Jean Paul
Die Doppelheerschau in Großlausau und in Kauzen nebst Feldzügen
Jean Paul

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Zweites Kapitel

worin Erklärungen und Zurüstungen des Kriegs vorkommen

Einst besuchte Tiberius LXXXXIX. seinen Grenznachbar Maria. Jener sprach viel und froh von seiner bevorstehenden Heerschau (Revüe) und beklagte nur, daß er des Lumpenpacks so wenig habe: »Herr Vetter, mein Lager wird, sorg ich, wie eine lebendige Trödelbude aussehen, die Kerle haben nicht viel.« – »Desto besser,« versetzte Maria, »daß Sie auch nicht viele Kerle haben. Ich habe einiges Volk.« Er sprach nur aus Bescheidenheit so; denn da nach der Jurisprudenz schon 10 Mann ein Volk ausmachen: so wird man sich von seiner Volksmenge einen Begriff machen, wenn ich sage, daß sie sich über 500 Köpfe belief. Tiberius, ein geheimer Spötter des an seine Stelzen noch Kothurne anschuhenden Fürsten, versetzte: »Kleider und Schneider machen Leute, und reimen sich.«

Es ist wohl kein schicklicherer Ort als dieser, um die Welt an eine alte Notiz zu erinnern, und ihr eine neue zu geben. Erinnern muß sie sich nämlich, daß sie gelesen, wie in Frankreich zwischen den Schneidern und Trödlern ein mehr als zweihundertundsechsundvierzigjähriger Prozeß (Anno 1530 ging er an, 1776 schwebte er noch) geführt worden, worin dreißigtausend Urteile ergangen, um womöglich auszumitteln, welche Kleider zu alten oder zu neuen zu rechnen sind. Nun hatte das Fürstentum Großlausau – dies ist der Welt die neue Notiz – das Eigentümliche, daß es, um die benachbarten Ländchen mit Kleidern zu versorgen, fast ganz aus Schneidern bestand, wie etwa in Rußland ein 12 Dorf lauter Handwerker von einerlei Art besitzt. Die Kauzen hingegen waren lauter Trödler, was weniger seltsam ist, da sowohl im Fürstentum selber als in der Nachbarschaft es sehr an Leuten mangelte, denen wenig mangelte, und die etwas anzuziehen hatten.

Beide Länder oder Handwerker wünschten einander nun nichts als wechselseitigen Totschlag; alte und neue Kleider stifteten da hitzigere Sekten, als sonst Altes und Neues Testament, oder jetzt ästhetische Antike und Moderne; Flicken des Trödels wurde für Schneidern genommen, ein kaum getragenes Kleid für ein neues und umgekehrt.

Nun fällt auf tausend Sachen in unserer Geschichte Licht. Tiberius kam jetzt auf den Vorschlag, den er dem Vetter tun wollte: »Wie wärs, Herr Vetter, würfen wir unsere beiden Revüen für dieses Jahr zusammen, und jeder mit seinem Heere rückte gegen den andern vernünftig an? Es sähe bei Gott ordentlich wie ein Krieg aus; nur müßte man Spaß verstehen. Geübt würden freilich die Leute unglaublich, und alle andere Revüen wären Bettel dagegen.«

Ein solches Spiegelzimmer von Selbstansichten erfaßte den Maria, als einen Liebhaber glänzender Sünden, anfangs über die Maßen; aber als er sich ein wenig sammelte, gab er zu bedenken, es sei, da schon auf dem Theater und in Heerschauen, wo Freunde gegen Freunde fechten, sich der böse Feind zuweilen mit seinem Unkraut einmischte und Feinde aussäte, die einander gute reelle Schläge geben, es sei, sagt er, in einem Falle noch mehr zu beherzigen und zu befürchten, wo 13 fremde Heere, vollends gar Trödler und Schneider gegen einander ins Feld zögen, weil vielleicht mancher Trödler eine Schuld durch einen Kolbenstoß abzustoßen suchen könnte, oder ein Schneider sich seines Kerbholzes durch einen Ladstock zu entledigen.

Er gab allerdings so fein als möglich zu verstehen, daß die Kauzen oder Tiberianer viel seinen Großlausauern oder Marianern schuldig wären. »Ah, pah,« versetzte Tiberius, »schlage meinetwegen einander tot, was will; wenn man nur gescheit kommandiert, und seine richtigen Evolutionen macht; Gerechtigkeit darf nach der alten Sprache kein Mitleiden haben (justitia non compassionem habere debet), und Krieg ist das allerstärkste peinliche Recht. – Lassen Sie Ihre Schneider, Herr Vetter, nur brav laufen, was ihnen nach dem langen Sitzen recht gesund sein wird: so steh ich Ihnen dafür, meine Leute schlagen ihnen keinen einzigen Ellenbogen entzwei.«

Maria gab nach; er hatte überhaupt nur andeuten wollen, daß Tiberius Heer nicht viel hätte, ohne zu bedenken, daß er damit wider Willen lobe. Denn eben Platons idealer Republik, worin bloß die Soldaten gar kein Eigentum besitzen durften, nähern sich Staaten doch einigermaßen, in welchen sie wenigstens nicht vieles haben, so daß, wie man oft Bettler zur Strafe unter die Soldaten steckte, man zum Lohne diese unter jene steckt. Nach Arvieux schürzen die arabischen Barbiere sich die Ärmel bis hinter den Ellenbogen zurück, um immer die Narben aufzudecken, welche sie sich zu Ehren ihrer Geliebten eingeschnitten; aber wie viel 14 mehr wird benarbten Kriegern nicht der vielleicht eitle, aber verzeihliche Wunsch, die Ehrenzeichen ihres Leibes den ganzen Tag vorzuzeigen, vom Staate erleichtert, wenn er ihnen absichtlich nichts gegeben, was den Leib und also die Narben bedeckt!

Indes war nun der Schaukrieg zwischen beiden Vettern organisiert, und die Zurüstungen fingen an. Maria Puer hielt sogleich Kriegsrat und beratschlagte sich darin über die Schutzwaffen, welche Kriegern, wie die Großlausauer Handwerker, noch nötiger waren als Trutzwaffen. Um nur vor allen Dingen sich den Rücken zu decken, wurde vom Fürsten ein Zopf genehmigt, der den ganzen Rücken bis ans Steißbein herablief, hinter diesem Sturmzopfe und Ankerseil war jeder ganz hiebfest, der lief; es war eine Ableitkette der Wunden, wie das Kettchen auf dem Kopfe der französischen Pferde. Außerdem hatte ein ganzes Heer mit solchen Rückenschlangen, Zornruten und Kriegsgurgeln im Rückzuge etwas Pompöses und jagte Schrecken ein.

Puer war überhaupt in sehr verschiedenem Sinne der Berliner Zopfprediger Schulze, nämlich ein Prediger und Verfechter der Zöpfe, weil er sie für die absteigenden Zeichen und Staubfäden hielt, die den Wehrstand so sehr unterschieden vom Lehrstande – für die den Spitz- und Backenbärten ziemlich entsprechenden längern Nackenbärte von hinten und überhaupt für die Zeiger und Perpendikel des Kriegs; und der Fürst begriff es am leichtesten, wie der Held Ziethen als Knabe an jedem Sonnabend zwei Stunden von Wustrau nach Ruppin marschierte, um sich da einen Zopf machen 15 zu lassen auf eine ganze Woche. Nun konnte ihm als Generalissimus schon längst nicht gleichgültig sein, daß seine Truppen Zöpfe trugen, welche nicht in der Länge über einen Kamm geschoren waren. Demzufolge wurden, da man viele falsche anbinden mußte – manche Bandzöpfe waren wahre Haarröhrchen – Haarlieferungen an die Großlausauerinnen ausgeschrieben, die sich bei dieser Gelegenheit als schöne Schwestern jener alten Römerinnen erwiesen, welche ihre Haare zu Stricken gegen die belagernden Gallier abgeschnitten und zusammengedreht, daher die Venus calva (die kahle Venus) einen Tempel bekommen. Wenn oft so eine Geliebte ihrem Geliebten, mit der Schere in der Hand, ihr Haar abtrat, und ihres mit seinem durch ein Zopfband – wie beide künftig selber durch ein kirchliches – vereinigt wurden, so fielen Auftritte vor, welche ergriffen, und Bearbeiter verdienten.

Kostspieliger war die zweite Zurüstung – weil dazu ganz andere Wesen Haare lassen mußten als die Untertanen, – daß man der ganzen Armee die großen Hüte der Franzosen aufsetzte, die jetzt jeder deutsche Offizier und Zivilist, der etwas vorstellen will, aufhat, gleichsam Schwämme mit dünnem Stiel, aber unendlichem Hute. Nach dergleichen wurde sogar für Kleinigkeiten, besonders für Soldaten, gesorgt; und es wurde den ganzen Tag konskribiert und exerziert. Statt der Stieglitze, die man sonst Kanönchen abschießen, und statt der Pudel, die man Gewehre halten lehrte, wurden Meister und Gesellen geübt, so daß sie, ebenso wie die Juden am Bau des zweiten Tempels, arbeiteten, in der einen 16 Hand das Handwerkszeug, in der andern die Waffe; aber ist denn überhaupt Schneiderhandwerk von Kriegshandwerk bei so vielem Stechen, Durchlöchern, Schneiden, Führen des heißen Eisens anders als im Gegenstande unterschieden? Der ganze auf Kriegsfuß gesetzte Staat sah zuletzt so martialisch aus, wie englische Damen während der Drohung der französischen Landung; Flinten, Kanonen, Trommeln waren etwas Gewöhnliches in weiblichen Haaren, und zwar sogar von Gold als Nadeln; Helme und Tartschen hingen an ihren Ohrläppchen, und eine Sturmleiter, vom Juwelier gezimmert, schimmerte am Busen als Busennadel. Letztes gefällt mir, daß die Festung selber die Leiter zum Ersteigen heraushängt, und daß die Schönen überhaupt sich bloß bewaffnen, um entwaffnet und erobert zu werden.

Ich übergehe mehrere Zurüstungen Marias; gar nicht etwa als wären sie weniger bedeutend – denn eine davon war, daß der Hofmaler als Schlachtenmaler angestellt und mobil gemacht wurde, eine andere die, daß der Zuckerbäcker auf die Hoftafel lauter Aufsätze von alten Helden und Siegen, ganze Schlachtstücke aus Zucker liefern mußte, um die Generalität teils zu erhitzen, teils zu exerzieren – sondern weil sie in einem »Kriegskalender für gebildete Leser aller Stände« einen Platz wegrauben, der größeren Kriegen gehört.

Wer nur für den nächsten Feldzug Mut suchte, der konnte ihn bei Maria Puer finden. Als ein glanzliebender Herr wünschte er schon in seiner Jugend nichts so feurig, als großen Helden ähnlich zu werden, 17 und wie ein Cäsar, Friedrich II., Napoleon aus großen und häufigen Schlachten zurückzukehren mit dem Leben. Er äußerte oft, wer Kriegsruhm liebe, werde wünschen, lebendig heim zu kommen, um ihn zu genießen, und bedauerte die tausende Totgeschossenen, die bei Lebzeiten nichts davon haben. »Himmel!« sagt er, »welche Wunder der Tapferkeit würde mancher tun, wenn er wüßte, er bliebe nicht, sondern könnte sie selber erzählen.« – »Was ist dies anders als Kriegsmanier, Herr Vetter?« sagte einmal Tiberius. »Die Pferde, grade mehr als die Hälfte der Reiterei, gehen auch tapfer ins Feuer und bleiben; aber man redet von ihnen so wenig im Bulletin als vom Fußvolke; die Ehre gehört den Offizieren.«

Tiberius selber fragte, gleich seinen Trödlern, nicht stark nach Glanz. Wie sonst Bärenwildbret auf die Hoftafeln, so gehörte er zu den wenigen tafelfähigen Bären an der Tafel. Dies würde ich schon glauben, wäre auch die Anekdote von ihm erdichtet – denn eben das Erdichten bewiese für mich – welche ich im Gasthof selber gehört, wo sie vorgefallen sein sollte, daß er nämlich, als er inkognito aus Eile sich den Bart von einem fremden Barbier abnehmen lassen, welcher zu unvorsichtig ein Viertel Backenbart mit weggeschoren, den Backenbartputzer so lange geprügelt, bis die Wangenmähne wieder nachgewachsen war. Unglaublich genug! Gewiß aber betete er, wie die alten Römer, die Lanze an, und hielt die Staaten für Flaschen, welche nur der Flintenschrot, d. h. der Krieg gut ausspült und reinigt; worin er freilich den Selbstvermittler, Adam 18 Müller, auf seiner Seite hat. Daher wurd ihm dieser Krieg etwas dadurch verkümmert, daß wenig oder nichts totgeschlagen werden sollte, und er so das ganze Ährenfeld mit seinen Schnittern vergeblich, ohne einen Schnitt zu machen, durchziehen mußte. Maria hatte die entgegengesetzte Bekümmernis, daß er, wie einmal Sophokles für sein Trauerspiel mit einer Feldherrnstelle belohnt wurde, umgekehrt für sein Feldherrnamt mit einem Trauerspiele bezahlt werde; den Trödlern war nicht zu trauen. Daher traute Tiberius ihnen desto mehr; er ließ seine kecken Tiberianer oder Kauzen fast in nichts vorüben als im Laufen, weil er, sagt er, sich nicht schmeichle, daß sie darin mit den Schneidern wettliefen, wenn diese das Feld räumten. Übrigens verließ er sich darauf, daß hier Schuldner, also Undankbare, gegen Gläubiger losschlugen und gerade den Zorn mitführten, der den Menschen, wie Sauerteig den Teig, so hebt. Zum Überfluß organisierte er noch ein Freikorps von Kamm- und Knopfmachern, von welchen er sich allerlei versprach, wenn sie alle übrigen Waffen aus der Hand würfen, und dann mit der letzten allein – da beide Handwerker die längsten Fingernägel führen müssen – durch ihre zehn Pinzetten oder Glaserdiamanten die feindlichen Gesichter, also die gordischen Knoten des Kriegs, vorteilhaft zerschnitten.

Jetzo stehen wir nun vor der großen Stunde, in welcher beide Mächte gegeneinander vorrücken.

Nachts zog Maria aus, damit alle Untertanen, wenn der Generalmarsch geschlagen würde, nach der Kriegsregel Lichter an die Fenster setzten, gleichsam als 19 Vorspiel und Aurora künftiger Siegserleuchtung. Nie marschierte wohl ein Heer mutiger und gefährlicher aus dem Tore als die Großlausauer Schneidermeisterei, wenn Galiani recht hat, daß Mut eine Frucht der Furcht ist; denn die Versammlung schien ordentlich die wiedergeborne Kirchenversammlung zu Tours im Jahre 1163, welche bei Kirchenbuße alles Blutlassen verboten, und es gab Bebende darunter, vor welchen wohl ein herzhafterer Mann als Galiani hätte zu beben gehabt. Indes wenn die Sparter sonst bloß unter Flötenspiel auszogen, um ihren wilden Mut zu mildern: so stimmte auf dieselbe glückliche Weise schon die Trommel und Drommete und andre Kriegsmusik den Großlausauer Mut um vieles herab. Ansich aber wars erhaben, es zu sehen, wie man auszog; nicht nur die sogenannte Prima Plana war bei dem Heere (die Gemeinen verstanden sich von selber), sondern auch ein Regimentsstab samt Unterstab, und über fünf Viertel Generalstab; der Rumormeister aber erschien als wahrer Überfluß. Ich sehe sie noch vor mir hinmarschieren, die Helden der Zukunft. Wenigere Jammergesichter wären freilich in der Armee gesehen und geschnitten worden, hätte nicht Tiberius die Bosheit ausgeübt – wovon leider die ganze Armee gehört – daß er aus dem Tollhause einen verrückten Trödler, der sich seit Jahren für einen Premierleutnant in Kauzner Diensten aus eigner Idee gehalten, in die Montur stecken und mit anmarschieren lassen. Dies verwirrte aber die Schneider, wenigstens viele.

Verständigere darunter sagten sich unverhohlen: 20 »Dergleichen kann keinen vernünftigen Militär erfreuen. Wir ziehen da so fröhlich und keck in den Krieg, aber wer steht uns dafür, wenn der Verrückte dabei ist (der keine Vernunft annimmt), daß nicht unsre Macht Beulen und Prügel heimbringt, ja noch mehre Beulen als Männer? Kann nicht der Premierleutnant Ladstöcke laden und abschießen? – Beim Himmel! Hübsche Vexierschlachten, wenn darin mehr Leute verwundet werden können, als in einem Realkrieg in Welschland sonst im fünfzehnten Jahrhundert, wo oft in einem Feldzuge kein Mann umkam. So hole doch der Teufel einen so unsinnigen Krieg, wobei man kaum des Lebens sicher bleibt!«

Auch dies verstärkte nicht sonderlich ihren Mut, daß Tiberius seine ganze Generalität von Affen mitgenommen, weil solches Vieh, unbekannt mit Kriegszucht, durch ungestümes Nachäffen tapferer Gefechte ja mehr Schaden anrichten konnte als die Fechtenden selber. Es bestand aber die Generalität aus einem Hundsaffen und zwei Meerratzen; und der Regimentsstab aus einem seltenen Beelzebub mit Rollschwanz (der Coacta oder Paniscus) und einigen Pavianen; allen aber hatte er bestimmte Namen von Kriegswürden zugeteilt. Einer und der andere, der ihn näher kennt, als wir alle, will hinter diesem Affenmilitär heimlichen Spott auf Marias Kopiermaschinen des Hofs und Kriegs vermuten, was ich sehr ungern sähe. 21

 


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