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Die Briefe

I.

Vejle, 8. 7. 1872.

Lieber Freund!

Warm, wärmer, am wärmsten, nämlich heute. Wenn nicht alle Leute von einem solchen Sommerwetter übergeschnappt werden, so müssen sie es schon vorher gewesen sein. Du schreibst, ich habe mich hier drüben darin ausgebildet, Gedankenspäne im Rudolf Schmidt'schen Stil zu schreiben. Mein Gott, irgend etwas muß man doch vornehmen. Es ist hier so schön, daß ich noch immer hier bin und entdeckt habe, daß ich eigentlich zum Müßiggang geboren bin. Ich sitze jeden Tag drei oder vier Stunden hintereinander auf einer Brücke, einem Geländer oder etwas anderem Aufrechtstehenden und rauche die unglaublichste Zahl Zigarren; und dann lasse ich die Asche ins Wasser fallen, und dann sagt es Ssss, und dann kommen da Ringe, und das belustigt mich. Ich fange an, Diogenes zu verstehen, nur würde ich an seiner Stelle Alexander gebeten haben, stehen zu bleiben. Briefe, adressiert Varde poste restante, können während der nächsten Woche abgesandt werden.

Dies mit einem Gruß für dieses Mal
das einzige Vernünftige von
Deinem
J. P. Jacobsen.

II.

Vestre Brönderslev Bahnstation, 17.8.1872.

Lieber Edvard Brandes!

Einige Menschen sind nicht schlecht, andere sind es; z. B. Du.

Von nun an, bis Du mich siehst, bitte ich alle andern Briefe nach Thistedt an Großhändler Chr. Jacobsen zu adressieren. Gott weiß, ob das 7te Heft Von Jacobsens Darwin-Übersetzung. schon erschienen ist? Und das 1te von der Monatsschrift? Ich bin so unwissend in bezug auf alles, als wäre ich vor 8 Tagen in Lögstör geboren. Ich habe eine Menge Studien gemacht und arbeite an einer ausgezeichneten großen Erzählung oder, um Prakrit zu reden, will bald anfangen daran zu schreiben. Selbst wenn Du nichts weiter schreibst als: Café, Ginderup, drei kleine Schwarze, Spiegeleier, Bredgade, Klampemborg, Brimer, alles, was Du willst! Nur muß es adressiert werden an Deinen

J. P. Jacobsen.

III.

Kopenhagen, 19. 2. 1873.

Lieber Freund!

Endlich bin ich also nach einem kurzen Aufenthalt in Köln und einem mehrtägigen Aufenthalt in Hamburg nach dem Athen des Nordens, dem weltberühmten Kopenhagen, gelangt. Ich bedauere Dich und beklage, daß Du Dich mir nicht anschließen konntest, sondern in dem langweiligen Paris bleiben mußtest Wie man aus dem Brief ersehen kann, ist dies ein Scherz: Jacobsen war weder in Hamburg, Köln noch Paris gewesen. Dahingegen der Adressat.. Dem Herrn sei Lob und Dank, daß ich von dort entkam! Du machst Dir gar keine Vorstellung davon, wie schön es hier ist: Der Schnee liegt weiß auf der Straße usw., aber es ist nicht in erster Linie die Natur, was so schön ist, sondern es sind diese Menschen! Da ist ein Café am Gammel Torv, in dem die bedeutendsten Männer des Jahrhunderts einander ein Stelldichein gegeben haben. Hoedt erzählt von Hamlet und Berner und dem Hoftheater und Michel Wiehe und Nielsen und Berthas Klavier, einen Abend nach dem andern, Jahr aus, Jahr ein hat er dasselbe erzählt, und derselbe Hörerkreis hat sich jedes Mal daran berauscht. Wie durchlebt nicht dieser Mann sein Leben wieder und wieder. Und der ehrwürdige Magnus! oh! könntest Du den doch die ewigen Wahrheiten der Staatsökonomie darlegen hören, ruhig und langsam, mit einem Vortrag, der eine Ewigkeit aus der Zeit macht und die Minuten zu Stunden. Und Konsul Mörck und der leichte, elegante B. und der von witzigem Fett strotzende X. und – aber wozu sie alle nennen, sie erscheinen Dir ja doch wie die mächtigen Türme einer fernen Stadt, nebelhaft und matt. Aber die Literaturgesellschaft, über die Frau Y durch ihre Abwesenheit einen beschaulichen Glanz verbreitet, eine Gesellschaft, die ihre Mitglieder mittels verständigen Wechselbetriebes von Beefsteak und Vortrag bearbeitet. …

Ja, lieber Abwesender, alles geht und steht hier beim Alten, wir gehen hier und durchdummen einander, springen wohl hin und wieder einmal halbwegs auf bei einem Brüllen im » Fädreland« und sinken dann wieder zusammen in schläfriger Freude über uns selbst. »Alles wiederholt sich hier im Leben, ewig jung ist nur das Essen.«

Und ich, der ich nicht ahnte, daß da eine Möglichkeit war, Dich auf den Bahnhof zu begleiten. Gott bewahre, wie das meiner nordcimbrischen Schwerfälligkeit ähnlich sieht. Ich bin eben nach Hause gekommen von Pleisch (einem Café mit Balkon am Amagertorv) wo Drachmann, Möller, Dr. G. B. und Karl Michelsen und ich hingegangen waren, um uns durch Miskus (eine Mischung von Schokolade und Kaffee – versuch das einmal!) nach dem Vortrage zu stärken. Nämlich Deines Bruders Vortrag. Ausgezeichnet! Vortrefflich! (höre das mit Hoedts Betonung) aber Du kennst es wohl. Pickles und Sauce aus Pickles poivré. Von Georg kann man nicht sagen wie von dem Mädchen im Liede: »Du bist wie Brot«, er ist ganz und gar nicht Brot. Und das ist gewissermaßen ein Fehler, nicht an ihm, aber es ist ein Fehler, an der Menschheit in Dänemark, unter dem er zu leiden haben wird. Gott verzeihe ihnen, den Bestien, sie haben in bezug auf Kenntnisse weder Wasser noch Trocknes bekommen, in diesem speziellen Fall Kenntnisse in der Richtung der Literatur fremder Länder, und dann kommen diese gutmütigen Adams und Evas zu dem Baum der Erkenntnis (Georg) hingetründelt und glauben, daß er ein Brotfruchtbaum ist, und dann werden ihnen Capern, Morellen und Trüffeln in ihre aufgesperrten Hälse gestopft, und sie wissen nicht, was das ist, sie wissen eigentlich nicht einmal, wie das schmeckt, nur das wissen sie, daß sie es noch nie zuvor geschmeckt haben. »Gott sei ihren armen Kenntnismägen gnädig!« die Ärmsten, wenn sie dann obendrein eine dänische Branntwein-Kritik von dem bekommen, was sie genossen haben, – das ist weder gastronomisch noch volkspädagogisch richtig. Es ist doch eigentlich ein Unglück für Deinen Bruder, daß er diesen ganzen großen Viehbestand von Publikum hat, schlecht gehalten und schlecht gefüttert, gewöhnt an die schlechteste, fetteste, nahrungsärmste Maische, die man sich denken kann; daß sie hungrig sind, will ich nicht sagen, aber mager sind sie wie, ich weiß nicht was, wie sie selbst. Was ihnen am meisten nottut, wäre einer, der Wagenladungen voll von dem Stroh des rein Stofflichen für sie drüsche und sie dann dazu brächte, zuzugreifen. Das Unglücklichste von allem aber ist, daß selbst wenn man ihnen das Stroh böte, es nicht helfen würde, verdauen könnten sie es wohl, aber es zu kauen, dazu könnten sie sich nicht entschließen; dann nehmen sie lieber die fette Maische, die nicht gekaut zu werden braucht. Und nun steht Georg da und gibt ihnen den reinen Kern, der soll nicht gekaut werden, er muß aber verdaut werden. Gott helfe ihnen und ihrer Verdauung, – er geht ihnen ganz so heil wieder ab, wie sie ihn bekamen. – Der Vortrag war, wie gesagt, vortrefflich, da waren namentlich einige resümierende Charakteristiken, die ganz glänzend waren. Aber Kaviar (Hamlet).

Ich habe ein etwas trübseliges und leeres Gefühl, seit Du gereist bist, ich habe noch so wenig begriffen, daß wir uns fürs erste nicht sehen sollen, daß ich, wenn es des Vormittags an meine Tür klopft, halbwegs erwarte, Deinen kurzen Überzieher und Zylinderhut und den Griff Deines wunderbaren Stockes zu sehen.

Wohlan, Courage, Antonius, wir sehen uns im Jenseits. Das Klügste, was ich tun könnte, wäre meine Arbeit in Angriff zu nehmen und in Sodom Bezieht sich auf eine Erzählung über Sodom, die Jacobsen beabsichtigte, die aber niemals geschrieben wurde. einzuziehen, aber Klugheit ist eins und Trägheit etwas anderes, ja, wenn's nur so gut stünde, nein, Trägheit ist eins und Klugheit ist Nr. 2.

Bisher hast Du Dich wohl noch nicht an das Ausland gewöhnt, es geht Dir wahrscheinlich so, wie es mir auf großen Mittagsgesellschaften geht, da ist gutes Essen und der köstliche Wein, aber die Ruhe und das Gleichgewicht des Gemüts, das zu genießen, die sind nicht da. Ich könnte vollkommen entwickeln, wie es mit Dir beschaffen ist und wie Du wohl Lust hättest, ein kleines Stück Paris zu nehmen und damit wegzulaufen und Dich hinzusetzen und es ganz still zu genießen, da Du das ja aber mindestens ebensogut weißt wie ich, will ich zugeben, daß ich lieber von etwas Anderem schreiben muß.

Aber worüber möchtest Du im Grunde reden hören? Ja, bei Lichte besehen, geht das mich eigentlich nichts an, ich muß ja glauben, daß es Dir bei Briefen von mir namentlich darauf ankommt, daß ich sie schreibe.

War es nicht Caligula, der ein Pferd zum Senator machte? Plough erinnert beinahe an Caligula – erinnert in gleicher Weise wie Klippfisch an den Ozean, – er ergeht sich in einem endlosen Ernennen von Menschen und Vieh zu den wahnsinnigsten Ämtern. Jetzt hat er Rudolf Schmidt zum Genossen Deines Bruders und Drachmanns ernannt. Nicht ein Pferd zum Senator, sondern eine Qualle zur Rakete (Rettungsrakete). Er nennt R. S. Wilddieb, vergißt aber selbst, daß er ein Krugwirt gewesen ist, der der ganzen Wildererbande Unterschlupf gewährt hat.

Wenn Du Zeit hast, so schreibe mir, hast Du keine, so schreibe wenig. Möller nahm Deinen Gruß, daß er bald von Dir hören würde, mit einem stillen Lächeln auf, hemme sein Lächeln. Ich ärgere mich noch darüber, daß es mir nicht aufgehen konnte, daß ich Dich hätte zur Bahn bringen können.

Und nun leb wohl! Im Kgl. Theater soll ein neues Stück von dem Verfasser der Weißen Rosen gegeben werden, es heißt Eine Antwort Jacobsen irrte. Eine Antwort war nicht von dem Verfasser der Weißen Rosen.. Nun bekommen sie keine Prügel, die andern lassen es sicher glimpflich angehen, nur Du schreibst ohne Zwischensätze. Das ganze Stück ist reich garniert mit Phisters, Herr Phister, Frau Phister und Olaf Poulsen geb. Phister. Aber Du siehst …

Dein J. P. Jacobsen.

IV.

Kopenhagen, 28. 2. 1873.

Lieber!

Du hast wohl die Monatsschrift erhalten, ehe dies Dich erreicht, und wirst dann wohl, wie ich zu mir gesagt habe, zu Dir sagen: ja, hätte man nicht gewußt, daß Cabiro da sein sollte, so würde man ihn auch nicht gesehen haben. Im übrigen finde ich, es ist besser gemacht, als man es nach Deines Bruders und Möllers Äußerungen hätte erwarten sollen. Sein, d. h. Möllers, Artikel gefällt mir recht gut, wenn die andern sich dazu aufraffen können, werden sie wütend. Besagter Möller ist arg in der Klemme wegen eines Sensationsartikels, und da ein paar Briefe von Dir geborene Sensation sind, so entschließe Dich und mache Sensation. Die Pio-Sensation hast Du wohl bekommen? …

Daß ich im Studentenverein zu Ball gewesen bin, kann Dich wohl nicht interessieren, mich hat es wenigstens nicht interessiert. Haufen von mäßig ausgeschnittenen »Naturselbstabdrücken« von dunkel seidenen Müttern mit Gesichtern aus Waschleder. Die Wirtinnen (das heißt Frau Heiberg und andere) saßen oben in den Fensternischen auf Stühlen. Das Ganze erinnerte nicht wenig an Rasmussens Bild auf der letzten Ausstellung »Grönländer, die Fandango tanzen«. Welch ein Bild für das Ethnographische Museum: »Dänen, die Française tanzen«. Ich gab »Le danseur malgré lui« und ging noch acht volle Tage hinterher in einem Zustand von Zerknülltheit umher. Das hat man für seine Gefälligkeit.

Hast Du nun angefangen zu studieren? Und in diesem Fall was? Beschäftigst Du Dich mit Zeitungen, und denkst Du an die Zeitung, und was denkst Du über die Zeitung, oder ist es alles Louvre von Anfang und Théatre Français bis zu Ende?

O! daß Du doch in das Café Regence kommen mußtest – ja, das ist »Nemesis!« Wenn ich in Paris wäre, würde ich sicher, wenn ich außer Bett wäre, nirgends anders anzutreffen sein. – Meine einzige Beschäftigung in dieser Zeit besteht darin, Mordgeschichten in dem »Neuen Pitaval« zu lesen. Die, die ich bisher gesehen habe, sind alle verrückt, aber natürlich wurden sie hingerichtet.

7. 3. 1873.

Es ist natürlich etwas dazwischen gekommen, wie Du aus der Pause begreifen kannst. Stell Dir vor, ich stehe jeden Tag um 11 Uhr auf und gehe in die königliche Bibliothek und lese alte Dokumente und Briefe und Lügen und Bilder über Mord und Hurerei, Kapitaltaxen, liederliches Leben, Marktpreise, Gartenbau, Belagerung von Kopenhagen, Scheidungsprozesse, Kindtaufen, Gutsregister, Stammtafeln und Leichenpredigten. Alles das soll zu einem wunderbaren Roman werden, und der soll heißen:

» Frau Marie Grubbe«

Interieur aus dem siebzehnten Jahrhundert.

Du weißt, es ist dieselbe, von der in Holbergs Episteln geschrieben steht und in der Hühnergrethe von Andersen, und die zuerst mit U. F. Gyldenlöve vermählt war und zuletzt mit einem Fährmann. Hinc illae, ich weiß nicht, was Pause auf Lateinisch heißt.

10. 3. 1873.

Ich bekam nichts geschrieben.

13. 3. 1873.

Dies ist der Schluß des Briefes – der Leutnant! Ja, Du hast es wohl gehört. In Wahr und Unwahr, einem Stück von Fräulein Andersen, ist Cetti, ein Leutnant, der unangenehme Bräutigam (Poulsen ist das Ideal), den ersten Abend war er in Uniform, da erhoben das Offizierkorps und Fädrelandet und Dagbladet und ich glaube Dagstelegrafen Einspruch dagegen, daß ein Schauspieler, der nicht eine der edlen Personen im Stück darstellte, in Uniform spielen dürfe. Am nächsten Abend spielte Herr Cetti in Zivil! Es bedarf keines Kommentars, aber ich bete im stillen zu den Grundwahrheiten der Physiologie: möchten sie so verrückt werden, wie das von verrückten dänischen Gehirnen gedacht werden kann. Ach, ach! Allah ist groß und seine Barmherzigkeit ist wahnsinnig ewiglich. In meinem nächsten Brief, in dem ich diese so gut durchgehaltene unfreiwillige Tagebuchform aufgeben will, hoffe ich, Dir den Anfang von Marie Grubbe senden zu können, oder vielleicht ist es besser nicht.

Dein Bruder Georg und ich bummelten gestern Abend nach der Vorlesung durch die Straßen und sprachen über dänische Poesie. Großer Gott wie wenig einig wir waren! Ich bin überhaupt sehr einsam, Drachmann denkt in Himmelswolken und spricht in Pechkränzen, Möller ist Mann, Soldat und Vater, Redakteur und Herausgeber, Idealist von Instinkt, Materialist der Überzeugung nach und seine Stellung macht so große Ansprüche an seine Energie und Ausdauer, daß sie ihn im Wachstum hindert.

Und ich, der Einsame – ich bin ein Esel – – ich bin Darwins Übersetzer, und meine Desmidiaceen sind das einzige Nützliche, was ich jemals beschafft habe. Ich bin das berühmte Faultier oder Ai-Ai, das zwei Jahre gebraucht, um in den Wipfel eines Baumes hinauf zu klimmen, und das, wenn es so hoch gekommen ist, sich wieder herunterfallen läßt. Ich bin der tüchtige Bildhauer, der Cavalet, Modellierstöcke, Modelle, Bildhauerbluse und Papierhut hatte und auch nasse Tücher, um sie über den Ton zu legen, der aber keinen Ton hatte, nichts hatte, woraus er seine Dinge machen konnte. Und wenn man das nicht hat, wenn man weder schöpferische Empörung oder Leidenschaft oder Persönlichkeit hat, so kann man ebenso gern seinen Tag verschlafen und seine Nacht in einem Café wach sitzen und über das neue Hotel d'Angleterre schwatzen und über das neue Theater und die alten Schauspieler, oder auch man kann seinen Hut nehmen und aus dem Dasein hinausgehen, wenn man den Mut dazu hat. Wenn sich dann noch wenigstens ein solcher Esel verlieben könnte, wild, unsinnig, ach Gott! nur viehisch, aber stark, heftig. Jedoch keinen Appetit, nicht der geringste, keine Lust zum Genuß, keine richtige Lust, kein Lebensmut, o, solch ein Hornvieh, das ist's, was der Esel ist, er ist ein Hahnrei ohne Frau, jedermanns Hahnrei, der Hahnrei derer, die leben, die leiden, die wagen und die handeln, die nicht so ein Weichtier sind, das da liegt und in dem kühlen Gelée seiner eigenen Vernunft Unsinn schwätzt.

14. 3. 1873.

Ich sehe, daß ich gestern Abend schlechter Laune gewesen bin, mein Gott! Lyrisch kann man der Veränderung halber ja auch gern einmal sein. Und in der Hinsicht sind Kopfschmerzen und Korrekturlesen starke Incitamente.

Ich danke für den Brief; und daß ich ein Faselant bin, darin magst Du Recht haben; auf der vorigen Seite siehst Du, wie klar ich mir darüber bin. Ist da sonst noch etwas, weswegen Du meinst, daß ich ein Faselant bin?

Was Deine Abhandlung über die besprochene Schauspielerin am Gymnase betrifft, so habe ich sie mit Freude gelesen, und sie übertrifft meine kühnsten Erwartungen Es war dies ein Scherz; es war gar keine Abhandlung geschrieben.. Du hast Recht, es gibt solche, die Komödie spielen, als wären sie Schauspieler, und es gibt solche, die spielen als lebten sie. Ich verstehe, daß sie zu den letzteren gehört, aber ich verstehe auch, daß es Menschen gibt, die leben, als sei dies das Natürlichste von der Welt, und daß es Menschen gibt, die so intensiv leben, daß ihre leidenschaftliche Rede, ihre Haltung und ihr Mienenspiel und ihr Schweigen etwas Dramatisches bekommt, und ich verstehe auch, daß sie zu dieser Unterabteilung gehört. Sie ist wie der ausgezeichnete Wein; guter Wein schmeckt nach Sonnenschein, Sonnenwärme und Pflanzensaft, er ist duftend, rein und gesund, so ist der ausgezeichnete Wein auch, aber außerdem hat er einen ganz kleinen Hauch von einem Beigeschmack, der an und für sich weder wohlschmeckend noch natürlich ist, und der macht ihn zu dem ausgezeichneten Wein. Ich weiß keine andere Weise, Dir zu schreiben, als so zu tun, wie wenn wir über etwas sprächen, denn das was hier geschieht, das geschieht garnicht, ich meine alles, was Bewegungen, Strömungen oder so etwas gleichen könnte, was sich dazu eignen könnte, Eindruck zu machen und in Mitteilungen geformt zu werden. Es ist etwas wie der Elfentanz, man sieht keine Elfe, man sieht den Tanz nicht beginnen und sieht auch nicht, daß er aufhört, aber man hat eine Art Gefühl, daß man etwas von dem Tanz der Elfen gespürt hat.

Aus Furcht, daß dieser Brief niemals fertig werden wird, will ich schließen und Dich bitten, Gnade für Recht ergehen zu lassen und recht bald zu antworten, in Anbetracht dessen, daß Du in Paris bist und ich Ariadne auf Naxos bin, die da sitzt und leer in die Ferne hinausstarrt mit Schaum im Haar und flatterndem Gewand – mit Tinte an den Fingern und in Korrektur gehüllt.

Einen Gruß an die Venus von Milo, einen Gruß an das Ganze, an das Leben …

Dein J. P. Jacobsen
Tartarus
2½ Uhr.

V.

Kopenhagen, 3. 4. 1873.

Lieber Freund!

Ich verstehe sehr wohl, daß Du nicht schreibst, aber Du bist vielleicht auch so wohlwollend zu verstehen, daß ich mich trotzdem nach einem Brief sehne, und deswegen verzeihe, daß ich meine schriftliche Visite wiederhole in der Hoffnung, daß Dich das möglicherweise zu einer Gegenvisite veranlassen könnte. Da bin ich denn! Ich mache einen Diener, gebe Pfote, frage nach dem Befinden des Herrn, erfahre, daß man sich wohl befindet, gebe für meine Person dieselbe beruhigende Erklärung ab; man bietet mir einen Stuhl an, ich setze mich, ich stelle meinen Hut hin, ich gehe immer mit Zylinder zur Erinnerung an den Herrn, wir sprechen über das Wetter, über das schöne Sommerwetter in Kopenhagen, und währenddessen habe ich Gelegenheit zu bemerken, – mein Herr ein wenig – oder daß er die Dimensionen bekommen hat, die weniger Embonpoint sind als ein Zuerkennengeben, daß so etwas im Schoße der Möglichkeiten liegt, oder vielmehr, es ist die immanente Üppigkeit, die sich noch nicht als veritables, vegetatives Wachstum dokumentiert hat, kurz und gut, es ist das Aussehen, das der »Äußersten-Auster-Rechten«, wie die Sozialdemokraten sagen, eigentümlich ist.

Die Rede neigt nach dem Urteil der Sozialdemokraten hinüber, da ich jedoch bemerke, daß Du ebenso wenig weißt wie ich, biege ich wieder ab. »Ja«, sage ich dann weiter, »ja, Erbitterung hat es hier in Kopenhagen nicht gegeben, aber es geht scharf her«, die Sozialdemokraten sagen: gehen wir an das höchste Gericht, dann werdet ihr sehen, was für ein nationalkronliberaler Großbürger das Kriminalgericht ist.

Die Leute sagen, das Kriminalgericht hat heimlich mit dem höchsten Gericht verhandelt, ob es ein Urteil wie das gefällte anerkennen oder verwerfen will – die Juristen sagen, daß eine solche Konferenz unmöglich und eine Lüge ist. Das Ministerium will nicht abgehen, und es will das Ding nicht auflösen. Da stehen wir. Die Reaktion (die Nationalliberalen) scheint nur einen Hahnenschrei davon entfernt zu sein, einen Augustverein zur Befestigung des Bandes zwischen König und Volk zu errichten. Fädreland rät offenbar dazu, einen Staatscoup zu machen und ohne Finanzgesetz zu regieren – die Linke sinnt darüber nach, ob sie das Ministerium zu dem Staatscoup treiben soll, indem sie das Finanzgesetz ablehnt. Die Altreaktionären brüllen: »Könnt Ihr nun sehen, was wir 64 sagten!«

Nun will ich so tun, als hätte ich nicht damit angefangen, so zu tun, als machte ich eine Visite.

Ich komme in diesem »Augensten Blick« aus der Stadt und habe mit Möller und H. Drachmann gesprochen. Drachmann ist der ewig Alte, er will alle Menschen, die er sieht, prügeln, und heute Abend hat er im Fädreland ein H. D. unterzeichnetes Gedicht geschrieben. – Das macht nun nichts, denn das Gedicht ist gut und handelt von dem verstorbenen Marstrand, aber wenn ich im Fädreland schriebe, so würde ich, hol mich der Teufel, doch wenigstens meinen vollen Namen darunter haben – aber was macht das? – das Gedicht ist gut. – Oelmüller Olsen will morgen einen Vortrag über die Sittlichkeit halten, weitere Neuigkeiten weiß ich nicht, ja, X hat Kaufmann bei Bauer herausgeschmissen, oder Kaufmann hat X bei Vincents herausgeschmissen, oder Vincents hat Bauer bei la Porta herausgeschmissen, ich weiß nicht recht, wie es sich verhält. – Ich habe die 60 000 nicht gewonnen – dahingegen hat Frau X's Bruder sie gewonnen. Vilh. Wiehe hat in einer Gesellschaft Cabiro beinahe geprügelt. D. B. Adler hat im Sozialdemokraten geschrieben und hat sich mit Mannheimer gezankt (ich weiß nicht, wer das ist), so daß er Nierengries und Mannheimer Schwindsucht bekommen hat, im übrigen haben wir in dieser Zeit Kunstausstellung, das größte Bild stellt Christi Himmelfahrt dar, als Text scheint im wesentlichen das bekannte Bibelwort: »Jetzt steigt der Ballon« gewählt zu sein!

*

Dies ist kein Brief, sondern nur ein kleines Wunschbriefchen bezüglich einer Wiederaufnahme der Korrespondenz.

Dein J. P. Jacobsen.

Nun mußt Du, weiß Gott, sehen, daß Du mir ein paar Seiten schreibst.

*

VI.

Kopenhagen, 28. 4. 1873.

Lieber Freund!

Theaterdirektor! – Theaterdirektor einer Irrenanstalt! – Der Gott der Theologen bewahre uns alle gnädiglich und halte in seiner Barmherzigkeit die Gedanken meines Freundes fern von einem Holzhandel mit den »weltbedeutenden Brettern«. – Ach, es gibt gewisse sonnenhelle Stunden, wo der Mensch Licht, Leben und Wärme wie eine persönliche Wohltat empfindet, und es erwacht in ihm ein Gefühl gigantischer Lebenskraft, einer Kraft, der es nur eine leichtsinnige Anstrengung erscheint, den Zylinderhut Runder Turm zu nehmen und ihm den viereckigen Kopf des Frauenkirchturmes bis über die Augen zu drücken. Das Blut des Menschen gerät dann in einen eigentümlich moussierenden Zustand und die entwickelte Kohlensäure übt einen Druck auf das Gehirn aus und erzeugt ideenhafte Erscheinungen, die ohne eine eigentliche Gehirntätigkeit entstanden sind. Die Ideen, die man unter solchen Umständen bekommen kann, sind sonderbar – so gibt es Leute, die darauf verfallen, Theaterdirektoren in Kopenhagen zu werden, sie wollen Schauspieler erfinden; sie sind sich ganz klar darüber, daß es nicht viele richtige Schauspieler geben wird – wohl aber einen Haufen Brauchbarkeiten (?) sie wissen, daß diese Brauchbarkeiten sich sämtlich für Talmas halten und dementsprechend behandelt werden wollen, und sie wissen ebenso, daß besagte Leute Idioten sind, die nicht die Erlaubnis haben dürfen, auch nur einen Bruchteil ihres Eigenen zu geben, sondern en canaille behandelt und bald hiermit, bald damit gebremst werden müssen – und sie halten einen solchen Zustand der Dinge für möglich. Besagte merkwürdige Denker erwägen ja, wie angenehm es sein wird, in einem außerordentlich strengen Untertänigkeitsverhältnis zu der Presse zu stehen …

In bezug auf die Presse!

3. 5. 1873.

Eine fürchterliche Erkältung hat mich am Schreiben gehindert. Heute ist ein wichtiger Tag. – Das Finanzgesetz ist nicht abgelehnt worden; im Socialdemokraten wird zu einer Versammlung auf dem Nordfelde am Montag aufgefordert, und das Buch Deines Bruders ist erschienen.

Deine kleine Abhandlung habe ich freudeerfüllt gelesen, und sie ist bereits eine Weile in der Druckerei gewesen. Möller will gern den zweiten Brief schneller als möglich haben. Die großen Typen bekommst Du, das gute Papier ebenfalls.

Mit Darwin geht es recht gut, Marie Grubbe geht langsamer, und doch will ich hauptsächlich auf sie hin reisen. Aber reisen will ich. Dresden – Prag – Regensburg – München – Salzburg – Berchtesgaden – Ob.-Inn-Tal – Triest – Venedig – Verona – Wien. Das ist eine ganz nette Route. Ja, die Medaille erhielt ich also! Besten Dank für den Glückwunsch.

In bezug auf die Presse!

Die Gemeinheit, mit der die Linke und die sozialdemokratischen Überbleibsel in der neureaktionären Presse verfolgt werden, ist unglaublich. Der Gedanke an die kommende Zeitung hat mich ganz politisch gemacht, so daß ich mich dazu aufgeschwungen habe, Dagbladet, Fädreland, Socialdemokraten und Almuevennen zu halten, welche Blätter ich gewissenhaft lese. Es wird immer klarer, daß das Blatt stark nach links neigen muß.

lch kann nicht mehr schreiben infolge der Nachwehen der Erkältungs-Idioterei. Aber das nächste Mal bekommst Du einen ordentlich großen Brief.

Ich schreibe morgen.

Dein J. P. Jac.

*

VII.

Kopenhagen, 28. 5. 1873.

Lieber Freund!

Ich bin ein Esel!

Ich hatte geglaubt, Du würdest fragen, warum, aber Du schweigst und siehst so aus, als wärest Du ganz einig mit dem geehrten Herrn Vorredner.

Darüber wären wir uns also einig.

Wir werden es hoffentlich auch noch über anderes werden.

Falls in meinem Brief irgendetwas in bezug auf Fragen oder Bemerkungen oder Aufforderungen gewesen ist, was Du – nicht als aufdringlich, das hoffe ich sehr – aber als reichlich fragend, reichlich atemlos, reichlich durstig nach Mitteilungen empfunden hast, so entschuldige mich und bedenke, daß ich ziemlich allein bin, und daß unsere Unterhaltungen so jäh unterbrochen wurden, daß es nicht unerklärlich ist, wenn ich mich nicht gleich habe daran gewöhnen können, sie zu entbehren.

In Marie Grubbes Geschichte bin ich mitten im dritten Kapitel, aber es sollen fünfzehn werden. Es sieht gut aus, daraufhin reise ich nun. Aber es ist einerlei, ich reise, es ist entschieden, und sollte ich das Manuskript zu einem von Bergsoes Romanen stehlen und meinen Namen darunter setzen und ihn an Ree verkaufen. – Ich habe die beiden ersten Kapitel Deiner Mutter und Deinem Bruder G. vorgelesen; sie sagten beide, daß es ihnen gut gefiele. Es sind auch wirklich gute Sachen darin. Sowohl verrückte Dienstmägde als eine Naturschilderung und besoffene Geistliche und ein Speisezettel – und mein Stil ist ein wenig ruhiger geworden.

Wenn ich einen Augenblick nicht arbeite oder im Bädeker lese, langweile ich mich fast; aber hier ist es auch, weiß Gott, nicht amüsant. Wenn ich nicht wüßte, daß ich in einem Monat reisen werde, da glaube ich, ich würde das Dasein aufgeben und mich auf die Ewigkeit legen, oder vielleicht würde ich mich garnicht langweilen, falls ich nicht reisen wollte. Dagbladet ist herrlich in dieser Zeit mit seiner auswärtigen Politik, es weiß nicht, auf welchem Bein es stehen soll, sowie der Kranich auf dem glühenden Teller – aber so stehen im übrigen alle Blätter – lauter dumme Vögel auf glühenden Tellern.

9. Juni 1873.

Interdum dormat! …

Zum Jubeln komisch ist eine Abhandlung von R. Schmidt in Idee og Virklighed über Jeppe vom Berge.

Jeppe ist eine edle, ritterliche Gestalt, der seine starken Arme nicht gebrauchen will, um das wütende Weib zu prügeln, er »trägt eine Troubadourharfe in seiner Brust«.

Er ist der dänische Volksgeist, der im Schweinekoben steht, einen Glorienschein um den Kopf. – Er ist ein mutiger, beherzter Mann, der unter Marlborough gekämpft hat (das steht da). Und er liebt die dänischen Volkslieder. Beweis: Klein Kirsten und Herr Peter, die saßen bei Tisch, Peteheja! – Ja, Peteheija! das ist verdolmetscht: sat sapienti.

Was wird aus der Reise nach Nordfrankreich?

Und sieh nur zu, daß Du am ersten Juli und nicht am ersten August nach Dresden kommst, ich werde dann schon auf der Brühlschen Terrasse sitzen und warten – eigentlich würde es bequemer sein, wenn Du schreiben wolltest, zu welcher Zeit Du abreisest und in welchem Hotel Du einzukehren gedenkst, damit ich wüßte, wo die Herrschaften zu finden sind, denn es kann nicht nützen, nach mir zu suchen, ich wohne irgendwo in der Stadt.

17. Juni.

Diese Datumüberschriften sind richtig, so sonderbar es aussehen mag. Mit Gottes und Hegels und meiner eigenen Hülfe reise ich einen Tag vor dem 1. Juli von hier ab. Ich wollte, ich wäre erst unterwegs, ich bin kurz davor, elend zu werden von dem Darwin-Übersetzen. Schreibe, ob Du in Stadt Rom, Bellevue oder Victoria oder in siebzehn andern einkehrst?

Glück auf die Reise nach Südfrankreich und bleibe nicht da unten. Ich sehne mich und grüße. Hier ist es fürchterlich.

Dein J. P. Jacobsen.

VIII.

29. 6. 73, Lübeck.

Lieber E. B.

Heute und morgen in Lübeck. Übermorgen und die drei folgenden Tage Berlin. Am nächsten Tag vielleicht Leipzig oder Dresden. Näheres mündlich, falls Du nicht vorziehen solltest, Deine Flucht durch die Lande in einer irrenden Richtung fortzusetzen.

Mein letzter Brief an Dich befindet sich in Kopenhagen. Nichts von der Stadt gesehen, neugierig, geschäftig, schließe,

Dein
J. P. Jacobsen.

IX.

3. 7. 1873, Dresden.

Such mich nicht im Kollegium,
Such mich beim Glas Tokayer.

Ich kam gestern hier an – keine Menschen – dann ging ich in den Zoologischen Garten – aber was soll ich heute machen, denn heute kommst Du ja, zum Teufel auch, nicht! Jetzt bist Du natürlich in Berlin, wo ich von dort abgereist bin, und wenn ich in acht Tagen von hier abreise, werde ich gewiß, wenn ich zurückkehre, Dich überholen …

Ich wohne vorläufig im Hotel (wenn ich so sagen darf) »Deutsches Haus«, Scheffelstraße.

Die Straße geht vom Altmarkt nach dem Postplatz.

Hier ist eine Sündflut von Leipziger Handlungsreisenden, aber das Essen ist tadellos, und dann braucht man nicht auf den guten Verkehr zu sehen.

»Wenn Du eine Rose siehst,
Sag', ich laß sie grüßen.«

Mild verzweifelt
J. P. Jacobsen.

X.

1. 12. 1873, Thisted.

Lieber Freund! »Sieben Schritt in die Länge und fünf in die Breite.«

Entsinnst Du Dich noch aus den »Beiden Städten« des alten Mannes, der Schuhe näht? So ein alter Mann bin ich beinahe. Hier ist niemand, mit dem ich reden kann, niemand, der Ideen bekommt oder hat, oder von Ideen hat reden hören. Die Intelligenz ist nach allen Richtungen hin gänzlich gänzlich verkonservativt, und die andern sind nicht intelligent. Die starke Mastkur, der ich unterworfen bin, macht mich von Tag zu Tag dummer und dummer, aber ich habe nun auch, seit ich nach Hause kam, zwölfeinhalb Pfund zugenommen. Die Reise scheint mir sieben Jahre zurückzuliegen, und ich habe eigentlich mehr den Eindruck, daß die verschiedenen Stücke auf einem Theater an mir vorbeigegangen sind, als daß ich in ihnen umhergegangen bin. Ich kann von München grüßen, Sille W-a-a-as Eine Kellnerin im großen Hofbräu in München. Ihr langgezogenes was hatte Jac. und seine Reisegenossen belustigt. war nicht da!

Was meinen Gemütszustand betrifft, so ist der garnicht gut, aber Schmerzen habe ich nicht, Arbeitskraft habe ich freilich auch nicht – garnicht davon zu reden, daß ich buchstäblich nicht eine Stunde zu meiner Verfügung habe, so in Anspruch genommen bin ich vom Essen und Trinken, Medizin-Einnehmen und Spazierengehen – und dann darf ich nur eine Pfeife Tabak täglich rauchen und gar keine Zigarren.

Endlich ist es abgemacht, daß meine Desmidiaceen-Abhandlung auf Französisch erscheinen soll. Die Zeitschrift Das im folgenden Jahre erscheinende XIX. Aarhundrede.? – Ich bin sehr gespannt, und wieviele sind in Dr. Georgs Vorlesungen und wie ist Drachmann? und wieweit? und wird er zu Weihnachten erscheinen?

Freundlichen Gruß
Dein
J. P. Jacobsen.

XI.

13. 12. 1873, Thisted.

Lieber Freund! Ja, die Poesie! Ich gehe hier und warte auf sie, ich mache lange Wanderungen hinter ihr drein, sitze an meinem Fenster und sehe ihr nach, wenn die Sonne aufgeht; und dann lese ich obendrein die gräßlichsten Romane um einen Zipfel ihres in rhythmischen Falten wogenden Linon-Gewandes zu erhaschen. Das ist der Grund, weshalb ich nicht früher habe von mir hören lassen – – – – – – Meine Werke stehen zu Diensten, aber Gott weiß, wo sie sind. Die Arabeske steht zu Diensten, Du sollst sie zusammen mit einer neuen haben. Wann beginnt die Zeitschrift, was soll in das erste Heft, und wie soll sie heißen? Ich langweile mich so einigermaßen, meine einzige Zerstreuung besteht darin, zu gehen und mich in die Natur zu verlieben, die ich weit über den Gardasee stelle. Ich glaube, meine Arbeitskräfte sind im Begriff, wieder zurückzukehren, aber ich bin ein langsamer Bursche, möchten die Götter mir ein langes Leben geben, sonst werde ich nie so viel schreiben wie der sel. Wieland, und das möchte ich doch gern.

XII.

Montag vor Weihnacht 1873, Thisted.

Lieber Freund! Ich sende nur diese Zeilen, um Dich zu bitten – falls Du die Photographien gefunden hast, die Du so freundlich warst, für mich von München zu schicken – sie mir hierherzusenden. Sonst nichts von Bedeutung, nur daß mein Gewicht 8 L pfd. und 8 Pfd. beträgt.

Möchte nun das fröhliche Weihnachtsevangelium Dein Herz erfüllen und Dich geeignet machen, die Freude zu empfinden, die über allen Verstand ist.

XIII.

Montag, Dezember 1873.

Lieber!

Ich habe heute ein Päckchen Photographien von verschiedenen Blumenarten von Dir erhalten, aber das sind nicht die meinen. Die Photographien, die ich meinte, waren die, die Du die Güte hattest, für mich von München nach Hause zu schicken, und es waren:

1. Stereoskopbilder von Lübeck, Berlin, Dresden, Sächsische Schweiz, Prag, Salzburg, Berchtesgaden, Wimbach, Klamm und München.

2. Visitenkarten nach Bildern aus Dresden.

3. Visitenkarten nach Bildern aus München.

4. Visitenkarten von allerlei Damen und von Darwin, und ich sehne mich sehr danach, da es mich sehr erheitern würde, mir alle diese Bilder in die Erinnerung zurückzurufen. Neues – Nichts …

Dein
vegetierender
J. P. Jacobsen.

XIV.

Herzog Knuds Tag 1874, Thisted.

Lieber Freund! Da ist Eins, was mich über Alles ärgert, eins, das bewirkt, daß ich nicht in selige Harmonie mit dem Dasein kommen kann. Wenn ich doch Katholik wäre! Dann würde ich meinen Winterüberzieher zu einer Kutte umnähen und einen breiten Schirm an meinen bekannten Zylinder setzen lassen. Und dann würde ich ruhig umher gehen auf meinen einsamen Wanderungen, die Länge des Weges mit der Anzahl von frommen Gebeten messend und die schlechten Wege vergessen und von der Madonna und des Bambinos himmlischer Schönheit träumen. Und ich würde mit digestiver Frömmigkeit und abführender Salbung die fette Klosterkost genießen und jährlich vierzehn Tonnen Bier trinken wie das Klosterfräulein in Allens Vaterländischer Geschichte. Ich würde alle Orte, wo freie Denker wohnten, Babylon nennen, mich vor roten Monatsschriften bekreuzigen und von dem Weltuntergang und dem möglichen Erscheinen der Brandespost d. h. Det XIX. Aarhundrede. prophezeien. Und wenn ich dann nach Jahren heilig genug geworden wäre, so würde ich ein Buch wie Dantes Göttliche Komödie schreiben und meine ehemaligen Freunde in die Hölle versetzen und meine Feinde in das Paradies, und dann würde ich pönitieren, indem ich meine eigenen Verse auswendig lernte, und die Leute würden Mund und Augen aufreißen vor Staunen und sagen: Wahrlich, wahrlich, dieser ist ein heiliger Mann und ein Göttlicher, denn er gehet unbeschädigt durch dieses hindurch wie Daniel in der Löwengrube. Und o Seligkeit! es würde eine Thistedter Malerschule entstehen und ein Thistedter Ribera, der mich in heiliger Nacktheit magergelb und fahlfromm abkonterfeien würde, geschunden und zerfleischt von seltsamen Ungeheuern, Hiaten und schlechten Reimen, und mit einem geschundenen Lächeln würde ich zum Himmel emporschweben mit einem Kranz von Engeln mit prallen Waden und buttergelben Locken und über ihnen allen die Madonna, die sich vor Seligkeit rülpst. Amen!

Aber ich bin kein Katholik, und es ist weit bis Ordrup, In Ordrup ist ein katholisches Seminar. und in »protestantischer« Nüchternheit muß ich meine Spaziergänge machen, und niemand konterfeit mich, und ich mache schrecklich wenig Verse und spiele viel Whist. Dies sind meine Neuigkeiten, denn es ist mit dem Leben in Thisted wie mit Jehova, der nach Balles Lehrbuch ewig und unveränderlich derselbe ist. Ihr aber, die Ihr außerhalb der Klostermauern lebt, und Neujahrsrevuen schreibt, macht auch eine kleine Neujahrsrevue für mich und seid herzlich bedankt für den Trunkspruch Bezieht sich auf eine Neujahrsrevue, die im Kasino aufgeführt wurde. Bei einem festlichen Gelage hinterher wurde von Jacobsens Freunden auf sein Wohl getrunken.. Indem ich mich vor dem Gewimmel von Grüßen zurückziehe, die unter meiner Feder ausmyriaden würden, frage ich nur: ist dies ein Brief?

XV.

Thisted, 15. 3. 1874.

Liebster Freund!

Pläne? Keine Pläne, keine Reise, keine Werke, nichts – garnichts. Sich erholen, rohe Eidotter, Doppelbier und schwedischer Punsch. Aber es geht gut vorwärts, glaube ich, am klügsten wäre es ja wohl, nach Ägypten zu gehen, aber das soll so entsetzlich langweilig sein, und das ist es gewiß auch; nun, in ein paar Monaten, im Mai oder so, kann ich wohl von Abdera nach Atheniuolum kommen. Das Kind N. N. ist bei Dir gewesen; ein gutes Kind und so schrecklich schüchtern, daß ich, wenn mich etwas Menschliches verwunderte, mich mit diesem Zustand beschäftigen würde. Ob er Schauspieler werden kann, mußt Du ja wissen; daß er auf keine ordentliche Weise irgend etwas anderes Nennenswertes werden kann, dafür garantiere ich, das ist sowohl eine Empfehlung wie auch das Gegenteil. Er hat sich mit diesem Gedanken getragen, so lange ich ihn kenne, und wird nie andere bekommen. Hat er Talent, so schilt ihn aus und hilf ihm, sich vernünftig zu benehmen.

Ich glaube, ich will daran denken, mit dem Entwurf zu einem Fragment von einer Novelle zu beginnen. Den Titel habe ich schon. Vielleicht werde ich ein Verzeichnis über die Titel zu literarischen Werken herausgeben, die ich auf Lager habe. Jetzt nichts weiter mehr.

XVI.

17.4.1874, Thisted.

Lieber Freund!

Du versprachst neulich zu schreiben, sobald es besser würde. Ich hoffe, daß Du Dein Versprechen vergessen hast und daß die Krankheit eine günstige Wendung nahm. Dieser Brief ist nur, um Dich zu bitten, mir zu sagen, wie es geht. Und ich habe nichts hinzuzufügen, und selbst wenn ich es hätte, weiß ich, wie gleichgültig alles ist, wenn man auf der Wache nach einer Gesundheit sitzt, die kommen soll.

Dein
J. P. Jacobsen.

XVII.

Verfassungstag 1874, Thisted.

Lieber E. B.! Ich schweige so viel, weil es so hart ist, mitteilen zu müssen, daß man nichts getan hat. Ja, es ist sehr hart, schreiben zu müssen, daß man nichts fertig hat, daß man nicht recht wohl ist. Es ist indessen nicht die Brust, es ist die Verdauung, und die wird besser werden.

Gott weiß, ob es nicht das Richtigste wäre, sich eine feste Anstellung als Lehrer an einer Realschule in der Provinz zu verschaffen, dann hätte man doch wenigstens eine feste Einnahme, brauchte nicht vom Produzieren zu träumen, könnte nach Verlauf einiger Jahre eine Reise nach Kopenhagen machen, das neue Theater sehen, das Tivoli, das Kristiansborger Schloß, die Gemäldesammlung und den Roskilder Dom, fröhlich nach Hause zurückkehren und sich wieder über die Bengel hermachen. Langsam aber stetig arbeite ich an Marie Grubbe, und wenn ich nach Kopenhagen komme (Ende August) muß ich fertig sein, und dann »Dänemarks Pflanzenwelt« in Angriff nehmen, wenn ich einen guten Abschluß mit Hegel dafür machen kann. Dann will ich still und fleißig leben; ich wollte, der Teufel holte das Ganze und ich säße auf einer Insel im Stillen Ozean in einem kühlen Palmenhain und stürbe langsam an Aßmannshäuser und Opium. Amen.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Glaube nicht, daß ich bleich und melancholisch bin, ich bin verhältnismäßig fett, geneigt, mich des Lebens zu freuen, ich bin ausgesprochen braun wie ein Zigeuner … Ich denke an Lewinsky Als Cassius in Julius Cäsar. und sage mit Shakespeare: Wie zum Teufel es auch geht – wenn wir uns wiedersehen, dann woll'n wir lächeln.

XVIII.

7. 8. 1874, Thisted.

Liebster E. B.!

Bald September: und das ist gut, denn ich empfinde eine »saugende« Sehnsucht nach »Menschen, mit denen man reden kann.« Die Zeitschrift kann zum Oktober, wenn sie es wünscht, mich unter ihre eifrigsten Mitarbeiter zählen, und ich will zu den Göttern in der ganzen Mythologie hoffen, daß ich viel fleißiger werden möge als ich gewesen bin und bin. Die ersten Kapitel von Marie Grubbe stehen zu Diensten, und sollen eingesandt werden, sobald Du es wünschest.

Ich las lbsens Kaiser und Galiläer 1. Teil gestern. Was den Dialog anbetrifft, kann man davon nichts anderes sagen, als was man von dem Dialog anderer schlechter dänischer Dramen gesagt hat. Es ist kein Schwung in dem Stück, es ist kalt, die Personen sind ohne Persönlichkeit, es sind lebende Leitartikel über die Anschauungen der verschiedenen Parteien und Standpunkte. Helena ist nichts, Julian ist alles mögliche, ein junger norddeutscher Mann, der seinen Sören Kierkegaard gelesen hat und der bei gegebener Veranlassung einen Anflug von Hamlet, von Manfred und von Antonius in Julius Cäsar bekommt. Es ist das wenigst Ibsensche, was Ibsen bisher gemacht hat. Er kann den Reim und den Rhythmus gar nicht entbehren, er wird viel zu flach in Prosa, und das, was er von anderen gelernt hat, wird keineswegs umgeschmolzen durch ein so schwaches Feuer, wie er es braucht, um seine Prosa umzuschmelzen. In Ibsens Julian ist etwas von dem Tod, der bei Hauch ist. Wahrscheinlich ist diese Beurteilung ungerecht, da die Charaktere wohl erst im zweiten Teil Form und Festigkeit erlangen, aber es bleibt immer ein Fehler, daß Hekebolios und Libanios nicht in jeder Beziehung zu den Hervorragendsten gemacht werden, sie sollten keine Betrüger und keine kriechenden Höflinge sein, das setzt ja Julians ganze Bedeutung herab und macht ihn zu einer eigentümlich kleinen Figur in dem Kleeblatt: Kain, Judas und Julian.

XIX.

30. 8. 1874, Thisted.

Lieber E. B.!

Hiermit das Mädel Marie Grubbe., aber ich möchte am liebsten, wenn es so eingerichtet würde, daß beide Kapitel in ein Heft kämen, von den Gründen weshalb mündlich. Ich komme nämlich zu Ende der Woche. Darum nur einen herzlichen Gruß.

Dein J. P. Jacobsen.

XX.

5 Minuten nach Empfang. Es handelt sich um die Korrektur der ersten Kapitel von Marie Grubbe, die im ersten Heft des XIX. Aarhundrede gedruckt wurden.

Zur Benachrichtigung diene, daß bläulichweiß ja etwas Ähnliches ist wie blauweiß, sage ich aber »blauweißer Himmel«, so macht das den Eindruck von einer festen Wölbung, bläulichweiß soll das Rauchartige, Bepuderte eines nicht ganz blauen Himmels hier zu Lande wiedergeben.

Eine andere Überschrift als Aus Marie Grubbes Kindheit kann ich nicht finden. Interieurs muß stehen bleiben.

Die Rechtschreibung ist wunderlich, es sieht so aus, als wäre sie schwedisch. Die Typen sind auch nicht ergötzlich.

Hab Dank für den Besuch neulich, ich war in der Bibliothek in Marias Dienst, und das bin ich immer, wenn ich um die Zeit nicht zu Hause bin.

 

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