Henrik Ibsen
Die Frau vom Meere
Henrik Ibsen

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Fünfter Akt

Der abgelegene Teil von Wangels Garten am Karauschenteich. Zunehmende Dämmerung in der Sommernacht.

Arnholm, Bolette, Lyngstrand und Hilde in einem Boot; sie stoßen sich mit dem Ruder vorwärts das Ufer links entlang.

Hilde. Sehen Sie, hier können wir ganz bequem ans Land hopsen!

Arnholm. Nein, nein, tun Sie das nicht!

Lyngstrand. Ich kann nicht hopsen, Fräulein.

Hilde. Sie, Arnholm, können Sie auch nicht hopsen?

Arnholm. Das möchte ich lieber bleiben lassen.

Bolette. Dann wollen wir da hinten anlegen an der Treppe vom Badehaus. Sie stoßen sich mit dem Ruder nach rechts hinaus.

In demselben Augenblick wird Ballested rechts auf dem Fußpfad sichtbar. Er trägt Notenhefte und ein Waldhorn. Er begrüßt die Insassen des Boots, wendet sich um und spricht mit ihnen. Man hört die Antworten entfernter und entfernter von draußen.

Ballested. Was sagen Sie? – Ja, freilich ist es von wegen des englischen Dampfers. Denn es ist dies Jahr das letzte Mal, daß er kommt. Aber wenn Sie noch etwas von den melodischen Tönen haben wollen, dann dürfen Sie nicht zu lange machen. Ruft: Was? Schüttelt mit dem Kopf. Verstehe nicht, was Sie sagen!

Ellida tritt, mit ihrem Schal um den Kopf, von Wangel begleitet, links auf.

Wangel. Aber, liebe Ellida, – ich versichere Dir, – es ist noch reichlich Zeit.

Ellida. Nein, nein, – das ist es nicht! Er kann jeden Augenblick kommen.

Ballested draußen am Gartenzaun. Ah, guten Abend, Herr Doktor! Guten Abend, gnädige Frau!

Wangel wird ihn gewahr. Ach, Sie sind es? Auch Musik wird hier heut abend gemacht?

Ballested. Ja. Der »Bläserbund« will was zum besten geben. An festlichen Veranlassungen haben wir um diese Zeit keinen Mangel. Heut soll's dem Engländer zu Ehren sein.

Ellida. Dem Engländer! Ist er schon in Sicht?

Ballested. Noch nicht. Aber er kommt ja vom Land herein – zwischen den Inseln durch. Ehe man sich's versieht, mit einem Mal ist er da.

Ellida. Ja, – genau so ist es.

Wangel halb zu Ellida gewendet. Heut ist seine letzte Fahrt. Dann kommt er nicht mehr.

Ballested. Ein trauriger Gedanke, Herr Doktor. Aber darum wollen wir auch, wie gesagt, ihm Ehre antun. Ach ja, ach ja! Nun geht bald die frohe Sommerszeit zu Ende. »Bald sind sie zu, die Sunde all«, wie's in dem Trauerspiel heißt.

Ellida. Sind sie zu, die Sunde all, – jawohl.

Ballested. Ein trister Gedanke das. Nun sind wir seit Wochen und Monden des Sommers frohe Kinder gewesen. Es hält schwer, sich mit den Tagen der Dunkelheit auszusöhnen. Wenigstens im Anfang, finde ich. Denn die Menschen können sich alki – a – klimatisieren, Frau Wangel. I ja, das können sie. Er grüßt und geht links hinaus.

Ellida blickt auf den Fjord hinaus. Ach, diese qualvolle Spannung! Diese beklemmende letzte halbe Stunde vor der Entscheidung.

Wangel. Es steht also fest, Du willst selber mit ihm sprechen?

Ellida. Ich muß selber mit ihm sprechen. Denn in Freiwilligkeit soll ich ja doch meine Wahl treffen.

Wangel. Du hast keine Wahl, Ellida. Du darfst nicht wählen. Du darfst nicht – um meinetwillen.

Ellida. Die Wahl kannst Du nimmermehr verhindern. Weder Du noch sonst jemand. Du kannst mir verbieten, mit ihm zu gehen, – ihm zu folgen, – für den Fall, daß ich das wähle. Du kannst mich hier mit Gewalt zurückhalten. Gegen meinen Willen. Das kannst Du. Aber daß ich wähle, – im Innersten meines Herzens wähle, – ihn wähle und nicht Dich, – wenn ich so wählen will und muß, – das kannst Du nicht verhindern.

Wangel. Nein, da hast Du recht. Das kann ich nicht verhindern.

Ellida. Und woher sollte ich denn auch die Kraft des Widerstandes nehmen! An dieses Haus hier fesselt und knüpft mich auch nicht das Allergeringste. Ich habe ja doch so gar nicht Wurzel geschlagen in Deinem Hause, Wangel. Die Kinder gehören mir nicht. Ihre Herzen gehören mir nicht, meine ich. Nie hat mir das gehört. – Wenn ich fortgehe, – das heißt, für den Fall, daß ich fortgehe, – entweder heut mit ihm – oder morgen nach Skjoldviken, so habe ich auch nicht einen Schlüssel abzugeben, – nicht eine Anordnung zu treffen, auch nicht die allerkleinste. So gar nicht habe ich Wurzel geschlagen in Deinem Hause. So ganz außer Zusammenhang mit allem bin ich gewesen vom ersten Augenblick an.

Wangel. Du hast es selbst so gewollt.

Ellida. Nein, das habe ich nicht. Ich habe es weder gewollt, noch habe ich es nicht gewollt. Ich habe ganz einfach nur alles so gelassen, wie ich es vorgefunden habe an dem Tage, als ich kam. Du – und kein anderer – hat es so gewollt.

Wangel. Ich dachte, es wäre so zu Deinem Besten.

Ellida. Ach ja, Wangel, das weiß ich ja ganz gut. Aber es liegt eine Vergeltung darin. Etwas, das sich rächt. Denn jetzt sehe ich mich hier vergeblich nach einer Kraft um, die bindet, – nach einer Stütze, – nach einer Hilfe, – nach einem Gefühl, das mich hinzieht zu alledem, was unser beider innerstes Besitztum hätte sein sollen.

Wangel. Das sehe ich ja wohl ein, Ellida. Und deshalb sollst Du auch von morgen an Deine Freiheit wieder haben. Du sollst fortan Dein eigenes Leben führen dürfen.

Ellida. Und das nennst Du mein eigenes Leben! Ach nein, mein eigenes, richtiges Leben, das ist aus seinem Geleise geraten, als ich mich auf ein Zusammenleben mit Dir einließ. Ballt die Hände in Angst und Unruhe. Und nun, – heut nacht – in einer halben Stunde – kommt er, den ich im Stich gelassen habe, – der Mann, an dem ich unverbrüchlich hätte festhalten sollen, so wie er an mir festgehalten hat! Nun kommt er und bietet mir – zum letzten und einzigen Male – an, das Leben von neuem zu leben, – mein eigenes, richtiges Leben, – das Leben, das abschreckt und anzieht – und dem ich nicht entsagen kann. In Freiwilligkeit nicht!

Wangel. Eben darum ist es nötig, daß Dein Mann – der zugleich Dein Arzt – die Entscheidung Dir abnimmt – und in Deinem Namen handelt.

Ellida. Ja, Wangel, ich verstehe das ganz gut. Ach, glaube nur nicht, daß es nicht auch manchmal Augenblicke gibt, wo mir ist, als würde mir Frieden und Rettung, wenn ich mich flüchtete ins Innerste Deiner Seele, – wenn ich versuchte, all den Mächten zu trotzen, die anziehen und abschrecken. Aber ich kann auch das nicht. Nein, nein, – ich kann es nicht!

Wangel. Komm, Ellida, – wir wollen zusammen ein wenig auf und ab gehen.

Ellida. Ich möchte so gern. Aber ich getraue mich nicht. Denn er sagte doch, ich sollte hier auf ihn warten.

Wangel. Komm nur. Du hast noch Zeit genug.

Ellida. Glaubst Du?

Wangel. Noch reichlich Zeit, sage ich Dir.

Ellida. Nun, dann wollen wir ein wenig gehen.

Sie gehen im Vordergrunde rechts hinaus. In demselben Augenblick werden Arnholm und Bolette an dem oberen Ufer des Teiches sichtbar.

Bolette bemerkt die Fortgehenden. Sehen Sie doch –!

Arnholm leise. Pst, – lassen Sie sie gehen.

Bolette. Können Sie begreifen, was sie seit den letzten Tagen miteinander haben?

Arnholm. Haben Sie etwas bemerkt?

Bolette. Na und ob!

Arnholm. Etwas Außergewöhnliches?

Bolette. O ja. So mancherlei. Sie nicht?

Arnholm. Ach, ich weiß nicht so recht –

Bolette. Doch, doch! Aber Sie wollen bloß nicht mit der Sprache heraus.

Arnholm. Ich glaube, Ihrer Stiefmutter wird die kleine Reise, die sie macht, gut tun.

Bolette. Meinen Sie?

Arnholm. Ja, ich sollte meinen, es wäre für alle Teile gut, wenn sie ab und zu ein bißchen wegkommt.

Bolette. Geht sie morgen in ihre alte Heimat, nach Skjoldviken, dann kommt sie sicherlich nie mehr zu uns zurück.

Arnholm. Aber, liebe Bolette, wie kommen Sie denn auf so etwas?

Bolette. Ja, das glaube ich steif und fest. Warten Sie nur ab! Sie sollen sehen, – sie kommt nicht wieder. Wenigstens nicht, solange ich und Hilde hier im Hause sind.

Arnholm. Auch Hilde?

Bolette. Na, mit Hilde ginge es am Ende noch. Denn sie ist ja doch schließlich noch ein Kind. Und dann vergöttert sie Ellida im Grunde, glaube ich. Aber mit mir ist es etwas anderes, sehen Sie. Eine Stiefmutter, die gar nicht so sehr viel älter ist als man selbst –

Arnholm. Liebe Bolette, – was Sie betrifft, so ist der Augenblick vielleicht nicht zu fern, wo Sie fort dürfen.

Bolette lebhaft. So? Meinen Sie! Sie haben also mit Papa darüber gesprochen?

Arnholm. Das habe ich auch getan, jawohl.

Bolette. Na, – und was hat er denn gesagt?

Arnholm. Hm, – Ihren Vater haben ja doch andere Gedanken so lebhaft in diesen Tagen beschäftigt.

Bolette. Ja, ja, dasselbe habe ich doch schon früher gesagt.

Arnholm. Aber so viel bekam ich doch aus ihm heraus, daß Sie von seiner Seite auf Beistand kaum zu rechnen haben.

Bolette. Nicht –?

Arnholm. Er setzte mir seine Verhältnisse so einleuchtend auseinander – meinte, so etwas wäre für ihn geradezu ein Ding der Unmöglichkeit.

Bolette vorwurfsvoll. Und da konnten Sie es übers Herz bringen, mich hier zum besten zu haben.

Arnholm. Das habe ich ganz gewiß nicht getan, liebe Bolette. Es hängt einzig und allein von Ihnen ab – ob Sie von hier fort kommen wollen oder nicht.

Bolette. Was hängt, sagen Sie, von mir ab?

Arnholm. Ob Sie in die Welt hinaus wollen. Das alles lernen wollen, wozu Sie die meiste Neigung haben. An alledem teilnehmen wollen, wonach Sie sich hier immer und immer sehnen. Unter freundlicheren Bedingungen leben wollen, Bolette. Was meinen Sie dazu?

Bolette schlägt die Hände zusammen. Ach, du großer Gott –! Das ist ja doch aber alles ganz unmöglich. Wenn Papa nicht will und nicht kann, so –. Denn ich wüßte doch sonst keine Menschenseele, an die ich mich wenden könnte.

Arnholm. Und wenn Ihnen nun Ihr alt – Ihr früherer Lehrer die Hand zur Hilfe böte – würden Sie sich entschließen können, sie zu ergreifen?

Bolette. Sie, Herr Arnholm! Sie wären gesonnen –?

Arnholm. Ihnen beizustehen? Ja, von Herzen gern. Mit Rat und mit Tat. Das können Sie glauben. – Sie schlagen also ein? Wie? Gehen drauf ein?

Bolette. Ob ich drauf eingehe! Hinauszukommen, – die Welt zu sehen, – etwas recht Ordentliches zu lernen! Was da groß und herrlich ist und so unerfüllbar mir vor Augen stand –!

Arnholm. Ja, das kann Ihnen jetzt alles zur Wirklichkeit werden. Wenn Sie nur wollen.

Bolette. Und zu diesem unerhörten Glück wollen Sie mir verhelfen! Ach, – aber sagen Sie mir, – kann ich ein solches Opfer von einem fremden Menschen annehmen?

Arnholm. Von mir können Sie es schon annehmen, Bolette. Von mir können Sie annehmen, was es auch sei.

Bolette faßt seine Hände. Ja, ich möchte beinah auch glauben, ich kann es! Ich weiß nicht, wieso; aber – impulsiv. O, ich könnte zugleich lachen und weinen vor Freude! Vor Glückseligkeit! Ach, – so soll ich also doch noch wahrhaft leben dürfen. Ich hatte allmählich schon Angst bekommen, auf das Leben verzichten zu müssen.

Arnholm. Darum brauchen Sie keine Angst zu haben, liebe Bolette. Aber nun müssen Sie mir auch ganz aufrichtig sagen – ob etwas – irgend etwas Sie hier festhält?

Bolette. Mich festhält? Bewahre, – nichts.

Arnholm. Wirklich gar nichts?

Bolette. Nein, gar nichts. Das heißt, – Papa hält mich ja gewissermaßen fest. Und Hilde auch. Aber –

Arnholm. Na, – Ihren Vater müssen Sie früher oder später ja doch verlassen. Und Hilde wird ja auch einmal im Leben ihren eigenen Weg gehen. Das ist also nur eine Frage der Zeit. Nichts anderes. Und sonst also gibt es nichts, was Sie zurückhält, Bolette? Keine Beziehung irgend welcher Art?

Bolette. Nein, durchaus nichts. Was das betrifft, so kann ich schon reisen, wohin es auch sei.

Arnholm. Ja, wenn das so ist, liebe Bolette, – so sollen Sie auch mit mir reisen.

Bolette klatscht in die Hände. Ach, Gott im Himmel – welch ein Glück, sich das vorzustellen!

Arnholm. Denn ich hoffe doch, daß Sie volles Vertrauen zu mir haben?

Bolette. Ja, das habe ich wirklich!

Arnholm. Und Sie zögern also nicht, sich und Ihre Zukunft getrost und zuversichtlich in meine Hände zu legen, Bolette? Nicht wahr? Sie zögern doch nicht?

Bolette. Ach, gewiß nicht! Wie sollte ich auch? Wie können Sie nur denken! Sie sind doch mein alter Lehrer – mein Lehrer aus den alten Tagen, meine ich.

Arnholm. Nicht darum nur. Auf die Seite der Sache will ich weiter keinen Nachdruck legen. Aber –. Na, – Sie sind also frei, Bolette. Es gibt keinerlei Beziehung, die Sie zurückhält. Und so frage ich Sie denn – ob Sie geneigt – geneigt wären, sich mir fürs Leben zu verbinden?

Bolette tritt erschrocken zurück. Oh, – was sagen Sie da!

Arnholm. Fürs ganze Leben, Bolette. Ob Sie meine Frau werden wollen.

Bolette halb zu sich selbst. Nein, nein, nein! Das ist unmöglich! Ganz unmöglich!

Arnholm. Sollte es Ihnen wirklich so ganz unmöglich sein, zu –?

Bolette. Aber, was Sie da sagen, das können Sie doch nun und nimmer im Ernst meinen, Herr Arnholm! Sieht ihn an. Oder – doch  –. Haben Sie es so gemeint, – als Sie sich erboten haben, so viel für mich zu tun?

Arnholm. Nun hören Sie mich einmal an, Bolette. Es scheint, ich habe Sie sehr überrascht.

Bolette. O, wie sollte mich so etwas nicht – von Ihnen –. Das mußte mich doch überraschen!

Arnholm. Da mögen Sie recht haben. Sie wußten ja doch nicht, – konnten nicht wissen, daß ich Ihretwegen die Reise hierher gemacht habe.

Bolette. Sie sind hergekommen – meinetwegen?

Arnholm. Allerdings bin ich das, Bolette. Im Frühjahr habe ich einen Brief von Ihrem Vater erhalten. Und darin kommt eine Wendung vor, die mich auf den Gedanken brachte – hm –, daß Sie Ihrem früheren Lehrer eine – mehr als freundschaftliche Erinnerung bewahrt hätten.

Bolette. Wie konnte Papa so etwas schreiben!

Arnholm. So hatte er es ja auch gar nicht gemeint. Aber ich lebte mich doch nun einmal in die Vorstellung hinein, hier wäre ein junges Mädchen, das meine Wiederkehr sehnsüchtig erwartete. – Nein, Sie dürfen mich jetzt nicht unterbrechen, liebe Bolette! Und, – sehen Sie wohl, – wenn man wie ich die eigentlichen Jugendjahre hinter sich hat, dann übt ein solcher Glaube – oder solche Vorstellung – eine überaus nachhaltige Wirkung aus. Es bildete sich in mir eine lebhafte – eine dankbare Neigung für Sie heraus. Mir war es, als müßte ich zu Ihnen hin. Sie wiedersehen. Ihnen sagen, daß ich die Gefühle teile, die Sie für mich hegten, wie ich mir eingeredet hatte.

Bolette. Wenn Sie aber nun wissen, daß das nicht der Fall war! Daß es ein Irrtum gewesen ist!

Arnholm. Hilft nichts, Bolette. Ihrem Bilde, – so wie ich es in mir trage, – hat die Stimmung, in die der Irrtum mich versetzt hat, für immer Farbe und Gepräge gegeben. Sie können das vielleicht nicht verstehen. Aber so ist es.

Bolette. Nimmermehr hätte ich es für möglich gehalten, daß so etwas draus werden würde!

Arnholm. Wenn es sich nun aber zeigt, daß es doch so ist? Was sagen Sie dann, Bolette? Könnten Sie sich dann nicht entschließen, meine – ja, meine Frau zu werden?

Bolette. Aber ich finde, es ist ein Ding der Unmöglichkeit, Herr Arnholm. Sie sind ja doch mein Lehrer gewesen! Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich je in einem anderen Verhältnis zu Ihnen stehen könnte.

Arnholm. Ja, ja, – wenn Sie wirklich meinen, Sie könnten nicht –. Dann bleiben also unsere Beziehungen unverändert, liebe Bolette.

Bolette. Wie meinen Sie?

Arnholm. Ich halte natürlich trotzdem mein Wort. Ich werde dafür sorgen, daß Sie fortkommen und sich in der Welt umsehen können. Etwas lernen können, wozu Sie wirklich Lust haben. In sicheren und unabhängigen Verhältnissen leben können. Ihre spätere Zukunft werde ich auch noch sichern, Bolette. Denn in mir werden Sie immer einen guten, treuen, zuverlässigen Freund haben. Das können Sie glauben!

Bolette. Ach Gott, – Herr Arnholm, – das ist jetzt doch aber alles ganz und gar unmöglich geworden?

Arnholm. Auch das ist unmöglich?

Bolette. Das können Sie sich doch wohl denken! Nach dem, was Sie mir eben gesagt haben, – und nach der Antwort, die ich Ihnen gegeben habe –. Ach, Sie müssen doch selbst einsehen, daß ich nun unter keinen Umständen mehr so unermeßlich viel von Ihnen annehmen kann! Nicht das Allergeringste kann ich von Ihnen annehmen. Fortan nimmermehr!

Arnholm. Sie wollen also lieber nach wie vor hier zu Hause hocken und das Leben Leben sein lassen?

Bolette. Ach, der Gedanke daran – was ist das für eine furchtbare Qual!

Arnholm. Sie wollen darauf verzichten, von der großen Welt etwas zu sehen? Darauf verzichten, an alledem teilzunehmen, wonach Sie hier lechzen, wie Sie selbst sagen? Zu wissen, daß es in der Welt so unendlich vieles gibt, – und doch von gar nichts je so eine rechte Anschauung zu bekommen?! Überlegen Sie wohl, Bolette.

Bolette. Ja, ja, – Sie haben im höchsten Grade recht, Herr Arnholm.

Arnholm. Um dann, – wenn Ihr Vater einmal nicht mehr ist, – am Ende hilflos und allein in der Welt dazustehen. Oder auch sich einem anderen Manne hinzugeben, – für den Sie – möglicherweise – auch keine Neigung empfinden könnten.

Bolette. Ach ja, – ich sehe wohl, wie wahr das alles ist –, was Sie sagen. Aber trotzdem –! – Oder vielleicht doch –?

Arnholm schnell. Nun?

Bolette sieht ihn voll Zweifel an. Am Ende wäre es doch so unmöglich nicht –.

Arnholm. Was, Bolette?

Bolette. Daß es sich machen ließe, – auf das einzugehen, – was Sie mir vorgeschlagen haben.

Arnholm. Meinen Sie, Sie wären vielleicht doch nicht abgeneigt –? Sie könnten auf jeden Fall mir die Freude gönnen, Ihnen als ein treuer Freund zur Seite zu stehen?

Bolette. Nein, nein, nein! Das nimmermehr! Das wäre ja jetzt ganz und gar unmöglich. – Nein, Herr Arnholm, – dann nehmen Sie mich lieber.

Arnholm. Bolette! Sie wollen also doch!

Bolette. Ja, – ich glaube – ich will.

Arnholm. Sie wollen also doch meine Frau werden!

Bolette. Ja. Wenn Sie noch glauben, daß – daß Sie mich nehmen können.

Arnholm. Ob ich das glaube –! Ergreift ihre Hand. Dank, – Dank, Bolette! Was Sie sonst noch sagten, – Ihre Unschlüssigkeit vorhin, – das schreckt mich nicht ab. Habe ich auch jetzt nicht Ihr ganzes Herz, so werde ich es mir schon noch erobern! Ach, Bolette, ich werde Sie auf Händen tragen!

Bolette. Und dann darf ich mich in der Welt umsehen. Darf mit im Leben stehen. Das haben Sie mir versprochen.

Arnholm. Und das halte ich.

Bolette. Und ich darf alles lernen, wozu ich Lust habe.

Arnholm. Ich will selbst Ihr Lehrer sein. Wie früher, Bolette. Denken Sie an das letzte Schuljahr –.

Bolette still und in sich vertieft. Der Gedanke, – sich frei zu wissen – und in die Fremde hinaus zu können. Und sich auch nicht mehr wegen der Zukunft ängstigen zu müssen. Nicht immer um das dumme Auskommen besorgt zu sein –.

Arnholm. Nein, alledem brauchen Sie nicht einen Gedanken mehr zu opfern. Und – nicht wahr, meine liebe Bolette, – das ist auch eine ganz schöne Sache? Was?

Bolette. Ja. Das ist es freilich. Das ist wahr und gewiß.

Arnholm nimmt sie in seine Arme. Ach, Sie werden schon sehen, wie gemütlich und behaglich wir uns einrichten werden! Und wie gut und friedlich und einträchtig wir zwei miteinander auskommen werden, Bolette!

Bolette. Ja, ich fange auch an zu –. Ich glaube im Grunde – es wird schon gehen. Sieht nach rechts hinaus und macht sich schnell los. Ah! Sagen Sie ja nichts!

Arnholm. Was ist denn, Liebste?

Bolette. Ach, es ist der arme –. Zeigt hinaus. Sehen Sie da hinten.

Arnholm. Ist das Ihr Vater –?

Bolette. Nein, es ist der junge Bildhauer. Er geht da hinten mit Hilde.

Arnholm. So, Lyngstrand. Was ist denn mit ihm los?

Bolette. Ach, Sie wissen doch, wie schwach und kränklich er ist.

Arnholm. Wenn es nur nicht Einbildung ist.

Bolette. Ach nein, es ist schon wahr. Er macht es gewiß nicht mehr lange. Aber für ihn ist das vielleicht das Beste.

Arnholm. Meine Liebe, wieso das Beste?

Bolette. Ja, weil – weil doch aus seiner Kunst gewiß nichts Ordentliches wird. – Wir wollen gehen, ehe sie da sind.

Arnholm. Herzlich gern, meine liebe Bolette.

Hilde und Lyngstrand werden am Teich sichtbar.

Hilde. He, – he! Wollen die Herrschaften nicht auf uns warten?

Arnholm. Bolette und ich wollen lieber ein paar Schritt vorausgehen. Er und Bolette gehen links hinaus.

Lyngstrand lacht still. Es ist jetzt hier gar sehr vergnüglich. Alle Leute gehen paarweis. Immer zwei und zwei zusammen.

Hilde sieht ihnen nach. Ich möchte drauf schwören, er geht auf Freiersfüßen.

Lyngstrand. So? Haben Sie so etwas bemerkt?

Hilde. O ja. Das ist doch nicht schwer, – wenn man die Augen offen hat.

Lyngstrand. Aber Fräulein Bolette nimmt ihn nicht. Da bin ich sicher.

Hilde. Nein. Sie findet, er hat ein so eklig altes Aussehen gekriegt. Und dann meint sie, wird er auch bald eine Glatze haben.

Lyngstrand. Na, deswegen ist es nicht allein. Sie würde ihn doch nicht nehmen.

Hilde. Woher können denn Sie das wissen?

Lyngstrand. Doch – es ist eben jemand anders da, an den sie versprochen hat immer zu denken.

Hilde. Bloß zu denken?

Lyngstrand. Ja, solange er nicht da ist.

Hilde. Ach, dann sind Sie es wohl selbst, an den sie denken soll!

Lyngstrand. Das könnte schon sein.

Hilde. Hat sie Ihnen das versprochen?

Lyngstrand. Ja, denken Sie an, das hat sie mir versprochen. Aber Sie dürfen ihr ja nicht sagen, daß Sie etwas wissen.

Hilde. O, Gott behüte meine Zunge. Ich bin verschwiegen wie das Grab.

Lyngstrand. Ich finde das nun zu lieb von ihr.

Hilde. Und wenn Sie nun wieder hierher zurückkommen, – wollen Sie sich dann mit ihr verloben? Und sie heiraten?

Lyngstrand. Nein, das wird sich nicht gut machen lassen. Denn ich darf doch die ersten Jahre an so etwas nicht denken. Und wenn ich einmal so weit bin, dann wird sie wohl schon ein bißchen zu alt für mich sein, glaube ich.

Hilde. Aber doch wollen Sie, sie soll immer an Sie denken?

Lyngstrand. Ja, weil das für mich so förderlich ist. Für mich als Künstler, verstehen Sie. Und sie kann es doch leicht tun, weil sie selber keinen rechten Lebensberuf hat. – Aber lieb ist es trotzdem von ihr.

Hilde. Meinen Sie, Sie könnten flotter an Ihrem Werk arbeiten, wenn Sie wissen, daß Bolette hier herumgeht und an Sie denkt?

Lyngstrand. Ja, ich stelle mir das vor. Sehen Sie, – da irgendwo in der Welt ein junges, feines und verschwiegenes Weib zu wissen, das so Tag und Nacht still von einem träumt –. Ich meine, das muß so etwas – etwas –. Ich weiß nicht recht, wie ich es nennen soll.

Hilde. Meinen Sie vielleicht – etwas Spannendes?

Lyngstrand. Spannendes? Ja richtig. Spannendes, – das meine ich. Oder so etwas Ähnliches. Sieht sie eine Weile an. Sie, Fräulein Hilde, Sie sind klug. Ganz riesig klug sind Sie. Wenn ich wieder nach Hause komme, dann sind Sie ungefähr so alt wie jetzt Ihre Schwester. Vielleicht sehen Sie dann auch so aus, wie Ihre Schwester jetzt aussieht. Und vielleicht denken und fühlen Sie dann ebenso wie jetzt Ihre Schwester. So daß Sie vielleicht dann Sie und Ihre Schwester – in einer Gestalt sind sozusagen.

Hilde. Würden Sie das wünschen?

Lyngstrand. Ich weiß nicht recht. Ja, ich glaube fast. Aber jetzt – für diesen Sommer – wäre es mir lieber, Sie blieben Sie selbst. Und akkurat so, wie Sie sind.

Hilde. Mögen Sie mich so am besten leiden?

Lyngstrand. Ja, so mag ich Sie gar zu gut leiden.

Hilde. Hm, – sagen Sie mir einmal, als Künstler, – finden Sie es hübsch, daß ich immer in hellen Sommerkleidern gehe?

Lyngstrand. Ja, freilich finde ich das hübsch.

Hilde. Finden Sie, daß die hellen Farben mich kleiden?

Lyngstrand. Ja, hell kleidet Sie wunderbar, nach meinem Geschmack.

Hilde. Aber sagen Sie mir einmal, als Künstler, – wie glauben Sie, würde mir schwarz stehen?

Lyngstrand. Schwarz, Fräulein Hilde?

Hilde. Ja, schwarz von oben bis unten. Glauben Sie, daß mir das gut stände?

Lyngstrand. Schwarz ist zwar eigentlich nichts für die Sommerzeit. Übrigens stände Ihnen gewiß auch schwarz ausgezeichnet. Gerade Ihnen bei Ihrem Äußeren.

Hilde sieht vor sich hin. Ganz schwarz bis an den Hals. – Schwarze Halskrause. – Schwarze Handschuhe. – Und ein langer schwarzer Schleier hinten herunter.

Lyngstrand. Wenn Sie sich so anzögen, Fräulein Hilde, dann wünschte ich, ich wäre ein Maler – und müßte eine junge schöne, trauernde Witwe malen.

Hilde. Oder eine junge trauernde Braut.

Lyngstrand. Ja, dazu würden Sie noch besser passen. Aber das möchten Sie doch wohl nicht, sich so kleiden?

Hilde. Ich weiß nicht recht. Aber ich finde, es ist spannend.

Lyngstrand. Spannend?

Hilde. Spannend, sich das vorzustellen, jawohl. Zeigt plötzlich nach links hinaus. Sehen Sie mal da!

Lyngstrand sieht dahin. Der große englische Dampfer! Und ganz vorn an der Brücke!

Wangel und Ellida werden am Teich sichtbar.

Wangel. Aber ich versichere Dir, liebe Ellida, – Du irrst Dich! Sieht die anderen. So, seid Ihr beide da? Nicht wahr, Herr Lyngstrand, er ist noch nicht in Sicht?

Lyngstrand. Der große Engländer?

Wangel. Jawohl!

Lyngstrand zeigt hin. Da liegt er schon, Herr Doktor.

Ellida. Ah –! Ich wußte es doch.

Wangel. Gekommen!

Lyngstrand. Gekommen wie ein Dieb in der Nacht, kann man schon sagen. Ganz unauffällig und lautlos –

Wangel. Gehen Sie nur mit Hilde zur Brücke hin. Machen Sie schnell! Sie will sich gewiß die Musik anhören.

Lyngstrand. Ja, wir waren eben im Begriff zu gehen, Herr Doktor.

Wangel. Wir anderen kommen vielleicht nach. In ein paar Minuten kommen wir.

Hilde flüstert Lyngstrand zu: Die beiden gehen auch paarweis.

Sie und Lyngstrand gehen durch den Garten links ab. Während des Folgenden hört man fern draußen auf dem Fjord Blechmusik.

Ellida. Gekommen! Er ist da! Ja, ja, – ich fühle es.

Wangel. Du solltest lieber hineingehen, Ellida. Laß mich allein mit ihm reden.

Ellida. Oh, – das ist unmöglich! Unmöglich, sage ich! Stößt einen Schrei aus. Ah, – siehst Du ihn, Wangel!

Der fremde Mann kommt von links und bleibt auf dem Fußweg jenseits des Gartenzauns stehen.

Der Fremde grüßt. Guten Abend. Da wäre ich also wieder, Ellida.

Ellida. Ja, ja, ja, – nun ist die Stunde gekommen.

Der Fremde. Also bist Du reisefertig? Oder bist Du es nicht?

Wangel. Sie sehen doch selbst, daß sie es nicht ist.

Der Fremde. Nicht den Reiseanzug meine ich oder dergleichen. Auch nicht gepackte Koffer. Was sie auf der Reise braucht, das habe ich alles bei mir an Bord. Eine Kajüte habe ich auch schon für sie besorgt. Zu Ellida. Ich frage Dich also: bist Du bereit, mir zu folgen, – in Freiwilligkeit mir zu folgen?

Ellida flehend. Ach, fragen Sie mich nicht! Seien Sie nicht ein solcher Versucher!

Man hört die Schiffsglocke in gewisser Entfernung.

Der Fremde. Jetzt läutet es an Bord das erste Mal. Jetzt mußt Du ja oder nein sagen.

Ellida händeringend. Entscheidung! Entscheidung fürs ganze Leben! Es nie mehr ändern können!

Der Fremde. Nie mehr. In einer halben Stunde ist es zu spät.

Ellida sieht ihn scheu und forschend an. Warum halten Sie eigentlich so unerschütterlich fest an mir?

Der Fremde. Fühlst Du nicht mit mir, daß wir zwei zusammengehören?

Ellida. Meinen Sie des Gelübdes wegen?

Der Fremde. Gelübde binden keinen. Nicht Weib, noch Mann. Wenn ich so unerschütterlich an Dir fest halte, so geschieht es, weil ich nicht anders kann.

Ellida leise und bebend. Warum sind Sie nicht früher gekommen?

Wangel. Ellida!

Ellida ungestüm. Ach, – wie's mich zieht und sucht und lockt – ins Unbekannte hinein! Des Meeres ganze Macht drängt sich darin allein zusammen.

Der Fremde steigt über den Gartenzaun.

Ellida flüchtet hinter Wangel. Was ist das? Was wollen Sie?

Der Fremde. Ich seh' es, – ich hör' es Dir an, Ellida, – mich wählst Du schließlich doch.

Wangel tritt ihm entgegen. Meine Frau hat hier nicht zu wählen. Ich bin da für sie zu wählen – und sie zu schützen! Jawohl zu schützen! Wenn Sie sich nicht von hier wegverfügen, – aus dem Lande weg – auf Nimmerwiedersehen – wissen Sie, was Sie dann zu gewärtigen haben?

Ellida. Nein, nein, Wangel! Nicht doch!

Der Fremde. Was können Sie mir tun?

Wangel. Ich kann Sie festnehmen lassen – als einen Verbrecher! Auf der Stelle! Noch ehe Sie wieder an Bord sind! Denn ich bin ganz genau unterrichtet über den Mord in Skjoldviken.

Ellida. Oh, Wangel, – wie kannst Du –!

Der Fremde. Darauf war ich vorbereitet. Und deswegen – nimmt einen Revolver aus der Brusttasche – deswegen habe ich mich auch mit dem da versehen.

Ellida wirft sich zwischen beide. Nein, nein, – töten Sie ihn nicht! Töten Sie lieber mich!

Der Fremde. Nicht Dich, noch ihn. Deswegen sei unbesorgt. Der da ist zu eigenem Gebrauch. Denn ich will leben und sterben als ein freier Mann.

Ellida in zunehmender Erregung. Wangel! Laß mich Dir sagen, – sagen, daß er es hört! Wohl kannst Du mich hier zurückhalten! Dazu hast Du Macht und Mittel! Und das willst Du ja doch auch tun! Aber mein Inneres, – meine Gedanken – dieses ganze lockende Sehnen und Begehren – das kannst Du nicht in Fesseln schlagen! Das wird streben und stürmen – ins Unbekannte hinaus, für das ich geschaffen war, – und das Du mir verschlossen hast!

Wangel in stillem Schmerz. Ich sehe wohl, Ellida! Schritt für Schritt entgleitest Du mir. Das Verlangen nach dem Grenzenlosen und Endlosen – und nach dem Unerreichbaren, – das treibt Deinen Geist zuletzt noch ganz ins nächtige Dunkel hinein.

Ellida. Ach, ja, ja, – ich fühle es über mir – wie schwarze, lautlose Schwingen!

Wangel. So weit soll es nicht kommen. Eine andere Rettung ist nicht möglich für Dich. Ich sehe wenigstens keine. Und darum – darum mache ich – den Handel jetzt auf der Stelle rückgängig. – Nun magst Du also Deinen Weg wählen – in voller – voller Freiheit.

Ellida starrt ihn eine Weile an, als ob sie die Sprache verloren hätte. Ist es wahr, – wahr, – was Du sagst! Meinst Du das – kommt Dir das aus innerstem Herzen?

Wangel. Ja, – aus innerstem, qualvollem Herzen.

Ellida. Und kannst Du es auch? Kannst Du es geschehen lassen?

Wangel. Ja, das kann ich. Ich kann es – weil ich Dich so innig liebe.

Ellida leise und bebend. So nahe also stände ich Dir – so innerlich nahe.

Wangel. Das haben die Jahre und das Zusammenleben gewirkt.

Ellida schlägt die Hände zusammen. Und ich, – ich habe das so gar nicht gesehen!

Wangel. Deine Gedanken gingen andere Wege. Aber nun, – nun bist Du außer jedem Zusammenhang mit mir und meinem Hause. Und mit den Meinen. Nun kann Dein eigenes, Dein wahres Leben – wieder hinein – in sein rechtes Geleise kommen. Denn jetzt kannst Du in Freiheit wählen. Und unter eigener Verantwortung, Ellida.

Ellida faßt sich an den Kopf und starrt vor sich hin, in der Richtung, wo Wangel steht. In Freiheit und – und unter eigener Verantwortung! Unter eigener Verantwortung auch? – Darin liegt – die Kraft der Wandlung!

Die Dampfschiffsglocke läutet zum zweiten Male.

Der Fremde. Hörst Du, Ellida! – Da läuten sie zum letzten Mal. Also komm!

Ellida wendet sich ihm zu, blickt ihn fest an und sagt mit machtvoller Stimme: Nimmermehr gehe ich mit Ihnen nach dieser Stunde.

Der Fremde. Du gehst nicht!

Ellida klammert sich an Wangel. O, – nimmermehr verlasse ich Dich von dieser Stunde an!

Wangel. Ellida, – Ellida!

Der Fremde. Es ist also aus?

Ellida. Ja! Aus für alle Zeiten!

Der Fremde. Ich seh' es wohl. Hier ist etwas, das stärker ist als mein Wille.

Ellida. Ihr Wille hat auch nicht so viel Macht mehr über mich! Für mich sind Sie ein toter Mann, – der vom Meere heimgekehrt ist. Und dahin wieder zurückkehrt. Aber mir graut nicht mehr vor Ihnen. Und nichts lockt und zieht mich mehr.

Der Fremde. Leben Sie wohl, Frau! Er schwingt sich über den Gartenzaun. Von diesem Augenblick an sind Sie in meinem Leben nicht mehr und nicht minder als – ein überstandener Schiffbruch. Er geht links ab.

Wangel sieht sie eine Weile an. Ellida, – Dein Inneres ist wie das Meer. Es hat Ebbe und Flut. Woher ist die Wandlung gekommen?

Ellida. Ach, begreifst Du denn nicht, daß die Wandlung gekommen ist, – daß die Wandlung kommen mußte – in dem Augenblick, da ich in Freiheit wählen durfte?

Wangel. Und das Unbekannte, – das lockt und zieht Dich nicht mehr?

Ellida. Weder zieht es mich an, noch schreckt es mich ab. Ich hätte ins Unbekannte hinein schauen – hätte hinein gehen können, – wenn ich selbst nur gewollt hätte. Ich hätte es ja doch wählen können. Und darum konnte ich auch darauf verzichten.

Wangel. Ich fange an, Dich zu verstehen – nach und nach. Du denkst und empfindest in Bildern – und in sichtbaren Vorstellungen. Dein Sehnsuchtsdrang nach dem Meer, – jenes Etwas, das Dich lockend hinzog zu ihm, – dem fremden Manne, – das war der Ausdruck für den Freiheitstrieb, der in Dir erwacht und gewachsen war. Nichts andres.

Ellida. Ach, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Aber Du bist mir ein guter Arzt gewesen. Das rechte Mittel, das hast Du nicht nur gefunden, – Du hast auch gewagt, es zu gebrauchen, – das einzige, das mir helfen konnte.

Wangel. Ja, – in der äußersten Not und Gefahr wagen wir Ärzte so viel. – Aber jetzt kommst Du doch wieder zu mir zurück, Ellida?

Ellida. Ja, lieber, treuer Wangel, – nun komme ich zu Dir zurück. Nun kann ich es. Denn nun komme ich zu Dir in Freiheit, – freiwillig – und unter meiner Verantwortung.

Wangel blickt sie innig an. Ellida, Ellida! Ach, – der Gedanke, daß wir beide jetzt ganz füreinander leben können –

Ellida. – und mit gemeinsamen Lebenserinnerungen. Deinen – sowie meinen.

Wangel. Ja, nicht wahr, Du Liebe!

Ellida. – und für unsere beiden Kinder, Wangel.

Wangel. Unsere sagst Du!

Ellida. Die nicht mein Eigen sind, – aber die ich mir schon erringen werde.

Wangel. Unsere –! Küßt froh und eilig ihre Hände. Dank, – unendlichen Dank für dies Wort!

Hilde, Ballested, Lyngstrand, Arnholm und Bolette erscheinen im Garten links. Gleichzeitig viele junge Leute aus der Stadt und Sommerfrischler auf dem Fußweg draußen.

Hilde halblaut zu Lyngstrand. Sehen Sie nur einmal – wie verlobt sie und Papa ausschauen.

Ballested, der es gehört hat. Es ist Sommerzeit, Fräuleinchen!

Arnholm sieht zu Wangel und Ellida hin. Da segelt der Engländer.

Bolette geht an den Zaun. Von hier aus kann man ihn am besten sehen.

Lyngstrand. Die letzte Reis' in diesem Jahr.

Ballested. »Bald sind sie zu, die Sunde all«, wie der Dichter sagt. Das ist traurig, Frau Wangel! Und jetzt verlieren wir auch Sie für einige Zeit. Morgen ziehen Sie ja doch nach Skjoldviken hinaus, wie ich höre.

Wangel. Nein, – daraus wird nichts. Wir beide haben uns soeben anders entschlossen.

Arnholm sieht sie abwechselnd an. Ah, – wirklich!

Bolette kommt nach vorn. Papa, – ist es wahr?

Hilde auf Ellida zu. Du bleibst doch bei uns?!

Ellida. Ja, liebe Hilde, – wenn Du mich haben willst.

Hilde, kämpfend zwischen Weinen und Lachen. O, – Du fragst noch – ob ich will –!

Arnholm zu Ellida. Das kommt aber in der Tat überraschend –!

Ellida lächelt; ernst. Nun, sehen Sie wohl, Herr Arnholm –. Erinnern Sie sich, – wir haben gestern davon gesprochen! Wenn man einmal eine Festlandskreatur geworden ist, – dann findet man nicht mehr den Weg zurück – zum Meer. Und auch nicht zum Meeresleben.

Ballested. Aber das ist ja akkurat so wie mit meiner Meerfrau!

Ellida. Ungefähr so, – ja.

Ballested. Nur mit dem Unterschied: die Meerfrau – die stirbt daran. Die Menschen dagegen – die können sich akklam – akkli–matisieren. Ja, ja, – ich versichere Ihnen, Frau Wangel, die können sich ak–kli–matisieren!

Ellida. Ja, in Freiheit, da können sie es, Herr Ballested.

Wangel. Und unter eigener Verantwortung, liebe Ellida.

Ellida rasch, reicht ihm die Hand. Das ist es.

Das große Dampfschiff gleitet lautlos über den Fjord weg. Die Musik ertönt näher am Lande.

 


 


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