Henrik Ibsen
Die Frau vom Meere
Henrik Ibsen

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Dritter Akt

Ein abseits gelegener Teil von Wangels Garten. Der Ort ist feucht, sumpfig und von großen alten Bäumen überschattet. Rechts sieht man den Rand eines schimmeligen Teiches. Ein niederer offener Zaun trennt den Garten von dem Fußwege und dem Fjord im Hintergrunde. Ganz hinten die Gebirgskette und die Bergzinnen jenseits des Fjords. Es ist später Nachmittag gegen Abend.

Bolette sitzt nähend auf einer Steinbank links. Auf der Bank liegen ein paar Bücher und ein Nähkorb. Hilde und Lyngstrand, beide mit Fischereigeräten, bewegen sich am Rand des Teiches.

Hilde gibt Lyngstrand ein Zeichen. Stehen Sie still! Da sehe ich einen großen.

Lyngstrand sieht dahin. Wo ist er denn?

Hilde zeigt mit der Hand. Sehen Sie nicht – da unten ist er. Und sehen Sie da! Donnerwetter ja, da ist noch einer! Sieht zwischen den Bäumen hindurch. Uh, – da kommt er und verscheucht sie uns!

Bolette sieht auf. Wer kommt?

Hilde. Dein Oberlehrer, Madam!

Bolette. Meiner –?

Hilde. Meiner ist er doch wahrhaftigen Gott nie gewesen.

Arnholm wird rechts zwischen den Bäumen sichtbar.

Arnholm. In dem Teich, da gibt's jetzt Fische?

Hilde. Ja, es wimmeln ein paar mächtig alte Karauschen drin.

Arnholm. Sieh mal an, die alten Karauschen sind noch am Leben?

Hilde. Ja die, die sind zäh. Nun wollen wir aber mal sehen, wie wir ein paar davon abmurksen.

Arnholm. Sie sollten es doch lieber draußen auf dem Fjord versuchen.

Lyngstrand. Nein, der Teich – der ist sozusagen gewissermaßen geheimnisvoller.

Hilde. Ja, hier ist es spannender. – Kommen Sie eben aus dem Wasser?

Arnholm. Soeben. Ich komme direkt aus der Badeanstalt.

Hilde. Sie sind wohl in dem Napf dringeblieben?

Arnholm. Ja, ich bin kein sonderlicher Schwimmer.

Hilde. Können Sie auf dem Rücken schwimmen?

Arnholm. Nein.

Hilde. Aber ich. Zu Lyngstrand. Wir wollen es da oben auf der andern Seite probieren.

Sie gehen den Teich entlang rechts ab.

Arnholm geht näher zu Bolette heran. Sie sitzen so allein, Bolette?

Bolette. Ach ja, das tue ich gewöhnlich.

Arnholm. Ist Ihre Mama nicht hier unten im Garten?

Bolette. Nein. Ich glaube, sie ist mit Papa aus.

Arnholm. Wie geht es ihr denn heut nachmittag?

Bolette. Ich weiß nicht recht. Ich habe zu fragen vergessen.

Arnholm. Was sind das für Bücher, die Sie da haben?

Bolette. Ach, das eine ist so eine Pflanzenlehre. Und das andere eine Erdbeschreibung.

Arnholm. Lesen Sie gern solche Sachen?

Bolette. Ja, wenn ich Zeit dazu habe. – Doch zunächst und vor allen Dingen habe ich ja für die Wirtschaft zu sorgen.

Arnholm. Aber hilft denn nicht Ihre Mama – Ihre Stiefmutter – hilft sie Ihnen nicht dabei?

Bolette. Nein, das ist meine Sache. Ich mußte dem ja doch vorstehen während der zwei Jahre, wo Papa allein war. Und dann ist es nachher auch dabei geblieben.

Arnholm. Aber Sie haben nach wie vor die gleiche große Lust zum Lesen?

Bolette. Ja, ich lese, was ich von nützlichen Büchern auftreiben kann. Man will ja doch gern etwas von der Welt wissen. Hier leben wir doch so ganz abseits von allem, was vorgeht. Oder so gut wie abseits.

Arnholm. Aber, liebe Bolette, sagen Sie das doch nicht.

Bolette. I ja. Ich finde, wir leben nicht viel anders als die Karauschen im Teich da unten. Den Fjord haben sie unmittelbar in der Nähe, und da streichen die großen wilden Fischschwärme aus und ein. Aber davon erfahren die armen zahmen Hausfische nichts. Da dürfen sie nie mit dabei sein.

Arnholm. Ich glaube auch, es würde ihnen nicht besonders gut bekommen, wenn sie da hinausschlüpften.

Bolette. Ach, ich meine, das wäre doch wohl einerlei.

Arnholm. Übrigens können Sie doch nicht sagen, daß man hier so ganz abseiten des Lebens sitzt. Jedenfalls nicht im Sommer. Hier ist doch gerade jetzt so was wie ein Sammelplatz des Weltlebens. Beinah ein Knotenpunkt – so vorübergehend.

Bolette lächelt. Ach ja, Sie, der Sie ja selbst nur so vorübergehend hier sind, Sie haben es wohl leicht, sich über uns lustig zu machen.

Arnholm. Ich mich lustig machen –? Wie kommen Sie darauf?

Bolette. Ja, diese ganze Geschichte mit dem Sammelplatz und dem Knotenpunkt des Weltlebens, das haben Sie ja doch nur von den Leuten in der Stadt gehört. Denn die gebrauchen solche Ausdrücke.

Arnholm. Ja, aufrichtig gesagt, das habe ich bemerkt.

Bolette. Im Grunde genommen ist aber doch kein wahres Wort daran. Für uns nicht, die wir hier ständig leben. Was haben wir davon, daß die große fremde Welt hier vorbeikommt auf der Reise nach der Mitternachtssonne da oben? Wir selbst dürfen ja doch nicht mit dabei sein. Wir bekommen keine Mitternachtssonne zu sehen. Ach nein, – wir müssen hübsch artig unser Leben hier in unserm Karauschenteich verbringen.

Arnholm setzt sich neben sie. Sagen Sie mir einmal, liebe Bolette, – ist es denn irgend etwas, – ich meine etwas Bestimmtes, wonach Sie hier zu Hause sich so sehnen?

Bolette. Ach ja, das wäre es schon.

Arnholm. Und was ist es denn eigentlich? Wonach sehnen Sie sich denn so?

Bolette. Wegzukommen – danach vor allem.

Arnholm. Danach also in erster Linie?

Bolette. Ja. Und dann möchte ich auch etwas mehr lernen. Recht ordentlich zu Hause sein in allen Dingen.

Arnholm. Damals, als ich Ihnen Unterricht gab, hat Ihr Vater oft gesagt, er würde Ihnen erlauben, zu studieren.

Bolette. Ach ja, der arme Papa, – er sagt so vieles. Aber wenn es Ernst werden soll, dann –. Es ist kein richtiger Zug in Papa.

Arnholm. Nein, – da haben Sie leider recht. Der fehlt ihm recht eigentlich. Aber haben Sie denn jemals mit ihm von der Sache gesprochen? So recht ernsthaft und eindringlich?

Bolette. Nein, das habe ich eigentlich auch nicht getan.

Arnholm. Aber, wissen Sie, das sollten Sie doch wirklich tun. Ehe es zu spät wird, Bolette. Warum tun Sie das nicht?

Bolette. Nun, weil auch in mir kein rechter Zug ist, wie ich glaube. Das habe ich gewiß von Papa geerbt.

Arnholm. Hm, – ob Sie da wohl nicht gegen sich selbst ungerecht sind?

Bolette. Ach, leider nein. Und dann hat ja auch Papa so wenig Zeit, an mich und an meine Zukunft zu denken. Er hat auch wenig Lust dazu. Dem geht er am liebsten aus dem Wege, wenn er irgend kann. Denn er ist doch so ganz von Ellida in Anspruch genommen –

Arnholm. Von wem –? Wie –?

Bolette. Ich meine, er und meine Stiefmutter –. Abbrechend. Papa und Mama haben genug mit sich selber zu tun, das können Sie sich doch denken.

Arnholm. Na, dann wäre es um so besser, Sie versuchten fortzukommen aus den Verhältnissen hier.

Bolette. Ja, aber ich glaube, dazu habe ich auch kein Recht. Kein Recht, Papa zu verlassen.

Arnholm. Aber, liebe Bolette, einmal werden Sie ja doch das müssen. Darum meine ich, sollten Sie je eher je lieber –

Bolette. Ja, es bleibt wohl nichts andres übrig. Ich muß ja doch auch an mich denken. Muß versuchen, irgend eine Stellung zu bekommen. Wenn Papa einmal nicht mehr da ist, dann habe ich ja keinen, an den ich mich halten kann. – Doch der arme Papa, – mir graut davor, ihn zu verlassen.

Arnholm. Graut –?

Bolette. Ja, um seiner selbst willen.

Arnholm. Herrgott, – und Ihre Stiefmutter? Sie bleibt doch bei ihm.

Bolette. Ja, allerdings. Aber sie ist so gar nicht tauglich zu all den Dingen, in denen meine Mutter eine so glückliche Hand hatte. Es gibt so mancherlei, was die nicht sieht. Oder was sie vielleicht nicht sehen will, – oder was ihr gleichgültig ist. Ich weiß nicht, was es eigentlich ist.

Arnholm. Hm, – ich glaube, ich verstehe schon, was Sie damit meinen.

Bolette. Der arme Papa, – er ist schwach in einzelnen Dingen. Sie haben das vielleicht selbst schon bemerkt. Zu tun hat er ja auch nicht genug, um die Zeit damit auszufüllen. Und dann, – daß sie so ganz außerstande ist, ihm eine Stütze zu sein. – Daran ist er übrigens wohl teilweise selber schuld.

Arnholm. Wieso meinen Sie?

Bolette. Ach, Papa möchte immer gern fröhliche Gesichter um sich sehen. Es muß Sonnenschein und Lustigkeit im Hause sein, sagt er. Deshalb fürchte ich, er gibt ihr manchmal eine Medizin, die ihr auf die Dauer gar nicht zuträglich ist.

Arnholm. Glauben Sie das wirklich?

Bolette. Ja, ich kann den Gedanken nicht los werden. Denn sie ist so seltsam zuweilen. Heftig. Aber ist es denn nicht wider Recht und Billigkeit, daß ich immer hier zu Hause hocken muß! Im Grunde hat Papa ja doch nicht den mindesten Nutzen davon. Und ich habe doch auch Pflichten gegen mich selbst, finde ich.

Arnholm. Wissen Sie, liebe Bolette, diese Dinge müssen wir beide eingehender besprechen.

Bolette. Ach, was kann das viel helfen! Ich denke, ich bin wohl dazu bestimmt, hier im Karauschenteich zu bleiben.

Arnholm. Kein Gedanke. Das kommt nur auf Sie an.

Bolette lebhaft. Meinen Sie?

Arnholm. Ja, glauben Sie mir. Das liegt ausschließlich in Ihrer Hand.

Bolette. O, könnte ich doch nur –! Wollen Sie vielleicht bei Papa ein gutes Wort für mich einlegen?

Arnholm. Das auch. Aber vor allen Dingen möchte ich offenherzig und von der Leber weg mit Ihnen selbst reden, liebe Bolette. Sieht nach links hinaus. Still! Lassen Sie sich nichts merken. Wir kommen später darauf zurück.

Ellida kommt von links. Sie ist ohne Hut und hat nur ein großes Tuch über Kopf und Schultern geworfen.

Ellida in unruhiger Lebhaftigkeit. Hier ist es gut! Hier ist es herrlich!

Arnholm steht auf. Haben Sie einen Spaziergang gemacht?

Ellida. Ja, einen langen, langen, wundervollen Spaziergang über die Höhen – mit Wangel. Und jetzt wollen wir aufs Wasser und segeln.

Bolette. Willst Du Dich nicht setzen?

Ellida. Nein, danke. Nicht sitzen.

Bolette rückt auf der Bank zur Seite. Hier ist ja Platz genug.

Ellida geht umher. Nein, nein, nein. Nicht sitzen. Nicht sitzen.

Arnholm. Der Spaziergang ist Ihnen ohne Zweifel gut bekommen. Sie sehen so erfrischt aus.

Ellida. O, ich fühle mich ach! so wohl, so wohl! Ich fühle mich unbeschreiblich glücklich! So sicher! So sicher –. Sieht nach links hinaus. Was ist das für ein großes Dampfschiff, das da kommt?

Bolette steht auf und sieht hinaus. Das muß der große englische Dampfer sein.

Arnholm. Er hält draußen an der Tonne. Läuft er diesen Ort gewöhnlich an?

Bolette. Nur auf eine halbe Stunde etwa. Er geht weiter den Fjord hinauf.

Ellida. Und dann wieder hinaus – morgen. Hinaus auf das große offene Meer. Weit übers Meer hin. Der Gedanke – da mit dabei zu sein! Wer das könnte! Wer das nur könnte!

Arnholm. Haben Sie nie eine größere Seereise gemacht, Frau Wangel?

Ellida. Nie im Leben. Nur so kleine Fahrten hier in den Fjorden.

Bolette mit einem Seufzer. Ach ja, wir müssen schon mit dem Festlande vorlieb nehmen.

Arnholm. Na, da sind wir ja auch eigentlich zu Hause.

Ellida. Nein, das glaube ich eben nicht.

Arnholm. Nicht auf dem Festland?

Ellida. Nein. Ich glaube das nicht. Ich glaube, wenn sich die Menschen nur von Anfang an gewöhnt hätten, ihr Leben auf dem Meere zu verbringen, – oder vielleicht im Meere, – so wären wir weit vollkommener, als wir jetzt sind. Nicht nur besser, auch glücklicher.

Arnholm. Glauben Sie wirklich?

Ellida. Ja, ich möchte wissen, ob wir das nicht wären. Ich habe schon oft mit Wangel darüber gesprochen –

Arnholm. Nun, und er –?

Ellida. Ja, er meinte, es wäre wohl nicht unmöglich.

Arnholm scherzend. Na, meinetwegen. Aber geschehen ist geschehen. Wir haben also ein für alle Mal unsern Beruf verfehlt und sind Landtiere geworden statt Seetiere. Unter allen Umständen aber dürfte es jetzt zu spät sein, den Fehler wieder gut zu machen.

Ellida. Ja, da sprechen Sie eine traurige Wahrheit aus. Und ich glaube, die Menschen ahnen selbst so etwas. Und tragen es mit sich herum wie eine geheime Reue und Kümmernis. Sie können mir glauben, – eben darin hat die Schwermut der Menschen ihren tiefsten Grund. Ja, – das können Sie mir glauben.

Arnholm. Aber, beste Frau Wangel, – ich habe nicht den Eindruck bekommen, daß die Menschen wirklich so schwermütig sind. Ich finde im Gegenteil: die Mehrzahl sieht das Leben leicht und lustig an – und mit einer großen, stillen, unbewußten Freude.

Ellida. Ach nein, das ist wohl nicht so. Die Freude – die mag ähnlich sein wie unsere Freude über den langen, lichten Sommertag. Über ihr hängt die Ahnung von den kommenden Zeiten der Dunkelheit. Und eben diese Ahnung, die wirft ihren Schatten auf die Freude der Menschen, – wie die treibende Wolke ihren Schatten wirft über den Fjord. So blank und blau lag er da. Und dann mit einem Mal –

Bolette. Du solltest Dich jetzt nicht mit so traurigen Gedanken beschäftigen. Eben noch warst Du so froh und so frisch –

Ellida. Ja, ja, gewiß war ich das. Ach, das alles. – das ist so dumm von mir. Sieht sich unruhig um. Wenn nur Wangel erst käme. Er hat es mir so fest versprochen. Und nun kommt er doch nicht. Er hat es gewiß vergessen. Ach, lieber Herr Arnholm, sehen Sie doch einmal nach, ob Sie ihn mir finden können.

Arnholm. Sehr gern.

Ellida. Sagen Sie ihm, er möchte doch ja gleich kommen. Denn jetzt kann ich ihn nicht sehen –

Arnholm. Ihn nicht sehen –?

Ellida. Ach, Sie verstehen mich nicht. Wenn er nicht da ist, kann ich mich manchmal nicht darauf besinnen, wie er aussieht. Und dann ist es, als hätte ich ihn ganz verloren. – Das ist ach! so qualvoll. Aber gehen Sie nur! Sie geht an dem Teich umher.

Bolette zu Arnholm. Ich gehe mit Ihnen. Sie wissen ja nicht Bescheid –

Arnholm. Ach – ich werde schon –

Bolette halblaut. Nein, nein, ich bin unruhig. Ich habe Angst, er ist an Bord des Dampfschiffes.

Arnholm. Angst?

Bolette. Ja, er sieht gewöhnlich nach, ob Bekannte mit sind. Und dann ist ja doch eine Restauration an Bord –

Arnholm. Ach so! Dann kommen Sie nur.

Er und Bolette gehen links ab.

Ellida steht eine Weile und starrt in den Teich. Ab und zu spricht sie leise und in abgebrochenen Lauten mit sich selbst.

Draußen auf dem Fußpfad hinter dem Gartenzaun kommt von links ein fremder Mann im Reisegewand. Haar und Bart sind buschig und von rötlicher Farbe. Er hat eine schottische Mütze auf dem Kopf und eine Reisetasche an einem Riemen über der Schulter.

Der Fremde geht langsam den Zaun entlang und späht in den Garten hinein. Wie er Ellidas ansichtig wird, bleibt er stehen, sieht sie unverwandt und prüfend an und sagt mit gedämpfter Stimme: Guten Abend, Ellida!

Ellida wendet sich um und ruft: Ach mein Lieber, bist Du endlich da!

Der Fremde. Ja, endlich einmal.

Ellida sieht ihn überrascht und ängstlich an. Wer sind Sie? Suchen Sie jemand?

Der Fremde. Das kannst Du Dir doch denken.

Ellida stutzt. Was ist das! Wie reden Sie mich an! Zu wem wollen Sie?

Der Fremde. Ich will doch wohl zu Dir.

Ellida zuckt zusammen. Ah –! Starrt ihn an, taumelt zurück, mit einem halb erstickten Aufschrei: Die Augen! – Die Augen!

Der Fremde. Nun, – komme ich Dir endlich wieder bekannt vor? Ich, – ich habe Dich gleich erkannt, Ellida.

Ellida. Die Augen! Sehen Sie mich nicht so an! Ich rufe um Hilfe!

Der Fremde. Pst, pst! Hab' keine Angst. Ich tu Dir ja nichts.

Ellida hält die Hände vor die Augen. Sehen Sie mich nicht so an, sag' ich!

Der Fremde lehnt sich mit den Armen auf den Gartenzaun. Ich bin mit dem englischen Dampfer gekommen.

Ellida schielt scheu nach ihm hin. Was wollen Sie von mir?

Der Fremde. Ich habe Dir doch versprochen wiederzukommen, sobald ich könnte, –

Ellida. Reisen Sie ab! Reisen Sie wieder ab! Kommen Sie nie – nie wieder her! Ich habe Ihnen doch geschrieben, daß alles zwischen uns zu Ende sein müßte! Alles, alles! Das wissen Sie doch!

Der Fremde unbeirrt, ohne darauf zu antworten. Ich wäre gern früher zu Dir gekommen. Aber ich konnte nicht. Nun endlich konnte ich. Und da bin ich, Ellida.

Ellida. Was wollen Sie denn von mir? Was haben Sie vor? Aus welchem Grunde sind Sie gekommen?

Der Fremde. Du kannst Dir doch wohl denken, ich bin gekommen, um Dich zu holen.

Ellida weicht entsetzt zurück. Mich zu holen! Das haben Sie vor?

Der Fremde. Ja, versteht sich.

Ellida. Aber Sie müssen doch wissen, daß ich verheiratet bin!

Der Fremde. Ja, das weiß ich.

Ellida. Und trotzdem –! Trotzdem kommen Sie, um – um – mich zu holen!

Der Fremde. Allerdings will ich das.

Ellida faßt sich mit beiden Händen an den Kopf. O, dies Entsetzliche –! O, dies Grauenvolle, Grauenvolle –!

Der Fremde. Willst Du vielleicht nicht?

Ellida verstört. Sehen Sie mich nicht so an!

Der Fremde. Ich frage, ob Du nicht willst?

Ellida. Nein, nein, nein! Ich will nicht! In meinem ganzen Leben nicht! Ich will nicht, sage ich! Ich kann nicht und will nicht! Leiser. Ich darf auch nicht.

Der Fremde steigt über den Zaun und kommt in den Garten hinein. Nun denn, Ellida, –: so laß mich Dir nur eines sagen, ehe ich gehe.

Ellida will fliehen, kann aber nicht. Sie steht wie von Schreck gelähmt und stützt sich auf einen Baumstamm am Teich. Rühren Sie mich nicht an! Kommen Sie mir nicht nahe! Nicht näher! Rühren Sie mich nicht an, sage ich!

Der Fremde behutsam, ein paar Schritte näher. Du brauchst nicht solche Angst vor mir zu haben, Ellida.

Ellida bedeckt die Augen mit den Händen. Sehen Sie mich nicht so an.

Der Fremde. Nur nicht ängstlich. Nicht ängstlich.

Wangel kommt durch den Garten von links.

Wangel noch auf halbem Wege zwischen den Bäumen. Na, Du hast wohl tüchtig lange auf mich gewartet.

Ellida stürzt ihm entgegen, klammert sich fest an seinen Arm und ruft: Ach, Wangel, – rette mich! Rette Du mich – wenn Du kannst!

Wangel. Ellida, – was um Gotteswillen –!

Ellida. Rette mich, Wangel! Siehst Du ihn denn nicht? Dahinten steht er ja!

Wangel sieht dahin. Der Mann da? Tritt näher. Darf ich fragen, – wer sind Sie? Und was haben Sie hier im Garten zu suchen?

Der Fremde deutet mit einer Kopfbewegung auf Ellida. Ich habe mit der Frau da zu sprechen.

Wangel. Ach so. Dann sind Sie es wohl gewesen, der –? Zu Ellida. Ich höre, es ist ein Fremder im Hof gewesen und hat nach Dir gefragt.

Der Fremde. Ja, das war ich.

Wangel. Und was wollen Sie von meiner Frau? Wendet sich um. Kennst Du den Mann, Ellida?

Ellida leise, ringt die Hände. Ach, ob ich ihn kenne! Ja, ja, ja!

Wangel schnell. Nun –?

Ellida. Ach, Wangel! Er ist es ja. Er ist es selbst. Du weißt doch –

Wangel. Was! Was sagst Du da! Dreht sich um. Sind Sie der Johnston, der mal –?

Der Fremde. Nun, – nennen Sie mich immerhin Johnston. Meinetwegen. Übrigens heiße ich nicht so.

Wangel. Nicht?

Der Fremde. Nicht mehr, nein.

Wangel. Und was wollen Sie eigentlich von meiner Frau? Es ist Ihnen doch wohl bekannt, daß die Tochter des Leuchtturmwärters schon lange verheiratet ist. Und mit wem sie verheiratet ist, das müssen Sie doch auch wissen.

Der Fremde. Das weiß ich nun schon länger als drei Jahre.

Ellida gespannt. Wie haben Sie das erfahren?

Der Fremde. Ich war auf dem Heimweg zu Dir. Da fiel mir eine alte Zeitung in die Hand. Es war ein Blatt hier aus der Gegend. Und da stand die Sache von der Trauung.

Ellida sieht vor sich hin. Von der Trauung –. Also das war es –

Der Fremde. Das packte mich so seltsam. Denn das mit den Ringen, – das war ja auch eine Trauung, Ellida.

Ellida vergräbt das Gesicht in den Händen. O –!

Wangel. Wie können Sie wagen –!

Der Fremde. Hattest Du das vergessen?

Ellida fühlt seinen Blick; ungestüm: Sehen Sie mich doch nicht so an!

Wangel stellt sich ihm entgegen. An mich haben Sie sich zu wenden und nicht an sie. Also, kurz und gut, – nun Sie die Verhältnisse kennen, – was haben Sie denn eigentlich hier noch zu suchen? Warum kommen Sie her und behelligen meine Frau?

Der Fremde. Ich hatte Ellida versprochen, zu ihr zu kommen, sobald ich könnte.

Wangel. Ellida –! Schon wieder!

Der Fremde. Und Ellida hat mir ganz fest versprochen, auf mich zu warten, bis ich käme.

Wangel. Ich höre, Sie nennen meine Frau beim Vornamen. Solche Art Vertraulichkeit ist nicht Landesbrauch.

Der Fremde. Ich weiß wohl. Aber da sie doch in erster Reihe mir gehört –

Wangel. Ihnen? Noch immer –!

Ellida versteckt sich hinter Wangel. O –! Er läßt mich nie mehr los.

Wangel. Ihnen? Sie sagen, daß sie Ihnen gehört?

Der Fremde. Hat sie Ihnen nicht von den zwei Fingerringen erzählt? Von meinem und Ellidas Ring?

Wangel. Jawohl. Aber was weiter? Sie hat es doch später wieder rückgängig gemacht. Sie haben doch ihre Briefe bekommen. Sie wissen es also doch selbst.

Der Fremde. Ellida und ich, wir waren einig darin: das mit den Ringen sollte zu Recht bestehen und die volle Geltung einer Trauung haben.

Ellida. Aber ich will nicht, hören Sie! In meinem ganzen Leben will ich nichts mehr von Ihnen wissen! Sehen Sie mich nicht an! Ich will nicht, sag' ich!

Wangel. Sie müssen nicht bei Troste sein, Mann, wenn Sie glauben, Sie können hier irgend ein Recht auf solche Kindereien begründen.

Der Fremde. Das ist wahr. Ein Recht, – in dem Sinne, wie Sie das auffassen, – habe ich allerdings nicht.

Wangel. Aber was wollen Sie denn noch? Sie bilden sich doch nicht etwa ein, Sie könnten sie mir mit Gewalt nehmen. Gegen ihren eigenen Willen!

Der Fremde. Nein. Was sollte das auch wohl nützen? Will Ellida mit mir kommen, so muß es freiwillig geschehen.

Ellida stutzt und sagt stürmisch: Freiwillig –!

Wangel. Und das könnten Sie denken –!

Ellida vor sich hin. Freiwillig –!

Wangel. Sie müssen von Sinnen sein. Gehen Sie Ihres Wegs! Wir haben nichts mehr mit Ihnen zu schaffen.

Der Fremde sieht auf seine Uhr. Bald ist es für mich Zeit, wieder an Bord zu gehen. Einen Schritt näher. Nun wohl, Ellida, – so hätte ich denn meine Schuldigkeit getan. Wieder näher. Ich habe mein Wort gehalten, das ich Dir gegeben habe.

Ellida flehend, weicht ihm aus. O, rühren Sie mich nicht an!

Der Fremde. So überleg' es Dir bis morgen Nacht –

Wangel. Hier ist nichts zu überlegen. Machen Sie, daß Sie fortkommen!

Der Fremde noch immer zu Ellida. Jetzt gehe ich mit dem Dampfer den Fjord hinauf. Morgen Nacht also komme ich wieder. Und dann werde ich Dich aufsuchen. Du magst im Garten hier auf mich warten. Denn ich möchte am liebsten die Sache mit Dir allein abmachen, verstehst Du.

Ellida leise und bebend. O, hörst Du es, Wangel?

Wangel. Sei nur ruhig. Den Besuch werden wir schon zu verhindern wissen.

Der Fremde. Bis dahin leb' wohl, Ellida. Morgen Nacht also.

Ellida flehentlich. Ach nein, nein, – kommen Sie nicht! Kommen Sie nie wieder!

Der Fremde. Und solltest Du dann willens sein, mir übers Meer zu folgen –

Ellida. Ach, sehen Sie mich doch nicht so an!

Der Fremde. Ich meine nur, dann mußt Du Dich reisefertig halten.

Wangel. Geh ins Haus hinein, Ellida.

Ellida. Ich kann nicht. Ach, hilf mir! Rette mich, Wangel.

Der Fremde. Denn das bedenke wohl; gehst Du nicht morgen mit mir, dann ist alles aus.

Ellida sieht ihn bebend an. So ist alles aus? Für immer –?

Der Fremde nickt mit dem Kopf. Dann läßt sich nichts mehr ändern, Ellida. Ich komme nie mehr in diese Lande. Du wirst mich nimmer wiedersehen. Auch nie mehr von mir hören. Dann bin ich für Dich tot und gestorben auf immer.

Ellida atmet unruhig. O –!

Der Fremde. Überleg' Dir also genau, was Du tust. Leb' wohl. Geht und steigt über den Zaun, bleibt stehen und sagt: Also, Ellida, – halte Dich reisefertig morgen Nacht. Denn da komme ich und hole Dich. Er geht langsam und ruhig den Fußpfad entlang und rechts ab.

Ellida sieht ihm eine Weile nach. Freiwillig, sagte er! Denk nur an, – er sagte, ich sollte freiwillig mit ihm gehen.

Wangel. Faß Dich nur. Er ist ja jetzt fort. Und Du wirst ihn nie wiedersehen.

Ellida. Ach, wie kannst Du denn das sagen? Morgen kommt er ja doch wieder.

Wangel. Laß ihn nur kommen. Dich soll er jedenfalls nicht finden.

Ellida schüttelt den Kopf. Ach, Wangel, glaub' nur ja nicht, daß Du ihn hindern kannst.

Wangel. Doch, meine Liebe, – vertrau' nur auf mich.

Ellida grübelnd, ohne ihn anzuhören. Wenn er nun hier gewesen ist – morgen –? Und wenn er dann mit dem Dampfschiff übers Meer ist –?

Wangel. Ja, was dann?

Ellida. Ich möchte wissen, ob er dann nie – nie wiederkommt?

Wangel. Nein, liebe Ellida, – da kannst Du ganz sicher sein. Was hätte er dann auch wohl hier noch zu suchen? Jetzt hat er ja aus Deinem eigenen Munde erfahren, daß Du gar nichts von ihm wissen willst. Damit ist die Sache erledigt.

Ellida vor sich hin. Morgen also. Oder nie.

Wangel. Und sollte es ihm auch einfallen wieder herzukommen –

Ellida gespannt. Was dann –?

Wangel. Dann steht es ja in unserer Macht, ihn unschädlich zu machen.

Ellida. Ach, glaub' das nur nicht.

Wangel. Es steht in unserer Macht, sage ich Dir! Kannst Du nicht auf andere Weise Ruhe vor ihm finden, dann soll er büßen für die Ermordung des Kapitäns.

Ellida heftig. Nein, nein, nein! Nur das nicht! Wir wissen nichts von der Ermordung des Kapitäns! Ganz und gar nichts!

Wangel. Wir wissen nichts?! Er hat es Dir doch selbst eingestanden!

Ellida. Nein, nichts davon! Sagst Du etwas, so leugne ich es. Man soll ihn nicht einsperren! Er gehört hinaus aufs offene Meer. Da gehört er hin!

Wangel sieht sie an und sagt langsam: Ah, Ellida, – Ellida!

Ellida klammert sich ungestüm an ihn an. Ach, Du Lieber, Treuer, – rette mich vor diesem Mann!

Wangel macht sich sanft los. Komm! Komm mit mir!

Lyngstrand und Hilde, beide mit Fischereigeräten, kommen rechts am Teich zum Vorschein.

Lyngstrand geht schnell auf Ellida zu. Gnädige Frau, jetzt sollen Sie aber etwas Kurioses hören!

Wangel. Was denn?

Lyngstrand. Denken Sie bloß, – wir haben den Amerikaner gesehen!

Wangel. Den Amerikaner?

Hilde. Ja, ich habe ihn auch gesehen.

Lyngstrand. Er ist oben am Garten herum gegangen und dann an Bord des großen englischen Dampfers.

Wangel. Woher kennen Sie den Mann?

Lyngstrand. Ich bin einmal zur See mit ihm gefahren. Ich habe fest geglaubt, er wäre ertrunken. Und nun ist er ganz lebendig.

Wangel. Wissen Sie etwas Näheres von ihm?

Lyngstrand. Nein. Aber er ist sicher gekommen, um sich an seinem treulosen Seemannsweib zu rächen.

Wangel. Was sagen Sie da?

Hilde. Lyngstrand will ihn zu einem Kunstwerk benutzen, das er vor hat.

Wangel. Ich verstehe kein Wort –

Ellida. Du sollst es später erfahren.

Arnholm und Bolette kommen auf dem Fußpfad jenseits des Gartenzauns von links her.

Bolette zu denen im Garten. Kommt her und seht! Jetzt geht der englische Dampfer den Fjord hinauf.

Ein großes Dampfschiff gleitet langsam vorbei in gemessener Entfernung.

Lyngstrand zu Hilde hinten am Gartenzaun. Heute Nacht kommt er gewiß über sie.

Hilde nickt. Über das treulose Seemannsweib, – ja.

Lyngstrand. Denken Sie nur, – zu mitternächtiger Stunde.

Hilde. Ich glaube, das muß spannend werden.

Ellida sieht dem Schiffe nach. Morgen also –

Wangel. Und dann nie mehr.

Ellida leise und bebend. O, Wangel, – rette mich vor mir selbst!

Wangel sieht sie besorgnisvoll an. Ellida! Ich ahne es, – dahinter ist etwas.

Ellida. Ein etwas ist dahinter, das zieht und lockt.

Wangel. Das zieht und lockt –?

Ellida. Der Mann ist wie das Meer.

Sie geht langsam und grübelnd durch den Garten links hinaus. Wangel geht unruhig neben ihr und beobachtet sie forschend.


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