken, der nach hinten wie die Giftdrüsen der Klapperschlange schwoll, ansehen, daß der Mann ohne besondere Veranlassung seinen kleinen Körper aufrichten und einen Stachel hervorsenden konnte, der ohne Unterschied stärkere und bessere Leute als er, töten würde. Vor ihm galt es auf der Hut zu sein!

Ich verhielt mich bis auf weiteres passiv. Williams aber war verloren und ging mit offenen Augen seinem Ruin entgegen. Er schlug Karten vor! Burke hatte Karten bei sich und wollte gern spielen. Ein kleines Spielchen sei keine üble Sache, meinte er, ein gemütlicher Poker zu Dritt ... bitte, nehmen Sie ab!

»Ich spiele nicht,« wendete ich höflich ein.

»O doch!« Burke gab, und als ich die Karten nicht nehmen wollte, legte er sie offen vor mich hin, und darauf spielten Williams und er. Es ging mit großer Übung. Meine Karten gewannen. Burke legte acht Dollar auf meinen Platz. Jetzt gab Williams.

»Ich spiele nicht,« erklärte ich irritiert.

»Doch,« sagte Williams, »Sie spielen!«

Der Tonfall war so unbarmherzig, daß ich ihn ansah. Und jetzt vergingen einige Sekunden, in denen ich unbeweglich, fast leblos dasaß, so viel hatte ich plötzlich zu denken bekommen. Indem ich Williams ansah, war ich nämlich seinem Blick begegnet und hatte die häßliche Wirklichkeit darin erkannt: er machte gemeinsame Sache mit Burke!

 

So lange hatte es gedauert, bis ich das durchschaute! Das war ja gar nicht Williams, der sonnverbrannte Bursche aus Missouri, das war ein dickhäutiger Umherstreifer aus den Verbrechergegenden in Neuyork. Er hatte gar keine sorglose, helle Augen, sondern einen weißen, steinharten Blick, worin nun auch die Bagatelle, daß er mich verraten und in eine Falle gelockt hatte, spurlos versank. Sie spielen! Ein Bauernfänger, dessen Zeit knapp war! Ein brutaler Sklave, dessen Hand in meinem Blute wühlen würde, wenn ich aufmuckte. Wie fürchterlich gut hatte er seine Rolle gespielt mit dem sicheren Instinkt des Raubtieres, wie fein hatte er mit dem anderen zusammen gearbeitet! Wo nahmen sie die Kraft dazu her und die Lust? Wußten sie doch nicht einmal, wieviel es bei der langen, unendlich fein durchgeführten Vorstellung zu verdienen gab – wie waren sie klug, was waren sie für unübertreffliche Psychologen! – Du lieber Gott, ich ging mit etwa zehn Dollar in der Tasche, das war alles. Dieses ganze raffinierte Stück Arbeit, diese Entfaltung von Spürsinn und Energie, diese Flut von primitiven Kräften war also umsonst verbraucht.

Hier saß ich, der ich mich für einen Menschenkenner hielt! Und doch war ich keineswegs ohne Erfahrung. Denn ich hatte den Fall in Memphis, Tennessee, nicht vergessen, als ich zweimal im Laufe einer Stunde in die Klauen von Bauernfängern geriet, obgleich man mich vorher gründlich gewarnt hatte. Ich saß auf einer Bank in einem kleinen Park mitten in der Stadt und beobachtete die zahmen Eichhörnchen, als sich ein Mann neben mich setzte und ein Gespräch mit mir anfing. Ich war natürlich auf meiner Hut vor Bauernfängern, wie man mich gelehrt hatte, aber doch nicht vor anständigen Leuten. Dieser gesprächige Mann war nett, ein Farmer aus Texas, der mir ansehen konnte, daß ich fremd sei, ebenso wie er selbst. Er fand heraus, daß ich leidenschaftlicher Jäger sei, und lud mich zur Bärenjagd auf seiner ausgedehnten Ranch in Texas ein. Reizender Mensch! Ob wir darauf anstoßen wollten? Er führte mich zwanzig Schritte über die Straße, in die Arme eines einäugigen Individuums, das Karten hervorzog und unaufhörlich für Poker herumgab. Ich kehrte meinem Farmer den Rücken und setzte mich im Park auf meine Bank, um so viel klüger. Fünf Minuten später kommt ein Mann und erzählt mir, daß er das Ganze beobachtet habe, und man müsse sich in Memphis sehr in acht nehmen, und er habe manche Unerfahrene durch einen Wink gerettet usw ... Wir wurden sehr gute Freunde. Er führte mich in ein Lokal, wo zwanzig bis dreißig Zuchthäusler um grüne Tische mit Roulettes saßen und Durchreisende plünderten. Ich verließ den Ort und kehrte zu meiner Bank und den Eichhörnchen zurück. Dort hatte sich inzwischen ein Mann niedergelassen, und kaum hatte er mich gesehen, so fing er ein Gespräch mit mir an. Es war ein gut gekleideter, gebildeter Herr, er hatte eine Zeitung in der Hand, ich nehme an, daß er Jurist oder Arzt war. Ich aber war jetzt gereizt, und statt zu antworten, stand ich auf und machte Miene, ihm einen Fußtritt zu versetzen. Das kränkte ihn, das hatte er nicht verdient. Dieser Mann war nämlich ein ordentlicher Bürger der Stadt. Aber so war es mir ergangen. Und nun saß ich hier hilflos eingeklemmt, trotz vorhergegangener Trainierung in der Menschenkenntnis.

Burke und Williams hatten einige Runden gespielt, mit eminentem Glück für mich. Fünfundzwanzig Dollar lagen auf meinem Platz.

»Nehmen Sie, das ist Ihres,« sagte Burke mit einem bösen Blick.

»Ich spiele nicht,« antwortete ich kurz.

Burke legte die Karten hin und sah erst mich und dann Williams an, legte sich hintenüber und balancierte auf den Stuhlbeinen.

»Seine Mutter hat es ihm verboten,« erklärte er in einem Ton, als sei ich ein kurioser Fund, den er gemacht habe. Damit wollte er mich recht kränken und Williams sollte sich über mich totlachen. Williams aber sendete mir einen düsteren Blick, machte eine rohe Bewegung mit den Schultern und schien zu ganz anderen Maßregeln Lust zu haben. Er streckte den Arm aus und zog ohne die geringsten Umschweife die Geldscheine zu sich heran, die ich »gewonnen« hatte. Es konnte ja nichts nützen die Komödie weiterzuspielen. Er knurrte, sah Burke scharf an, hatte nicht die Absicht, viele Umstände zu machen.

»Wollen Sie spielen?« fragte er brutal. Und als ich den Kopf schüttelte, traten harte Knoten auf seinen Kiefern hervor, sein Fleisch bäumte sich vor Verlangen nach Gewalt ...

Burke aber hielt ihn mit einem Blick im Zaum. Gewiß sollten hier Händel gesucht werden, aber nicht von ihnen; ich sollte dazu gereizt werden, den Anfang zu machen, nachher brauchten sie nur aus Notwehr zu handeln. Er wippte mit dem Stuhl, fixierte mich eine Zeitlang, träumend. Wie waren seine Augen träge und boshaft! Dann knipste er die Asche von seiner Zigarette:

»Sagen Sie mal,« bemerkte er näselnd, »waren Sie es nicht, dem ich gestern abend drei Cent gab, damit Sie die Brooklynbrücke passieren konnten? Mich dünkt, ich kenne Sie ...«

Das war eine grobe Beleidigung. Mich, zum Teufel, mich bettelnd angetroffen zu haben! Ich nehme an, daß jeder Durchschnittsamerikaner solch grausamen Hohn durch einen augenblicklichen Angriff mit bloßen Fäusten gerächt haben würde, mochte der Gegner auch bis an die Zähne bewaffnet sein. Ich aber betrachtete Burke nur voller Interesse, mit einer Art Bewunderung, atemlos vor Spannung, was er weiter zu seiner Charakterisierung äußern würde. Und er machte auch wirklich kein Geheimnis aus seinem Wesen. Er erfand die schlimmsten Dinge über mich, er wurde beredt (den schottischen Akzent hatte er fallen lasten), er dichtete lange, vernichtende Schandchroniken über mich, reizte mich ganz unerhört. Mitten in einer ehrenkränkenden Suada machte er eine Kopfbewegung zu Williams hin und bemerkte beiseite:

»Ein zäher Bissen, den du diesmal aufgegabelt hast.«

Williams saß da und war vor Verlangen sich auch zu betätigen, ganz blau im Gesicht.

Ich gab ihnen aber keine Veranlassung; mit so einem sanftmütigen Menschen halten sie es wohl noch nie zu tun gehabt, sie konnten mich nicht in Wut bringen. Mitten in einer von Burkes schändlichen, ehrenrührigen Reden, die dazu geeignet waren, einen Menschen bis zur Unkenntlichkeit zu verbrühen, erhob ich mich unbeschädigt und ging meines Weges.

Es war zeitig am Abend, der Lärm der nahen Straße erklang noch lebhaft vor der Tür des Cafés, deren Flügel nicht ganz bis zur Schwelle hinabreichten, so daß man die Füße der Vorbeigehenden sehen konnte – immer irgend ein Paar Beine draußen auf der Straße. Darum wagten Burke und Williams keinen direkten Überfall. Wäre es später in der Nacht gewesen ... ich erinnerte mich nachher nicht ohne Bedenken einiger kleiner Löcher in den spiegelbekleideten Wänden, sternförmiger Brüche im Glas, die mir aufgefallen waren, Spuren von Revolverschüssen ...

Als ich ging, wippte Burke noch immer auf dem Stuhl und sah mir mit einem müden Blick nach, in dem ich und mein Schicksal verloschen. Williams aber hatte sich erhoben und stand da, als wolle er schlagen – eine große, brutale Gestalt, von der man im nächsten Augenblick alles erwarten konnte –, in diesem Augenblick aber war ich draußen und wurde von dem gesegneten Gedränge auf der Straße verschlungen.


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