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Sechstes Kapitel

Der Jäger schreibt an seinen Freund Ernst im Schwarzwalde.

Mentor, mein Mentor, dem leider der verständige Jüngling Telemachos fehlt, was wirst du sagen, wenn du meine Hand und die Überschrift des Briefes zu schauen bekommst? Du, unter deinen Tannen und Uhrmachern, wirst mich nach Reisen und Fahrten aller Art endlich weich und still auf meiner Alm im Schlosse meiner in Gott ruhenden Väter wissen und ausrufen, nachdem du Gegenwärtiges gelesen: Unser Wissen ist eitel Stückwerk! Du wirst dir einbilden und wohlgefällig (du Treuer!) dir sagen, wenn du abends in der Schreibtafel die Agenda durchstreichst, weil sie Nummer für Nummer Akta geworden sind: Endlich wird er nun sich zur Decke gestreckt haben, des Feldbaus warten oder eine nützliche Anlage, etwa eine Papiermühle, machen, und das heiße Blut höchstens an den Sauen und Hirschen seines Wildbanns auslassen, und ist von allem dem nicht ein Titelchen wahr, obgleich ich auch hier, Gott sei es geklagt, auf die Jagd gehe, aber im Dienste eines westfälischen Bauern als Wilddieb gegen meine Herren Standesgenossen.

Ich bitte dich, verliere die Geduld nicht, denn wenn seltsame Dinge von der Seele heruntergebeichtet werden sollen, so darf der Sünder schon etwas stocken und zaudern, und der Beichtvater muß es sich gefallen lassen, das Tüchel lange vor dem Antlitze zu halten. In der Ohrenbeichte aber fühle ich mich trotz meines guten Tübinger Protestantismus immer dir gegenüber, wenn ich etwas habe auslaufen lassen, was nicht innerhalb der Schnur war. Die Sünde kann ich nicht verschwören, aber, ist sie begangen, so verspüre ich wie ein Gläubiger der allgemeinen Kirche ein wahres Reinigungsbedürfnis in der Seele, und mein moralischer Reiniger bist du. Du hast mich in hundert Nöten der Art schon losgesprochen – – ach nein! das hast du nicht, du hast immer bitter gezankt und gescholten, aber es ist nun einmal mein Schicksal; ich kann die Last nicht bei mir verschließen, ich lege sie an der Schwelle des Tempels der Athene, heißt des wohlbekannten Oberamtmannshauses unfern der Hölle (bei Donaueschingen) nieder, und habe dann neue Kraft und frischen Mut zu Gutem und Bösem. – Also: Iterum confiteor, ohne aufs absolvo zu rechnen?

Confiteor ... aber was?

Seit vierzehn Tagen aus Schwaben, liege ich seit acht hier in einem sogenannten Oberhofe unweit – –

*

Ich mußte gestern abbrechen, denn nachdem ich geschrieben, wo ich sei, fehlte mir auf einmal die Brücke zu der Eröffnung, warum und weswegen ich hergekommen? Ich muß also die Sache auf eine andere Weise einleiten. Trotz der bunten Schreibart, die vielleicht noch mit unterlaufen wird, bin ich ernst, klar und in mir gefaßt. Daher sollen dir Dinge entdeckt werden, die du wenigstens in dieser bestimmten Gestalt noch nicht von mir vernommen hast.

Die Geschichtsschreiber pflegen an die Spitze ihrer Werke zuweilen allgemeine Sätze zu stellen, in denen sich der innerste Sinn der Begebenheiten, welche sie schildern wollen, ausprägen soll. Einige solcher Betrachtungen werde ich jetzt meiner Geschichtserzählung voranschicken, weil sie dadurch vielleicht faßlicher wird.

Nach der scharfsinnigen und fruchtbaren Hypothese eines tiefblickenden Naturlehrers entspringen die Instinkte der Tiere aus traumartigen Vorstellungen von den Dingen, welche der Instinkt erstrebt. Der Zugvogel träumt von den fernen Gegenden, in welche er wandert, in traumartigen Umrissen sieht die sibirische Waldschnepfe die deutschen Sumpfstrecken, die Schwalbe den Küstensaum Afrikas. Traumartig schweben der Spinne die Umrisse und Radien ihres Netzes, der Biene die Sechsecke ihres Stockes vor. Es ist eine Hypothese, aber ich nannte sie sinnreich und fruchtbar, weil sie die Kreatur gerade in dem, was ihre bedeutendste Thätigkeit ist, aus der Region des Maschinenmäßigen in ein gottdurchleuchteteres Gebiet hebt.

Wir armen bewußten Menschen scheinen nun von dieser göttlichen Sicherheit des Angreifens und Fassens alles Stoffes entblößt zu sein. Aber es ist nur scheinbar. Alles Genie und Talent ist nichts weiter als Instinkt. Nenne mir den Künstler, den Dichter, der beides nicht aus sogenanntem dunklen Drange geworden wäre! Wir andern haben freilich so bestimmte Fingerzeige nicht in uns, indessen sind fast jedem Menschen – vielleicht jedem – auch ganz feste Richtungen, unverrückbare Punkte eingeboren, welche außen oft als Launen, Grillen, Seltsamkeiten, Liebhabereien erscheinen, dennoch aber vielleicht auf das allerfesteste Gesetz der Seele hindeuten. Es sind dieses nicht die sogenannten Grundsätze, Maximen, Lebensweisen, Gewöhnungen – das alles kann angebildet und angelernt werden – nein, was ich meine, ist etwas ganz Anderes, aber freilich schwer zu beschreiben.

Diese Lichter des inneren Menschen sind Halbträume des Instinkts. Von dem nüchternen Tagesscheine des Verstandes erscheucht, von der wühlenden Hand der Selbstbeschauung zerschlagen, wirken sie nicht so siegreich, wie bei dem Wandervogel und bei der Biene das unwiderstehliche Muß, glücklich ist aber derjenige, der die Stimme jener Träume hört und ihr folgt.

Das Genie wird geboren, sagt man, und darüber ist jeder einverstanden. Ich füge hinzu: Nicht alle werden als Genies, aber dazu wird jeder geboren, sich sein Schicksal zu machen. Selbst die willkürlich scheinenden Grillen sind zuweilen feste Wegweiser zum Glück. Erinnerst du dich noch des armen Tagelöhners in Ludwigsburg, welcher, sonst verständig und fleißig, sich steif und fest einbildete, im Park lägen Granaten, und der zu jeder Freistunde in den Alleen danach suchte, Kiesel und Quarz aufhob und betrachtete? Die Leute hielten ihn für verrückt, und eines Abends fand er in einem der dunkelsten Gänge, eifrigst auf Granaten erpicht, eine vollgespickte Brieftasche, die er ehrlich genug war, dem Verlierer einzuhändigen. Dieser belohnte ihn mit einem Geschenke, welches seine Umstände auf Lebenszeit verbesserte. Das Sonderbarste war, daß, sobald jener Fund gethan war. sein Suchetrieb in ihm versiegte.

Ich habe nun auch in mir ganz bestimmte Instinkte, denn ich will sie nur geradezu so bei mir nennen. Meine Jagdlust will ich nicht anführen, denn es bleibt mit der abenteuerlichen Seite der Region, welche ich dir bezeichnete, allerdings immer etwas Mißliches, obgleich ich nicht berge, daß ich des Gedankens nicht Meister werden kann, mein beständiges Schießen und Fehlen müsse doch irgend einen, mir freilich nicht begreiflichen Zweck haben. Aber lassen wir diesen waidmännischen Instinkt, der mir den Spitznamen »der wilde Jäger« bei euch zugezogen hat, vor der Hand auf sich beruhen!

Aber ein Zweites in mir ist etwas Ernsteres und doch kein Vorsatz, keine Überzeugung, keine Leidenschaft – sondern ein wahrer Instinkt. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl für die Frauen. So lange ich denken kann, wohnt es mir bei. Ich kann es dir eigentlich nicht schildern. Mich durchsäuselt die Ahnung einer unendlich milden Lösung aller Schmerzen, das Vorempfinden eines überschwänglichen Erfüllens und Ergänzens, sehe ich eine Frau. Und nicht bloß Jugend und Schönheit, Reiz und Anmut bewegen meine Seele in einem Bade so erquickender Fluten, sondern in der unscheinbarsten gewahre ich etwas Göttliches, wenn sie mir begegnet. Oft hat mich ein solches zufälliges und gleichgültiges Treffen von trüben, leidenschaftlichen Aufregungen wie mit einem Zauberschlage geheilt; oft habe ich mich auch scheu von allen weiblichen Zirkeln zurückgehalten, weil in mir etwas vorgegangen war, was ich unter Frauen zu bringen für unerlaubt hielt. Seit einiger Zeit habe ich angefangen, meine Blicke auf die Verwickelungen der Welt und Zeit zu richten. Da muß ich dir nun gestehen, daß unter allen den Dingen, nach deren Rückkehr die Menschen seufzen, mir die Herstellung des wahren und beseligenden Verhältnisses zwischen den beiden Geschlechtern als das sehenswerteste erschienen ist. Aber freilich mag dieser Friede wohl der Lohn sein, welcher andern, erst in den übrigen Punkten zum Frieden gelangten Zeiten aufbewahrt wird.

Dich werden diese Bekenntnisse überraschen, denn du hast mich nicht gar zu selten rauh und tölpisch im Umgange mit Frauen gesehen, auch war ich noch nie verliebt. Vielleicht werd' ich es auch nie. Das schlimmste Unrecht thätest du mir, wenn du glaubtest, daß aus mir noch gar ein Süßling werden könnte. Nein, dazu passen wir überhaupt bei uns zu Lande nicht. Nimm meine Worte, wie sie geschrieben sind – sie stammeln von einem Naturgeheimnis.

*

Nun genug der Reflexion und jetzt eine schlichte Historie. Als ich eben nach den Gütern zurückgekehrt war, lernte ich in der Nachbarschaft meine Verwandte Baroneß Clelia kennen, die sich früher in Wien aufgehalten hatte. Ich benahm mich gegen sie, wie es einem schwäbischen Vetter geziemte, sie desgleichen, wie meinem Mühmchen zukam. Keines von beiden dachte an eine Verbindung, wohl aber mochte der Verwandtschaft eine solche gar paßlich vorgekommen sein, denn aus freundlichen Blicken, geselligen Aufmerksamkeiten und zwei oder drei Händedrücken, wie sie ein unbefangenes Wohlwollen giebt und nimmt, war bald für uns ein Netz zusammengestrickt worden, aus welchem wir schlechterdings als Braut und Bräutigam hervorgucken sollten; und der alte Oheim fragte mich eines Tages ganz naiv: wann denn die öffentliche Erklärung vor sich gehen werde.

Wir waren gewaltig betroffen, und wie zwei Leute sonst alles Mögliche anwenden, um einander habhaft zu werden, so ließen wir nichts unversucht, in der Meinung der Sippschaft von einander zu kommen, was in der freundlichsten Einigung von beiden Seiten geschah. Mühmchen Clelia hatte bei diesen Lockerungsbestrebungen ein noch größeres Interesse als ich, denn es ließ sich bald vermerken, daß ihr Herz ihr nach Schwaben nur an einem Faden gefolgt war, den ein schöner Kavalier in den österreichischen Erblanden hielt.

Bei den Anstrengungen, die wir solcherseits machten, fielen die lächerlichsten Scenen vor, insbesondere von meiner Seite, der ich für diese spitzfindigen Kombinationen der Verhältnisse gar nicht zugerichtet bin. Ich wollte alle Schuld, daß ein Schein von Neigung entstanden war, auf mich nehmen, verwickelte mich darüber in die unsinnigsten Erklärungen, bekannte mich endlich für schon anderweit im Auslande verlobt, widerrief die Lüge im nächsten Augenblicke – kurz, ich stellte bei der ganzen Sache den Helden einer ziemlich lustigen Novelle dar.

Indessen würde diese nur im Kreise der nächsten Bekanntschaft angeklungen und verklungen sein, wenn sich nicht ein fremder Störenfried herbeigemacht und sie zur Befriedigung seines schlechten Witzes gemißbraucht hätte.

Es hielt sich nämlich damals seit einiger Zeit bei uns ein Mensch auf, Namens Schrimbs oder Peppel, wie er anderer Orten geheißen hat. Der Himmel weiß, wie viel Namen er überhaupt in der Welt geführt haben mag und noch führt! Schon das Äußere dieses Menschen war höchst auffallend, er sah im Gesichte ganz verwittert aus, und dennoch konnte man kein rechtes Alter an ihm abnehmen, denn trotz der Runzeln auf Wangen und Stirn war unter seinen Haaren kein weißes zu entdecken, und seine Haltung ungebeugt, sein Muskelfleisch straff, sein Benehmen jugendlich-petulant. Ich weiß nicht, wie ich dir diesen Schrimbs oder Peppel beschreiben soll: er war alles und jedes.

Dieser Mensch hatte eine Gabe zu fabulieren und zu schwadronieren, wie ich sie noch nimmer bei jemand wahrgenommen habe. Er besaß einen aristophanischen Witz, eine gaukelnde Einbildungskraft und eine unerschöpfliche Laune, vor allem aber eine Lust und Freude am Lügen, die wirklich auch genial war. Keiner achtete ihn, und doch war er überall eingeführt; unsere geschlossenen Gesellschaften thaten ihre Thüren vor ihm auf, unsere Familien-, Wein- und sonstige Kränzchen flochten ihn sich als Blume ein, denn du weißt wohl, daß, so schwerfällig und abgesondert wir uns halten, es doch noch von je alle Charlatane bei uns mit uns durchgesetzt haben. Man hielt ihn für nichts Besseres, als für ein Stück honetten Gauners, und doch blickte man sehnsüchtig nach ihm aus, ließ er einmal auf sich warten. Obgleich ich überzeugt bin, daß er eigentlich schlechte Streiche nirgends begangen hat, denn sonst würde er leiser, versteckter, künstlicher aufgetreten sein. Eine gewisse theoretische Unwahrhaftigkeit war in ihm zur andern Natur geworden; gegen die Gesetze wird er sich nicht verfehlt haben.

Du fragst: Wodurch fesselte er euch denn? Ja wodurch? Durch tolle Märchen, die er uns erzählte, durch Sarkasmen, Luftsprünge. In seinen Märchen griff er mit unerhörter Dreistigkeit das Nächste auf, oder eine öffentliche Person, und drehte und wendete und drillte sie so lange, bis sie unter seinen Händen ein phantastischer Popanz wurde, der dann, wenn man ihm näher in das Gesicht sah, in Blasen auseinanderplatzte. Mir war oft bei seinen Geschichten zu Mute, als sähe ich eine Wasserhose entstehen, wandeln, sich auflösen. Eine schwache Wolke schwebt über dem Meere, diese faßt mit einem langen, feinen Finger in den unendlichen Ocean, aufwärts kocht, wirbelt und tanzt das emporgestörte Wasser, es pfeift und zischt: Nebel und Schaum rings umher und Donner ohne Blitz! so rückt das Phantom, welches nicht Dunst und nicht Woge mehr ist, sprungweise vor, bis es plätschernd zerbricht.

Ich halt' mich ans Positive. Begeisterung und Liebe ist die einzig würdige Speise edler Seelen. Einen Schwank mag ich wohl leiden. Aber das Spötteln, Nergeln und Grinseln um den Kehricht her, dem schon viel zu viel Ehre geschieht, wenn er nur genannt wird, ist mir im innersten Mute zuwider.

Als ich zurückkam, fand ich ihn in unserem ganzen Kreis eingebürgert. Die alten Ohme und Vettern wollten sich ausschütten über seine Einfälle oder sperrten den Mund so weit auf, als die Muskeln es vertragen wollten, wenn er ihnen ihre eigenen hausbackenen Personen, in wunderbaren Capriccios diese zurückspiegelnd, zeigte. Ich hörte mit zu, war Wechselweise von seinen Reden berauscht und unangenehm ernüchtert. Es kann selbst sein, daß ich mich Clelien nicht so genähert haben würde, hätte ich nicht bei den verzwickten Schnurren ein doppeltes Bedürfnis nach einer einfachen, wahren Geselligkeit empfunden.

Nun zum Schlusse der Geschichte. Unsere ganze Nicht-Liebesnovelle, Clelias und meine, hatte er mit durchlebt, schien indessen nicht sehr darauf geachtet zu haben. Als die Sache allmählich wieder in das Gleiche kam, bringt mir, wie ich mich zum Besuche in der Stadt aufhalte, Freund Pfleiderer bestürzt ein lithographiertes Blatt, worauf unser ganzes Verhältnis, alle unsere Wendungen und Schritte, um ohne Aufsehen in eine gleichgiltige Ferne auseinander zu rücken, zur wildesten Bambocciade verstellt zu lesen sind. Sie hieß: Geschichte von Gänserich und Gänschen, die sich in ihren Herzen irrten.

Er sagte mir, daß das Ding vom Abenteurer herrühre, was auch nach den ersten Sätzen zu erkennen war. Der habe es m einer Gesellschaft erzählt, es sei allerliebst befunden worden, ein schnell fassender und schreibender Kopf habe es aufgezeichnet und auf allgemeines Begehren der lieben Schadenfreude zum Frommen für die Mitglieder der Gesellschaft lithographieren lassen. Jeder teile es im Vertrauen seinen nächsten Bekannten mit, und so mache es schon die Runde durch die halbe Stadt.

Ich las und las, und was mich darin betraf, hätte ich verschmerzen können, ja ich gestehe, daß ich über manches lachen mußte. Aber auch Clelia war natürlich nicht darin verschont.

Und das versetzte mich in einen Zorn, der mich taub und blind und rasend machte. Ich schwor dem Schelme die schrecklichste Rache. Nun hätte ich, um diese zu kühlen, mich in seiner Wohnung auf Lauer legen sollen. Aber da siehst du den dummen Streich, der sich immer meinem Handeln beizumischen pflegt! Einsiegelte ich das lithographierte Blatt und schrieb dem Urheber, ich werde dann und wann mich bei ihm melden und Genugthuung fordern, kurz, eine förmliche Kriegserklärung. Als ich zur bestimmten Stunde nach seiner Wohnung ging, fand ich das leere Nest; Hals über Kopf war er abgereist. Vielfältige Nachfragen zeigten mir endlich eine Spur des Flüchtigen. Sie wies hierher, nach Norden, nach Niederland. In den Wagen gesetzt mit dem alten Jochem, der noch verwirrter ist, als ich, und von Stadt zu Stadt nachgesprengt, bis ich denn hier vorläufig vor Anker gegangen bin. Ich habe nämlich den Jochem allein weiter spüren lassen, denn vor allen Dingen ist Inkognito nötig, wenn wir ihn entdecken wollen, und mich erkannten die Leute überall für das, was ich war. Weiß Gott, wie es zuging, da ich mir doch alle Mühe gab, mich zu verstellen. Des Inkognitos wegen ist auch der Wagen in Coblenz stehen gelassen worden. Von da fuhren wir per Post, oder gingen auch streckenweise.

*

Ich freue mich wie ein Kind, daß ich die Geschichte vom Herzen heruntergebeichtet habe, denn nun darf ich von Dingen schreiben, die angenehmer sind. Nicht sagen kann ich dir, wie Wohl mir hier zu Mute geworden ist in der Einsamkeit der westfälischen Hügelebene, wo ich bei Menschen und Vieh seit acht Tagen einquartiert bin. Und zwar recht eigentlich bei Menschen und Vieh, denn die Kühe stehen mit im Hause zu beiden Seiten des großen Flurs, was aber gar nichts Unangenehmes oder Unreinliches hat, vielmehr den Eindruck patriarchalischer Wirtschaft vermehren hilft. Vor meinem Fenster rauschen Eichenwipfel, und neben denen hin sehe ich auf lange, lange Wiesen und wallende Kornfelder, zwischen denen sich dann wieder jezuweilen ein Eichenkamp mit einem einzelnen Gehöfte erhebt. Denn hier geht es noch zu wie zu Tacitus Zeiten, »Colunt discreti ac diversi, ut fons, ut campus, ut nemus placuit.« Darum ist denn auch so ein einzelner Hof ein kleiner Staat für sich, rund abgeschlossen, und auch der Herr darin so gut König als der König auf dem Throne.

Mein Wirt ist ein alter prächtiger Kerl. Er heißt Hofschulze, obgleich er gewiß noch einen andern Namen führt, denn jener bezieht sich ja nur auf den Besitz seines Eigentums. Ich höre aber, daß dies überall hier so gehalten wird. Nur der Hof hat meistenteils einen Namen, der Name des Besitzers geht in dem der Scholle unter. Daher das Erdgeborene, Erdzähe und Dauerbare des hiesigen Geschlechts. Mein Hofschulze mag ein Mann von etlichen sechzig Jahren sein, doch trägt er den starken großen knochigen Körper noch ganz ungebeugt. In dem rotgelben Gesichte ist der Sonnenbrand der fünfzig Ernten, die er gemacht hat, abgelagert, die große Nase steht wie ein Turm in diesem Gesichte, und über den blitzenden blauen Augen hangen ihm weiße struppige Brauen wie ein Strohdach. Er mahnt mich wie ein Erzvater, der dem Gotte seiner Väter von unbehauenen Steinen ein Mal aufrichtet und Trankopfer darauf gießt und Öl, und sein Füllen erzieht, sein Korn schneidet und dabei über die Seinigen unumschränkt herrscht und richtet. Nie ist mir eine kompaktere Mischung von Ehrwürdigem und Verschmitztem, von Vernunft und Eigensinn vorgekommen. Er ist ein rechter uralter, freier Bauer im ganzen Sinne des Wortes; ich glaube, daß man diese Art Menschen nur noch hier finden kann, wo eben das zerstreute Wohnen und die altsassische Hartnäckigkeit, nebst dem Mangel großer Städte den primitiven Charakter Germania's aufrecht erhalten hat. Alle Regierungen und Gewalten sind darüber hingestrichen, haben wohl die Spitzen des Gewächses abbrechen, aber die Wurzeln nicht ausroden können, denen dann immer wieder frische Schößlinge entsprossen, wenngleich sich diese nicht mehr zu Kronen und Wipfeln zusammenschließen dürfen.

Die Gegend ist durchaus nicht, was man eine schöne nennt, denn sie besteht lediglich aus wellenden Hebungen und Senkungen des Erdreichs, und das Gebirge sieht man nur in der Ferne; 's ist dieses auch mehr eine finstere Berglehne, als eine schön liniierte Kette. Aber eben ihre Anspruchslosigkeit, daß sie sich nicht aufgeputzt einem gegenüber stellt, fragend: Wie gefall' ich dir? sondern bis in die kleinsten Partikeln als fromme Schaffnerin dem Anbau durch menschliche Hände dient, macht sie mir doch sehr wert, und ich habe gute Stunden auf meinen einsamen Streifereien genossen. Vielleicht thut der Umstand auch das Seinige, daß mein Herz einmal wieder ganz ungestört seine Pendelschwingungen ausschwingen darf, ohne daß vernünftige Leute am Uhrwerke rücken und drehen.

Poetisch bin ich sogar geworden, was sagst du dazu, mein alter Ernst? Hab' etwas hingeworfen, wozu mich ein göttlichschöner Sonnentag, den ich vor Zeiten in den Waldgründen des Spessart verlebte, zuerst anspornte. Ich glaube, es wird dir gefallen. Es heißt: Die Wunder im Spessart.

Am liebsten sitze ich droben auf dem Hügel an einem stillen Platze zwischen den Kornfeldern des Hofschulzen, die dort zu Ende gehen. Man hat eine geräumige, mit Kraut und Brombeergebüsch bewachsene Einsenkung des Bodens vor sich; rings im Kreise um sie her liegen große Steine, einer, gerade dem Felde gegenüber, ist der größte, über den spannen drei alte Linden ihre Zweige aus. Dahinter rauscht der Wald. Die Stelle ist unendlich einsam und beschlossen und heimlich, besonders jetzt, wo man im Rücken das mannshohe Korn hat. Da droben bin ich viel. Freilich nicht immer in sentimentaler Naturbetrachtung, es ist auch mein gewöhnlicher abendlicher Anstandsort, von wo ich dem Schulzen die Rehe und Hirsche aus dem Korne schieße.

Sie nennen den Platz den Freistuhl. Vermutlich hat also dort vor Alters das Vehmgericht im Schrecken der Nacht seine Verdikte ausgebrütet. Als ich meinem Schulzen ihn lobte, ging eine Freundlichkeit über sein Gesicht. Er versetzte nichts, nahm mich aber nach einiger Zeit ohne Veranlassung mit auf eine Kammer im oberen Stock des Hauses, öffnete dort einen eisenbeschlagenen Koffer und zeigte mir in demselben ein altes, rostiges Schwert liegen. Mit Feierlichkeit sagte er: Das ist eine große Rarität; es ist das Schwert Caroli Magni, seit tausend und mehreren Jahren beim Oberhofe aufbewahrt, und noch in voller Kraft und Gewalt. Ohne weitere Erklärungen hinzuzufügen, klappte er den Deckel wieder zu. Ich hätte um alles seinen Glauben an dieses Heiligtum nicht zerstören mögen, obgleich mich ein flüchtiger Blick lehrte, daß der Flamberg kaum ein paar hundert Jahre alt sein könne. Er zeigte mir aber ein förmliches Attest über die Ächtheit der Waffe, von einem gefälligen Provinzialgelehrten ihm ausgestellt.

Hier will ich denn nun unter den Bauern bleiben, bis mir der alte Jochem Nachricht von dem Schrimbs oder Peppel giebt. Es ist zwar die achtzig Meilen her kühler in mir geworden, denn gar viel thut's, wenn vierzehn Tage zwischen dem Vorsatz und der Ausführung liegen, auch steht nun die Frage, welche Rache ich eigentlich an ihm nehmen soll? aber das wird sich schon alles finden.

Dieser Brief, wie ich ihn überlese, kommt mir ganz possierlich vor. Vorn stehen recht hübsche Bemerkungen, hinten dergleichen, ich brauche mich ihrer gar nicht zu schämen, und in der Mitte ists als ob ein dummer Bub' seine Eulenspiegelei erzählt.

Nun, ich werd ja auch endlich klug werden. – Wenn einen die Leut' nur verständen in der Fremde! Alles muß man dreimal sagen, bevor's gefaßt wird. Und wenn man nicht gar ein Stockschwab ist, sondern im Gegenteil in der Welt herumgekommen und andere vielfältig hat reden hören, so kann man sich selbst durch unser Zischen und Prasseln hin und wieder beschwert fühlen. Wir haben doch Geist, so viel wie die Übrigen, warum können wir denn das Wort nicht gelind, sanft und zart von uns geben, sondern sprechen immer: Keescht? Aber ich denke, aus: Keescht kann alle Zeit durch Abschwächen und Filtrieren: Geist werden, nicht aber umgekehrt aus Geist: Keescht. Und so wirds der Herr in diesem Punkt wie in allen andern wohl mit uns brav gemeint haben.

Mentor, hoffentlich hörst du bald mehr von

Deinem Nicht-Telemach.

Schilt ihn aber tüchtig aus, darum bitt' ich dich.


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