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Karin von Schweden
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Neuntes Capitel.

Goldig ging der nächste Morgen über dem freien Lande auf. Großmüthig gewährte der junge König der dänischen Besatzung freien Abzug von Stockholm in ihre Heimath; Völkerrecht und Menschlichkeit begannen mit ihm ihre Herrschaft in Schweden. Ein seltener, sommerwarmer Herbst lag über der jungen Freiheit; was seit Menschengedenken nicht geschehen, die Saat des neuen Jahres deckte grün, so weit das Auge reichte, die Felder, und zum zweiten Male in weißen Blüthen standen die Bäume. Der Frühling schien mit brüderlichem Arm den Herbst umschlungen und die Gewalt des Winters für ewig gebrochen zu haben. Jauchzend erntete das Volk den reichen Fruchtschatz in die Scheuern und blickte wie mit göttlicher Verehrung zu seinem Königspaar auf, mit dem es in gläubiger Dankbarkeit allen Segen verknüpfte, der nach der langen Kriegsnoth und Knechtschaft als etwas fast Unbegreifliches das Land überströmte. Besonders aber sah es ihn als die Gabe Karin's an. deren Augen unermüdlich über der Dürftigkeit ruhten, die weise wie das Alter und doch lieblich und herzgewinnend wie die Jugend nicht die Würde, sondern die ernste Pflicht einer Königskrone offenbarte.

Ihr Ohr stand Jedem offen, und glücklich und hoffnungsvoll leuchtete es in den Augen der Landbewohner auf, wenn ihr weißer Zelter, selten von mehr als einem Diener begleitet, am Rande eines Dorfes erschien und die Kinder frohlockend in die Häuser stürzten und die Ankunft der »guten Königin« jubelnd verkündeten. Der König sah es freudig, wie sie im weiten Umkreis die Herzen des Volkes gewann. Manchmal begleitete er sie auf ihren Wegen; öfter hielten ihn wichtige Arbeiten, welche die Neugestaltung aller Verhältnisse im Lande erforderte, in Upsala zurück. Dann ritt Karin allein voraus durch die herbstsonnige Welt, und ihr Begleiter folgte erst entfernt hinterdrein. Sinnend blickte sie in die Ferne hinaus, sie merkte es oftmals nicht, daß ihr Pferd, von seiner Reiterin vergessen, innehielt; was sie denken mochte, ihre Lippe sprach es nicht aus, auch sich selber nicht. Sie nahm gern ihren Weg auf die See zu, wo sie von einer Höhe fern auf den blauen Spiegel hinüber zu schauen vermochte. Dann wußte der Diener, daß ihr Stunden wie Minuten erschienen, doch zürnte sie nie, wenn er endlich herankam und ehrfurchtsvoll auf die Sonne deutete, die in ihrem Rücken unbeachtet von ihr herabsank. Schweigend wendete sie auf seine Mahnung ihren Zelter und ritt zurück, und die Bewohner der Orte, durch die sie gelangte, fanden das schöne Antlitz der jungen Königin nie weniger ruhig und liebreich, als sie es zuletzt gesehen. So kam sie auch heute aus der Meeresrichtung heimwärts. Ein Jahr war grade verflossen, seitdem sie Gustav Wasa am Rande des Trollhätta zuerst getroffen, und länger als gewöhnlich noch hatte sie abgewandt auf der Höhe gehalten und in die unendliche Ferne geblickt, wo über der See Erd' und Himmel in einander gingen, daß kein Auge mehr unterschied, wo jene endete und dieser begann. Und abgewandt ritt sie heute auch zurück, bis sie zur Rechten der viereckige Thurm von Alt-Upsala durch die entblätterten Linden grüßte. Eine plötzliche Regung mußte über sie kommen; sie schlug die Augen zu den hohen Wipfeln auf, die von den Königshügeln das Dorf überragten, dann winkte sie dem Diener, ohne sie den Weg in die Stadt fortzusetzen, und bog seitwärts ab. Sie berührte das Dorf nicht; durch Felder gelangte sie an den Fuß des Odinhügels, an dem sie sich herabschwang und ihr Pferd der Freiheit überließ.

»Du wartest auf mich, ich weiß es,« sagte sie leise mit sonderbarem Ton, die Hand auf seinen schlanken Hals legend, »Du trägst mich immer ins Königshaus zurück.« Langsam stieg sie hinan; ihr Schleppkleid oder das tiefe Laub, das ihre Füße durchrauschten, mochte ihr das Gehen erschweren, denn sie stand oft still und legte den Kopf wie ermüdet in die Hand. Nun war sie oben, und die untergehende Sonne traf blendend in ihr Gesicht. Wagerecht warf sie ihr grünes, melancholisches Licht über das stille Thal, über die braunen Buchenblätter, die alle aus den hohen Wipfeln gefallen und den alten Opferstein dicht bedeckten. Doch Karin kannte jede Stelle desselben genau, so genau, als ob ihr Herzblut an jeder auf den Stein geflossen. Mechanisch bewegte sie sich dorthin, wo die Kraft sie verlassen, als Gustav Wasa in wildem Schmerze von ihr gegangen, wo sie auf die Kniee gesunken und die Stirn wider den kalten Granit gepreßt, ehe sie selbst die Straße gen Upsala hinabschritt. Ihre Füße wankten, wie sie es damals gethan, es war, als ob ein wilder Schmerz jetzt das ruhige Antlitz der jungen Königin verzerren, als ob ein ungeheurer, nicht mehr zu hemmender Schrei aus ihrer wogenden Brust hervorbrechen wollte.

Da knisterte es vor ihr in den welken Blättern, daß sie zusammenfahrend aufsah. Ihr Auge traf gerade auf den Goldknauf der Thürme des Domes von Upsala, die ihre Sonnengluth über den dunklen Tannenwald zurückwarfen; doch die Strahlen zogen ihre goldenen Fäden an einer hohen Gestalt vorüber, die seitwärts regungslos an einem Buchenstamm lehnte. Nun wendete auch diese langsam den Kopf und stieß einen irren Schrei aus – es war Gustav Rosen.

Ueber dem laubverhüllten Stein fanden sich die blauen Augen, wie sie einst es so oft gethan bis in die unbegreiflichste, sonnigste Kindheit hinauf. Sie fanden sich und hielten sich sprachlos und unbeweglich, minutenlang, dann –

Dann wandte der Jüngling sich krampfhaft aufschluchzend ab und schritt den Hügel gegen die Wiese hinunter.

»Gustav –« rief Karin. Er hörte es und fuhr zusammen, doch er hielt nicht an.

»Ich befehle es Dir, Gustav, bleib'! Deine Königin befiehlt Dir –«

Es war nicht befehlend gesprochen, unsägliche Wehmuth nur sprach aus dem Ton der gebieterischen Worte. Sie geboten nicht, sie baten; todttraurig wendete sich sein Gesicht, und Gustav Rosen kam zurück.

Festen Schrittes trat Karin auf ihn zu; der Schmerz in ihren Zügen war verschwunden, ihre Brust wogte nicht mehr, sie war ruhig wie ihre Augen, wie der Herbst um sie her.

»Wir müssen Abschied nehmen für eine Weile, Gustav« – ihre Stimme zitterte nicht, ihre Hand hatte die seine gefaßt und hielt sie still umschlossen. »Wir haben es ja oft gemußt als Kinder, wenn die Sonne unterging, und immer ging sie wieder auf.«

Sie deutete mit der andern Hand auf die rothverglühende Kugel, deren letzter Strahl zwischen sie fiel, wie aus den Wipfeln über ihnen das letzte Blatt verdorrt hernieder schwebte. Auf ihr goldenes Haar fiel es, und sie nahm es mit schmerzlichem Lächeln und reichte es ihm hinüber. »Ich habe manche Blume von Dir zum Gedächtniß aus Frühlingstagen,« sagte sie. »Sie blühten jenseits des Trollhätta, und nun ist es Herbst, und ich habe hier nichts Dir zum Gedächtniß zu geben als dieses Blatt.«

Er griff darnach, und seine Hand umschloß es, daß es knisternd in Stücke brach. Zum ersten Mal öffneten sich seine Lippen, sie flüsterten, um das Beben ihrer Stimme zu unterdrücken:

»Sag' mir nur Eins, Karin, und ich will ruhig Abschied von Dir nehmen – sag' mir nur Eins – bist Du glücklich? Liebst Du Gustav Wasa?«

Die Königin wandte die Augen auf die Goldkugeln der Domthürme. »Ein Weib, das ihn zum Gatten hat, ist glücklich vor vielen,« entgegnete sie leise.

»Liebst Du Gustav Wasa, Karin?«

Er wiederholte die Frage mit bebender, gewaltsam verhaltener Erregung. In eine Secunde lag die Entscheidung zweier Menschenleben zusammengedrängt, und Karin hob die blauen Augen zu denen des Geliebten empor und sprach mit fester, unbeirrter Stimme: »Ja.«

Und versunken war die Sonne des Tages, und der kühle Nachtwind rauschte schauernd auf durch die Herbsteswelt. Ein irrer, wahnsinniger Schrei brach aus Gustav Rosen's Brust, sinnbetäubt streckte er die Arme aus und umklammerte gewaltsam den Leib der jungen Frau.

Doch sie löste sich kraftvoll aus seinen Banden.

»Schwedens Königin tritt unbeschützt in jede Hütte und in die Einsamkeit des Waldes – willst Du verschulden, daß sie es nicht mehr darf, Gustav?« fragte sie ernst.

Thränen überströmten sein Gesicht, seine Hände fielen wie gelähmt herab. Doch schon hatten ihre Arme sich wieder um seinen Nacken gelegt, ihre Augen sahen noch einmal, allen Glanz der Vergangenheit in einen Blick zusammendrängend, dicht in die seinen hinein – »Leb' wohl, mein Gustav,« sagten ihre Lippen und neigten sich aus ihn und küßten ihn – – – und gen Upsala verschwand in der Dämmerung am dunklen Tannenrand wie ein weißer Stern der Zelter der Königin von Schweden.

Ruhevoll, wie immer, betrat sie das Haus ihres Gatten und strich ihm liebevoll mit sanfter Hand die sorgenvolle Stirn. Viele Sorgen drängten sich auf der Stirn des jungen Königs und scheuchten den Schlummer von seinem Auge. Und schlaflos, erzählt die Chronik, lag er auch in jener Nacht. Da öffnete Karin im Traum die Lippen und sprach. Und er beugte sich über sie hin, und sie sagte im Traum:

»König Gustav lieb' ich gewißlich sehr,
Doch Gustav Rosen vergesse ich nimmermehr –«

Nimmermehr – die Wellen des Mälar haben es vernommen und murmeln es weiter. Und der Hjelmarsee trägt es über die unabsehbaren Wasser des Wenersees und hinaus durch die Felsenthore, die der grüne Fluß durchschießt – dann kommen die Fälle vom Trollhätta.

Sie kommen daher, wie die Schicksale der Menschen, friedlich, durchsichtig, und küssen die nickenden Gräser, die sich auf sie herabneigen. Dann ein kleiner Wirbel und ein schnelleres Rauschen, unmerklich, ahnungslos – doch die Stille, die Klarheit sind dahin und kehren nicht wieder. Geschwinder schießen sie fort, – immer hastiger getrieben, unaufhaltsamer und unabwendbarer – dann plötzlich stürzen sie tosend in die verschlingende Tiefe hinab, aus der kein Arm den Versunkenen mehr emporhebt.

Das sind die Fälle des Trollhätta. Sie überrauschen Tage und Jahrhunderte. Der Knabe, der an ihnen spielt, wird zum Manne, und sein Haar bleicht. Und wenn er zum letzten Male am Stabe zu ihnen hinauswankt, sind sie wie an dem Tage, da er sie zum ersten Male sah. Blumenumrandet, wie der Frühling, und silberweiß, wie der Winter.

Sie rauschen seit tausend, tausend Jahren, ehe ein Ohr da war, sie zu vernehmen. Weit über die Felsen sprühen sie ihren silbernen Staub, darauf die Sonnenlichter in freudigen Farben glänzen und gleißen. Drunten aber unter dem blendenden majestätischen Schleier wogen und wallen die stürzenden, stürmischen Wasser.

Es ist gut sitzen am Rande des Trollhätta für den, der etwas vergessen will, das die fallenden Wasser überhallen.


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