Karl Immermann
Merlin
Karl Immermann

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Zueignung.

            Ich saß, vom Fels bedachet,
Vertieft in alte Rollen,
Aus denen an mich lachet'
Ein ganzer Himmel alles Rätselvollen.
Ich mußte oft sie auf die Seite legen,
Weil gegen Wunsch und Wollen
Ich lesen nicht gekonnt vor Herzensschlägen.

    Da rauscht' es in den Sträuchern,
Und Flöten, Cymbeln klungen,
Arabisch Balsamräuchern
Ist vom Gestäud zu meinem Platz gedrungen.
Gleich sprangen aus dem Busch mit keckem Tritte
Drei muntre kleine Jungen,
Schwarz, weiß die ersten zwei, und braun der dritte.

    Sie schlugen an die Becken,
Und einer spielte Flöte.
Es folgt' auf schlanker Schecken
Ein Mägdlein, lustig wie die Morgenröte.
Bunt Florgewand und Schmelz und Schleif' am Mieder,
Band, Quast' und Pausch erhöhte
Den Schmeichelreiz der leichtgeschwungnen Glieder.

    In ihren Armen schwebte
Ein Horn, gewunden gülden,
Aus dessen Wölbung strebte
Ein üpp'ger Strauß von seltsamen Gebilden.
Es staken Königskronen, Bettelstäbe
Bei Häuptern, milden, wilden,
Bei Totenbein, bekränzt von Ros' und Rebe.

    Die Jungen tanzen näher,
Das Mägdlein lenkt die Schecke,
Bis, mir verstohl'nem Späher
Grad gegenüber, an des Felsens Ecke,
Der Märchenzug ist vorgerücket gaukelnd.
Dort hemmt sie. Auf der Decke
Zurückgelehnet, ruht sie üppigschaukelnd.

    Die Knaben springen weiter,
Um mich ganz unbekümmert.
Aus ihren Augen heiter
Ein flüchtig Lächeln zu mir nieder schimmert,
Und in das Horn die weißen Finger senkend,
Um die manch Ringlein flimmert,
Wirft sie die Ros' herunter, mich beschenkend.

    Ich bück' mich nach der Rose,
Erhebe solche Gabe,
Blick' auf: Da fleucht die Lose
Fern schon auf ihrem Roß im schnellsten Trabe,
Unendlich Goldgelock weht nach in Lüsten,
Kaum daß ich dieses habe
Gesehn, verschwebt sie zwischen Felsenklüften.

    Sonst, wenn ein Gott gekommen
In unsre arme Nähe,
Nachfühlen wir, beklommen,
Die eigne Niedrigkeit und seine Höhe.
Doch dieser holden Reiterin Begegnen
Ließ mir das süße Wehe,
Womit uns goldne Liebesstunden segnen.

    Ich sprach zu mir: Du schautest
Die Thörin, die unsterbliche,
Der du manch Denkmal bautest,
Obgleich sie liebt nur das Verderbliche;
Welch' überstand den Sturz von Rom und Babel,
Die schöne Last, die erbliche
Der irdischen Geschlechter all: die Fabel.

    Seit diesem guten Tage
Hegt' ich ein gründlich Hoffen,
Doch ohne Schmerz und Klage;
Die Fabel werde einst von mir betroffen
Zu andrer Zeit in noch viel rein'rem Lichte;
Und manche düstre Frage
War mir gelöst, und alles ward Geschichte.

    Die liebe Rose blühte
Frisch fort in meinen Händen.
Als einst der Abend glühte,
Trug ich sie, sachte wandelnd, in den Händen.
Da nahm der Wind, vorbrechend aus den Hügeln,
Sie scherzend meinen Händen,
Und trieb sie vor mir her auf seinen Flügeln.

    Der Schwebenden nacheilt' ich,
Die Füße rüstig regend,
Doch nimmerdar ereilt' ich
Den Flüchtling, wirbelhaft sich fortbewegend.
Schon hatte Dämmrung abgelöst die Helle,
Ich war in fremder Gegend,
Da sank die Ros' auf eine breite Schwelle.

    Die Schwelle, sanftgebreitet,
Lag unter hoher Pforte,
Die in ein Innres leitet',
Aus dem ein Glanz fiel nach dem äußern Orte.
Ich ahnt' in diesem Bau, begrünt von Moose,
Uralter Schöpfung Worte,
Und schritt gleichgültig über meine Rose.

    Ich trat in Kirchenhallen
Vom allergrößten Stile.
Auf solche Formen fallen
Konnt' Einer nicht! Sie fanden, bauten viele.
Den einzelnen umfahn der Willkür Netze,
Doch zu notwend'gem Ziele
Verschlangen hier im Stein sich die Gesetze.

    Indes blieb ich nicht haften
Am Stein zu dessen Preise,
Denn meine Sinne rafften
Sich in des herrlichsten Gesichtes Kreise.
Ich sah die Fabel, fröhlich und vermessen,
Allein in welcher Weise!
In wessen Hut! In Pfleg' und Lehre wessen!

    Ein ew'ges Weib saß thronend
In kühngewölbter Blende;
Das Licht, im Raume wohnend,
Schuf einzig ihrer Augen milde Spende!
Kelch, Anker, Kreuz war nahebei zu schauen,
Ein Buch, das sonder Ende,
Lag auf dem zücht'gen Knie der heil'gen Frauen.

    Und wie ein Kind sich schmieget
Der Mutter an, der süßen,
Ihr Kleid sittsam gefüget,
Stand bei ihr Fabel auf bescheidnen Füßen.
Diese, damit sie bis zum Knie ihr reichte,
Hat sich erheben müssen,
Und dennoch saß die Ernste, stand die Leichte.

    Liebmütterlich verkehrte
Das große Himmelswesen,
In ihrem Buche lehrte
Die Ewige mein zeitlich Mägdlein lesen.
Sie wies ihr Wort für Wort und Zeil' auf Zeile,
Und wenn zu rasch gewesen
Der muntre Zögling, sprach die Mutter: Weile!

    Schien er zerstreut im Sinne,
Als ob sein Fleiß ermatte,
Faßt' ihn gelind am Kinne
Die Lehrerin und wandt' ihn zu dem Blatte.
Und wenn er stammelte das Falsche, Nicht'ge,
Und sich versprochen hatte,
Dann sagte sie klar, deutlich, fest das Richt'ge.

    Am Segen der Lehrstunde
Teil nahmen drei Genossen,
Steh'nd in der Blende Grunde:
Drei Männer, vom Prophetenkleid umflossen.
Zwei ältre schrieben nach in Büchern; jeder
Trug ein verschiedne Kunde,
Dem Jüngsten war entsunken Blatt und Feder.

    Gemurr in meiner Sprache
Verriet des ersten Namen.
Wolfram vom Eschenbache,
Der Gottverworrne Mund von deutschem Samen!
Rund um den Hals trug er viel myst'sche Zeichen,
Und seine Blätter nahmen
Der Fabel Schwatzen auf in bunten Laichen.

    Den Zweiten ich erkannte
An seiner Unterlippe.
Er war der große Dante,
Gedankenausgezehrt, fast ein Gerippe.
Vorsichtig horcht' er: Sprach die Fabel Lüge,
So zuckt' er mit der Lippe,
Sah zornig aus und schrieb der andern Rüge.

    Doch o mein teurer Dritter,
Novalis! Frommverwundert
Fragt' ich mich oft: Wie schritt er,
Der Fremdling, in dies nüchterne Jahrhundert?
Der Jüngling seine Seligkeit nicht trübte,
Hat nicht gehorcht, gesondert,
Er schaute, lächelte, genoß und liebte.

    Und auf die mächt'ge Gruppe,
In Händen Lilienstengel,
Sahn von der Blende Kuppe
Aus Wolken still herab zwei Frauenengel,
Die zwei der drei sonst hoben über Mühe
Hinaus und über Mängel,
Die Engel: Beatrice und Sophie.

    Und als ich um mich blickte,
Weil, meinem Sinn zu helle,
Der Lichtstrom mich erdrückte,
Von dem das Aug' der Lehrerin die Quelle,
Bemerkt' ich, daß ich nicht allein vorhanden,
Nein, daß zu dieser Stelle
Noch andre Füße offnen Zugang fanden.

    Du lehnt'st am nächsten Pfeiler,
Gleich mir Ehrfurchtbezwungen!
Anbetender Verweiler,
Wo wir dem Wesen sahn den Schein entsprungen,
Durch eine andre Thür warst du gekommen,
Von andrem Wunsch durchdrungen,
Ein Tempel aber hatt' uns aufgenommen.

    Was ferner dort geschehen,
Das bleibt wohl unser Eigen,
Wenn der Verwandlung Wehen
Auch sonst des Tags Geburten an uns zeigen.
Doch still von unsrem Glück im Heiligtume!
Denn aus des Abgrunds Schweigen
Wächst dort geschloßnen Kelches jede Blume.

 


 


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