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Erster Akt von 6 bis 7 Uhr.

1. Scene.

Abgeschriebenes Avertissement des Entrepreneurs des Prügel-Büreau.

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Wie der Engländer Howard die große Tour durch alle europäischen Gefängnisse machte, um daraus das Ideal eines Gefängnisses abzuziehen: so werden vielleicht die größten nomadischen Passagiers den Endesunterschriebenen überall gesehen haben, weil er bekanntlich durch alle 2300 Städte Deutschlands ging, blos um das zeitige deutsche Ausprügeln (besser als in seinem Fensterstock) kennen zu lernen, das übrigens auch von Howards Karzern so fern nicht ist. Wer mit mir in der Landkutsche gefahren oder in den Hotels gegessen: der kann sich noch ein wenig besinnen, wie häufig und laut ich über den allgemeinen Verfall des Prügelns in manchen deutschen Kreisen mich (vielleicht zur Unzeit) beschwerte; ich sagte, da ich aus dem Ober- und Niedersächsischen hinaus war, es geradezu, auf diese hätt' ich gezielt; und wenn ich nachsann, daß weder die stoische, die epikureische, die eklektische, noch die wolfianische und nicht einmal die kantische Schule die längsten und tiefsten Untersuchungen über das Prügeln der Menschen angestellet, so mußt' ich häufig fragen: wär' es ein Wunder, wenn bei solchen Aufmunterungen ein vernünftiger Endesunterschriebener durch zehn Gerichtshaltereien ritte und doch in keinem Protokoll einen einzigen Christen anträfe, der seinen guten Nebenchristen hinlänglich ausgeprügelt hätte, wie viel weniger mehr? In einigen Jahren wird's aber noch viel ärger werden.

Allerdings können's gute Prügelbüreaux zum Theil verhüten und sollen's auf mein Wort; allein ich muß dem Publikum sie doch erst wirklich geben und noch früher nur einen Begriff davon – welches den Augenblick geschehen könnte, wenn es nicht so nothwendig wäre, daß ich mich vorher in einige der allerphilosophischsten Prolegomenen über das Schlagen überhaupt verlöre; es ist aber zu wünschen, daß ich seltnen Tiefsinns weder hierin noch irgendwo zuviel auskrame.

Die Philosophie sagt den Menschen, deren Schlägereien sie oft zugeschauet, nachher die Nominaldefinition davon ganz leicht; und sogar Realdefinitionen davon fing ich häufig auf, aber nicht von der Philosophie selbst, sondern von bloßen Philosophen.

Der Mensch ist klar ein Thier, das wahre Sprache nicht nur hat, sondern auch haben kann. Nothwendig ist's dabei nicht, daß er die Zeichen seiner Ideen gerade durch die Ohren des Andern spedire – es könnte eben so gut (wenn's nicht zu finster ist) durch die Augen geschehen, wie die vierzig Stummen im Harem, und unsere unzähligen, unter dem Betteln, täglich thun. Ja die Philosophen haben ausgemacht, daß es blos ein Vorurtheil ist, wenn man zweifelt, ob man seine Gedanken den Andern eben so gut riechen als hören lassen könne und sie würden mich auslachen, wenn ich sagen wollte, der sechste Sinn tauge zu keinem Sprachorgan. Ich habe aber so etwas niemals gesagt und konnt' es der Konsequenz wegen nicht, da ich vom fünften Sinne, dessen Epitomator und Seitenverwandter der sechste sein mag, gerade im jetzigen Avertissement ausführen will, er sei folgendes:

Das Gefühl ist der wichtige Diener und Dolmetscher der allgemeinen Sprache, die die größten Philosophen darum vergeblich zu erfinden getrachtet, weil die Natur sie schon längst selber erfunden hat. Wenn ein Harlemer nach Afrika abfährt und einem dasigen Neger heftig ins Gesicht oder vor den Bauch schlägt: so versteht ihn dieser recht gut, so verschieden sonst ihre Mundsprachen sind – eben wie gesagt, weil das Gefühl die allgemeine, von einer Küste zur andern verbreitete verständliche Sprache ist: Der Europäer kann einen Neuseeländer, der deutsche französische Sprachmeister kann einen gebornen Pariser mäßig ausprügeln: so werden beide eine Sprache reden, die dem Neuseeländer und Pariser ganz faßlich ist, weil sie seine Mutter- und Großmuttersprache ist; daher muß in akademischen Lehrbüchern eine Schlägerei blos ein Naturdialog genannt werden, und unter des alten Langens Colloquia gehören auch die ungedruckten mit, wenn er seine Eleven schlug, wie er hoffentlich häufig gethan. Daher sollte der Stadtvogt froh sein, Linguisten dieser Art sogar in Kneipschenken zu finden – und er ist auch froh, aber er fährt ihrem Beutel, den sie doch auch vonnöthen haben, zu entsetzlich mit und seine Feder ist ein Markzieher. Leute, die einander ausprügeln, reden mit einander über dies und das – haben eine Entrevüe und einziges wahre Pathos – sagen einander ihre Meinungen und ihre vielen Gründe dafür – brauchen wegen des Pathos die kühnsten Redeblumen, die man auf der Haut (wie der Wilde seine tättowirt und beblümt) noch den dritten Tag Abends sieht – und sollten diese redenden Künste unterbleiben lassen, wenn's nach des Polizeikommissarius Kopf hienieden ginge: aber ich hoffe, es geht gar nicht nach des Polizeikommissarius Kopf hienieden. Will man denn niemals so weit kommen, den metaphysischen Generalpächter Helvetius zu fassen, der ein guter Stylist war und schrieb, ohne Hände wäre der Mensch ein wahres Vieh? Er wußte nämlich soviel von meiner Theorie recht gut voraus, daß die Hände die Sprachorgane sind, mit denen der Mensch zum Leibe eines andern Menschen so heftig redet; aber er hätte mein philosophisches System vom Prügeln der Menschen den Franzosen viel deutlicher vortragen sollen: er hätte ihnen sagen sollen, aus welchen Gründen er dem Sinne des Gefühls einen größern Beitrag zur menschlichen Erkenntniß beimesse als dem Gesichte und Gehör, weil die Franzosen sich noch bis auf diese Minute einbilden, er rede wohl nicht von Schlägen, die das Gold der Erkenntniß im Menschen so außerordentlich auseinander breiten und entfalten; Helvetius hätte den Ausspruch Salomo's (er hatte aber gewiß ihn nicht einmal im Kopfe): »die Worte des Weisen sind Spieße und Nägel,« ganz eigentlich nehmen sollen und ganz nach meiner Theorie; er hätte nicht auf mich passen, sondern selbst erinnern sollen, daß die Menschen vor und nach der Sündfluth Stöcke aus keinen andern Gründen getragen haben konnten, als weil diese eine verlängerte Hand, eine Sprachwelle oder ein Sprachrohr der allgemeinen Natursprache sind; – er hätte überhaupt einer der tiefsinnigsten Philosophen sein sollen. Viele der letztern werden viel zu uneingeschränkt verstanden, wenn sie in ihren schwarz und weißen Paragraphen sagen, blos durch Sprachmangel sei der Affe vom Menschen abgeschieden; denn es sind Zeugnisse von Naturkündigern und Reisebeschreibern da, daß der Urangutang nicht so weit vom Menschen absitze, daß er nicht häufig einen schlechten Stock anfasse und damit nach Gefallen zuprügle; daher ist noch lange nicht untersucht, ob der Affe kein Mensch sei, da ihm so offenbar keine andere Sprache fehlet, als die des Luftröhrenkopfs.

Daher hat noch keine Nation dieses Sprachorgan, den Stock, aus den Händen geworfen und ich selbst mache mich noch durch ein ruthenförmiges Röhrchen lächerlich, dessen Diktion im Nothfall viel zu elend wäre. Daher behaupten auch die größten Folianten und Wissens-Fässer – die erst auf die Bouteillen der Sedezbücher gezogen werden müssen, eh' man etwas daraus verkostet – daß es ganz natürlich und uralt sei, wenn die Menschen kein wichtiges Amt ohne einen Stock verliehen, welches die Juristen nicht anders nennen wollten als die investitura per baculum; und den Europäern sind der Krummstab, der Marschallstab, der Kommandostab und andere Theile des Gebälks des Staatsgebäudes vielleicht bekannt: denn große Beredsamkeit und nicht Gewalt regiert und lenkt unsere und alle gute Staaten, es sei nun, daß diese Beredsamkeit zu ihrem Werkzeug und ihrer Zeigerstange die Zunge (wie in Athen und England), oder daß sie dazu den Stock erkiese (wie in Sina). Selbst der Zepter hat seinem ursprünglichen Gebrauche nach eine viel bessere Bestimmung als seine jetzige stumme, und Homer hats in seiner Ilias fleißig angezeichnet, wie oft Agamemnon damit seine Landskinder und Landstände ausgeprügelt.

Ich würde mir aber mit längerem abstrakten Denken darüber selber schaden, und durch Anstrengungen dieser Art stähl ich leider allzeit meine bekannten Leber- und andre Verstopfungen auf Wochen lang – dieser fatalen Sperrordnung meines Unterleibs hab' ichs auch gänzlich beizumessen, daß ich mir bisher nicht vornahm, einen gewissen Kant in Königsberg total zu widerlegen, und über seine ganze philosophische Ernte einen Wetterschlag zu zaubern, so nöthig es sonst sein mag – denn ich weiß zu gewiß, thät' ichs, so ging ich nach einem Monat voll Qualen mit Tod ab und mit aufgelaufenem Leibe, und würde im Himmel früher recensirt, als auf der Erde mein opusculum. Daher will ich blos mein Prügelcomtoir und seine Gemächer mit Verstand beschreiben.

Im ersten Zimmer wird von einem Mädchen-Schulmeister ein reines Dogmaticum gelesen und der Mensch erhält darin die orthodoxesten und dogmatischsten Prügel, die es auf der Erde gibt. Die ganze Welt kann es noch nicht vergessen haben; daß die böhmischen Deisten vor einigen Jahren nicht durch Gewalt, Verbrennung oder etwas Schlimmeres bekehrt wurden, sondern durch überredende Gründe und künstliche und natürliche Beweise, die in diejenige fünfte syllogistische Figur gebracht waren, die bekanntlich blos wie ein Stock aussieht; mit diesem logischen Stocke konnte und mußte ein deistischer Hintere so lange berührt und manipulirt werden, bis er sich zu einem katholischen exaltirte – und so müssen stets der lutherischen, kalvinischen Kirche verdorbene Glieder amputirt werden, um sie der katholischen anzuschrauben. Recht viele Deisten ließen unter diesem Stock- Pochwerke ihr ketzerisches Erz verspringen und von Einem weiß ichs seit einem Jahr gewiß, nämlich von mir selbst. Ich war der allerböhmischste Deist, schrieb das Wort aber blos mit einem Th. Vergeblich wollte man meinen siechen Kopf durch elektrische Lichtfunken der Belehrung heilen und es verfing wenig an meinem Himmelsglobus, bis man sich mit meinem Erdglobus alliirte und meine alleinverdammende Irrthümer von unten auf räderte. Ich hatte mir vorgenommen, unter den Missionsanstalten auf meinem Hintern, manche Beiträge zur Erfahrungsseelenkunde aufzusammeln und Acht zu geben, wie er und meine Seele den Akatholicismus fahren ließe und ein Konversus würde. Ich kann es aber keinem Menschen – auf diesem Avertissement, aber wohl im ersten Zimmer des Büreau – beibringen, wie schnell der Stock als Staubfaden in mich die katholischen Unterscheidungslehren einsäete; und sieben und zwanzig Empfindungen inkorporirten mir so viel vom ganzen tridentinischen Konzilium und vom ersten Bande des Bellarmin, daß ich Abends weder sitzen noch ewig verdammt werden konnte. »Den Henker, sagt' ich, ihr macht mich gar zu katholisch und der alleinseligmachende Stock und ich gehen darüber entzwei!«

Da es vorbei war und mir meine Wiedergeburt noch wehe that: ging ich, um nicht darauf zu merken, sehr herum und philosophirte öffentlich vor allen Leuten: »mit den schlagenden Händen wird die Rechtgläubigkeit in den Knaben gesäet und gepflanzt, weiterhin läuft sie wie Hopfen am aufstellenden Stabe hinauf – ich will (bei meinen Hundsschmerzen) damit so viel sagen: der Mensch ist eine wahre Harmonika voll reiner Lehren und Meinungen, die nur gespielet zu werden braucht (wie heute meine Kontrabaß glocke); dieß geschah an Knaben mit den bloßen Händen; allein die Tastatur durch Stäbe ist neuerer Zeiten einmal erfunden worden und wir böhmischen Ex-Deisten müssen das zu unsrem größten Nutzen gefühlt haben.« – »Meine Bekehrung schmerzt mich aber immer ärger und ich wollt', ich könnte nach vier Tagen schon sitzen.«

Da nach Haller der Affe sich vom Menschen durch Mangel eines Steißes unterscheidet Das wissen aber tausend Menschen nicht, wie überhaupt die ganze Haller'sche Physiologie, sondern blos den Damen ist es bekannt. Daher wollten Damen aller Art, auch Putzjungfern und andere weibliche Kronbeamten den Geschlechtscharakter, der Menschen von Thieren auseinanderhält, außerordentlich vergrößern, nämlich den Steiß, nämlich blos durch einen parisischen Ditosteiß, welches auch anging. So lange diese Mode währte, war es gewissermaßen – bei einer so vergrößerten Penultima des natürlichen, und Antipenultima der ganzen Dame, ich meine bei so erheblichen Indossements des natürlichen – ein leichtes Spiel und ein Spaß, eine Dame und eine Aeffinn nicht zu vermengen, und ich wußte schon auf zwanzig Schritte, woran ich war; aber diese naturhistorische Mode ist weg und ich muß mich deswegen, ob ich gleich meinen Büffon auswendig kann, vielen Damen auf 1/ 999 Schritte nähern. – welches weiter kein Vortheil für den Affen ist, der deswegen ewig in seinen Irrthümern und Schismen gelassen werden muß, und weder in einen Proselyten des Thors noch der Gerechtigkeit umzuarbeiten ist –: so sollte der Mensch sich freuen, daß er einen anhat, und sollte mit ihm als seinem moralischen Gefühle zu mir kommen und sich in meinem Bureau (es kostet ihm ein Weniges) von allen den Sätzen überführen lassen, die er zur Seligkeit nothwendig braucht und doch noch bezweifelt.

Denn ich falarire ja die Leute dazu, nämlich den besagten Mädchenschulmeister, der nichts anderes thut und that. Ich wünschte ganz Böhmen wäre mit Deisten besaamet; der Schulmeister würd' es umzuschmieden wissen, weil er ist wie der Herzog Ernst zu Gotha. Wie dieser die christlichen Hauptlehren auf grobe Münzsorten prägen hieß: so hält der Schulmeister einen langen Prägstock in Händen und will verhenkert aufprägen, und münzte seit seinem Amte mehr Papisten als irgend ein Jesuit seit seiner Professe. Hatte er denn überhaupt in seiner Normalschule einen andern Mitregenten und Kollaborator, als seinen gegenwärtigen Stock? War letzterer nicht die Deichsel, an der die ganze vorgespannte Schule zog? Konnte er nicht die Saftröhre und der Stechheber genannt werden, die an den Kinderrücken auflief und sie mit wissenschaftlichem Nahrungssaft tränkte und durchgoß? Und konnt' er das nicht genannt werden: war er dann nicht mit einem, ebenso guten, metaphorischen Namen zu belegen, als z. B. mit dem einer fistula eucharistica und eines Ladstocks alles Wissens? Und, um vom Stock auf den Schulmeister zu kommen, was wird jetzt die Welt vom einen auf den andern schließen? und von beiden auf mich, den zeitigen Entrepreneur eines Prügelbureau, das Gemächer genug hat?

Denn ich beschrieb jetzt blos das dogmatische, aber es ist auch ein juristisches da, wo Erb- und Gerichtsherrn ihren klagenden Unterthanen die nöthigsten Urthelschläge geben lassen können, es sei nun Interlokutprügel, es sei Definitivprügel; denn ich habe einen alten Edelmann, der nichts mehr hatte als zwei Papiere, einen Bettelbrief und einen Adelsbrief, und der außer seinen Lehnsleuten Niemand arm gemacht als den Lehnsherrn, nämlich sich selbst, dadurch wieder ganz reich und glücklich gemacht, daß ich ihm jenes Gemach und einen mausefarbenen Stab und mithin die Execution der Gerichtshalter- conclusa wirklich gegeben. Daher springt er jetzt darin herum, und will alle Lehnsleute in der alten Welt sonderlich ausprügeln, wenn alle Lehnsherrn darin es auch wollen. Das sollten sie aber stündlich – nicht etwan meines wenigen Nutzens, sondern ihrer Ehre und ihrer Gerichtsverwalter wegen. Letztere sollten (das darf die Billigkeit von ihnen begehren) durchaus mit den armen Parteien in ihren häufigen Dekreten nicht die unverständliche lateinische Sprache (die hoffentlich immer mehr in unverständliche deutsche Termen wird übersetzt werden), sondern die allgemeine Natursprache reden, welche die Parteien so oft selber mit einander üben und in der gerichtlichen Beredsamkeit so leicht ist. Der hiesige Amtmann Schödel denkt viel anders und besser; allein wenn es auf ihn ankäme, so möcht' es seinetwegen die juristische Welt in Ewigkeit nicht erfahren, daß er für Leute, die einem Amtmann Depositengelder abverlangen – Leuten, denen man vergeblich vorhält, daß solche Deposita wie Reichspfandschaften ungern heimgegeben werden – periodos adversativas zu drechseln wußte, die doch eingriffen – er nahm nämlich ein rechtliches Informat, das am Repositorio für Pferde und Menschen hing, herunter und insinuirte es zur rechten Tageszeit dem Depositen-Sollizitanten. Solche Elaborazionen auf dem Rücken können jedem gefallen. Alsdann entließ er den Kerl mit derjenigen wahren Gelassenheit, die jeder und auch Schödel allzeit hat, wenn er den Depositengelder-Supplikanten für eine glatte weiße Billardkugel ansieht und seinen rechten Arm als den langen Queue und den linken als den Bock so an den Sollizitanten setzt, daß dieser durch die Bewegung, die er vom fremden Körper auffasset und durch seinen eignen fortsetzt, sich am Ende über die Bande der Billardtafel, d. i. des eine Treppe hohen Hausplatzes leicht hinausbringt. Jetzt kann mans vielleicht besser fassen, wenn nachher der Sollizitant bei Gelegenheit rühmt, Schödel hab' ihn einigermaßen abgeprügelt und nachher die Treppe hinabgeworfen – welches in der That nichts weniger ist als, der Depositar habe den Deponenten hinabdeponirt.

Sollte nun ein guter Entrepreneur einer Prügelfaktorei, hinter dem vielleicht viel ist, und sein alter Edelmann, der gar nichts mehr hat als einen Aktenstock zum allersummarischsten Verfahren, werth sein, daß sie beide vergeblich darauf paßten, daß Erbgerichte von Betracht – und lägen sie sieben Meilen von uns beiden ab – ihre Hintersassen, die jene besagten sieben Meilen fast gratis ablaufen müssen Unter die unangemessenen Dienste der Hintersassen gehört das ¼, &frac23; bezahlte Botengehen, von dem der Rittergutbesitzer despotischen Mißbrauch machen könnte, wenn er wollte; aber zum größten Glück (ich kann mir's nicht erklären) will er's niemals, sondern er läßt erstlich den Hintersassen selten (vielleicht wöchentlich nicht über siebenmal), und zweitens nur in so wichtigen Bedürfnissen Botenlaufen, als die z. B. sind, wenn er ihn 3 Stunden in die Stadt absendet, damit er ihm für 1 Kreuzer Tabak hole., zu uns, (als der Exekutionsarmee) etwan schicken würden, damit sie, von uns nichts abholten als Prügel? Und wer gedenkt's zu verantworten?

Viele Professionisten, die den ganzen Tag nicht sowohl fremde Welten, als die Schuldenmasse der Edelleute und Offiziere auszumessen suchen, kamen zu mir und sagten, sie hätten halb gehört, ich wollte für beide diese in meinem Büreau bezahlen: das ist wahr, aber nicht nöthig. Haben denn nicht ehrgeizige Offiziere den Degen von der Wand oder Seite herabgenommen und den Stiefelwichser (ob er gleich sein Geld mit zu vielem Trotz einforderte) mit dem Degen – wie denn schon bei den Spartern die Waffen zugleich Geld gewesen – dadurch abgezahlt, daß sie dem Wichser damit soviel aufzählten, bis es ihm selber nicht zu wenig war? Und sollte jener Landsasse der einzige sein, in dessen Stube ich selber mit war, und der an seine große Pflicht dachte und dem Mannsschneider, der für seine bloße Arbeit und sein bloßes Nota Geld begehrte, dennoch seine eiserne Elle aus den Händen zog, um den Mannsschneider mit dem nämlichen Maaße abzumessen, womit er ihn und seine Kleider gemessen hatte? Und saß ich nicht drei Ellen davon und mahnte den Schneider an, über eine solche antike Bezahlung außer sich zu kommen und überhaupt zu bedenken, daß das Geld der alten Britten auch in langen eisernen Stäben bestanden? Gleichwohl wollten sie noch mehr Arbeitslohn haben, außer dem unmetallischen.

Da aber unmöglich ein Edelmann und Offizier Arme und darin Muskelkräfte genug haben kann, um auf diese Art jeden Professionisten redlich zu befriedigen: so muß ja der Adel und der halbe Generalstab es mit Vergnügen hören, daß ich für beide in meinem Büreau vermittelst ächter spanischer Rohre und guter Reitpeitschen einen Tilgungsfond ( sinking fond) wirklich angelegt – Schuster, Reitknechte, Sattler, Maurer und jeder wer nicht Grossirer im Leihen ist, sollen nun in mein Lombard laufen und gegen eine Assignation ihres hohen Schuldners von mir die Bezahlung in Empfang nehmen, die sie mit Recht von einem nicht insolventen Großen erwarten.

Wenn Katholiken gefirmelt – Lehrjungen graduirt – junge Edelleute aus dem Pagenstande erhoben – oder auch wenn Wiener Damen auf der Redoute beleidigt werden: so gibt's dabei viele Ceremonien, aber die größte ist eine kleine Ohrfeige, die bisher von niemand ertheilet wurde als von Menschen. Denn mein Unstern ließ mich nicht eher als vor sechs Wochen meine Ohrfeigenmaschine erfinden und aufstellen. Sie hat Hände für alle Staturen der Menschen, folglich nicht so wenige wie Briareus oder ein indischer Götze. Mit solchen Maschinen (deren Schlagwerk der Ohrfinger eines Prinzen von 2½ Jahren in Bewegung bringen kann) können freilich allen Wangen auf unserm Planeten in der kürzesten Zeit und mit der kleinsten Kraft die wichtigsten Empfindungen zugeführt werden, und wenn das ganze männliche Wien das ganze weibliche Wien beleidigt hätte: so wollt' ich mit meiner Maschine in 3 Stunden jenes strafen und dieses repräsentiren. Ich verhoffe also, man werde mir und meiner Maschine die Firmelung und andere Ohrfeigen zukommen lassen. Will erzählt in seinen »Vorlesungen über die kantische Philosophie« eine Geschichte, die ihm niemand erzählte als ich. Denn ich war gerade mit in Göttingen und im Streite. Der Moselaner sagte, Kant habe Recht – der Niedersachse schüttelte seinen Kopf ein wenig dazu, und nachher (aber mit andern Muskeln) den Kopf des Moselaners viel stärker. Man muß noch vorher das philosophische Axiom wissen, daß die Metaphysik nirgends wohnet als im Kopfe der Menschen, der ihr Mäusethurm, Papageienbauer, Gradierhaus und Mirakulatorium oder Zürchisches Wunderhäuschen ist. Daher mußten beide Litiganten vor allen Dingen, jeder nach dem metaphysischen Gehäuse des andern, nach dem Kopfe fangen, folglich – da keine andere Handhaben und Henkel an ihm sind – blos nach dessen Haaren. Man stelle sich jetzt beide mit ihren Fingern als mit Schmucknadeln in den gegnerischen Haaren vor, die wie Speichen zur Drehung des Kopfes als eines Kammrades und Drehkreuzes dienen konnten und mußten. Das sind nun eben die peristaltischen Bewegungen des Hauptes, die der Denker am andern zur Verdauung seiner Unterscheidungslehren veranstaltet. In der That, wenn schnelle Bewegungen des Kopfes (wie beim Schwindel) in ihm das Blut aufthürmen und mithin die Absonderung des zur Aufklärung nöthigen Nervensafts verdoppeln: so that der Moselaner am Niedersachsen und dieser an jenem was er nur konnte, mit der Hand (sobald sie nicht darüber schrieb), um die reine Vernunft des Moselaners und des Niedersachsen zu kritisiren, und die Antinomie und Heteronomie der reinen Vernünftler war fast so größer wie die der reinen Vernunft selbst.

Das zwang mich, ein vortreffliches philosophisches Disputatorium meinem Büreau einzubauen. Bisher wurde wahrhaftig noch wenig zur Widerlegung der Kantianer gethan und es war keine unverfälschte Logik da, die Zeno mit einer zugeschlossenen Faust verglich (wie die Beredsamkeit mit einer offnen, weil sie vielleicht immer etwas hineinhaben will); aber ich darf ganze philosophische Schulen, in die Kant lyrische Unordnung hinein gespielt, ein wenig ersuchen, in mein Disputatorium und zum Respondens darin zu kommen, der hoffentlich ganz des Teufels ist in der Hauptreparatur ganzer kommender Schulen; – wahrhaftig die jetzt lebenden Systematiker sollten sich zu den Reisediäten erbieten und die Jenaischen Recensenten zum Respondens schicken, an dessen Arm richtige Zenonische Logik sitzt und in Bewegung ist; der Respondens würde der Welt auffallen und dienen mit seiner petrificirten Faust, weil er diesen Kauf als eine Leuchtkugel auf Kantianer würfe und ihn der Wahrheit liehe als einen Thürklopfer, mit dem sie an kantische Leiber heftig anhämmert, und weil er jeden Finger zu stechenden Zeigefingern auf den Wahrheitssteg ausstreckte. Solchen Respondenten rühmet man nachher mit Vergnügen nach, daß sie nicht mit poetischen Figuren und nichtsbeweisenden Bildern zu überzeugen gewußt, sondern mit etwas besserem, – am allerwenigsten mit Gründen, sondern, wie (nach Nösselt in Halle) den gemeinen Leuten die Gründe, die der Gelehrte vor ihnen zum Glauben an eine Offenbarung voraus hat, durch einen übernatürlichen Eindruck vom Werthe dieser Offenbarung vergütet wird: so theilt der sichtende Respondens nicht sowohl Gründe als heftige Eindrücke aus und widersteht der kantischen Metaphysik und Moral mit Frakturen, theils mit einfachen, theils mit doppelten, theils mit bloßer Knochensplitterung. Dann wird sich Kant grasgrün darüber ärgern; aber es ist ja wider seine ganze Moral, und ich treibe doch mein Handwerk in meinem Bureau nur immer ärger, wie man sogleich sehen wird.

Ich schlage nämlich die Soldateska halb todt, um ihr das liebe Leben zu erhalten so gut ich kann. Es ist vielleicht nicht die schlechteste Einrichtung bei vielen Heeren, daß die Offiziere den Gemeinen – da man jetzt Blattern, Pest und Viehseuche einimpft – auch die übrigen Krankheiten und die ganze Pathologie inokuliren dürfen. Durch das Medium der Einimpfung erleiden gewiß alle Krankheiten die wohlthätigste Brechung. Es ist daher ganz natürlich, daß ich aus den Mortalitätstabellen der Armeen sehr leicht ersah, wie gut es ist, daß der gemeine Soldat durch Krummschließen, Blutspeien und Schwindel, durch Stock und Degen, Schwindsucht, Leistenbrüche etc. inokulirt erhält und mithin gänzlich außer Gefahr gesetzt wird, diese Krankheiten auf dem gefährlichen Wege der Ansteckung, Angeburt etc. aufzufangen. Allerdings schoß ich selber mit bei Leichen, die wegen und nach solchen Inokulazionen doch beerdigt würden, und nicht allein die Blatterneinimpfung fordert Todesopfer als Leibzoll ein; aber bei Einimpfungen vertauscht man doch die Dezimation gegen die Zentesimation, und dann können Ober- und Unterfeldscheer nicht darein reden.

Sollte und wollte nun nicht der Wehrstand einem armen Teufel von Prügeloffizianten (er wollt' er wäre ein reicher Teufel), der in sein Büreau schon ein Inokulazionshospitälchen eingemauert, die ganze Kollatur und Spedition dieser Dienstkrankheiten zuwenden? Es wäre vom Regimentsmedikus in einem Paar Tagen auszurechnen, wie viel ein Gemeiner Prügel vonnöthen hätte, bis er Schwindsucht, Brüche und alles hätte – man werfe mir 1/ 9 von den Urlaubsgeldern und selten eine alte Montur aus, so faß' ich meine 1½ Ellen lange Lanzette an und impfe unsäglich ein und mit schreiendem Erfolg, weil die Patientenmiliz vor und in der Kur wie gewöhnlich fasten müßte und nichts verzehren dürfte als die ordentliche Löhnung und das Kommisbrod.

Wenn zuweilen der Vater oder der Hofmeister das Kind geschlagen, so versäumt die Mutter oder der Vater seine Pflicht dadurch nicht, daß sie oder er Repetent im Prügeln wird; allein in welchen Arten von Schlägen sperr' ich der Welt mein Repetitorium auf? eigentlich in allen. – Ich war niemals in Abrede, daß ein Flügel meines Büreau in eine Junker-Pensionsanstalt oder in ein adeliges Pädagogium umzugießen ist – denn man müßte gar nicht wissen, was ein » Bubenzuchtmeister« (so nannte man sonst adelige Hofmeister) zu allen Zeiten sein soll, und daß ich ihm, wär' ich sein adeliger Scholarcha, nichts bezahlen würde und könnte, als die von seiner sokratischen Hebammenmethode zerspringenden Stöcke; man müßte ferner gar nicht wissen, daß die ritterlichen Turnierübungen, denen sonst sogenannte » Prügelknechte« beiwohnten, durch die jetzigen Hausinformationen ganz ersetzt und kopirt werden müssen, denen mithin etwas Aehnliches beizuwohnen hat, und daß man dieses Aehnliche einen adeligen Hofmeister nennen kann, wenn man mich und das baierische Schuldirektorium Sollen da pädagogische Prügel ausgetheilt werden: so muß ein Memorial dem kurfürstlichen Schuldirektorio übergeben und dem Rektorat wieder von diesem kommunicirt werden, damit es Bericht erstatte. Erst alsdann kann Serenissimus die Zahl der Prügel, die erziehen sollen, resolviren. Allge. deutsche Bibliothek. B. 70. anfahren wollte, weil wir beide überredet sind, daß ein Schulbakel oder Stock vielleicht nichts geringeres ist, als ein wahrer dünner, wiewol unorganisirter Mentor und Edukationsrath und la Bonne. – Es kann ohne Eigenlob gestanden werden, daß meine vier adelige Eleven, die ich sonst informirte und frisirte und die dieses schlechte Avertissement an ihren guten betagten Lehrer erinnern soll, doch selber den größten Vortheil (in Vergleichung mit mir) davon hatten, daß ich mir aus ihren Köpfen und Haaren allmälig in den Lektionsstunden drei weiche mausefarbene Stutzperücken zusammenzupfte, wovon ich noch eine auf habe, wiewol der Perükenstock die andern auf hat zum Andenken dieses meines Seidenbaus – denn ich entlaubte den Kopf von außen sehr, um die Früchte innen schneller zu reifen, wie man im August das nämliche aus den nämlichen Gründen mit dem Weinstock thut. Und was hab' ich oder ein anderer denn dabei eingebüßet, daß ich' während meiner Ehe – die blos eine fortgesetzte Hausinformation der Frau sein soll – die Viertelstunden meiner Erboßung allzeit, mir und andern zum Besten, damit hingebracht, daß ich aus dem Haupte meiner Gattin mit den bloßen Fingern (wie mit Federzängelchen) so viel Haare aushob, als ich und Sykes in Paris Der im Palais royal Portraits verkauft, die aus Menschenhaaren gemacht sind. durchaus brauchten? Und wenn ich besagte Haar-Exzerpte wirklich ohne Hinsicht auf die Rebellion an den besagten Pariser versandt hätte: würde mir der nicht ein recht schön daraus gestricktes Portrait meiner abgeblatteten Frau zurückspedirt haben? Ich wollte aber, diese Digression hätte sich in dieses Avertissement hereingeschickt.

Sollen überhaupt Bauern beim Treibjagen halb oder mehr erschlagen werden, will ein Mann von Stande seinem Bedienten oder einem Satiriker, der nicht werth ist erstochen zu werden, oder die römische Kirche ganzen Kapiteln und Konfraternitäten Striemen, Inzisionen, furunkulöse, zystische und andere Verletzungen aufnöthigen und aushändigen: so bin ich hoffentlich so gut da wie mein Avertissement, und in der Zeitungs-Expedition ist von meiner Prügel-Expedition viel nähere Nachricht zu erfragen, und es werden (hofft die Welt) die Landstände heuer keine Steuer auf die Prügel legen lassen.

Georg Oehrmann u. Compagnie.

 

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