Ina Jens
Maja
Ina Jens

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Vorwort

Mein Heimatdorf liegt irgendwo im lieben Bündnerlande friedlich eingebettet zwischen himmelhohen Bergen. Jeden Morgen, wenn ich der Sonne die Fenster öffnete, grüßten mich die vergoldeten weißen Häupter der rätischen Alpen. Andächtig sah ich dann wohl zu den stolzen Höhen empor, sah mit staunenden Kinderaugen, wie über den zackigen Firnen der goldene Sonnenball emporstieg und seinen Glanz wie einen schimmernden Schleier über weiße Hänge, dunkle Wälder, alte Burgen, ja über das ganze liebliche Tal hinwarf.

Schön, wunderbar schön schien mir dann die Heimat; aber die Seele eines Menschenkindes ist voller Rätsel. Wenn man es am besten und am schönsten hat, erwacht die Sehnsucht nach etwas noch Besserem, etwas noch Schönerem. Und so kam es denn auch, daß immer dann, wenn Berg und Tal besonders herrlich vor mir lagen, ich wie aus endlosen Weiten ein seltsames Locken und Rufen zu hören glaubte. Bald schien der silberne Ton aus den weltfernen Bergen zu kommen, bald schien er aus den Tiefen meines Herzens zu klingen, bald trafen sich die Stimmen der Seele in sehnsuchtsvollem Zusammenklang, und 6 dann rang es sich wie ein Gebet von meinen Lippen: »Wie grenzenlos schön muß es erst dort hinter jenen Bergen sein! Einmal, ein einziges Mal nur über die hohen Felsentürme weg in die Welt hinaus, ach, wer das doch könnte!«

Und die Zeit kam, wo ich das wirklich konnte. Tief atmend ließ ich die Heimat hinter mir und fuhr mit tausend Erwartungen in die Welt hinaus, die wie ein Märchenland mir rief und winkte. Ich wanderte durch vieler Herren Länder, sah, wie sich überall Schönheit an Schönheit reiht, sah endlose Ebenen, leuchtende, breite Flüsse, wunderbare Städte, fremde Menschen, aber je weiter ich wanderte, um so größer, um so heißer wurde die Sehnsucht. Immer weiter! Immer weiter! rief es in mir. Wohin? Wohin denn eigentlich, du ruheloses Herz? Und ich fuhr über das uferlose, unbegrenzte Meer bis an die herrliche Küste des Stillen Ozeans, und da bin ich geblieben, denn irgendwo muß der Mensch eine Heimstatt haben. Das Land, in dem ich wohne, ist auch einzig schön. Die Berge sind noch höher als die im lieben Bündnerland, die Seen noch von tieferem Grün, die Wälder einsamer, dunkler und gewaltiger, der Boden fruchtbar wie Gartenreich; die Blumen von betäubendem Duft, jahraus, jahrein in ewiger Schönheit blühend, der Himmel in strahlendem Blau und das Meer wie ein blendender Spiegel, ewig wechselnd in Glanz und Farbenpracht . . .

Meine Sehnsucht müßte schweigen, aber ach . . .

»Heimat, süße Heimat«

7 Alle Schönheit der Welt gäbe ich hin, wenn ich einmal noch dein liebes Antlitz wiedersehen, einmal noch Heimatluft atmen dürfte, einmal noch mit Schnee und Winterkälte und Tannenduft beim Klange deiner Kirchenglocken Weihnachten feiern könnte in dem kleinen Dorfe, wo ich meine Kinderzeit mehr als bescheiden und doch so glücklich verlebte, wie es die nachfolgenden, einfachen Erzählungen zeigen mögen!

I. J.

 


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