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Drittes Stück.
Freudenbüchlein

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Die Kunst stets heiter zu sein Aus dem »Freudenbüchlein« gab Jean Paul bereits Bruchstücke im Museum (Sämmtliche Werke, zweite Ausg. Band XXVII); hier folgt was sich weiterhin in demselben aufgezeichnet fand. Die Wiederholung einiger Gedanken und Ausdrücke möge keinen kränken. A. d. H..

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Wenn ein portugiesischer Prinz bei seinem Eintritt in's Leben von denen, die ihn daselbst eingeführt, ohne Bezug auf seine Verdienste mit einer Ehrenkrone von zwölf wohlklingenden Namen und mehr beschenkt wird, so wird es mir vielleicht vergönnt sein, für mein Freudenbüchlein nicht ganz ohne Rücksicht auf seine mannigfachen Verdienste ein gleiches Recht anzusprechen. Ich würde dann dasselbe den neuen Himmelsweg nennen, da es beinahe nicht so nöthig ist, zur Religion zu erziehen, als zur Heiterkeit, und meine Schreibfeder sollte der Mercuriusstab sein, mit welchem ich den Weg zum Lande der Seligen anzeigte; das Heiterkeitsystem mit dem obersten Zwischensatz: Rotte das Unkraut aus, so kommen die Blumen von selbst; sodann aus gleichem Grunde die Heilmittellehre, der Gesundbrunnen, die Hausapotheke; denn ist man gesund, gibt sich die Freude von selber und dieselbe Welt reicht Wunden und den Wundenbalsam dazu; den Antihypochondriacus oder die Rettungsleiter aus so vielen Täuschungen, denen der Mensch sich lässig hingibt; die Heilsordnung, denn Frohsinn heißt Gutsein; ja das Heiligungsbuch, denn vor Gott ist nur der Heitere gerecht, nicht der Verdrießliche; auch will ich nicht den matten, erschöpften Genußhascher trösten; diesen Gedanken-, Kraft- und Sittenlosen muß man, wenn man ja gutmüthig sein will, einen neuen Schmerz schenken, der sie zum Rechten stechend auftreibt; ich würde es Viertelstrauer oder auch Libri tristium nennen und nachweisen, daß man zum vollen Verdruß gar nicht Zeit hat und daß Gott keinen Schmerz zugelassen, dem nicht eine höhere Freude siegend entgegen stände, und daß höhere Wesen über unsern Jammer lachen, wie wir über den der Kinder; den ewigen Frühling und die gemalte Winterlandschaft: denn ist Einer heiter durch die Gegenwart, so heitert er uns selbst auf, und ist er's wider die Gegenwart, so hebt er uns empor; die Winterquartiere oder die Sinecura-Stelle, obschon uns die Freudentaube nicht gebraten in den Mund fliegt; den Ritter von der frohen Gestalt, der noch dazu ich selber wäre mit meiner eignen Lebensgeschichte; endlich die Sonnenseite des Lebens und lehren froh sein ohne Genuß, blos weil man lebt und ein Mensch ist und einen Gott hat und einen Himmel und Dankgefühl für das Kleinste, wie für das Größte, für die Blumen und den Schmetterling am neuen Maimorgen, und die vergehende Wolke, und das liebliche Wehen des entgegenkommenden Windes, und oben die Sonne, das große Auge des Ewigen!

 

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Das Büchlein wäre so leicht in die Kunstform eines alten Dialogs zu bringen gewesen; ja mir wäre sogar der Spielraum entlegner Eröffnung übrig geblieben; aber – das Herz soll dem Herzen und rein und sogar auf Kosten der Kunst vorgehalten werden. Für die Freude aber schreiben, oder über sie predigen, heißt: sie haben; ist doch jeder Grund für sie eine neue!

 

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Soll denn unsre Kugel nur Abgebrannte abschicken und nicht Leute, welche sagen: wir waren recht glücklich? Ich will alle Schmerzen, wie der Papiermüller die Lumpen, durchgehen und sondern. Da sind die der Vergangenheit; sie sind vorüber und an ihnen ist nichts zu ändern; die der Gegenwart, sie fallen unaufhaltsam der Vergangenheit zu; die der Zukunft, sie sind unabänderlich wie jene, oder ich trete ihnen entgegen; haben sie den Körper erreicht und getroffen, so gleichen sie dem Blitze, dessen Wirkung aufhört, wenn er die Erde erreicht hat; ferner die physischen, die herzlichen – wenn mir ein geliebtestes Wesen stirbt, wenn das Vaterland leidet – die sittlichen, über eigne oder fremde Unsittlichkeit (denn Gewissensbisse stechen scharf und tief, wie körperlicher Schmerz). Aber die Trauer um einen Verstorbenen, um das Vaterland hat etwas Edles – das der Reue und dem körperlichen Schmerze abgeht – weil sie eine moralische ist. Denn eigentlich ist nicht die Trauer, sondern die Liebe die Tugend, die durch jene erscheint, die sich unbelohnt stärker zeigt, als belohnt ohne Kampf.

 

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Unbewußt dichtet und sinnt der Mensch der ewigen Nothwendigkeit der Natur die bewegliche Veränderlichkeit seiner freien lebendigen an und verlangt, daß die eiserne sich nach der wächsernen schmiege. Und hat er es endlich sich eingeprägt, daß er über das Sonnensystem und die Planetenbahn nichts vermöge, so ereifert er sich doch noch über die eben so nothwendige Verkettung seines Erdbällchens, als ob es außer dem allgemeinen Gesetz sich bewege. Dieses Gefühl unsrer Freiheit, die unsre Zukunft anordnet, unterschiebt sich, wenigstens bei Schmerzen, immer als Vorwurf gegen die Natur, darüber, daß sie nicht eben so frei anordne. Dazu kommt, daß uns durch Täuschung das Seltnere in der Natur willkührlicher vorkommt als das Alltägliche, als ob das Wehen des Sturmes in Blüthen- und in Schneebäume verschiedenen Ursprungs wäre; und dennoch erkennen wir am Seltnern sogleich die Nothwendigkeit gutheißend an, wenn es zu unserm Vortheil ausschlug; ja wir verlangen wohl sogar an der Stelle einer Freude, die die Zeit oder Jahreszeit bringt, eine aus einer andern, wie Großkirschen im Dezember und Birnen im Mai.

 

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Der Mensch steht jeden Morgen mit einem neuen Entwurf, einer neuen Himmelskarte seiner Freude auf; wie die Spinne jede Nacht ein neues Gewebe, so webt er über Nacht einen neuen Plan. Und nun ist es ihm nicht genug, eben eine Freude zu haben, sondern er verlangt grade jene, die in seinem Plane steht. Ja er hält eine nicht in seinem Plane vorgeschriebene ordentlich für einen Raub durch Schmerz. Aber dürfen wir denn mit einem Mehr oder Weniger, mit einem Wunsch-Maßstab oder einer Wunsch-Aiche der Pomona oder dem Füllhorn der Fortuna entgegenlaufen und es hinhalten und sagen: Dieß muß soweit voll werden?

 

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Wir rechnen wie Kaufleute die Einbuße unserer Hoffnung und unseres Gewinns für wahre Verarmung, und so hält sich jeder um so mehr beraubt, als er gehofft und gewünscht, und wäre es, daß er beim Uebertritt zur katholischen Kirche darauf gerechnet, hätte Papst zu werden und kein Cardinal hätte für ihn votirt.

 

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Man rechnet die Hoffnung für kein Gut, wenn sie nicht eingetroffen. Aber ist denn ein Gut darin weniger ein Gut gewesen, wenn man es verloren hat, und gab nicht Hoffnung Freude im voraus, wie Furcht Schmerzen? Bleibt nicht die schöne Vergangenheit hinter ihr zurück? Und was wollt ihr mehr in jeder Gegenwart, als – denn diesen habt ihr ja – den Augenblick, oder – das Jahr vorher?

Die Menschen aber haben sich ans Dahingehn gewöhnt und wollen statt innrer Kräfte und Segel äußere, welche allen Kraftaufwand erschweren; jeder will sich seiner Schwäche durch einen Zuschuß des Schicksals enthoben haben. Wir wollen den Trost, wenn wir dessen bedürfen, nicht selber geben, sondern geben lassen, und sind bei Leiden recht innerlich müßig mit allen Vorstellungen, die wir dagegen gebrauchen könnten. Körperlichen Hunger kann ich allerdings nicht durch Gedanken vertreiben und er nimmt mit der Zeit zu; aber geistigen, und er nimmt ab. Anstatt uns jedoch mit Gedanken gegen Gefühle zu waffnen, waffnen wir uns damit für sie und treiben den Keil der Wunde immer tiefer bis auf das Knochenhäutchen, wo es ein Ende hat. Es ist dieses keine Kraft des Geistes, sondern das Unvermögen den Gedanken fest zu halten gegen das Gefühl, womit wir zugleich unsern Unterschied von dem Thier aufgeben.

 

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Was das Leben so stört, ist die Voraussetzung, daß alles Beste unverändert bestehe, und alles weniger Gute sich immerfort ändere und zu jenen kehre. Auch augenblicklicher hoher Genuß verschlimmert, weil er nur augenblicklich ist und das ganze in Theile zersprengt. Jede Hoffnung aber baut sich in eine folgende aus und so stirbt mit ihr immer eine lange Reihe. Jede Minute gebiert einen kleinen Wunsch, und wird er nicht erfüllt, so betrübt man sich, als wäre eine Stunde voll Minuten unerhört geblieben.

Was das Glück so stört, ist daß wir dem Schicksal nur Freuden berechnen, die es uns allein gibt, nicht solche, die es uns mit Andern gemeinschaftlich reicht, als wären sogar diese nicht häufiger; daß wir den Weg zur Freude nicht selbst für eine halten, das Arbeiten, das Gewinnen so gut, als den Besitz. Schwerer freilich ist die Tröstung, wenn man von Oben herab muß zum Niedern, aber, warum nahm man das Surplus von Gewinn so ohne Einwand an?

 

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Die Genüsse und die Schmerzen können sich gegen die Freude gleich nachtheilig verhalten und die einen wie die andern sie untergraben. Freude hebt das Leben, wenn Genuß es versinken läßt. Den Genuß gibt der Zufall, die Freude der Geist; der Genuß wird dir entgegengebracht, die Heiterkeit von dir erschaffen. Ich selber werde hier durch diese Ansicht seliger, als durch alles äußre Glück der spätern Jahre, so wie ich es in meinen ärmsten ohne Brot auch war.

 

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»Käme ein großer Schmerz stufenweise, oder wenigstens angekündigt, so könnte man gegen das äußere eindringende Heer von Empfindungen ein inneres von Ideen zusammenwerben; aber so muß sich gegen hundert Empfindungen, wovon eine schon zu schaffen macht, der arme Geist mit einzelnen Ideen wehren, die noch dazu oft Gemeinschaft mit den Empfindungen machen. Was gibt's für Mittel dagegen?«.

Gewohnheit und Gedanke. Je öfter etwas da war mit aller Fülle der Empfindungen, desto mehr fallen von diesen aus und weg, indeß umgekehrt Ideen sich desto mehr stärken, je öfter sie da waren. – Erziehung. Beklagst du dich aber, daß du nicht den rechten Erzieher gehabt, warum willst du nicht dein eigener sein? warum sollte ein Fremder die Last für dich Vernunftlosen übernehmen, die dir als Vernünftigen für dich selbst ja leichter zu übernehmen sein muß, da du zugleich Lehrer und Schüler bist und jeden Lehrerlohn an dir selber erntest?

 

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Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das die Erde beherrscht, also sich. So herrsche er. Behalte die Klarheit des Denkens über jedes Ereigniß, es nehme noch so stark die Empfindung in Anspruch.

Die größte Kraft ist, mit der weitesten Offenheit des Leichtsinnigen für Freude die engste Verschlossenheit des Mönchs gegen Schmerzen zu vereinen.

Die Stiche des Schmerzens zeichnen wohl auch eine Gestalt und eine schönste. So kann ich mir ein edles Weib von Leiden fortgebildet denken; doch ein Mann muß nicht ertragen, sondern erheben. Der Heitere, nicht der Stoiker steht da und erwartet, was er thun, nicht was er leiden soll; denn er hat nichts zu leiden.

Keine Empfindung der Freude, der Rührung etc. hält gegen die Stürme des Lebens aus; nur der Grundsatz ist ein unentblättertes perennirendes Gewächs, und braucht keine Jahreszeit zum Treiben. Den Kopf hat man immer bei der Hand, aber nicht das Herz.

Man kann jede Empfindung steigern bis zum scheinbaren Uebermaße ihrer Uebermacht, wie es z. B. der Zorn in kürzester Zeit thut. Bei jedem Ueberfall der Empfindung ist das Nöthigste, die Reizung zum Uebertreiben durch dessen Wahr-Schmerzhaftes nicht anzunehmen und sich nicht davon schwächen zu lassen.

Wenn Kleinigkeiten quälen, so müssen auch Kleinigkeiten beglücken, und da das Leben von Sekunde zu Sekunde fortkriecht, und somit alles Große in Kleinigkeiten zerfällt, so können wir um so leichter von den letzten gewinnen.

Das allgemeinste Mittel, froh zu sein, suchen die Menschen gar nicht, nämlich einen gesund erhaltenen Körper. Hart ist's, wenn zu den fernen Pfeilen und Stichen noch gar die Drückungen und Reibungen des (Körper-) Panzers kommen. Es gehört zur Tugend gesund zu bleiben. Einer, der den Körper verachtet, wirft den Schild weg, hinter dem er sich vor den Pfeilen des Schicksals sichern konnte.

Man lebe zuerst mit der meteorologischen Natur in Eintracht, und lebe sich in sie hinein.

Kannst du dir nicht helfen zu scharfen Grundsätzen der Freude, so wähle einen himmelblauen Tag und sei froh, und mache unter dem Himmel die Entschlüsse und Schwüre künftiger Freudigkeit.

Vergiß aber, in den Planen der Freude dir selber die eintreffende Minuten-Punkte anzugeben.

Vergleiche dich nicht mit Andern; denn da hört keine Vergleichung auf und zuletzt würdest du Engel unter das Rekrutenmaß stellen.

Nach einer heiligen, weniger genießenden als erhebenden und durchdringenden Freude, die nur das ganze Herz, nicht einzelne Kammern desselben füllt, z. B. nach einer Freude über Gegenden, über Gutesthun etc. etc., erwarte statt einer zweiten – eine geistige oder körperliche Beraubung.

Laßt uns aber den Geist auf einmal über alle nassen und heißen Wolken wegstellen und ihn mit blauem lichtem Aether tränken und mit der Sonne sättigen. Je höher im Himmel, desto weiter und runder wird der sonst von der Erde halbirte Himmel und endlich, wenn die Erde zum Punkt einschmilzt, ists nichts, als ein ganzer runder Himmel.

Wer aber mit dem Glauben an die Vorsehung sich über alle Dornen des Lebens erhebt, der muß sich den großen nach dem Himmel gerichteten Blick nicht schwächen durch Herabsenken desselben auf die Nachlese der Erde, und bei dem Vertrauen und Hingeben in die Gottheit noch irdische Lust als Zugabe suchen; ja nicht einmal die Hoffnung auf Verkleinerung der Schmerzen. Denn da eben so oft aus irdischen Wunden noch größere Wunden entstehen, als Heil und Gesundheit, so wird durch die Zufälligkeit der Entscheidung diese selbst unsicher. Nein! Das Rechte ist, für kein Uebel einen Nutzen oder Trost aufzusuchen, sondern in der Liebe des Unendlichen zu leben und alles zu lieben, was er will, bring' es die himmlische Freude als irdische Freude oder als irdischen Schmerz. Dort trägt man die Leiden, hier vernichtet man sie; dort wird der Schmerz mit Glanz überdeckt, hier wird er nicht fortgeführt und es bleibt uns wenigstens die erquickende Erinnerung des Siegs.

 

Ein schlechter Regentag nimmt nichts, aber ein heller Sonntag gibt alles.

Wer sich vorsetzt, eine Woche lang froh zu sein, kann es halten, das gewisseste Zeichen, daß der Mensch weniger an der Aeußerlichkeit, als an der Innerlichkeit leide, weniger vom Schicksal, als von sich.

Wir alle haben mehr Mitleid mit dem, der geistig ersteht, als der geistig erliegt und uns anbettelt.

Rechnet ihr, wenn ihr einen drohenden, trüben, wolkigen Tag blos durch eigne Macht in Freude verwandelt und, wie sonst Zauberer Gewitter machten, sie abgewendet habt, rechnet ihr zu dieser Freude nicht die spätere zärtere den Tag darauf, daß ihr gesiegt? Die Freude über das Freuen?

Man vergleiche doch Abends die eine Tagreihe, worin man das am Morgen gesäete Schmerz-Unkraut ausgerissen, mit einer andern Tagreihe, worin man dasselbe gepflegt und begossen!

Nie hat Jemand sterbend seinen Frohmuth, aber wohl seinen Mißmuth bereut. Kein Sterbender betrübt sich darüber, daß er sich nicht genug den Betrübnissen hingegeben; aber jede schuldlose Freude schwebt um sein Sterbebett, um ihn aus der schweren Erde zu tragen. Nur halte man nicht Genießen für Freuen! Denn man kann einen seligen, seligsten Tag haben, ohne etwas anders dazu zu gebrauchen, als blauen Himmel und grüne Frühlingserde und – wenn es hoch steigt – ein Almosen, das man gibt.

 

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