Henrik Ibsen
Rosmersholm
Henrik Ibsen

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Vierter Akt

Wohnstube auf Rosmersholm.

Es ist später Abend. Die Lampe, mit Schirm, steht mitten auf dem Tische.

Rebekka steht am Tische und packt einige Kleinigkeiten in einen Reisesack. Ihr Mantel, Hut und der weiße gehäkelte Wollschal liegen über der Sofalehne. Madam Helseth kommt von rechts.

Madam Helseth spricht mit gedämpfter Stimme und scheint zurückhaltend. Die ganzen Sachen wären jetzt herausgetragen, Fräulein. Sie stehen auf dem Küchenflur.

Rebekka. Gut. Der Kutscher ist doch bestellt?

Madam Helseth. Ja. Er fragte, wann er mit dem Wagen hier sein sollte.

Rebekka. Ich denke, so gegen elf Uhr. Das Dampfschiff geht um Mitternacht.

Madam Helseth ein wenig zögernd. Und der Herr Pastor? Wenn er nun nicht bis dahin nach Hause kommt?

Rebekka. Deshalb reise ich doch. Sollte ich ihn nicht mehr sehen, so können Sie ihm sagen, ich würde ihm schreiben. Einen langen Brief. Sagen Sie das.

Madam Helseth. Ja, das ist ja alles gut und schön, – die Geschichte mit dem Schreiben. Aber, armes Fräulein – ich meine doch, Sie sollten es noch mal drauf ankommen lassen, mit ihm zu reden.

Rebekka. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Madam Helseth. Nein, – daß ich so etwas erleben muß; – das hätte ich nie und nimmer gedacht!

Rebekka. Was hätten Sie denn gedacht, Madam Helseth?

Madam Helseth. Ach, ich hätte doch gedacht, Herr Pastor Rosmer wäre ein reellerer Mann.

Rebekka. Ein reellerer Mann?

Madam Helseth. Ja, wahrhaftigen Gott, das sage ich!

Rebekka. Aber, liebe Frau, was meinen Sie denn damit?

Madam Helseth. Ich meine: alles, was recht ist, Fräulein, – er sollte sich nicht auf die Weise davon drücken.

Rebekka sieht sie an. Nun hören Sie einmal, Madam Helseth. Sagen Sie mir offen und ehrlich, – warum, meinen Sie, gehe ich weg?

Madam Helseth. Lieber Gott, es ist wohl nötig, Fräulein. Ach ja, ja, ja! Aber ich meine doch, es ist nicht hübsch von dem Herrn Pastor. Für Mortensgård –, für den mochte es eine Entschuldigung geben. Denn ihr Mann war ja noch am Leben. Die beiden also konnten sich nicht heiraten, so gern sie auch wollten. Aber sehen Sie, der Herr Pastor, der – hm!

Rebekka mit einem flüchtigen Lächeln. So etwas konnten Sie von mir und Pastor Rosmer denken?

Madam Helseth. I Gott behüte. Das heißt, – bis heute nicht.

Rebekka. Aber heute, da –?

Madam Helseth. Na, – nach all den ekligen Geschichten, die über den Pastor in den Zeitungen stehen sollen –

Rebekka. Aha!

Madam Helseth. Denn meine Meinung ist, dem Mann, der zu Mortensgård seiner Religion übergehen kann, dem kann man, wahrhaftigen Gott, alles mögliche zutrauen.

Rebekka. O ja, das mag schon so sein. Aber ich? Was sagen Sie von mir?

Madam Helseth. Herrjeh, Fräulein, – Ihnen, meine ich, ist nicht viel vorzuwerfen. Für ein alleinstehendes Frauenzimmer ist es wohl nicht ganz leicht zu widerstehen, denke ich mir. – Wir sind ja alle miteinander bloß Menschen, Fräulein West.

Rebekka. Das ist ein wahres Wort, Madam Helseth. Wir sind alle miteinander Menschen. – Wonach horchen Sie?

Madam Helseth leise. Ach, Jesus, – ich glaube, er kommt noch gerade zur rechten Zeit.

Rebekka fährt zusammen. Also doch –! Bestimmt. Nun ja. Sei es denn!

Rosmer kommt aus dem Vorzimmer herein.

Rosmer sieht die Reiseeffekten, wendet sich zu Rebekka und fragt: Was soll das heißen?

Rebekka. Ich reise.

Rosmer. Jetzt gleich?

Rebekka. Ja. Zu Madam Helseth. Also um elf Uhr.

Madam Helseth. Schön, Fräulein. Rechts ab.

Rosmer nach kurzer Pause. Wo willst Du hin, Rebekka?

Rebekka. Nordwärts – mit dem Dampfschiff.

Rosmer. Nordwärts. Was willst Du da?

Rebekka. Da bin ich ja doch hergekommen.

Rosmer. Aber da oben hast Du ja doch nichts mehr zu tun.

Rebekka. Das habe ich hier unten auch nicht.

Rosmer. Was willst Du denn beginnen?

Rebekka. Das weiß ich nicht. Ich will nur sehen, wie ich der Sache ein Ende mache.

Rosmer. Ein Ende machst?

Rebekka. Rosmersholm hat mich zerbrochen.

Rosmer wird aufmerksam. Wie meinst Du?

Rebekka. Hat mich zerbrochen, – vollständig, rettungslos. – Ich hatte so einen frischen und mutigen Willen, als ich hierher kam. Nun aber habe ich mich unter ein fremdes Gesetz gebeugt. – Ich glaube, ich kann mich fortan an keine Sache mehr heranwagen, was es auch sei.

Rosmer. Warum nicht? Was für ein Gesetz meinst Du denn da eigentlich –?

Rebekka.. Mein Lieber, reden wir jetzt nicht davon. – Wie ist es denn mit Dir und Kroll geworden?

Rosmer. Wir haben Frieden geschlossen.

Rebekka. So. Das ist also geschehen.

Rosmer. Er versammelte den ganzen Kreis der alten Freunde bei sich. Sie haben mich davon überzeugt, daß die Arbeit, die Sinne adeln zu wollen, durchaus nichts für mich ist. – Und überdies ist es an und für sich etwas so ganz Hoffnungsloses, Du. – Ich gebe es auf.

Rebekka. Ja, ja, – das ist vielleicht das Beste.

Rosmer. So sprichst Du jetzt? Der Ansicht bist Du jetzt?

Rebekka. Ich bin zu der Ansicht gelangt. In den letzten paar Tagen.

Rosmer. Du lügst, Rebekka.

Rebekka. Ich lüge –!

Rosmer. Ja, Du lügst. Du hast nie an mich geglaubt. Hast nie geglaubt, ich wäre der geeignete Mann, die Sache durchzukämpfen und zum Sieg zu führen.

Rebekka. Ich habe geglaubt, wir beide zusammen würden das vermögen.

Rosmer. Das ist nicht wahr. Du hast geglaubt, Du selbst würdest etwas Großes im Leben vollbringen können. Würdest mich für Deine Absichten gebrauchen können. Ich würde Dir dienlich sein können für Deine Zwecke. Das hast Du geglaubt.

Rebekka. Hör' mich an, Rosmer –

Rosmer setzt sich schwermutsvoll aufs Sofa. Ach, laß doch! Jetzt sehe ich der ganzen Geschichte auf den Grund. Ich war nur Wachs in Deiner Hand.

Rebekka. Hör' mich an, Rosmer. Wir müssen mehr über die Sache reden. Es ist das letzte Mal. Setzt sich auf einen Stuhl neben dem Sofa. Ich hatte vor, über das alles Dir zu schreiben, – wenn ich erst wieder oben im Norden wäre. Aber es ist wohl besser, Du hörst es gleich.

Rosmer. Hast Du noch nicht alles gestanden?

Rebekka. Das Größte noch nicht.

Rosmer. Welches Größte?

Rebekka. Das, was Du nie geahnt hast. Das, was allem andern Licht und Schatten gibt.

Rosmer schüttelt den Kopf. Ich verstehe kein Wort.

Rebekka. Es ist ganz richtig, daß ich einst durch List mir Eingang auf Rosmersholm zu verschaffen suchte. Denn ich war der stillen Meinung, ich würde hier vielleicht mein Glück machen können. So oder so – verstehst Du.

Rosmer. Du hast es ja auch durchgesetzt, – Dein Vorhaben.

Rebekka. Ich glaube, ich hätte durchsetzen können, was es auch immer gewesen wäre – damals. Denn damals hatte ich noch meinen mutigen, freigeborenen Willen. Ich kannte keine Rücksichten. Keine Beziehungen, die mir ein Hindernis gewesen wären auf meinem Wege. – Aber dann allmählich ist das eingetreten, was den Willen in mir gebrochen – mich fürs ganze Leben mit so kläglicher Angst erfüllt hat.

Rosmer. Was ist eingetreten? Rede so, daß ich Dich verstehe.

Rebekka. Da ist es über mich gekommen, – dieses wilde, unbezwingliche Gelüst –. Oh, Rosmer!

Rosmer. Gelüst? Über Dich –! Wonach?

Rebekka. Nach Dir!

Rosmer aufspringen. Was ist das!

Rebekka hält ihn zurück. Bleib sitzen, mein Freund. Du sollst noch mehr erfahren.

Rosmer. Und Du willst sagen – Du hättest mich geliebt – auf solche Art!

Rebekka. Damals meinte ich, das müßte man Lieben nennen. Das wäre Liebe, glaubte ich. Aber das war es nicht. Es war so, wie ich Dir sage. Es war ein wildes, unbezwingliches Gelüst.

Rosmer mit Mühe. Rebekka, – bist Du es wirklich, Du, Du – von der Du das hier erzählst!

Rebekka. Ja, was sagst Du, Rosmer!

Rosmer. Und aus dem Grunde, – unter der Einwirkung davon tatest Du das, was Du »handeln« nennst?

Rebekka. Es war über mir gleich einem Meeressturm. Gleich einem jener Stürme, wie wir sie um die Winterszeit oben im Norden haben. Es packt einen – und trägt einen mit fort, – so weit es tragen kann. An Widerstand ist da nicht zu denken.

Rosmer. Und so wurde die unglückliche Beate mit weggefegt in den Mühlengraben.

Rebekka. Ja, Beate und ich kämpften damals eine Art Kampf auf dem Bootskiel.

Rosmer. Du warst die Stärkste auf Rosmersholm, wahrhaftig. Stärker als Beate und ich zusammengenommen.

Rebekka. Ich kannte Dich hinreichend, um zu wissen, – daß kein Weg zu Dir hinführte, solange Du nicht frei geworden wärst, in den äußeren Verhältnissen – wie im Geiste.

Rosmer. Aber ich begreife Dich nicht, Rebekka. Du, – Du selbst, Dein ganzes Gebaren ist mir ein unlösbares Rätsel. Jetzt bin ich doch frei, – im Geiste wie in den äußeren Verhältnissen. Du stehst jetzt unmittelbar vor dem Ziel, das Du Dir von Anfang an gesteckt hattest. Und dennoch –!

Rebekka. Nie war ich weiter vom Ziel entfernt als jetzt.

Rosmer. – und dennoch, sage ich, – als ich Dich gestern fragte, – Dich bat: werde mein Weib, – da schriest Du wie von Angst erfaßt auf, das könnte nie geschehen!

Rebekka. Da schrie ich in Verzweiflung, Du!

Rosmer. Warum?

Rebekka. Weil Rosmersholm mir die Kraft genommen hat. Hier ist mir mein mutiger Wille gelähmt worden. Und verschandelt! Für mich ist die Zeit vorbei, da ich all und jedes wagen durfte. Ich habe die Energie zum Handeln verloren, Rosmer.

Rosmer. Sag' mir, wie das gekommen ist.

Rebekka. Es ist durch das Zusammenleben mit Dir gekommen.

Rosmer. Wieso denn? Wieso?

Rebekka. Als ich mit Dir allein war, – und als Du Du selbst geworden warst –

Rosmer. Nun ja?

Rebekka. – denn Du warst nie ganz Du selbst, so lange Beate lebte –

Rosmer. Leider, – da hast Du wohl recht.

Rebekka. Aber dann, als ich mit Dir hier zusammenleben durfte, – in Stille, – in Einsamkeit, – als Du mir Deine Gedanken alle ohne Vorbehalt gabst, – eine jegliche Stimmung, so weich und so fein wie Du sie fühltest, – da trat die große Wandlung ein. Nach und nach, – verstehst Du. Fast unmerklich, – doch übermächtig zum Schluß. Bis auf den Grund meines Innern.

Rosmer. Ja, was ist das, Rebekka?

Rebekka. Jedes andere Gefühl, – das häßliche, sinnestrunkene Gelüst, das wich weit, so weit von mir. Diese empörten Mächte legten sich und wurden ganz ruhig. Es kam ein Seelenfrieden über mich, – eine Stille wie auf einem Vogelberg bei uns oben während der Mitternachtsonne.

Rosmer. Erzähle mehr davon. Alles, was Du zu sagen hast.

Rebekka. Da ist nicht mehr viel zu sagen, Du. Nur das eine noch, daß nun die Liebe in mir erstand. Die große, entsagende Liebe, die sich mit einem Zusammenleben begnügt, so wie es zwischen uns beiden gewesen ist.

Rosmer. O, wenn ich nur eine Ahnung von alledem gehabt hätte!

Rebekka. Es ist besser so. Gestern, – als Du mich fragtest, ob ich Deine Frau werden wollte, – da jubelte ich auf –

Rosmer. Ja, nicht wahr, Rebekka! So habe ich es auch verstanden.

Rebekka. Einen Augenblick, ja. In Selbstvergessenheit. Es war mein alter, kecker Wille, der drauf und dran war, sich wieder frei zu machen. Aber jetzt hat er keine Macht mehr, – auf die Dauer nicht.

Rosmer. Wie erklärst Du das, was mit Dir vorgegangen ist?

Rebekka. Es ist die Lebensanschauung des Hauses Rosmer, – oder wenigstens Deine Lebensanschauung, – die meinen Willen angesteckt hat.

Rosmer. Angesteckt?

Rebekka. Und ihn krank gemacht hat. Ihn geknechtet hat mit Gesetzen, die früher für mich nicht gegolten haben. Das Zusammenleben mit Dir, – Du, das hat meinen Sinn geadelt –

Rosmer. Ach, wenn ich das nur glauben könnte!

Rebekka. Du kannst es getrost glauben. Die Lebensanschauung der Rosmer adelt. Aber – schüttelt den Kopf – aber – aber –

Rosmer. Aber? Nun?

Rebekka. – aber, Du, sie tötet das Glück.

Rosmer. Meinst Du, Rebekka?

Rebekka. Mir wenigstens.

Rosmer. Ja, aber weißt Du das auch so gewiß? Wenn ich Dich nun noch einmal fragte –? Dich von ganzem Herzen bäte –

Rebekka. Ach, mein Freund, – komm nie wieder darauf zurück! Es ist ein Ding der Unmöglichkeit –! Denn Du mußt wissen, Rosmer, ich habe – eine Vergangenheit.

Rosmer. Ist es mehr, als was Du erzählt hast?

Rebekka. Ja. Anderes und mehr.

Rosmer mit flüchtigem Lächeln. Ist es nicht seltsam, Du, – Rebekka? Denk Dir, eine Ahnung von so etwas hat mich zuweilen gestreift.

Rebekka. Wirklich? Und –? Trotzdem –?

Rosmer. Geglaubt habe ich es nie. Ich habe nur damit gespielt, – so in meinen Gedanken, weißt Du.

Rebekka. Wenn Du es verlangst, so will ich Dir auch das gleich erzählen.

Rosmer abwehrend. Nein, nein. Kein Wort will ich wissen. Was es auch sei, – ich habe Vergessenheit dafür.

Rebekka. Aber ich nicht.

Rosmer. O, Rebekka –!

Rebekka. Ja, – das ist doch eben das Furchtbare: jetzt, da alles Glück der Welt mir mit vollen Händen geboten wird, – jetzt bin ich eine solche geworden, daß meine eigene Vergangenheit mir den Weg zum Glück versperrt.

Rosmer. Deine Vergangenheit ist tot, Rebekka. Sie hat keine Gewalt mehr über Dich, – keinen Zusammenhang mehr mit Dir, – so, wie Du jetzt bist.

Rebekka. Ach, mein Lieber, – das sind doch nur Redensarten. Und die Schuldlosigkeit? Wo nehme ich die her?

Rosmer schwermütig.. Ja, ja – die Schuldlosigkeit.

Rebekka. Die Schuldlosigkeit, ja. In ihr sind das Glück und die Freude. Das war ja die Lehre, die Du in jenen frohen Adelsmenschen der Zukunft lebendig machen wolltest –

Rosmer. Ach, erinnere mich daran nicht. Das war nur ein nicht zu Ende geträumter Traum, Rebekka. Eine übereilte Eingebung, an die ich selbst nicht mehr glaube. – Die Menschen lassen sich wohl nicht von außen her adeln.

Rebekka leise. Meinst Du, nicht durch die stille Liebe?

Rosmer gedankenvoll. Ja, – das wäre recht eigentlich das Große. Wohl die herrlichste Frucht unseres ganzen Lebens, mein' ich. – Wenn dem so wäre. Unruhig. Aber wie komme ich mit der Frage ins Reine? Wie komme ich ihr auf den Grund?

Rebekka. Glaubst Du mir nicht, Rosmer?

Rosmer. Ach, Rebekka, – wie kann ich ganz und unbefangen an Dich glauben? An Dich, die Du fortdauernd so sehr viel verheimlicht und verhehlt hast! – Jetzt kommst Du schon wieder mit etwas Neuem. Liegt dem irgend ein Zweck zugrunde, – so sag' es mir gerade heraus. Willst Du am Ende irgend etwas damit erreichen? Ich will ja so gern alles für Dich tun, was ich vermag.

Rebekka ringt die Hände. Ach, diese tödlichen Zweifel –! Rosmer, Rosmer!

Rosmer. Was? Ist es nicht furchtbar? Aber ich kann nichts dagegen tun. Ich werde den Zweifel nie wieder los. Werde nie davon überzeugt sein, daß ich Dich in ganzer und reiner Liebe besitze.

Rebekka. Aber legt denn in der Tiefe Deines Innern nichts Zeugnis dafür ab, daß mit mir eine Wandlung vor sich gegangen ist! Und daß diese Wandlung durch Dich gekommen ist, – durch Dich allein!

Rosmer. Ach, Du, – ich glaube nicht mehr an meine Fähigkeit, Menschen umzuwandeln. Ich glaube an mich selbst in keiner Beziehung mehr. Ich glaube nicht an mich und nicht an Dich.

Rebekka sieht ihn düster an. Wie willst Du denn da weiterleben?

Rosmer. Ja, das weiß ich selbst nicht. Darüber bin ich mir nicht klar. Ich glaube nicht, daß ich weiter leben kann. – Und ich weiß auch auf der weiten Welt nichts, um dessentwillen es sich zu leben verlohnte.

Rebekka. Ach, das Leben, – das hat seine Erneuerung in sich. Laß uns daran festhalten! Wir verlassen es noch immer früh genug.

Rosmer springt unruhig auf. So gib mir den Glauben wieder! Den Glauben an Dich, Rebekka! Den Glauben an Deine Liebe! Beweise! Beweise will ich haben!

Rebekka. Beweise? Wie kann ich Dir Beweise geben –!

Rosmer. Das mußt Du! Geht auf und ab. Ich ertrage sie nicht, diese öde, – diese entsetzliche Leere,– diese – diese –

Es klopft heftig an die Tür des Vorzimmers.

Rebekka fährt vom Stuhl empor. Ah, – hast Du gehört!

Die Tür wird geöffnet. Ulrik Brendel tritt ein. Er trägt ein Manschettenhemd, schwarzen Rock und gute Stiefel, in denen die Hosen stecken. Sonst ist er gekleidet wie das letzte Mal. Er sieht verstört aus.

Rosmer. Ach, Sie sind es, Herr Brendel!

Brendel. Johannes, mein Junge, – meinen Gruß – und leb' wohl!

Rosmer. Wo wollen Sie so spät hin?

Brendel. Bergab.

Rosmer. Wie –?

Brendel. Ich will jetzt heimwärts, mein teurer Jünger. Ich habe Heimweh bekommen nach dem großen Nichts.

Rosmer. Ihnen ist etwas geschehen, Herr Brendel! Was ist es?

Brendel. So? Fällt Dir die Veränderung auf? Ja, – das muß es wohl. Als ich das letzte Mal diesen Saal betrat, – da stand ich als begüterter Mann vor Dir und schlug an meine Brusttasche.

Rosmer. So! Ich verstehe nicht ganz –

Brendel. Aber wie Du mich in dieser Nacht siehst, bin ich ein entthronter König auf dem Aschenhaufen meines Schlosses, das in Feuer aufgegangen ist.

Rosmer. Wenn ich Ihnen mit irgend etwas dienen kann –

Brendel. Du hast Dir Dein Kinderherz konserviert, Johannes. Kannst Du mir etwas vorschießen?

Rosmer. Ja, herzlich gern!

Brendel. Kannst Du ein Ideal oder zwei entbehren?

Rosmer. Was sagen Sie da?

Brendel. Ein paar abgelegte Ideale! Dann tust Du ein gutes Werk. Denn ich bin jetzt blank, mein lieber Junge. Bettelarm.

Rebekka. Sie konnten wohl Ihre Vorträge nicht halten?

Brendel. Nein, meine verführerische Dame. Was meinen Sie! Ich stehe da, das Horn des Überflusses auszuleeren, und in dem Augenblick mache ich die peinliche Entdeckung, daß ich bankrott bin.

Rebekka. Und ihre ungeschriebenen Werke alle?

Brendel. Fünfundzwanzig Jahre hab' ich dagesessen, wie der Geizhals sitzt auf seinem verschlossenen Geldschrein. Und gestern, – wie ich ihn öffnen und den Schatz herausholen will, – da war keiner drin. Der Zahn der Zeit hatte ihn zu Staub zerrieben. Von der ganzen Herrlichkeit war nichts mehr da – rien du tout.

Rosmer. Aber wissen Sie denn das so sicher?

Brendel. Hier ist kein Zweifel mehr möglich, mein Liebling. Der Präsident hat mich davon überzeugt.

Rosmer. Der Präsident?

Brendel. Na ja, – oder die Exzellenz. Comme vous voulez.

Rosmer. Aber wen meinen Sie denn?

Brendel. Peder Mortensgård natürlich.

Rosmer. Was!

Brendel geheimnisvoll. Pst, pst, pst! Peder Mortensgård ist der Zukunft Häuptling und Herr. Nie habe ich vor eines Größeren Antlitz gestanden. Peder Mortensgård hat die Berufung zur Allgewalt. Er kann alles, was er will.

Rosmer. Ach, glauben Sie das doch nicht.

Brendel. Doch, mein Junge! Denn Peder Mortensgård will nie mehr, als er kann. Peder Mortensgård ist kapabel, das Leben ohne Ideale zu leben. Und das, – siehst Du, – das ist das große Geheimnis des Handelns und des Sieges. Das ist die Summe aller Weisheit dieser Welt. Basta!

Rosmer halblaut. Jetzt begreife ich, – Sie gehen ärmer von hier, als Sie kamen.

Brendel. Well! Also nimm Dir ein Exempel an Deinem alten Lehrer. Mach' einen Strich durch alles, was er Dir je eingeprägt hat. Bau' Deine Burg nicht auf trügerischen Sand. Und sieh Dich vor, – und prüfe Dich genau, – ehe Du auf dieses anmutige Geschöpf baust, das Dir hier Dein Leben versüßt.

Rebekka. Meinen Sie mich?

Brendel. Ja, Sie reizendes Meerweib.

Rebekka. Weshalb sollte man nicht auf mich bauen können?

Brendel einen Schritt näher. Ich habe mir sagen lassen, mein alter Schüler hat eine Lebensaufgabe zum Siege zu führen.

Rebekka. Nun, und weiter –?

Brendel. Der Sieg ist ihm sicher. Aber, – wohl gemerkt, – unter einer unumgänglichen Bedingung.

Rebekka. Und die wäre?

Brendel faßt sie behutsam am Handgelenk. Daß das Weib, das ihn liebt, fröhlich hinaus in die Küche geht und sich den feinen, rosenweißen kleinen Finger abhackt, – hier, – gerade hier am Mittelglied. Item, daß besagtes liebendes Weib – nicht minder fröhlich – sich das wunderbar geformte, linke Ohr abschneidet. Läßt sie los und wendet sich zu Rosmer. Leb' wohl, mein siegender Johannes.

Rosmer. Sie wollen fort? Jetzt? In finsterer Nacht?

Brendel. Die finstere Nacht ist das Beste. – Friede sei mit Euch!

Er geht.

Es ist eine Weile still in der Stube.

Rebekka atmet schwer. Ach, wie dumpf und schwül es hier ist!

Sie geht zum Fenster, öffnet es und bleibt davor stehen.

Rosmer setzt sich in den Lehnstuhl am Ofen. Es bleibt doch wohl nichts anderes übrig, Rebekka. Ich sehe es. Du mußt fort.

Rebekka. Ja, ich sehe keine Wahl.

Rosmer. Laß uns die letzten Augenblicke nutzen. Komm her und setz' Dich zu mir.

Rebekka geht und setzt sich aufs Sofa. Was willst Du denn von mir, Rosmer?

Rosmer. Zunächst will ich Dir nur sagen, Du brauchst um Deine Zukunft nicht besorgt zu sein.

Rebekka lächelt. Hm. Meine Zukunft!

Rosmer. Ich habe alle Möglichkeiten vorausgesehen. Schon lange. Was auch geschehen mag, es ist gesorgt für Dich.

Rebekka. Auch das noch, Du Lieber.

Rosmer. Das hättest Du Dir doch selbst sagen können.

Rebekka. Schon Jahr und Tag sind darüber vergangen, daß ich an so etwas gedacht habe.

Rosmer. Ja, ja, – Du meintest wohl, es könnte niemals anders werden zwischen uns, als es war.

Rebekka. Ja, das meinte ich.

Rosmer. Ich auch. Aber wenn ich nun von der Welt müßte –

Rebekka. Ach, Rosmer, – Du lebst länger als ich.

Rosmer. Es steht doch wohl in meiner Macht, mit diesem elenden Leben zu machen, was mir beliebt.

Rebekka. Was heißt das! Du denkst doch wohl nun und nimmermehr daran –

Rosmer. Würde Dich das wunder nehmen? Nach der kläglichen, jämmerlichen Niederlage, die ich erlitten habe! Ich, der ich mein Lebenswerk zum Siege führen wollte –. Und nun habe ich das Ganze im Stich gelassen, – noch ehe die Schlacht recht eigentlich begonnen hatte!

Rebekka. Nimm den Kampf wieder auf, Rosmer! Versuch' es nur, – und Du wirst sehen, Du siegst. Du wirst Hunderte, – Du wirst Tausende von Seelen adeln. Versuch' es nur!

Rosmer. Ach, Rebekka, – ich habe doch kein Zutrauen mehr zu meinem eigenen Lebenswerk.

Rebekka. Aber Dein Werk hat ja schon die Probe bestanden. Einen Menschen hast Du doch jedenfalls geadelt. Mich, – für mein ganzes Leben.

Rosmer. Ja, – wenn ich Dir darin glauben könnte.

Rebekka preßt die Hände zusammen. Ja, Rosmer, – weißt Du denn nichts – gar nichts, das Dir den Glauben geben könnte?

Rosmer fährt wie schaudernd zusammen. Komm nicht darauf! Nicht weiter, Rebekka! Kein Wort mehr!

Rebekka. Doch, gerade müssen wir darüber reden. Weißt Du etwas, das den Zweifel ersticken könnte? Denn ich weiß wirklich nichts.

Rosmer. Gut für Dich, daß Du nichts weißt. – Gut für uns beide.

Rebekka. Nein, nein, nein, – dabei kann ich mich nicht beruhigen! Weißt Du etwas, das mich in Deinen Augen freisprechen kann, so fordere ich als mein Recht, daß Du es sagst.

Rosmer. als ob er gegen seinen Willen unwillkürlich dazu getrieben wird. Also laß uns einmal sehen. Du sagst, die große Liebe wäre in Dir. Durch mich wäre Deine Seele geadelt. Ist dem so? Hast Du richtig gerechnet, Du? Wollen wir die Probe aufs Exempel machen? Was?

Rebekka. Ich bin dazu bereit.

Rosmer. Wann soll das sein?

Rebekka. Das ist mir gleich. Je früher desto besser.

Rosmer. So – laß mich denn sehen, Rebekka, – ob Du, – um meinetwillen, – noch diesen Abend – Bricht ab. Nein, nein, nein!

Rebekka. Doch, Rosmer! Doch, doch! Sag' es – und Du wirst sehen.

Rosmer. Hast Du den Mut, – bist Du willens, – fröhlich, wie Ulrik Brendel sagte, – um meinetwillen – noch in dieser Nacht, – fröhlich, – denselben Weg zu gehen, – den Beate gegangen ist?

Rebekka erhebt sich langsam vom Sofa und sagt fast tonlos: Rosmer –!

Rosmer. Ja, Du, – das ist die Frage, von der ich nie loskommen werde, – wenn Du fort bist. Jeden Tag und jede Stunde werde ich auf diese selbe Frage zurückkommen. Mir ist, als sähe ich Dich leibhaftig vor mir. Du stehst draußen auf dem Steg. Mitten auf dem Steg. Jetzt beugst Du Dich über das Geländer! Dir schwindelt, und es zieht Dich hinab in den Wasserschwall! Aber nein! Du weichst zurück. Du wagst es nicht, – was sie gewagt hat.

Rebekka. Wenn ich nun aber doch den Mut hätte? Und den fröhlichen Willen? Was dann?

Rosmer. Dann müßte ich Dir wohl glauben. Dann würde ich wohl den Glauben an mein Lebenswerk zurückgewinnen. Den Glauben an meine Fähigkeit, Menschengemüter zu adeln. Den Glauben an die Fähigkeit des Menschengemüts, sich adeln zu lassen.

Rebekka nimmt langsam ihren Schal, wirft ihn über den Kopf und sagt mit Selbstbeherrschung: Du sollst Deinen Glauben wieder haben.

Rosmer. Hast Du den Mut und den Willen – dazu, Rebekka?

Rebekka. Darüber kannst Du morgen entscheiden, – oder später, – wenn sie mich herausfischen.

Rosmer greift an seine Stirn. Es liegt ein lockendes Grauen darin –!

Rebekka. Denn ich möchte nicht gern da unten liegen bleiben. Nicht länger als nötig. Es muß dafür gesorgt werden, daß sie mich finden.

Rosmer springt auf. Aber das alles, – das ist ja Wahnsinn. Reise, – oder bleib! Ich will Dir auch diesmal noch auf Dein bloßes Wort glauben.

Rebekka. Redensarten, Rosmer. Jetzt nicht wieder Feigheit und Flucht! Wie kannst Du mir fortan noch auf mein bloßes Wort und auf weiter nichts glauben?

Rosmer. Ich will aber nicht Deine Niederlage sehen, Rebekka!

Rebekka. Es wird keine Niederlage.

Rosmer. Es wird eine. Nie und nimmer denkst Du daran, den Weg Beatens zu gehen.

Rebekka. Du glaubst nicht?

Rosmer. Nimmermehr. Du bist nicht wie Beate. Du stehst nicht unter der Macht einer verpfuschten Lebensanschauung.

Rebekka. Aber ich stehe unter der Macht der Lebensanschauung von Rosmersholm – jetzt. Was ich verbrochen habe, – das sühne ich, wie es sich gebührt.

Rosmer sieht sie fest an. Auf dem Standpunkt stehst Du?

Rebekka. Ja.

Rosmer entschlossen. Nun wohl. Dann stehe ich unter der Macht unserer frei gewordenen Lebensanschauung, Rebekka. Es ist kein Richter über uns. Und darum müssen wir sehen, wie wir selbst Justiz üben.

Rebekka mißversteht ihn. Auch das. Auch das. Mein Heimgang wird das Beste in Dir retten.

Rosmer. Ach, an mir ist nichts mehr zu retten.

Rebekka. Doch, doch. Aber ich – ich würde fortan nur wie ein Meertroll sein, der hemmend an dem Schiffe hängt, auf dem Du vorwärts segeln sollst. Ich muß über Bord. Oder soll ich am Ende hier oben auf der Welt umhergehen und ein verkrüppeltes Leben mit mir herumschleppen? Brüten und grübeln über das Glück, um das meine Vergangenheit mich gebracht hat? Ich muß heraus aus dem Spiel, Rosmer.

Rosmer. Wenn Du gehst, – so gehe ich mit Dir.

Rebekka lächelt fast unmerklich, sieht ihn an und sagt leiser: Ja, Du, komm mit, – und sei Zeuge –

Rosmer. Ich gehe mit Dir, sage ich.

Rebekka. Bis an den Steg, jawohl. Hinauf getraust Du Dich ja doch nicht.

Rosmer. Hast Du das bemerkt?

Rebekka schwermütig und gebrochen. Ja. – Das eben hat meine Liebe hoffnungslos gemacht.

Rosmer. Rebekka, – hier lege ich meine Hand auf Dein Haupt. Tut, wie er spricht. Und nehme Dich zur Ehe als mein rechtmäßiges Weib.

Rebekka ergreift seine beiden Hände und neigt das Haupt an seine Brust. Ich danke Dir, Rosmer. Läßt ihn los. Und nun gehe ich – fröhlich.

Rosmer. Mann und Weib sollen miteinander gehen.

Rebekka. Nur bis zum Steg, Rosmer.

Rosmer. Und hinauf auch. So weit Du gehst, so weit gehe ich mit Dir. Denn nun getraue ich mich.

Rebekka. Bist Du so unerschütterlich davon überzeugt, – daß dieser Weg für Dich der beste ist?

Rosmer. Ich bin überzeugt, es ist der einzige.

Rebekka. Wenn Du Dich nun darin täuschst? Wenn es nur ein Blendwerk wäre? Eins von den weißen Rossen auf Rosmersholm.

Rosmer. Das könnte schon sein. Ihnen entgehen wir ja doch nicht, – wir hier auf dem Hof.

Rebekka. So bleib, Rosmer!

Rosmer. Der Mann soll seinem Weibe folgen wie das Weib seinem Manne.

Rebekka. Sag' mir zuerst dies eine. Bist Du es, der mir folgt? Oder bin ich es, die Dir folgt?

Rosmer. Dem kommen wir nie ganz auf den Grund.

Rebekka. Ich möchte es doch so gern wissen.

Rosmer. Von uns beiden folgt eins dem andern, Rebekka. Ich Dir und Du mir.

Rebekka. Das glaube ich beinah auch.

Rosmer. Denn nun sind wir beide eins.

Rebekka. Ja. Nun sind wir eins. Komm! So laß uns fröhlich gehen.

Sie gehen Hand in Hand durch das Vorzimmer, und man sieht, wie sie sich nach links wenden. Die Tür bleibt hinter ihnen offen. Eine Weile ist das Zimmer leer. Dann öffnet Madam Helseth die Tür rechts.

Madam Helseth. Fräulein, – der Wagen ist jetzt –. Sieht sich um. Nicht da? Zusammen aus um diese Zeit? Na – da muß ich aber doch sagen –! Hm! Geht hinaus in das Vorzimmer, sieht sich um und kommt wieder herein. Nicht auf der Bank. Nein, nein. Geht ans Fenster und sieht hinaus. Jesus! Jesus! Das Weiße da –! – Ja, meiner Seel' – da stehen die beiden auf dem Steg! Gott verzeih' den sündigen Menschen! Sie umschlingen sich mit den Armen! Schreit laut auf. Oh – hinüber und hinein – alle beide! Hinein in den Graben. Zu Hilfe! Zu Hilfe! Ihr beben die Knie; sie hält sich zitternd an der Stuhllehne fest und kann kaum die Worte herausbringen: Nein. Hier keine Hilfe. – Die Selige hat sie geholt.


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