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III
Cosma

Jeremias führte Adrian in seinem Entsetzen nach der verfallenen Wirtsstube. Dort hob er einen schwer beladenen Rucksack, den er beim Hereinkommen zu Boden geworfen hatte, auf den langen staubigen Tisch; aus dem Rucksack zog er ein Zweipfundbrot, ein großes Stück Schinkenspeck, eine riesige Zwiebel und einen Hirschfänger. Dann nahm der sonderbare Geselle auf der Bank Platz, zerlegte die Zwiebel mit einem Faustschlag, säbelte das Brot der Länge und Breite nach durch, zerschnitt den Speck, und indem er Adrian bedeutete, es ebenso zu machen, begann er sich mächtige Bissen zwischen die Zähne zu schieben.

Ohne die Einladung zu beachten, ließ sich Adrian auf eine Bank hinfallen und legte den Kopf auf die verschränkten Arme. Jeremias drang nicht weiter in ihn und verschlang alles allein. Nur einmal unterbrach er seine Tätigkeit, um hinunter in den Keller zu steigen; von dort kam er mit einer Fünfliterkanne Wein zurück, aus der er das Getränk in eine Okka Okka: etwa 1,5 l. aus Ton goß, die ihm als Glas diente.

Nach Verlauf von einer halben Stunde hatten das Brot, der Speck, die Zwiebel und der halbe Wein den Weg durch seine Gurgel genommen. Als Adrian den Kopf hob, rauchte Jeremias seine Pfeife und schmunzelte unter seinem dichten Schnurrbart. Der junge Mann betrachtete ihn, wie man ein unmögliches Scheusal betrachtet.

Diesen Blick beantwortete Jeremias mit einer lebhaften Bewegung seiner weißen Brauen und seiner grauen Mähne, auf der die Mütze wie ein kleiner Heuschober saß. Seine großen schwarzen Augen, klar wie Kinderaugen, waren das einzige, was neben aller Brutalität Liebe verriet. Sie redeten die treuherzigste, lauterste Freundessprache.

Allem übrigen, diesem wilden Bart, diesen derben, schmierigen Kleidern, dem schmutzigen Hemd, dessen Kragen mit einem Fädchen zusammengehalten war, und den Bärentatzen, die wie geschaffen schienen, einen Ochsen zu erschlagen, haftete etwas Barbarisches an. Und als ob Adrian zur Vervollständigung des Bildes noch eines Beweises von Wildheit bedurft hätte, goß Jeremias die Okka voll Wein, leerte sie auf einen Zug, und, ohne sich zu verschnaufen, schlug er seine Kiefer in den Rand des Gefäßes, biß in den Ton, als ob's ein Brot sei, zerkaute das abgebissene Stück und spuckte die zermalmten Scherben auf den Tisch.

Die beiden Männer stierten einander an, der Alte wie behexend, Adrian wie behext.

»Kennst du dieses Gesicht nicht, Bürschchen? Bewahrst du nicht die kleinste Erinnerung mehr an jene längst vergangene Nacht? In einem furchtbar kalten Winter lese ich eines Abends nicht weit von unserem Weiler eine arme Frau mit steifgefrorenen Röcken auf und hebe sie zu mir in den Wagen. Unterwegs eröffnet sie mir ihr Herz und erzählt mir ihren Kummer: sie ist Witwe, und ihr einziges fünfjähriges Kind siecht an einer geheimnisvollen Krankheit dahin; jede Hoffnung, es zu heilen, ist vergeblich … Wir halten an ihrer Hütte, ich ergreife die mageren Händchen des Kerlchens; ich tauche meinen Blick in seine Augen, die an den meinen hängen, und in mir schreit's mit Donnerstimme: ›Ich will, ihr teuflischen Mächte des Lebens! Ich will, daß dieses Kind gesunde! Du wirst gesund werden, Kleiner, du wirst nicht mehr weinen, du wirst schlafen, hörst du? Friede, Gesundheit, Leben werden mit dir sein. Amen!‹ Und der kleine Kerl fiel aus meinen Händen in die Arme des Schlafes, den er nicht mehr kannte. Und er genas und wurde ein großer schöner Bursche, so wie er jetzt vor mir sitzt! Kennst du dieses Gesicht nicht, Junge? …«

»Sie, Jeremias, sind also der geheimnisvolle Mann, der dieses Wunder vollbracht hat?«

Jeremias nickte. Adrian ergriff die eine seiner behaarten Hände und küßte sie. Die Hand roch nach nassem Hund. Draußen war es neblig, und ein feiner Frühjahrsregen ging nieder. Durch die Lücke im Schilfdach, das an einer Stelle eingestürzt war, kamen Nebel und Sprühregen in friedlichem Verein ins Schankzimmer gewirbelt.

Der Wasserkopf stürmte keuchend herein und sah mit verstörter Miene auf die beiden Männer.

»Na ja, nun hast du hier nichts mehr zu tun …« sagte Jeremias zu ihm. »Geh, armer Kerl, geh und bette deinen schweren Kopf auf die Eisenbahnschienen. So wirst du von einem Leben befreit, das allzu schwer für deine Schultern ist, so schwer wie dein Kopf … Geh, und tu, was ich dir sage: es ist zu deinem Besten.«

Der Knabe verschwand, wie er gekommen war.

»Dir aber, Adrian, der du Schultern hast, das Leben zu ertragen, will ich die Geschichte von meinem Vater Cosma erzählen.«

* * *

»Meine früheste Erinnerung reicht bis zum Anfang der Welt zurück, der fernen Welt meiner fernsten Kindheit, um volle siebzig Jahre. Und wenn man sich an Dinge erinnern kann, die man vor siebzig Jahren erlebt hat, so ist eben da der Anfang der Welt.

Ich saß auf einem Baumstumpf und spiegelte mich in einem See wie ein junger Hund, der mit kaum erst sehenden Augen blöde zuschaut, wie ihm die Mücken um den Bart flirren. Um mich herum ein Wald von ragenden Bäumen, die ihre Wipfel bis in die Wolken hißten. Ich konnte sie nur betrachten, wenn ich auf dem Rücken lag. Nicht weit davon donnerte brausend der Strom. Vor mir eine Hütte, wo mächtige Männer mit weiten Hosen an den Schenkeln und Frauen in buntgestreiften Röcken unter lebhaften Reden und Gebärden ein- und ausgingen. Plötzlich ertönen Schreie in der Hütte, und die Frauen mit den schönen Röcken entfliehen. Dann sind da Männer, die miteinander streiten; einer, der Stärkste von allen und der mir Vertrauteste, stürzt in großer Eile herbei; und jetzt gibt es Ruhe. Alle verschwinden, außer dem Starken und einem andern, der mir ebenso bekannt ist. Doch welch sonderbarer Anblick! Der Stärkere springt dem Schwächeren auf den Rücken und läßt sich durch den ganzen Hof spazierentragen, bis beide auf den Boden rollen. Ich begreife nichts davon und spiegle mich weiter im See.

 

Das Bild, das dieser ersten Erinnerung folgt, ist schärfer umrissen. Ich konnte sprechen. Ich nannte den stärkeren der beiden Männer ›Cosma‹, den anderen ›Elias‹. Sie waren mir gleichgültig, außer wenn sie mich auf den Rücken eines Pferdes hoben und spazierenführten. Dann ohrfeigte ich sie vor lauter Vergnügen. Im übrigen lebte ich für mich. Wir waren jetzt am Ufer eines so breiten Wassers, daß man kaum die andere Seite sah. Bäume mit hängenden Zweigen tauchten ihre Blätter in das langsam fließende Wasser. Von Zeit zu Zeit kamen Unbekannte in Kähnen, die mit Ballen schwer beladen waren, und das machte mir viel Kummer: keiner begriff, daß ich Lust verspürte, in eine dieser Nußschalen zu steigen und gleich ihnen auf dem Wasser dahinzugleiten. Aber eines Morgens mache ich mir ihre Achtlosigkeit zunutze, steige in einen leeren Kahn, schneide mit meinem Taschenmesser das Seil, mit dem er an einem Baum befestigt ist, durch, und nun gleite ich dahin, – erst sachte, dann schneller, und schließlich trägt mich die Strömung davon. Ich war so begeistert, daß ich, in Ermangelung eines andern, den ich hätte ohrfeigen können, mir selber auf die Backen schlug. Ein unübersehbarer Wasserspiegel, ein endloses Band zog sich von Horizont zu Horizont. Silbern und golden huschte die Sonne über die plätschernden Wellen. Allein auf dieser Fläche, hatte ich nur einen Wunsch: immer schneller zu fahren. Aber ach, ein Nachen machte sich zu meiner Verfolgung auf, und Elias erwischte mich. Ich wurde vor Cosma geführt, der mir wer weiß was sagte, denn ich hörte ihm nicht zu. Aber alsbald spürte ich, wie seine schweren Hände sich mir von hinten auf die Schultern legten. Ich versuchte mit allen Kräften dem Gewicht, das unaufhörlich zunahm, standzuhalten, dann verbrannte mir Cosmas Atem den Nacken, meine Beine knickten ein, und fast ohnmächtig brach ich zusammen. Ich wußte damals noch nicht, was ein Kuß auf meine Wangen war, aber von diesem Morgen an liebte ich Cosma. Ich lernte ihn noch weit mehr lieben in der Nacht, die auf diesen Morgen folgte; denn nachdem er uns auf Elias' Warnungsruf hin aus dem Schlaf geschreckt hatte, goß er Petroleum in die Hütte und befahl mir, Feuer daran zu legen, was ich sofort tat. Kurz danach, als ich in gestrecktem Galopp in Elias' Armen dahinsauste und den Dreck, den Cosmas Pferd mit seinen Hufen hinter sich schleuderte, ins Gesicht bekam, drehte ich mich um, um die Flammen zu sehen, und sagte mir: das habe ich getan!

 

Still und strahlend leuchtete der Mond am Sommerhimmel, rund wie eine Silberplatte gerade über unsern Häuptern aufgehängt, und beschien die Gesichter von uns dreien und die von hohen Tannen eingerahmte grünende Oase, als plötzlich Cosma sich vor meinen Augen als der offenbarte, der er immer war: der Beschützer und Tyrann. Ich war etwa neun Jahre alt, aber zäh wie eine Wildente. Die freie Luft aller Jahreszeiten, das Wanderleben in allen Gegenden und Zonen hatten mich abgehärtet. Krankheit war mir fremd (und sie ist es mir noch heute). Am Tage nach dieser strahlenden und denkwürdigen Nacht trug sich etwas Bedeutungsvolles zu. Ohne jeden Anlaß und ohne die geringste Begründung hatte Cosma den Befehl gegeben, ein Lager zu räumen, das den Schmugglern sehr behagte, und uns alle mit Waffen und Gepäck an diesen üblen, steilen und verlassenen Ort gebracht, wo der Teufel seinen Vater gehängt haben könnte. Diese eigenmächtige Entscheidung verstimmte alle Männer, und mit Recht: mag sich der Schmuggler auch noch so sehr von allen Winden treiben lassen, das Familienleben klammert sich an ihn wie das Moos an den Baum. Man macht Bekanntschaften, man liebt, man bindet sich. Natürlich, wenn die Gefahr es fordert, gibt man alles auf und rettet sich; deshalb läßt man aber doch überall Fetzen von seinem blutenden Herzen zurück. Nur Cosma band sich an nichts als an die Freiheit. Er allein – obgleich er oft verliebt war bis zur Leidenschaft – ließ nicht ein Haar aus seiner üppigen Mähne zurück. Auch Elias war Herr über sein Herz, doch nur, weil ihn sein Herz nicht allzusehr belästigte: er war der Weise der Bande, er liebte nur die Weisheit, sie ging ihm über alles, selbst über die Freiheit, diesen kostbarsten Besitz des Schmugglers.

Dem Befehl zum Aufbruch, der grad erfolgte, als die Burschen mit ihren Liebchen kosten, gab ein fast allgemeines Murmeln der Empörung Antwort. Cosma hielt seine zwei Pistolen schußbereit und rief mit Donnerstimme:

›Die Weiber haben von hier zu verschwinden, bevor ich dreimal Atem hole! Und wer als letzter seinen Gaul besteigt, der kann gleich seiner Liebsten folgen!‹

Die Weiber verdufteten, indem sie den Abhang der Schlucht hinunterkollerten. Die Männer fügten sich. Und acht lange Stunden ritten wir und machten unterwegs nur einmal halt.

Nun schlief der Trupp … In der Lichtung, die vom sanften Mondschein überflutet war, erwachten wir soeben aus dem ersten Schlaf. Cosma wartete auf einen Boten, der auch alsbald heransprengte.

›Na?‹ fragte der Hauptmann; – ›habe ich recht gehabt, oder bin ich nur ein Hasenfuß?‹

Der Bauer trat näher und küßte ihm die Hand:

›Du hast recht gehabt, Cosma … Schon bei der nächsten Mahlzeit stellte sich der Carc-Serdar Carc-Serdar: Befehlshaber der leichten Kavallerie unter der türkischen Besetzung. mit einer zahlreichen Potera Potera: Söldnerheer zur Verfolgung der Räuber an deiner Lagerstelle ein.‹

Siegesbewußt bohrte Cosma mit dem Zeigefinger in der Nase und befahl Elias:

›Zahle ihm dreißig Dukaten aus, er soll sie unter die verlassenen Liebchen verteilen! Und was die Liebhaber betrifft, so können sie von Glück sagen, daß sie ihre Haut behalten haben; Geliebte lassen überall sich finden! …‹

Elias gab das Geld und schwieg … Er schwieg, doch er bewahrte das bedrückende Schweigen des Klugen, der etwas zu sagen hat. Und wenn Elias etwas dachte und es nicht aussprach, dann wußte Cosma schon im voraus, daß er im Unrecht war. Er, Cosma, anfechtbar! Gerade das konnte Cosma nicht ertragen.

›Elias! Dein Schweigen ärgert mich … Sprich doch … Aber nimm dich in acht: wenn du recht hast, zerschmettere ich dich.‹

›Du kannst mich zerschmettern, Cosma, aber ich hab' deshalb nicht weniger recht.‹

›Dann steh auf und kehr mir deinen Rücken zu! …‹

Elias stand auf. Cosma sprang ihm auf den Rücken, und gebeugt unter der Last der zweihundert Pfund unternahm Elias seinen Trab um die Lichtung. Solange wie man braucht, um eine gute Pfeife zu rauchen, hielt er aus, dann rieselte ihm der Schweiß in hurtigen Tröpfchen von der Nasenspitze auf den nahen Boden. Keiner von beiden sprach ein Wort, indes der Mond ihren Schatten über die Wiese warf. Nun röchelt Elias, schwankt und bricht zusammen. Cosma steigt ab, setzt sich mit gekreuzten Beinen hin, raucht und betrachtet ihn aufmerksam. Aber sobald er bemerkt, daß Elias sich rührt, geht er auf eine Tanne zu und legt sich hin, den Kopf nach unten, die Beine und den halben Körper gegen den Stamm gelehnt.

›Also predige deine Vernunft, Elias.‹

Leichenblaß wischt sich Elias das Gesicht, zündet seine Pfeife an und spricht mit müder Stimme:

›Cosma, Geld heilt nicht die von der Liebe wunden Herzen, es verletzt sie … Deine Großmut gleicht der des Carc-Serdar: wenn dieser eine unserer Jungfrauen schändet, gibt er ihr eine Kette aus Dukaten, und die Jungfer stürzt sich samt Kett' und Schande in den nächsten Brunnen. Deine Großmut, Cosma, ist noch widerwärtiger als die des Carc-Serdar: er ist ein Unterdrücker, ihm gibt sich keine Jungfrau hin; du bist ein Empörer, dir kommt die Keuschheit ganz von selbst entgegen. Womit aber belohnst du sie? Mit Dukaten wie der Carc-Serdar! Cosma, du bist stark, doch du bist im Unrecht.‹

Elias schwieg, und in seinem Schweigen lag Friedensbereitschaft. Der Schrei eines Nachtvogels schwebte im Dunkel über den Tannenwipfeln. Die Lichtung trat in Halbschatten, ein violetter Schimmer legte sich über Cosmas Gesicht, und sein schöner Bart hing ihm zerzaust unterm Kinn, das er fest gegen die Brust gedrückt hielt.

* * *

Ich wußte nicht, daß ich der Sohn Cosmas war. Ich wußte auch nicht, daß Elias sein Bruder war. Aber die Schwatzhaftigkeit tat ihre Wirkung. Zwei Jahre nach jener silbernen Mondnacht in der Lichtung rührte eines Tages der Teufel mit seinem Schweif an unsere schöne Eintracht.

Ich war elf Jahre alt. Cosma zählte meine Lebensjahre, und an jedem Geburtstag veranstaltete er ein Fest. An meinem elften Geburtstag ging es hoch her, auch brachte mir die Feier einen schlimmen Schmerz am Kiefer ein.

An diesem Tage lagerten wir in einem Weidengehölz an der Donau, wie stets zu dreien. Cosma kleidete mich von Kopf zu Fuß neu ein, briet ein Lamm am Spieß und begoß es mit dem guten Rotwein.

›Du wirst heute elf Jahre alt, Jeremias‹ – sagte er zu mir beim Mahle – ›und heute sollst du mir beweisen, daß du würdig bist, mein Pferd zu reiten. Nächstes Jahr werde ich dir deine Pfeife, und in zwei Jahren deine Büchse geben.‹

Nachdem wir der Verdauung obgelegen hatten, hob er mich in den Sattel, schnallte die Steigbügel nach meiner Beinlänge, und im Augenblick, als es losgehen sollte, schob er dem Gaul eine Beißbeere in den Hintern. So angestachelt, flog das Pferd wie ein Pfeil dahin – sicher dachte es an eine Bremse –, während ich daran dachte, mir in dem nächsten Jahre meine Pfeife und meine Büchse zu gewinnen. An den Sattel geklammert, sah ich auf den Erdboden und war überzeugt, daß er unter mir flüssig geworden sei. Cosmas Galopp auf Elias' Pferd hallte in meinem Rücken. Und wie alles einmal müde wird und stillsteht, so stand auch mein Renner still, atemlos, zitternd und ganz mit Schaum bedeckt.

In den Weidenwald zurückgekehrt, reichte mir Cosma die mit Rotwein gefüllte Ploska Ploska: Flasche aus Holz. und sagte:

›Nun trink, ohne Atem zu schöpfen, bis ich zehn gezählt habe.‹

Und ich trank. Und als er bis zehn gezählt hatte, war die Ploska leer und ich voll, und beide rollten wir ins Moos. Auch die Erde schien zu rollen. Dann schlief ich ein.

Beim Erwachen war die Sonne untergegangen. Ein kleines Feuer flackerte zwischen Cosma und Elias und machte ihre bärtigen Gesichter zu starren, dunklen Bronzeköpfen. Ich setzte mich gleich ihnen mit gekreuzten Beinen nieder und sah ins Feuer.

›Du bist ein wackrer Sohn des Waldes, Jeremias. Ich will dich anerkennen.‹

Ich lächelte und sagte:

›Es bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als mich anzuerkennen, Cosma.‹

Cosma zuckte zusammen, er verfinsterte sich und durchbohrte Elias mit dem Blick. Elias ließ sich ruhig durchbohren.

›Sag mir, du Sohn einer Hündin, warum bleibt mir nichts anderes übrig, als dich anzuerkennen? Aber sei auf der Hut: wenn du recht hast, zerschmettre ich dich!‹

›Du kannst mich zerschmettern, Cosma, deshalb ist es nicht weniger wahr, daß vor drei Tagen eine alte Hexe mit geifernden Lippen, die im Walde Reisig auflas, mich geküßt und mir gesagt hat, ich sei dein Sohn, von ihrer Tochter geboren, und Elias sei dein Bruder und mein Onkel.‹

Rot vor Zorn brach Cosma aus:

›Verflucht sei diese nichtige Kreatur! Aber da deine Ohren es nun gehört haben, sollst du gleich deinen ersten Büchsenschuß abfeuern! Doch lehne dich fest an einen Baum und stemme den Kolben mit allen Kräften gegen deine Schulter. Wenn die Büchse dir den Kiefer wegreißt, schmeiß ich dich in die Donau.‹

Vor Freude ohrfeigte ich Cosma, hob die schwere Waffe und schoß zum allerersten Mal. Aber der Kolben schlug mir gegen den Kiefer und warf mich zu Boden. Ich raffte mich sogleich auf und nahm meinen Platz am Feuer wieder ein. Cosma sah mich prüfend an:

›Das macht nichts. Komm und laß dich küssen, nicht aus Zärtlichkeit – das ist Sache der Weiber –, sondern weil du soeben dem Tod entgangen bist: wenn du dich zum Krüppel gemacht hättest, würde ich dich nun ersäufen, denn die Untauglichen übervölkern die Welt und werfen einen unnützen Schatten auf die Erde.‹

Und er küßte mich auf beide Wangen. Elias öffnete seine Arme in ungewohntem Überschwang:

›Komm, laß dich auch von mir küssen, denn wahrlich, Jeremias, er hätte dich ersäuft!‹

Das Feuer verlöschte langsam. Die Nacht breitete sich über die Gesichter. Das Weidengehölz drängte sich um uns, als fürchtete es, von der Donau verschluckt zu werden, die ihre wilden Fluten durch die Finsternis jagte.

Cosma lag auf dem Rücken ausgestreckt, einem Baumstamm gleich, und sprach mit leiser Stimme:

›Bruder und Sohn sind Worte ohne jeden Sinn, wie Vater, Mutter und Schwester. Fragt man sich jemals bei einem Hund: Wer ist sein Sohn oder wer ist sein Vater? Wir kommen zur Welt, Gott weiß wie, das ist alles. Eine einzige Gewißheit gibt es, und die ist bei der Mutter, die das Kind aus ihrem Leibe kommen sieht. Sie allein kann sagen: Das ist mein Kind. Das Kind kann nicht sagen: Das ist meine Mutter. Was weiß es davon? Jede Frau, die ihm die Brust zum Trinken reicht, ist seine Mutter. So haben Elias und ich, wie es heißt, denselben Vater gehabt; besagter Vater hatte drei Frauen, von denen zwei unsere Mütter waren. Und so sind wir Brüder! Aber was wissen wir davon? Als Knaben sahen wir im väterlichen Hause einen Mischmasch von Männchen und Weibchen, der die Dienerschaft in Atem hielt. Ein Dummkopf, der sich als Herr des Harems ausgab, strich alle Butter auf sein Brot, heimste alles Geld ein und wollte alle Frauen des Hauses für sich allein besitzen. Uns befahl er, zu Gott zu beten, und er selber betete zu ihm, der Teufel weiß warum. Eines Tages strich ich um ein kleines Mädchen, das mir in die Augen stach; ich wurde dafür gepeitscht. Dieses Mädchen war meine Schwester, von der und der Mutter geboren, erklärte man mir. Der Vater war immer er, derselbe stupide Bock. Aber was wußte ich davon? Und wozu brauchte ich es zu wissen? Ein andermal nahm Elias eine Handvoll Gold und gab sie einem Mann, dem das Haus abgebrannt war, samt Vieh, Gerätschaften und aller seiner Habe. Er wurde darob blutig geschlagen. Das ganze Haus billigte die Strafe, außer der kleinen glutäugigen Schwester. Nun wurde sie dafür geprügelt, daß sie anderer Meinung war als das ganze Haus. Aber der Tag kam, wo mein Körper über Riesenkräfte verfügte. Da stellten Elias und ich das Haus auf den Kopf, nahmen das Gold, versetzten unserem sogenannten Vater eine Tracht Prügel und entwichen in den freien Wald. Ja, Jeremias, Elias ist mein Bruder, aber nicht, weil wir vom selben Vater stammen, sondern weil wir in denselben Wäldern leben. Und du, du sollst unser Sohn und Bruder sein, weil du dessen würdig bist. Wie wir liebst du die Luft, die uns die Wangen peitscht, das Pferd, das mutig der Rettung entgegenfliegt, die Büchse, die unter dem erschreckten Feind den Tod verbreitet, den edlen Wein, den saftigen Braten, eine treue Pfeife und den Händedruck des freien Mannes. Später wirst du noch eine Freude kennenlernen, die von der Frau kommt und den andern ebenbürtig ist. An diesem Tage wird Aufruhr in deinem Blute sein, und du wirst manches Böse um dich her anrichten. Aber das Gute wie das Böse sind die beiden treibenden Kräfte des Lebens, und das Leben schert sich wenig um das, was wir denken, oder um das, was uns gefällt. Leid und Freud sind ihm nur zwei verschiedene Richtungen desselben blindwehenden Windes. Führe dein Schiff, wie du kannst, lebe und stirb.‹

Ein Pferd schnaubte heftig. Cosma legte das Ohr an den Boden und horchte; dann stützte er sich auf sein Gewehr, stand auf und ging die Umgebung inspizieren. Der Tonboden ächzte unter seinen schweren Tritten. Elias sah ihn gehen, nahm seine Pfeife aus dem Mund, spuckte aus und begann zu erzählen:

 

Es ist einem Zufall zu verdanken, daß du hier bist. Ohne diesen Zufall wärst du ein Sklave der Erde geblieben, dem Zwange unterworfen bis zu dem Tag, wo die Empörung in deinem Herzen ausgebrochen wäre; denn sie wäre ausgebrochen, das ist ganz gewiß: die Wolfsbrut ist nicht dazu geschaffen, das Haus des Herrn zu hüten. Cosma hatte dich gezeugt, ohne sich um die Folgen zu kümmern, wie er es, dem Fluche seines Blutes folgend, immer tut. Aber dieser Fluch ist keine Schwäche, er ist eine Kraft, die sich mit der Kraft des Teufels messen kann, verantwortlich wie diese und bewußt wie sie. Eines Tages lagerten wir auf einer mit Kiefern bestandenen Höhe und waren beide unseres Lebens froh, als plötzlich eine Hirtenflöte ertönte. Wir lauschten ihr entzückt. Die Weise kam näher, wurde deutlich, dann erklang eine Frauenstimme, und diese Stimme machte uns noch froher, als wir waren. »Ist das ein junger Schäfer oder eine Schäferin?« rief Cosma. Und im selben Augenblick raschelte es am Boden. Wir sprangen auf. Vor uns stand ein Bauernmädchen mit einer Holunderflöte in der Hand und musterte uns mit den Blicken. Sie sagte zuerst nichts und sah uns mit ihren großen schwarzen spöttischen Augen forschend an. Ihre vom sengenden Wind rostgebräunten Wangen schienen die Bronze unserer Gesichter widerzuspiegeln. Beine und Füße waren bloß und von der Sonne verbrannt. Mir machte es Freude, sie zu sehen, doch Cosma wurde wild wie ein Stier: sein Kinn arbeitete vor Begierde und sein Bart zitterte. Die junge Schäferin kreuzte die Hände auf dem Rücken, stellte einen Fuß vor, und indem sie Cosma herausfordernd ansah, sagte sie: »Du bist Cosma?« Der Gefragte entgegnete: »Ich bin Cosma für die Freunde, aber ich bin auch Cosma für die Feinde!« »Ach,« tat sie verächtlich, »sei nicht so stolz; die beiden Cosma sind zusammen auch nur einer, der sich leicht überrumpeln läßt, wie du siehst!« Und unter lautem Lachen kehrte sie uns den Rücken und kletterte wie eine Ziege durch die Kiefern. Da sah ich, daß sie einen schwarzen Zopf hatte, wie ein Arm so dick, der ihr bis zum Rocksaum reichte. Am Abend dieses selben Tages ertönte in dem vom Mondlicht übergossenen Kiefernwäldchen eine Doïna Doïna: wehmütiges Volkslied., alt wie die Welt und jung wie eine Frühlingsknospe. Sie tönte fern und kam nicht näher. Cosma ließ Pferd und Büchse im Stich und suchte sich an die Holunderflöte heranzupirschen; die Pferde am Zügel führend, folgte ich ihm. Aber die Flöte schien verzaubert, denn in dem Augenblick, wo man sich näherte, erklang sie anderswo. Da kam der Teufel Cosma zu Hilfe, und der Zauber war gebrochen. Ich verlor Cosmas Spur. Die Flöte erklang nicht mehr. Nun überzog die Nacht den Wald mit ihrer Schwermut. Ich band die Pferde an einen Baum, rauchte meine Pfeife und wartete, bis daß der dunkle Himmel uns aufs neue den Anblick seiner Königin im Silbermantel gönnte. Und als sie uns dann wieder ihre sanfte Blässe durch die Kiefern sandte, klangen zwei Stimmen auf dem weißen Weg, der unterhalb des Fußpfades vorüberführte, wo ich saß und meine Pfeife rauchte. Ich legte mich auf den Bauch und sah hinunter. Cosma hielt die Schäferin umfaßt und streichelte ihr Haar. Und es verlohnte sich der Mühe, zu hören, was Cosma zu ihr sagte: »O meine schöne Tschobanitza Tschobanitza: kleine Hirtin., du Frucht aus Lust erschaffen und gepflückt in Leidenschaft. Ich hasse die Sonne, die dich besitzt, so oft sie will. Ich fluche dem Wind, der ohne Scheu dich liebkost. Und ich beneide das Lämmlein, das du an deinen Busen drückst. O wär' ich die Holunderflöte, die dein Mund tagtäglich küßt. Ich möchte mich allein mit der Potera schlagen, nur um dir zu gefallen.« Berauscht forderte die Liebende: »Laß, Cosma, laß die Potera, meide den Wald und sei mein, nur mein!« Und Cosma rief aus: »Ach, meine arme Tschobanitza! Du forderst vom Eichbaum, er soll unterm Bette grünen! Du forderst vom Gewitter, es soll im Kochtopf wüten! Du forderst von Cosma, er soll nur dir allein gehören. Für dich wäre es zuviel und nicht genug für mich!« Bei diesen Worten Cosmas sah ich, wie die kleine Schäferin ihre Holunderflöte unter ihrem Fuß zerbrach, die Arme ausbreitete, so wie die Taube die Flügel entfaltet, und auf dem weißen Weg, der sich in die Ferne verlor, verschwand. Cosma folgte ihr nicht, er steckte zwei Finger in den Mund und pfiff unser Signal. Ich antwortete, und wir verließen den Schauplatz.

Drei Jahre danach kamen wir durch einen Wald, der ziemlich weit entfernt von dieser Stelle lag. Es regnete. Wir ritten unsere Pferde im Schritt. Da legt plötzlich hoch oberhalb der Straße eine Frau ein Bündel an den Wegrand und verschwindet im Dickicht. Wir galoppieren darauf zu und finden ein in eine Decke eingeschlagenes Kind. Aus dem Taufschein, der ihm um den Hals hing, ging hervor, daß es zwei Jahre alt war und Jeremias hieß. Es weinte nicht, sah nur erstaunt drein. »Das muß ein Eichensproß sein, der im Walde wachsen möchte, ich nehm' mich seiner an.« So sprach Cosma und steckte dich in seinen Quersack. Du wurdest mit dem Saft gebratenen Fleisches aufgezogen. Mit drei Jahren trankst du den Wein aus der Ploska. Mit sechs Jahren konntest du schwimmen. Heute hast du deinen ersten Büchsenschuß abgegeben. Morgen sollst du dein Pferd und deine Pistolen haben und deinem Schicksal entgegengehen.‹

* * *

Um es gleich zu sagen: Mein Schicksal war nicht gnädig. Es war noch kein volles Jahr seit der Nacht der Enthüllungen verflossen, da lieferten wir das erste Gefecht mit der Potera, an das ich mich erinnere. Ich hatte meine Büchse noch nicht, aber ich konnte mit meiner Pistole eine »Katschiula« Katschiula: Bauernmütze aus Lammfell., die an einem Baum aufgehängt war, auf fünfzig Schritt durchlöchern. Und da es mir an Gelegenheit fehlte, eine feindliche Brust zu durchbohren, vergnügte ich mich damit, meine Pistolen in die Katschiulas abzuschießen, in den Mond oder am Ohr meines Renners vorüber. Das war leicht. Schwieriger wurde es, als die Brust des Feindes sich meiner Pistole darbot.

Die Mündung des Sereth war damals der Ort unserer Zusammenkünfte. Ein wenig weiter aufwärts lag das Dickicht dicht und wild, und dort hatten wir eines Tages unter zweiunddreißig Männern eine schöne Beute zu teilen, die zur Hälfte bezahlt, zur Hälfte auf der Donau stibitzt war.

Aber ein Zöllner, der wegen irgendeines Schadens, den Cosma an seiner Fähre angerichtet hatte, uns aufsässig war wie eine Schwiegermutter, schnüffelte unsere Anwesenheit aus und verriet uns der Verwaltungsbehörde von Braila, die schleunigst eine ansehnliche Potera auf uns hetzte. Zum Glück für unsere Leute kam sie zu spät, um uns zu überrumpeln, zu umzingeln und zu vernichten, aber früh genug, um uns die besten Wege zu versperren.

Cosma war dafür bekannt, daß er nicht auf eine oder mehrere feststehende Kriegslisten eingeschworen war; er hatte ihrer hundert. Man wußte auch, daß er von gefährlichen und gut bewaffneten Leuten umgeben war, deren Zahl sich nie gleichblieb. Das genügte, um den Söldnern den Sinn zu verwirren, die Faulenzer waren und trotz ihrer Menge wenig geneigt, ihre Haut zu Markte zu tragen und Männer herauszufordern, die außerhalb des Gesetzes standen und den bestimmten Willen hatten, in Freiheit zu leben oder ihr Leben teuer zu verkaufen. Was die auf Cosmas Kopf ausgesetzte Belohnung betraf, so wußten sie, wie ungewiß dieser Köder war.

Seit der Mittagsmahlzeit fühlte Cosma als erster die Gefahr. Er verließ sich gern auf den Spürsinn der Pferde. Besonders das seine wie auch des Elias Pferd täuschten sich selten. Seit Jahren darauf abgerichtet, witterten diese schönen Tiere die Anwesenheit ihrer feindlichen Stammesgenossen auf weite Entfernung und übermittelten sie Cosma durch ein ungewöhnliches Benehmen.

Es war im August. Die Verteilung der Schmuggelware war beendigt, und wir erwarteten nur noch das Hereinbrechen des Abends, um mit der Fähre über den Sereth zu setzen. In diesem Augenblick hörte Cosmas Pferd zu weiden auf, stellte die Ohren nach dem Wind, schnaubte und schnupperte von Zeit zu Zeit mit den Nüstern lange am Boden, als ob es ein Geräusch hörte. Cosma, der stets und überall sein Pferd im Auge behielt, merkte dessen Unruhe, stand auf, streichelte ihm den Kopf und sprach zu ihm:

›Mein Rotschimmel, mein schöner Rotschimmel, sag mir, ob dem Halse deines Herrn der Strick droht.‹

Und zu den Genossen gewandt rief er:

›Entladet eure Waffen und ladet sie mit frischem Pulver und macht es ebenso mit den Pistolen.‹

Das Lachen verstummte. Die Mienen verfinsterten sich. Man wußte, daß Cosma sprunghaft, aber nie unbesonnen war, und man vertraute ihm blindlings wegen seines Scharfblicks. Er war unser Gott und unser Herr.

Die armseligen Glocken eines nahen Dorfes läuteten zur Vesper; alles war zum Aufbruch bereit, als der Wächter, der auf einem Baume saß, einen einspännigen Karren, von einem Bauern gelenkt, meldete. Cosma befahl Elias und mir, uns hinter Büschen zu verstecken. Der Bauer kam heran und hielt vor dem Trupp:

›Melonen, gute Leute? Ich hab' schöne Melonen‹, rief er und machte verängstigte Augen.

›Das ist schön,‹ erwiderte Cosma, ›aber leider kommst du zu spät, wir sind gerade im Aufbruch.‹

›Und nach welcher Richtung reitet ihr in so großer Zahl, möchte ich euch in aller Bescheidenheit fragen, wenn es erlaubt ist?‹

›Gewiß ist es erlaubt. Wir reiten nach der Richtung, aus der du kommst. Und mit derselben Bescheidenheit möchte nun ich dich fragen: hast du dort, wo die Straße in den Wald biegt, niemand von der Besatzung lagern sehen?‹

›Keine Katz, mein Bester! Nicht einen von diesen verdammten Schurken!‹

›So so‹, nickte Cosma mit überzeugter Miene.

Und sich zu den Unseren wendend, sagte er:

›Hört ihr die gute Nachricht, Freunde? Auf, ehe die Sonne untergeht!‹

Dann zu dem angeblichen Melonenverkäufer:

›Dank, Bruder. Nun noch eine Bitte: auf deinem Weg zur Fähre wirst du einem Mann wie mir begegnen, der zweimal soviel Leute um sich versammelt hat, als du hier siehst. Er heißt Elias. Ihm richte von mir aus, er solle mir mit allen seinen Leuten folgen; und damit er deinen Worten glaubt, zeige ihm dieses Goldstück, das ich zwischen meinen Zähnen zusammenbiege. Und behalte die Münze für dich, zum Andenken an Cosma.‹

›Du bist Cosma?‹ fragte der falsche Bauer und bemühte sich, auf seinem dummen Gesicht ein möglichst dummes Erstaunen zu heucheln. ›Gott sei gepriesen und dein Weg gesegnet!‹

›Dank für den Wunsch, guter Christ.‹

Der Spion der Potera fuhr weiter und glaubte getreulich alles, was Cosma ihm erzählt hatte.

Als der Wagen außer Sehweite war, streckte sich Cosma, das Gesicht zum Himmel gekehrt, am Boden aus und brüllte:

›Oh, du dreckiger Zöllner, du sollst mir deinen Verrat teuer bezahlen!‹

Dann rief er mich:

›Geh, Jeremias, schlage dich durch das Gebüsch, steige auf einen Baum und sieh, was der Fuhrmann macht, wenn er an die Wegbiegung kommt. Wenn der ein richtiger Melonenhändler ist, dann will ich mir den Bart abscheren.‹

Kurz darauf kam ich zurück und meldete:

›Er hat den Wagen stehenlassen, ist aufs Pferd gestiegen und in aller Eile verschwunden.‹

›Ich danke für die Melone!‹ rief Cosma aus.

Und er blieb in Nachdenken versunken. Die Männer sprachen leise miteinander. Elias meinte:

›Es wäre vielleicht klug, uns der Schmuggelware zu entledigen und sie im Gebüsch zu verstecken.‹

›Ja,‹ entgegnete Cosma, ›aber nur im Fall, daß wir quer über den Sumpf müssen, denn ich denke mir die Sache so: zu diesem Ort führen zwei Straßen und ein Pfad. Der Pfad, ob er bewacht ist oder unbewacht, geht uns nichts an, denn auf ihm würde man uns einen nach dem andern wie die Lämmer abschlachten. Die Potera muß also zur Hälfte auf der Straße, die längs dem Sereth läuft, und zur Hälfte auf der, über die der Spion kam, verteilt sein. Die Nachricht, daß wir diesen letzteren Weg nehmen wollen, wird den Befehlshaber bestimmen, die Straße längs dem Fluß von Truppen zu entblößen und sie hier zusammenzuziehen. Aber nun handelt es sich darum, zu wissen, ob er sie alle oder nur zum Teil wegnehmen wird und wieviel Leute zurückbleiben, um die Straße am Sereth zu bewachen. Das muß Jeremias in Erfahrung bringen. He, Jeremias, zeige, daß du würdig bist, in Freiheit zu leben. Ich werde dich als armen Fischerbuben verkleiden, und du wirst barhäuptig, mit bloßen Füßen, den Stock in der Hand, am Fluß entlang laufen. Wenn du in das Wespennest der »Poterasch« Poterasch: Häscher, Söldner, die die Potera bilden. gerätst, mußt du ihnen atemlos erzählen, daß deine Mutter im Sterben liegt und daß du ins Dorf gehst, den Popen zu holen, damit er ihr die Sterbesakramente reicht; aber du mußt es unter Schluchzen sagen, und dabei müssen dir die Tränen die Wangen herunterlaufen, verstanden? Du hast noch nie geweint. Nun denn, so flenne jetzt wie ein altes Weib. Und kehre gleich auf dem nächsten Weg durch das Dickicht zurück.‹

 

Mehr als fünfzig Poterasch, mit Feuerwaffen und Jataganen überladen, lagerten am Rand des Waldes und rauchten, als ich ganz dicht an ihnen vorbeiging und wie ein altes Weib schluchzte. Das Weinen fiel mir leicht, denn ich malte mir aus, Cosma und Elias seien tot, gefangengenommen und gehängt, und ich müßte als Sklave den Boden bearbeiten.

›Heda, Bursche! Wohin gehst du so in Tränen? Hast wohl deine Mutter verloren?‹

›Noch habe ich sie nicht verloren, aber sie liegt im Sterben, und ich gehe, den Dorfpopen zu rufen.‹

›Mögen ihr ihre Sünden vergeben werden! Aber sag, Kleiner, hast du nicht dort, von wo du kommst, bewaffnete Reiter gesehen, die wie Bauern gekleidet waren?‹

›Ja, solche habe ich getroffen.‹

›Viele?‹

›Vielleicht zweimal soviel wie ihr.‹

›Aus welcher Richtung kamen sie?‹

›Von Galatz, über die große Landstraße, die an der Fähre abgeht.‹

›Da haben wir's‹, rief der Anführer der Potera befriedigt aus und wandte sich an seine Leute. ›Unser großer Befehlshaber hat recht gehabt, daß er die Truppen dort zusammengezogen hat! Oh, welche Lust! Sie werden niedergemetzelt werden, die Räuber! Und wir können ruhig hier unser Pfeifchen weiterrauchen.‹

›Möge es euch wohl ergehen, gute Leute‹, sagte ich.

›Auch dir, Kleiner. Willst du nicht eines unsrer Pferde reiten, um schneller vorwärts zu kommen?‹

›Danke, ich habe Angst, herunterzufallen.‹

›Und was treibst du sonst?‹

›Ich gehe mit meinem Vater auf den Fischfang.‹

 

Die Sonne berührte mit ihrer rötlichen Scheibe den Horizont, als unser Trupp einträchtig längs des Sereth ritt, entschlossen, auf die feindliche Schar loszugehen, sie zu zerstreuen und vor dem Eintreffen des Gros der Potera, das vom Gewehrfeuer herbeigerufen würde, zu entfliehen. Im Augenblick des Aufbruchs sagte Cosma zu den Leuten:

›Seit acht Jahren leben wir zusammen in der Freiheit, ohne ein Recht zu haben, uns über unser Schicksal zu beklagen, denn bisher habt ihr die Plackerei der Vorgefechte nur erfahren; heut müssen vielleicht ein paar ihr Leben lassen. Wohlan! vergessen wir es nicht: ein einziges Jahr gelebt in Freiheit ist mehr wert als ein ganzes Leben in Sklaverei. Die Zahl der Jahre macht das Leben nicht, sondern die Stunde, die man ohne Zwang gelebt hat. Für den freien Mann ist alles, was nicht Freiheit ist, der Tod, jedoch ein Tod ohne Ende. Seht unsern kleinen Jeremias an, er wird sich gleich der nämlichen Gefahr entgegenstellen wie wir; und ich allein weiß, wie teuer er mir ist, ist er doch von unserem Blute. Aber das ist gleichgültig! Ihm wie uns allen wünsche ich lieber den Tod als Sklaverei.‹

Der »Vataf« Vataf: Anführer. der Bande – der die Raubzüge unter dem Oberbefehl und nach den Plänen Cosmas leitete – antwortete im Namen seiner Leute:

›Wir denken wie du, Cosma: in Freiheit leben oder sterben.‹

Ein rasender Galopp folgte diesen Worten. Nur eine Mauer hätte eine solche Lawine aufzuhalten vermocht. Da wir alle mit einem Wams aus Büffelleder ausgerüstet waren, um die Brust zu schützen, fürchteten wir mehr die Wunden, die unseren Pferden drohten, als uns selbst. Mein Platz war an der Spitze der Kavalkade, zwischen Cosma und Elias.

Im Handumdrehen fielen wir über die Poterasch her, die nicht recht wußten, um was es ging, und in aller Hast auf ihre Gäule sprangen. Wir stürzten uns im Halbdunkel des Waldes auf sie, und unsere Büchsen spien einen betäubenden Hagel aus, der das Ganze in dichten Rauch einhüllte. Und schon nahmen wir, zwischen den Bäumen verstreut, unseren Weg wieder auf, als eine Ladung, die man uns in den Rücken sandte, mir den Nacken versengte und mich vom Pferde warf.

Das war alles, was ich im ersten Augenblick begriff.

 

Der nächste Augenblick war für mich traurig wie Tod und Knechtschaft.

In meinem Blut am Boden liegend, sah ich, wie unsere Bande sich wieder dem Feinde zukehrte, sich in ein fürchterliches Treffen mit Pistolenschüssen und Jataganhieben einließ und sich der großen Gefahr des Anrückens der Potera aussetzte, einzig und allein, um mir das Leben zu retten. Und es wäre beinahe geglückt. Man drang vor, die Jatagane Cosmas, Elias' und des Vatafs sausten wie Blitze auf die Köpfe der Poterasch, die Rettung nahte, und ich erhob mich auf den Knien und streckte die Arme aus.

Aber in meinen Sternen stand es anders geschrieben. Im selben Augenblick erzitterte die Erde unter dem Ansturm des feindlichen Haufens, der zur Verstärkung anrückte. Die Poterasch bekamen frischen Mut und schossen mit Feuereifer. Da hörte ich, wie Cosma mir durch die Dämmerung zurief:

›Bleib! Ich werd' dich retten!‹

Und die Unseren machten kehrt und verschwanden. Die Sinne vergingen mir.

Ich erwachte mit auf den Rücken gebundenen Handgelenken inmitten einer finsteren Schar Poterasch, in einer Nacht, so finster wie die Seele der Poterasch und wie meine Zukunft. Dann wurden zwei Fackeln angezündet, und beim Licht ihrer rauchenden Flamme sah ich, wie zwei der Unseren, schwer verletzt und ebenso wie ich gefesselt, abgeführt wurden.

Der eine der beiden starb auf dem Transport, der andre wurde gehenkt. Ich neidete ihnen ihr Geschick, denn das meine hieß, als Sklave an den Hof des griechischen Groß-Bojaren, des Archonten Samurakis, ausgeliefert werden.

* * *

Es war eine richtige Feste, von hohen Mauern umgeben und Tag und Nacht von Albanesen, wahren Riesen, bewacht. Auf einem schönen Hügel, der das Serethtal beherrschte, ungefähr gleich weit von Braila wie von Galatz entfernt, schien dieses große, schneeweiße Haus mit seinen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang geöffneten Portalen, seiner Esplanade, seinen zahlreichen massiven Holzbalkonen, den leuchtenden Fenstern und mächtigen Vordächern dazu geschaffen, jedem Eintretenden Obdach und Glück zu bieten.

Und tatsächlich bot es Obdach und Glück, aber nicht jedem. ›Postalions‹, Wagen mit vier und sechs Pferden, hielten alle Tage vor der Ehrenpforte. Bojaren, Großwürdenträger der Regierung oder bloß vom Glück Begünstigte, Rumänen, Griechen oder Türken, stiegen dort, von ihren Frauen begleitet, aus, schüttelten den Staub oder den Schnee von ihren fürstlichen »Chlamys« Chlamys: griechischer Mantel. aus bestickter Seide, umbuckelt von der albanesischen Dienerschaft, die sich zu Boden warf und ihnen den Saum der Kleider küßte.

Gleich nach meiner Ankunft am Hofe wurde ich vor den Archonten geschleppt, die Hände immer noch gefesselt, als ob ich die ganze Welt zu töten vermöchte. Der Archont lag, allein, auf einem Ruhebett ausgestreckt, von wildem Wein beschattet; er befahl, mir die Hände loszubinden, und jagte meine beiden Peiniger zum Teufel, die rückwärts gehend sich mit ungezählten Bücklingen entfernten.

Wir blickten einander scharf in die Augen, er sehr gelassen, ich ganz haßerfüllt. Der Archont war der erste vornehme Mann, den ich zu sehen bekam. Sein schwarzgefärbter Bart mißfiel mir, aber seine hohe Gestalt in dem Mantel mit Fransen war anmutig und geschmeidig. Die mit schönen Ringen geschmückte Hand hielt vornehm-lässig den Bernsteintschibuk. Er fragte mich auf griechisch, und ich gab in dieser Sprache Antwort:

›Wie heißt du?‹

›Jeremias.‹

›Sohn des Cosma?‹

›Sohn des Waldes‹.

Der Archont hob den Arm mit müder Geste:

›Mach dich nicht wichtig, selbst wenn du mutig bist! Ich weiß, du bist bereit, dich lebendig verbrennen zu lassen, aber ich möchte etwas anderes von dir erfahren. Höre also: Da du noch nicht so alt bist, daß ich dich dem Galgen überliefern könnte, denke ich daran, dich zu meinem Kammerdiener zu ernennen.‹

›Was? Ein Diener der Sohn …‹

›,.. des Waldes, ganz richtig. Aber warte, das ist noch nicht alles. Durch deine Vermittlung denke ich auch Cosma hierher zu bringen und ihn zu meinem Vertrauensmann zu machen.‹

Ich brach in ein Gelächter aus.

›Du denkst nichts als Dummheiten, armer Archont!‹

Der Archont sprang so heftig auf, daß der Tschibuk zerbrach und das Lager knarrte. Aber sofort beherrschte er sich wieder und sagte wie zu sich:

›Dieses Kind duzt mich und nennt mich arm.‹

Und indem er sich zu mir wandte, fuhr er fort:

›Wisse, mein kleiner Aar, daß ich den Unverschämten die Zungenspitze abschneiden lasse.‹

Bei diesen Worten klatschte er in die Hände.

Zwei bewaffnete Tölpel tauchten wie aus dem Boden gewachsen auf.

›Führt mir den Ohnezunge vor‹, befahl er.

Sie verschwanden und kamen mit einem grauhaarigen Mann mit irrem Blick zurück. Auf ein Zeichen des Herrn zeigte er mir die gähnende Höhle seines Mundes mit der abgeschnittenen Zunge.

Nachdem sie entlassen waren, sagte der Archont zu mir:

›Hast du es gesehen? Gib acht, daß du vor Zeugen anders mit mir redest. Hier darf nur einer alles sagen, was er will, und das bin ich, der Archont Samurakis!‹

Ohne mich um seine Drohung zu kümmern, antwortete ich ihm:

›Du bist ein Feigling, Archont Samurakis, und du tust gut daran, nicht in den Wald zu gehen: dort würdest du nicht mehr alles sagen, was du möchtest.‹

Der Tyrann lachte leise in seinen Bart:

›Hm! hm! hm! mein kleiner Bär! Auch hier ist ein Wald, ein Wald von Untergebenen, und ich kann das Gesetz diktieren. Dabei setze ich mich keiner Gefahr aus.‹

›Zum Teufel mit deinem Wald von Dienern!‹

›Das sind so starke Männer wie ihr.‹

›Wie wir? Niemals! Das sind Büffel, gut, um den Pflug zu ziehen.‹

›Nicht alle; meine Leibwache besteht aus richtigen Banditen, und ebendieser Wache möchte ich Cosma, den Erzbanditen, zum Hauptmann geben, ihn, der mir die schönsten Kupfersachen, die besten Waffen, die teuersten Teppiche, Seidenstoffe und Kaschmire wegschnappt, um sie den Ungarn zu verkaufen. Und warum sollte er nicht Anführer meiner Bande werden wollen? Er bekäme Gold, prächtige Kleider, schöne Frauen und dürfte nach Belieben sogar Blut vergießen.‹

›Du ekelst mich, Archont! Los, liefere mich deinem Henker aus.‹

›Hüte dich, Jeremias! Treib mich nicht in Zorn!‹

›Ich pfeif' auf deinen Zorn!‹

›Das wird man sehen. Ich laß dir Zeit zur Überlegung.‹

Er klatschte in die Hände. Die beiden Wachthunde erschienen.

›Bringt diesen Burschen zur Arbeit in die Schmiede und führt ihn vor mich, wenn er es verlangt. Für schlimme Streiche, deren er sich schuldig macht, habe nur ich allein die Strafen zu diktieren. Marsch!‹

 

Der Schmiedemeister war ein riesiger Zigeuner, ein ehemaliger Sklave, der durch die Freilassung noch sklavischer geworden war. Die Ärmel aufgekrempelt, mit roten Augen und nackter Brust, die von grauen Haaren bedeckt war, durchbohrte er mich mit dem Blick, preßte mir den Arm zusammen, daß mich die Muskeln schmerzten. Ich zuckte nicht mit der Wimper, doch das Blut stieg mir zu Kopf.

›Das also ist der "kleine Aar" unseres Herrn. Haha! Er scheint zu glauben, er sei noch auf dem Gipfel der Eichen! Man wird ihm ein wenig die Fänge beschneiden müssen! Los, kleiner Bär, nimm diesen großen Hammer und schlag auf dieses rote Eisen hier, aber schlag fest!‹

Ich schlug auf das rote Eisen, das er mit der Zange hielt.

›Oh, viel fester, und beuge dich besser über den Amboß!‹

Die Schmiedegesellen lachten. Ich schlug fester auf das Eisen, das er unablässig drehte, und beugte mich über den Amboß, denn ich wußte, daß es zu arbeiten galt. Aber da zieht der Zigeuner plötzlich sein Eisen zurück, mein Hammer schlägt auf den bloßen Amboß, saust, wie durch eine Sprungfeder zurückgeworfen, in die Luft und verletzt mich gehörig an der Stirn, wo alsbald eine Beule aufschießt. Zynisches Gelächter erhebt sich um mich her. Der Zigeuner grinste:

›So lernt man das Handwerk!‹

›Und so,‹ sagte ich, indem ich ihm seinen Hammer mitten auf die Brust schleuderte, ›so verlernt man das Handwerk!‹

Der Schmied stieß einen tierischen Schrei aus und sank zusammen.

›Lauft schnell und meldet es dem Herrn!‹ heulte er. ›Warte, du Räuber, ich werde dir hundert mit dem Ochsenziemer auf den bloßen Rücken geben!‹

Der Abgesandte kam zurück und sagte feierlich:

›Der Herr befiehlt dem Schmied, Jeremias an den Wagenbauer abzuschieben.‹

›Das ist alles, was er gesagt hat?‹ tobte der Zigeuner.

›Das ist alles!‹

›Kreuzhimmeldonnersackerment!‹ wetterte der Schmied. ›Was hat denn dieser Hund von einem Räuber im Hintern, um sich bei unserm Herrn so schnell beliebt zu machen!‹

So kam ich zum Wagenbauer. Aber auch dort setzte ich kein Moos an. Da seine Werkstatt dicht bei der Schmiede lag, versuchte der Zigeuner unverzüglich sich zu rächen. Und er spielte mir einen gar üblen Streich. Als ich dem Wagenbauer half, einen Eisenreifen an die Radnabe zu befestigen, brachte es der Schmied, sicher im Einverständnis mit dem Wagner, fertig, in aller Geschwindigkeit den kalten Reifen mit einem andern, bis zur Glut erhitzten, zu vertauschen, so daß mir, als ich ihn in die Hand nahm, das Fleisch am Reifen kleben blieb. Nun stürzte ich mich, rasend vor Schmerz, auf den Zigeuner und schmiß ihm den Amboß auf die Beine, wobei ich ihm den einen Fuß zerquetschte.

Man gab mir dafür "dreißig mit dem Ochsenziemer auf den bekleideten Rücken, ohne die Haut zum Platzen zu bringen", wie der Befehl des Archonten lautete. Schließlich wurde ich zur Pferdepflege versetzt, wo ich mich nicht übel befand und blieb.

* * *

Zwei Jahre verstrichen, zwei lange Jahre, während derer ich jeden Morgen beim Erwachen aufs neue starb. Ich dachte an die Worte Cosmas: ›Ein Tod ohne Ende.‹ So war es. Selbst das Glück, mich in Gesellschaft von Pferden zu befinden, brachte mir keine Freude, denn es waren Tiere ohne Temperament, mit Hafer gemästet und von Fett beschwert, die im Stehen schliefen und fast stumpfsinnig waren. Ihr Anblick ließ deutlich erkennen, daß ein faules, üppiges Leben für den Geist verhängnisvoller ist als Knechtschaft. Tatsächlich schliefen auch die Albanesen der Wache im Stehen wie die Pferde, herausgeputzt in ihren Iliks mit weiten geschlitzten Ärmeln, den an den Knöcheln zugebundenen Chalvars, den Pantoffeln mit Pompons, dem kleinen weißen Fess, der ihnen lächerlich auf den einem Ohre saß. Dieser Fastnachtstand, verbrämt mit Stickerei, mit aufgenähten Borten, goldenen Tressen und gespickt mit Pistolen und Jataganen, war dazu angetan, schwangere Frauen zu erschrecken. Diese plumpen Riesen, die durch das gute Leben und den Schlaf verblödet waren, besuchten mich zuweilen bei der Arbeit und stellten mir immer dieselbe dumme Frage:

›Befindest du dich hier nicht wohler als in deinem gefahrvollen Leben als gehetztes Wild?‹

Ich antwortete ihnen:

›Der Hofhund kann das Leben des Wolfes nicht begreifen.‹

Die Sklaven, meine Leidensgenossen, waren weder neugierig noch frech; sie verbrachten ihre Tage zwischen Arbeit und Gebet und hofften auf ein besseres Los im Himmel. Ich bedauerte und verachtete sie in meinem Innern.

Inzwischen hatte der Archont mich dreimal oder viermal rufen lassen, um mir zu sagen, daß er mich nicht vergessen habe, und immer noch auf meine Zusage, sein Kammerdiener zu werden, warte. Ich antwortete ihm, ich zöge die Sklaverei der Schande vor. Bei der letzten Unterhaltung indessen forderte er mich trotz meiner Weigerung auf, mir eine Gnade von ihm zu erbitten. Ich erklärte mich dazu bereit:

›Aber ohne jede Bedingung‹, sagte ich.

›Ohne jede. Was möchtest du gern?‹

›Die Erlaubnis, abends, wenn die Lichter gelöscht sind, allein im Park des Herrn spazierenzugehen.‹

›Du willst entwischen?‹

›Nein, ich gebe dir mein Wort. Aber ich ersticke seit zwei Jahren in dem Arbeitshof, wo ich mit den Hühnern schlafen gehen muß, nicht einen Baum zu sehen bekomme und den Mond nicht mehr, das Brausen des Windes in den Blättern nicht mehr höre. Ich werde sicher daran sterben.‹

›Es steht dir frei, es von morgen an zu tun. Außerdem sollst du eine »Coliba« Coliba: Hütte. für dich allein zum Schlafen haben und dir dein Essen aus der Wächterküche holen.‹

›Sehr schön‹, sagte ich.

›Ist das alles, womit du mir zu danken weißt?‹

›Und was sollte ich sonst tun?‹

›Mir die Hand, womöglich den Saum des Kleides küssen.‹

›So etwas habe ich noch nie getan.‹

Der Archont lachte, gab mir einen Klaps und entließ mich.

Zuerst schwellte mir die Erleichterung meiner Knechtschaft die Brust in einer Aufwallung von Glück, aber es war nur von kurzer Dauer. Diese zahllosen Lauben von wildem Wein und Hopfen, diese Rosen- und Fliederhaine, diese mächtigen Pappeln, breit wie Eichen oder kerzengerade wie Tannen, waren auch nichts andres als verwöhnte Kreaturen des Herrn, wie die Pferde und die Albanesen. Und rings um dieses Stück geknechteter Natur zog sich unüberschreitbar die entsetzliche, fünf Meter hohe und massive Mauer, wie um den Freiheitsdürstigen roh herauszufordern. Kein einziger Vogel außer Sperlingen und Raben. Der Wind – dieser unbändige Wanderer, der zu den freien Menschen in allen Zungen der Erde spricht – geruhte nicht, in dieses Unglücksgrab hinabzusteigen; er unterhielt sich einzig mit den Wipfeln der Pappeln, und auch das nur, um sie zu bedauern. Selbst der Mond verdüsterte sich am Himmel und ergoß sein fahles Licht wie eine Totenblässe über diesen Ort des falschen Glücks. Und indes die Wächter stumpfen Schrittes ihre Runde machten und die Klagemelodie der Geigen wie Seufzer aus lustgeschwellten Leibern vom Schlemmermahl der Herren herübertönte, ging ich zwischen den kahlen Stämmen der Bäume hin und her, und meine Gedanken weilten auf der anderen Seite der Mauer, bei Cosma, bei Elias und in Erinnerungen, die ungestüme Sehnsucht weckten.

 

Ich ging in mein fünfzehntes Jahr. An einem trüben Septembertag herrschte lebhafte Bewegung am Hofe, das Geschmeiß wimmelte umher: der Archont ging für einen Monat auf Reisen. Ich wurde zu ihm gerufen. Er stieg gerade in seinen geschlossenen Wagen, und indem er seine Handschuhe anzog, flüsterte er mir zu:

›Versuche nicht, mir durchzubrennen; es ist nicht möglich: ich habe Befehl gegeben, dich zu töten.‹

›Ich weiß‹, sagte ich.

Und die vier Pferde zogen an.

Alsbald ließ die Dienerschaft Gott einen guten Mann sein und blähte sich in ihrem Staat getreu dem Sprichwort: ›Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch herum.‹ Sie tanzten, fraßen, soffen. Wohl gab es eine Katze, die zurückblieb, das Haus zu hüten, – ein betagter Bruder des Archonten –, doch der war nur noch eine Vogelscheuche, ein abgelebter Kater, der vom Herumstreichen auf fremden Dächern steif und kahl geworden war.

Während dieser Abwesenheit des Herrn gab mir Cosma das erste Lebenszeichen. Eines Nachmittags hielt ein Nougatverkäufer, ein weißbärtiger alter Türke, vor dem großen Tor und bot den Albanesen seine Ware feil, die sich drauf stürzten. Es war Feiertag. Die Sklaven ruhten. Ich war gerade in der Nähe des Bretterzaunes, der den Arbeitshof vom Herrenhof trennte. Die gellenden Rufe: ›Alvitz! Alvitz!‹ Alvitz: Zuckerzeug. die der Alte erschallen ließ, machten mein Herz schneller schlagen. Ich kletterte auf den Zaun und guckte hinüber. Ja, ich täuschte mich nicht, es war tatsächlich der alte Ibrahim, der Krebsfischer und unser Vertrauensmann. Er sah mich und führte eine Hand an seine Lippen zum Zeichen seiner ehrlichen Ergebenheit. Dann bahnte er sich mit unglaublicher Kühnheit einen Weg durch die beiden Reihen der Wächter, die sich die Finger schleckten.

›Na,‹ rief er auf türkisch, ›warum sollte ich diesem Burschen da nicht auch ein Stückchen Alvitz bringen! Das Wasser muß ihm ja im Mund zusammenlaufen, wenn er euch essen sieht.‹

Und vor den Augen der ob solcher Dreistigkeit verdutzten Albanesen durchquerte er den Park mit Jünglingsschritten, reichte mir den Nougat und sagte laut:

›Hier, mein Guter, iß … Ich weiß, daß du kein Geld zum bezahlen hast, aber ich sage dir, daß du bestimmt im nächsten Frühjahr welches haben wirst!

›Was weißt denn du, ob er im nächsten Frühjahr welches haben wird?‹ sagte in drohendem Ton der Anführer der Wache zu ihm, als er wieder zurück ans Tor kam.

›Ach,‹ erwiderte Ibrahim unbefangen, ›warum soll man einem Kind nicht eine Freude machen, wenn's nichts kostet! Die Sklaven haben auch ein Recht auf Hoffnung.‹

Damit hob er sein Brett mit dem Nougat auf den Kopf und rief im Weggehen:

›Alvitz und Hoffnung für die bitteren Zungen!‹

Ich flüchtete in meine Hütte, ganz verwirrt von Ibrahims Worten: › Im nächsten Frühjahr!‹ Zauberworte! Tag und Nacht flackerten sie mir vor den Augen, wie ein Irrlicht, das Befreiung verheißt. Jedoch wie sollte ich befreit werden? Zwölf Albanesen, die sich alle sechs Stunden ablösten, standen Wache. Weitere sechzig ruhten, unterhielten sich, oder schnarchten in zwei Schlafsälen und warteten nur auf das Alarmsignal, um mit den Waffen in der Hand geschlossen vorzugehen. Wie sollte Cosma wagen, ein solches Heer mit seinen dreißig Leuten anzugreifen?

Nach Ablauf eines Monats gelangte die Nachricht an den Hof, daß der Archont, der sich in Stambul aufhielt, erst nach einem weiteren Monat zurückkehre, und nach Ablauf dieses zweiten Monats erschien er mit Mords-Trara.

Dieses Trara erfolgte deshalb, weil er nicht allein heimkam, sondern in Begleitung einer Frau.

Zwischen den beiden Reihen aller Söldner, die von dem befestigten Tor bis zum ›Pridvor‹ Pridvor: Gang, gedeckter Balkon. Spalier bildeten, schritten der Archont und seine Geliebte mit Herrscherlächeln durch den aufgeweichten düsteren Park, während siebzig Pistolen, die abwechselnd in Zehnersalven schossen, ihr unschuldiges Feuer gegen den düsteren Oktoberhimmel spien. Hinter dem Bretterzaun lagen wir Lasttiere auf der Lauer, das Auge an die Ritzen zwischen den Planken gelegt, aber es gab keine Möglichkeit, etwas zu erspähen.

Am nächsten Tag ging es von Mund zu Mund, die Geliebte unsres Herrn sei schön wie eine der dreihundert Kadanas, die den Harem des Sultans bewohnen. Dann folgten drei Tage unbedingter Stille. Am vierten, einem kalten und sonnigen Novembertag, erging Befehl, wir sollten uns sauber waschen, Festkleider anlegen und uns alle, groß und klein, im Ehrenhof versammeln. Um Mittag waren wir zur Stelle. Rings um mich Stille und Angst. Außerhalb unsres Haufens die albanesische Wache.

Ein Kawasse öffnet die beiden Torflügel. Der Archont erscheint glückstrahlend, seine Geliebte am Arm, und beide treten ans Geländer des Pridvor, der den Hof beherrschte. Er trägt eine himmelblaue Chlamys, die an den Ärmeln und am Saum mit einem Mäander aus Goldfaden bestickt ist. Sie einen Mantel aus Hermelin und über der Stirn ein Diadem aus Diamanten. Die Haare sind wie Ebenholz, desgleichen die Brauen, die Wimpern und die großen Augen. Die Haut ist matt und braun.

Der Archont redet zu uns in einem sehr schlechten Rumänisch:

›Die schöne Fürstin, die ihr an meinem Arm seht, ist meine Braut, in vierzehn Tagen mein Gemahl, und von heute ab eure Herrin. Ihre Herrlichkeit ist aus eurer Heimat, sie heißt »Floritschika«. Floritschika: kleine Blume. An der Seite Ihrer Herrlichkeit werde ich meine Nation vergessen, um die ihre zu lieben. Ich werde Rumäne. Geht, feiert drei Tage, esset gut und trinket auf ihr Wohl!‹

Ein ohrenbetäubendes rohes Gebrüll erfüllte die Luft mit dröhnenden Rufen: ›Es lebe Ihre Herrlichkeit! Glück sei mit Euch! Gott schenke Euch Gesundheit!‹

Manche warfen sich mit dem Gesicht zur Erde und küßten den Boden vor der Esplanade. Andere weinten vor Glück, die Ärmsten. Und der Haufe drängte zu den mit einer besseren Speise gefüllten Trögen, und neben jedem stand ein Viertel Fusel und eine Kanne üblen Weins. Nur die Erholung taugte etwas, doch kam sie dem Archonten mehr zustatten als seinen Sklaven; denn diese hatten drei Tage lang nichts anderes zu tun, als von der Güte ihres Herrn zu sprechen und für ihn zu beten.

* * *

Am Tag nach diesem Gnadenbeweis des Herrn kam der Kawasse ziemlich spät am Abend, um mir zu sagen, sein Herr befehle mich zu sich.

In einem kleinen niederen Zimmer, dessen Fußboden und Wände ganz mit rumänischen Teppichen bedeckt waren, lagen der Archont und Floritschika auf zwei großen Bärenfellen ausgestreckt, den Kopf auf Polstern aus rotem Seidensamt, und hielten Verdauungsruhe. Vier Wachskerzen brannten diskret in einem Silberleuchter und mischten ihren Honigduft mit dem von türkischem Kaffee und orientalischem Tabak. Eine einfache »Soba« Soba: Ofen. erwärmte den Raum von außen. Ein Durcheinander von Kissen und Schemeln.

Ich wurde ohne allen Zwang empfangen. Das glückliche Paar hatte gerade seine Nargileh geraucht und begrüßte mich bei meinem Eintritt beinah wie aus einem Munde:

›Guten Abend, Jeremias.‹

Floritschika sprach ein ausgezeichnetes Griechisch.

Ich war von ihrer Schönheit geblendet. Eine Distelblüte in voller Entfaltung. Anmutig eingehüllt in ihren Schlafrock aus orangefarbenem Kaschmir, der das Gelenk einer Gazelle sehen ließ, war ihr Körper ganz Hingabe und Würde zugleich. Ihr schmales Gesicht verriet keine Spur von Schminke, ihr nach hinten gestrichenes Haar keinerlei Kunstgriff. Erst sah sie mich mit drolliger, beinah gerührter Miene an. Dann fraß sie mich fast mit den großen Augen.

›Jeremias,‹ sagte der Archont, ›du hast Glück: meine Braut interessiert sich für deine Geschichte. Sie möchte wissen, ob du deine Mutter kennst. Antworte ihr und sei höflich.‹

›Ich bin der Sohn des Waldes … Ich kenne weder Mutter noch Vater … Cosma hat mich auferzogen.‹

Floritschika machte eine verzweifelte Schluckbewegung. Mit zitternder, aber sanfter und melodischer Stimme fragte sie mich:

›Weißt du, wer dich Cosma übergeben hat, Jeremias?‹

›Ich weiß es nicht. Er hat mich im Wald gefunden, als ich zwei Jahre alt war, hat mich in seinen Sack gesteckt und mich mit Fleischsaft großgefüttert.‹

Auf diese meine Antwort ereignete sich etwas Sonderbares. Floritschika warf sich mit einer einzigen Bewegung ihres verführerischen Körpers auf den Bauch, vergrub ihr Gesicht in das Polster und schluchzte. Der Archont war ergriffen und peinlich berührt von diesem Auftritt.

›Was ist denn, Liebste? Warum weinst du?‹

Und zu mir gewandt:

›Du kannst gehen.‹

Zwei Tage danach wurde ich wieder gerufen, zur selben Stunde, in das gleiche Zimmer.

Floritschika war ein wenig bleich und lächelte mir freundlich zu. Der Archont ging vergnügt auf und ab, die Hände in den Taschen eines weiten Rockes.

›Also, Jeremias,‹ sprach er zu mir, ›meine Braut will dich zu ihrem persönlichen Diener machen, der ihr allein zur Verfügung stehen soll.‹

›Ja, Jeremias,‹ sagte sie liebenswürdig, aber ernst, ›willst du mir dienen?‹

›Madame,‹ sagte ich gereizt, ›ich habe dem Archonten schon längst erwidert, daß ich lieber sterben möchte, als der Diener irgendeines Menschen sein.‹

›Aber du sollst mit allen Rücksichten behandelt werden, die man einem Kind … des Waldes schuldet‹, sprach sie mit Milde.

›Ich huste auf eure Rücksichten, und wenn ihr alles wissen wollt, so wisset denn, daß ich euch hasse. Ihr seid meine Feinde.‹

Der Archont wollte etwas entgegnen, aber sie hinderte ihn daran und fragte mich:

›Ich auch, bin ich auch deine Feindin, Jeremias?‹

›Ja, du auch. Du bist die Frau von denen, die die freien Menschen töten wollen. Mit welchem Recht hält man mich hier seit zwei Jahren eingesperrt, wenn ich doch anderswo mit Cosma leben möchte?‹

Sie senkte den Kopf und stützte das Antlitz auf die Hand. Der Archont rief lebhaft aus:

›Ich will niemanden töten, aber Cosma und seine Bande sind Räuber!‹

›Du nennst die Menschen Räuber, die sich weigern, deine Diener zu sein? Oder du glaubst vielleicht, daß die Erde nur dazu geschaffen ist, um dir allein Vergnügen zu machen!‹

Er wandte sich an seine Geliebte.

›Ich habe dir gleich gesagt, Teuerste, daß mit diesem Starrkopf nichts anzufangen ist!‹

Ich wurde verabschiedet. Und dies war der letzte Versuch des Archonten, aus mir einen Diener zu machen.

 

Ein strenger Winter … Alles lag in Erstarrung … Die Bäume und die Lauben bogen sich unter der Last des Rauhfrostes und des Schnees. Der Hof war in Trübsinn getaucht, aber dieser Trübsinn rührte nicht nur von der Strenge der Jahreszeit her. Die treuen Diener des Archonten erzählten uns, sein häusliches Leben sei eine Hölle geworden, Floritschika quäle unsern Herrn langsam zu Tode, und kein Tag vergehe, ohne daß es heftigen Streit setze. Das erklärte auch, warum alle Feste ausfielen und die Vermählung und die Hochzeitsfeier, die jedermann längst erwartete, auf den Nimmermehrstag verschoben wurden.

Eines Abends saß ich in meiner Coliba, an der der Sturm entsetzlich rüttelte, und blickte mit einem Gefühl wollüstiger Verzweiflung in das Reisigfeuer. Ich dachte zu jener Zeit schon wie ein reifer Mann über alles nach und beurteilte das Leben mit einer Klarheit, die durch meine späteren Erfahrungen nicht übertroffen werden konnte.

So betrachtete ich, den Blick auf die zuckenden Flammen gerichtet, meine Lage mit kühlem Verstand. Ich sah mich dank einem gelegentlichen Vergnügen Cosmas zur Welt gekommen, als Folge eines Vergnügens unter tausend. Und ich haßte Cosma. Ich sah mich zwischen diesen Rohlingen schmachten, weil es Cosmas Wunsch gewesen war, die Potera anzugreifen, während es viel klüger gewesen wäre, dem Rate des Elias zu folgen, der vorgeschlagen hatte, die Schmuggelware im Stich zu lassen und über die Sümpfe zu entfliehen. Und das ließ mich Cosma verwünschen. Aber mich quälte ein noch viel widerlicheres Gefühl: der Verdacht, daß Cosma nicht genug unter meiner Gefangenhaltung litt, daß er sein freies, lustiges Leben weiterführte, sich wenig um das Schicksal anderer kümmerte, sich alles aneignete, worauf er Lust hatte, und sein Dasein so gering veranschlagte wie das der andern, die er rings um sich herum vernichtete. Und so zürnte ich Cosma wie einem Feind.

Ein bitterer Geschmack stieg mir in die Kehle. Das Leben hatte keinen Sinn mehr. Gefängnis oder freier Wald, Leid oder Freud erschienen mir gleich sinnlos.

Das Reisigfeuer erlosch langsam, wie mein Wunsch zu leben. In diesem Augenblick öffnete sich die Türe meiner Coliba. Floritschika erschien.

 

Sie war in eine lange Fuchspelzchuba gehüllt, mit hochgestelltem Kragen, und aus dem Schal, der ihren Kopf bedeckte, schaute ihr Gesicht wie ein südländisches Madonnenbild hervor. Ihre hohlen Augen und das Leid, das aus ihren Zügen sprach, ergriffen mich.

Nachdem sie den Schnee abgeschüttelt hatte, ließ sie sich auf dem Rand meines jämmerlichen Lagers nieder … Ich bot ihr eifrigst meinen Schemel an … Sie schwieg, als ob ich nichts gesagt hätte, und blickte mich an … Ich blickte sie an … Lange blickten wir einander an … Dann kehrte ich ihr den Rücken zu und achtete ihrer nicht mehr: ich vergaß sie. Was bedeutet einem denn auch eine schöne südländische Madonna in einer Fuchspelzchuba, wenn man fünfzehn Jahre alt ist und im Gefängnis schmachtet!

Plötzlich griffen zwei Hände, die zarter waren als der zarteste Samt, nach meinen Wangen. Floritschika klagte mit Worten, die ihr Gott eingab, mit einer Stimme, die vom Himmel kam:

›Kind des Waldes! … Kind der Liebe! … Du bist die Frucht eines flüchtigen Traumes. Du bist schön, du bist klug, du bist stolz und du ziehst den Tod der Knechtschaft vor … Du schmachtest in einer Hütte von hohen Mauern rings umgeben, wo du auf den Palast ein Anrecht hast, den frei die Eichen auf den Bergen bauen … Deine Augen starren in ein armseliges Reisigfeuer, wo sie den Brand der Wälder schauen sollten … Und aus den Höhen, wo die Adler horsten, bist du in einen Stall herabgestürzt … Aber vielleicht müssen wirklich die Kinder oft die Sünden ihrer Eltern büßen.‹

›Wer bist du Hexe, die du glaubst, die Kinder müßten die Sünden ihrer Eltern büßen?‹

›Ich bin eine, die das vollkommene Glück gesucht hat, die träumen wollte, die offenen Augen der Sonne zugekehrt, und sich dabei die Augen verbrannt hat!‹

Ein duftender Atem streifte mein Gesicht, fiebrige Lippen küßten meine Stirn, und Floritschika verschwand, wie sie gekommen war.

Mein Feuer erlosch … Die Coliba wurde finster.

* * *

Mit schönen Tagen ging der März zu Ende … Es war verlockend, sich auszustrecken, zu gähnen und dem Gesang der Lerchen zu lauschen. Jedoch am Hofe des Archonten Samurakis gab es keine Lerchen. Angefangen von den kleinen Tierchen, die auf der Erde herumwimmelten, den Leibeigenen, den Pferden und den Albanesen, die bald im Chor, bald einzeln furzten, bis zu dem Archonten selbst und seiner Floritschika fühlte jeder das Bedürfnis, aus dieser Höhle herauszukommen und sich zu tummeln. Der Archont tummelte sich allerdings nicht viel; er lag zur Mittagsruhe verdauend an der Luft auf einem Diwan, der im Pridvor stand, und öfters entrang sich ihm ein mächtiger Rülpser, wie einem Schwein, das zuviel Mais gefressen hat. Seine halbgeschlossenen Augen waren auf das weitoffene große Hoftor gerichtet, das von bewehrten Riesen bewacht war. Floritschika stickte Taschentücher, und ich saß neben ihr und erzählte von den Bergen, der Ebene, dem Wald, von all den Dingen, die das Leben lebenswert erscheinen lassen; denn in der Kälte meiner Coliba war ich zur Erkenntnis gekommen, daß es gescheiter sei, einem Archontenliebchen Gesellschaft zu leisten und in einem Palast zu schlafen. Ja, ich hatte nachgegeben: man gibt doch schließlich beinahe immer nach, wenn einem lang genug das Fell gekrault wird.

Doch ich war kein Diener und bediente niemand. Ich spielte den kleinen Archonten, zur größten Wut der Albanesen und zum höchsten Staunen der Leibeigenen.

Der Archont hörte meinem Geplauder mit Vergnügen zu und ließ mich gewähren.

›Sage mir, Jeremias, fürchtet sich Cosma denn nicht vor meiner Potera?‹

›Er spuckt auf deine Potera.‹

›Aber eines Tages wird er trotzdem ergriffen werden, und dann wird Cosma der Schreckliche zwischen dem Strick und meinem Dienst zu wählen haben.‹

›Er wird dir niemals dienen; er wird bestimmt dem Strick den Vorzug geben.‹

›So ein verdammter Kerl! Und warum, ist es so schwierig, einem Herrn wie mir zu dienen? Ich würde ihn wie einen freien Mann behandeln, nur um ihn an meinem Hof zu haben.‹

›Archont, die freien Männer haben keine Herren, und die Herren können keine freien Männer an ihrem Hofe brauchen. Das hieße eine Melone in eine Flasche zwängen wollen.‹

›Wohlan, dann werde ich ihn also hängen!‹

›Wenn du ihn hast …‹

 

Die Sonnenwärme brachte die feuchte Erde zum Dampfen. Im Rahmen des Tors erschienen zwei Männer. Es waren zwei von jenen Bettelmönchen aus Jerusalem oder vom Berge Athos, wie sie noch heute zahlreich durch das Land ziehen und für ihre Klöster sammeln. Sie waren so groß und kräftig wie die Albanesen, hatten lange rote Bärte und Haare, bronzefarbene Gesichter, zerlumpte kastanienbraune Kutten und dreckige Schuhe. Sie trugen Säcke auf dem Rücken. Der eine von ihnen hielt unterm Arm den versiegelten und mit einem Hängeschloß versehenen eisernen Kasten, in den man das Geld wirft, der andere, größere, das Buch, in das man die Gaben und die Namen der hochherzigen Spender einträgt. Als dieser den Archonten auf dem Pridvor entdeckte, rief er ihn mit mächtiger Stimme auf Griechisch an; und sobald er sprach, erblaßte Floritschika. Ich erkannte in ihnen Cosma und Elias.

›Glücklich sei der Archont Samurakis, der weithin wegen seiner Großmut bekannt ist! Glücklich sei seine edle Gemahlin, die tugendsamste aller Frauen im rumänischen Land! Als gehorsame Diener Gottes – die wir unser ganzes Leben mit Fasten und Beten zum Ruhm des Herrn und für die Ruhe der Seelen verbringen – bitten wir den großen Archonten, uns gnädig zu gestatten, den Saum seines Gewandes zu küssen, denn wir wissen, daß noch nie ein Mensch in Nöten seine Güte anrief, ohne mit Gnaden überhäuft von hinnen zu ziehen!‹

Die Wache, die an solche Mönchsbesuche gewohnt war, blieb gleichgültig und bewunderte nur die herkulische Gestalt des Redners. Der Archont erhob sich und lächelte geschmeichelt.

›Seid willkommen, ehrwürdige Kalugeris Kalugeris: Mönche.! Und tretet näher.‹

Mit einer Scheinheiligkeit, deren ich sie nicht für fähig gehalten hätte, warfen sich Cosma und Elias dem Archonten zu Füßen. Ich betrachtete sie aus der Nähe: sie waren nicht zu erkennen. Cosma blinzelte mir vielsagend zu, und indem er ein Lächeln unter seinem Schnurrbart versteckte, sagte er:

›Ich bitte Euren hochverehrten Sohn demütig um

* * *

Verzeihung, daß ich vergessen habe, ihm Gutes zu wünschen: auch er sei glücklich, und der Herr verleihe ihm die Weisheit des Vaters, ein langes Leben und Erben, die durch Jahrhunderte den Namen Samurakis weiterpflanzen!‹

›Dank euch, ihr Wackeren, für eure guten Wünsche! Seid für drei Tage meine werten Gäste, ihr sollt mit Ehrerbietung aufgenommen und bewirtet werden. Für welches Kloster sammelt ihr?‹

›Für das Kloster Sankt-Gerasim auf dem Berge Athos‹, antwortete Cosma und verschlang Floritschika fast mit den Augen, die ihren Blick wie von der Sonne geblendet abwandte.

›Das ist wunderlich,‹ lachte der Archont laut heraus, ›Mönche wie euch habe ich noch nie gesehen: man sollte nicht glauben, daß ihr euer Leben mit Fasten und Beten verbringt, sondern daß ihr ganze Ochsen verschlingt und Ströme von Wein sauft!‹

›Der Heilige Geist, dessen Träger wir sind, ist unsre beste Kost, Archont!‹

›Ein wahres Wunder! Ich wußte nicht, daß der Heilige Geist so nahrhaft ist. Wozu dient dann das Geld?‹

›Oh, Archont,‹ flötete Cosma, ›um dem Herrn Tempel zu erbauen und sie zu unterhalten, für das Olivenöl, das in den ewigen Lampen brennt, für Kerzen, Weihrauch, für die goldenen Gewänder der Märtyrer der Kirche, für so viel heilige Dinge, die uns zum Seelenheile dienen!‹

›So biet' ich euch vier Imperialdukaten für unser Seelenheil‹, rief der Archont und ließ die Goldstücke in den Schlitz des Kastens gleiten, den Elias hielt; dann nahm er das Buch und schrieb seinen Namen ein.

›Sieh da!‹ rief er aus, als er die Unterschriften der Spender las, ›ihr seid beim Carc-Serdar Mavromykalis und beim Archonten Cuzarida gewesen, und sie haben euch jeder nur zehn Zlots Zlot: Gulden. gegeben? Welch ein Geiz!‹

›Wie wahr, großherziger Archont! Ein jeder erkauft im Himmel sich den Platz, der ihm gebührt.‹

›Der ihre wird nicht sehr gebührlich werden!‹

›Amen! Nur Euer erhabener Name wird mit goldnen Lettern in den Marmor des Altars unseres Klosters eingegraben werden, darüber das Bild des heiligen Gerasim thront, dessen aus zweiundzwanzigkarätigem Gold gegossene Gewänder dreißig Kilo wiegen. Und um Euch unsre Dankbarkeit zu beweisen, will ich ein Kyriakodromion Kyriakodromion (griechisch): Sonntagspredigt. sprechen.‹

Und indem er drei Schritt zurücktrat, hub Cosma, mit gewölbter Brust, Bart und Haar im Winde flatternd, Glut in den Augen, zu donnern an:

›Nur einmal lebt der Mensch auf Erden! Und die Erde ist unser. Für uns hat sie Gottvater erschaffen! Für uns die Frucht des Baumes und seinen Schatten. Für uns den Strahl der Sonne, den Saft der Rebe und das Fleisch des Hammels. Für uns die Kiefernwälder und ihre schönen Tschobanitzas mit den vom Wind gestählten Brüsten, dem kühnen Blick und ihrem maßlosen Begehren. Für uns all das, was sich unseren Augen bietet, und von allem soll man nehmen: Gott will es, und der Mensch benötigt es. Aber wehe dem, der mehr nimmt, als er mit den beiden Reihen seiner Zähne beißen kann! Seine Nächsten werden dadurch beraubt, und Gott wird zürnen. Dann wird die Pest Er schicken in die Paläste mit den Mauern aus Kristall, wird die Gefangenen aus den Festungen befreien, auf daß sie Feuer legen an die prächtigen Städte; und mitten in der Nacht wird Er in das von waffenstrotzenden Heloten bewachte Schlafgemach des Herrn Banditen vom Gebirge schicken! …‹

›Halt!‹ schrie der Archont und sprang auf. ›Ich mag dieses Kyriakodromion nicht!‹

Und indem er sich zu mir wandte:

›Geh, Jeremias, führe diese Kalugeris in die Kaserne. Sie sollen lieber einen Segen über meine Waffen sprechen, auf daß sie immer siegreich seien im Kampfe gegen die Banditen!‹

Gefolgt von den beiden Mönchen mit den Säcken auf dem Rücken, ging ich die Treppe hinunter. Albanesen stellten sich staffelförmig hinter uns auf, und sobald man in der Kaserne war, bestürmte die Dienerschaft die Mönche mit Fragen:

›Habt ihr heilige Andenken vom Berg Athos? Talismane? Amulette?‹

›Wir haben von allem‹, sagte Cosma, in den Säcken wühlend. ›Hier ist Öl, das in der ewigen Lampe des heiligen Gerasim brannte und das alle Gebresten heilt, sobald man's auf die kranke Stelle bringt … Hier sind Korallen, die sich im Leib von Seefischen gefunden; sie machen jede Frau verliebt, die sie auf ihrem Busen trägt … Hier ist heiliges Holz, geschnitten aus dem Kreuz, an dem der Heiland starb; es ist der beste Talisman gegen die Kugeln der Banditen. Schließlich habe ich hier noch Kreuze aus Perlmutter, aus Elfenbein, aus …‹

›Gebt uns! Gebt uns Öl, heiliges Holz, Korallen und Kreuze vom Berg Athos!‹

Das Geld in der Hand, drängte sich jeder der Wachleute zum Kauf. Und Cosma verteilte freigebig den wundersamen Schnickschnack.

Das Mahl am Abend dieses Tages in der Kaserne war denkwürdig. Da Cosmas Nimbus durch den herzlichen Empfang des Archonten schon ziemlich groß war, imponierte er den Albanesen noch mehr durch seinen fremdländischen Schwung, seine amüsanten Geschichten vom Berg Athos und sogar durch Scherze, die sehr wenig kirchlich waren. Zum erstenmal gaben die Wächter ihre Steifheit auf und wurden menschlich: sie lachten aus vollem Halse.

Speisen folgten auf Speisen. Der Wein floß in Strömen. Als die Freude den Höhepunkt erreicht hatte, wurde Cosma plötzlich ernst und sagte:

›Kinder! Bevor wir es so weitertreiben, gebietet mir die Pflicht, euch zu erinnern, daß euer Herr mir aufgetragen hat, zum Siege eurer Waffen über die Banditen eine Liturgie zu sagen. Zu diesem Zweck sollt ihr alle eure Waffen hinaustragen und sie unter den Fenstern des Archonten auf einen Haufen legen; dort werd' ich, sobald der Mond am Firmament erscheint, den Segen sprechen. Entledigen wir uns zuerst dieser Arbeit und bringen wir die Waffen hinaus. Dann will ich euch meine Mastika Mastika (Raki) von der Insel Chios: parfümierter Schnaps mit Harz des Mastixbaumes, im Orient sehr beliebter Likör. aus Chios versuchen lassen.‹

Die Griechen gerieten außer sich:

›Mastika aus Chios? Ihr habt bei euch? O Chios! o patrida! O unvergleichliche Mastika! Welch unverhoffter Labetrunk für unsere Zungen!‹

In weniger Zeit, als man zum Rauchen einer Zigarette braucht, wurden Arkebusen, Pistolen und Jatagane kunterbunt unter den Fenstern des Archonten aufgehäuft. Dieser, durch den Lärm herbeigerufen, öffnete das Fenster:

›Was ist denn das für ein Radau?‹

›Es ist wegen des Segens‹, war Cosmas Antwort.

›Teufel noch einmal! Das ist ja schön und gut das mit dem Segen, jedoch ihr werdet alle Feuersteine und Hähne der Gewehre ruinieren!‹

›Fürchtet nichts, Archont, ist erst einmal der Segen über sie gesprochen, dann schießen die Arkebusen, selbst wenn ihr sie mit Sägemehl anstatt mit Pulver ladet!‹

Dieser Scherz brachte alle zum Lachen.

Und dann ereignete sich folgendes. In die Kaserne zurückgekehrt, zog Cosma aus den Säcken drei mächtige Holzflaschen, deren jede drei Okka faßte.

›Hier ist die Mastika, die Träne von Chios! Es wird kaum ein tüchtiges Maul voll für jeden von euch geben, aber man muß damit zufrieden sein: denn Gott wollte den Raki von Chios nicht in Strömen fließen lassen. Geht, holt eure Kochgeschirre!‹

Und in jedes Geschirr goß er mit Geiz genau das gleiche kleine Quantum. Dann schwangen Cosma und Elias ihre beiden Flaschen, die anderen ihre Kochgeschirre durch die Luft, und man rief laut:

›Auf die Rechtgläubigkeit! Auf das Wohl des Archonten und seiner Garde! Auf den Sieg ihrer Waffen! – Eviva!‹

›Eviva! …‹

Und man trank.

›Nun wollen wir den Rest Mastika den Leuten geben, die auf Wache sind‹, sagte Cosma.

Und wir traten ins Freie. Draußen packte er mich am Arm:

›Geh, hole zwei Arme voll Späne, ebensoviel Holz, eine Kanne Olivenöl, und stell' das Ganze zu dem Waffenhaufen!‹

›Aber …‹

›Fürchte nichts! Alles ist vollbracht. Es bleibt uns nur noch das Leichteste zu tun.‹

 

Höllennacht, Mordnacht, indessen die Natur im Auferstehen … Siebzig starke Männer, die Bäume hätten entwurzeln können, sanken nach rechts und links, wie Säulen stürzen. Menschenleiber, gemacht, das Leben zu genießen, wanden sich in Krämpfen auf den beiden mit Teppichen bedeckten Bretterreihen, die zwei endlos lange Betten bildeten, und auf dem Fußboden in der Kaserne, Schaum vor dem Mund, die Augen aus dem Kopfe quellend, inmitten widerlicher Lachen von Mahlzeitresten und Erbrochenem. Ihr Brüllen hätte die Toten auferwecken können. Die nässetriefenden entlaubten Pappeln schienen vor Schreck zu frösteln. Im Vorsaal des Palastes lagen zwei trotzige Griechen, die einzigen, die sich geweigert hatten, die unheilvolle Mastika zu trinken, erdolcht in ihrem Blute.

Cosma goß die Kanne Öl auf Holz und Späne und legte Feuer daran. Die Flammen ergriffen die Waffen. Die Fenster von den Zimmern des Archonten leuchteten auf. Und wir drangen ins Allerheiligste des Herrn.

Er lag im Bett neben Floritschika, die weiß wie Kreide war. Als der Archont uns wie Rächer vor sich stehen sah, glaubte er, ein Alpdruck peinige ihn und wischte sich die Augen. Dann setzte er sich auf:

›Was soll das? Wie seid ihr hereingekommen? Und warum? …‹

›Das ist noch ein Wunder des Heiligen Geistes; und wir kommen, um Euch das Ende des Kyriakodromion zu sagen‹, entgegnete Cosma und zog seinen Revolver.

›Die Banditen! …‹

›Ich hatte Euch gesagt: und mitten in der Nacht wird er in das von waffenstrotzenden Heloten bewachte Schlafgemach des Herrn Banditen vom Gebirge schicken, – Ihr erinnert Euch, Archont?‹

›Heh! Arvanitakia! Zu den Waffen!‹

›... und alsdann werden die Herren vergebens um Hilfe schreien! Alsdann werden sie erfahren, daß alles, was durch die Kraft der andern kommt, entschwindet mit der Kraft der andern.‹

›Wer bist du, verfluchter Kalugeros? Ist das der Räuber, der zum Mönch geworden ist?‹

›Nein, Archont, das ist der Mönch, der immer Räuber war!‹

 

Auf dem Bezirksweg, der schräg auf die breite Staatsstraße von Calarasi mündet, kamen unsere vier Pferde in dieser rabenschwarzen Nacht nur mühsam im Gänsemarsch voran. An der Spitze ritt Cosma und sprach zu Floritschika:

›Deine Brüste sollen gestählt werden, gepeitscht von allen Winden der Erde … Dein Leib soll sich in den Strömen baden, die Sonne soll ihn trocknen und die Blumen des Feldes ihn mit ihrem Duft erfüllen … Und Cosma wird dich lieben …‹

Dann hielt er an, blickte nach dem Hofe des Archonten Samurakis, der ganz in Flammen stand, und murmelte voller Grausamkeit:

›Ein Nest voll Nattern weniger …‹

* * *

Während einer ganzen Woche ritten wir immer nur bergab nach Süden, der Jalomitza und anderen Flüssen entlang, und mieden alle Landstraßen. Die Hufe der Pferde sanken in den morastigen Ackerboden wie in eingeweichte Brotkrume. Ununterbrochene feine Regen zwangen uns zuweilen, für Stunden unter unseren beiden Zelten Schutz zu suchen. Dann waren wir mißmutig. Aber die Sonne kam, und warme Aprilwinde blähten unsere Mäntel, und schon waren wir wieder fröhlich und überquellend von Lebenslust.

Als Hirt verkleidet ging Elias in die Dörfer, Wein und Brot zu holen. Man schoß Hasen. In der Nacht hielt man, im Dickicht oder Sumpf versteckt, abwechselnd Wache und versorgte die Feuer, die vor den Zelten brannten.

Cosma fragte mich auf dem ganzen Marsche nicht das geringste über mein Leben am Hofe des Archonten. Er befaßte sich Tag und Nacht nur mit Floritschika. Ich war darüber sehr verdrossen.

›Hat er sich wenigstens in diesen zwei Jahren Sorgen um mein Geschick gemacht?‹ fragte ich Elias eines Abends, als wir rasteten.

›Sehr wenig.‹

›Dann hat er kein Herz.‹

›Doch, er hat eins. Aber es ist so beschaffen, daß es sich nur für die Anwesenden erwärmt. Bald glüht es, bald erstarrt's zu Eis: das ist das Doppelantlitz Cosmas.‹

Elias' Kehle schien wie zugeschnürt. Ich hörte seine Stimme kaum. Weit weniger befangen klang Cosmas Stimme nebenan in seinem Zelt.

›Du, o Floritschika, du bist die Heißgeliebteste …‹

Über Elias' Züge huschte ein betrübtes Lächeln. Seine Augen, in denen sich die Flammen des Feuers, das zu unseren Füßen brannte, widerspiegelten, leuchteten in der Nacht.

›Jeremias,‹ entfuhr es ihm wie dumpfer Klagelaut, dabei griff er nach meiner Hand und barg sein bärtiges Gesicht an meiner Brust, ›Jeremias, Cosma ist ein Teufel! Hörst du, was er dem Weibe sagt? Nun denn, die Frauen, denen ich ihn diese nämliche Erklärung habe machen hören, sind Legion. Und, weiß Gott, ich will hier auf der Stelle sterben, wenn er jemals gelogen hat und wenn er jemals treu gewesen ist! Ja, in alle war er verliebt und war zärtlich wie ein Turteltäubchen, freigebig wie der Regen, der die sonnverbrannte Erde tränkt. Und gegen alle war er treulos wie ein Kater, und gegenüber ihren Tränen fühllos wie der Tod. Höre die Geschichte, Jeremias, die ich dir jetzt erzählen werde. Dann wird dir manches begreiflicher erscheinen:

 

Etwa ein Jahr nach dem Gefecht mit der Potera, wo du gefangen wurdest, wollten wir weit draußen in der Moldau die Bewohner eines Landstrichs rächen, die unter der Schreckensherrschaft eines grausamen Machthabers zu leiden hatten. Nach seinem Grundsatz trennte sich Cosma von unseren Leuten, und wir beide erschienen als »Markitans« Markitan: Hausierer. verkleidet eines Abends auf dem Hofe des Tyrannen. Die Soldaten seiner Wache waren zur Verstärkung einer Potera ausgezogen, die sich eigens dazu gebildet hatte, auf einen tollkühnen Heiducken Jagd zu machen, der unter den Bedrückern des moldauischen Landes Verderben säte. Unsere Nachrichten lauteten: Ihr werdet auf dem Hofe einige zwanzig Hasenfüße von Dienern finden, die zu fesseln man euch behilflich sein wird. Diese fanden wir denn auch, aber statt sie zu fesseln, geschah uns eher das Gegenteil; denn kaum daß wir unsere Waren auf den Boden abgestellt hatten, legte ein Mädchen aus dem Volk mit einfacher Seele und sinnverwirrendem Blick Feuer an Cosmas Leidenschaft und brachte seine Pläne ins Wanken. Als sie uns noch am selben Abend zu einem Heuschober geleitete, wo wir die Nacht zubringen sollten, sagte sie zu Cosma:

»– Markitan-Handelsmann,
Sah dir gleich den Räuber an,

aber du darfst meinen Herrn nicht töten, denn er hat Gutes an mir getan!«

Da rief Cosma:

»Sag' mir, o Mädchen, die du zur Welt kamst in der Zeit, da sich die reife Kirsche unserer Eßlust bietet, da uns der Wiesenplan zum Nichtstun lockt und da die Vögel ihr Recht auf Liebe verkünden –, sag' mir, was hat der Tyrann Gutes für dich getan, und ich will gern die Zahl seiner Untaten und mein Rächeramt von heute nacht vergessen.«

»Ja, Cosma, all das wirst du vergessen, denn mein Herr hat mich den Klauen eines Aasgeiers entrissen und hat mich unberührt der Freiheit zurückgegeben. – Du sollst hier ganz nach deinem Willen leben und lieben, wie es dir gefällt – hat er zu mir gesagt. Dieser Aasgeier ist sein Verwalter, und da heut Neumond ist, wird er morgen bei Sonnenaufgang auf diesem Weg hier vor uns kommen, um seinem Herrn den Zehent und die Abrechnung zu bringen. Er wird allein zu Pferd sein. Geh ihm entgegen und jage die Kugeln, die du für den Herrn bestimmtest, dem Diener in den Bauch! Und nimm sein Gold … Und kaufe mit diesem Gold für die verarmten Bauern Ochsen … Dann will ich deine Sklavin sein.«

In dieser Nacht, als wir zusammen unsere Pfeifen rauchten und nach den Sternen blickten, fragte ich:

»Cosma, wirst du tun, was dir der Dämon rät?«

»Ich werde tun, Elias, was mir der Dämon rät, denn ich liebe diesen Dämon, und ich will ihn haben.«

»Du folgst also der Unvernunft …«

»Ich würde selbst dem Teufel folgen …«

»Und du wirst dein Leben wagen, um das Übel beim Schwanz anstatt beim Kopf zu packen … Cosma, du bist stark, doch du bist im Unrecht …«

»Elias, du bist stets im Recht, aber deine Vernunft langweilt mich. Steh auf!«

Ich erhob mich, Cosma sprang mir auf den Rücken, und so rannte ich im Kreise um den Schober herum, bis mir die Luft ausging und ich zu Boden fiel. Dann setzten wir uns.

»Jetzt predige deine Vernunft, Elias.«

Und während Cosma mir aufs aufmerksamste zuhörte und sich dabei mit den Fäusten gehörig auf die Brust schlug, sprach ich zu ihm:

»Cosma … Man kann kein halber Held sein … Du giltst für einen Helden … Man betet dich an … Aber du bist kein Held, und du betest nichts an … Oder du betest zu vieles an. Die Leute hier werden morgen, wenn wir wieder weg sind, sagen: Cosma ist gekommen, um den Drachen unseres Landes zu töten, und er hat nur eine Natter getötet. Hat er dies vielleicht getan, weil die Natter ein Würmchen fressen wollte, und dieses Würmchen Cosma gefiel? So werden die Leute sagen … Und sie werden recht haben … Und du wirst unrecht haben … Und ein Held soll niemals unrecht haben.«

Am nächsten Morgen lagen wir bei Tagesanbruch hinter einer Dornenhecke, die sich am Rand des breiten Weges hinzog, auf dem die Natter kommen sollte. Das Würmchen war mit uns. Cosma streichelte ihm den Kopf, und dabei lief ihm vor Begierde das Wasser im Mund zusammen. Denn ach, dieses Würmchen war ein Kind des Südens, ein Funke von jener Weibesglut, die das Pulver der Mannesleidenschaft zum Zünden bringt.

»Ich träume von dir, Cosma, seit meiner frühesten Kindheit!«

»Und ich, ich suche dich, Flamme, seit der Erschaffung der Welt!«

»Aber wirst du auch den Mann töten, den ich dir gleich zeigen werde?«

»Ja, ich werde ihn töten, denn meine Ohren glühen und meine Schläfen hämmern … Und solange du meine Ohren zum Glühen und meine Schläfen zum Hämmern bringst, werde ich alles töten, was du willst, Schuldige oder Unschuldige!«

»Du bist ein Held, Cosma!«

»Ein Held, Mädchen, bis ich zu deinen Füßen liege!«

Da kommt ein Reiter im Schritt heran, einen Sack am Sattel. Er reitet in sauberen Hemdsärmeln, mit bloßem Kopf und trällert seine Lebensfreude, die Freude eines schönen und gesunden Menschen. Plötzlich zuckt er zusammen, bleibt stehen, dreht den Kopf nach allen Seiten und faßt mit seiner Rechten nach der Pistole: er hatte unsere Pferde in der Nähe schnauben hören. Doch seine Sorge ist von kurzer Dauer, denn das Mädchen schließt die Augen und deckt sich die Schürze über das Gesicht, indes Cosma aus nächster Nähe auf den Reiter zielt und seine Ladung auf ihn speit.

Der Mann stürzt hintenüber, das Pferd geht durch … Und auf der Straße, die der erste Sonnenstrahl vergoldet, rast es wild dahin und schleift den Körper seines Herrn, der mit dem Fußgelenk im Bügel hängt, so daß der Kopf zerschmettert den Staub des Weges fegt.

Cosma pflanzt sich vor seinem Dämon auf:

»Bist du zufrieden, Weib? Was willst du noch? Soll ich meinen Bruder töten? Soll ich mein Pferd töten, das dort zitternd am Saum des Waldes steht? Sag' mir, was du willst!«

»Ich will dich, Cosma …«

»Du sollst mich haben, du meine Ewigkeit! Du sollst mich haben, solange meine Ohren glühen und meine Schläfen hämmern!«

Kurz danach erscheint ein stattlicher Greis in Bauernkleidung mit unseren beiden Pferden. Cosma reicht ihm vier Säckel Gold.

»Das ist alles, Cosma?«

»Für den Augenblick ist das alles, mein Freund!«

»Aber du hast nicht deine ganze Schuldigkeit getan.«

»Ich habe keine Schuldigkeit: der Mutige schuldet nichts und niemand etwas.«

Wir saßen auf … Cosma ritt voran, seine Eintags-Ewigkeit in den Armen. In einer Entfernung von zwanzig Schritt folgte ich ihm still und sann über die Einsamkeit des Menschen nach.

 

Auf steinbesäten, holperigen Waldwegen, auf denen die Hufe der Pferde ausglitten und das Moos zertraten, und die Zweige dicke Regentropfen auf unsere Köpfe regnen ließen –, und quer über endlose Felder, wo die Tiere Pfeilen gleich dahinjagten, ritten wir wieder zur Mündung des Sereth hinab.

Am ersten Abend machten wir am Rand eines Waldes halt, der von Buschwerk so wild durchwachsen war, daß man sich für die Nacht nicht erst zu schützen brauchte. Zu unseren Füßen dehnten sich Brachfelder unabsehbar weit, auf denen Gott die feinsten Wohlgerüche pflanzte zur Freude seiner dankbeschwingten Falter.

Nun steigt der Vollmond an der Himmelskuppel auf, erfüllt das Dickicht mit Geheimnis, die Flur mit Grillen und Cosmas Herz mit Niedertracht. Ja, an jenem Abend erschien mir Cosma niederträchtig und grausam wie ein Feind; denn er hieß mich für seinen Dämon Flöte spielen, wo er doch sehr wohl wußte, daß ich immer nur für meinen Gott und unsere Freiheit spielte.

Sie hatte nämlich gesagt:

»Wenn jetzt eine Flöte ertönte, täte sich der Himmel auf, und Gottes Engel stiegen Hymnen singend nieder!«

Cosma schauderte und wandte mir sein vom Mond beschienenes Gesicht zu. Es war ein rotes, gedunsenes Gesicht, als ob er lange ins Feuer geblasen hätte. Ich verstand seine niederträchtige Bitte, ich senkte die Augen und schwieg, aber mein Blut empörte sich.

»Spiele, Elias!«

»Spielen, für wen?«

»Spiele für die Ewigkeit!«

»Sie ist kurz, deine Ewigkeit, Cosma …«

»Kurz, Elias, aber gewaltig wie der Blitz, der zündend auf die Erde niederfährt.«

Ich zog meine Flöte aus dem Gürtel; ich feuchtete ihre Löcher mit der Zunge an; ich spielte … Und sobald die ersten Töne die Nacht durchzitterten, tat sich der Himmel auf, die Engel sangen Hymnen –, denn des Dämons Stimme ergoß sich in metallischer Woge, die Stimme der Nachtigall an Wohllaut überbietend. Meine Haare sträubten sich unter der Mütze, meine Finger auf der Flöte tanzten wie behext. Mein Hirn neigte dem Glauben zu, die Hölle sei dem Göttlichen viel näher als das Paradies, und ein Dämon, der singt, frommer als ein Engel, der betet.

»Mich nimmt man nicht,
Ich bin die Seele, die sich willig gibt.
Kein Gott befiehlt,
Mein Herz weiß nichts von Sünde, wenn es liebt.«

So sang der Dämon … Und ihre Stimme übertönte das Rauschen des Waldes und den Chor der Grillen. Ich vergaß mein Gebot, verriet meinen Gott und spielte wie rasend. Ich spielte, bis salzige Schweißtropfen mir in die Augen brannten. Da hielt ich ein, wischte mir die Stirn und gewahrte, daß kein Cosma mehr da war, kein Dämon mehr, daß ich allein war, umhüllt von Nacht und Schweigen – allein, wie wir es alle hier auf Erden sind.

 

Unser Marsch wurde von unaufhörlichem Regenwetter verfolgt. Menschen und Tiere waren naß wie die Wasserratten. Um seinen Schatz zu schützen, blieb Cosma in Hemdsärmeln und breitete alle seine Kleider über den Rücken der Frau, die so zu einem großen, unförmigen nassen Paket wurde. Die Nächte brachte man in Höhlen zu. Dann kannte Cosmas Rücksicht keine Grenzen. Er lief allein weg, um dürres Holz zu suchen, machte ein gutes Feuer an, trocknete die Kleidungsstücke, bereitete heiße Getränke, und nackt bis zum Gürtel wie ein richtiger Wilder rieb er die Waffen ab und versah sie mit trockener Ladung.

Schließlich erreichten wir unser Ziel, die Mündung des Sereth, diesen verfluchten Ort, wo wir ein Jahr vorher durch den Verrat des Zöllners die Schlacht mit der Potera liefern mußten. Jetzt war die Stunde gekommen, um diesem Schurken seinen Verrat heimzuzahlen.

Sein Konto war rasch beglichen; doch da der Schicksalsfaden sich verwirrte, wurde die Angelegenheit zum Doppeldrama.

Wir lagen alle drei in einem Graben in der Nähe des Brückenkopfes auf der moldauischen Seite im Hinterhalt, und Cosma, die Waffe schußbereit, lauerte auf das Erscheinen des Verräters, während die klugen Pferde hundert Schritt von uns entfernt ungehindert weideten. Die Frau – ihr Liebesstern verblaßte noch am selben Tag – fragte:

»Was tun wir hier, Cosma?«

»Du wirst's gleich sehen: ich habe hier eine Schuld zu bezahlen.«

»Pflegst du denn Schulden zu bezahlen?«

»Jawohl, zuweilen …«

Der Mann erschien, die Hände in den Taschen, ging nach rechts, ging nach links, dann wandte er sich grade Cosmas Büchse zu, um zu vollenden, was ihm auf der Stirn geschrieben stand. Aber im selben Augenblick, als Cosma ihn aufs Korn nahm, erbleichte die Frau, fiel ihm in den Arm und schrie:

»Halt! Es ist mein Bruder!«

Rot vor Zorn stieß Cosma sie mit einem Kolbenhieb zurück.

»Dein Bruder vielleicht, jedoch bestimmt mein Feind!«

Und er schoß den Zöllner nieder, den die Warnung zu spät erreichte. Die Schwester stieß laute Schreie aus, flog dem Bruder zu Hilfe, der diese nicht mehr nötig hatte, warf sich über seinen Körper und klagte. Dann, als wir näher traten, reckte sie sich vor Cosma in die Höhe:

»Du hast meinen Bruder getötet!«

»Ich habe einen Spion getötet! Und was dachtest du denn? Daß ich nur noch Verwalter töte?«

»Er ist es, der mich aus den Fängen des Verwalters gerettet hat, er hat das Allerbeste mir getan!«

»Und mir hat er das Allerübelste getan, er hat mich der Potera ausgeliefert!«

Das junge Weib kniete bei dem Leichnam nieder und betete. Wir gingen die Pferde holen. Als wir zurück waren, legte Cosma eine Börse mit Dukaten auf die Erde und sprach zu seiner Wochen-Ewigkeit:

»Wenn du mit Beten fertig bist, dann begrabe deinen Bruder; und dann begrab dich selbst in einem Kloster und fahr dort fort, zu Gott zu beten, was nach deinem Sinn sein wird, es strengt nicht an und ist nicht schädlich, denn er hat Brüder wie den deinen und fürchtet die Spione nicht.«

Als wir ein Weilchen später in aller Freiheit dahingaloppierten, sagte Cosma aus vollster Überzeugung zu mir:

»Die Weiber sind dazu geschaffen, die Männer von ihrem Schicksal abzuwenden!«‹

 

Elias schwieg. Sein Gesicht, das vom Flackerfeuer nur schwach beleuchtet wurde, drückte ein kindliches Erstaunen aus.

›Denke über all diese verborgenen Dinge des Lebens nach, Jeremias‹, sagte er mir als einzige Nutzanwendung, wickelte sich in seine Geba und warf sich auf ein Bündel Stroh.

Ich blieb allein unter dem Zelt, das ein leichter Wind wie Wellen klatschen machte. Ich hatte keine Lust zu schlafen, alles, was ich erlebt hatte, zog an meinem Gedächtnis vorüber, dann strengte ich mein Ohr an, um irgendeinen Laut aus Cosmas und seiner Liebsten Zelt zu vernehmen, aber ich hörte nur das Brausen der Einsamkeit. In meinen Empfindungen aufgewühlt, trat ich vor das Zelt, machte im Freien ein paar Schritte, und alsogleich hörte die Zeit für mich zu existieren auf. Harmonie! … Ewiger Friede … Das Reich des Schilf- und Hirtengrases, des wilden Maulbeerbaums, der Tausende von Fröschen, die auf Seerosenblättern hockten, der Kiebitze, die nur mit einem wachen Auge noch den Schlaf bekämpften, gab sich dem nächtlichen Genuß des Lebens hin. Ich hörte, wie ein Karpfen auf die Wasseroberfläche sprang und wieder schwer zurückfiel in sein Element. Ein Kranich klapperte beständig mit dem Schnabel, dieweil ein Sperber den unsichtbaren Raum mit mächtigem Flügelschlag zerteilte. Und unter dem sanften Hauch des Westwinds verneigten sich Legionen flockiger Ähren des hohen Rieds in stummem Dank vor Gott. Die Wirklichkeit versank …

 

Eine Hand, schwer wie Blei, ließ mich in die Höhe fahren: Cosma stand vor mir, eine riesige schwarze Masse. Sein dichtes Haar hing ihm in wirren Strähnen herab, auch Bart und Schnurrbart waren schlimm zerzaust; die buschigen Brauen ließen nichts mehr von seinem Antlitz sehen, außer einer fleischigen Nase und zwei großen Augen, die mir gut und froh zu blicken schienen. Mit seinem vollen, weichen und melodischen Baß sagte er zu mir:

›Ich grüße dich, Jeremias, dich freien Jüngling! … Du wachst über Cosmas Glück, das ist gut … Aber deine Ruhestunde hat geschlagen … Geh! … Cosma löst dich ab.‹

›Du irrst, Cosma: ich wache nicht über deinem Glück, ich lebe mit dem Sumpf.‹

Er trat einen Schritt zurück:

›Das ist noch besser! Dann nützst du dir und mir zugleich! … So soll es sein. – Doch sag': bist du vielleicht ein wenig böse auf mich?‹

›Ja, ein wenig.‹

Cosma reckte sich. Vor seinen weit ausgespannten Armen schien die Erde klein zu werden.

›Wenn man auf jemand, den man lieb hat, böse ist, so ist die beste Art, um sich den kleinen Groll vom Hals zu schaffen und rasch wieder zur Liebe zurückzukehren, daß man ihn unverzüglich prügelt; denn der Zorn, der langsam frißt, stiftet mehr Unheil als der liebevolle Faustschlag. Hier diese Brust ist so erfüllt von Glück, daß man sie selbst mit Hammerschlägen nicht zertrümmern kann. Schlag zu, Jeremias!‹

Mit aller Kraft versetzte ich ihm einen tüchtigen Schlag. Cosma wankte nicht.

›Schlag fester!‹

Ich schlug, glühend rot vor Zorn.

›Noch einmal!‹

Ich hob die Hand … Jedoch das strahlende Gesicht, die Bärenbrust … und die beiden Arme vor allem, wie Flügel ausgebreitet, bereit, mich zu umfassen … Nein!

Ich warf mich an diese Brust und vergrub mein Gesicht in ihren Haaren, die nach Mannsschweiß rochen. Cosma zog mich an sich und strich mir übers Haar.

›Was hast du, Jeremias? Was hab' ich dir getan?‹

›Du bist zu glücklich, Cosma, und dein Glück läßt mich zu einsam, zu allein.‹

Er antwortete nicht, aber ich fühlte, wie ihm die Arme bleischwer am Körper herunterglitten und sein Herz gewaltig wie ein Hammer und gleichmäßig wie ein Uhrwerk schlug. Dann setzte er sich mit gekreuzten Beinen hin, hieß mich ein Gleiches tun, stopfte seine Pfeife, zündete sie an und sprach zu mir etwa mit diesen Worten:

›Cosmas Glück, mein Junge, kann die andern nur leer und einsam lassen. Es gleicht dem Ungewitter, das die Knospen an den Bäumen vernichtet, die lieblichen Blütenblätter in den Staub hinunterreißt, den seines Bettes und Plätscherns frohen Fluß im Laufe hemmt, die Tiere tötet … Es verschlingt alles … Alles, was lebt. Dann zerschmettert es sich irgendwo den Kopf an einer Felsenmasse, der es sich ergeben muß, oder eine Erdschlucht schluckt es ein, in deren Wassern sich grenzenlos der Himmel spiegelt. Aber auch wohltätig ist dieser Verheerer; denn überall, wo er vorüberzog, blüht Leben auf mit neuer Kraft. Ich bin wie er. Vielleicht ein bißchen undankbarer, vielleicht ein bißchen weniger gerecht. Merke dir, daß nur das Mittelmäßige allein geteilt und in Gemeinsamkeit erlebt werden kann. Sobald der Mensch zu glücklich ist, bleibt er allein; und ebenso bleibt er allein, wenn er zu unglücklich ist. So ist es nun einmal: in den kleinen Graben kann jeder mit dir springen; aber keiner kann dir in den Abgrund folgen. Auch das vollkommene Glück ist eine Art von Abgrund: Warst du nicht gerade eben so tief in deinen Traum versunken, daß du die Gefahr vergessen und dich von mir hast überraschen lassen? Welcher von unseren Kameraden wäre dir bis dahin gefolgt? Wer ist mir in die Mausefalle des Archonten Samurakis gefolgt, als mich neulich die Lust erfaßte, dich auf der Stelle zu befreien? Elias! Elias ist mir gefolgt. Aber Elias ist mein Schutzengel, auf den ich niemals höre. Und er folgt mir immer, ob er will oder nicht. Das muß wohl daher kommen, daß unser Vater, der Bock, sich am Tage unserer Zeugung in den Kopf gesetzt hatte, seinen Harem nur mit dem Keim des Wahnsinns zu befruchten, des Wahnsinns jeder Art; und dieses kam dabei heraus: ich, Cosma, oder der Wahn der Sinnlichkeit; Elias oder der Wahn der Vernunft; unsere Schwester Kyra oder der Wahn der Koketterie; und schließlich unser jüngster Bruder, der schlechthin wahnsinnig war und sich erhängte, da er wahrscheinlich nicht wußte, was er mit seinem Leben beginnen sollte. Allerdings bin ich dessen nicht ganz sicher, denn er war so toll auf nußgefüllte Kringel, daß er vor Freude heulte, wenn man sie aus dem Ofen nahm, und vielleicht hat er sich gar, den Mund voll Kringel, aufgehängt. Man muß für seinen Wahnsinn sterben können. Aber man soll sich niemals in den Wahnsinn eines andern mischen.‹

 

Bei diesen Worten warf Cosma einen irren Blick nach seinem Zelt: der mitternächtige Vollmond stieg glühend am Horizont empor und goß seine matte Lichtflut auf Floritschika, die mit über der Brust gekreuzten Armen vor dem Zelt stand und reglos das Gestirn betrachtete. Über ihre in eine weiße seidene Chlamys gehüllten Schultern floß aufgelöst ihr reiches Haar wie Pech. Vor dieser schönen Erscheinung kniete Cosma nieder, das Angesicht zur Erde, die Arme vorgestreckt wie ein Muselmann, der betet, und so blieb er lange. Dann erhob er sich langsam wie überwältigt, richtete sich auf und streckte zwei nackte, muskulöse Arme zum Himmel, die man für Beine hätte halten können. Jetzt erschien mir Floritschika weniger eindrucksvoll, und alles ringsumher verstaubt und dürftig. Und Elias, – der in diesem Augenblick grad gähnend aus dem andern Zelt trat, war in meinen Augen nur ein armseliger Mann in einer armseligen Geba.

Wir blickten alle auf Cosma, und ich glaube, auch die andern dachten ebenso wie ich, das heißt, daß er uns hätte zermalmen können, nur dadurch, daß er sich auf uns fallen ließ; doch flößte er uns keine Furcht ein.

Er faßte Floritschika um die Mitte. Sie ließ sich wie eine Feder tragen. Ihre Füße berührten kaum den weichen Teppich des Lagerplatzes. Dann machten die beiden ein paar Schritte im gleichen Takt. Und wenn man dieses zierliche Edelfräulein an der Seite dieses ungeschlachten Wilderers sah, hätte man meinen können, ein Satyr betöre eine Nymphe.

An diesem Ort und in dieser Stunde schrie Cosma, sein wildes Antlitz nach dem Mond gerichtet und mit den Händen ihre Brust umspannend, sein übermäßiges Glück hinaus. Mit dröhnender Stimme, die die Pferde die Köpfe heben ließ, sprach er:

›Warum will dieses Herz die Fesseln sprengen? Warum erscheint der Brustkorb ihm zu eng? Warum erstickt es an dem eignen Blut?‹

Und die Hand seiner Liebsten ergreifend, gestand er seine Ängste ein:

›Floritschika! Du bist der Abgrund, der die Begierde des Mannes verschlingt! Kennst du zum wenigsten Beständigkeit? Wir werden gleich bei Mondschein weiterreiten; und schon bei Tagesanbruch stoßen wir zu unserm Lager. Dreißig Burschen erwarten uns dort unten ungeduldig! Es sind alles Männer, die außerhalb des Gesetzes stehen und den Tod nicht scheuen. Was das Gesetz betrifft, so kennen sie nur eins als höchstes Lebensziel: ihre Begierde zu befriedigen! Jedem Gesetz, das diesem Ziel zuwider ist, trotzen sie, selbst um den Preis des Lebens. Darum nenne ich sie Helden. Erst recht sind sie Helden in den Augen der Frau, diese Männer mit dem feurigen Blick gereizter Stiere, dem spitzen Schnurrbart, der von weitem sticht, dem wallenden Bart, der die Wange streichelt, der Hose, die sich über den Schenkel strafft und so manches verheißungsvoll ahnen läßt.‹

Und Cosma forderte das Unmögliche:

›Floritschika! Laß dich nicht abspenstig machen … Ich bin für diese Männer nicht der Herr, ich bin ihr Gott; jedoch kein Gott hält vor dem Weibe stand! Und ich will Cosma bleiben und will als Cosma sterben. Schwör mir, Floritschika, schwöre mir Treue!‹

Floritschika brach in ein sieghaftes Lachen aus, das wie Schlittengeläute im Winter klang; und auf dieses Lachen antwortete der Mond, indem er sein Bild mit einem Silberschleier schmückte, der das Moor in einen glitzernden See verwandelte.

›Du forderst vom Gewitter,‹ rief sie, ›es soll im Kochtopf wüten? Du forderst vom Eichbaum, er soll unterm Bette grünen? Du forderst von der Erde, sie soll dem Pfluge widerstehen, der ihren Schoß erschließt, und soll den Samen verweigern, der sie befruchtet? Ha! ha! ha! …‹

Die Arme mit den weiten Ärmeln ausbreitend wie ein Schwan, der sich, aufschwingt, floh sie ins Zelt und verschwand dort, indes Cosma bleich und schweren Schrittes auf Elias zuging und mit leiser Stimme sprach:

›Was sagst du zu der Antwort, Elias, die dieses Weib mir gab?‹

Elias reckte den Kopf:

›Ich sage, daß das Weib recht hat und daß seine Antwort treffend und verdient ist.‹

Da brüllte Cosma außer sich:

›Hol dich der Teufel mit deiner Vernunft und deiner Gerechtigkeit! Das ist's nicht, was ich wissen will!‹

›Was denn?‹ entgegnete Elias ganz gelassen. Cosma bekämpfte seine Wut und beugte sich zu Elias' Ohr:

›Glaubst du nicht, Elias, daß dieses Weib die Tschobanitza ist, die wir vor siebzehn Jahren in dem Kiefernwäldchen trafen?‹

›Mag sein, Cosma … Schon möglich, daß sie's ist … Jedoch ich bin dessen nicht sicher … Und dann, was braucht man es zu wissen? Wenn sie wirklich die Tschobanitza aus dem Kiefernwäldchen ist, so erinnere dich deines Hochmuts in jener Nacht. Und wenn du sie heute, nach siebzehn Jahren, besser findest, so zeigt das, daß die Weiber wie die Pferde sind: sie werden unterm Schenkeldruck besser.‹

Die erloschene Pfeife im Mundwinkel, versank Cosma in Nachdenken.

Und als der Mond den Scheitelpunkt berührte, verließen wir unsern letzten Lagerplatz und bahnten uns einen Weg durchs Dickicht von Schilf- und Hirtengras, dessen klebrige Blätter ihren schleimigen Saft an unseren Kleidern hinterließen. Niemand sprach.

* * *

Niemand sprach. Zum Teufel auch! Und doch wäre es gut gewesen. Sprechen? Nein, doch heulen, schlagen, plündern, zerschmettern. Es hätte in diesem Augenblick ein Erdbeben kommen müssen, das gähnende Spalten aufriß, oder ein Hagelschauer mit Schloßen, dick wie Perlhuhneier, unsere Köpfe mit Beulen zu bedecken; oder eine ungleiche Schlacht mit der Potera, die uns mit Wunden besät in die Flucht gejagt hätte; oder Blitzschlag, oder Pest, oder irgendeine andere Not, um diese Stille zu verscheuchen, während welcher in Cosmas Hirn das Wissen um seinen Untergang zu keimen begann.

Ich ahnte ganz sicher nichts. Elias wußte vielleicht etwas davon, und auch Floritschika. Aber wir wußten es bestimmt, als die Finsternis schwand und die Morgendämmerung ihr weißes Leichentuch über unsere Gesichter und über die Erde breitete.

Wir ritten jetzt nebeneinander im Schritt über ein einsames Feld, indem wir der kurvenreichen Straße folgten. Floritschika dämmerte in Cosmas Arme geschmiegt, der sie auf seinem Pferde trug, und gab sich ganz dem Wiegen des Tieres hin; und Cosma, der nichts von der Welt zu wissen schien, betrachtete seinen Schatz mit grimmigen Augen im verstörten, schmierigen Gesicht. Diese blutunterlaufenen Raubtieraugen hefteten sich bald auf das Frauenantlitz mit den ruhigen jungfräulichen Zügen, das eine prachtvoll kecke Nase zierte, bald auf diesen Körper, dessen anmutige Linien sich unter dem Mantel abhoben und durch das Stoßen des Pferderückens in schwingende Bewegung gerieten.

Und nun hält Cosma plötzlich sein Pferd an und läßt seine kostbare Bürde los; Floritschika sinkt auf den Knien ihres Liebhabers wie ein Kissen in sich zusammen. Ihre Augen öffnen sich mit einem Lächeln. Ihr Haar ergießt sich auf den Boden. Schultern, Brüste und Schenkel sind eine lockende Musik.

Cosma betrachtet diesen ganzen Reichtum und brüllt:

›Wie! Das ist eine Erde, die sich von allen Pflügen hat beackern, von allen Samen hat befruchten lassen? Und ich, Cosma, der alles dies für sich allein besitzen will, ich soll das anhören, ohne sofort hinzugehen und die Hände abzuhauen, die sich an meinem Gut vergriffen haben?‹

Floritschika verschränkte die Arme im Nacken und sagte mit milder Verachtung:

›Ja, Cosma … Du sollst das alles anhören und auch noch dies: die Brachfelder sind von niemandem geschätzt, selbst nicht von dir.‹

Und mit einem raschen Aufschnellen ihres Schlangenleibs sprang sie zur Erde. Elias und ich folgten ihr.

 

Cosma rührte sich nicht, aber das Blut stieg ihm zu Kopf: Floritschikas Entgegnung hatte gut getroffen. So etwas ließ sich ohne einen Wutausbruch nicht ertragen; und da die Schultern des Weibes zu schwach waren, um dieses Gewicht auszuhalten, hielt er sich an sich selbst. Ehe wir uns Rechenschaft geben konnten, worum es sich handelte, ließ er sich zu Boden gleiten, legte sich unter sein Pferd, ergriff mit seinen mächtigen Fäusten den beschlagenen Huf des Tieres und stellte ihn sich auf die Brust. Im selben Augenblick versetzte er dem Gaul einen Fußtritt in den Bauch, daß dieser, an eine solche Roheit nicht gewöhnt, ein Wiehern von sich gab und auf den Körper seines Herrn trat.

Entsetzt liefen wir ihm alle drei zur Hilfe. Cosmas Gesicht war wie Wachs, und er spie Blut aus Mund und Nase. Aber seine Augen blickten gut und friedlich. Auf Floritschikas Schreien wollte er etwas antworten; ein Blutsturz hinderte ihn daran. Er schloß langsam die Augen und wurde ohnmächtig.

Wir hielten ihn für tot und trugen ihn ins Zelt, stellten aber gleich fest, daß er atmete; wir wuschen ihm das blutüberströmte Gesicht und brachten ihn zum Leben zurück.

Floritschika, ein wenig bleich, legte seinen Kopf auf ihre Knie, strich ihm die verklebten Haare aus dem Gesicht, küßte ihn zärtlich und sprach:

›Mein Freund … mein Freund … sei gut! Sei nicht so ungerecht und fordere nicht vom Leben, was es uns nicht geben kann.‹

Cosma brummte mit röchelnder Stimme:

›Ich schere mich den Teufel um die Gerechtigkeit … und um die Ungerechtigkeit … und um das, was das Leben gibt … und um das, was es nicht gibt. Meine Brust ist das ganze Leben. Was sie will, will ich um den Preis dieses Lebens. Und jetzt will ich die Hände abhauen, die mein Gut besudelt haben … Und ich werde sie abhauen!‹

Bei diesen Worten färbte sich sein leichenbleiches Antlitz wieder. Es glänzte wie blankes Kupfer, jäh getroffen von den Strahlen der Sonne, die rot am Horizont erschien. Cosma starrte mit aufgerissenen Augen auf das erste Viertel der leuchtenden Scheibe, die gerade vor ihm zusehends ins All emporstieg. Dann warf er mit der Anstrengung des Schwerverwundeten seinen Oberkörper nach vorn, spuckte eine tüchtige Ladung Blut nach dem Gestirn und stieß voll Wut die Worte hervor:

›Für den, der dich geschaffen hat, dich … und mich … und die Erde … und …‹

Plötzlich hielt er mit geschlossenen Lippen inne, wie um zu lauschen. Aber ein Blutsturz öffnete sie ihm, und über seine Brust ergoß sich der rote Lebenssaft.

Cosma fiel wieder auf Floritschikas Knie mit offenen Augen, aus denen der ganze Haß gegen das Leben schrie. Keiner von uns wagte, ihm zu Hilfe zu kommen.

Elias faßte mich am Arm und zog mich nach dem Brachfeld hinüber.

* * *

Du entfernst mich, damit ich nicht sehe, wie er stirbt?‹ fragte ich Elias, als wir ein bißchen weiter waren. Elias folgte mit dem Blick dem majestätischen Flug eines mächtigen Raubvogels.

›Ich glaube nicht, daß er an dieser Verwundung stirbt; Cosma ist ein Mensch mit sieben Leben. Aber ich glaube, daß er bald sterben wird: morgen, in einer Woche oder in einem Monat, denn er hat eine Daube zu viel an seinem Schädel, und die wird ihn vernichten … Das ist eine Krankheit, die kein Erbarmen kennt. Ich will dir sagen, was es ist. – In jedes Menschen Herz schläft ein nagender Wurm. Bei dem schwachen Menschen wacht er niemals auf, oder selten, und dann nur, um zu gähnen und wieder einzuschlafen: das ist der Mensch, der sich zehnmal am Tag am selben Kiesel stößt, sich ärgert, flucht, aber den Stein nicht aufhebt; oder der, wenn seine Türe in den Angeln knarrt, sich damit begnügt zu sagen: ach, diese verdammte Tür! – ihr aber nicht ein bißchen Öl gibt, sie zu schmieren. Das ist der Mensch, den Gott – ich weiß nicht warum – am Ende der Woche erschuf, als ihm der Schädel schon brummte von so viel wunderbaren Dingen, die er vor dem Menschen erschaffen hatte. – Aber der Teufel, der während der sechs Tage nur immer um den Schöpfer herumgeschlichen war und ihn bekrittelt hatte, machte sich den Sonntag zunutze und fügte dem Schädel des Menschen noch eine Daube hinzu, die Teufelsdaube, die den Menschen zum Wüten bringt, sobald etwas nicht nach seinem Geschmack ist, sobald ihm etwas gegen den Strich geht. Sicherlich hatte der normale Mensch während der Nacht, welche dazwischen lag, Zeit gehabt, die Erde mit Schwachköpfen zu bevölkern; deshalb sieht man so wenig Menschen, die sich erregen können. Nichtsdestoweniger tauchten die Menschen mit der überzähligen Daube zahlreich genug auf, um die Erde auf den Kopf zu stellen und den göttlichen Frieden zu stören; so kam es, daß Sankt Peter sich eines Tages bei dem Schöpfer beklagte: »Herr,« sprach er, »mein Hirte ist kein guter Kerl, ruhig, weise, unterwürfig, wie der deine. Meiner ist ein Polterer: wenn sich ein Schaf verläuft, geht er mit allen Hunden auf die Suche und gibt die Herde den Wölfen preis; wenn der Käse ein wenig ranzig ist, dann wirft er ihn mir an den Kopf, und über einen Floh, der ihn nachts beißt, gerät er in große Aufregung und hindert mich am Schlafen. Herr ich bin recht ärgerlich.« Der Schöpfer nahm seinen Stock und machte sich sogleich mit seinem Hofrat auf den Weg. Als sie auf der Weide anlangten, schlief der Hirte des Allerhöchsten mit offenem Mund erwachte und grüßte ehrerbietig. Der Schöpfer gab ihm seinen Segen. Der Hirte des heiligen Peter saß auf einem Hügel und spielte so leidenschaftlich Flöte, daß Gott selbst lauschen mußte; dann tippte er ihm auf die Schulter und sprach: »Heh, Freundchen, warum läßt du die Herde im Stich, um eines Schafes willen, das sich verläuft?« – »Weil sich immer eins von denen verläuft, die ich am liebsten habe«, entgegnete der Hirte ohne jede Ehrerweisung, was Gott mißfiel. »Mein Sohn, du bist hier, um zu dienen. Lieben oder Hassen ist keine Dienerangelegenheit.« Der Hirte geriet in Zorn: »Was sonst? Bin ich nicht vor allem Mensch.« – Als Gott ihn so dünkelhaft erkannte, versenkte er ihn in einen tiefen Schlaf, untersuchte ihm den Schädel und rief: »Da haben wir's, das Werk des Satans: dieser Schädel hat eine Daube zuviel!« und nahm sie ihm heraus. Der Hirt erwachte und war ruhig, weise, unterwürfig, ein guter Kerl. Er bat die Besucher um Verzeihung, daß sie ihn schlafend gefunden hatten, grüßte ehrfurchtsvoll, dachte nicht mehr an die Flöte und hatte nur noch grade so viel Liebe und so viel Haß, wie sich für einen Diener geziemt. – Cosmas überzählige Daube erklärt sein ganzes Leben. Wäre ich Gott, so würde ich sie ihm herausnehmen. Aber so wird er sterben … Sein nagender Wurm, von diesem Weib geweckt, wird ihn schließlich töten. Wenn es sich, um ihn zu retten, nur darum handeln würde, die zwei herrschaftlichen Hände abzuhauen, die sein Eigentum betastet haben, dann würde ich ihm gerne helfen …‹

Elias behielt den weiteren Gedankengang für sich.

Ich wußte nicht mehr, was ich glauben sollte … Ich wußte nur, daß Cosma sehr krank war und sterben würde. Das machte mir viel Kummer.

 

Wir befanden uns in dem Gebiet, das zwischen Tschernavoda und Calaraschu liegt, kaum eine kleine Meile von dem Wald entfernt, wo unsere wackeren Gefährten lagerten. Sie warteten mit Ungeduld auf ihre Führer, die mutig und allein mich zu befreien unternommen hatten. Sie wußten nicht, ob wir tot oder lebendig waren; und ohne Cosmas Zornesausbruch, der uns auf dieser deckungslosen Hochebene zurückhielt, hätten wir um diese Zeit schon längst im Freundeslager sein müssen.

Was sollte jetzt wohl werden? Der Ort war gefährlich. Nicht weit von uns führte eine große Bezirksstraße vorüber, und jeden Augenblick konnten wir überrascht werden, da der Übergang über die Donau mit der Fähre von Tschernavoda nur anderthalb Meilen weit entfernt war.

Die Angst würgte mir die Kehle … Ich blickte nach Elias: er war in Nachdenken versunken, seine sonst heitere Stirn von Falten durchfurcht. Selbst seine abgemessenen Schritte schienen mitzudenken. Alles an ihm war Gedanke. Seine Geba, die ihm bis zu den Knöcheln reichte, gab ihm wahrhaft die Würde eines Mönches. Die Ebene lag schweigend wie ein Friedhof … es flog kein Vogel in der regungslosen Luft. Nur ein paar spärliche Disteln wiegten ihre mageren Blütenköpfe, und einige Sandhügel, die da und dort seit Adams Zeiten Wache hielten, belebten ein wenig die Öde dieser anmutlosen Gegend.

Elias lenkte seine schweren Schritte auf einen dieser Hügel, und als wir ihn erklommen hatten, schaute er zu Cosma und Floritschika hinüber, die immer noch am Boden saßen und kaum zu sehen waren, zog die Büchse unter seinem Mantel hervor und sagte:

›Wir wollen einmal sehen, wie es um den kranken Cosma steht.‹

Im selben Augenblick gab er einen Schuß ab; und einen Augenblick danach stand Cosma hochaufgerichtet, die Arme zum Himmel erhoben, uns gegenüber, was so viel hieß wie: ›Ist Gefahr im Anzug?‹

Elias faßte seine Büchse am Lauf, beschrieb damit über seinem Kopf Kreise in der Luft; das hieß: ›Nichts Alarmierendes.‹ Und mit entwölkter Stirne rief er:

›Hei! Ein gutes Zeichen! Wenn nur seine Beine ihn wieder tragen!‹

Als wir wieder unten waren, machte er mich auf alte Schafskötel aufmerksam und sagte:

›Es müssen Herden in der Nähe sein. Komm mit, wir wollen uns ein junges Lämmchen holen.‹

Tatsächlich grasten am Rand der Ebene auf einer großen, feuchten, mit Weidenbüschen da und dort bestandenen Wiese zahllose Schafe. Als wir näher kamen, stürzten fürchterliche Hunde auf uns zu, uns anzufallen. Auf einen einzigen Ruf des Hirten liefen sie zurück, streckten sich fügsam zu seinen Füßen und schlugen mit dem Schwanz den Boden. Der Mann war von Zwerggestalt. Er stand da, braun, stark behaart, die Katschiula bis auf die Brauen herabgezogen, in der langen Sarica, die ihn ganz bedeckte, und erwartete uns, das Kinn auf seinen hohen Stock gestützt. Man wußte nicht, ob er bewaffnet war oder nicht, aber der starke Willensausdruck, der auf diesem von reichen Lebenserfahrungen gezeichneten Gesicht lag, seine ruhige Haltung und besonders dieses kleine schwarze Auge, das uns von weitem bis auf die Nieren prüfte, mußten jedem, der Sinn für Menschenwürde hat, Eindruck machen. Nur ein Feigling kann einen solchen Menschen niederschlagen, und dann erschüttert sein Sturz die ganze Erde.

Zehn Schritte von ihm blieb Elias stehen.

›Einen guten Tag, Hirte, wünschen dir wohlwollende Männer!‹

›Seid willkommen, Wanderer, und möget ihr so wohlwollend denken, wie ihr sprecht.‹

›Wir denken zunächst: bist du der Herr über diese Herde oder der Diener?‹

›Ich bin der Herr über meinen Willen. Diese Herde läßt mich in Freiheit leben.‹

›Wenn das so ist, dann sage uns, wieviel Sfanz wir dir für ein Lamm bezahlen müssen, das den Hunger von vier gesunden Menschen stillen kann?‹

›Die Sfanz, meine Lieben, machen die Erkenntlichkeit nicht aus. Wählt nach Belieben. Aber da es nur für den Hunger ist, nehmt ihr vielleicht hier dieses mit der schlechten Wolle. Verzehrt es in Gesundheit und dankt mir damit, daß ihr meiner gedenkt.‹

 

Die Sonne hatte über ein Viertel ihres Weges am Himmelszelt zurückgelegt, als wir wieder zu Cosma und Floritschika stießen, Elias mit dem Lämmchen unterm Arm. Sie hatten ein Zelt aufgeschlagen und lagen schweigend ausgestreckt im Schatten. Von unserm Gepäck befreit, grasten die Pferde. Auf die Flecken von geronnenem Blut hatten sich große grüne Fliegen gesetzt. Elias warf Erde darüber, dann ging er, ohne ein Wort zu sagen, weit weg in die Brombeeren und kam erst spät mit dem gebratenen Lamm zurück, das ganz beschmutzt von Glut und Asche war.

Wir hatten kein Brot mehr, Wein kaum eine halbe Ploska. Elias breitete ein Leintuch auf die Erde und zerlegte das Lamm. Floritschika kam, sichtlich ausgehungert, heran und ließ sich mit gekreuzten Beinen nieder. Cosma tat ein Gleiches, aber ohne Lust, nur ganz mechanisch; seine Gedanken weilten in der Ferne, er war nicht unter uns. Elias suchte ihn zurückzuführen.

›Freunde, unterwerfen wir uns den Gesetzen, die nicht von Menschenhand gemacht sind …‹ sagte er entblößten Hauptes, und frommer Glaube sprach aus seinem schmalen Antlitz.

›Ich unterwerfe mich nicht!‹ unterbrach ihn Cosma.

› – … und anerkennen wir sie als unerschütterlich …‹

› – … ich anerkenne nichts!‹

Elias stand bestürzt. Nachsichtig, wie er war, wollte er Cosma nicht noch mehr reizen und setzte sich als erster zum Essen. Aber wir hatten schon alle unser Mahl beendet, als Cosma noch nicht drei Bissen zum Mund geführt, noch nicht dreimal getrunken hatte. Er selber machte sich die meiste Sorge darüber.

›Bruder Elias, ich habe »mein Todesjahr angetreten« … Solange ich zurückdenken kann, hat mir noch nie der Zorn den Appetit verdorben. Bruder Elias, was meinst du dazu?'

Elias sah ihm fest in die Augen:

›Bade Bade: volkstümliche ehrfurchtsvolle Anrede, die man jedem Älteren gegenüber gebraucht. Cosma, ich meine, daß du sterben wirst‹ …

Jetzt war es an Cosma, bestürzt zu sein; es gab ihm einen gewaltigen Ruck:

›Nicht wahr, Elias, ich werde sterben? Und Floritschika wird mich töten! …‹

›Aber ich liebe dich doch,‹ beteuerte Floritschika, ›ich habe dich immer geliebt!‹

›Du hast mich immer geliebt …‹ spottete ihr Cosma nach. ›Und du kommst schuldig zu mir! …‹

›Was hast du mit denen gemacht, Cosma, die unschuldig zu dir gekommen sind?‹

›Ich habe sie am nächsten Tag vergessen. Aber das ist nicht meine Sache, das ist Gottes Sache: an ihm ist es, die Ungerechtigkeiten des Mannes zu erklären, hat er ihm doch den Ranzen mit Lüsten bis zum Zerplatzen vollgestopft und die Begierde in ihn gelegt, stets seinen Durst an ungetrübtem Quell zu löschen.‹

Elias machte große Augen und griff vermittelnd ein:

›Wahr, Cosma! … Wenn Gott gerecht ist, muß ihn diese Angelegenheit beschweren. Ich nehm' dich, wie du bist mit deinem Wahn. Und wenn, um dich dem Tode zu entreißen, eine selbst unser unwürdige Rache dir genügt, leihe ich dir ohne weiteres meinen Arm. Sag' mir, auf wen du wütend bist?‹

›Auf Gott … und die Welt!‹

›Aber wir können uns weder mit Gott noch mit der Welt herumschlagen! Und wenn dir von Floritschika ein Leid geschah, so kann sie nichts dazu.'

›Ich habe Cosma nichts zuleid getan‹, klagte Floritschika. ›Anderen, ja, wie dem Archonten Samurakis, der bei lebendigem Leibe von euch verbrannt wurde …‹

›Wohl bekomm's! …‹ knirschte Cosma.

› – … oder dem Pascha von Silistria …‹

› – … dem Pascha von Silistria! Du bist von diesem Hund besudelt worden? Und ich sitze hier und esse Lammbraten, anstatt noch heute meine Hände in seinem Blut zu kühlen!‹

Mit diesen Worten sprang Cosma auf, und nun ereignete sich etwas, das mir wie eine plötzliche Erleuchtung kam.

 

Wir hatten uns alle erhoben. Cosma, bleich bis in die Lippen, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte:

›Jeremias, mir ist weh. Man hat mich gekränkt, und es ist mir zumut wie einem Spieler, der sein ganzes Vermögen verloren hat und sich zugrunde gerichtet sieht. Bist du opferwillig? Willst du so wie Elias mir deinen jungen Arm zu einer niedrigen Handlung leihen? Sie ist niedrig, mein Junge, aber vielleicht wird sie mir Erleichterung schaffen: ich will dem Pascha von Silistria geschmolzenes Blei in die Kehle gießen. Hilf mir! Du bist mein Sohn, du hast mir Leben und Freiheit zu verdanken.‹

Da sprang Floritschika wie eine Löwin zwischen uns und trennte uns mit Ungestüm.

›Lüge!‹ schrie sie, und die Augen traten ihr aus dem Kopf. ›Lüge! Mir hat er Leben und Freiheit zu verdanken. Er ist die Frucht eines flüchtigen Traums und soll sein Leben einem Traume weihen: ich bin seine Mutter!‹

Als ob ein Blitz vor uns eingeschlagen hätte, fuhren wir mit einem Satz zurück, während Floritschika hochaufgerichtet wie eine Rächerin vor uns stand.

Cosma griff sich an die Stirn und fragte in Spannung:

›Wer bist du, rätselhaftes Weib? Bist du von ungefähr die kleine Tschobanitza aus dem Kiefernwäldchen? … Bist du die Frau, die mit dem Knaben in den Armen plötzlich auftauchte, ihn dann am Wegrand niederlegte und verschwand?‹

Floritschika kreuzte die Arme über der Brust und antwortete mit tränenerstickter Stimme, die mir das Herz zerriß und mir den nächtlichen Besuch in meiner traurigen Coliba beim Archonten ins Gedächtnis rief:

›Ich bin eine, die für sich das ganze Glück begehrt hat, die träumen wollte, die offenen Augen der Sonne zugekehrt, und sich dabei die Augen verbrannt hat! Du, Cosma, bist mir in einer Traumnacht die Sonne eines Augenblicks gewesen, und du hast mich gelehrt, das Leben richtig zu betrachten. Seitdem bin ich meinen Weg gegangen. Ich habe mein Golgatha erklommen, und ich komme reiner zu dir zurück als je: ich will nicht mehr das ganze Glück für mich allein. Ach, du hast nicht denselben Weg zurückgelegt wie ich. Du kennst kein Erbarmen. Ungerechtigkeit empört dich nur, wenn sie dich selber trifft. Und um dir eine deiner Lüsten zu befriedigen, könntest du die ganze Welt zugrunde gehen sehen. Aber ich werde dir beweisen, Cosma, daß du noch immer mein Abgott bist: du hoffst, daß eine niedrige Rache dein Herz vom Groll befreit, der an ihm nagt, und du willst deine Hände, die dazu bestimmt sind, Ketten zu sprengen, mit einem Blutfleck nichtswürdig besudeln; mehr noch als das, du willst aus Jeremias einen gemeinen Mörder machen, wo doch sein junges Herz allein den Aufruhr der gerechten Empörung kennen soll. Wohlan, ich mache dir den Vorschlag, euch zu dem Pascha von Silistria zu führen, doch unter der Bedingung, daß ihr mir gehorcht: schwöre mir Gehorsam!‹

›Gehorsam?‹ rief Cosma aus und neigte den Kopf. ›Ja, Floritschika, ich werde dir gehorchen, ich, der ich stets nur meinem Willen gehorcht habe; aber das zeigt mir aufs neue, daß ich mein »Todesjahr« angetreten habe. Cosma ist nicht mehr Cosma in dem Augenblick, wo er gehorcht!‹

* * *

Das Weib muß in seinen Röcken etwas von dem Geheimnis bergen, das bei der Erschaffung der Welt gewaltet hat.

Dieser Gedanke kam mir in den Sinn, als ich Floritschika neben Cosma dahinreiten sah und Elias und ich uns dicht hinter ihnen hielten. Sie saß rittlings. Ihr weiter Rock behinderte sie kaum auf einem Männersattel, doch sah man ihre Beine, die in Strümpfen aus ungefärbter Seide steckten, bis ans Knie, Beine, die einem lebensmüden Eremiten hätten den Kopf verdrehen können. Ihr Oberkörper in gerader Haltung und bequem in einem ärmellosen Mieder wiegte sich sicher und anmutig mit dem Gang des Pferdes, während sich ihr Kopf unablässig wie in einer Schraube drehte und den Blick über die weite Ebene wandern ließ. Da fragte ich mich, da ich wußte, daß wir ihr Gehorsam gelobt, wo dieser Wille, der sich uns so herrisch aufgezwungen hatte, saß: in diesem kleinen, zarten Kopf oder in diesen geheimnisvollen Röcken, die den Rücken ihres Renners ganz bedeckten? … Neben ihr kam mir der schwere, massige Cosma, der nicht mehr das Kommando hatte, wie leblos vor. Elias … er hatte nichts verloren und nichts gewonnen. Aber es war trotzdem kurios, daß dieses Weib mit einem Schlage Cosmas Willen und des Elias Vernunft besaß.

Und sie gab sich für meine Mutter aus! Und Cosma gab sich für meinen Vater aus! Und jetzt wollten sie alle beide eine Angelegenheit ins reine bringen, die ich nicht ganz verstand: mit dem Pascha von Silistria abrechnen, weil er Floritschika geliebt hatte, vor Cosma oder nach Cosma, das wußte ich nicht recht! Wo war die Schuld dieses Paschas? Und wo das Recht Cosmas? Und warum ließ man unsere Geführten angstvoll unser harren?

Welch rätselhafte Dinge!

Ich war indessen nicht mehr so bedrückt, seitdem ich wußte, daß Cosma sich gefügt hatte, denn er hatte angefangen, mir Schrecken einzujagen. Elias sah auch zufrieden aus. Unser Unternehmen sollte also nicht zu tragisch werden, und mir machte die Vorstellung Spaß, daß ich nun einen richtigen Pascha zu schmecken bekommen sollte, nachdem ich von einem Archonten gekostet hatte.

 

Um nach Silistria zu gelangen, mußte man die Donau auf einer Fähre überqueren. Floritschika führte die Kavalkade auf die Staatsstraße, anstatt einen kleinen Bezirksweg einzuschlagen, und auf Cosmas Bemerkung, daß dieser Weg gefährlich sei, gab unser Kommandant im Weiberrock eine ebenso treffende wie lustige Antwort:

›Es wäre klug und vorsichtig, einen verborgeneren Pfad zu wählen; aber auf dieser offenen Hochebene, wo man auf eine Meile sehen kann, wenn eine Feldmaus sich den Schnurrbart putzt, den kleinen Weg zu nehmen, hieße sich nach Straußenart verstecken und die Aufmerksamkeit der Patrouillen auf sich ziehen. Es ist also besser, rundweg den Weg der »Makellosen« zu reiten und mit jenem »Quentchen Glück« zu rechnen, das manchmal Wunder tut. Kennt ihr die Geschichte?‹

Wir kannten sie nicht.

›Daran sieht man,‹ sagte sie, ›daß ihr nicht in der Schule gewesen seid. Ich will sie euch erzählen: Zwei Männer gingen zusammen über eine Landstraße. Der eine besaß eine Tonne Weisheit, der andre ein Quentchen Glück. Da die Sommernacht sie zwischen zwei Dörfern überraschte, beschlossen sie, bei Mutter Grün zu schlafen. Ohne viel zu überlegen, zog sich der mit dem Quentchen Glück seine Geba über den Kopf und legte sich mitten auf die Straße. Der andre, der eine Tonne Weisheit besaß, sagte sich: Es kann ein Wagen kommen und mich überfahren. Und er legte sich neben der Straße ins Gras. Spät in der Nacht fuhr ein Zweispänner vorüber. Als die Pferde an den dunklen Fleck mitten auf der Straße kamen, scheuten sie, machten einen Satz zur Seite und überfuhren den, der im Grase schlief. So ist häufig ein Quentchen Glück mehr wert als eine Tonne Weisheit. Mit diesem Glück müssen auch wir rechnen, wenn wir die Fähre erreichen wollen. Und wenn es uns nicht hilft, dann bleiben uns wie immer noch das Blei unsrer Gewehre und die Beine unsrer Tiere.‹

 

Zu unserem Glück brauchten wir weder das Quentchen noch die Tonne: es stieß uns nichts zu. Aber ich empörte mich über ein Abenteuer, das uns auf einem so ungünstigen Terrain mit zahlreichen Patrouillen ins Handgemenge bringen konnte. Und wozu in aller Welt? Cosma wußte sich doch von uns allen geliebt, was zum Teufel brauchte er sich jetzt mit diesem Pascha einzulassen!

Ich fragte Elias danach. Er antwortete:

›Cosma hat sein »Todesjahr« angetreten. Er möchte von der Sonne fordern, daß sie in umgekehrter Richtung gehe und zunichte mache, was er getan hat. Das geht nicht an. Und Cosma wird sterben. Aber wir dürfen ihm nichts abschlagen, selbst nicht, unser Leben für eine Narretei aufs Spiel zu setzen, denn, siehst du, Jeremias, die Narrheit nimmt einen viel größeren Platz im Leben ein als die Klugheit.‹

Diese Antwort befriedigte mich ganz und gar nicht, und die Vorstellung, einen richtigen Pascha zu sehen, machte mir von dem Moment an keinen Spaß mehr, wo es sich darum handelte, den Patrouillen Trotz zu bieten. Ich war gerade erst der einen Sklaverei entronnen, und nun erwartete mich vielleicht schon am anderen Ufer der Donau eine neue, vielleicht sogar der Tod.

Ich verlegte mich aufs Schmollen. Cosma wurde dessen bald gewahr und erriet den Grund; er verlangsamte den Schritt, ritt zu mir heran und sagte mit einem Gleichmut, der mich erschütterte:

›Es ist noch nicht lange her, da habe ich dir davon gesprochen, daß wir in der höchsten Freude und im tiefsten Leid allein sind, daß niemand uns folgen kann. Du siehst, wie recht ich hatte: jetzt hat mich das größte Leid betroffen, und jetzt bin ich allein. Nun denn, Freunde, ich zwinge niemand, mir in meiner Narrheit zu folgen. Kehrt alle drei zurück zu unserem Trupp; Elias weiß den Weg. Ich aber gehe allein, wohin mein Mißgeschick mich treibt, allein mit meinem Pferd, mit meinen beiden Büchsen, meinen vier Pistolen, meinem Jatagan, mit meinem Hemd und meinem Schicksal …‹

Ich ließ ihn nicht weiterreden. Ich fiel ihm um den Hals und küßte ihn. Er blieb kalt und gleichgültig gegenüber meinem Gefühlsausbruch und den Worten der anderen, die ihn ihrer Ergebenheit versicherten. Aber er verließ uns nicht. Und gemeinsam nahmen wir den Ritt wieder auf.

Als wir uns dem Rand der Hochebene näherten, erschien plötzlich vor unseren Augen, tief unter uns in weiter Ferne, ein grauer Streifen zwischen Waldesgrün: die Donau, in ihrer Abgeschiedenheit dem freien Mann ein Paradies.

Bei ihrem Anblick richtete sich Cosma in den Steigbügeln auf und stimmte mit seiner männlichen und weittragenden, jedoch vom Leid gebrochenen Stimme ein Haidukenlied an:

Zöllner, hol' über,
Fahr mich hinüber
Zum Gospodar Gospodar: Herr.:
Reichtum erstickt ihn,
Gnädig drum schickt ihm
Gott den Haiduk.

 

Kaum hatte er seinen Gesang beendet, da tauchte aus dem Schatten eines Tälchens eine Kalesche auf und kam langsam die Steigung herauf, die wir hinunterritten. Wir beunruhigten uns, gewahrten aber alsbald, daß der Wagen von einem einzelnen Mann gelenkt wurde, einem Landedelmann, der nach abendländischer Art gekleidet war: Zylinderhut, hoher Stehkragen, um den sich eine Halsbinde schlang, Überrock, Reithose und Stiefel. Er hatte den Schnurrbart rasiert und trug einen Backenbart.

›Macht euch keine Sorge,‹ sagte Floritschika, ›ich kenne ihn. Es ist ein Freund …‹

Cosma führ in die Höhe:

›Was? Ein Freund von dir, diese Vogelscheuche?‹

Der Edelmann kam näher, zog schon von weitem seinen Hut, blieb halten und begrüßte Floritschika in einem gewählten Rumänisch:

›Ich entbiete meine ehrfurchtsvollsten Huldigungen der »Joupânitza« Floritschika!‹

Und als sie ihm die Hand zum Kuß reichte, bohrte Cosma seinem Pferd die Sporen dermaßen in die Weichen, daß es auf die Hinterbeine stieg.

›Sind Sie schon lange von Konstantinopel fort? Man hat Sie sehr vermißt!‹

›Ah,‹ entgegnete Floritschika kokett, ›es hat Ihnen an Frauen gefehlt?‹

›An Frauen? Gewiß nicht. Jedoch an Frauen von Geist!‹

Und mit einem hochmütigen Blick auf uns fragte er:

›Was ist denn das für eine Gesellschaft?‹

›Förster, die ich eben angeworben habe.‹

›Hm! … Man würde sie für Räuber halten!‹

›Mein Gott, Förster wie Räuber tragen Bärte und Waffen und waschen sich selten.‹

›Da wir grade von Räubern reden, haben Sie von den Verwüstungen gehört, die der Haiduk Cosma im Lande anrichtet? Es ist herzzerreißend. Aber die Unseren sind auch im Unrecht, sie treiben die Ausbeutung über das Maß des Erträglichen hinaus.‹

Hierauf küßte er Floritschika aufs neue die Hand, grüßte sie mit einer ganz tiefen Verbeugung und fuhr im Schritt davon.

 

Aber Cosma nahm seinen Weg nicht wieder auf. Jetzt bemerkten wir, daß er während dieser kurzen Unterhaltung das eine Ende seines Schnurrbartes bis auf die Lippe abgenagt hatte. Und er rührte sich nicht, blieb ganz ruhig und spähte nur aus dem Augenwinkel hinter dem Bojaren her, der sich langsam entfernte. Als dieser einige fünfzig Schritt weit weg war, nahm er ihn aufs Korn und schoß ihn in den Rücken, schneller als man es erzählen kann. Der Mann stürzte getroffen zu Boden; die Kalesche fuhr querfeldein.

›Das wird dich lehren, du Drecksack, Frauen die Hand zu küssen, die in Gesellschaft von Männern sind, die sich selten waschen!‹ brummte Cosma.

Und zu Floritschika gewandt:

›Hast du auch mit diesem Hampelmann geschlafen? O Unglück über Unglück! Ich werde zu tun bekommen, wenn ich in Stambul sie alle suchen und töten soll!‹

Und dann zu mir:

›Geh, Jeremias, wenn er noch nicht krepiert ist, erledige ihn mit dem Revolver.‹

Ich unterzog mich dem Befehl und kam zurück: er war schon tot, der Kopf war ihm zerschmettert.

›Ich achte dich nicht mehr, Cosma,‹ sagte Floritschika, ›obwohl ich dich noch immer liebe: du hast mir Gehorsam gelobt und …‹

›... und habe es aus Mangel an Gewohnheit vergessen …‹

›Nun, du hast einen der besten Männer getötet, die ich kenne und der nur einen Fehler hatte: reich zur Welt gekommen zu sein und wie alle Reichen seiner Zeit zu glauben, daß Gott selber die Menschen ungleich erschaffen habe. Aber zum Unterschied von anderen hatte er auf seinen Besitzungen die Leibeigenschaft aufgehoben und hatte Krankenhäuser errichtet …‹

Cosma schnitt ihr gereizt das Wort ab: ›Jawohl, er hatte den Menschen die Haut abgezogen und ihnen dafür ein Hemd angeboten! … Im übrigen scher' ich mich den Henker darum! … Ich lass' nicht Schindluder mit mir treiben!‹

Und nach einem langen peinlichen Schweigen:

›– … Nun haben wir nichts mehr beim Pascha von Silistria zu suchen: ich wollte ihn züchtigen, weil ich ihn für deinen einzigen Liebhaber hielt; aber du hast ja Dutzende gehabt, und bis nach Zarigrad. Wozu also? Das alles wäre doch nur für die Katz! Nein, ich kehre lieber ins Lager zurück. Dort unten werde ich dann sehen … Das heißt, ich werde nichts sehen, ich werde mich dem Ekel überlassen, der mir die Kehle würgt.‹

* * *

Mit einbrechendem Abend kamen wir im Lager an, und sogleich vergaß ich Cosma und seinen Ekel und meinen Groll und warf mich wie besessen in die offenen Arme einer Natur, der der Mensch noch nicht Gewalt angetan hatte. Da gab es alte Weiden, umfangreich wie Tonnen, deren hohle Stämme zwei aufrechtstehende Männer fassen konnten. Hunderte von kleinen Kanälen – wasserreiche Adern der freigebigen Donau – durchzogen den Boden nach allen Richtungen und befruchteten auf Dutzende von Kilometern eine morastige Erde, von der niemand etwas wissen wollte, die aber das Glück der Sumpfpflanzen bedeutete, die hier vor Saft beinahe platzten. Fische, Vögel, Insekten lebten, trotz Wolf und Fuchs, in Frieden, freuten sich ihres Daseins und ehrten des Schöpfers Werk.

Nur er, der Mensch, von allen Tieren der Erde das wildeste, sät auf seinem Wege Tod, Elend, Sklaverei, da, wo mit so geringer Mühe weit weniger Verbrechen und um so mehr Genüsse unser harren könnten.

 

Ich fand unsere Kameraden ein wenig gealtert, sie fanden, ich sei groß und schön geworden.

Mitten auf einer weitausgedehnten Insel hatten sie, sechs Wegstunden von der letzten Behausung entfernt, einen kleinen Weiler angelegt. Durch die Vorposten von unserm Eintreffen verständigt, begrüßten sie uns mit drei Salven, die sie aus zehn Gewehren zugleich abfeuerten, und riefen:

›Hoch lebe unser kühner Hauptmann und seine schöne Braut! Und der weise Elias und der tapfere Jeremias, den wir für tot gehalten hatten, sie sollen leben!‹

Das machte mich ein wenig lachen; denn diese Kundgebung, wenn sie auch echter war, glich wie ein Tropfen Wasser dem andern jener, die am Hofe des Archonten stattgefunden hatte, anläßlich Cosmas Rückkehr mit Floritschika aus Stambul. Ich dachte bei mir:

›Ob frei, ob Sklave, alle Menschen haben ungefähr dieselben Bräuche und dieselben Regungen. Hol sie der Teufel!‹

Und ich tollte umher wie ein Füllen, ganz außer mir vor Freude. Es war aber auch aller Grund dazu!

Auf einem etwas erhöhten freien Platz standen überall gut am Boden befestigte Zelte, die nichts enthielten als ein Lager aus Schilf und Heu und einer Decke. Alles übrige, einschließlich der Waffen, war in den Höhlungen der Weiden wie in Schränken aufgehängt; und jeder Schmuggler hatte einen Baum für sich. Auch ein Weib für sich besaß fast jeder. Jung und leichtsinnig und ganzbedeckt mit Mückenstichen wuselten sie auf bloßen Füßen herum.

Als die Mittagessenszeit heranrückte, ging es wie in einer Soldatenküche zu. In großen Kesseln, die an Nothaken aufgehängt waren, kochte die »Mamaliga« Mamaliga: Ein dicker Maismehlbrei, eine Art Polenta., die wunderbar nach Maismehl roch; und von der »Tertschiu« Tertschiu: Der eingedickte Saft dieses Breies. spritzten brennend heiße Tropfen den Köchinnen auf ihre bloßen Füße. In anderen Kesseln bereitete man eine »Tschorba« Tschorba: Suppe. aus Hecht mit Zwiebel, Petersilie, Liebstöckl und Fenchel, indessen über glühenden Kohlenhaufen zwanzigpfündige Karpfen, mit rotem Pfeffer eingerieben, noch an ihren Holzspießen zappelten. Auch noch ein Dutzend Wildenten und -gänse, mit Knoblauch, Zwiebel und Räucherspeck gefüllt, brieten am Rost. Und so verlockend waren die Düfte, mit denen diese Bratenküche die ganze Gegend erfüllte, daß selbst die Wölfe vor Begierde heulten.

Zu solchem Essen mußte es auch was zu trinken geben, den etwa sechzig Mäulern den Durst zu stillen, und bekanntlich »läßt sumpfiges Wasser kleine Frösche im Bauch entstehen«. Nun denn, zu trinken gab es nicht zu knapp!

Ein Hundert-»Vadras«-Faß Vadras: 15 Liter. mit einem Weinchen, das den Gaumen schmunzeln machte, zur Frischerhaltung unter einem Haufen feuchten Grases wohlversteckt, erweckte – einer göttlichen Kapelle ähnlich – geheimnisvolle fromme Schauer. Und neben diesem Heiligtum schloß noch ein Zwanzig-Vadras-Faß – gar wunderlich vergleichbar einem Tabernakel – den heiligen Geist einer gebenedeiten »Tsuika« Tsuika: Zwetschenwasser. ein, die sogar Tote hätte auferwecken können.

 

Aber zu unserem Glück gab es keine Toten, die uns mit ihrer Zeugenschaft vom ewigen Nichts gelangweilt hätten. Selbst Cosma, der den Tod im Herzen trug, vergaß ihn an jenem Abend, schloß sich uns in allem an und gab als unser Hauptmann das Zeichen auch zu diesem Angriff.

Alles saß am Boden, in Hufeisenform, und jeder konnte nach Belieben hingehen, sich von der Mamaliga herunterschneiden, seine »Troaka« Troaka: Tiefer Holzteller. mit dem Gericht füllen, das sein Herz begehrte, dann wieder auf seinen Platz zurückkehren und von dem Teller auf den Knien essen, die Tschorba mit dem Holzlöffel und das Gebratene mit den Fingern. Was den Wein anlangte, so pilgerten die kleinen »Cofas« Cofa: Gefäß aus Holzdauben mit Henkeln. ununterbrochen leer nach der Kapelle und kamen mit dem göttlichen Blut Christi gefüllt zurück.

Mit einem Gesicht, das wie das Innere einer durchgeschnittenen Blutmelone leuchtete, den Becher Tsuika in der Hand, wie alle anderen Zechgenossen, sprach Cosma:

›Freunde! … Leben und Tod sind die beiden ewigen Werke der Stute Gottes: mit ihren Nüstern facht sie auf Erden die Leben an und löscht sie aus. Wir haben nicht gefordert, zur Welt zu kommen, und deshalb schulden wir auch niemand etwas. Wir haben nur eine Pflicht: es uns wohl ergehen zu lassen. Und damit es uns wohl ergehe, müssen wir drei gute Dinge tun: gut essen, gut trinken und gut furzen! Laßt uns jetzt mit Essen und Trinken den Anfang machen! Furzen wollen wir nachher unterm Zelt!‹

Brüllendes Gelächter war die Antwort, die diese Rede fand. Die Humpen wurden in den Schlund geleert, die Tsuika stachelte gewaltig die Eßlust an, und alle fraßen wie die Drescher und soffen wie die Bürstenbinder. Zur Zeitersparnis kamen die Mamaligakugeln, schnell in der Hand geformt, als gut gezielte Wurfgeschosse von weither geflogen. Die Löffel waren geleert, ehe noch die Lippen sie berührten. Und wenn beim Schlingen des gebratenen Karpfens oder Hechts die Gräten dem Esser etwa gar zu viel zu schaffen machten, wurde der ganze unheilvolle Bissen glatt nach rückwärts ausgespuckt. Gesichter verschwanden völlig in den Cofas und säumten drin, bis daß der Hals sich blähte und blau ward. Dann hatte der Trinker nur den einen Wunsch: dem Schöpfer vorzuwerfen, daß der Atem des Menschen so kurz und der Platz in seinem Bauch so knapp bemessen sei.

Um dieser göttlichen Ungeschicklichkeit ein wenig abzuhelfen, sprang solch ein Kumpan, der sich in seinen Menschenrechten geschmälert fühlte, dann hurtig auf und schickte sich an, von einem Bein aufs andere zu hüpfen, um so das Essen besser zum Rutschen zu bringen; dann machte er sich wieder an die Arbeit. Auch durch Rülpser konnte man sich das Verfahren erleichtern; dies war jedoch nicht immer glücklich, denn rülpste man mit vollem Munde, dann wurden die Speisen ins Hirn hinauf befördert und kamen zur Nase wieder heraus.

 

Als der Schmaus seinem Ende entgegenging, sollte unsere Verdauungsruhe eine Störung erfahren. Der Unterkommandant der Bande erhob sich von seinem Platz am äußersten Ende unserer Halbrunde, wies auf einen Mann, der neben ihm saß, und sprach zu Cosma:

›Hauptmann, vielleicht hast du bemerkt, daß sich ein Fremder unter uns befindet: es ist jener Mönch, der sich eines Tages bei einem unserer Wachtposten gemeldet hat und den wir einstweilen zugelassen haben, nachdem wir ihn als einen zuverlässigen und tapferen Empörer erkannt hatten. Er möchte auf deine Gesundheit trinken und um seine endgültige Aufnahme bitten.‹

Nun sahen wir einen noch jungen Mann von mittlerer Gestalt mit mächtigen Schultern sich erheben; ein wohlgepflegter blonder Bart und Schnurrbart umrahmten ein peinlich sauberes, doch fahles Antlitz, das von einer vorspringenden Stirn, kahl wie ein Kürbis, überwölbt war, und in dem zwei große freiblickende aschgraue Augen blitzten. Seine ganz vertragene, geflickte Kutte, die bis an die Knöchel reichte, verlieh ihm etwas Düsteres.

Mit klarer Stimme sprach er etwa diese Worte: ›Ja, Cosma … ich möchte vor allem auf dein Wohl trinken, sodann auf das deiner Haidukenschar, und ich bitte, mich in diese aufzunehmen. Aber gestatte mir, dir was zu sagen: deine Worte von vorhin haben mich ein wenig enttäuscht. Wie? Leben und Tod die ewigen Werke einer Stute? Ward etwa diese Stute von Gott selbst bestiegen? Nein, das kann nicht sein! … Leben und Tod sind Werke Gottes, nicht seiner Stute, selbst wenn Gottvater eine solche hätte. Und dann die andere Herabsetzung, die du dem Menschen widerfahren läßt mit der Behauptung, er habe keine andere Pflicht außer zu essen, zu trinken und zu furzen! Eine Schweinepflicht! Ich bin enttäuscht. Die Bevölkerung sieht in euch ihre Befreier, und ihrer Hilfe habt ihr es zu danken, wenn man euch nicht von heut auf morgen henkt. Niemand mißgönnt den Tapferen Essen und Trinken, wenn es jedoch nur dazu dient, um unterm Zelt zu furzen, dann zweifle ich wahrhaftig, daß ihr etwas Besseres seid als das Bojarenpack! Heut abend kann ich euch nicht sagen, wer ich bin und welche Wege ich genommen habe, um hierher zu kommen. Ich sage euch nur das eine: seid Befreier – und ich will euch helfen! …‹

Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, da sprang Floritschika von ihrem Platze auf, flog auf den Mönch zu und küßte ihn auf die Stirn:

›Ich küsse meinen Gedanken‹, rief sie.

Die Weiber kicherten – denn Kichern ersetzt bei solchen Weibern das Denken –, während die Kameraden sehr betroffen waren, als sie sahen, daß Cosma auf diesen Vorfall hin gar finster dreinschaute.

Elias sah ganz zufrieden aus.

›Was sagst du zu diesem sonderbaren Mönch, Elias?‹ fragte ihn Cosma.

Elias zuckte die Achseln und blickte auf Cosmas verzerrte Miene:

›Ich sage, ein jeder Mönch hat sein Kyriakodromion …, das den Weibern Freude macht; erinnere dich an den Erfolg, den vorige Woche deines hatte.‹

Inzwischen war es dämmerig geworden; man unterschied nur noch mit Mühe die Gesichter. Eins nach dem andern suchten die Paare jetzt ihre Lager auf. Und in dieser Nacht hörte ich als Folge des allzu reichlichen Genusses jede Art von Seufzer aus den Zelten dringen.

* * *

Und nun das Ende der Geschichte:

Cosma stand am nächsten Morgen in miserabler Laune auf und rief vom Eingang seines Zeltes aus:

›Wenn wir in dieser Weise weitermachen, dann werden wir in kurzem ein halbes Dutzend Hebammen benötigen. Los! Die Weibchen mögen sehen, daß sie weiterkommen und bei ihren Müttern werfen. Wir aber: gepackt! gesattelt! und marsch, marsch!‹

›Und ich?‹ fragte Floritschika.

›Du, du bist kein Weibchen, du bist ein Mann, ein richtiger Haiduk! Das Schicksal sendet dich, mich abzulösen und mich noch zu übertreffen von dem Tag ab, an dem ich sterben werde. Und dieser Tag ist nicht mehr fern: heut nacht hat mir geträumt, mein nächster Büchsenschuß verfehle den Feind bei Vollmondlicht. Dies wird der dritte Fehlschuß meines Lebens bei Vollmond sein und meine »Ursitele« Ursitele: Schicksalsfeen. haben es bestimmt, daß ich durch diesen letzten Feind den Tod erleide. So wird es sein. Und es wird gut sein; Cosma hat gelebt.‹

Die Männer machten sich alsbald ans Packen. Indessen ihre Liebchen, während sie die letzte Mahlzeit kochten, von Zeit zu Zeit in Tränen schwammen, den Kopf an eine Weide oder an die Schulter des Freundes gelehnt, der sie verlassen sollte.

Floritschika, obgleich auch sie ein Weib, zeigte ein starkes Herz, ein richtiges Haidukenherz, wie Cosma es von ihr erwartet hatte.

›Natürlich‹, sprach sie zu den Klageweibern, ›seid ihr nun trostlos, doch habt ihr selber Schuld daran. Ihr habt vergessen, daß diese Männer jenseits des Gesetzes stehen, daß sie auf dem Pferde schlafen und das Weib im Sattel umarmen müssen. Die Geliebte hat hier nur ein einziges Amt: die Flinte neu zu laden, nachdem der Mann sie abgeschossen hat. Wenn man euch hätte walten lassen, hättet ihr sicher eine Kirche gebaut, einen Bürgermeister eingesetzt, ein Standesamt geschaffen und eine Garnison errichtet.‹

Und zu den Männern, die die Schmuggelware verstauten, sprach sie:

›Ei, seht mir diese Trödler an! Ihr wollt Haiduken sein? Das ist zum Lachen! Stickereien, Perlen, Stoffe, Dolche ohne Schneide und niedliche Pistölchen, der reinste Fastnachtskram, kaum besser als die Lumpen und das alte Eisen, mit denen sie die Bürgersteige der »Mahalas« Mahala: Vorstadt. in Stambul versperren, ha! … ha! … ha! …‹

Alsdann zu Cosma:

›Und du bist der »Hauptmann« dieses Trödelladens?‹

Bei diesen Worten stürzte der Mönch auf Floritschika zu:

›Laß mich, o Weib, die Stirn dir küssen, die meinen Gedanken birgt!‹

Floritschika bot ihm die Stirne.

Cosma sah diesem unmöglichen Auftritt wortlos zu, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in einem Schilfrohrdickicht. Und bald erklang von dort die wehmütige Weise des Haiduken Janko Jiano:

›An dem Ufer des Sereth
Weidet das Pferdchen des Janko,
Weidet und wiehert laut.
Janko schlummert im Gras und träumt,
Träumt, ein verliebtes Teufelsweib
Webe ein Linnen für Janko; Aber kein Linnen zum Hochzeitskleid:
Um auf dem Weg in die Ewigkeit
Zwei schwarze Augen zu decken.‹

Das Lied verklang in der Ferne. Mich erfaßte ein mitleidiges Entsetzen, und ich machte mich auf die Suche nach Cosma, indem ich vorsichtig seiner Spur folgte. Nach Verlauf einer Stunde glaubte ich sie verloren zu haben und stieg in eine Weide, um zu sehen, ob mir nicht die Bewegung des Schilfs seinen Aufenthaltsort verriete. Er war nicht mehr im Schilf, sondern nur einige zwanzig Schritte von mir entfernt am Ufer eines klaren Teiches. Und nun sah und hörte ich unglaubliche Dinge.

Cosma war niedergekniet und betete. Erst berührte er lange den Boden mit der Stirn, dann entrang sich's ihm wie Stöhnen:

›Herrgott! Seien wir gerecht, wenn du gerecht sein willst! Bin ich um Haaresbreite abgewichen vom Gesetz, das du mir in die Brust gelegt hast? Ich war noch ein ganz junger Mensch, als du mich Widerwillen vor Geiz und Selbstsucht hast empfinden lassen, und darum bestahl ich meinen Vater und gab den Armen. Dann bin ich in den Wald geflüchtet und habe von Verbrechen und Räuberei gelebt. Ja, von Verbrechen und Räuberei, gemäß dem Beispiel der Bojaren und des Adels, die von Diebstahl und Verbrechen leben, die Tempel dir zum Ruhme bauen, und die mit deinem Zorn zu treffen du dich hütest. Sie hab' ich überfallen, nicht die Armen. Und wenn mich manchesmal der Arger würgte und ich Elias auf den Rücken sprang und ihn zu Boden drückte, geschah es, weil er allzusehr im Rechte war. Aber tust du nicht das gleiche? Drückst du nicht auch den Armen zu Boden, der dir deine Ungerechtigkeiten vorwirft? Und wenn's so ist, wagst du mir solchen Schmerz zu schicken, der an den Eingeweiden nagt? Hast du die Kühnheit, ich vor mir, der ich dich kenne, als Richter aufzuwerfen? Ptsch! …‹

Und er spuckte in den Teich. Dann streckte er sich auf den Rücken aus.

Kurz danach tauchte aus dem Dickicht eine Frau auf, die eine Kuh zur Tränke führte. Während das Vieh trank, bot sie Cosma guten Tag, nannte ihn ›Christ‹, seufzte und blickte unverwandt auf ihn. Cosma beachtete sie gar nicht. Sie hatte die Arme unter der Brust gekreuzt und hielt eine Gerte in der Hand.

›Ich weiß es,‹ sprach sie, ›du bist Cosma … und hausest mit deinen Kameraden ganz nah von hier im Freien so wie wir. Je nun! Gott der Allmächtige möge dich in seinen Schutz nehmen! Doch habe Mitleid auch mit uns, den vom Geschick Verfolgten. Wir sind arme Teufel. Die Reichen ziehen uns bis aufs Hemd aus. O jemineh! Was tun? Der Herrgott will es, um uns für unsere Sünden zu strafen!'

Ohne sich zu rühren, schnitt Cosma ihr das Wort ab: ›Mach, daß du weiterkommst! … Du bist mir widerlich! … Wir – sind – ar – me – Teu – fel! Idioten seid ihr! Der – Herr – gott – will – es! Ich scheiß auf euren Herrgott! …‹

Und er sprang auf und ging davon.

Die Frau bekreuzte sich und betete: ›Vergib ihm, allmächtiger Gott. Er weiß nicht, was er sagt. Und sein Leben ist hart.‹

 

Zwei Monate lang zogen wir wie zum Tode Verurteilte dahin, ohne einen Schuß außer auf Wildbret abzufeuern, und ritten so wieder die Dobrudscha hinauf den Bergen bei Matschin entgegen. Cosma hatte sich vollständig von uns zurückgezogen, hielt sich abseits und ließ sich selten und dann nur widerwillig selbst von mir oder von Elias begleiten; von Floritschika, die alles tat, um ihn zu trösten, schon gar nicht. Die Leute gaben sich unter der Führung des Unterkommandanten mit lumpigen Plündereien ab, was Cosma stets verurteilt hatte.

Und nun lag Braila uns wieder gegenüber; wir waren in jener für freies Leben wie geschaffenen Gegend, der vielen Hinterhalte wegen für die Poterasch höchst gefährlich.

Kaum hier angelangt verließen uns eines schönen Abends Cosma und Elias ganz geheimnisvoll, setzten über die Donau und blieben fünf Tage weg. Als sie zurückkehrten, rief Cosma als erstes:

›Ich habe meinen dritten Büchsenschuß bei Vollmondschein getan und habe den Mann verfehlt. Vgl. Istrati, Kyra Kyralina (Rütten & Loening Verlag Frankfurt a. M.) Rechnet mich fürderhin nicht mehr unter die Lebenden.‹

Und er warf alle seine Waffen auf den Boden, bestieg sein Roß und ritt im Schritt davon. Elias und ich folgten ihm an diesem und den nächsten Tagen und wichen keinen Zoll von ihm aus Angst, er möchte seinem Leben ein Ende machen; bald aber überzeugten wir uns, daß unser Argwohn unbegründet war. Übrigens entfernte er sich gar nicht weit, trieb sich nur in der Umgebung des Lagers umher; kam zurück, aß und trank zu den unmöglichsten Zeiten und verschwand wieder. Seine Stimmung war weder allzu düster noch sonderlich fröhlich; jedoch auf alle Fragen, die man an ihn richtete, antwortete er nur mit einem Achselzucken. Zuweilen strich er liebkosend über Floritschikas Haar; dann weinte sie, küßte ihm die Hände und versicherte ihn ihrer Liebe. Ein Lächeln huschte über seine Züge.

Jetzt, wo er ohne alle Waffen war, sah Cosma beinahe wie ein Holzknecht aus.

 

O die schrecklichen und doch so schönen Tage jener Zeit. Der Sommer neigte sich dem Ende zu. Die Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge lassen nun alle Kreatur – bis zu der kleinsten – ihrer Lebensfreude Ausdruck geben. Die Legezeit ist vorüber. Das junge Volk der Wildgänse und -enten, der Kiebitze und Wasserhühner kreuzt durch den klaren Äther in endlosen Schwärmen und in Höhen, wohin des Jägers Blei nicht dringt. Die jungen Wölfe und Füchse, die um die Bauernhöfe streichen, erkennt man an dem scheuen Wesen und ihrem makellosen Pelz. Hummeln, Käfer und andere Insekten schwirren umher und stoßen wie betäubt gegen die Bäume. Die Pflanzenwelt setzt ihrem Wachstum Grenzen und gibt sich der Erholung hin und dem Genuß. Das Leben triumphiert über den Tod.

 

In unserem Lager war es grade umgekehrt.

Die persönliche Rache, der sich Cosma und Elias bei ihrem Besuch in Braila gewidmet hatten und die ersterem seinen Fehlschuß einbrachte, hatte die Behörden in Bewegung gesetzt, und wir merkten, daß eine ansehnliche Potera uns auf den Fersen war. Wir waren doppelt wachsam. Man schlief nur mehr mit einem Auge und wechselte fortwährend die Lagerplätze.

Das wirkte schließlich auf alle entnervend außer auf Cosma, der unentwegt bei seinem Gehen und Kommen blieb, als ob wir das friedlichste Dasein führten.

Eines Mittags stand er nach seiner neuen Gewohnheit gleich nach dem Essen auf, um wieder herumzustreifen.

Elias lag auf den Ellbogen gestützt und improvisierte mit tiefer Stimme, die aus dem Grab zu kommen schien:

›Bade Cosma, bleibe da – a – a,
Denn es naht die Potera – a – a! …‹

Cosma drehte sich einen Augenblick um und antwortete, indem er mit noch tieferer Stimme improvisierte:

›Laß sie kommen, ich scheiße drau–au–auf:
Wie sie kommt, so geht sie au–au–auch! …‹

Und er stieg aufs Pferd.

Wir folgten ihm, auch zu Pferd, auf einige dreißig Schritt.

Es war in der Gegend von Isaccea, auf einer einsamen, von hohen Büschen umsäumten Straße. Plötzlich tauchten vor unseren Augen zwei Flintenläufe aus einem Busch auf und richteten sich auf Cosma. Er warf die Arme hoch und schrie:

›Ich bin ohne Waffen!‹

›Um so besser!‹ antwortete man ihm.

Und zwei Schüsse krachten. Wir hatten kaum Zeit, mit einem Büchsen- und Pistolenfeuer auf den Busch zu antworten, denn wir sahen, wie sich Cosma vornüber neigte, den Hals seines Pferdes mit den Armen umfaßte und wie ein Pfeil davonschoß; und da wir ihn für gerettet hielten, sprengten wir hinter ihm her.

Er war nicht gerettet: in voller Flucht stürzte sein Körper wie ein mit Sand gefüllter Sack leblos zu Boden. Das Tier galoppierte weiter.

 


Druck der Spamerschen Buchdruckerei
in Leipzig



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