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Karin von Schweden
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Viertes Capitel.

Es war noch früh am Morgen des ersten Mai, als ein glänzender Zug über die Breite des Wettersees daher kam, dessen letztes Eis am Tage vorher der entfesselte Motalastrom der Ostsee zugetragen. Manches Auge, das auf die bunt bewimpelten Böte blickte, in deren Mitte das reich geschmückte Königsschiff aufragte, mochte heimlich andere Wünsche gehegt haben, als die furchtsame Lippe sie ausrief, wie der Zug den festen Boden wieder betrat und sich auf dem breiten Wege, für deren Verbesserung die Bauern der Landschaft seit Wochen Tag und Nacht Fuhren hatten leisten müssen, westwärts weiter bewegte. Droben in Dalekarlien hätten die Lippen vielleicht ihre Verwünschungen nicht zurückgehalten, und König Christiern der Zweite wäre vielleicht trotz seines zahlreichen Gefolges nicht so ruhig an den breitschulterigen Söhnen des Landes vorbeigeschritten, von denen Einer mit raschem Griff nach dem Messer hätte fassen und es mit unfehlbar sicherem Wurf grade durch das Königsherz schleudern können. Allein hier war nichts der Art zu besorgen. Zwar nannte man den Tag den ersten Mai, doch der Winter lag noch über Schweden und hielt es todt und gebändigt.

Düsteren Blickes und eisig wie der Winter ritt Christiern durch das bleiche Licht der Maisonne, deren kalter Schein dem Namen Hohn sprach, mit dem die Menschen den Monat belegt, der heute angebrochen sein sollte.

Das Pferd, das den König trug, war schwarz vom Haupt bis zum stolz gebogenen Schweif, nur die purpurne Schabracke, auf welcher der Reiter saß, funkelte, wie Blut auf dunklem Estrich, und ein schneeweißer Fleck auf der Stirn gemahnte an das ähnliche Weiß in den unter finsterer Braue zusammengezogenen königlichen Augen, wenn es über die Gruppen, die hie und da am Wege standen, hinflog. Es war noch starrer als früher, seit jener Nacht in Stockholm, und tiefe, schattige Furchen lagen über ihm auf der Stirn. Tödtlicher Blitz drohte in den unheimlichen Augen, wo sie nicht entsetzensvolle, unterwürfige Furcht vor sich gewahrten; man sah, an dem Zucken einer Wimper hing das Zucken des rothbefleckten Beils, das der wilde »Gevatter« des Königs in seinem Gefolge entblößt und herausfordernd auf dem Rücken trug.

Der Einzige vielleicht, der von allem Dem nichts bemerkte, war Gustav Rosen. Ihm erschien die Maisonne so warm und glanzreich wie die des Hochsommers, ein Frühlingsschimmer lag vor seinen Augen über der todten Flur, und er sah nichts als Neugier und ehrfurchtsvolles Staunen in den Blicken, mit denen die Landleute den vorübereilenden Zug maßen. Auf Befehl des Königs ritt er an dessen linker Seite; sein Pferd tanzte so fröhlich unter ihm, daß er es kaum zu zügeln vermochte. Christiern war schweigsam, wie er es von jeher gewesen und seit der Unterdrückung Schwedens noch mehr geworden. Ab und zu warf er ein karges Wort hin, das der Jüngling, in seine lachenden, vorauseilenden Träume versunken, zuweilen überhörte, und auch der König wartete, seine Gedanken durchblutend, auf keine Antwort. Das Haus, das er auf seinem Abzüge nach Dänemark berührte und durch seinen Besuch ehrte, war nicht unwichtig für seine Pläne. In Stenbock's Person huldigte ihm der nach den Vorgängen in Stockholm angstvoll in die Einsamkeit geflüchtete schwedische Adel; zugleich kettete er Gustav Rosen fest an seine Sache. Nun ritten sie über Falköpingfeld, und der König hob sich umblickend in den Bügeln.

»Wir haben es besser gemacht, als Frau Semiramis, unsere Großmutter,« sagte er plötzlich mit scharfer Stimme. »Frau Margarethe war keine große Kennerin der Landwirthschaft und vergaß, daß man, um ein rohes Land urbar zu machen, seine Stumpfen ausbrennen und es mit Blut düngen muß. Hätte sie es damals gethan, so würden die schönen Töchter dieses Landes uns heute mehr lieben und uns weniger häßlich finden. Oder glaubst Du, daß die Rose vom Trollhätta um des Amtes willen, das wir übernehmen, unser Alter übersehen und uns liebenswürdig heißen wird, Rosen?«

Christiern lachte kurz auf zu der Frage, und sein Auge flog blitzschnell über das Gesicht seines nach einer Antwort suchenden Begleiters. Doch ehe dieser sie gefunden, fuhr der König fort: »Hier liegen die Knochen, die meine und Deine wackern Vorfahren zusammengehäuft, Rosen, und der Fuß meines Pferdes tritt vielleicht gerade den klugen Schädel Deines Ahnherrn, der auch Narr genug war, sich ihn für ein Ding wie Schweden entzweischlagen zu lassen. Wir sind Weiser, Rosen; wir schließen keine kalmarische Union, die vorher Fleisch und Blut in den Boden stampft, sondern eine andere Union, aus deren Boden Fleisch und Blut aufsprießt. Wir wollen schneller reiten, die Sonne steht schon im Niedergang, und die Rose von Trollhätta erwartet uns.«

Seine Majestät König Christiern der Zweite von Schweden, Norwegen und Dänemark war besonderer Laune heute, wie Niemand ihn seit der Krönung zu Stockholm mehr gesehen. Erstaunt blickten die Nächsten seines Gefolges sich verstohlen an; es war unheimlich, wenn Christiern lachte, wie das grelle Licht der Sonne, die an unheildrohendem Wetterrand hervorbricht. Dann mußten sie ihren Pferden die Sporen eindrücken und sprengten wie die wilde Jagd hinter dem davonstiebenden schwarzen Hengst des Königs über Falköpingfeld.

Es dämmerte schon, und Schloß Torpa war mit Hunderten von Lampen und Fackeln erhellt, als der königliche Bräutigamszug eintraf. Der Hausherr erwartete seinen hohen Gast entblößten Hauptes unter dem Portal; hinter dem Vorhang eines Zimmers im ersten Stockwerk stand Karin Stenbock und blickte hinaus. Ihr Herz klopfte heftig und ihre Brust wogte. Noch immer waren es die Augen, die Gustav Rosen fürchtete, mit denen sie das Gefolge des Königs überflog. Sie suchten den Geliebten nicht, sie verweilten nicht auf ihm, wie sie ihn getroffen, sondern wanderten hastig weiter über die zahlreiche Reiterschar, die schon den Raum des Gehöftes erfüllte und noch immer mit Hellebarden, welche das Zwielicht durchleuchteten, von draußen nachdrängte. Karin's Lippen murmelten Zahlen und ihr Antlitz erbleichte. Sie schwankte auf den Füßen und hielt sich mit der Hand krampfhaft an dem Fenstervorhang, daß sie ihn fast zu Boden zerrte. Dann eilte sie lautlos davon und verschwand.

Drunten hielt Gustav Stenbock dem absteigenden König den Bügel. Christiern warf einen schnellen Blick über das alte, in seiner langhingestreckten Lage fast tageshell erleuchtete Gebäude und bot seinem Wirthe herablassend die Hand. Einen Augenblick war es, als ob dieselbe plötzliche Schwäche Stenbock überfalle wie seine Tochter. Er starrte auf die königliche Hand, doch die seine ergriff sie nicht, sondern fuhr in die Höhe, den kalten Schweiß, der ihm auf der Stirn ausbrach, zu trocknen. Christiern bemerkte es, und seine Brauen runzelten sich.

»Du hast uns schon im Herbst eingeladen, Dich zu besuchen, Stenbock; unser Hauptmann hat uns damals Deinen Auftrag ausgerichtet,« sagte er mit einem Anflug von Hohn, der nur dem Schloßherrn verständlich war. »Zwar bist Du unserer Aufforderung, uns die Ehre Deiner Gegenwart in Stockholm zu erweisen, nicht gefolgt, aber wir wissen, daß Du entschuldigt warst, und Du siehst, wir tragen es Dir nicht nach, sondern sind Dein Gast heut' und warten nur, daß Du uns willkommen heißt.«

Es mußte in den Worten etwas liegen, das dem Angeredeten seine Stärke wiedergab, denn er ergriff jetzt die dargebotene Hand und wiederholte mit sicherer Stimme: »Willkommen!«

Der König schritt die mit Teppichen belegte Treppe an der Seite seines Wirthes empor, sein Gefolge drängte ihm nach. Doch auf der fünften Stufe wandte Christiern sich um.

»Der König von Schweden ist sicher in Gustav Stenbock's Hause,« sagte er zurückblickend, »und bedarf keiner Wachen. Wähle zwölf Ritter aus, die uns begleiten, Hauptmann Torben, die übrigen mögen drunten übernachten. Komm, Stenbock; wir tragen Erwartung, die Rose zu sehen, die wir morgen in Rosen's Hand legen werden.«

Und König Christiern lachte abermals. Bei den ersten Worten desselben war Stenbock noch einmal weißer als die Wand geworden, neben der er stand, und es fehlte wenig, daß sein Fuß die Stufe verfehlte und er auf die auserwählten, nachfolgenden Ritter zurückgetaumelt wäre. Nun schritt er mit seinem Gaste weiter. Er führte denselben mit seinem Gefolge in die Säle des linken Flügels, wo Brita Stenbock ihn bewillkommnete. Sie stand hochaufgerichtet in der Mitte des ersten Zimmers und erwartete die Herankommenden.

»Stehe ich vor König Christiern von Schweden?« fragte sie mit fester Stimme.

Stenbock bejahte; zum ersten Mal verriethen die unbeweglichen Züge Christiern's Überraschung. Er wußte, daß er vor der Frau stand, welche die unversöhnlichste Feindin Dänemarks gewesen, von der er geglaubt, daß sie weit eher dem Beil des Henkers, als ihm den Nacken biegen werde. Ein flüchtiger Strahl wirklicher Freude überzuckte das finstere Gesicht des Königs, wie Brita Stenbock fortfuhr:

»Seid mir willkommen, König Christiern. Ich danke Euch im Namen meines Vaterlandes, denn ich hoffe. Euer Verweilen in diesem Hause wird Schweden zum Heile gereichen.«

Brita Stenbock erbleichte nicht und stockte nicht, wie sie es sprach. Unbeweglich, das graue Haupt erhoben und die Augen fest vor sich hingerichtet, stand sie, nachdem sie sich tief verneigt, und wartete auf die Hand des Königs, der in sichtbarer Verwirrung die ihre faßte und sie zu Häupten des langen Banquettisches im anstoßenden Saale geleitete, wo sie sich auf den Sessel neben ihm niederließ und durch die Mittheilungen hinter ihr stehender Diener den Obliegenheiten einer Wirthin so sicher nachkam, als ob ihre Augen Alles zu übersehen vermocht hätten. Man gewahrte es an der Genauigkeit, mit der die Blinde die Würde ihres Hauses aufrecht erhielt, daß es eine ungewöhnliche Frau sein mußte; es war, als fühle sie, daß der Blick ihres Nachbars forschend auf ihrem Gesicht ruhe. Nun erhob König Christiern seinen goldenen Pocal zum Gruß und stieß ihn wider den Becher seiner Wirthin, der ihm, mit fester Hand geführt, in der Mitte begegnete.

»Auf das Wohl dieses Hauses!« sagte er und trank.

»Auf das Wohl Schwedens!« versetzte Brita Stenbock, indem sie ihren Becher bis zur Neige leerte und sich ruhig zurücksetzte.

Der Lichterglanz an den Wänden strahlte von dem schweren silbernen Geschirr wieder, das den Tisch bedeckte; er funkelte zurück aus dem rothen Wein, ein Duft köstlich bereiteter Speisen, die soeben aufgetragen wurden, begann den Saal zu erfüllen. In dem Blick des Königs lag Zufriedenheit, obwohl seine Augen suchend umhergingen. Allmälig jedoch mischte sich ein Zug von Ungeduld hinein, und er wandte sich zu seiner Nachbarin und fragte:

»Und die Rose des Festes, zu dem wir uns geladen, wo bleibt sie? Mich dünkt, ich sehe dort unten zwei erwartungsvolle Augen, die mit noch größerem Recht denn ich die Frage stellen.«

Er machte eine Handbewegung gegen Gustav Rosen hinüber, der stumm in der Mitte des Tisches saß und für Alles, was um ihn her vorging, blind und taub zu sein schien. Der Jüngling hatte, sobald er sich von der Seite Christiern's loszumachen vermocht, die Geliebte gesucht. Er war durch alle Zimmer des ganzen Schlosses geeilt, ohne sie zu finden. Jedermann hatte sie noch eben im Hause gesehen, doch Niemand wußte, wo sie geblieben. In tiefsinniges Grübeln versunken saß Rosen und bemerkte nichts von der Geste des Königs. Allein im selben Augenblick sprang er glückstrahlend auf, denn die Vermißte erschien auf der Schwelle der Thür ihm gegenüber.

Karin war noch immer etwas bleich, doch in dem röthlichen Licht der Fackeln hob es fast ihre Schönheit noch. Sie trug ein Weißes, schwer nachschleppendes Kleid, das mit dem blauen Gürtel, der es über den Hüften umschloß, die Farben Schwedens bildete. Das Haar lag in sonniger Fülle auf den entblößten Schultern – es war ein unsagbar lieblicher und zugleich königlicher Anblick, wie das Mädchen in den vollen Schein des Lichts hereintrat. Ueberrascht wandten sich alle Augen auf sie, jede Hand, die den Becher erhoben, um ihn an die Lippen zu führen, fiel unwillkürlich zurück.

Doch nur zwei Theilnehmer an dem Banquet sprangen von ihren Sitzen auf, Gustav Rosen und König Christiern von Schweden. Karin befand sich dem Letzteren näher, und dieser erreichte sie deshalb zuerst. Er rief ihr zu:

»Wahrhaftig, Rose vom Trollhätta, Dich braucht man nicht zu nennen, und Du bist des Hochverrates schuldig für jede Minute, die Du Dich unserm Blick entzogen. Zur Strafe scheiden wir Dich heute Abend von Deinem Bräutigam, dem Du Tausenden zum Neide gehören wirst. Die Königin von Schweden weilt nicht auf dem Platz, der ihr neben uns zusteht, und nach ihr bist Du die Nächste, der er gebührt. Komm, Jungfrau, und wir fordern Euch auf, unserm Beispiel zu folgen und die Königin dieses Abends zu begrüßen.«

Er faßte die Hand des Mädchens und führte es wie eine Fürstin auf den Sitz zu seiner Rechten. Nur mit einem schnellen, grüßenden Blick traf Karin's Auge das ihres Verlobten, dann ließ sie sich mit stolzer Würde, einer wirklichen Königin gleich, an der Seite Christiern's nieder, der neben ihr stehend den Pocal auf ihr Wohl leerte. Die Ritter seines Gefolges thaten dasselbe und neigten sich tief vor der Tochter des Hauses; in dem Blick des Königs, der unausgesetzt auf ihr verweilte, lag etwas, das sie veranlaßte, die Stirn tiefer vor ihr zu bücken, als sie es vielleicht vor der wirklichen Königin von Schweden drüben im Schloß zu Kopenhagen gethan hätten. Oft traute Rosen seinen Augen nicht; war das dieselbe Karin, die um der Knechtschaft ihres Vaterlandes willen ihre Liebe vergessen konnte? Es waren dieselben andern Augen, die er fürchtete, die nichts von Gustav Rosen wußten, und die doch jetzt an jeder Bewegung König Christiern's hingen. Sie lächelte ihm zu, und er trank den Wein, den sie ihm credenzte. Man sah, die Schmeicheleien, die er ihr, dicht an ihr Ohr geneigt, zuflüsterte, trieben ihr das Blut in die Wangen.

»Sie ist schöner als das Täubchen von Amsterdam – sie wird Schweden Glück bringen,« raunten sich die Ritter verstohlen beim Becherklang zu.

Hatte Karin Stenbock nur einen Weg mehr zum Heile Schwedens gesehen und ihn eingeschlagen – den Weg, den einst Esther zum Throne des Perserkönigs ging? Dann magst Du ein starkes Weib sein, Karin Stenbock, und die Nachwelt Dich bewundern, vielleicht Dich preisen. Aber Deine Liebe war falsch und Dein Herz ist werthlos. – – Halt' inne auf dem Weg, Du zitterst noch, und Dein Auge sucht noch oft, wie von plötzlicher Angst überfallen, den Blick Deines Vaters. Ist er es, der Dich verkauft hat für Schwedens Wohl? Dessen unbewegliches Auge der Tochter Muth einspricht, sich die Bahn zu eröffnen, die zum Verrath an Gustav Rosen führt?

Es war eine lustige Nacht, wie Torpa sie lange nicht, vielleicht niemals gesehen. König Christiern war im gewöhnlichen Leben enthaltsam, fast nüchtern; seit dem Blutbade zu Stockholm trank er keinen Wein mehr, den ihm nicht ein Anderer zuvor credenzt. Doch an der Seite Karin's schwand sein Argwohn, und er leerte jeden Trunk, den ihre weiße Hand in seinen Pocal füllte. Seine Augen hingen berauscht an ihrem Antlitz; der Wein bemächtigte sich seiner Zunge, daß er nicht mehr zu flüstern vermochte, sondern so laut sprach, daß Brita Stenbock jedes der an ihre Tochter gerichteten glühenden Worte vernehmen mußte. Doch auch sie saß unbeweglich, gleich ihrem Gatten, wie ein Ahnenbild auf dem kunstreich geschnitzten Sessel. Auch Gustav Rosen füllte oft seinen Becher aus der hohen Silberkanne und trank ihn hastig aus. Er suchte jeden Gedanken zu fliehen, sich zu betäuben – bis morgen. Mitternacht war vorüber, der König schien aufbrechen zu wollen und dennoch wieder zu zaudern. Sein Arm lag auf der Sessellehne Karin's, er öffnete die Lippen und schloß sie wieder.

»Schöne Karin,« sagte er endlich so leise, wie er es vermochte, »es ist Zeit, daß wir scheiden. Ich will unter Deinem Schutz schlafen, süße Rose; wohin hast Du mich gebettet? Bin ich fern von Dir? Der Schlaf wird mein Auge fliehen, wenn ich nicht Deinen Athemzug mehr vernehme.«

Alles Blut floß aus dem Gesicht des Mädchens zurück, doch sie blieb, wie gebannt, an seiner Seite, und er fuhr, seine Augen trunken in die ihren heftend, mit schwerer Zunge fort: »Weißt Du, daß ich ein Recht habe, diese Nacht über Dir zu wachen, zu achten, daß Niemand Dein Gemach betritt? Ich darf Dir verbieten. Deine Thür zu schließen – ich bitte nur, Karin – ich bin nicht der König, der befehlen kann, sondern Dein Freund, der, ehe der Tag wieder anbricht, noch mit Dir reden muß. Willst Du mich erwarten? Sonst lasse ich aufsatteln, jetzt, sogleich, und reite davon, und ein Anderer mag Dich zum Altar führen – wenn ich es dulde. Antworte nicht, trinke mir ein Ja zu, wenn Du mich erwartest.«

Diesmal hatte der König so leise gesprochen, daß Niemand die Worte vernommen, als die, der sie galten.

Karin erhob den Becher, doch ihre Hand zitterte, daß der Wein wie Blut den Tisch überfloß, und ihre Augen gingen irr an Christiern vorbei zu ihrem Vater.

»Muth!« sagte Stenbock's unbeweglicher Blick, »Muth!«

Und Karin stieß den Becher wider den des Königs und trank.

Rothglühend, wie der verschüttete Wein, funkelte es in seinen Augen auf. »Laß Sorge tragen,« flüsterte er, »daß meine Begleiter so untergebracht werden, daß uns Niemand zu gewahren und zu stören vermag. Ich habe lange mit Dir zu reden, Karin.«

Die Finger des königlichen Arms, der die Sessellehne umschlungen hielt, bewegten sich kühn vorwärts und legten sich auf die herabhängende, bei der Berührung zusammenschaudernde Hand des Mädchens, während seine Linke eine schwere, mit Edelsteinen gleißende Goldkette vom Halse nestelte und sie in ihren Schoß gleiten ließ.

»Hänge sie an den Klopfer Deiner Thür,« fuhr er fort, »damit ich den holden Garten erkenne, in welchem solche Rose blüht. Und sage mir, wie ich unbemerkt zu ihm gelange.«

Ein Schneebild, von Knabenhand geformt, kann nicht weißer sein, als das Gesicht Karin Stenbock's, wie sie sich dem König entgegenneigte und fast unhörbar und abgebrochen stotterte:

»Von Eurer Thür führt zur Rechten ein Gang; zählt dreizehn Schritte und biegt links ab, und Ihr gelangt an eine Hinterthür, die zu mir führt. Die Kette wird sie Euch deuten – eine Stunde, nachdem Alles zur Ruhe gegangen, erwarte ich Euch.«

Die Kraft des Mädchens war erschöpft, ihr Kopf fiel haltlos gegen die Stuhllehne zurück. Der König Artaxerxes überglänzte sie noch mit einem trunkenen Blick und erhob sich.

»Unsere Königin ist ermüdet,« sagte er mit lauter Stimme, noch einmal den Becher füllend, »wir trinken dies auf die Träume ihrer Nacht.«

Noch einmal klirrten die Goldpocale über der Tafelrunde, und die Höflinge neigten sich tief vor der neuen Maisonne, die um Mitternacht unerwartet vor ihren Blicken emporgestiegen. Dann schickten sie sich an, dem Könige zu folgen, doch er hielt sie mit einer Handbewegung zurück:

»Wir bedürfen keiner Wächter heute Nacht, Hauptmann Torben, und wünschen ungestört zu ruhen. Unser gastfreier Wirth hat sicherlich Sorge getragen, daß auch ihr euch auf gutem Lager von seinen trefflichen Weinen erholen könnt. Wir danken Dir, Stenbock, wir sind zufrieden. Rosen wird verstatten, daß wir auch an unserer Wirthin Gastrecht üben und nach altem Brauch ihr unsern Dank abtragen.«

Die zügellose Natur Christiern's hatte alle Herrschaft über sich verloren, und er schlang bei den letzten Worten den Arm um Karin's Nacken und küßte ihre Stirn. »In einer Stunde also,« raunte er ihr zu.

Der angstvolle Kampf, den Esther gekämpft, war überwunden.

»In einer Stunde,« wiederholte sie leise, aber fest; »vergeßt nicht, was ich gesagt.«


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