Wilhelm Jensen
Osmund Werneking
Wilhelm Jensen

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Osmund Werneking aber saß noch völlig verwirrt, keines klaren Gedankens mächtig. Was er aufzufassen vermocht, war, daß die neben ihm Befindlichen die drei schwarz Vermummten bei dem Hansenfest gewesen und daß Wilma Oldigson als Genossin von Seeräubern mit ihnen dorthin gekommen. Er wußte kaum, ob diese Enthüllung ihres geheimnisvollen Wesens ihn mit Schreck oder einem freudigen Gefühl befallen, mit beidem zugleich schien's ihm, ohne daß er sich Gründe dafür angeben konnte. Auch blieb ihm keine Zeit, seine Denkkraft zu sammeln, denn er mußte auf den Zutrunk seiner nunmehr rauh-artig gegen ihn umgewandelten Wirte Bescheid tun. Sie hatten offenbar bereits dasjenige abgeredet, weshalb Tiedemann Steen in tiefer Nacht stundenweit durch das weglose Gebirge hierher geschritten war, und gaben sich rückhaltlos der Becherlust hin. Hörbar bedienten sich alle der deutschen Sprache nicht nur um ihrer hansischen Gäste willen, sondern sie war ihnen angeboren. Sie redeten sich selten mit einem Namen an, Osmund hatte bis jetzt nur »Herr Viking« und einmal »Bartholomes« vernommen. Ungefähr mochten sie in gleichem Alter zwischen sechzig und siebenzig Jahren stehen; derjenige, welcher zuerst Fürsprache für Osmund eingelegt, erschien trotz seinem am meisten wild-verwitterten Gesicht vielleicht doch noch als der Jüngste. Nach der Frage, die er damals getan, mußte er ehemals in der Stadt Wismar nicht fremd gewesen sein, die zusammen mit Rostock des üblen Rufes genoß, das Unwesen des Seefreibeutertums im vorigen Jahrhundert ins Leben gerufen und auch späterhin manchmal offen und heimlich begünstigt zu haben.

Einen ähnlichen Zweck verfolgte augenscheinlich auch das Verhalten und die Hierherkunft Herrn Tiedemann Steens, doch mit welcher geheimen Absicht, vermochte Osmund nicht zu erraten. Sichtlich hatte der Oldermann für den letztern, so unliebsam ihm sein unerwartetes Erscheinen gewesen, mit einigen leise gesprochenen Worten Bürgschaft geleistet und dadurch hauptsächlich zu der veränderten Aufnahme des jungen Patriziersohnes beigetragen. Dieser entnahm aus den hin und her wechselnden Reden, daß die Piraten vor etlichen Monaten an den Küsten der Insel Gotland von drei Lübecker Orlogskoggen aufgescheucht worden, bei wildem Unwetter mitten zwischen ihnen hindurch auf Tod oder Leben aus dem Wisbyer Hafen entronnen waren und hier in der Klippenwüste eine sichere Zuflucht gefunden hatten, bis die Luftstille des Sommers vorüber sei und günstigerer Wind ihnen den Wiederbeginn ihrer Beutestreifzüge ermögliche. Ob der Himmel solche Änderung des Wetters ankündigte, hatte Wilma Oldigson mit schreckhaftem Blick auf Osmunds Frage, wie oft sie noch auf die Felshöhe heraufkomme, bemessen. So saß er, den häufigen Zutrunk erwidernd, hörte die Reden um sich, antwortete und fühlte manchmal seinen Kopf von einem plötzlichen Verständnis durchzuckt. Doch im allgemeinen klang alles nur wie ein traumhaft verworrenes Gesumme an sein Ohr, seine Augen allein waren mit wachem Leben angefüllt und suchten ab und zu, heimlich vorüberstreifend, das Antlitz des zuwartend an der Schiffsbrüstung lehnenden Mädchens. Dann begegnete ihr Blick ihm mit einem schnellen, wundersamen Strahl, der durch das Lichtgeloder der Fackeln ihm wie das Geleucht eines Doppeldiamanten ins Gesicht grüßte und eine Sprache redete, bei deren lautlosem Klange sein Herz glückestrunken aufzitterte. Doch war es die phantastische Umgebung im roten Flackerschein, oder der ihm zu Häupten steigende heiße Trunk nach der langen Erschöpfung, er konnte sich manchmal einer wunderlichen Sinnesumgaukelung nicht erwehren, als sei er Herr Johann Wittenborg und sitze auf dem Königsschloß zu Helsingör, und Ingeborg von Dänemark fülle ihm mit eigener Hand den geleerten Becher wieder an. So alabastergleich mußte auch ihre Hand gewesen sein und so ihre Nixenaugen dem jugendlichen Admiral seeleberückend ins Antlitz geblickt haben – es überlief Osmund Werneking sonderbar – hatte sie ihm nicht auch eine Wasserrose gereicht, daß ihm die Frage von den Lippen geflogen: »Bist du von der Art Ingeborgs von Dänemark?« Und merkbar hatte sie bei den Worten gestutzt und erwidert: »Was weißt du von Ingeborg von Dänemark?«

Dann zerriß das traumessinnlose Spiel seiner Einbildung, nicht mit trügerisch gleißender Verlockung, sondern mit dem echten Demantstrahl des Herzens sahen die Augen Wilma Oldigsons ihn an, doch ein Rätselschleier lag noch immer wie zuvor um sie her. Wie kam sie als Genossin unter die Seeräuber, und wer war der narrenhaft und doch mit dem Wert eines Königreiches juwelengeputzte »Viking«, der hochfahrenden Wortes gebot, aber unverkennbar nur eine prunkende Scheinherrschaft auf dem Schiff übte? Hatte er seinen ungeheuren Schatz etwa nicht mit verwegener Hand geraubt, sondern listig entwendet, daß er um seines Reichtums willen einen mächtigen Einfluß unter den Freibeutern besaß, doch von den beiden andem Führern der Snigge innerlich gering geschätzt wurde? So schien's, denn die wilde, teils am Ufer, teils auf den Deckkastellen lagernde, wohl an zweihundert Köpfe starke Bemannung betrachtete sichtlich jene beiden als ihre eigentlichen Herren. Mehr als eine Stunde, vielleicht zwei schon mochten vergangen sein, über die schwarzen Felsen im Osten kam ein fahler erster Morgenschimmer herauf, die graubärtigen Gesichter um den Tisch wurden immer dunkler vom unmäßigen Trunk gerötet. Nun riß eine Frage Osmund Werneking aus seinem Umherdenken aus. Der jüngste unter den drei Alten, der am meisten mit dem jungen Gaste geredet, schlug ihm auf die Schulter und rief:

»Trinkt, Herr Werneking, oder ist's zu Wismar nicht Brauch, und hat's Euer Vater Euch nicht gelehrt? Schenk ihm den Becher voll, Mädchen! Das ist bei der bunten Kuh eine lustige Nacht heut, von der mir am Abend nicht geschwant! Würde freilich Euer Vater, soweit ich von ihm vernommen, sondre Augen machen, wenn er seinen Sohn in dieser edlen Gesellschaft erschaute!«

»Wenn Ihr seinen Namen gekannt,« entgegnete Osmund, »er schauet nichts mehr seit dieses Jahres Beginn.«

»Ist tot? Der kluge Herr?!« stieß der Pirat aus. »Ist Ratsherr im Himmel geworden? Zuschenken, sagt' ich dir, Dirn'! Mich deucht, es ist lustiger, noch als Ächter mit den Möwen zu fliegen, als von Pfaffen eingesungen bei den Würmern zu liegen!«

Wilma Oldigson war auf sein Geheiß herangetreten und hatte ihr Schenkenamt vollzogen. Er stürzte den Inhalt des gewaltigen Pokals auf einen Zug hinunter und gebot:

»Füll' ihn neu, weiße Seejungfer! Das war für die Toten – stoßet an auf die Lebendigen, Herr Werneking, und bleibet bei uns! Wenn meine Augen Euer Blut richtig durch die Haut gewahren, muß es Euch besser hier gefallen, als in der Schreibstube, und tätet ein gottgefällig Werk obendrein, denn es gibt zwei Augen unter uns, die wohl einmal andere Anschau haben möchten, als graue Bärte.«

Er schlang lachend seinen Arm um den Leib des neben ihnen stehenden Mädchens, doch im selben Augenblick scholl gebieterisch die Stimme des Viking:

»Deine Hand fort! Du weißt, daß niemand sie anrühren darf!«

Der andere lachte indes in unbekümmertem Weinrausch: »Likedeeler, Herr Viking! Wovon auf dem Schiff ich mein Teil will, fällt's mir zu, ob's Eure Steine sind oder blitzende Dirnenaugen! Aber ich will Eure Diamanten nicht und die roten Lippen nicht für mich, sondern als Angeld für einen, dessen junges Blut besseres Recht darauf hat.«

Sein Arm hielt Wilma Oldigson mit eiserner Kraft fest und zog sie in wild-ausgelassener Laune gegen Osmund Werneking hinan. Sie rang nicht dagegen auf, gab regungslos dem Zwange seiner Kraft nach, doch nun fuhr der Viking zornwütig vom Sitz und rief:

»Die Hand, die sich an ihr erfrecht, fällt, als ob sie mich selbst berührt! Ich bin dein Herr! Auf deine Knie und bettle um Gnade!«

Er stand prahlerisch hoch aufgereckt, auch der andere war emporgesprungen, besinnungslose Trunkenheit rollte in ihren Augen gegeneinander, er gab mißächtlich Antwort:

»Meine Hand deucht mich besser dazu, als Eure, denn sie hat keine Juwelen bei Nacht gestohlen!«

Nun loderte es mit tierischer Wut über das Gesicht des Viking, er riß sein Schwert aus der Scheide und schrie: »Ich trete sie mit dem Fuß, wenn's mir gefällt, aber du, ein Knecht, ein Hund, küssest ihre Schuhe!«

Zugleich hob er den Fuß und führte einen Stoß damit nach dem Mädchen, der nur durch das rasche Vorspringen Osmund Wernekings von ihr abglitt, statt dessen den Tisch traf, daß dieser schwankte, die Kannen und Becher klirrend herabstürzten und der Wein in roten Strömen das Schiffsdeck überfloß. Doch gleichzeitig war auch der Dritte, der »Bartholomes« angesprochen worden, dem Viking in den Arm gefallen, hatte ihm mit kraftvollem Griff das Schwert entrungen und rief gleichmütig:

»Der Eber hat ihn gestoßen, bringt ihn zum Schlafen in den Raum!«

Mehrere Schiffsknechte eilten herzu und führten den willenlos auf den Sitz Zurückgefallenen fort, dessen trunkenes Lallen: »Meine Steine – ich bin der Herr – eure Köpfe, wenn einer meine Steine anrührt!« nur noch eine Weile von der Treppe heraufklang. Auch sein Gegner lag jetzt, nach der heftigen Erregung plötzlich vom Rausch überwältigt, fest schlafend mit dem Kopf auf dem Tisch, Bartholomes allein tauschte, nüchterner verblieben, noch einige leise Worte mit Herrn Tiedemann Steen, während Wilma Oldigson, an Osmund vorüberstreifend, unbemerkt mit zitternden Lippen flüsterte: »Morgen – wenn Ihr nicht« – sie zögerte einen Augenblick – »wenn Ihr nicht verheißen habt, mit Tove im Mondlicht zu gehen!«

Er antwortete kaum vernehmbar: »Dann wäre ich heut nacht wohl nicht hierhergekommen –«; sie konnten nicht Worte mehr, nur noch einen schnellen Blick wechseln, denn der Oldermann trat herzu und sprach: »Es ist Morgenzeit, Herr Werneking; wenn Ihr nach Bergen zurückzukehren gedenkt, wird es ratsam sein, daß Ihr Euch meiner Führung vertraut, um den Weg besser zu finden als auf Eurer Herkunft,« und nach kurzer Weile schritten sie zusammen durch einen engen Felseinschnitt gegen den Bergrücken empor, auf dessen Höhe Osmund in der Nacht die Spur Tiedemann Steens verloren. Geraume Zeit gingen sie schweigsam nebeneinander, endlich sagte der Oldermann, der sich vor übermäßigem Weingenuß gehütet:

»Eine tolle Sippschaft, werdet Ihr sagen – wie gelangtet Ihr dorthin? Es hätt' Euch übel ergehen können.«

Er brach ab, doch wartete nicht auf eine Beantwortung seiner Frage, sondern fuhr mit einem prüfenden Blick über das Gesicht seines Begleiters fort:

»Gelüstet Euch zu wissen, weshalb Ihr mich bei ihnen angetroffen?«

Aber Osmund Werneking fiel ihm ins Wort: »Laßt Euren Mund darüber schweigen, Herr Oldermann, wie meiner den Schwur geleistet, es zu tun. Ich will nicht mehr zu vergessen haben, als die Nacht schon auf mich geladen. Doch wenn's nicht einem Gelöbnis von Euch zuwiderläuft, nennt mir die Namen der Wirte, an deren Tisch ich heut gesessen.«

Tiedemann Steen schüttelte den Kopf. »Ihr seid noch unbewandert in unserm Land, sowie dem, was ihm not tut, Herr Werneking, und vielleicht noch in manch anderm, was Ihr zu kennen vermeint. Aber nehmt Ihr's so ernsthaft, will ich Euch nicht aufdrängen, was Ihr nicht zu wissen begehrt. Von den andern kann auch ich Euch nicht völlig Kunde geben, doch werdet Ihr selbst bereits erraten haben, daß Ihr mit Bartholomes Voet beim Becher gesessen.«

»Mit dem wildesten, weitverrufensten der Likedeeler seit Klaus Stortebekers Tod?« stieß der Hörer erschrecktstaunend aus.

Der Oldermann nickte: »Ihr habt gesehen, daß sich auch anders mit ihm reden läßt, als die Weiber in den Kinderstuben an der Ostsee von ihm raunen.«

»Und der andere?«

»Der Euch vor dem Salzwassertrunk behütete? Mich nahm's wunder, er muß bei besonderer Laune heut gewesen sein, denn sonst ist er jähern Gemüts als Bartholomes Voet und wird dem Viking seine Narrheit heut nacht nicht vergessen. Seinen Namen weiß ich auch nicht, wie ich zuvor gesagt, nur daß sie ihn Wisimar heißen.«

»Wisimar –?« Osmund Werneking hielt jäh den Fuß und erfaßte den Ann seines Genossen – »Wisimar heißen sie ihn?«

Das Gesicht des greisen Seeräubers stand plötzlich mit jedem Zug lebend vor ihm, und wie mit einem Blitzstrahl war es ihm darüber hingegangen, hatte ihm das seltsame Gebaren, die absonderlichen Fragen des Alten erhellt. Es waren seines eigenen Vaters Züge, die ihn aus dem trotzigen, von Meergischt und Sturm eines Menschenlebens wild-verwitterten Kopf anblickten –

»Was befremdet Euch dran?« fragte der Oldermann verwundert, und Osmund entgegnete stockend und rasch:

»Nichts – Ihr verstandet mich fälschlich – ich meinte, wer der andere sei – im roten Mantel wie ein Narrenkönig –« Nun lachte Tiedemann Steen auf. »Man hört's, daß Ihr jung seid, Herr Werneking, und vor zehn Jahren noch ein Knabe gewesen, den ein Spiel wichtiger bedünkt, als die nordische Welt. Ein Narrenkönig freilich ist er, wie Ihr ihn recht nennt, der sich »Herr Viking« heut heißen läßt, aber damals trug er noch die wirklichen Kronen von drei Reichen auf seinem Kopf, die er nachher bei Nacht gestohlen, wie der Wisimar ihm in den Bart geworfen, um die Edelsteine daraus zu brechen und auf seinen Narrenmantel zu putzen. Denn in seinem eitlen Hochmut ist er noch König Erich, der Pommer, von Dänemark, Schweden und Norwegen.«

So neuartig und wundersam Osmunds Gedanken eben zuvor bewegt worden, riß ihn doch diese gleichmütige Erwiderung Tiedemann Steens aus seinem Sinnen auf. Staunend-überrascht stieß er hervor:

»Der königliche Seeräuber von Gotland – der Enkel Ingeborgs von Dänemark?«

Davon wußte der Oldermann nicht, sondern entgegnete nur auf das erstere: »Eure Koggen, von denen Ihr Euch bei Mönnsklint getrennt, haben ihn aus seiner Hauptstadt Wisby aufgejagt. Er war grimmigen Sinns wider uns, als er herkam, und haßte die Hansen noch wütiger als Dänemark, aber nun ist er vernünftiger geworden.«

Der Sprecher brach ab, es schien, daß er im Begriff gestanden, ein Licht auf den Zweck seiner nächtlichen Zusammenkunft mit den Vitalienbrüdern zu werfen. Doch Osmund Werneking achtete nicht darauf, er ging verstummt, manchmal zuckten seine Lippen, als ob sie sich nochmals zu einer Frage öffnen wollten, allein er drängte sie gewaltsam zurück, wog sie nur hastig in seinen Gedanken hin und her. Wie kam Wilma Oldigson zu den Piraten? War etwa auch sie ihm noch anverwandt, eine Tochter seines Oheims Wisimar? Endlich fragte er leichthin, doch wie zufällig das Gesicht von seinem Begleiter abwendend:

»Durch welcherlei Umstand mag die Schenkin in der Mannestracht auf das Schiff geraten sein? Wisset Ihr auch von ihr?«

Tiedemann Steen hatte inzwischen sichtlich andern Gedanken nachgehangen, er sah kurz auf und erwiderte gleichgültig:

»Das Mädchen meint Ihr? Er zieht sie auch zum Seeräuber auf, sie muß, wenn der Sturm pfeift, mit in die Rahen. Fährt die Lust ihn an, stößt er sie mit dem Fuß, doch die andern müssen ihr wie einer Fürstin Ehrerbietung bezeigen, weil sie von seinem Blut ist. Darum hatte er ihr den Namen Oldigson beigelegt, das Kind des Alten –«

»Wessen Kind?« fiel Osmund fast sprachunfähig vor plötzlichem Schreck ein.

»Des alten Vikingnarren und irgendeiner dänischen Edeln, glaub' ich, eine der manchen Töchter, die er haben mag – seht Euch vor, tretet hier nicht fehl, es geht jählings hinab!«

Der Oldermann griff nach dem Arm seines Weggefährten, dessen Fuß strauchelnd an der abschüssigen Felswand ausgeglitten war. Osmund Werneking entgegnete nichts, sprach bis zur Rückkehr in den Kaufhof nicht mehr. Bleichen Gesichts schritt er neben Tiedemann Steen fort, nur ein Gedanke hämmerte in seinem Kopf. Auch Wilma Oldigson war ein Königskind, in dessen Herzen das falsche Blut Waldemars Atterdag und Ingeborgs von Dänemark floß. – Bei seiner Heimkunft zum Lübecker Garten begab Osmund Werneking sich sogleich in seine Stube, setzte sich auf den Rand seines Lagers und versuchte Klarheit in das stürmisch wogende Getriebe des Kopfes und des Herzens zu bringen. Doch körperlich und geistig gleich ermüdet, glitt unbewußt sein Kopf bald zurück, und todesähnlich schwerer Schlaf fiel lange Stunden auf ihn. Als er erwachte, vermochte er sich anfänglich kaum zu besinnen, weshalb er voll angekleidet daliege und was vorher zuletzt um ihn gewesen. Dann kam ihm jäh das Gedächtnis, er sprang auf und blickte hinaus. Der Tag war trüb verhängt geblieben, zog mit breiten, auseinanderklaffenden und zusammendrängenden Nebelmassen an den Bergen und gab keine Auskunft, wieweit er vorgeschritten sei. Nur ein undeutliches Gefühl sagte dem vergehlich nach dem Stand der Sonne Umschauenden, es müsse schon über den Mittag hinaus und Zeit für ihn sein, aufzubrechen, wenn er seine Zusage, an der Felswand mit Wilma Oldigson zusammenzutreffen, erfüllen wolle. War es noch seine Absicht? Er wußte es selbst nicht. Nach ihren letzten Worten erwartete sie ihn dort – doch mit welchen heimlichen Plänen ihrer Nixenaugen? Vollzog sie etwa einen Auftrag ihrer Genossen, ihres Vaters, ihn für die räuberischen Zwecke derselben zu gewinnen?

Sein Kopf war noch zu wirr, Vernunft und Sinnlosigkeit in seinen Gedanken zu scheiden. Er hatte seit dem vorigen Mittag keine Nahrung zu sich genommen, und Schwäche trieb ihn in den Schütting hinüber. Dort erfuhr er, daß es bereits siebente Nachmittagsstunde sei, und eine plötzliche Bestürzung ließ ihm den Herzschlag aussetzen. Hastig ergriff er ein Stück Brot gegen den ermattenden Hunger und eilte, es auf der Gasse verzehrend, hinaus. Er hatte verheißen, zu kommen, und mußte zum letztenmal sein Wort halten. So lief er zwischen den Häusern des Überstrands hin; als er am Munkholmkloster vorüberkam, trat auf ein halb hundert Schritte von ihm Tove Sigburgdatter aus der Tür der bischöflichen Wohnung. Sie gewahrte ihn und öffnete unwillkürlich die Lippen, ihn anzurufen, schloß sie jedoch rasch wieder und suchte ihn mit freudigen Augen beschleunigten Schrittes zu erreichen. Aber es gelang ihr nicht, obwohl auch sie nach einer Weile zu laufen begann; in atemloser Hast stieg er nun durch die trübnebelnde Luft den Berg hinan. Nur als ein dunklerer Schatten durchschimmerte er noch das graue Gespenst umher; hier war es menschenleer, und die Besorgnis, welche Tove zuvor von einem lauten Ruf seines Namens abgehalten, fiel weg. So öffnete sie abermals die Lippen, doch schloß ebenso schnell und diesmal mit einem plötzlichen Zucken, bei dem zugleich der freudige Glanz zwischen ihren Lidern erlosch, den Mund und schwieg. Dem steilen Aufstieg zum Trotz verdoppelte Osmund Werneking noch seine Eile; es mußte zu spät werden, bis er an den weit entfernten Platz der Zusammenkunft hingelangte, Wilma Oldigson hatte diesen mutmaßlich bereits verlassen, und sie konnte nicht mehr von ihm hören, was er sich ihr zu sagen vorgenommen. Über ihm lag der Gipfel jetzt völlig von einer Wolke eingehüllt; noch kurz, und er befand sich selbst in dieser, daß er kaum weiter als auf zwiefache Sprungweite etwas unterscheiden konnte. Aber er kannte Merkzeichen der oft verfolgten Richtung und lief unbeirrt vorwärts. Da schlug ihm dichther aus der Gebirgs- und Wolkenstille ein halb unterdrückter Jubelton ans Ohr, und wenige Schritte seitwärts von ihm tauchte das blonde Haar und Antlitz Wilma Oldigsons aus dem Nebel. Sie war ihm bis hierher entgegengekommen, ängstliche Erwartung redete aus ihrem Blick und verwandelte sich blitzesschnell in leuchtende Glückseligkeit. Wie ein schwebender Vogel flog sie auf ihn zu, doch nun stutzte sie und hielt scheu und schreckhaft den Fuß. Seinen Lippen war jäh entflogen: »Kommst du hierher, Königstochter, mich von meiner Pflicht zu verlocken?«

Sprachlos blickte sie ihn an, ehe sie stammelnd wiederholte: »Von welcher Pflicht? Ihr kamt nicht und mich befiel's droben in der Einsamkeit wie Grabeskälte – doch nun seid Ihr – wollt Ihr denn nicht auch zu mir – ?«

»Zum letztenmal, um dir zu sagen, daß ich nicht Johann Wittenborg gleiche, mich töricht von einem Dänenkönige und seiner Tochter berücken zu lassen!«

Osmund Werneking stieß es heftig heraus, sein Kopf wußte nicht, was seine Zunge sprach. Wie eine schützende Waffe hatte er die anschuldigenden und kränkenden Worte gegen die hellen, holden Augen des Mädchens vor sich gehalten, in denen der Schreck, die Angst höher stieg. Sie schwankte, von dem Unerwarteten wie betäubt, die Kraft drohte sie zu verlassen, und nur mühsam brachte sie noch hervor:

»Was habe ich dir getan – kann ich denn dafür, daß er mein Vater ist – ?« und die Füße brachen haltlos unter ihr zusammen. Doch im selben Augenblick zerriß auch sein Herz mit einem stürmischen Schlag die sinnlose Betörung seines Kopfes. Es sagte ihm, daß auch Tove Sigburgdatter von Waldemars Atterdag und Witta Holmfelds Blut entstammt sei und ihre Kinderunschuld doch nicht Falschheit, Trug und Treulosigkeit von ihnen geerbt habe – und zugleich klopfte ihm das Herz, daß einst auch Elisabeth von Holstein Dietwald Wernerkin mit den gleichen bitterlich klagenden Worten gefragt: »Was habe ich dir denn Leides getan, daß du mir zürnst?« – und vorspringend umschlang er das schöne Königskind mit den Armen, hielt sie, ehe sie kraftverlassen zu Boden stürzte, und rief mit trunkener Stimme:

»Elisabeth – bist du gekommen, weil du mich lieb hast –?«

Ein Schrei entflog ihr, den die Wolke mit seltsamem Echo wiedergab, denn es klang, als ob unfern von drüben ein anderer Menschenmund ihn ebenso laut zurückgestoßen, doch ihre Ohren vernahmen nichts davon. Er hatte sie zu sich niedergezogen, sie lag noch halb ohnmächtig, doch aufgebogenen Antlitzes an seiner Brust, und ihre Lippen ruhten lautlos aufeinander. Dann nach langer Weile schlug sie traumhaft lächelnd die Lider auf und sprach zum erstenmal: »Wenn ich dich nicht lieb gehabt und nicht um dich gebangt hätte, wäre ich am ersten Tag nicht bei dir geblieben.«

Nun redete er ihr von der törichten Sinnesverwirrung, die ihn befallen, als er vernommen, daß sie König Erichs Tochter, des Enkels Ingeborgs von Dänemark sei. Wie er es sprach, begriff er es selbst nicht mehr; glückestrunken fügte er am Schluß drein: »Du bist nicht Ingeborg, die wieder ins Leben erstanden, du bist Elisabeth – so will ich dich auch als mein Weib benennen, denn ihr Name kommt dir zu und ihr Angedenken mit ihm –« Er zog das kleine Goldkreuz Elisabeths von Holstein von seinem Nacken und schlug die Schnur um den ihrigen. »Es soll mir dein Herz hüten, verbirg's, bis du es offen vor allen Augen tragen kannst.« Und hastig erklärte er ihr, wer es einstmals besessen.

Freudig drückte sie die Lippen darauf. »Mög' es mir besseres Heil bringen als ihr! Das ist der erste Dank, den ich meinem Vater schulde, daß nach meiner Hand kein König verlangt. So wende dich, daß ich es bewahre.«

Er verstand nicht, was ihr letztes Wort begehrte, und erwiderte: »Warum?« Erst wie ein liebliches Rot jetzt über ihre Stirn aufflog, kam ihm das Verständnis, und gleichfalls errötend, drehte er schnell den Kopf von ihr ab. Nun öffnete sie rasch ihr grobes Schiffergewand und barg das blinkende Kreuzchen an ihrer, einen Moment gleich rosiger Frühlingsblüte aus rauher Bastrinde aufschimmernden Brust, dann legte ihr Arm sich, seine Augen stumm wieder gegen die ihrigen herumziehend, um seinen Nacken zurück. »Das Gold trägt noch deines Herzens Wärme in sich,« flüsterte sie, »und spricht von ihm zu meinem.«

Er lächelte träumerisch: »Die Wärme kommt noch von der Sonne auf der Heide bei Arensfeld, Elisabeth –«

Doch jetzt hob er sie rasch vom Boden; in unfreundlichstem Gegensatz zu dem Bilde, das vor ihm aufgestiegen, lag die Berghalde frostig, feucht, wolkenverhüllt um sie, und er sprach: »Komm, laß uns gehen!«

»Gehen? Wohin?« erwiderte sie in halber Besinnung.

Auch ihm kam jetzt erst die Antwort, daß er sie nicht in den Kaufhof bringen könne, zugleich indes der Gedanke an die wohnlich eingerichtete Stube Toves, und er entgegnete freudig:

»Ich weiß gute Zuflucht für dich in Bergen, bis ein Schiff eintrifft, das uns nach Wismar hinüberführt.«

Aber nun erschrak Wilma Oldigson heftig. »Nach Bergen? Unmöglich – ich muß zurück! Mein Vater hat den Tag hindurch wie ein Sinnloser gerast und getobt, denn ihm fehlt einer von seinen kostbaren Steinen. Wenn ich ihm heut abend nicht den Becher füllte, würde er mich suchen und töten.«

»Er wird sich hüten, dich in Bergen zu suchen, wo ich und alle Hansen dich beschützen –«

Doch das Mädchen fiel unruhvoll ein: »Glaub' es nicht – sie würden mich ihm mit Gewalt zurückliefern, wenn er es begehrte. Es ist nicht Herr Tiedemann Steen allein, eure Oldermänner insgesamt stehen mit ihm im Verbund.«

Osmund Werneking fragte hastig: »Zu welchem Zweck? Jetzt muß ich es wissen!«

»Ich kann's dir nicht sagen, wenn sie drüben raten, darf niemand bei ihnen verweilen. Aber deshalb sprach ich dir von Tiedemann Steens Torheit, denn mir ahnt, er wird der Betrogene sein. Hinter seinem Rücken sah ich einmal Bartholomes und Wisimar sich mit lachenden Augen anblicken, die ich kenne und die listigen Trug deuten. Er kommt nicht allein zu uns, sondern zu mancher Zeit auch andere mit verdecktem Gesicht, von denen ich nicht weiß, wer sie sind, denn ich darf ihnen die Becher nicht füllen. Noch heut morgen war einer dort, der von Norden her über die Berge kam. Er muß ihnen gute Botschaft gebracht haben und launiger Reden voll gewesen sein; ich hörte sie mit echtem Klang wild lachen und lustig zusammenstoßen.«

»Es geschieht Tiedemann Steen recht, wenn er betrogen wird, denn was er sinnen mag, scheut das Licht,« antwortete Osmund. Er hatte auf die letzten Mitteilungen Wilmas kaum mehr gehört, sondern nur ihre vorherigen Worte erwogen und erkannt, daß unter solchen Umständen in der Tat sein Arm nicht ausreiche, um sie sicher gegen den Jähzorn ihres Vaters in Bergen zu schützen. Ein Schiff stand ihm im Augenblick nicht zu Gebot, seine Kogge war schon seit einem Monat mit Waren beladen nach Lübeck heimgesegelt, er harrte ihrer Rückkunft, doch es konnte noch eine Woche darüber verstreichen. Wilma Oldigson sprach leider wahr, es blieb nichts übrig, als daß sie bis dahin auf das Seeräuberschiff zurückkehrte und behutsam jeden Verdacht ihrer Genossen mied. Er sprach jetzt hastig:

»Du hast recht, so mußt du heut noch von mir – ist niemand bei euch, der sich deiner gegen die Wutausbrüche deines Vaters annimmt? Bartholomes Voet deucht mich besonnener –«

Sie schüttelte den Kopf. »Ihm ist jedes Weib verhaßt, er duldet keines auf dem Schiff als mich, und es würde ihm Spaß bereiten, mich nach einer Laune meines Vaters wie eine Katze in einen Sack zu binden und ins Wasser zu werfen. In Wisimar allein ist manchmal etwas Menschliches; als ich noch Kind war, hat er mich dann und wann auf sein Knie gesetzt und geschaukelt. Doch ich glaube, daß ich ihm nur ein Spielzeug bin, um seine Lust zu haben, den König zu reizen und zu ergrimmen.«

»Weißt du seinen Namen nicht?« fiel Osmund ein.

Das Mädchen verneinte. »Auch die andern kennen ihn nur als Wisimar; er muß Grund haben, seinen wirklichen Namen zu bergen.«

Nun lächelte Osmund Werneking: »Ich hoffe, du wirst bald den gleichen führen, Elisabeth, denn es ist meines Vaters Bruder, der seit mehr als dreißig Jahren zu Lübeck verschollen. So hatte ich nicht gedacht, ihn zu finden, als ich von Wismar ausritt, doch du sprachst es, Menschliches muß sich noch hinter seiner wilden Miene bergen, denn Dietwald Wernekins Art kann nicht völlig in ihm ausgelöscht sein. Er erhielt mir das Leben, als er mich von seinem Blut erkannt; sprich ihm nicht, daß auch ich von ihm weiß, aber sollte dich Drängnis befallen, ehe ich dich gesichert in den Armen halte, so suche bei ihm Schutz. Sein Ältervater hätte keinem bedrohten Weibe Hülfe verweigert, ob er ein Seeräuber geworden, ist's mir doch tröstlicher, dich bei ihm als bei deinem Vater zu wissen.«

Staunend-überrascht hörte Wilma Oldigson die Mitteilungen über Wisimar Werneking, sie waren zur Höhe des Bergrückens hinangeschritten, drüben lag das Gewirre von Felsen und Klippen wolkenfrei, doch der Abend fiel schon dämmernd drüber herein. Osmund wollte sie weiter bis zu der gewohnten Scheidestätte geleiten, aber sie entwand sich jetzt seinem Arm und sagte mädchenhaft-schelmisch lächelnd: »Es ist spät, ich muß eilen, mit dir zusammen käme ich zu langsam hinüber. Das Kreuzchen Elisabeths geleitet mich besser, denn es denkt nichts anderes, als mich auf immer wieder zu dir zu bringen.«

Sie standen und beredeten noch kurz das allabendliche Zusammentreffen an der Felswand, bis die Kogge von Lübeck zurückgekehrt sei und ihnen das Verlassen Bergens ermögliche. Dann nahmen ihre Lippen noch langen, wortlosen Abschied, und dann flog Wilma Oldigson nordwärts über das steinige Gefild, wie ihr Vater sie gezwungen, von Kindheit auf furchtlos im Sturm in die Schiffsrahen hinaufzufliegen. Oftmals drehte sie sich im Lauf und winkte mit der weißen Hand flüchtig zurück; allmählich fielen die Schatten dichter über ihr Goldhaar, und nun verschwand alles. Statt der trunkenen Seligkeit rann ein jähes Schauergefühl durch Osmund Wernekings Herz, ihm war plötzlich, als habe er sie zum letztenmal gesehen und sie komme niemals wieder zurück. Vergeblich suchte er, sich jetzt auch zur Stadt niederwendend, die unheimliche Anwandlung dieses Empfindens zu bekämpfen, seine Gedanken auf den gemeinsamen, heimlichen Zweck zu richten, den die Oldermänner des hansischen Kaufhofes mit den Vitalienbrüdern verfolgten. Es gelang ihm nicht, wonnevoll und bangend überklopfte sein Herz jede Anstrengung des Kopfes. Unter ihm lag nun im letzten Dämmern die Stadt, die Wolke war, schlüpfrig den Boden nässend, auf den Berg niedergesunken; in seiner Achtlosigkeit oftmals ausgleitend und strauchelnd, schritt er abwärts. Er hatte fast den Talrand erreicht, als er unversehens den Fuß noch stockte, der beinahe über einen dunkeln Gegenstand im Wege gestürzt wäre. Eine weibliche Gestalt lag regungslos auf der feuchten Erde ausgestreckt, wie er sich niederbückte, erkannte er zu seinem mitleidsvollen Schreck die kreideblassen Gesichtszüge Toves. Sie war vermutlich nach ihrem Brauch gegangen, um stumme Zwiesprache mit dem alten Turm von Bergenhuus zu führen, auf dem brüchigglatten Boden gefallen und ohnmächtig liegen geblieben. Als er ihren Kopf hob und ihren Namen rief, schlug sie die Augen auf und sah ihm mit einem unbeweglichen, todesstillen Blick ins Gesicht. Er fragte hastig: »Kennst du mich, Tove?« Sie antwortete nur: »Ja«, und als er besorgt weiter fragte: »hast du dich verletzt?« erwiderte sie ebenso: »Nein,« und richtete sich, wie von Frost geschüttelt, empor. Er schlang seinen Arm um ihre Schultern, sie zu stützen, doch nun sprach sie leise: »Ich kann allein gehen und will dir nicht zur Last fallen. Es war meine törichte Schuld, aber jetzt ist's vorüber und es ist mir gut.« Weiter gab sie auf keine Frage Antwort und ging, die Hände auf ihrer Brust zusammendrängend, sicher neben ihm; sie schien wieder von einem ihrer wunderlich irren Anfälle überkommen gewesen zu sein. Osmund Werneking geleitete sie nach Hause: als sie in die Tür ihrer Stube trat und er ihr nachfolgen wollte, drehte sie den Kopf gegen ihn zurück und fragte mit dem ausdrucksleeren Blick von zuvor: »Was willst du?« Noch ehe er verwundert darauf zu entgegnen vermochte, stieß Vrouke Tokkeson einen halblauten Ruf der Bestürzung aus: »Der Herr Bischof – verbergt Euch, Herr!« Es war indes zu spät, der am Nachmittag von seiner Reise Zurückgekehrte öffnete bereits die Außentür und setzte den Fuß über die Schwelle. Sichtlich überrascht heftete er den Blick auf Osmund Werneking, doch auch dieser bemaß einen Moment erstaunt den Eintretenden, von dem er sich eine durchaus andere Vorstellung entworfen hatte. Bischof Torlef war ein noch junger Mann, der kaum über die Mitte des vierten Jahrzehnts hinausgerückt sein konnte, hochgewachsen, schlank-geschmeidig in seinen Bewegungen, eher einem kühnen Söldnerführer als einem geistlichen Würdenträger gleichend. Sein Gesicht sprach mit scharf ausgeprägten Zügen, dunklen Augen und Haaren von alter Normannenabkunft, ohne indes irgendwelche Ähnlichkeit mit denjenigen Toves darzubieten; fast in seltsamem Widerspruch zu der ganzen Erscheinung lag um seine starkgewölbten Lippen, deren obere sich etwas aufbog, ein lachender Ausdruck, vielleicht weniger in Wirklichkeit, als durch das Vorschimmern der unbedeckten weißen Zähne täuschend veranlaßt. Soviel gewahrte Osmund in der unsicher flackernden Kienspanbeleuchtung, bei der Vrouke Tokkeson gesessen, trat nun, der gestrigen Mahnung der Alten eingedenk, raschbedacht gegen den Bischof hinan und sprach, daß er Tove bewußtlos am Berghang gefunden, sie nach ihrer Wohnung gefragt und hierher geleitet habe. Über das Gesicht des Bischofs Torlef ging ein schnell umgewandelter, artigst-zuvorkommender Zug, er streckte die Hand aus, erfaßte und drückte dankbar diejenige Osmunds und entgegnete: »Ihr seid ein Hanse, das bekundet, Ihr seid großmütig, menschenfreundlich und hülfsbereit, trachtet gleich den Dienern der Kirche nach dem Gebot unseres Heilands, Euch der Notdürftigen zu erbarmen. Möge der Himmel Euch gesegnen in Euren Werken und Wünschen für den Beistand, den Ihr einer Waise geleistet, deren meine geistliche Pflicht als Lehrer und Berater ihrer Verlassenheit sich väterlich angenommen. Sie leidet manchmal an einem plötzlichen Zufall, so werdet Ihr sie betroffen haben, und sie wird nun der Ruhe und meines tröstlichen Zuspruchs bedürfen, um sich ohne weitere Gefährdung rasch völlig zu erholen. Aber nehmet meinen Dank und Segen mit Euch für Euer christliches und ritterliches Tun!«


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