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Karin von Schweden
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Fünftes Capitel.

Nun ist Alles still auf Schloß Torpa. Die Nacht liegt über Schweden, nur die Schatten der Wolken, die an der Mondscheibe vorüberziehen, jagen über die Schlachtfelder von Falköping und Bogesund, und nur die Wellen des Mälar murmeln an die verödete Schloßtreppe zu Stockholm und suchen die letzten Blutflecken von ihren Granit-Quadern zu spülen. Wie ein Frühlingsgruß geht es von ihnen gen Westen; die Wasser des Hjelmarsees hören ihn und rauschen ihn weiter über den unabsehbaren Spiegel des Wenersees. Dann donnert der Trollhätta es in die Tiefe hinab: »Der Frühling kommt!«

Auch die Dohlen Karin's haben es vernommen und feiern die mondhelle Maiennacht. Sie mögen sich vor den glänzenden Hellebarden fürchten, die das Gehöft und den Garten um Torpa füllen, daß kein Schatten in Erd' und Luft unbemerkt dem königlichen Ruhelager zu nahen vermöchte, und sammeln sich an dem einsamen Uferrand des Trollhätta. Noch hat die Maisonne eines Tages nicht über den Schnee gesiegt, der die Felsenhügel mit weißer Decke überzieht, und man sieht die schwarzen Gestalten sich deutlich auf ihnen bewegen. Sie scheinen lautlos, doch es ist möglich, daß nur das Getöse des Wasserfalls ihr Geräusch überhallt. So klar ist die Nacht, daß man sie zählen kann, wie sie über die Götaelf oberhalb des Sturzes daherkommen. Vierzig grade sind's, und wie sie den Fluß überschritten, wenden sie sich stromab, etwas den Hügel hinan, und dann schlüpfen sie plötzlich, eine nach der andern, in die Erde hinein, wo sie ihre Felsenlöcher haben müssen, und sind, wie vom Wind zerstiebt, aus dem beglänzten Thal verschwunden.

Nur die Schritte der auf- und abwandernden Wachen hallen durch die Ruhe, in der Torpa liegt; in dem weiten Gebäude, dessen Lampen und Fackeln alle erloschen sind, ist es still. Droben im zweiten Stockwerk schlafen Hauptmann Torben und seine Gefährten auf weichem Lager; der Wein Stenbock's hat sie fest darauf niedergeworfen, und keiner von ihnen hört das Brausen des Trollhätta mehr, das meilenweit vernehmlich durch die Nacht ertönt.

In matt erleuchtetem, hohem Gemach, auf kostbar verziertem Sessel sitzt König Christiern der Zweite. Er hat sich einen Augenblick auf das seidene Himmelbett geworfen, über dem eine große, schwervergoldete Krone glänzt, doch die Unruhe, die Erwartung hat ihn nach wenigen Minuten wieder aufgetrieben. Er blickt mit starren Augen auf die purpurnen Fenstervorhänge, die im Schimmer der Nachtlampe wie breite, blutige Streifen vom Plafond bis zur Erde niederwallen. Sie bewegen sich leis in der Zugluft des Fensters, das der König, um die erhitzte Stirn zu kühlen, geöffnet, daß es aussieht, als fließe das Blut langsam von den Wänden herab. Seit dem Herbst des vorigen Jahres ist der Beherrscher der drei nordischen Reiche furchtsam und abergläubisch – die rothe Farbe erregt ihm Grauen – und er springt von dem Sessel auf und starrt halb vorgebückt unbeweglich auf die wehenden Gardinen.

Nein – er denkt nicht an die blutigen Köpfe, die drüben zu Stockholm im Herbst vor seine Füße gerollt sind, in diesem Augenblicke nicht, ein stärkerer Reiz hält seine Furcht gebändigt. Vor seiner Phantasie steht ein anderer Kopf, dessen goldblondes Haar über weiße Schultern herabfällt, und er horcht durch die Todtenstille des Hauses und wirft sein Oberkleid ab, unter dem ein mattleuchtendes, dichtmaschiges Panzerhemd aus feinen, schmiegsamen Stahlgliedern sichtbar wird. Eine Secunde zaudert er, dann reißt er auch dies mit schnellem Ruck zu Boden und hüllt sich in ein weites, bis auf die Füße fallendes Hausgewand von dunklem, reichem Stoff. König Christiern von Schweden steht noch an der äußersten Grenze des vierten Jahrzehntes, und wie er an dem hohen Metallspiegel vorüberschreitet, wirft dieser ihm das Bild einer königlichen Erscheinung und eines schönen Mannes zurück, der nicht König zu sein braucht, um das Herz eines achtzehnjährigen Mädchens zu gewinnen. Es ist nicht der Wein allein, der die düstern Falten und den mißtrauischen Blick, die sein Gesicht sonst entstellten, ausgelöscht hat. König Christiern hat die schöne Dyveke geliebt, nicht minder glühend und tief geliebt vielleicht als Gustav Rosen Karin Stenbock, und die Rose vom Trollhätta ist nicht minder schön als das Täubchen von Amsterdam.

Du hast Deinen Zweck erreicht, Esther. Morgen früh bist Du die Herrin des düstern Beherrschers Deines Vaterlandes, und Schwedens Heil, nach dem Deine Augen, die andern Augen, lange vergeblich gesonnen, liegt in Deiner weißen Hand.

Denkt auch sie es, wie sie, diese Hand auf die wildathmende Brust drückend, drüben in ihrem Zimmer steht, an dessen Hinterthür die goldene Kette hängt, deren Diamanten im matten Flurlicht gleißende, heranwinkende Fäden ins Dunkel des Ganges hinauswerfen?

Karin's Antlitz ist noch ebenso bleich, wie es zuletzt aus dem Stuhl an der Seite Christiern's gewesen. Doch sie zittert nicht mehr, auch sie horcht erwartungsvoll durch die Todtenstille des Hauses.

Nun kommt ein leiser, vorsichtiger Schritt, nur das gespannteste Ohr kann ihn bei der völligen Lautlosigkeit der Nacht vernehmen. Doch er kommt nicht von dem Gang, sondern durch das Nebenzimmer, und hält an der Thür inne, durch deren Oeffnung Gustav Folkung im vorigen Jahre ungesehen Brita Stenbock erblickt. Ein fast unmerkliches Pochen, und Karin schiebt eilig geräuschlos den Riegel zurück und öffnet. Dann haben Gustav Rosen's Arme sie leidenschaftlich umschlungen und seine Lippen küssen ihre Augen, ihre Stirn, ihren Mund und stammeln:

»Du hättest mich wahnsinnig gemacht, Karin, wenn Du mir nicht zugeflüstert, daß Du mich heute Abend noch erwartetest. Nach einem Monat ruheloser Tage und Nächte fern von Dir komme ich zurück, um Dich lange Stunden fern von mir zu sehen, nichts als zu sehen, ohne einen Gruß, ohne einen Blick von Dir.«

Seine Stimme klang lauter vor Erregung; das Mädchen entrang sich seinen Armen und schloß ihm ängstlich die Lippen mit der Hand.

»Still,« flüsterte sie; ihre Augen gingen an ihm vorbei auf die Hinterthür, und sie neigte die Lippen dicht an sein Ohr und hauchte:

»In wenig Minuten wird König Christiern durch die Thür kommen und mich suchen. Ich fürchte mich vor ihm, deshalb habe ich Dich gerufen. Du bist ja mein sicherer Schutz und mußt im Nebenzimmer warten, Gustav. Es sollte Alles anders sein, und die Mutter hatte mir befohlen, Dir nichts zu sagen. Doch der ganze Hof und der Garten sind voll von Bewaffneten, und Alles ist verändert. Ich hätte es nicht gekonnt, wenn ich nicht gewußt, daß Du bei mir sein würdest.«

Der Jüngling starrte sie sprachlos an, die Gedanken verließen ihn, er verstand nichts, was sie sprach. Noch fester legte sie die Lippen an sein Ohr und flüsterte eilige Worte, daß er entsetzt zurücktaumelte und mit der Hand an die Stirn griff.

»Hier – wohin ich ihn geführt, – wo meine Ehre verpfändet ist – unmöglich, niemals!« stotterte er athemlos.

Karin's blaue Augen ruhten mit fast dunklem Glanze auf ihm.

»Gustav,« sagte sie mit bebender Stimme, »bist Du kein Schwede? Nur einem Schweden kann ich diese Hand reichen.«

Er sah sie verstört, verzweiflungsvoll an.

»Die Zeit verrinnt, der König kann in jeder Secunde sein Zimmer verlassen,« fuhr sie hastig fort.

Der Schimmer seines Lichtes, der durch den Gang fällt, ist das Zeichen für Gustav Folkung –«

Sie brach schnell ab und horchte hinaus; ihre Augen, von Rosen's Gesicht abgewandt, sahen den irrsinnigen Ausdruck nicht, der plötzlich seine Züge überlief. Nur ein Funke hatte noch in seine keuchende, betäubte Brust zu fallen gebraucht, und Karin hatte ihn hineingeworfen, den Namen, der das blinde, zweiköpfige Ungethüm in seinem Herzen packte und es siegreich herausriß.

»Gustav Folkung!« lachte der Jüngling schallend auf; »kommt er, um Dich zu holen – Gustav Folkung!«

Und er warf besinnungslos Karin, die ihm nacheilte, zur Seite und stürzte fort, auf die Hinterthür zu, die er heftig aufriß, daß die goldene Kette zerspringend zu Boden flog.

Da weckt der Schall seiner Stimme, der dröhnende Schritt seines eilenden Fußes ein Echo in der Tiefe des Ganges, wo er zur Treppe nach der Gartenseite des Schlosses hinabführt. Ein Gemurmel kommt herauf, es muß sich da drunten etwas verwirrt durcheinander bewegen. Es ruft: »Verrath!« und »Zurück!« doch eine feste Stimme übertönt es und befiehlt: »Vorwärts!«

Das sind die Dohlen Karin's. Sie sind in die Erde gekrochen und kommen aus der Erde wieder herauf. Keine will der andern den Vortritt lassen, zusammengedrängt stürmen sie vorwärts durch den engen Gang.

Eine Secunde noch und sie werden den Mann, der im langen Hausgewand, sein Licht mit der Hand blendend, daherkommt, von seinem Rückweg abgeschnitten haben. König Christiern's fiebernde Sinne vernehmen nichts; er zählt dreizehn Schritte und wendet sich nach links.

Da stürzt Gustav Rosen ihm, einem Irrsinnigen gleich, entgegen und packt seinen Arm.

Er schreit: »Rettet Euch!« und zieht ihn mit sich fort auf das Gemach zu, das der König verlassen. »Ihr seid verrathen! Gustav Wasa ist durch einen unterirdischen Gang vom Trollhätta her ins Schloß gedrungen!«

Das sind keine Dohlen, die alle Gänge erfüllen. Das sind die herkulischen Gestalten der Dalekarlen, deren jede den Beherrscher der nordischen Reiche auf ihren Händen wie ein Kind fortzutragen vermöchte. Gustav Stenbock dient ihnen als Führer, und sie stürmen heran. Der Plan ist mißglückt; jetzt handelt es sich nicht mehr um Stille, sondern um Schnelligkeit.

»Wo ist der Tyrann?«

Sie haben Karin, die ihrem Bräutigam nachgeeilt ist, erreicht, und sie deutet den Weg.

In ihren Augen ist jeder Strahl erloschen, der an den Blick erinnert, den jener liebt. Mit zorn- und verachtungbebenden Lippen ruft sie: »Er flieht in sein Zimmer – Gustav Rosen hat uns verrathen!«

Ein wilder Fluch dringt von den Lippen des Vordersten, und Gustav Folkung stürzt mit dem Schwert in der Hand der Richtung, in die ihre Finger deuten, nach. Noch haben die Flüchtlinge den Corridor nicht verlassen; das Licht des Königs ist erloschen, und in der Verwirrung sind sie an der Thür vorübergeeilt. Ihr Leben, das Schicksal Schwedens hängt an einer Secunde.

Doch Gustav Rosen kennt jeden Fußbreit im Schloß Torpa auch im Dunkel. Es ist keiner da, auf dem er nicht als Knabe gespielt, auf dem er nicht Hand in Hand mit Karin gestanden. Zurücktastend haben seine Finger die Thür gefunden, und er reißt den König mit sich hinein und stößt den Riegel von innen vor in dem Moment, wo Folkung's Hand von draußen an dem schweren Metallklopfer rüttelt.

»Ein Beil! Schlagt die Thür ein! Von einer andern Seite ins Zimmer, Stenbock!«

Doch die Thür widersteht, und als Antwort tönt Gustav Rosen's Stimme aus dem Fenster:

»Herbei! Man ermordet den König!«

Mit einem Schlage ist die Stille der Nacht dahin. Hundertfache Rufe hallen wider von allen Seiten. Es stürmt die breite Vordertreppe waffenklirrend herauf; droben fahren Hauptmann Torben und seine Begleiter aus den Betten und taumeln, halbbekleidet nach dem Schwert greifend, herunter. Sie treffen auf Stenbock und seine Schar, die durch den Saal, in welchem das Banquet stattgefunden, in das Zimmer des Königs zu dringen suchen.

Die Speere, mit denen die Dalekarlen den Bären furchtlos in seiner Höhle suchen, treffen mit tödtlicher Wucht die nackte Brust der Dänen; noch schlafverwirrt schwankt Knut Torben der greisen Berserkergestalt des Schloßherrn entgegen und ruft:

»Wir schlafen unter Deinem Dache! Ist das schwedische Gastfreundschaft, Gustav Stenbock?«

»Stockholmer Gastfreundschaft, Knut Torben! Ihr habt sie uns gelehrt!« donnert der Gefragte, und sein Schwert trifft die Schläfe des Hauptmanns, der mit einem Schrei neben dem Stuhl zu Boden rollt, auf dem er vor wenigen Stunden das Wohl der Tochter des Mannes getrunken, der ihm die sorglose Stirn zerschmettert. Um die lange Tafel tobt der Kampf; das Silbergeschirr fliegt durch den Saal, aber die sterbenden Dänen haben um eine Minute die Thalmänner von der innern Thür ihres Königs abgehalten, und auf Rosen's Ruf dringt von allen Seiten Hülfe herbei. Die Fackeln, Welche die athemlosen Soldaten entzündet, erleuchten taghell den Flur und die Gänge. »Verloren! Zurück!« ruft Stenbock dumpf. Die Dalekarlen sind vierzig gegen Hunderte; es wäre sinnloser Verzweiflungskampf, ihre Absicht länger zu verfolgen. Jetzt droht ihnen die Gefahr, von ihrem Rückweg abgeschnitten zu werden. Stenbock ruft es Folkung zu, der sich umwendet und Karin, die starr, wie betäubt dasteht und den herannahenden Dänen entgegenblickt, mit den Armen umfaßt.

»Wir finden uns wieder, Christiern!« knirscht er zwischen den Zähnen. Dann reißt er mit wilder Kraft, wie der Riesigste seiner rauhen Gefährten sie nicht stärker aufzubieten vermöchte, das willenlose Mädchen mit sich. Die Andern decken ihm den Rücken, sie leisten in dem engen Gang Widerstand wie die Schar des Leonidas in den Thermopylen. Ihre kurzen Waffen vermögen nichts gegen die langen Hellebarden der Dänen, aber im Fallen versperren ihre Körper den schmalen Weg.

Jetzt tritt König Christiern im Panzerhemd aus der Thür, die ihn gerettet. Gustav Rosen folgt ihm; todtenblaß überfliegt sein Auge den Kampfplatz, in den sein Ruf das stille Haus seiner Kindheit verwandelt. Die Fackeln werfen blutiges, schaudervolles Licht über die stummen Gesichter am Boden. Da trifft sein ruheloser Blick über den Köpfen der Ringenden einen weißen Punkt am Ende des Ganges. Es ist das Kleid Karin's.

Und aus seiner Betäubung aufgerissen, stürzt er zurück über den Flur, die Vordertreppe hinunter. Er reißt die Soldaten, die er noch drunten findet, mit sich um die Ecke in den Garten, an die Hinterthür, durch welche Karin einst Gustav Folkung heimlich emporgeführt.

»Hierher!« Mit der wuchtigen Hellebarde, die er dem Nächsten entwunden, schmettert er gegen das Holz, und hundert Stöße folgen dem seinen. Die Thür bricht, ihr letzter Halt weicht unter dem Ungestüm Rosen's, und zum zweiten Male steht er an der nämlichen Stelle den flammenden Augen Gustav Folkung's gegenüber. Doch diesmal haben sie keine Macht über ihn; die Speere der ihrem Führer nachdrängenden Dalekarlen nicht achtend, greift er nach der Schulter der Geliebten, die wie leblos von dem Arm Folkung's gehalten wird, der mit der Rechten die schwere in die Erde hinabführende Eichenthür aufreißt.

»Karin!« ruft der Jüngling, »Karin!«

Es liegt ein bittrer, verzweiflungsvoller Jammer in dem Ton, der Sterbende noch einmal ins Leben zurückreißen könnte. Er weckt die Gerufene aus ihrer Betäubung, es ist der alte Klang der Liebe, der alle Fibern ihres Herzens durchzittert, und sie öffnet weit die Augen und blickt ihn an. »Karin!«

»Zurück, Verräther!« Ein Schauder läuft über ihre Züge, und die abwehrend ausgestreckte Hand macht eine Gebärde des Abscheu's.

Gustav Rosen vermöchte Folkung's Leib zu umklammern und ihn zurückzuhalten. Er will es auch und hat den Arm erhoben, aber die Hand fällt vor dem Blick Karin's wie lahm herab. Es ist der letzte, denn ihr Weißes Kleid versinkt, wie von der Erde verschlungen, in der Finsterniß hinter der Eichenthür. Regungslos, wie vom Blitz erstarrt, steht der Jüngling den wilden Gesichtern der nachdrängenden Thalmänner gegenüber. Nun reißen die Soldaten, die ihm folgen, ihn zurück und schützen vorspringend seine wehrlose Brust. Auch auf dieser Seite des schmalen Ganges entbrennt der Kampf, doch hier zu Gunsten der Schweden, denen es, von beiden Richtungen her eingeschlossen, in der Todesnoth gelingt, die Dänen bis an die Außenthür zurückzuwerfen und den rettenden Eingang in die Erde zu behaupten. Die Soldaten wähnen sie drunten gefangen und lassen in ihrer Kampflust nach, um die Verzweifelnden nicht bis zum Aeußersten zu treiben. Ein Dutzend der Dalekarlen liegt von Hellebarden durchbohrt unter fast einem halben Hundert der Trabanten des Königs am Boden, doch die andern erreichen die massive Thür, die der letzte, noch auf der Schwelle kämpfend, mit lautem Krachen ins Schloß wirst und von innen mit gewaltigem Balkenriegel sichert. Dann folgt er verwundet und blutend, aber triumphirend den übrigen nach, die, wie über Kohlen dahineilend, den langen lichtlosen Gang durchfliegen. Er hat seit grauen Tagen vielleicht manchem das Leben gerettet, der aus dem erstürmten Schloß entwichen; er thut es auch jetzt. Freilich trägt der Vorderste, der ihn durcheilt, eine andere Last auf den Armen mit sich, als er zu erbeuten gedacht. Es sollte ein Mann sein, und es ist ein Mädchen; er sollte die Goldkrone der nordischen Reiche auf dem Haupt tragen, und vor Karin's besinnungsloser Stirne fließt nur aufgelöst, wie in Strömen das goldene Haar herab. Doch Gustav Folkung hält sie in den Armen, als ob sie eine Königin sei. Näher und näher erschüttert es mit dumpfem Rollen den Bauch der Erde; sie haben den Ausgang erreicht. wo die Dohlen wenige Stunden zuvor im Felsen verschwunden; mit vorgestemmtem Knie drängt Folkung den zur Seite weichenden Stein fort, und mit der frischen Luft, die ihnen entgegendringt, schlägt zugleich unvorbereitet das betäubende Brausen des Trollhätta an das Ohr der Flüchtigen. Es erweckt Karin, und ihre Glieder schaudern leis in dem kalten Hauch der Maiennacht; vorsorglich wie ein Kind deckt ihr Beschützer sie mit seinem Mantel und wendet sich stromauf. Die andern folgen ihm; ein Pfiff, dem vom jenseitigen Ufer der Elf ein zweiter antwortet, und eine breite dunkle Masse kommt schleunig über den Fluß. Nun erscheint sie als ein großes Fährboot, das vom See an diese Stelle herabgerudert worden. Es stößt an den Uferrand, und schon ist Folkung darin und bettet seine Last auf weiche Decken am Boden des Schiffes. Mit düsterer Stirn schwingt Stenbock sich nach, und die Dalekarlen füllen das Boot.

Doch plötzlich entsteht eine Verwirrung. Karin hat sich umblickend, gerufen: »Wo ist die Mutter?« Stenbock stößt einen Schrei und eine Verwünschung zugleich aus: »Wir haben sie vergessen, sie ist in der Hand des Tyrannen. Zurück!«

»Unmöglich!« antwortet die feste Stimme des Anführers, »es wäre sicheres Verderben und nutzlos.«

Allein Stenbock hört nicht auf ihn und drängt durch die Mannschaft des Bootes, um ans Ufer zurückzugelangen. Da tönt ihm Geschrei entgegen: »Hier sind sie – haltet sie – ins Wasser, ein Boot!«

Es ist Gustav Rosen, der Einzige, der von dem unterirdischen Ausweg des Schlosses weiß, und der in wahnsinniger Verzweiflung drüben, nachdem er gesehen, daß die Dalekarlen verschwunden, Soldaten zusammengerafft und über den Berg an den Trollhätta gestürzt ist. Doch er kommt abermals zu spät. Die gebieterische Stimme Folkung's befiehlt: »Vorwärts! Schweden ist Wichtiger als ein Weib, und wenn es Brita Stenbock heißt,« und die Ruder schlagen ein und entfernen blitzesschnell das Schiff vom Ufer. Die Dänen erheben ihre Speere, um sie in das unfehlbare, dichte Gewirr der Fliehenden zu schleudern, doch Rosen springt vor ihre Waffen und ruft entsetzt: »Nein, ihr würdet sie tödten – nein!«

Erstaunt gehorchen die Soldaten, dann drängen sie vorwärts und umfassen gewaltsam den Leib des Jünglings, der sich hinab ins Wasser gestürzt, um allein dem Boot zu folgen. Sie reißen ihn zurück und hören gleichgültig und spöttisch sein herzzerreißendes Jammern:

»Karin – Karin!«

Auch in der Mitte des Flusses vernehmen sie deutlich den jammernden Schrei. Nicht Gustav Stenbock. Sein Ohr hört ihn nicht; er hat das graue Haupt dicht mit dem Mantel verhüllt, um die Thränen zu verbergen, die aus seinem Herzen nicht minder heiß und verzweifelnd herausströmen als aus dem des Jünglings, der nur verloren hat, was er noch nicht besessen. Doch Folkung und Karin vernehmen es; sie hören den lauten, verzweiflungsvollen Klageruf:

»Gustav Wasa, ich will thun, was Du befiehlst, gieb sie mir wieder, Gustav Wasa!«

Karin fährt auf und blickt ihrem Gefährten im Zwielicht der Dämmerung fest ins Gesicht. Dann fragt sie:

»Welchen Namen ruft der Elende? Bist Du Gustav Erichson?«

Folkung nickt: »Ich bin es, Karin; Du siehst es an dem letzten Gruß Deines Bräutigams.«

Er lächelt bitter, wie er es sagt, und tritt rasch vor das Mädchen, um es vor den Speeren zu schützen, welche plötzlich durch die Luft schwirren und zischend um sie her ins aufspritzende Wasser niederfallen. Die Dänen haben, wie sie den Namen des fliehenden Anführers gehört, sich nicht mehr bändigen lassen und senden ihm wuthheulend ihre Wurfgeschosse nach. Doch die Entfernung ist schon zu groß, und mit wenigen Ruderschlägen sind die Dalekarlen aus dem Bereiche der Gefahr.

»Willst Du zu Gustav Rosen zurück, Karin?« fragt ihr Genosse – »sprich nur ein Wort, und ich selbst bringe Dich ihm.«

Es ist dieselbe scharfe Stimme, mit der er sie im Herbst zuerst am Trollhätta angeredet, und doch ist's, als klinge das Schwanken des Bootes, das sich dem jenseitigen Ufer nähert, hindurch.

Karin versetzt rasch: »Niemals. Zwischen ihm und mir liegt ein Abgrund, wie der Trollhätta zwischen diesem Ufer und jenem. Mein Herz gehört dem nicht mehr, der Schweden verrieth.« Die starken Lippen Gustav Erichson's zittern jetzt unverkennbar. »Doch dem, der Schweden befreit hat, Karin? Gehört Dein Herz dem, der Schweden von der Knechtschaft Christiern's errettet?«

Ein Schauer überläuft ihren Leib; sie will antworten, doch im selben Augenblicke fährt das Boot mit heftigem Stoß zum Ufer, und sie schwankt und würde stürzen, wenn nicht Gustav Wasa's Arme sie auffingen. Er hält ihre kalte Hand fest in der seinen und flüstert schnell, an ihr Ohr gebeugt, nochmals:

»Wer kann diese schöne Hand verdienen, Karin?«

»Die Hand–?« – es ist so hell schon geworden, daß man sieht, wie die Blässe auf den Wangen des Mädchens mit glühendem Roth wechselt; ihre leuchtenden Augen irren über die noch immer unbeweglich verhüllte Gestalt ihres Vaters, und sie wiederholt in fieberhafter Hast: »die Hand –?«

Dann plötzlich blickt sie dem Manne an ihrer Seite fest ins Auge und fährt fort:

Die Hand ist frei, Gustav Erichson, der Trollhätta vernimmt es, und sie gehört dem, der zwei Dinge vollbringt –«

Die Wasser des Trollhätta rauschen und überbrausen die Worte, die Karin's Lippe hastig flüstert. Das sind die Wasser, von denen die Sage erzählt, daß der alte Barde an ihrem Rande stand und von der dämonischen Gewalt des donnernden Stromes überwältigt willenlos in seine Tiefe hinabsprang.

Denkt sie es, wie sie in der Frühluft schaudert und auf die grünen, vorüberschnellenden Wogen blickt? Denkt sie der Worte, die einst angstvoll aus ihrer Brust sich aufgerungen:

»Werde nicht müde, armer Gustav. Wenn Du müde würdest und der Strom hätte mich gefaßt, daß es zu spät wäre und Du mich nicht mehr emporheben könntest –?«

Nein, diese Augen sind ernst, doch sie denken der Worte, denken Gustav Rosen's nicht. Auch die Augen ihres Gefährten sind ernst, nachdem er gehört, was das Mädchen geflüstert. Dann verneigt er sich tief vor Karin Stenbock und spricht:

»Ich sagte, Schweden sei wichtiger als ein Weib; Du bist das erste Weib, Karin Stenbock, das meinen Willen erschüttert. Schwedens Zukunft komme über Dich, wenn sie um ein Weib verloren geht.«

Und er verneigt sich nochmals mit ritterlichem Anstand und tritt unter die ans Land gesprungenen Dalekarlen, von denen er vier auswählt und leise mit ihnen spricht. Das Herz der Thalmänner kennt keine Furcht, sonst könnte man den Ausdruck ihrer Augen für Schreck halten, wie sie seine Worte vernehmen. Doch ebenso wenig als Furcht kennen sie Ungehorsam gegen ihren Führer, und auf seinen Wink eilten sie in das Boot zurück, während er sich Stenbock nähert und ebenfalls leise mit ihm spricht. Nach den ersten Worten glänzt es in den Blicken des Letzteren wie mit jugendlichem Glück auf, und er macht eine rasche Bewegung auf das Boot zu. Allein Gustav Wasa hält ihn zurück und redet hastig weiter, bis Gustav Stenbock widerwillig mit dem Kopf blickt und darauf ihm schwedisch fest und lange die Hand schüttelt.

»Sie müssen ihm Alle gehorchen,« denkt Karin, wie sie der stolzen, fast königlichen Haltung des noch jungen Mannes nachschaut, der sich zu den Vieren ins Boot schwingt und aufrecht unter ihnen stehen bleibt, Wie sie hart am Uferrand stromaufwärts fortrudern.

»Sie müssen ihm Alle gehorchen, sie wie ich. Er ist wie der Trollhätta.« Ein Gruß aus dem verschwindenden Schiff unterbricht Karin's Gedanken. Sie winkt ebenfalls mit der Hand und ruft, die Lippen öffnend, unwillkürlich: »Gustav –!«

Dann schnell sich besinnend, setzt sie hinzu: »Fahre Wohl, Gustav Wasa – –«


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