Henrik Ibsen
Rosmersholm
Henrik Ibsen

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Zweiter Akt

Rosmers Arbeitszimmer.

An der Wand links ist die Eingangstür. Im Hintergrund eine Türöffnung mit aufgezogenem Vorhang, durch die man ins Schlafzimmer kommt. Ein Fenster rechts, davor ein Schreibtisch, der mit Büchern und Papieren bedeckt ist. Bücherregale und Schränke an den Wänden. Einfache Möbel. Ein altmodisches Kanapee vorn links, davor ein Tisch.

Rosmer, im Hausrock, sitzt in einem hochlehnigen Stuhl am Schreibtisch. Er schneidet eine Broschüre auf und blättert darin; hie und da schaut er ein wenig hinein. Es klopft an der Tür links.

Rosmer ohne sich umzuwenden. Komm nur herein.

Rebekka im Morgenkleid tritt ein.

Rebekka. Guten Morgen.

Rosmer blättert in der Schrift. Guten Morgen, meine Liebe. Wünschest Du etwas?

Rebekka. Ich wollte nur hören, ob Du gut geschlafen hast?

Rosmer. O, ich habe fest und sanft geschlafen. Keine Träume –. Wendet sich um. Und Du?

Rebekka. Danke schön. So gegen die Morgenstunde –.

Rosmer. Ich weiß nicht, mir ist lange nicht so leicht ums Herz gewesen wie jetzt. Ach, es war doch recht gut, daß ich mit der Sprache herausgekommen bin.

Rebekka. Ja, Du hättest nicht so lange schweigen sollen, Rosmer.

Rosmer. Ich begreife selbst nicht, daß ich so feige sein konnte.

Rebekka. Nun, es war doch nicht eigentlich Feigheit –

Rosmer. Ach ja, ja, Du, – wenn ich der Sache auf den Grund gehe, so war doch auch Feigheit mit dabei.

Rebekka. Um so beherzter hast Du dann den Knoten zerhauen. – Setzt sich zu ihm auf einen Stuhl am Schreibtisch. Aber nun will ich Dir etwas erzählen, was ich getan habe, – und worüber Du mir nicht böse sein darfst.

Rosmer. Böse? Meine Liebe, wie kannst Du glauben –?

Rebekka. Es war nämlich am Ende doch ein bißchen eigenmächtig von mir, aber –

Rosmer. Na, so laß doch hören.

Rebekka. Gestern abend, wie Ulrik Brendel ging, – da habe ich ihm zwei bis drei Zeilen an Mortensgård mitgegeben.

Rosmer ein wenig bedenklich. Aber, liebe Rebekka –. Nun, und was hast Du denn geschrieben?

Rebekka. Ich habe geschrieben, er würde Dir einen großen Dienst erweisen, wenn er sich des unglücklichen Menschen ein bißchen annehmen und ihn nach Möglichkeit unterstützen wollte.

Rosmer. Meine Liebe, das hättest Du nicht tun sollen. Du hast Brendel damit nur geschadet. Und Mortensgård, das ist doch ein Mann, den ich mir am liebsten ganz vom Leibe halten möchte. Du weißt doch, daß ich einmal Händel mit ihm gehabt habe.

Rebekka. Aber bist Du nicht auch der Meinung, es wäre ganz gut, wenn Du wieder in Beziehungen zu ihm kämst?

Rosmer. Ich? Zu Mortensgård? Aus welchen Gründen, meinst Du?

Rebekka. Nun, weil Du Dich doch eigentlich nicht sicher fühlen kannst, jetzt, – seit das zwischen Dich und Deine Freunde getreten ist.

Rosmer sieht sie an und schüttelt den Kopf. Hast Du wirklich glauben können, Kroll oder einer von den anderen hätten im Sinn, Rache zu nehmen? – Sie wären imstande –?

Rebekka. In der ersten Hitze, lieber Freund –. Das kann man niemals wissen. Mir scheint, – so, wie Kroll es aufgenommen hat –

Rosmer. Ach, Du solltest ihn doch besser kennen. Kroll ist ein Ehrenmann durch und durch. Heute nachmittag gehe ich in die Stadt und rede mit ihm. Ich will mit ihnen allen reden. Oh, Du wirst schon sehen, wie leicht das geht –

Madam Helseth in der Tür links.

Rebekka steht auf. Was ist, Madam Helseth?

Madam Helseth. Herr Rektor Kroll steht unten im Vorzimmer.

Rosmer steht schnell auf. Kroll!

Rebekka. Der Rektor! Denk nur an –!

Madam Helseth. Er fragt, ob er heraufkommen und den Pastor sprechen könnte.

Rosmer zu Rebekka. Was habe ich gesagt! – Gewiß kann er das. Geht an die Tür und ruft die Treppe hinunter: Komm herauf, lieber Freund! Du sollst herzlich willkommen sein!

Rosmer hält die Tür offen. – Madam Helseth geht. – Rebekka zieht den Vorhang der Türöffnung zusammen. Dann ordnet sie dies und jenes. Kroll, den Hut in der Hand, tritt ein.

Rosmer leise, bewegt. Ich wußte doch, es wäre nicht das letzte Mal –

Kroll. Heute sehe ich die Sachen in ganz anderem Licht als gestern.

Rosmer. Ja, nicht wahr, Kroll? Das tust Du? Nun, wo Du es Dir überlegt hast –

Kroll. Du mißverstehst mich durchaus. Legt seinen Hut auf den Tisch am Kanapee. Ich lege großen Wert darauf, mit Dir unter vier Augen zu reden.

Rosmer. Weshalb kann Fräulein West nicht –?

Rebekka. Nein, nein, Herr Rosmer. Ich gehe schon.

Kroll sieht sie von oben bis unten an. Und dann muß ich Sie um Entschuldigung bitten, mein Fräulein, daß ich so früh am Tage komme. Daß ich Sie überfalle, noch ehe Sie Zeit gehabt haben –

Rebekka stutzt. Wie denn? Sie nehmen wohl Anstoß daran, daß ich hier zu Haus im Morgenrock gehe?

Kroll. Wie sollt' ich denn! Ich weiß doch absolut nicht, was jetzt Schick und Brauch auf Rosmersholm ist.

Rosmer. Aber Kroll, – Du bist ja wie umgewandelt heute!

Rebekka. Ich empfehle mich, Herr Rektor. Geht links hinaus.

Kroll. Du erlaubst wohl– setzt sich auf das Kanapee.

Rosmer. Ja, mein Lieber, machen wir's uns bequem und plaudern wir miteinander. Setzt sich auf einen Stuhl, Kroll gerade gegenüber.

Kroll. Ich habe seit gestern kein Auge zugetan. Ich habe gelegen und mir Gedanken gemacht – die ganze Nacht.

Rosmer. Und wie denkst Du nun heute?

Kroll. Das läßt sich nicht mit wenigen Worten sagen, Rosmer. Laß mich mit einer Art Einleitung beginnen. Ich kann Dir etwas von Ulrik Brendel erzählen.

Rosmer. Ist er bei Dir gewesen?

Kroll. Nein. Er hat sich in einer schoflen Kneipe häuslich niedergelassen. In der schofelsten Gesellschaft natürlich. Er hat gezecht und traktiert, solange er noch etwas hatte. Dann schimpfte er die ganze Bande Pack und Pöbel. Da hat er übrigens recht gehabt. Aber dann bekam er Prügel und wurde in den Rinnstein geworfen.

Rosmer. So ist er doch wohl unverbesserlich.

Kroll. Den Rock, den hatte er auch versetzt. Aber den soll man ihm wieder eingelöst haben. Kannst Du erraten, wer?

Rosmer. Du selbst vielleicht?

Kroll. Nein. Der noble Herr Mortensgård.

Rosmer. Ja so!

Kroll. Ich habe mir erzählen lassen, Herrn Brendels erster Besuch habe dem Idioten und Plebejer gegolten.

Rosmer. Das war ja ein Glück für ihn –.

Kroll. Allerdings war es das. Lehnt sich über den Tisch, etwas näher zu Rosmer hin. Und da wären wir denn bei einer Sache angelangt, vor der ich Dich warnen muß um unserer alten – unserer ehemaligen Freundschaft willen.

Rosmer. Mein Lieber, um was handelt es sich?

Kroll. Darum, daß man hier im Haus hinter Deinem Rücken ein falsches Spiel treibt nach irgend einer Richtung.

Rosmer. Wie kannst Du das glauben? Meinst Du etwa Reb –, Fräulein West damit?

Kroll. Sie – jawohl. Von ihrem Standpunkt begreife ich es sehr wohl. Sie ist nun doch schon lange gewöhnt, hier das Regiment zu führen. Trotzdem aber –

Rosmer. Lieber Kroll, Du befindest Dich da in einem großen Irrtum. Sie und ich, – wir haben auch nicht das kleinste Geheimnis voreinander.

Kroll. Hat sie Dir auch bekannt, daß sie mit dem Redakteur des »Blinkfeuers« in Briefwechsel getreten ist?

Rosmer. Ach, Du meinst die paar Zeilen, die sie Ulrik Brendel mitgegeben hat.

Kroll. Du bist also dahinter gekommen. Und billigst Du, daß sie auf solche Art Verbindungen anknüpft mit diesem Schandschreiber, der jede liebe Woche mich in meiner Lehrtätigkeit wie in meinem öffentlichen Auftreten an den Pranger zu stellen sucht?

Rosmer. Mein Bester, an diese Seite der Sache hat sie gewiß nicht einmal gedacht. Und übrigens, – sie hat ebenso wie ich in allen Dingen freie Hand.

Kroll. So? Das gehört wohl auch zu der neuen Richtung, die Du jetzt eingeschlagen hast. Denn auf Deinem Standpunkt, da steht wohl auch Fräulein West?

Rosmer. Allerdings. Wir beide haben uns getreulich zusammen durchgerungen.

Kroll sieht ihn an und schüttelt langsam den Kopf. Ach, was bist Du für ein blinder, betörter Mann!

Rosmer. Ich? Wie kommst Du darauf?

Kroll. Weil ich das Schlimmste nicht zu denken wage – nicht denken will. Nein, nein! Laß mich ausreden. – Du legst doch wirklich Wert auf meine Freundschaft, Rosmer? Und auch auf meine Achtung? Nicht wahr?

Rosmer. Auf die Frage brauche ich wohl nicht zu antworten.

Kroll. Na, aber da ist noch etwas andres, und das heischt eine Antwort, – eine offene Erklärung von Deiner Seite. – Willst Du gestatten, daß ich Dich einer Art Verhör unterziehe –?

Rosmer. Verhör?

Kroll. Ja, daß ich Dich ausfrage über allerlei, woran erinnert zu werden Dir peinlich sein mag. Sieh mal, – die Geschichte mit Deinem Abfall, – na, oder Deiner Befreiung, wie Du es ja nennst – die hängt mit so vielem andern zusammen, worüber Du mir um Deiner selbst willen Rechenschaft schuldig bist.

Rosmer. Mein Lieber, frag' nur nach Herzenslust. Ich habe nichts zu verheimlichen.

Kroll. Nun denn, so sag' mir, – was mag nach Deiner Meinung wohl der letzte Grund gewesen sein, warum Beate hinging und ihrem Leben ein Ende machte?

Rosmer. Kannst Du daran noch zweifeln? Oder, besser gesagt, kann man nach Gründen fragen für das, was ein unglücklicher, kranker, unzurechnungsfähiger Mensch unternimmt?

Kroll. Bist Du sicher, daß Beate so ganz unzurechnungsfähig war? Die Ärzte waren wenigstens der Ansicht, die Sache wäre nicht so ganz ausgemacht.

Rosmer. Wenn die Ärzte sie jemals so gesehen hätten, wie ich sie so manches Mal gesehen bei Tag und bei Nacht, dann hätten sie nicht gezweifelt.

Kroll. Damals habe ich auch nicht gezweifelt.

Rosmer. Ein Zweifel war ja doch auch leider ganz ausgeschlossen. Ich habe Dir doch von ihrer maßlosen, ungestümen Leidenschaftlichkeit erzählt und ihrem Verlangen, daß ich sie erwidern sollte. Oh, dieser Schauder, den sie mir eingeflößt hat! Und dann ihre grundlosen, aufreibenden Selbstanklagen in den letzten Jahren.

Kroll. Ja, nachdem sie erfahren hatte, daß sie für immer kinderlos bleiben müßte.

Rosmer. Na, also überlege selbst –. So ein qualvolles, grausiges Entsetzen über etwas ganz Unverschuldetes –! Und sie sollte zurechnungsfähig gewesen sein?

Kroll. Hm –. Erinnerst Du Dich vielleicht, ob Du damals Bücher im Hause hattest, die von dem Zweck der Ehe handelten – nach der vorgeschrittenen Auffassung unserer Zeit?

Rosmer. Ich entsinne mich, daß Fräulein West mir ein solches Werk geliehen hat. Denn sie erbte ja, wie Du weißt, die Bibliothek des Doktors. Aber, mein lieber Kroll, Du glaubst doch wohl nicht, daß wir so unvorsichtig waren, die arme Kranke in solche Dinge einzuweihen? Ich kann Dir hoch und heilig versichern, uns trifft keine Schuld. Ihre eigenen zerrütteten Gehirnnerven, die haben sie auf diese traurigen Irrwege gebracht.

Kroll. Eins kann ich Dir jedenfalls jetzt erzählen. Und zwar dies: die arme gequälte und überspannte Beate hat darum ihrem Leben selbst ein Ende gemacht, damit Du fortan glücklich leben könntest, – frei leben könntest, – nach eigenem Gefallen.

Rosmer ist halb vom Stuhl aufgefahren. Was willst Du damit sagen?

Kroll. Du sollst mich erst ruhig anhören, Rosmer. Denn nun kann ich darüber sprechen. In ihrem letzten Lebensjahr war sie zweimal bei mir, um mir ihre Angst und Verzweiflung zu klagen.

Rosmer. Über dieselbe Sache?

Kroll. Nein. Das erste Mal kam sie und behauptete, Du wärst auf dem Weg des Abfalls. Du wolltest mit dem Glauben Deiner Väter brechen.

Rosmer eifrig. Was Du da sagst, das ist unmöglich, Kroll! Ganz unmöglich! Da mußt Du Dich irren.

Kroll. Wieso?

Rosmer. Ja, weil ich, solange Beate lebte, noch in Zweifel und Kampf mit mir selbst lag. Und den Kampf kämpfte ich allein aus und in aller Stille. Ich glaube nicht einmal, daß Rebekka –

Kroll. Rebekka?

Rosmer. Nun ja, – Fräulein West. Ich nenne sie Rebekka der Kürze wegen.

Kroll. Das habe ich bemerkt.

Rosmer. Darum ist es mir ganz unbegreiflich, wie Beate auf den Gedanken kommen konnte. Und warum hat sie nicht mit mir selbst darüber gesprochen? Und das hat sie nie getan. Auch nicht mit einem Worte.

Kroll. Die Arme, – sie bat und bettelte, ich sollte mit Dir sprechen.

Rosmer. Und warum hast Du das nicht getan?

Kroll. Konnte ich denn damals auch nur einen Augenblick daran zweifeln, daß sie geistesgestört sei? Eine solche Anklage gegen einen Mann wie Du! – Und dann kam sie noch einmal, – etwa einen Monat später. Anscheinend war sie ruhiger. Aber als sie wegging, sagte sie: nun können sie auf Rosmersholm sich auf das weiße Roß gefaßt machen.

Rosmer. Ja, ja, das weiße Roß, – von dem hat sie oft gesprochen.

Kroll. Und als ich dann ihr die traurigen Gedanken auszureden suchte, da antwortete sie nur: mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Denn jetzt muß Johannes sich gleich mit Rebekka verheiraten.

Rosmer fast sprachlos. Was sagst Du da –! Ich mich verheiraten mit –!

Kroll. Das war an einem Donnerstag Nachmittag. – Am Sonnabend Abend stürzte sie sich vom Steg hinunter in den Mühlengraben.

Rosmer. Und da hast Du uns nicht gewarnt –!

Kroll. Du weißt ja selbst, wie oft sie davon sprach, daß sie sicher bald sterben müßte.

Rosmer. Das weiß ich schon. Aber trotzdem; – Du hättest uns warnen müssen.

Kroll. Das hatte ich auch vor. Aber da war es schon zu spät.

Rosmer. Aber warum hast Du dann nicht später –? Warum hast Du dies alles verschwiegen?

Kroll. Was hätte es denn für einen Zweck gehabt, hierher zu kommen und Dich noch mehr zu quälen und zu beunruhigen? Ich hielt die ganzen Geschichten ja doch für lauter leere und wüste Hirngespinste. – Bis gestern abend.

Rosmer. Also jetzt nicht mehr?

Kroll. Hat Beate nicht ganz klar gesehen, als sie meinte, Du würdest von Deinem Kinderglauben abfallen?

Rosmer starrt vor sich hin. Ja, das verstehe ich nicht. Das ist mir das Unbegreiflichste von der Welt.

Kroll. Unbegreiflich oder nicht, – es ist nun einmal so. Und jetzt frage ich Dich, Rosmer, – wieviel Wahrheit enthält ihre zweite Bezichtigung? Die letzte, meine ich.

Rosmer. Bezichtigung? War das denn eine Bezichtigung?

Kroll. Du hast vielleicht nicht genau beachtet, wie die Worte lauteten. Sie wollte fort, sagte sie –. Warum? Nun?

Rosmer. Damit ich mich mit Rebekka verheiraten könnte –.

Kroll. Die Worte lauteten nicht ganz so. Beate drückte sich anders aus. Sie sagte: es bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Denn jetzt muß Johannes sich gleich mit Rebekka verheiraten.

Rosmer sieht ihn einen Moment an; dann steht er auf. Jetzt verstehe ich Dich, Kroll.

Kroll. Nun – und? Was hast Du zu antworten?

Rosmer immer sacht, indem er sich beherrscht. Auf so etwas Unerhörtes –? Die einzig richtige Antwort wäre, Dir die Tür zu weisen.

Kroll steht auf. Schön.

Rosmer stellt sich vor ihn. Hör' mich jetzt an. Seit Jahr und Tag, – von dem Augenblick an, da Beate uns verließ,– haben Rebekka West und ich hier allein auf Rosmersholm gelebt. Diese ganze Zeit über hast Du Beatens Anschuldigung gekannt. Aber auch nicht einen Moment habe ich bemerkt, daß Du an unserem Zusammenleben hier Anstoß genommen hättest.

Kroll. Bis gestern abend wußte ich nicht, daß ein Abtrünniger und eine – Emanzipierte dieses Zusammenleben führten.

Rosmer. Ah –! Du meinst also, bei Abtrünnigen und Emanzipierten könnte man keinen Reinheitssinn finden? Du glaubst, es könne nicht der Sittlichkeitstrieb in ihnen leben wie eine Naturkraft!

Kroll. Ich halte nicht viel von der Sorte Sittlichkeit, die ihre Wurzel nicht im Glauben der Kirche hat.

Rosmer. Und davon nimmst Du Rebekka und mich nicht aus? Nicht mein und Rebekkas Verhältnis?

Kroll. Ich kann zu Euren Gunsten nicht die Ansicht aufgeben, daß die Kluft wohl nicht allzu tief ist zwischen dem freien Gedanken und der – hm!

Rosmer. Und – was!

Kroll. – und der freien Liebe, – wenn Du es denn durchaus hören willst.

Rosmer leise. Und Du schämst Dich nicht, mir das zu sagen?! Du, der mich seit meiner frühsten Kindheit kennt.

Kroll. Eben darum. Ich weiß, wie leicht Du Dich von den Menschen beeinflussen läßt, mit denen Du umgehst. Und diese Deine Rebekka –. Na, also dieses Fräulein West, – von ihr wissen wir ja eigentlich so gut wie nichts. Kurz und gut, Rosmer, – ich gebe Dich noch nicht auf. Und Du selbst, – Du mußt Dich beizeiten zu retten suchen.

Rosmer. Mich retten? Wieso –?

Madam Helseth guckt durch die Tür links herein.

Rosmer. Was wollen Sie?

Madam Helseth. Ich wollte das Fräulein bitten, herunter zu kommen.

Rosmer. Das Fräulein ist nicht hier oben.

Madam Helseth. Nein? Sieht sich um. Das ist doch sonderbar. Ab.

Rosmer. Du sagtest –?

Kroll. So höre. Was hier zu Beatens Lebzeiten im Geheimen vor sich gegangen ist, – und was hier jetzt noch vor sich geht, – das will ich nicht näher untersuchen. Du warst ja tief unglücklich in Deiner Ehe. Und das muß Dir wohl gewissermaßen zur Entschuldigung dienen –

Rosmer. Ach, wie wenig Du mich im Grunde kennst –!

Kroll. Unterbrich mich nicht. Was ich also sagen wollte, – wenn dieses Zusammenleben mit Fräulein West durchaus fortgesetzt werden soll, so ist es absolut nötig, daß Du Deine Schwenkung totschweigst, – diese traurige Fahnenflucht, wozu sie Dich verleitet hat. Laß mich reden! Laß mich reden! Ich sage, – schlimmsten Falles denke und meine und glaube Du in Gottes Namen, was Du willst – in der einen wie in der andern Richtung. Aber behalt Deine Ansichten für Dich selbst. Das ist ja eine rein persönliche Angelegenheit. Es liegt gar keine Notwendigkeit vor, so etwas ins ganze Land hinauszuposaunen.

Rosmer. Für mich ist es eine Notwendigkeit, aus einer falschen und zweideutigen Stellung herauszukommen.

Kroll. Aber Du hast eine Pflicht gegenüber den Traditionen Deines Geschlechtes, Rosmer! Vergiß das nicht! Rosmersholm ist seit undenklichen Zeiten so etwas wie ein Wohnsitz der Zucht und Ordnung gewesen, – der ehrerbietigen Achtung vor dem, was die Besten unserer Gesellschaft vertreten und verfochten haben. Die ganze Gegend hat ihr Gepräge von Rosmersholm erhalten. Es würde eine unselige, eine heillose Verwirrung entstehen, wenn es ruchbar würde, daß Du selbst mit dem gebrochen hast, was ich den Familiengedanken der Rosmer nennen möchte.

Rosmer. Lieber Kroll, – von der Seite kann ich die Sache nicht ansehen. Ich halte es für meine unabweisbare Pflicht, hier ein wenig Licht und Freude zu verbreiten, wo das Geschlecht der Rosmer in der langen, langen Zeit Dunkelheit und Mißbehagen geschaffen hat.

Kroll sieht ihn streng an. Ja! Das wäre eine würdige Tat für den Mann, mit dem das Geschlecht ausstirbt. Davon laß die Hände, Du! Das ist keine Arbeit, die sich für Dich eignet. Du bist geschaffen, als stiller Forscher zu leben.

Rosmer. Wohl möglich. Aber ich, ich will auch einmal mittun im Kampf des Lebens.

Kroll. Der Kampf des Lebens, – weißt Du, was dabei für Dich herauskommen wird? Es wird ein Kampf mit allen Deinen Freunden werden, ein Kampf auf Leben und Tod.

Rosmer leise. Sie sind doch wohl nicht alle so fanatisch wie Du.

Kroll. Du bist eine arglose Seele, Rosmer. Eine unerfahrene Seele bist Du. Du ahnst nicht, wie gewaltig das Unwetter über Dich hereinbrechen wird.

Madam Helseth guckt durch die angelehnte Tür links.

Madam Helseth. Das Fräulein läßt fragen –

Rosmer. Was gibt es?

Madam Helseth. Da unten ist wer, der mal gern den Herrn Pastor sprechen möchte.

Rosmer. Ist es vielleicht der, der gestern abend hier war?

Madam Helseth. Nein, – es ist der Herr Mortensgård.

Rosmer. Mortensgård!

Kroll. Aha! So weit sind wir also schon! So weit schon!

Rosmer. Was will er von mir? Warum haben Sie ihn nicht wieder fortgeschickt?

Madam Helseth. Das Fräulein sagte, ich sollte fragen, ob er heraufkommen dürfte.

Rosmer. Sagen Sie ihm, ich hätte Besuch –

Kroll. Lassen Sie ihn nur heraufkommen, Madam Helseth.

Madam Helseth ab.

Kroll nimmt seinen Hut. Ich räume das Feld – vorläufig. Aber die Hauptschlacht ist noch nicht geschlagen.

Rosmer. So wahr ich lebe, Kroll, – ich habe nichts mit Mortensgård zu schaffen.

Kroll. Ich glaube Dir nicht mehr. In keinem Punkte. In gar keiner Beziehung glaube ich Dir fortan mehr. Krieg bis aufs Messer gilt es jetzt. Wir wollen doch einmal sehen, ob wir Dich nicht unschädlich machen können.

Rosmer. O, Kroll, – wie tief – wie unendlich tief stehst Du jetzt!

Kroll. Ich! Und so einer wie Du sagt mir das! Denk an Beate!

Rosmer. Fängst Du wieder damit an?!

Kroll. Nein. Wie Du das Rätsel des Mühlengrabens löst, das mache mit Deinem Gewissen ab, – wenn Du so etwas überhaupt noch hast.

Peder Mortensgård kommt leise und unauffällig durch die Tür links. Er ist ein kleiner, dürrer Mann mit dünnem, rötlichem Haar und Bart.

Kroll mit einem Blick voll Haß. Na also, das »Blinkfeuer« –. Angesteckt auf Rosmersholm! Knöpft seinen Rock zu. Ja, dann brauche ich nicht länger im Zweifel zu sein, welchen Kurs ich zu steuern habe.

Mortensgård gemütlich. Das »Blinkfeuer« wird immer angesteckt sein, um dem Herrn Rektor heimzuleuchten.

Kroll. Ja, Ihre gute Absicht, die kennen wir längst. Allerdings gibt es ein Gebot, das sagt: wir sollen nicht falsch Zeugnis ablegen wider unsern Nächsten –

Mortensgård. In den Geboten brauchen Sie mich nicht zu unterweisen, Herr Rektor.

Kroll. Auch nicht in dem sechsten?

Rosmer. Kroll –!

Mortensgård. Ist das nötig, so wäre wohl der Herr Pastor der Berufenste.

Kroll mit verborgenem Hohn. Der Herr Pastor? Ja, unleugbar ist der Pastor Rosmer in dem Punkte der Berufenste. – Gute Verrichtung, meine Herren.

Geht und schlägt die Tür hinter sich zu.

Rosmer mit einem langen Blick auf die Tür, sagt dann vor sich hin: Ja, ja, – dann muß es eben so sein! Wendet sich um. Wollen Sie mir bitte sagen, Herr Mortensgård, was Sie zu mir führt?

Mortensgård. Mein Besuch galt eigentlich Fräulein West. Ich glaubte ihr für den freundlichen Brief danken zu müssen, den ich gestern von ihr bekommen habe.

Rosmer. Ich weiß, daß sie Ihnen geschrieben hat. Haben Sie sie schon gesprochen?

Mortensgård. Ja, ganz kurz. Mit flüchtigem Lächeln. Ich höre, die Anschauungen hier auf Rosmersholm haben sich in mancher Beziehung geändert.

Rosmer. Meine Anschauungen haben sich in vielen Dingen geändert. Ich möchte beinah sagen – in allen Dingen.

Mortensgård. Das Fräulein hat es mir gesagt. Und darum, meinte sie, könnte ich hinaufgehen und mit Ihnen ein wenig darüber reden, Herr Pastor.

Rosmer. Über was, Herr Mortensgård?

Mortensgård. Würden Sie mir gestatten, im »Blinkfeuer« von Ihrer Sinnesänderung Mitteilung zu machen, – und auch davon, daß Sie sich der Sache des Freisinns und des Fortschritts anschließen?

Rosmer. Das können Sie getrost tun. Ich bitte Sie sogar, es mitzuteilen.

Mortensgård. So soll es morgen früh hinein. Es ist eine große und wichtige Neuigkeit, daß der Pastor Rosmer auf Rosmersholm der Ansicht ist, er könnte auch in diesem Sinne für die Sache des Lichtes kämpfen.

Rosmer. Ich verstehe Sie nicht ganz.

Mortensgård. Ich meine nur, das Rückgrat unserer Partei wird jedesmal neu gestärkt, so oft wir einen ernsthaften, christlich gesinnten Anhänger gewinnen.

Rosmer ein wenig erstaunt. Sie wissen also nicht –? Hat Fräulein West Ihnen nicht auch das gesagt?

Mortensgård. Was denn, Herr Pastor? Das Fräulein hatte alle Hände voll zu tun. Sie sagte, ich sollte nur hinaufgehen und das übrige aus Ihrem eigenen Munde hören.

Rosmer. So will ich Ihnen denn sagen, daß ich mich durchaus freigemacht habe. Nach allen Seiten. Ich stehe jetzt in gar keinen Beziehungen mehr zu den Lehrsätzen der Kirche. Diese Dinge gehen mich fortan nicht das Geringste mehr an.

Mortensgård sieht ihn bestürzt an. Nein, – und wenn der Mond vom Himmel fiele, ich könnte nicht erstaunter –! Sie sagen selbst sich los, Herr Pastor –!

Rosmer. Ja. Ich stehe jetzt da, wo Sie selbst schon lange gestanden haben. Das dürfen Sie also morgen im »Blinkfeuer« mitteilen.

Mortensgård. Das auch? Nein, lieber Herr Pastor –. Verzeihen Sie, – aber diese Seite der Sache verdient nicht berührt zu werden.

Rosmer. Verdient nicht?

Mortensgård. Vorläufig nicht, meine ich.

Rosmer. Aber ich begreife nicht –.

Mortensgård. Sehen Sie mal, Herr Pastor –. Sie stehen nicht so mittendrin in den Verhältnissen wie ich, wissen Sie. Wenn Sie nun aber ins Lager des Freisinns übergehen, – und wenn Sie – wie Fräulein West sagte – teil an der Bewegung nehmen wollen, – so tun Sie das doch wohl mit dem Wunsche, dem Freisinn und der Bewegung sich so nützlich zu machen, wie Sie nur irgend können.

Rosmer. Ja, das wünsche ich von Herzen.

Mortensgård. Na, dann will ich Ihnen nur gleich sagen, Herr Pastor: machen Sie aus Ihrem Abfall von der Kirche eine öffentliche Angelegenheit, so binden Sie sich gleich im ersten Augenblick die Hände.

Rosmer. Meinen Sie?

Mortensgård. Ja, seien Sie überzeugt, Sie werden dann nicht mehr viel ausrichten in unserer Gegend. Und überdies, – an Freidenkern haben wir genügenden Vorrat, Herr Pastor. Fast möchte ich sagen, wir haben schon zu viel von dieser Art Leute. Was die Partei braucht, das sind christliche Elemente, – etwas, das alle respektieren müssen. Und an denen fehlt es uns gewaltig. Darum ist es das ratsamste, Sie halten reinen Mund über Dinge, die das Publikum nichts angehen. Sehen Sie, das ist so meine Ansicht.

Rosmer. So –. Sie wagen also nicht, sich mit mir einzulassen, wenn ich offen meinen Abfall bekenne?

Mortensgård schüttelt den Kopf. Ich täte es ungern, Herr Pastor. In letzter Zeit habe ich es mir zur Regel gemacht, keiner Sache oder keiner Person mehr meine Unterstützung zu leihen, die den kirchlichen Dingen zu Leibe will.

Rosmer. Haben Sie sich denn selbst in letzter Zeit der Kirche wieder zugewandt?

Mortensgård. Das ist eine Sache für sich.

Rosmer. Aha, auf die Art also. Ja, dann verstehe ich Sie.

Mortensgård. Herr Pastor, – Sie dürfen nicht vergessen, daß ich – besonders ich – nicht volle Freiheit des Handelns habe.

Rosmer. Was bindet Sie denn?

Mortensgård. Ich bin ein Gezeichneter – und das bindet mich.

Rosmer. Ah, – ja so.

Mortensgård. Ein Gezeichneter, Herr Pastor. Das sollten ganz besonders Sie nicht vergessen. Denn Sie waren es ja in erster Reihe, der mir das Zeichen aufgedrückt hat.

Rosmer. Hätte ich damals gestanden, wo ich heute stehe, so hätte ich Ihre Verfehlung mit behutsameren Händen angefaßt.

Mortensgård. Das denke ich auch. Aber jetzt ist es zu spät. Sie haben mich ein für alle Mal gezeichnet. Fürs ganze Leben gezeichnet. Na, Sie wissen wohl nicht so ganz, was das auf sich hat. Aber jetzt werden Sie vielleicht den brennenden Schmerz bald selbst spüren, Herr Pastor.

Rosmer. Ich?

Mortensgård. Ja. Denn Sie glauben doch wohl nun und nimmer, Rektor Kroll und sein Kreis werden Absolution haben für ein Vergehen wie das Ihre?! Und die »Amtszeitung«, heißt es, soll jetzt recht blutig werden. Es kann schon der Fall eintreten, daß auch Sie ein Gezeichneter werden.

Rosmer. Auf allen Gebieten des Persönlichen fühle ich mich unverwundbar, Herr Mortensgård. Mein Wandel läßt sich nicht antasten.

Mortensgård mit einem feinen Lächeln. Das war ein großes Wort, Herr Pastor.

Rosmer. Mag sein. Aber ich habe das Recht, ein so großes Wort auszusprechen.

Mortensgård. Auch wenn Sie Ihren Wandel so gründlich prüften, wie Sie einmal den meinen geprüft haben?

Rosmer. Sie sagen das so sonderbar. Was meinen Sie denn damit? Ist es etwas Bestimmtes?

Mortensgård. Ja, es ist eine bestimmte Sache. Nur eine. Aber die könnte eine mehr als schlimme Wendung nehmen, wenn boshafte Gegner davon Wind bekämen.

Rosmer. Wollen Sie mir nicht bitte sagen, was das sein könnte?

Mortensgård. Erraten Sie es nicht selbst, Herr Pastor?

Rosmer. Nein, wirklich nicht. Ich habe keine Ahnung.

Mortensgård. Na, dann muß ich ja wohl damit herausrücken. – Ich habe einen seltsamen Brief in Verwahrung, der hier auf Rosmersholm geschrieben ist.

Rosmer. Fräulein Wests Brief, meinen Sie? Ist der so seltsam?

Mortensgård. Nein, der Brief ist nicht seltsam. Aber ich habe einmal einen andern Brief aus diesem Haus bekommen.

Rosmer. Auch von Fräulein West?

Mortensgård. Nein, Herr Pastor.

Rosmer. Nun, von wem denn? Von wem?

Mortensgård. Von Ihrer seligen Frau.

Rosmer. Von meiner Frau! Sie haben einen Brief von meiner Frau bekommen?

Mortensgård. Ja, das habe ich.

Rosmer. Wann?

Mortensgård. Es war in der letzten Lebenszeit der Seligen. Es mag nun wohl so etwa anderthalb Jahre hersein. Und der Brief, der ist seltsam.

Rosmer. Sie wissen wohl, daß meine Frau damals gemütskrank war.

Mortensgård. Ja, ich weiß, es gab viele, die das glaubten. Aber ich meine, dem Brief konnte man so etwas nicht anmerken. Wenn ich sage, der Brief war seltsam, so meine ich das in anderer Beziehung.

Rosmer. Und wie in aller Welt konnte es meiner armen Frau nur einfallen, Ihnen zu schreiben?

Mortensgård. Ich habe den Brief zu Hause. Sie beginnt ungefähr so: sie lebe in großer Angst und Sorge. Denn es gäbe hier zu Lande so viele schlechte Menschen, schreibt sie. Und diese Menschen dächten nur daran, Ihnen Verdruß zu bereiten und Schaden zuzufügen.

Rosmer. Mir?

Mortensgård. Ja, so sagt sie. Und nun kommt das Seltsamste. Soll ich es sagen, Herr Pastor?

Rosmer. Ja gewiß! Alles! Ohne Vorbehalt.

Mortensgård. Die Selige bittet und fleht mich an, großmütig zu sein. Sie wüßte, – schreibt sie, – daß Sie es gewesen sind, Herr Pastor, der meine Entfernung vom Lehramt durchgesetzt hat. Und dann bittet sie mich inständig, mich nicht zu rächen.

Rosmer. Womit, glaubte sie denn, könnten Sie sich rächen?

Mortensgård. Es stand in dem Brief: sollte ich von Gerüchten hören, daß auf Rosmersholm sündige Dinge im Schwange wären, so dürfte ich dem keinen Glauben schenken. Denn nur schlechte Menschen streuten so etwas aus, um Sie unglücklich zu machen.

Rosmer. Das steht in dem Briefe!

Mortensgård. Sie können ihn bei Gelegenheit selbst lesen, Herr Pastor.

Rosmer. Aber ich begreife nicht –! Die bösen Gerüchte so wie sie in ihrer Einbildung bestanden, – worauf sollten die denn hinauslaufen?

Mortensgård. Erstens, daß Sie von Ihrem Kinderglauben abgefallen wären, Herr Pastor. Das leugnete Ihre Frau mit aller Entschiedenheit – damals. Und ferner – hm –

Rosmer. Ferner?

Mortensgård. Ja, ferner schreibt sie, – und das ist ziemlich verworren, – ihr wäre von einem sündigen Verhältnis auf Rosmersholm nichts bekannt. Nie sei ein Unrecht an ihr begangen worden. Und wenn derlei Gerüchte dennoch verbreitet werden sollten, so flehte sie mich an, das im »Blinkfeuer« nicht zu berühren.

Rosmer. War kein Name genannt?

Mortensgård. Nein.

Rosmer. Wer hat Ihnen den Brief gebracht?

Mortensgård. Ich habe versprochen, es nicht zu sagen! Er wurde eines Tages in der Dämmerung mir ins Haus gebracht.

Rosmer. Hätten Sie sich gleich erkundigt, so hätten Sie erfahren, daß meine arme unglückliche Frau nicht ganz zurechnungsfähig war.

Mortensgård. Ich habe mich erkundigt, Herr Pastor. Aber ich muß sagen, daß ich einen solchen Eindruck nicht empfangen habe.

Rosmer. Nicht? – Aber warum machen Sie mich jetzt eigentlich mit diesem alten, konfusen Brief bekannt?

Mortensgård. Um Ihnen den Rat zu geben, äußerst vorsichtig zu sein, Herr Pastor.

Rosmer. In meinem Lebenswandel, meinen Sie?

Mortensgård. Ja. Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie fortan kein geweihter Mann mehr sind.

Rosmer. Sie bleiben also dabei, daß es hier etwas zu verbergen gibt?

Mortensgård. Ich weiß nicht, weshalb ein freier Mann nicht das Recht hätte, sein Leben voll auszuleben. Aber wie gesagt, seien Sie von heut an vorsichtig. Sollte irgend was in die Öffentlichkeit dringen, das den Vorurteilen zuwiderläuft, so können Sie sicher sein, die ganze freie Geistesrichtung muß es ausbaden. Adieu, Herr Pastor.

Rosmer. Adieu.

Mortensgård. Und nun gehe ich gleich in die Druckerei und setze die große Neuigkeit ins »Blinkfeuer«.

Rosmer. Setzen Sie alles hinein.

Mortensgård. Ich setze nicht mehr hinein, als die guten Leute zu wissen brauchen.

Er grüßt und geht. Rosmer bleibt in der Tür stehen, während Mortensgård die Treppe hinunter geht. Man hört, wie die Haustür geschlossen wird.

Rosmer in der Tür, ruft mit gedämpfter Stimme: Rebekka! Re –. Hm. Laut. Madam Helseth, ist Fräulein West nicht unten?

Madam Helseth. Man hört sie unten im Vorzimmer. Nein, Herr Pastor, hier ist sie nicht. Der Vorhang im Hintergrund wird zur Seite geschoben. Rebekka erscheint in der Türöffnung.

Rebekka. Rosmer!

Rosmer dreht sich um. Was! Du warst drin in meinem Schlafzimmer? Meine Liebe, was hast Du da gemacht?

Rebekka geht zu ihm hin. Ich habe gehorcht.

Rosmer. Nein, aber Rebekka, wie konntest Du nur?

Rebekka. Nun ja – warum nicht. Es klang so häßlich, – was er da von meinem Morgenrock sagte –

Rosmer. So? Du warst also auch drin, als Kroll –?

Rebekka. Ja. Ich wollte wissen, was er im Schilde führte.

Rosmer. Das hätte ich Dir ja doch erzählt.

Rebekka. Schwerlich hättest Du mir alles erzählt. Und sicher nicht mit seinen eigenen Worten.

Rosmer. Du hast alles gehört?

Rebekka. Das meiste, denke ich. Wie Mortensgård kam, da mußte ich auf einen Augenblick hinunter.

Rosmer. Und dann bist Du wieder gekommen –

Rebekka. Sei mir deshalb nicht böse, lieber Freund.

Rosmer. Tu ganz, was Du für recht und richtig hältst. Du hast ja doch Deine volle Freiheit. – Aber was sagst Du nun, Rebekka –? Ach, nie, meine ich, war ich so auf Dich angewiesen wie jetzt.

Rebekka. Wir beide waren doch auf das vorbereitet, was einmal kommen mußte.

Rosmer. Nein, nein, – auf das nicht.

Rebekka. Auf das nicht?

Rosmer. Ich konnte mir schon denken, daß früher oder später einmal unser schönes, reines Freundschaftsverhältnis beschmutzt und verdächtigt werden würde. Aber nicht von Kroll. Von ihm hätte ich so was nimmermehr erwartet. Nur von dieser rohen und niedrig gesinnten Gesellschaft. O ja, – ich hatte schon meine guten Gründe, wenn ich unsern Bund so eifersüchtig vor den Augen der Welt verbarg. Es war ein gefährliches Geheimnis.

Rebekka. Ach, was schert uns denn das Urteil dieser anderen! Wir sind uns ja selbst bewußt, daß wir ohne Schuld sind.

Rosmer. Ich? Ohne Schuld? Ja, das glaubte ich freilich auch – bis zu dieser Stunde. Aber jetzt, – jetzt, Rebekka –

Rebekka. Nun, – jetzt?

Rosmer. Wie soll ich mir Beatens entsetzliche Anklage erklären?

Rebekka ungestüm. Ach, sprich nicht von Beate. Denk nicht mehr an Beate! Nun warst Du doch so schön losgekommen von ihr, der Toten.

Rosmer. Seit ich das da erfahren habe, ist sie gewissermaßen wieder unheimlich lebendig geworden.

Rebekka. Nein, – nicht doch, Rosmer! Nicht doch!

Rosmer. Doch, sage ich Dir. Wir müssen der Sache auf den Grund zu kommen suchen. Wie ist Beate in dieses unselige Mißverständnis hineingeraten?

Rebekka. Du fängst doch wohl nicht selbst an zu zweifeln, daß sie so gut wie irrsinnig war?

Rosmer. O ja, Du! Eben davon bin ich nicht mehr so ganz fest überzeugt. Und außerdem, – wenn es der Fall war –

Rebekka. Wenn es der Fall war? – Und was dann?

Rosmer. Ich meine, – wo sollen wir dann die eigentliche Ursache dafür suchen, daß die kränkliche Beschaffenheit ihres Gemüts in Irrsinn überging?

Rebekka. Ach! was hilft es denn, daß Du Dich unablässig in solche Grübeleien verlierst!

Rosmer. Ich kann nicht anders, Rebekka. Ich kann diese quälenden Zweifel nicht los werden, so gern ich auch will.

Rebekka. Aber es kann doch gefährlich werden, – wenn man so ewig um diesen einen trostlosen Gedanken herumschwirrt.

Rosmer geht unruhig und gedankenvoll umher. Ich muß mich auf irgend eine Art selbst verraten haben. Sie muß bemerkt haben, wie glücklich ich mich von dem Augenblick an gefühlt habe, da Du zu uns kamst.

Rebekka. Nun ja, lieber Freund, und wenn es nun so wäre –!

Rosmer. Du sollst sehen, – es ist ihr nicht entgangen, daß wir dieselben Bücher lasen. Daß wir einander suchten und von den vielen neuen Dingen sprachen. Aber ich begreife es nicht! Denn ich war doch so eifrig auf ihre Schonung bedacht. Wenn ich zurückdenke, so ist mir, als hätte ich sie um mein Leben nicht an unseren Angelegenheiten teilnehmen lassen mögen. Oder war das nicht der Fall, Rebekka?

Rebekka. O freilich war es das!

Rosmer. Und bei Dir auch. – Und dennoch –! Ach! der Gedanke daran ist furchtbar! So ist sie also hier umhergegangen, – diese Frau, – mit ihrer leidenden Liebe, – und hat geschwiegen und geschwiegen, und uns beobachtet, – und alles bemerkt und, – und alles mißverstanden.

Rebekka ringt die Hände. Ach, wäre ich doch nie nach Rosmersholm gekommen!

Rosmer. Ach, wenn man sich vorstellt, was sie in der Stille gelitten hat! Was für scheußliche Dinge mag sie sich in ihrem kranken Hirn zurechtgelegt und uns zum Vorwurf gemacht haben! – Hat sie zu Dir irgend eine Äußerung getan, die Dir etwas wie einen Fingerzeig hätte geben können?

Rebekka wie aufgescheucht. Zu mir! Glaubst Du, ich wäre dann auch nur einen Tag länger hier geblieben?

Rosmer. Nein, nein, selbstverständlich. – O, was für einen Kampf muß sie gekämpft haben. Und allein gekämpft haben, Rebekka! Verzweifelt und ganz allein. – Und dann schließlich – ergreifend und anklagend – dieser Sieg – im Mühlengraben! – Er wirft sich in den Stuhl am Schreibtisch, stützt die Ellenbogen auf den Tisch und vergräbt sein Gesicht in den Händen.

Rebekka nähert sich ihm vorsichtig von hinten. Nun hör' mich mal an, Rosmer. Wenn es in Deiner Macht stände, Beate zurückzurufen – zu Dir – nach Rosmersholm, – würdest Du es dann tun?

Rosmer. Ach, was weiß ich, was ich tun oder nicht tun würde. Ich habe für nichts anderes Gedanken als für das Eine, – das unwiderruflich ist.

Rebekka. Jetzt solltest Du zu leben anfangen, Rosmer, Du warst schon im Begriff. Du hattest Dich ganz frei gemacht – nach allen Seiten. Du fühltest Dich so froh und so leicht –

Rosmer. Ach ja, – das tat ich wirklich. – Und nun kommt diese drückende Last.

Rebekka hinter ihm mit den Armen auf der Stuhllehne. Wie schön war es, wenn wir in der Dämmerung unten in der Stube saßen und einander halfen, die neuen Lebenspläne zu entwerfen. Du wolltest in das lebendige Leben eingreifen, – in das lebendige Leben des Tages, – wie Du sagtest. Du wolltest wie ein befreiender Gast von Heim zu Heim ziehen. Wolltest die Geister und die Willen Dir gewinnen. Adelsmenschen schaffen rings umher, – in weiten und immer weiteren Kreisen. Adelsmenschen.

Rosmer. Frohe Adelsmenschen.

Rebekka. Ja – frohe.

Rosmer. Denn es ist die Freude, die die Geister adelt, Rebekka.

Rebekka. Und meinst Du – nicht auch der Schmerz? Der große Schmerz?

Rosmer. Ja, – wenn man durch ihn hindurch könnte. Über ihn hinweg. Ganz über ihn hinweg.

Rebekka. Und das mußt Du.

Rosmer schüttelt wehmütig den Kopf. Darüber komme ich niemals hinweg – ganz hinweg nie. Immer wird ein Zweifel zurückbleiben. Eine Frage. Ich werde nie mehr in dem Gefühl schwelgen können, das das Leben so wunderbar schön macht.

Rebekka über der Stuhllehne, leiser. Was meinst Du damit, Rosmer?

Rosmer sieht zu ihr auf. Die stille, frohe Schuldlosigkeit.

Rebekka tritt einen Schritt zurück. Ja. Die Schuldlosigkeit.

Kurze Pause.

Rosmer stützt die Ellenbogen auf den Tisch, den Kopf in der Hand, und blickt vor sich hin. Und wie sie verstanden hat, zu kombinieren. Wie systematisch sie Glied an Glied gereiht hat! Erst nährt sie leise Zweifel an meiner Rechtgläubigkeit –. Wie konnte sie nur damals auf so etwas verfallen. Aber sie verfiel darauf. Und dann wuchs der Zweifel zur Gewißheit. Und dann, – ja, dann war es ihr ja eine Leichtigkeit, alles andere für denkbar zu halten. Richtet sich im Stuhl auf und fährt sich mit den Händen durchs Haar. O, alle diese wüsten Vorstellungen! Ich kann sie nie wieder los werden. Das fühle ich wohl. Ich weiß es. Ehe man sich dessen versieht, kommen sie dahergestürmt und erinnern an die Tote!

Rebekka. Wie das weiße Roß auf Rosmersholm!

Rosmer. Genau so. Dahersausend in der Dunkelheit. In der Stille.

Rebekka. Und dieses unseligen Hirngespinstes wegen willst Du dem lebendigen Leben entsagen, in das Du eben erst eingegriffen hast?

Rosmer. Du hast recht, es ist hart. Hart, Rebekka. Aber eine Wahl steht mir nicht frei. Wie sollte ich wohl darüber hinwegkommen können.

Rebekka hinter dem Stuhl. Indem Du Dir neue Verhältnisse schaffst.

Rosmer stutzt, sieht auf. Neue Verhältnisse?

Rebekka. Ja, neue Verhältnisse zur umgebenden Welt. Lebe, wirke, handle. Sitz nicht da und grüble und brüte über unlösbare Rätsel.

Rosmer steht auf. Neue Verhältnisse! Geht durchs Zimmer, bleibt an der Tür stehen und kommt dann zurück. Eine Frage fällt mir ein. Hast Du Dir nicht auch die Frage gestellt, Rebekka?

Rebekka atmet mühsam. Laß mich – hören – was das für ein Frage ist.

Rosmer. Wie, meinst Du, wird sich unser Verhältnis fortan gestalten?

Rebekka. Ich denke, unsere Freundschaft wird schon standhalten – allem, was da kommen mag.

Rosmer. Nun, so meinte ich es gerade nicht. Aber das, was uns von Anfang an zusammengeführt – das, was uns so fest miteinander verknüpft hat, – unser gemeinsamer Glaube an ein reines Zusammenleben von Mann und Weib –

Rebekka. Nun ja, – und?

Rosmer. Ich meine, ein solches Verhältnis also – wie das unsere, – eignet sich das nicht zunächst für ein Leben, das man in stillem, glücklichem Frieden führt –?

Rebekka. Nun und weiter –?

Rosmer. Doch jetzt tut sich mir ein Leben auf voll Kampf und Unruhe und heftiger Gemütsbewegungen. Denn, Rebekka, ich will es leben, mein Leben! Ich lasse mich nicht von unheimlichen Möglichkeiten zu Boden werfen. Ich lasse mir meinen Lebensweg nicht vorschreiben, weder von Lebenden noch – von anderen.

Rebekka. Nein, nein – duld' es nicht! Sei ganz und gar ein freier Mann, Rosmer!

Rosmer. Aber weißt Du, was mir da in den Sinn kommt? Weißt Du es nicht? Siehst Du nicht, wie ich am besten Erlösung finden kann von diesen quälenden Erinnerungen, – von der ganzen traurigen Vergangenheit?

Rebekka. Nun?

Rosmer. Indem ich ihr eine neue, lebendige Wirklichkeit entgegenstelle.

Rebekka greift nach der Stuhllehne. Eine lebendige –? Was – heißt das?

Rosmer geht näher. Rebekka, – wenn ich Dich nun fragte – willst Du meine zweite Frau werden?

Rebekka, einen Augenblick sprachlos, jubelt auf. Deine Frau! Deine –! Ich!

Rosmer. Gut. Versuchen wir's. Wir beide wollen eins sein. Der Platz, den die Tote hier gelassen, darf nicht länger leer stehen.

Rebekka. Ich – an Beatens Stelle –!

Rosmer. Dann ist sie aus der Welt. Ganz und gar. Für alle Ewigkeit!

Rebekka leise und bebend. Glaubst Du das, Rosmer?

Rosmer. Es muß sein! Es muß! Ich kann – ich will nicht durchs Leben gehen mit einer Leiche auf dem Rücken. Hilf mir sie abwerfen, Rebekka. Und laß uns denn alle Erinnerungen in der Freiheit, der Freude, der Leidenschaft ersticken. Für mich wirst Du die einzige Frau sein, die ich je gehabt habe.

Rebekka sich beherrschend. Komm darauf nie wieder zurück. Ich werde nie Deine Frau.

Rosmer. Was! Nie! Ach, Du meinst wohl, Du könntest nicht Liebe für mich haben? Ist denn nicht schon ein Funken Liebe in unserer Freundschaft?

Rebekka hält sich wie erschrocken die Ohren zu. Halt ein, Rosmer! Sag' so etwas nicht!

Rosmer ergreift ihren Arm. Doch, doch – es ist der Keim einer Möglichkeit in unserem Verhältnis. O, ich sehe Dir an, daß auch Du das empfindest. Nicht wahr, Rebekka?

Rebekka wieder bestimmt und gefaßt. Hör' mich an. Das sage ich Dir, – wenn Du so fortfährst – dann verlasse ich Rosmersholm.

Rosmer. Verlassen! Du! Das kannst Du nicht. Das ist unmöglich.

Rebekka. Noch unmöglicher ist es, daß ich Deine Frau werde. Nie und nimmer kann ich das werden.

Rosmer sieht sie verblüfft an. Du sagst »kann«. Und das sagst Du so seltsam. Warum kannst Du nicht?

Rebekka ergreift seine beiden Hände. Lieber Freund, – um Deinet- und um meinetwillen – frage nicht, warum. Läßt ihn los. So, Rosmer.

Geht zur Tür links.

Rosmer. Fortan gibt es für mich nur noch die eine Frage – warum?

Rebekka wendet sich um und blickt ihn an. Dann ist es aus.

Rosmer. Zwischen Dir und mir?

Rebekka. Ja.

Rosmer. Nie wird es zwischen uns beiden aus sein. Nie verläßt Du Rosmersholm.

Rebekka mit der Hand auf der Türklinke. Nein, das vielleicht nicht. Aber dringst Du in mich mit Fragen, so ist es gleichwohl aus.

Rosmer. Gleichwohl aus? Wieso –?

Rebekka. Ja, – dann gehe ich den Weg, den Beate gegangen ist. – Nun weißt Du es, Rosmer.

Rosmer. Rebekka –!

Rebekka in der Tür, nickt langsam. Nun weißt Du es.

Sie geht.

Rosmer starrt wie vor den Kopf geschlagen auf die geschlossene Tür und sagt dann vor sich hin: Was – ist – das?


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