Henrik Ibsen
Die Frau vom Meere
Henrik Ibsen

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Vierter Akt

Gartenstube bei Wangel. Türen rechts und links. Im Hintergrund zwischen beiden Fenstern eine offene Glastür nach der Veranda hinaus. Unter ihr draußen ist ein Stück Garten sichtbar. Links ein Sofa mit Tisch. Rechts ein Piano und weiter hinten ein großer Blumentisch. Mitten im Zimmer ein runder Tisch mit Stühlen. Auf dem Tisch ein blühender Rosenstock, umgeben von anderen Topfpflanzen. – Es ist Vormittag.

In der Stube am Tisch links sitzt Bolette auf dem Sofa, mit einer Stickerei beschäftigt. Lyngstrand sitzt auf einem Stuhl am oberen Ende des Tisches. Unten im Garten sitzt Ballested und malt. Hilde steht daneben und sieht ihm zu.

Lyngstrand, die Arme auf dem Tisch, sitzt eine Weile schweigend da und sieht zu, wie Bolette arbeitet. Das muß verteufelt schwer sein so eine Borte zu nähen, Fräulein Wangel.

Bolette. Ach nein. Das ist nicht so schwer. Wenn man nur beim Zählen ordentlich aufpaßt –

Lyngstrand. Zählen? Müssen Sie auch zählen?

Bolette. Ja, die Stiche. Sehen Sie her.

Lyngstrand. Richtig, ja! Denken Sie nur! Das ist ja beinah eine Art Kunst. Können Sie auch zeichnen?

Bolette. O ja, wenn ich ein Muster vor mir habe.

Lyngstrand. Sonst nicht?

Bolette. Nein, sonst nicht.

Lyngstrand. Dann ist es aber doch keine richtige Kunst.

Bolette. Nein, zum größten Teil ist es doch bloß – Handfertigkeit.

Lyngstrand. Aber ich glaube schon, Sie könnten vielleicht Kunst lernen.

Bolette. Wenn ich keine Anlagen dazu habe?

Lyngstrand. Tut nichts. Wenn Sie beständig mit einem richtigen, echten Künstler zusammen sein könnten –

Bolette. Glauben Sie, dann könnte ich von ihm lernen?

Lyngstrand. Nicht lernen so auf die gewöhnliche Art. Aber ich glaube, es käme über Sie nach und nach. Durch etwas wie ein Wunder, Fräulein Wangel.

Bolette. Das wäre wundersam.

Lyngstrand nach einer kleinen Pause. Haben Sie schon einmal nachgedacht –? Ich meine – ob Sie schon gründlicher und ernsthaft über die Ehe nachgedacht haben, Fräulein?

Bolette sieht ihn flüchtig an. Über –? Nein.

Lyngstrand. Aber ich.

Bolette. So? Haben Sie das?

Lyngstrand. I ja, – ich denke sehr oft über solche Dinge nach. Ganz besonders über die Ehe. Und dann habe ich doch auch in verschiedenen Büchern darüber gelesen. Ich glaube, die Ehe, die muß man als wie eine Art Wunder betrachten. Daß die Frau sich allmählich umwandelt und ihrem Mann ähnlich wird.

Bolette. Seine Interessen teilt sie, meinen Sie?

Lyngstrand. Ja, eben das meine ich!

Bolette. Nun, und seine Gaben? Und seine Anlagen und Fertigkeiten?

Lyngstrand. Hm ja, – ich möchte wissen, ob nicht das alles auch –

Bolette. So glauben Sie vielleicht auch, das, was ein Mann durch Lektüre – oder Gedankenarbeit – sich angeeignet hat, – das könnte wohl auch auf seine Frau übergehen?

Lyngstrand. Das auch, jawohl. Nach und nach. Wie durch ein Wunder. Aber ich weiß schon, so etwas kann nur in einer Ehe vorkommen, die treu und voll Liebe und so recht glücklich ist.

Bolette. Sind Sie nie auf den Gedanken gekommen, daß auch ein Mann vielleicht so zu seiner Frau hinübergezogen werden und mit ihr verwachsen könnte? Ihr ähnlich werden könnte, meine ich.

Lyngstrand. Ein Mann? Nein, – der Gedanke ist mir nie gekommen.

Bolette. Aber warum kann nicht das eine so gut wie das andere geschehen?

Lyngstrand. Weil ein Mann doch einen Beruf hat, für den er lebt. Und das eben macht einen Mann so stark und fest, Fräulein Wangel. Ein Mann, der hat einen Lebensberuf.

Bolette. Jeder ohne Ausnahme?

Lyngstrand. O nein. Ich denke zunächst nur an den Künstler.

Bolette. Meinen Sie, ein Künstler tut recht daran, wenn er sich verheiratet?

Lyngstrand. Allerdings meine ich das. Wenn er nur eine finden kann, die er recht von Herzen lieb hat, so –

Bolette. Und doch. Ich denke mir, er sollte lieber nur für seine Kunst leben.

Lyngstrand. Gewiß soll er das. Aber das kann er doch ganz gut, auch wenn er sich verheiratet.

Bolette. Ja, aber sie?

Lyngstrand. Sie? Wieso –?

Bolette. Die Frau, die er heiratet. Wofür soll denn die leben?

Lyngstrand. Sie soll auch für seine Kunst leben. Ich finde, eine Frau müßte sich dabei von Herzen glücklich fühlen.

Bolette. Hm, – ich weiß nicht recht –

Lyngstrand. Ja, Fräulein, das können Sie glauben. Nicht allein die Ehre und das Ansehen ist es, das sie durch ihn genießt –. Denn ich finde, darauf ist schließlich der geringste Wert zu legen. Vielmehr der Umstand, daß sie ihm beim Schaffen helfen kann, – daß sie ihm die Arbeit leichter machen kann, indem sie um ihn ist und ihn hegt und pflegt und ihm das Leben so recht heiter macht. Das, meine ich, müßte geradezu himmlisch für eine Frau sein.

Bolette. Ach, Sie wissen selbst nicht, wie egoistisch Sie sind!

Lyngstrand. Ich egoistisch! Du lieber Gott –! Ach, wenn Sie mich nur ein wenig besser kennen würden, als Sie – Neigt sich näher zu ihr hin. Fräulein Wangel, – wenn ich nun einmal nicht mehr da bin, – und das bin ich doch bald nicht mehr –

Bolette sieht ihn teilnehmend an. Fangen Sie wieder an? Glauben Sie doch so etwas Trauriges nicht.

Lyngstrand. Ich finde, im Grunde ist das doch gar nicht so traurig.

Bolette. Wie meinen Sie das denn?

Lyngstrand. Ich reise doch etwa in einem Monat. Zunächst von hier fort. Und später gehe ich doch nach dem Süden.

Bolette. Ach so. Jawohl.

Lyngstrand. Wollen Sie dann ab und zu einmal an mich denken, Fräulein?

Bolette. Ja, das will ich gern.

Lyngstrand froh. Das müssen Sie mir versprechen!

Bolette. Ja, das verspreche ich.

Lyngstrand. Hoch und heilig, Fräulein Bolette?

Bolette. Hoch und heilig. Fällt in einen andern Ton. Ach, aber was hat denn das eigentlich für einen Zweck! Das führt ja doch zu rein gar nichts.

Lyngstrand. Wie können Sie das nur sagen! Für mich wäre es ein so herrliches Bewußtsein, daß Sie hier zu Haus herumgehen und an mich denken.

Bolette. Na, und was dann weiter?

Lyngstrand. Ja, was? – weiter weiß ich eigentlich nicht so recht –

Bolette. Ich auch nicht. Es steht so viel im Wege. Alles, finde ich, steht im Wege.

Lyngstrand. Ach, es könnte doch irgend ein Wunder geschehen. Eine glückliche Fügung des Schicksals – oder so etwas. Denn ich glaube nun einmal, das Glück ist mit mir.

Bolette lebhaft. Ja, nicht wahr! Das glauben Sie doch!

Lyngstrand. Ja, das glaube ich fest und sicher. Und dann – nach einigen Jahren – wenn ich wieder heimkomme als ein namhafter Bildhauer und in guten Verhältnissen und in der Fülle der Gesundheit –

Bolette. Ja, ja, gewiß. Das wollen wir hoffen.

Lyngstrand. Das können Sie getrost hoffen. Wenn Sie nur treu und warm an mich denken, während ich fern im Süden bin. Und darauf habe ich ja nun Ihr Wort.

Bolette. Das haben Sie. Schüttelt den Kopf. Aber es kommt doch sicher nichts dabei heraus.

Lyngstrand. Doch, Fräulein Bolette, – und wenn auch nur das dabei herauskäme, daß ich um so leichter und flotter an meinem Werk arbeiten könnte.

Bolette. Also das glauben Sie?

Lyngstrand. Ja, das fühle ich in meinem Innersten. Und dann meine ich, muß es doch auch für Sie erquickend sein, – hier in der Abgeschiedenheit – das Bewußtsein, daß Sie mir sozusagen beim Schaffen geholfen haben.

Bolette blickt ihn an. Nun, – und Sie Ihrerseits?

Lyngstrand. Ich –?

Bolette blickt in den Garten hinaus. Still! Sprechen wir von etwas anderem. Da kommt Herr Arnholm.

Arnholm kommt unten im Garten links zum Vorschein. Er bleibt stehen und spricht mit Ballested und Hilde.

Lyngstrand. Haben Sie Ihren alten Lehrer gern, Fräulein Bolette?

Bolette. Ob ich ihn gern habe?

Lyngstrand. Ja, ich meine, ob Sie ihn leiden mögen?

Bolette. O freilich. Denn man hat an ihm einen so wackeren Freund und Ratgeber. – Und dann ist er immer hilfsbereit, wo er nur kann.

Lyngstrand. Aber ist das nicht merkwürdig, daß er nicht geheiratet hat?

Bolette. Das finden Sie so merkwürdig?

Lyngstrand. Ja. Denn er soll doch ein wohlhabender Mann sein.

Bolette. Das soll er sein. Aber es ist für ihn wohl nicht so leicht gewesen eine zu finden, die ihn haben wollte, denke ich mir.

Lyngstrand. Wieso denn das?

Bolette. Na, er ist doch der Lehrer von fast all den jungen Mädchen gewesen, die er kennt. Das sagt er selbst.

Lyngstrand. Nun, was tut denn das?

Bolette. Herrgott, man heiratet doch nicht einen, der unser Lehrer gewesen ist!

Lyngstrand. Glauben Sie nicht, daß ein Mädchen ihren Lehrer lieben könnte?

Bolette. Wenn sie einmal erst richtig erwachsen ist, nicht.

Lyngstrand. Nicht – denken Sie nur an!

Bolette warnend. So, so, so!

Ballested hat inzwischen seine Sachen zusammengepackt und trägt sie rechts in den Garten hinaus. Hilde hilft ihm. Arnholm geht auf die Veranda hinauf und kommt in die Stube.

Arnholm. Guten Morgen, meine liebe Bolette. Guten Morgen, – Herr – Herr – hm! Er sieht mißvergnügt aus und nickt Lyngstrand kalt zu, der aufsteht und sich verbeugt.

Bolette steht auf und geht auf Arnholm zu. Guten Morgen, Herr Oberlehrer.

Arnholm. Wie geht es hier heute?

Bolette. Danke, ganz gut.

Arnholm. Ist Ihre Stiefmutter am Ende auch heut im Wasser?

Bolette. Nein, sie ist oben auf ihrem Zimmer.

Arnholm. Nicht ganz munter?

Bolette. Ich weiß nicht. Sie hat sich eingeschlossen.

Arnholm. Hm, – so?

Lyngstrand. Frau Wangel hat sich wohl gestern ordentlich alteriert über den Amerikaner!

Arnholm. Was wissen Sie davon?

Lyngstrand. Ich habe der gnädigen Frau erzählt, ich hätte ihn leibhaftig hinten am Garten herum gehen sehen.

Arnholm. Ach so.

Bolette zu Arnholm. Sie und Papa sind gewiß diese Nacht lange aufgeblieben.

Arnholm. Ja, ziemlich lange. Wir kamen auf ernste Dinge zu sprechen.

Bolette. Haben Sie auch ein wenig über mich und meine Angelegenheiten mit ihm sprechen können?

Arnholm. Nein, liebe Bolette. Ich bin nicht dazu gekommen. Denn er war von etwas ganz anderem so völlig eingenommen.

Bolette seufzt. Ach ja, – das ist er immer.

Arnholm sieht sie bedeutungsvoll an. Aber nachher wollen wir beide eingehender davon sprechen. – Wo ist Ihr Vater jetzt? Vielleicht nicht zu Hause?

Bolette. Doch. Er ist gewiß unten im Bureau. Ich will ihn gleich heraufholen.

Arnholm. Nein, danke. Tun Sie das nicht. Ich will lieber zu ihm hinuntergehen.

Bolette horcht nach links. Warten Sie ein wenig, Herr Oberlehrer. Ich glaube, Papa ist schon auf der Treppe. Ja. Er ist wohl oben gewesen, um nach ihr zu sehen.

Wangel kommt durch die Tür links herein.

Wangel reicht Arnholm die Hand. So, lieber Freund, – sind Sie schon da? Es ist nett von Ihnen, daß Sie so zeitig gekommen sind. Ich möchte gern mehr mit Ihnen sprechen.

Bolette zu Lyngstrand. Wollen wir vielleicht einen Augenblick in den Garten hinuntergehen zu Hilde?

Lyngstrand. Ja, riesig gern, Fräulein.

Er und Bolette gehen in den Garten hinunter und zwischen den Bäumen im Hintergrunde ab.

Arnholm, der ihnen mit den Augen gefolgt ist, wendet sich zu Wangel. Kennen Sie den jungen Mann näher?

Wangel. Nein, durchaus nicht.

Arnholm. Halten Sie es denn aber für richtig, daß er sich da mit den Mädchen so viel herumtreibt?

Wangel. Tut er das? Das habe ich nicht einmal bemerkt.

Arnholm. Auf so etwas, finde ich, sollten Sie doch ein wenig achten.

Wangel. Ja, da haben Sie ganz recht. Aber, lieber Gott, was soll ich armer Mann tun? Die Kinder sind doch nun einmal so dran gewöhnt, ihr eigener Herr zu sein. Sie lassen sich nichts sagen, nicht von mir noch von Ellida.

Arnholm. Auch nicht von ihr?

Wangel. Nein. Und schließlich kann ich doch auch nicht verlangen, daß sie sich in so etwas hineinmischt. Das ist auch nichts für sie. Abbrechend. Aber nicht davon wollten wir sprechen. So sagen Sie mir denn, – haben Sie weiter über die Sache nachgedacht? Über alles das, was ich Ihnen erzählt habe?

Arnholm. Ich habe an nichts anderes gedacht, seit wir uns heute Nacht trennten.

Wangel. Und was meinen Sie also, ist da zu tun?

Arnholm. Lieber Doktor, ich meine, Sie als Arzt müssen das besser wissen als ich.

Wangel. Ach, wenn Sie wüßten, wie schwierig das ist für einen Arzt, ein richtiges Urteil zu gewinnen über einen Kranken, der ihm so nahe steht! Und das hier ist doch auch keine gewöhnliche Krankheit. Hier hilft kein gewöhnlicher Arzt, – und keine gewöhnlichen Mittel.

Arnholm. Wie geht es ihr heut?

Wangel. Ich war jetzt eben bei ihr, und da kam sie mir ganz ruhig vor. Aber hinter allen ihren Stimmungen ist etwas verborgen, über das ich mir durchaus nicht klar werden kann. Und dann ist sie so unbeständig, – so unberechenbar, – so überraschend veränderlich.

Arnholm. Das ist wohl eine Folge ihres krankhaften Gemütszustandes.

Wangel. Nicht ausschließlich. Im letzten Grunde ist ihr das angeboren. Ellida gehört zum Meervolk. Das ist die Sache.

Arnholm. Wie meinen Sie das eigentlich, lieber Doktor?

Wangel. Haben Sie nicht bemerkt, wie die Menschen da draußen am offenen Meer gewissermaßen ein Volk für sich sind? Es ist beinah, als lebten sie des Meeres eigenes Leben mit. Es ist Wellengang – und auch Ebbe und Flut – in ihrem Denken wie in ihren Empfindungen. Und dann lassen sie sich niemals verpflanzen. Ach, ich hätte das früher bedenken sollen. Es war geradezu eine Versündigung an Ellida, sie da wegzunehmen und hierher zu bringen.

Arnholm. Zu der Ansicht sind Sie jetzt gekommen?

Wangel. Ja, mehr und mehr. Aber ich hätte mir das von vornherein sagen sollen. Ach, im Grunde habe ich es ja auch gewußt. Aber ich ließ es in mir nicht zu Worte kommen. Denn ich hatte sie doch so lieb, sehen Sie! Darum dachte ich in erster Reihe an mich selbst. So unverantwortlich egoistisch war ich damals!

Arnholm. Hm, – ein jeder Mann ist sicherlich ein bißchen egoistisch unter solchen Umständen. Übrigens habe ich den Fehler bei Ihnen nie bemerkt, Doktor.

Wangel geht unruhig im Zimmer auf und ab. O doch! Und hernach bin ich es auch noch gewesen. Ich bin ja so viel, viel älter als sie. Ich hätte ihr ein Vater sein sollen – und zugleich ein Führer. Ich hätte mein Mögliches tun sollen, um ihr Gedankenleben zu entwickeln und zu klären. Aber leider ist daraus nie etwas geworden. Ich habe nicht die rechte Energie dazu gehabt, sehen Sie. Wollte ich sie doch am liebsten so haben, wie sie war. Aber dann wurde es schlimmer und schlimmer mit ihr. Und ich ging hier umher und wußte nicht, was ich machen sollte. Leiser. Darum habe ich an Sie geschrieben in meiner Not und Sie gebeten herzukommen.

Arnholm sieht ihn erstaunt an. Was heißt das! Darum haben Sie geschrieben?

Wangel. Ja. Aber lassen Sie nichts merken.

Arnholm. Aber Herrgott noch einmal, lieber Doktor, – was für eine Förderung haben Sie sich denn eigentlich von mir versprochen? Das verstehe ich nicht.

Wangel. Na, das ist doch ganz verständlich. Weil ich auf falscher Fährte war. Ich glaubte, Ellida hätte einmal ihr Herz an Sie gehängt. Es hinge im geheimen noch ein klein wenig an Ihnen. Es täte ihr am Ende gut, Sie wieder zu sehen und mit Ihnen zu sprechen von der Heimat und den alten Tagen.

Arnholm. Also Ihre Frau meinten Sie, als Sie schrieben, es wäre hier jemand, der auf mich wartete und sich vielleicht nach mir sehnte!

Wangel. Ja, wen sonst?

Arnholm schnell. Nein, nein, Sie haben recht. – Aber ich habe es nicht verstanden.

Wangel. Sehr natürlich, wie gesagt. Ich war doch auf ganz falscher Fährte.

Arnholm. Und Sie sagen von sich, Sie sind egoistisch!

Wangel. Ach, ich hatte doch eine so große Schuld abzutragen. Ich meinte, ich dürfte kein Mittel unversucht lassen, das ihr Gemüt vielleicht ein wenig erleichtern könnte.

Arnholm. Wie erklären Sie denn nun eigentlich die Macht, die dieser Fremde auf Ihre Frau ausübt?

Wangel. Hm, lieber Freund, – die Sache dürfte Seiten haben, die sich nicht erklären lassen.

Arnholm. Etwas, was an und für sich unerklärlich ist, meinen Sie? Durchaus unerklärlich?

Wangel. Wenigstens unerklärlich bis auf weiteres.

Arnholm. Glauben Sie denn an so etwas?

Wangel. Ich glaube nicht, ich bestreite nicht. Ich weiß nur nicht. Deshalb lasse ich es dahingestellt sein.

Arnholm. Ja, aber nun sagen Sie mir eins. Diese ihre seltsame, unheimliche Behauptung, daß die Augen des Kindes –?

Wangel eifrig. An die Sache mit den Augen glaube ich ganz und gar nicht! Ich will an so etwas nicht glauben! Das muß die pure Einbildung von ihr sein. Nichts andres.

Arnholm. Haben Sie auf die Augen des Mannes acht gegeben gestern, als Sie ihn sahen?

Wangel. Ja gewiß habe ich das getan.

Arnholm. Und Sie haben keinerlei Ähnlichkeit gefunden?

Wangel ausweichend. Hm, – Herrgott, was soll ich da antworten? Es war doch nicht mehr ganz hell, als ich ihn sah. Und außerdem hatte Ellida doch vorher so viel von dieser Ähnlichkeit gesprochen –. Ich weiß durchaus nicht, ob ich imstande gewesen wäre, ihn ganz unbefangen anzusehen.

Arnholm. Ja, ja, das mag sein. Aber nun das andere? Daß diese ganze Angst und Unruhe gerade zu der Zeit über sie gekommen ist, als dieser fremde Mensch allem Anschein nach auf der Heimreise war?

Wangel. Ja, sehen Sie, – das ist auch etwas, in das sie sich seit vorgestern hineinphantasiert und hineingeträumt haben muß. Es ist gar nicht so plötzlich – so mit einem Mal – über sie gekommen, wie sie jetzt behauptet. Aber seit sie von dem jungen Lyngstrand gehört hat, daß Johnston – oder Friman – oder wie er nun heißen mag, – vor drei Jahren – im März – auf der Herreise gewesen ist, – da glaubt sie jetzt offenbar, die Unruhe hätte ihr Gemüt genau in eben demselben Monat ergriffen.

Arnholm. War das denn nicht der Fall?

Wangel. Aber ganz und gar nicht! Es lassen sich Spuren und Anzeichen dafür lange vor der Zeit nachweisen. – Allerdings kam es – zufälligerweise – gerade im März vor drei Jahren zu einem ziemlich heftigen Ausbruch bei ihr –

Arnholm. Also doch –!

Wangel. Ja, aber das läßt sich ganz einfach aus dem Zustande – den Umständen, – erklären, in denen sie sich damals gerade befand.

Arnholm. Also Zeichen gegen Zeichen.

Wangel ballt die Hände. Und ihr nicht helfen zu können! So ganz ratlos zu sein! So gar kein Mittel zu sehen –!

Arnholm. Wenn Sie sich nun entschließen könnten, den Wohnort zu wechseln? Anders wohin zu ziehen? So daß sie in Verhältnissen leben könnte, wo sie sich heimischer fühlte?

Wangel. Ach, mein Lieber, – glauben Sie denn, ich habe ihr nicht auch das angeboten! Ich habe ihr vorgeschlagen, wir wollten nach Skjoldviken hinausziehen. Aber sie will nicht.

Arnholm. Auch das nicht?

Wangel. Nein. Sie meint, das hätte keinen Zweck. Und da hat sie vielleicht auch nicht so unrecht.

Arnholm. Hm, – meinen Sie?

Wangel. Ja, und außerdem, – wenn ich es mir überlege, – so weiß ich wirklich nicht, wie ich das anstellen sollte. Denn ich glaube, ich kann es wirklich der Mädchen wegen nicht verantworten, wenn ich nach einem so entlegenen Winkel ziehe. Sie müssen ja doch an einem Orte leben, wo wenigstens ein bißchen Aussicht ist, sie einmal zu versorgen.

Arnholm. Versorgen? Denken Sie schon ernstlich daran?

Wangel. Ja, du lieber Gott, – ich muß doch auch daran denken! Aber dann – andrerseits wieder – die Rücksicht auf meine arme kranke Ellida –! Ach, lieber Arnholm, – ich bin wirklich – in vielen Beziehungen – zwischen Hammer und Amboß.

Arnholm. Wegen Bolette brauchen Sie sich vielleicht keine so große Sorge zu machen – abbrechend. Ich möchte nur wissen, wo sie ist – wo sie hin sind?

Er geht hin zur offenen Tür und sieht hinaus.

Wangel nach dem Piano hinüber. Ach, ich würde so gern jedes Opfer bringen, – für sie alle drei. – Wenn ich nur wüßte, wie.

Ellida kommt durch die Tür links herein.

Ellida schnell zu Wangel. Geh ja nicht aus heute Morgen!

Wangel. Nein, gewiß nicht. Ich bleibe zu Hause bei Dir. Zeigt auf Arnholm, der sich nähert. Aber willst Du nicht unsern Freund begrüßen?

Ellida wendet sich um. Ah, Sie sind da, Herr Arnholm! Gibt ihm die Hand. Guten Morgen.

Arnholm. Guten Morgen, gnädige Frau. Na, heut haben Sie also nicht gebadet, wie sonst?

Ellida. Nein, nein, nein! Davon kann heute nicht die Rede sein. Aber vielleicht wollen Sie sich einen Augenblick setzen?

Arnholm. Nein, ich danke sehr, – jetzt nicht. Sieht zu Wangel hin. Ich habe den Mädchen versprochen, zu ihnen in den Garten hinunter zu kommen.

Ellida. Gott weiß, ob Sie sie im Garten treffen. Ich weiß nie recht, wo die sich herumtreiben.

Wangel. O doch, sie halten sich gewiß unten am Teich auf.

Arnholm. Nun, ich werde ihnen schon auf die Spur kommen.

Er nickt zum Gruß und geht über die Veranda rechts nach dem Garten hinaus.

Ellida. Was ist die Uhr, Wangel?

Wangel sieht auf die Uhr. Es ist eben elf vorbei.

Ellida. Elf vorbei. Und um elf – halb zwölf heut Abend kommt das Dampfschiff. Ach, hätte ich es nur erst überstanden!

Wangel tritt näher an sie heran. Liebe Ellida, – eins möchte ich Dich gern noch fragen.

Ellida. Was denn?

Wangel. Vorgestern abend – oben auf der »Aussicht« – da sagtest Du, in den letzten drei Jahren hättest Du ihn oft leibhaftig vor Dir gesehen.

Ellida. Ja, das habe ich auch. Das mußt Du mir glauben.

Wangel. Nun, wie hast Du ihn denn da gesehen?

Ellida. Wie ich ihn gesehen habe?

Wangel. Ich meine, – wie hat er ausgesehen, wenn Du ihn vor Dir zu sehen glaubtest?

Ellida. Aber, lieber Wangel, – Du weißt doch jetzt selbst, wie er aussieht.

Wangel. Sah er auch so aus in Deinen Vorstellungen?

Ellida. Ja, freilich.

Wangel. Genau so, wie Du ihn gestern abend in der Wirklichkeit gesehen hast?

Ellida. Ja, genau so.

Wangel. Aber weshalb hast Du ihn denn da nicht gleich wiedererkannt?

Ellida stutzt. Habe ich das nicht?

Wangel. Nein. Du hast selbst nachher gesagt, zuerst wußtest Du ganz und gar nicht, wer der Fremde war.

Ellida betroffen. Ja, ich glaube wirklich, Du hast recht. Findest Du das nicht sonderbar, Wangel? Denk nur, – ich habe ihn nicht gleich erkannt!

Wangel. Nur an den Augen, sagtest Du –

Ellida. Ach ja, – die Augen! Die Augen!

Wangel. Na, – aber auf der »Aussicht« oben hast Du gesagt, er zeige sich Dir immer so, wie er war, als Ihr Euch getrennt habt. Da draußen vor zehn Jahren.

Ellida. Habe ich das gesagt?

Wangel. Ja.

Ellida. Dann hat er damals wohl ungefähr so ausgesehen wie jetzt.

Wangel. Nein. Du hast vorgestern auf dem Heimweg eine ganz andere Schilderung von ihm gegeben. Vor zehn Jahren trug er keinen Bart, hast Du gesagt. Ganz anders gekleidet war er auch. Und dann die Busennadel mit der Perle –! Die hat der Mann doch gestern gar nicht gehabt.

Ellida. Nein, die hat er nicht gehabt.

Wangel sieht sie forschend an. Denk also ein wenig nach, liebe Ellida. Oder – kannst Du Dich vielleicht nicht mehr darauf besinnen, wie er ausgesehen hat, als er auf Bratthammer mit Dir stand?

Ellida nachdenklich, schließt die Augen eine Weile. Nicht ganz deutlich. Nein, – heute kann ich es durchaus nicht. Ist das nicht sonderbar?

Wangel. Gar nicht so sonderbar. Es ist Dir jetzt ein neues Wirklichkeitsbild entgegengetreten. Und das hat das alte in den Schatten gestellt, – so daß Du es nicht mehr sehen kannst.

Ellida. Glaubst Du, Wangel?

Wangel. Ja. Und es stellt auch Deine kranken Vorstellungen in den Schatten. Deshalb ist es gut, daß die Wirklichkeit gekommen ist.

Ellida. Gut! Das nennst Du gut?

Wangel. Ja. Daß sie gekommen ist, – das dürfte Dir die Genesung bringen.

Ellida setzt sich aufs Sofa. Wangel, – komm und setz' Dich her zu mir. Ich muß Dir alle meine Gedanken sagen.

Wangel. Ja, tu das, liebe Ellida. Er setzt sich auf einen Stuhl auf der andern Seite des Tisches.

Ellida. Es war eigentlich ein großes Unglück – für uns beide, – daß gerade wir zwei zusammenkommen mußten.

Wangel stutzt. Was sagst Du da!

Ellida. Ach ja. Das war es. Und das ist ja doch auch so natürlich. Es mußte ein Unglück werden. So, wie wir zwei zusammengekommen sind!

Wangel. Was hat denn nicht gestimmt an der Art, wie wir zwei –!

Ellida. Hör' jetzt, Wangel, – es hilft nichts, daß wir noch länger uns selbst belügen – und einander belügen!

Wangel. Tun wir denn das? Wir belügen uns, sagst Du!

Ellida. Ja, allerdings. Oder – wir verbergen wenigstens die Wahrheit. Denn die Wahrheit – die klare, nackte Wahrheit – die ist doch, – daß Du zu uns herausgekommen bist und – und mich gekauft hast.

Wangel. Gekauft –! – »gekauft«, sagst Du?

Ellida. Ach, ich war ja doch nicht um ein Haar besser als Du. Ich schlug ein. Ging hin und verkaufte mich an Dich.

Wangel sieht sie schmerzvoll an. Ellida, – bringst Du es wirklich übers Herz, das so zu nennen?

Ellida. Aber gibt es denn einen andern Namen dafür! Du konntest nicht länger die Leere in Deinem Hause ertragen. Du sahst Dich um nach einer neuen Frau –

Wangel. Und nach einer neuen Mutter für die Kinder, Ellida.

Ellida. Vielleicht auch das – so nebenbei. Obwohl – Du wußtest ja gar nicht, ob ich mich zu der Stellung eignen würde. Du hattest mich ja doch nur gesehen – und ein paar Mal oberflächlich mit mir gesprochen. Dann bekamst Du Lust auf mich und dann –

Wangel. Ja, nenn es nur ganz so, wie es Dir beliebt.

Ellida. Und ich meinerseits –. Ich stand ja so ganz hilflos da und ratlos und so ganz allein. Es war ja so selbstverständlich, daß ich einschlug – als Du kamst und mir anbotest, mich auf Lebenszeit zu versorgen.

Wangel. Von meiner Seite war das sicher nicht als eine »Versorgung« gemeint, liebe Ellida. Ich fragte Dich ehrlich, ob Du mit mir und den Kindern das Wenige teilen wolltest, was ich mein Eigen nennen durfte.

Ellida. Ja, das hast Du getan. Aber ich hätte es doch nicht annehmen sollen! Um keinen Preis der Welt hätte ich das annehmen sollen! Hätte mich nicht verkaufen sollen! Lieber die niedrigste Arbeit, – lieber das ärmste Los in – in Freiwilligkeit – und nach eigener Wahl!

Wangel steht auf. Die fünf oder sechs Jahre, die wir miteinander verlebt haben, sind also so ganz ohne Wert für Dich gewesen?

Ellida. Ach, glaub' das nur nicht, Wangel! Ich habe es so gut hier bei Dir gehabt, wie es sich ein Mensch nur wünschen mag. Aber ich bin nicht in Freiwilligkeit zu Dir ins Haus gekommen. Das ist die Sache.

Wangel blickt sie an. Nicht in – Freiwilligkeit!

Ellida. Nein. Nicht freiwillig bin ich Dir gefolgt.

Wangel mit gedämpfter Stimme. Ah, – ich erinnere mich – das Wort von gestern.

Ellida. In dem Wort liegt das alles. Das hat mir die Augen geöffnet. Und darum sehe ich es jetzt.

Wangel. Was siehst Du?

Ellida. Ich sehe, das Leben, das wir zwei miteinander führen, – das ist im Grunde keine Ehe.

Wangel bitter. Da hast Du ein wahres Wort gesprochen. Das Leben, das wir jetzt führen, das ist keine Ehe.

Ellida. Auch früher nicht. Niemals. Von Anfang an nicht. Sieht vor sich hin. Die erste – die hätte eine ganze und reine Ehe werden können.

Wangel. Die erste? Welche erste meinst Du?

Ellida. Meine – mit ihm.

Wangel blickt sie verwundert an. Ich verstehe kein Wort!

Ellida. Ach, lieber Wangel, – wir wollen einander nicht belügen. Und auch uns selbst nicht.

Wangel. Nun ja? Aber was denn weiter?

Ellida. Ja, siehst Du, – wir können nie darüber hinwegkommen – daß ein freiwilliges Gelübde genau so bindend ist wie eine Trauung.

Wangel. Aber da muß ich doch sagen –!

Ellida erhebt sich mit Heftigkeit. Willige ein, daß ich Dich verlasse, Wangel!

Wangel. Ellida –! Ellida –!

Ellida. Ja, ja, – willige doch nur ein! Du kannst mir glauben, – zu dem Ende führt es schließlich doch. So wie wir beide nun einmal zusammengekommen sind.

Wangel, indem er seinen Schmerz beherrscht. So weit mußte es also mit uns kommen.

Ellida. Es mußte so kommen. Es konnte nicht anders kommen.

Wangel sieht sie schwermütig an. Also hätte ich Dich auch nicht durch das Zusammenleben gewonnen. Dich nie – nie ganz besessen.

Ellida. Ach, Wangel, – wenn ich Dich nur so lieb haben könnte, wie ich gern möchte! So recht von Herzen, wie Du es verdienst! Aber ich fühle es wohl, – das kommt nie.

Wangel. Eine Scheidung also? Was Du verlangst, das ist eine Scheidung, – eine regelrechte, gesetzliche Scheidung?

Ellida. Mein Lieber, Du verstehst mich so wenig. Die Formen, die sind mir ganz gleichgültig. Auf solche Äußerlichkeiten, denk' ich, kommt es doch nicht an. Ich will nur, daß wir beide uns in Freiwilligkeit dahin einigen, auseinanderzugehen.

Wangel bitter, nickt langsam. Den Handel rückgängig zu machen, – ja.

Ellida lebhaft. Ja eben! Den Handel rückgängig zu machen!

Wangel. Und was dann, Ellida? Nachher? Hast Du erwogen, was wir beide dann zu erwarten haben? Wie sich fernerhin das Leben für Dich und für mich gestalten wird?

Ellida. Das ist gleichgültig. Es mag sich gestalten hernach, wie es will. Was ich flehentlich von Dir erbitte, Wangel, – das ist ja doch das Wichtigste! Gib mich doch nur frei! Gib mir meine volle Freiheit wieder!

Wangel. Ellida, – Du stellst da eine furchtbare Zumutung an mich. Gib mir doch wenigstens Zeit, mich zu einem Entschluß zu sammeln. Wir wollen uns eingehender besprechen. Und gönn' auch Du Dir Zeit zu überlegen, was Du tust!

Ellida. Aber wir haben doch keine Zeit zu verlieren mit so etwas! Ich muß ja heute noch meine Freiheit wiederhaben!

Wangel. Warum denn das?

Ellida. Er kommt ja doch heut nacht.

Wangel fährt zusammen. Kommt! Er! Was hat der Fremde mit dieser Sache hier zu tun?

Ellida. Ich will ihm in voller Freiheit gegenüberstehen.

Wangel. Und was – was gedenkst Du dann weiter zu tun?

Ellida. Ich will nicht die Ausrede gebrauchen, ich wäre die Frau eines andern. Nicht die Ausrede gebrauchen, ich hätte keine Wahl. Denn sonst wäre es keine Entscheidung.

Wangel. Du sprichst von Wahl! Wahl, Ellida! Wahl in solcher Sache!

Ellida. Ja, die Wahl muß ich haben. Die Wahl nach beiden Seiten hin. Muß die Möglichkeit haben, ihn allein ziehen zu lassen –. Oder auch – ihm zu folgen.

Wangel. Weißt Du denn auch selbst, was Du sagst? Ihm folgen! Dein ganzes Schicksal in seine Hände geben!

Ellida. Aber habe ich denn nicht mein ganzes Schicksal in Deine Hände gegeben! Und zwar – ganz ohne weiteres.

Wangel. Mag sein. Aber er! Er! Ein Wildfremder! Ein Mensch, den Du kaum kennst!

Ellida. Aber Dich kannte ich ja doch vielleicht noch weniger. Und trotzdem bin ich Dir gefolgt.

Wangel. Damals wußtest Du doch wenigstens so ungefähr, was für einem Leben Du entgegengingst. Aber hier? Hier? So überlege doch! Was weißt Du hier? Nicht das Geringste weißt Du. Nicht einmal, wer er ist – oder was er ist.

Ellida sieht vor sich hin. Das ist wahr. Aber das ist ja gerade das Grauenvolle.

Wangel. Wohl ist das grauenvoll, ja –.

Ellida. Darum ist mir auch, als ob ich da hinein müßte.

Wangel sieht sie an. Weil es Dir vor Augen steht als etwas Grauenvolles?

Ellida. Ja. Eben darum.

Wangel näher. Hör' einmal, Ellida, – was verstehst Du denn eigentlich unter dem Grauenvollen?

Ellida denkt nach. Das ist das Grauenvolle, – was abschreckt und anzieht.

Wangel. Anzieht auch?

Ellida. Vor allem anzieht, – glaube ich.

Wangel langsam. Du bist dem Meer verwandt.

Ellida. Das ist auch das Grauenvolle.

Wangel. Und das Grauenvolle wiederum ist Dir verwandt. Du schreckst ab und ziehst an.

Ellida. Meinst Du, Wangel?

Wangel. Ich habe Dich doch wohl noch nie so recht gekannt. Nicht ganz bis auf den Grund. Das wird mir jetzt nach und nach klar.

Ellida. Darum sollst Du mich auch freigeben! Mich von einem jeden Verhältnis zu Dir und Deinem Haus entbinden. Ich bin nicht die, für die Du mich gehalten hast. Nun siehst Du es ja doch selbst. Nun können wir uns trennen in Einklang – und in Freiwilligkeit.

Wangel dumpf. Es wäre vielleicht das beste für uns beide – wenn wir uns trennen würden. – Und dennoch, – ich kann nicht! – Du bist für mich das Grauenvolle, Ellida. Was anzieht, – das ist das Stärkere in Dir.

Ellida. Meinst Du?

Wangel. Wir wollen sehen, mit Überlegung über diesen Tag hinwegzukommen. Mit voller Ruhe des Gemütes. Ich darf Dich heut nicht freigeben noch fortlassen. Dazu habe ich nicht die Befugnis. Nicht die Befugnis dazu um Deiner selbst willen, Ellida. Ich mache mein Recht geltend und meine Pflicht, Dich zu beschützen.

Ellida. Beschützen? Wogegen braucht es hier Schutz? Es droht mir ja keinerlei rohe Gewalt von außen her. Das Grauenvolle liegt tiefer, Wangel! Das Grauenvolle, – das ist jenes Ziehen und Locken in meinem eigenen Gemüt. Und was kannst Du wohl dagegen tun?

Wangel. Ich kann Dich stärken und widerstandsfähiger machen.

Ellida. Ja, – für den Fall, daß ich Widerstand leisten wollte.

Wangel. Willst Du denn das nicht?

Ellida. Ach, gerade das weiß ich ja selber nicht!

Wangel. Heute entscheidet sich alles, liebe Ellida –

Ellida ungestüm. Ja, denke Dir! Die Entscheidung so nahe! Die Entscheidung fürs ganze Leben!

Wangel. – und morgen –

Ellida. Ja, morgen! Vielleicht ist dann meine wahre Zukunft dahin!

Wangel. Deine wahre –?

Ellida. Ein Leben in Freiheit, ein volles und ungeteiltes, dahin, – dahin für mich! Und vielleicht – auch für ihn.

Wangel leiser, faßt sie am Handgelenk. Ellida, – liebst Du diesen fremden Mann?

Ellida. Ob ich –? Ach, was weiß ich! Ich weiß nur, daß er für mich voll des Grauens ist und daß –

Wangel. – und daß –?

Ellida reißt sich los. – und daß mir ist, als gehörte ich zu ihm.

Wangel senkt den Kopf. Nun fange ich an, mehr und mehr zu verstehen.

Ellida. Und was für ein Mittel hast Du denn dagegen? Und weißt Du mir einen Rat?

Wangel blickt sie schwermütig an. Morgen, – da ist er also fort. Dann ist das Unglück von Deinem Haupt abgewendet. Und dann bin ich bereit, Dich freizugeben und ziehen zu lassen. Wir machen den Handel wieder rückgängig, Ellida.

Ellida. Ach, Wangel –! Morgen – dann ist es ja doch zu spät –!

Wangel sieht nach dem Garten. Die Kinder! Die Kinder –! Die wollen wir doch wenigstens schonen – bis auf weiteres.

Arnholm, Bolette, Hilde und Lyngstrand werden im Garten sichtbar. Lyngstrand verabschiedet sich unten und geht links ab. Die übrigen kommen in die Stube.

Arnholm. Ja, glauben Sie nur, wir haben da eben Pläne geschmiedet –

Hilde. Wir wollen heut abend auf den Fjord hinaus und –

Bolette. Nein, nichts sagen!

Wangel. Auch wir beide haben hier Pläne geschmiedet.

Arnholm. Ah, – wirklich?

Wangel. Morgen geht Ellida nach Skjoldviken – für einige Zeit.

Bolette. Geht –?

Arnholm. Sehen Sie, das ist sehr vernünftig, Frau Wangel.

Wangel. Ellida will wieder heim. Heim zum Meere.

Hilde mit einem Sprung auf Ellida zu. Gehst weg! Gehst von uns weg?

Ellida erschrocken. Aber Hilde! Was hast Du denn?

Hilde faßt sich. Ach, nichts weiter. Halblaut, wendet sich von ihr ab. Geh Du nur!

Bolette angstvoll. Papa, – ich sehe es Dir an, – Du gehst mit – nach Skjoldviken!

Wangel. Gewiß nicht, nein! Vielleicht spreche ich da draußen ab und zu einmal vor –

Bolette. Und hier bei uns –?

Wangel. Da spreche ich auch vor –

Bolette. – ab und zu einmal, ja!

Wangel. Liebes Kind, es muß so sein. Er geht durch das Zimmer.

Arnholm flüstert: Wir reden hernach weiter, Bolette.

Er geht zu Wangel hin. Sie sprechen leise zusammen hinten an der Tür.

Ellida halblaut zu Bolette. Was war das mit Hilde? Sie sah ja wie verstört aus!

Bolette. Hast Du nie gemerkt, wonach Hilde hier tagein tagaus gedürstet hat?

Ellida. Gedürstet?

Bolette. Von dem Augenblick, als Du ins Haus gekommen bist.

Ellida. Nein, nein, – wonach denn?

Bolette. Nach einem einzigen zärtlichen Wort von Dir.

Ellida. Ah –! Sollte hier eine Aufgabe für mich sein!

Sie faßt sich mit den Händen an den Kopf und sieht unbeweglich vor sich hin, als ob widerstreitende Gedanken und Stimmungen sie durchkreuzten.

Wangel und Arnholm kommen im flüsternden Gespräch durchs Zimmer nach vorn. Bolette geht nach rechts und sieht in das Seitenzimmer hinein. Dann macht sie die Tür auf.

Bolette. Lieber Papa, – es ist angerichtet – falls Du –

Wangel mit erzwungener Fassung. So, mein Kind? Das ist ja nett. Bitte schön, Arnholm! Wir wollen jetzt hinein und einen Abschiedstrunk tun – mit der »Frau vom Meere«. Sie gehen auf die Tür rechts zu.


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