Henrik Ibsen
Catilina
Henrik Ibsen

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Dritter Akt

(Catilinas Lager in einer waldreichen Gegend Etruriens. Zur Rechten sieht man Catilinas Zelt und diesem zur Seite einen alten Eichbaum. Vor dem Zelt brennt ein Wachtfeuer. Mehrere andere schimmern durch die Bäume im Hintergrund. Es ist Nacht. Der Mond bricht bisweilen aus den Wolken hervor.)

(Statilius liegt schlafend am Wachtfeuer. Manlius geht vor dem Zelt auf und ab.)

Manlius.
Das ähnelt diesen jungen leichten Vögeln.
Da schlafen sie so ruhig und so fest,
Als lägen sie im treuen Schoß der Mutter,
Und nicht in einem unwegsamen Wald.
Das pflegt der Rast, als warteten sie nur,
Zu einem muntern Spiel geweckt zu werden
Und nicht zu einem Kampf, – vielleicht dem letzten,
Den sie zu kämpfen haben.

Statilius (erwacht und steht auf.)
                                          Noch auf Wacht?
Du bist wohl müd'? Nun ist die Reih' an mir.

Manlius.
Schlaf' lieber noch. Erquickend schlafen ist
Der Jugend Recht; ihr leidenschaftlich Blut
Bedarf der Kräfte. Anders steht es, wenn
Das Haar ergraut, das Herzblut matter rinnt,
Und Alter unsre Schultern hängen macht.

Statilius.
Ja, Du hast recht; so will auch ich einmal
Als alter, grauer Krieger –

Manlius.                             Weißt Du denn
So sicher, daß das Schicksal Dir zu altern
Gewähren wird?

Statilius.               Wie sollt' ich nicht? Was bringt
Dein Herz auf solche Ahnungen? Hat irgend
Ein Unglück uns betroffen?

Manlius.                               Und Du meinst,
Wir hätten nichts zu fürchten, junger Tor?

Statilius.
Wir haben unser Heer verstärkt –

Manlius.                                         Verstärkt,
Durch Fechter und entlaufne Sklaven, ja.

Statilius.
Was schadet das; gesammelt werden sie
Zu schaffen machen, und ganz Gallien will
Uns Hilfe senden –

Manlius.                   Hilfe, die noch aussteht.

Statilius.
Du meinst, daß die Allobroger ihr Wort
Gereuen wird.

Manlius.             Ich kenne diese Leute
Von früher her. Allein genug davon.
Wir werden wohl schon morgen wissen, was
Die Götter über uns beschlossen haben.

Doch geh, Statilius, und sieh mir nach,
Ob alle Wachen ihrer Pflicht gedenken.
Wir müssen einen Überfall erwarten –
Und kennen nicht einmal des Feindes Stand.
(Statilius in den Wald hinein ab.)

Manlius (allein am Wachtfeuer.)
Nun sammeln sich der Wolken mehr und mehr;
's ist eine dunkle, wetterschwangre Nacht;
Ein feuchter Nebel engt die Brust mir ein,
Als bärg' im Schoß er Unheil für uns alle.
Wo blieb der leichte, unbesorgte Sinn,
Womit ich einst des Krieges Handwerk trieb?
Ob es des Alters Last nur ist, die sich
Mir fühlbar macht? Hm, seltsam, diesen Abend
Bedünkte selbst die Jugend mich verstimmt.
(Nach einer Pause.)
Nun denn, die Götter wissen's, Rache war
Es nicht, weshalb ich Catilina folgte.
Mein Groll entbrannt' auf eine kleine Frist,
Als ich gekränkt, hintangesetzt mich fühlte; –
Das alte Blut ward noch nicht ganz zu Eis,
Oft rollt's noch heiß genug durch diese Adern.
Doch das vergaß sich bald. Ich folgte ihm
Um seinetwillen, meinem Catilina;
Und wachen werd' ich treulich über ihn.
Vereinsamt steht er unter diesen Scharen
Von wilden Freunden und gemeinen Schurken.
Sie fassen seine Pläne nicht, und Er
Ist allzu stolz, den ihren nachzudenken.

(Er legt einige Scheite ins Feuer und bleibt in Schweigen versunken stehen. Catilina tritt aus dem Zelt.)

Catilina (für sich.)
Es geht auf Mitternacht. Wie still ist alles!
Nur meinem Auge will kein Schlummer kommen.
Kalt bläst der Nachtwind; möcht' er mir Erquickung
Und Kräfte bringen. Ach, es tut so not!
(Bemerkt Manlius.)
Du bist es, alter Manlius? Du wachst hier
Allein die dunkle Nacht?

Manlius.                           Ich habe Dich,
Da Du noch Kind, so manches Mal bewacht.
Besinnst Du Dich nicht mehr?

Catilina.                                   Die Zeit ist hin,
Und mit ihr meine Ruh'; wohin ich gehe,
Verfolgen mich Gesichte, hundertfältig.
O, alles, Manlius, birgt diese Brust,
Nur Frieden nicht. Der bleibt ihr ewig fremd.

Manlius.
Verjag' die traurigen Gedanken. Schlummre!
Sieh, morgen fällt der Würfel; alle baun
Und dürfen baun auf Deine volle Kraft.

Catilina.
Ich kann nicht schlummern. Schließ' ich meine Augen,
In flüchtigem Schlaf Vergessenheit zu suchen,
So werd' ich Spielball wunderlicher Träume.
So lag ich auf dem Lager just, im Halbschlaf,
Da kamen jene Traumgesichte wieder, –
Krauser denn je, lebhafter, bildlicher,
Geheimnisvoller. Ah, begriff' ich doch
Des Zeichens Sinn! Doch nichts –

Manlius.                                         Vertrau' mir an,
Was Du geträumt; vielleicht kann ich Dir's deuten.

Catilina (nach einer Pause.)
Ob ich schlummernd oder wach lag, weiß ich selber kaum;
Ohne Rast und Ruh' sich jagte Traum in mir um Traum.
Sieh, da legt sich Dunkel um mich, Dämmer schauerlich;
Und mit breitem Fittich senkt sich eine Nacht auf mich,
Nur durchzuckt von Blitzgefunkel, düster, schreckensreich;
Und ein feucht Gewölb umfängt mich einem Grabe gleich.
Wie ein wetterschwerer Himmel hoch die Wölbung ragt,
Scheuer Schatten wirr Gewimmel, toller Geister Jagd
Saust und braust vorbei: so atmet Sturm des Meeres Brust,
Bis am Steingestad' es endlich büßt die wilde Lust.
Aber mitten im Gewimmel singen, kranzgeschmückt,
Kinder wie von Heimatfluren, längst dem Sinn entrückt.
Wo sie singen, weicht das Dunkel einem Leuchten klar, –
Und in des Gewölbes Mitte steht ein einsam Paar;
Zwei der Weiber: streng die eine, schwarz wie Finsternis,
Und die andre mild, wie Morgen, wann das Graun zerriß.
O, wie seltsam wohlbekannt doch dünkten mich die zwei!
Bald der einen Lächeln sonnte mir die Seele frei;
Bald der andern Auge brannte wie ein Blitzstrahl wild;
Schreck ergriff mich, und doch bannte mich das grause Bild.
Stolz und aufrecht steht die eine, und die andre lehnt sich still
An den Tisch, auf dem sie, dünkt mich, spielen ein verborgen Spiel.
Steine tauschen sie und rücken sie von Feld zu Feld –
Da – gewonnen! Da – verloren! Und zur Unterwelt
Sinkt sie, die verlor, und mit ihr ihres Lächelns Licht;
Auch die frohen Kindergruppen weilen länger nicht.
Lärm und Dunkel wächst und wächst. Doch aus des Dämmers Schoß
Heften sich auf mich zwei Augen, starr, erbarmungslos.
Schwindel faßt mich an; ich schaue nur der Augen Glut.
Doch was weiter noch gefiebert mein erregtes Blut,
Deckt in meinem Innern nächtlich des Vergessens Bann.
Könnt' ich mich nur noch erinnern! Ach, daß es zerrann!

Manlius.
Ein Traum, gar eigentümlich, Catilina;
Gewiß.

Catilina (grübelnd.)
            Vermöcht' ich mich nur zu erinnern –!
Doch alles ist vergebens –

Manlius.                             Plag' Dich nicht
Mit solchen Dingen ab! Was sind wohl Träume?
Phantastische und leere Hirngespinste,
Bedeutungslos und ohne Grund und Sinn

Catilina.
Ja, ja; hast recht; wozu sein Hirn zergrübeln;
Es war nur eine Laune. Geh nur, Alter,
Und ruh' Dich aus. Ich wandre hier indes
Mit mir allein umher und meinen Plänen.
(Manlius in den Wald ab.)

Catilina (geht eine Weile am Wachtfeuer, das dem Erlöschen nahe ist, auf und nieder, dann bleibt er stehen und sagt gedankenvoll:)
Vermöcht' ich bloß –! Ah, weibisches Gebahren,
Solchem Gegrübel Zeit und Ohr zu leihn.
Und doch, in dieser stummen Geisterstunde,
In dieser Einsamkeit, – wie tritt lebendig
Mir wiederum vor Augen, was ich träumte –!

(Ein Schatten, einem alten Manne in Rüstung und Toga gleichend, wächst ein Stück vor ihm unter den Bäumen gewissermaßen aus dem Boden.)

Catilina (weicht vor dem Schatten zurück.)
Ihr Götter!

Der Schatten.
                Sei gegrüßt mir, Catilina!

Catilina.
Was willst Du mir? Wer bist Du, bleicher Schatten?

Der Schatten.
Ich habe hier das Recht, zu fragen; Du
Die Pflicht, zu antworten. Gemahnt Dich nicht
An längst vergangne Zeiten diese Stimme?

Catilina.
Mir ist als wäre mir –; doch kann ich nicht –
Doch sprich, – wen suchst Du mitternächtiger Weile?

Der Schatten.
Dich such' ich. Wisse, diese Stunde nur
Ist mir vergönnt, hier oben umzugehen.

Catilina.
Bei allen Göttern, sprich! Wer bist Du?

Der Schatten.                                     Still!
Ich komme, Dich zur Rechenschaft zu ziehen.
Was gönnst Du mir des Grabes Frieden nicht?
Was treibst Du mich empor vom Haus des Todes?
Was störst Du mein Vergessen, meine Ruhe,
Daß ich Dir nahn muß drohenden Geflüsters
Und meine teu'r erkaufte Ehre schirmen?

Catilina.
Ha, diese Stimme –! Ahnung dämmert mir –

Der Schatten.
Was ist von meiner Herrschermacht geblieben?
Ein Schatten wie ich selbst; ja, kaum ein Schatten.
Sie sank gleich mir ins Grab und ward zu nichts.
Sie zahlte teuer sich, war teu'r erworben.
Sie hat mich meines Lebens Ruh' gekostet,
Und die des Grabes gab ich hin für sie.
Und nun willst Du mir mit verwegner Hand
Den Rest entreißen, der mir noch verblieb!
Sind nicht der Wege mehr zu großen Werken?
Was wählst Du den just, welchen ich gewählt?
Die Macht, die gab ich mit dem Leben auf.
Allein mein Name sollte ewig stehn,
Nicht freundlich funkelnd wie des Sternes Auge,
Nein, wie ein Blitz, ans Nachtgewölb geheftet!
Nicht wollte ich gleich Hunderten vor mir
Durch Edelsinn und sanfte Tugend glänzen;
Ich wollte nicht bewundert sein, – ein Los,
Das schon so vielen ward und werden wird
Zu allen Zeiten. Nein, aus Blut und Schrecken
Beschloß ich mir mein Denkmal aufzurichten!
In stummem Graun wie auf ein Meteor,
Das aufflammt und verglüht gleich einem Rätsel,
So sollte starren man auf meinen Pfad,
Aufschauend scheu zu mir, dem nie ein Mensch,
Nicht vor- noch nachher, wagte gleich zu sein!
So träumte mir, – allein ich ward betrogen.
Du standst mir nahe. Daß mir auch nicht ahnte,
Welch schlimme Saat in Deiner Seele schlief!
Doch wisse, Catilina, ich durchschaue
Der Zukunft Dämmerflor und was er birgt;
In den Gestirnen lese ich – Dein Schicksal!

Catilina.
Mein Schicksal liesest Du? So deute mir's!

Der Schatten.
Erst hinterm Tor der Todesnacht
Entweicht die Dämmrung, die umbreitet,
Was, eine große grause Fracht,
Hinab den Strom der Zukunft gleitet.
Nur dies darf ich als Geist Dir noch
Aus Deines Schicksals Buch bestellen:
Du fällst von eigner Hand, und doch
Wird eine fremde Hand Dich fällen!
(Die Geistererscheinung gleitet fort, wie in einem Nebel.)

Catilina (nach einer Pause.)
Er ist verschwunden. War's ein Traumbild nur?
Nein, nein; hier stand er, und der Mondstrahl streifte
Sein fahles Antlitz. O, ich kannt' ihn wohl!
Der alte, blutige Diktator war's,
Der aus dem Grabe, mich zu schrecken, stieg.
Ihm bangt, des Sieges Krone zu verlieren,
Kein Lorbeerreis, – den fürchterlichen Ruf,
Darin sein Name weiterlebt. So plagt
Blutlose Schatten noch der Ehrsucht Fieber?
(Geht unruhig auf und ab.)
Was stürmt nicht auf mich ein! Bald warnt mich sanft
Aurelia, bald widerhallt mein Herz
Von Furias aufstachelndem Geheiß.
Und nicht genug; aus ihren Gräbern tauchen
Die bleichen Schatten der Vergangenheit.
Sie drohen mir. Ich sollte ihnen weichen?
Noch jetzt auf Umkehr sinnen? Nein, ich schreite
Los auf mein Ziel – und werde es erreichen!

(Curius kommt in heftiger Bewegung durch den Wald.)

Curius.
O, Catilina –!

Catilina (überrascht.)
                    Du, Du hier, mein Freund?

Curius.
Ich mußte –

Catilina.         Warum bliebst Du nicht in Rom?

Curius.
Mich ließ die Angst um Dich nicht länger weilen.

Catilina.
Um meinetwillen wagst Du blind Dein Leben?
Leichtsinniger! Und doch, – komm an mein Herz!
(Will ihn umarmen.)

Curius (weicht zurück.)
Rühr' mich nicht an! Komm mir nicht nah! Ich bin –

Catilina.
Was ist mit Dir, mein Curius?

Curius.                                       Brich auf!
Flieh, wenn Du kannst; noch diese Stunde flieh!
Von allen Seiten zieht der Feind heran;
Du wirst umzingelt, Catilina!

Catilina.                                 Fass' Dich;
Du redest wirr. Hat Dich der Weg erschöpft?

Curius.
O, nein; doch rette Dich, solang's noch Zeit!
Dich fällt Verrat –
(Wirft sich vor ihm nieder.)

Catilina.                 Verrat! Was sagst Du da?

Curius.
Verrat im Kleid der Freundschaft!

Catilina.                                         Nimmermehr!
Die rauhen Freunde sind mir treu wie Du.

Curius.
O, weh dann über Deiner Freunde Treue!

Catilina.
Komm zu Dir selbst! Nur Deine Liebe ist es,
Dein Zittern für mein Wohl, was Deine Seele
Gefahren wittern läßt, wo keine sind.

Curius.
O, weißt Du wohl, daß dieses Wort mein Tod?
Doch, flieh! So flehentlich beschwör' ich Dich –!

Catilina.
Fass' Dich und sprich vernünftig. Warum fliehen?
Der Gegner weiß um meinen Standort nicht –

Curius.
Er kennt ihn, – weiß um alle Deine Pläne!

Catilina.
Ha, rasest Du? Er weiß –? Das ist unmöglich.

Curius.
O, wär' es das! Doch nütz' die knappe Frist;
Noch möchte Flucht vielleich Dein Leben retten!

Catilina.
Verrat? Nein; zehnmal nein; das ist unmöglich!

Curius (ergreift seinen Dolch und reicht ihn Catilina.)
Da, Catilina! Nimm und stoße zu!
Mitten durchs Herz! Ich habe Dich verraten!

Catilina.
Du? Welch ein Wahnsinn –!

Curius.                                     Ja, es war im Wahnsinn!
Frag' nicht, warum; weiß ich es selbst doch kaum;
Doch tat ich's – und entdeckte Dein Geheimnis.

Catilina.
So fahr' auf ewig hin, Vertraun auf Freundschaft!

Curius.
Stoß mir den Dolch ins Herz, und quäl' mich nicht
Mit Schonung länger!

Catilina (mild.)             Lebe, Curius!
Steh auf! Du fehltest; – ich verzeihe Dir.

Curius (überwältigt.)
O, Catilina, sieh mich hier im Staub –
Doch säum' nicht; flieh! Du hörst ja doch: es drängt.
Wie bald, so stehn die Römischen im Lager;
Von allenthalben ziehn sie schon heran.

Catilina.
Und in der Stadt die Freunde –?

Curius.                                         Sind ergriffen!
Ein Teil im Kerker, doch die meisten tot.

Catilina (für sich.)
O, Schicksal, Schicksal!

Curius (reicht ihm abermals den Dolch hin.)
                                    Stoß ihn mir ins Herz!

Catilina (blickt schweigend auf ihn.)
Du warst ein Werkzeug nur. Du tatest recht –

Curius.
O, mit dem Leben laß die Schuld mich sühnen!

Catilina.
Ich habe Dir verziehn.
(Indem er sich zum Gehen wendet.)
                                  Nun bleibt nur eins
Zu wählen, Freund!

Curius (springt auf.)   Ja, Flucht?

Catilina.                                     Nein, Heldentod!
(Durch den Wald ab.)

Curius.
Vergebens! Untergang erwartet ihn.
O, diese Güte straft mich zehenfach!
Ich folg' ihm nach; eins sei mir nicht versagt:
Kämpfend zu fallen an des Helden Seite!
(Eilt ab.)

(Lentulus erscheint mit zwei Gladiatoren vorsichtig zwischen den Bäumen.)

Lentulus (leise.)
Ich hörte sprechen –

Der eine Gladiator.
                                Jetzt ist alles still.

Der andere Gladiator.
Die Wache ging vielleicht, um abgelöst
Zu werden –

Lentulus.       Möglich. Dies hier ist die Stelle.
Hier sollt Ihr warten. Habt Ihr Eure Schwerter
Geschliffen?

Erster Gladiator.
                    Blank wie einen Blitz, o Herr!

Der andere Gladiator.
Meins schneidet gut. Beim letzten Fest in Rom
Hat's zween der Fechter in den Sand gestreckt.

Lentulus.
So haltet Euch denn still hier im Gehölz;
Und wenn der Mann, den ich Euch zeigen werde,
Zum Zelt dort geht, so stürzt Ihr auf ihn los
Und haut ihn meuchlings nieder.

Erster Gladiator.                   Soll geschehn.
(Beide Gladiatoren verstecken sich; Lentulus geht spähend umher.)

Lentulus (für sich.)
Ich weiß, ich spiele hier ein tollkühn Spiel;
Doch muß es noch vollbracht sein diese Nacht,
Soll's glücken überhaupt. Fällt Catilina,
Kann niemand hier befehligen als ich.
Mit goldnen Lügen kauf' ich sie mir alle
Und rücke kühnlich auf die Hauptstadt los,
Wo der Senat, ratlos in seinem Schreck,
Dem Sieger nicht viel Arbeit machen wird.
(In den Wald ab.)

Erster Gladiator (leis zu dem anderen.)
Wer ist er, dieser unbekannte Mann,
Den wir ermorden sollen?

Der andere Gladiator.
                                        Kümmert's uns?
Wer ist's, der ist's. Wenn Lentulus uns wirbt,
So fällt auf seine Kappe, was wir tun.

Lentulus (kommt eilig zurück.)
Macht Euch bereit; er kommt, auf den wir warten!

(Lentulus und die Gladiatoren stellen sich zwischen den Gebüschen auf die Lauer. Gleich darauf kommt Catilina durch den Wald und geht auf das Zelt zu.)

Lentulus (flüsternd.)
Los! Stoßt ihn nieder; haut's Genick ihm durch!
(Alle drei dringen auf Catilina ein.)

Catilina (zieht sein Schwert und verteidigt sich.)
Ha, Elende, – was wagt Ihr –?

Lentulus (zu den Gladiatoren.)
                                            Drauf! Stoßt zu!

Catilina (erkennt ihn.)
Du, Lentulus, willst Catilina morden?

Erster Gladiator (erschrocken.)
Er ist es!

Der andere Gladiator.
              Catilina! Wider ihn
Brauch' ich mein Schwert nicht.
(Beide Gladiatoren fliehen.)

Lentulus.                                     Gut, so fall durch meins!
(Sie kämpfen; Catilina schlägt Lentulus das Schwert aus der Hand; Lentulus will entfliehen, aber Catilina hält ihn fest.)

Catilina.
Verräter! Mörder!

Lentulus (flehend)   Gnade, Catilina!

Catilina.
Auf Deiner Stirne les' ich, was du plantest.
Du dachtest mich zu morden, um dann selbst
Zum Herrn Dich aufzuwerfen. War es so?

Lentulus.
So war es, Catilina!

Catilina (blickt ihn mit verstecktem Hohn an.)
                              Nun, wohlan!
Wenn Dich nach Macht gelüstet, – laß Dich's lüsten!

Lentulus.
Ich weiß nicht, was Du meinst?

Catilina.                                     Ich trete ab;
Du führst das Heer an meiner Statt –

Lentulus (erstaunt.)                           Du wolltest –?

Catilina.
Jawohl. Doch sei auf alles vorbereitet.
Denn wisse, unser Anschlag ist verraten;
Die Senatoren kennen unsre Pläne;
Ihr Heer umzingelt uns –

Lentulus.                         Was sagst Du da?

Catilina.
Ich will die Freunde nun zusammenrufen.
Komm mit und tritt Dein Amt als Führer an;
Ich danke ab.

Lentulus (hält ihn zurück.)
                    Nein, wart' doch, Catilina!

Catilina.
Die Zeit ist kostbar; eh' der Morgen graut,
Ein Angriff zu gewärtigen –

Lentulus (ängstlich.)           Hör' mich, Freund!
Du spaßest wohl? Es kann nicht möglich sein –

Catilina.
Wir sind verraten, wie ich Dir gesagt
Nun zeig' uns Deinen Witz und Deine Kunst.

Lentulus.
Verraten? O, dann weh' uns allen!

Catilina.                                         Feigling!
Jetzt zitterst Du! Und Du willst stürzen mich;
Du wähnst, ein Mann wie Du vermöcht' zu herrschen?

Lentulus.
Vergib mir, Catilina!

Catilina.                     Such' Dein Heil
In schneller Flucht, wenn es noch nicht zu spät.

Lentulus.
O, Du erlaubst mir –?

Catilina.                     Nahmst Du es für Ernst,
Ich wiche in der Stunde der Gefahr
Von meinem Posten? Kennst Du mich so schlecht?

Lentulus.
O, Catilina, Du –!

Catilina (kalt.)       Verlier die Zeit nicht
Und rette Dich; – ich werd' zu sterben wissen.
(Wendet sich von ihm.)

Lentulus (zu sich selbst.)
Ich danke Dir für Deine Neuigkeit;
Sie soll mir selbst die besten Dienste leisten.
Es trifft sich gut, daß ich in dieser Gegend
Nicht unbekannt; so schlag' ich mich zum Feind
Und führ' ihn auf geheimen Pfaden her,
Zu Deinem Untergang und meiner Rettung.
Der Wurm, den Du voll Hochmut in den Staub trittst,
Er wird Dir seinen scharfen Zahn noch weisen!
(Ab.)

Catilina (nach einer Pause.)
Dies ist die Treue, drauf ich Häuser baute!
So dienen sie mir, Mann für Mann. Ihr Götter!
Verräterei und Feigheit sind die Früchte,
Die diese matten Sklavenseelen reifen.
O, welch ein Tor ich bin mit meinen Plänen!
Zerstören will ich Rom, dies Otternnest, –
Und dieses Rom ist längst schon Schutt und Asche.
(Man hört Waffenlärm sich nähern; er lauscht.)
Da kommen sie! Es sind noch kühne Männer
Darunter. Wie der Stahl so lieblich singt!
Wie lustig sich die Schilde widersprechen!
Die alte Glut, ich fühl's, wird wieder wach;
Die Stunde der Entscheidung naht, die große,
Die alle Zweifel löst. Sie sei willkommen!

(Manlius, Statilius, Gabinius und eine Menge anderer Verschworener kommen durch den Wald.)

Manlius.
Hier, Catilina, hast Du Deine Freunde;
Im Lager schlug ich Lärm, wie Du befahlst –

Catilina.
Und machtest kund –?

Manlius.                         Sie wissen, was uns droht.

Statilius.
Wir wissen es und folgen Deinem Ruf,
Zum Kampf bereit auf Leben und auf Tod!

Catilina.
Ich dank' Euch, meine tapfern Waffenbrüder!
Doch hofft auf keine Wahl mehr zwischen Leben
Und Tod! Alleinzig zwischen einem Tod
Im Heldenkampf mit übermächtigen Scharen
Und einem unter Martern, wenn man uns
Wie Tiere hetzt, ist uns die Wahl gelassen.
Was zieht Ihr vor? Durch Flucht ein elend Leben
Noch ein armselig Weilchen hinzufristen –
Oder beherzt wie Eure stolzen Väter
Kämpfend zu fallen, in der Hand den Stahl?

Gabinius.
Das letzte wählen wir!

Viele Stimmen.             Führ' uns zum Tode!

Catilina.
Nun denn! So weihn wir uns durch diesen Tod
Dem schönen Leben der Unsterblichen.
Und unser Fall und unser Name wird
Noch fernster Zeiten Stolz sein –

Furia (ruft hinter ihnen unter den Bäumen:)
                                                  Oder Schrecken!

Einige Stimmen.
Da seht! Ein Weib!

Catilina.                   Wie! Furia! Du hier?
Was trieb Dich her?

Furia.                           Ich muß begleiten Dich –
Zum Ziel.

Catilina.     Nun denn, wo ist mein Ziel? Sprich's aus!

Furia.
Ein jeder sucht sein Ziel auf seine Art.
Du suchst Dir Deins durch hoffnungslosen Kampf;
Und dieser Kampf zeugt Untergang und Tod.

Catilina.
Doch Ehre auch und einen ewigen Namen!
Geh, Weib! Zu stolz und schön ist diese Stunde;
Mein Herz ist taub für Deinen heisern Schrei.

(Aurelia erscheint in der Zeltöffnung.)

Aurelia.
Mein Catilina –!
(Sie hält beim Anblick der vielen Versammelten furchtsam inne.)

Catilina (schmerzlich.)
                        O, Aurelia!

Aurelia.
Was ist im Werke? Dieser Lärm im Lager –.
Was geht hier vor?

Catilina.                   Dich konnte ich vergessen!
Was wird Dein Schicksal werden?

Furia (höhnisch flüsternd, ohne von Aurelia bemerkt zu werden.)
                                                    Wankst Du schon
In Deinem hohen Vorsatz, Catilina?
Ist das Dein Mut?

Catilina (auffahrend.)
                            Beim Reich des Todes, nein!

Aurelia.
O, sprich, Geliebter; martre mich nicht länger –

Furia (leise hinter ihm.)
Entflieh mit ihr, – und laß die Freunde sterben!

Manlius.
Verzieh nicht länger; führ' uns widern Feind –

Catilina.
O, welche Wahl! Und doch, – mich ruft mein Ziel;
Ich darf auf halbem Weg nicht stehen bleiben
(Ruft:)
So folgt mir denn zum Kampf!

Aurelia (wirft sich in seine Arme.)
                                              Mein Catilina!
Verlaß Dein Weib nicht, – oder nimm's mit Dir!

Catilina.
Nein, bleib, Aurelia!

Furia (wie vorher.)       Nimm sie doch mit!
So stirbst Du Deines Namens würdig, wenn sie
Dich niederhaun – in eines Weibes Armen.

Catilina (stößt Aurelia zur Seite.)
Fort, die Du meinen Ruhm mir stehlen willst!
Ich will ein Mann und unter Männern sterben.
Ein Ruf ist mir zu sühnen und ein Leben –

Furia.
Recht so; recht so, mein stolzer Catilina!

Catilina.
Aus meiner Seele reiß' ich, was mich fesselt
An alles, was ich war und einst erträumte!
Was hinter diesem Heute liegt, – mir ist,
Ich hätt' es nie gelebt –

Aurelia.                         Verstoß mich nicht!
Bei meiner Liebe, – ich beschwöre Dich,
Laß uns zusammenbleiben, Teurer!

Catilina.                                           Schweig!
Mein Herz ist tot, mein Blick ist blind für Liebe.
Vom Lebensblenkwerk wend' ich ab den Blick
Und schau' nur auf den großen bleichen Stern
Am Ruhmeshimmel –

Aurelia.                       Helft mir, milde Götter!
(Sie lehnt sich matt an den Baum vor dem Zelte.)

Catilina (zu den Männern.)
Und nun zur Tat.

Manlius.                 Ich höre Schwerterschlag.

Mehrere Stimmen.
Sie nahn!

Catilina.     Wohlan denn! Kühn ins Feld gezogen!
Lang war der Schande Nacht. Bald graut ein Tag –!
Zum Bad denn in des Kampfes Morgenwogen!
Folgt mir! Vor Römerschwert und Römermut
Verströme Romas letzter Rest sein Blut!
(Sie eilen durch den Wald ab; vom Lager her hört man Lärm und Streitrufe.)

Furia.
Er ist fort. Ich bin am Ziel. Er stürzt in seinen Tod.
Kalt und starr im Felde findet ihn das erste Rot.

Aurelia (vor sich hin.)
Seine grollerfüllte Seele hütete mein Bild nicht mehr?
War es Traum nur? Nein, so scholl's ihm ja vom Munde liebeleer.

Furia.
Schwerter klirren; Catilina schwebt schon an des Grabes Rand;
Bald – und wie ein stummer Schatten eilt er nach der Toten Land.

Aurelia (fährt zusammen.)
Ha, wer bist Du, unheilschwangre Stimme, die mir tönt,
Wie wenn Eulennachtruf grausig aus den Wipfeln stöhnt!
Stiegst Du aus dem Land der Schatten einer Warnung gleich,
Catilina heimzuführen in Dein düstres Reich?

Furia.
Jeder strebt nach seiner Heimat, und sein Nachen fuhr
Durch des Lebens Kot und Sümpfe –

Aurelia.                                               Auf ein Kleines nur!
Frei und edel war sein Herze, seine Seele gut und stark,
Bis ein Giftkraut sie umrankte und ihr stahl ihr Mark.

Furia.
Frisch und grün auch der Platane breites Laubdach blickt,
Bis in eines Schlinggewächses Arm ihr Stamm erstickt.

Aurelia.
Da verrietst Du Deinen Ursprung! Dieser Stimme Ton,
Catilinas Lippen ist er nur zu oft entflohn.
O, Du Schlange, die Du mir des Lebens Frucht zerstört,
Die Du wider meine Bitten sein Gemüt empört!
Aus durchwachter Nächte Träumen kenn' ich, Böse, Dich,
Sah gestellt Dich wie ein Schreckbild zwischen ihn und mich
An des teuern Mannes Seite träumt' ich mir zurück
Stillbegrenzte Freudentage, häuslich schlichtes Glück.
In sein müdes Herze pflanzt' ich Blumen bunt und fein,
Und als ihre schönste setzt' ich meine Liebe ein.
Nun entwurzelt liegt, Verhaßte, sie von Deiner Hand,
Trauert nun im Staub, wo jüngst sie noch so freudig stand.

Furia.
Schwache Törin, Du willst leiten Catilinas Schritt?
Siehst Du nicht, daß seine Seele ewig Dir entglitt?
Glaubst Du, Deine Blumen trieben wohl auf solcher Flur?
Veilchen blühn im sonnenschwangern Hauch des Frühlings nur,
Während sich das Bilsenkraut ein Dach von Wolken lobt;
Und schon längst war seine Seele herbstgewölkdurchtobt.
Du verlorst Dein Spiel! Gar bald, so stockt sein Herzblut warm,
Und, der Rache Opfer, liegt er in des Todes Arm.

Aurelia (mit wachsendem Feuer.)
Nein, Dein Tod, beim Licht des Himmels, soll ihn nicht umfahn!
Noch zu seinem Herzen bricht sich meine Träne Bahn.
Find' ich bleich und blutbedeckt ihn nach des Kampfes Qual,
Will ich schlingen meine Arme um mein kalt Gemahl,
Hauchen ihm auf stumme Lippen all die Liebe mein,
Trösten ihn, ihm Frieden bringen, lindern seine Pein.
Nemesis, Dein Opfer wind' ich kühn Dir aus der Hand,
Bind' ihn an des Lichtes Heimat mit der Liebe Band.
Und verstummt sein Herz, versinkt sein Aug' in Todesdust,
Gehn wir aus dem Leben beide, zärtlich Brust an Brust.
Schenkt mir denn, ihr milden Mächte, für mein schweres Los,
An des teuern Gatten Seite Grabesfrieden still und groß!
(Ab.)

Furia (sieht ihr nach.)
Such' ihn, Verblendete; ich fürchte nichts.
Ich halt' den Sieg zu fest in meinen Händen. –
Des Kampfes Toben wächst, von Todesschreien
Begleitet und zerbrochner Schilde Fall.
Ob er schon bluten mag? Ob er noch lebt?
O, schöner Augenblick! Der Mond verbirgt sich
In schwärzlichem Gewölk bei seinem Scheiden.
Von neuem wird es auf ein Weilchen Nacht,
Bevor es graut; – und wenn es grauen wird,
Ist alles aus. Er geht im Dunkel unter,
Wie er im Dunkel lebte. Schöner Augenblick!
(Sie lauscht.)
Da braust's vorüber wie Novembersturm
Und stirbt in Flüstern hin in weiter Ferne;
Der Feinde Heerbann fegt die Walstatt rein.
Unhemmbar wälzt er, alles niederstampfend,
Sich vorwärts wie ein Meer in seinem Wüten.
Ich höre Jammer, Stöhnen, schwere Seufzer:
Das letzte Wiegenlied, womit sie selbst sich
In Schlummer singen und die Brüder alle.
Nun stimmt die Eule ein und beut dem Volk
Willkommen in der Schatten düstren Gauen.
(Nach einer Pause.)
Wie lautlos still. Jetzt ist er also mein,
Mein ganz allein und mein für alle Zeiten.
Jetzt mag uns des Vergessens Strom empfangen,
Und über ihm das Land, dem's niemals tagt.
Doch erst noch will ich seinen Leichnam suchen,
Mich sättigend des Anblicks seiner schönen
Verhaßten Züge, ehe sie der Sonne
Zum Opfer fallen und der Raben Gier.
(Will gehen, stutzt aber und fährt zurück.)
Weh mir! Was gleitet übern Anger dort?
Sind es des Sumpfes Dünste nur, die sich
Im Morgenfrost zu festem Bild verdichten?
Da kommt es näher. Catilinas Schatten!
Sein Geist –! Ich seh' sein Aug' gebrochen, seinen
Zerspaltnen Schild, sein klingenloses Schwert;
Ich seh' den ganzen toten Mann; nur Eines,
Seltsam, – die Todeswunde seh' ich nicht.

(Catilina kommt durch den Wald, bleich und matt, gesenkten Hauptes und verstörten Blickes.)

Catilina (vor sich hin.)
"Du fällst von eigner Hand, und doch
Wird eine fremde Hand Dich fällen –"
Ward mir geweissagt. Und ich bin gefallen –
Und keiner traf mich doch. Wer löst das Rätsel?

Furia.
Sei mir gegrüßt, mein wackrer Catilina!

Catilina.
Weh' mir, wer bist Du?

Furia.                               Eines Schatten Schatten.

Catilina.
Du bist es, Furia! Du grüßest mich?

Furia.
Willkommen in der Heimat denn! Nun können
Wir Charons Boot besteigen, zwei Gespenster.
Doch erst – nimm diesen Siegerkranz von mir.
(Sie pflückt einige Blumen, die sie während des Folgenden zu einem Kranze zusammenflicht.)

Catilina.
Was tust Du da?

Furia.                     Ich will die Stirn Dir schmücken.
Doch sprich, was kommst Du so allein hierher?
Ein toter Herzog käme nicht mit tausend
Gefallenen? Wo sind sie, Deine Freunde?

Catilina.
Sie schlafen, Furia!

Furia.                         Sie schlafen noch?

Catilina.
Sie schlafen noch – und werden lange schlafen.
Sie schlafen alle. Schleiche durch den Wald
Und lug' aufs Feld hinaus, – still; stör' sie nicht!
Da wirst Du sie in langen Reihen finden.
Sie nickten ein beim Wiegenlied des Schwerts;
Sie nickten – und erwachten nicht wie ich,
Da sich das Lied verlor in fernen Bergen.
Du schaltst mich ein Gespenst. Jawohl, ich bin
Nur ein Gespenst noch. Aber glaub' nur nicht,
Daß jener Schlummern so ganz ruhig wäre
Und ohne Träume. Glaub' das nicht!

Furia.                                                   So sprich!
Was träumt den Freunden Dein?

Catilina.                                       Du sollst es hören.
Ich focht an ihrer Spitze, hoffnungslos,
Und suchte in des Feindes Schwert den Tod.
Zur Rechten und zur Linken stürzten sie,
Statilius, Gabinius, Manlius;
Mein Curius fiel, da er die Brust mir deckte;
Sie alle traf das blanke Römerschwert,
Dasselbe Schwert, das mich allein verschmähte.
Roms Waffen, ja, verschmähten Catilina!
Die Wehr' zerbrochen, stand ich halb betäubt,
Empfindungslos, indes des Kampfes Wogen
Mich überströmten. Sammlung fand ich erst,
Als alles still um mich; und ich sah auf:
Die Schlacht lag wie ein Meer weit hinter mir!
Wie lange stand ich so? Ich weiß nur das:
Ich stand allein im Kreise meiner Toten.
Doch Leben war in diesen starren Augen;
Des Mundes Winkel schürzt' ein Lächeln auf,
Und Aug' und Lächeln wandte sich auf mich,
Der ich allein noch aufrecht stand, auf mich,
Der ich gekämpft für sie und Rom, auf mich,
Der wiederum verachtet stand, verschmäht
Vom Schwerte Roms. Da starb auch Catilina.

Furia.
Falsch hast Du Deiner Toten Traum gedeutet;
Falsch ausgelegt, was Dich getötet hat.
Mit Blick und Lächeln luden sie Dich ein,
Zu schlafen wie sie selbst –

Catilina.                               Ja, wenn ich's könnte!

Furia.
Getrost, Gespenst von einem Helden Du;
Dein Ruhestündlein naht. Komm; beug' Dein Haupt;
Daß ich Dich schmücke mit dem Kranz des Siegers.
(Sie reicht ihn ihm.)

Catilina.
Pfui! Was ist das? Ein Mohnkranz –!

Furia (mit wilder Lustigkeit.)               Nun, gewiß!
Ist roter Mohn nicht prächtig? Leuchten wird er
Um Deine Stirne wie ein Reif von Blut.

Catilina.
Hinweg damit! Ich hasse dieses Rot.

Furia (lacht auf.)
Du liebst wohl mehr die matten, bleichen Farben?
Gut denn! So hol' ich Dir den grünen Schilfkranz,
Den Silvia in nassen Locken trug,
Da sie heraufkam – an der Tibermündung.

Catilina.
O, welche Bilder –!

Furia.                         Oder bring' ich lieber
Die Silberdisteln Dir vom Marktplatz Roms,
Mit braunen Flecken von dem Bürgerblut,
Das Deine Hand vergoß, mein Catilina?

Catilina.
Halt inne!

Furia.           Oder willst Du einen Laubkranz
Von jenem Eichbaum an der Mutter Haus,
Der welkte, da ein jung, geschändet Weib
Mit gellen Schreien in die Fluten sprang?

Catilina.
Leer' Deiner Rache Schalen über mich
Auf einmal aus –!

Furia.                       Ich bin Dein eignes Auge,
Dein eigenes Gedächtnis und Gericht.

Catilina.
Doch warum jetzt –?

Furia.                             Es schaut ja wohl am Ziel
Auf seinen Weg zurück der müde Wandrer.

Catilina.
So stände ich am Ziel? Ist dies das Ziel?
Ich bin lebendig nicht und nicht begraben.
Wo liegt das Ziel?

Furia.                         Ganz nah, – sobald Du willst.

Catilina.
Ich habe keinen Willen mehr, seitdem
Mir alles, was ich einst gewollt, zerbrach.
(Wehrt mit den Händen ab.)
Weicht von mir, weicht von mir, ihr fahlen Schatten!
Was heischt Ihr von mir, Männer Ihr und Weiber?
Ihr kommt umsonst –! O, mehr und immer mehr!

Furia.
Noch allzu erdgebunden ist Dein Schatten.
Zerreiße dieser tausend Fäden Netz!
Und laß den Kranz ins Haar Dir drücken, komm;
Er wirkt mit heilsamer Vergessenskraft;
Er macht Dich still; er tötet das Gedächtnis.

Catilina (tonlos.)
Er tötet das Gedächtnis? Sprächst Du wahr?
So drück' den Giftkranz dicht um meine Stirne.

Furia (setzt ihm den Kranz aufs Haupt.)
Nun bist Du schön geschmückt. So, Catilina,
Tritt vor den Fürsten nun der Finsternis!

Catilina.
Komm, laß uns gehn! Ich sehne mich hinab;
Ich lechze heim nach aller Schatten Heimat.
Laß uns zusammen gehn! Was bannt mich noch?
Was stockt mein Fuß? – Ich fühle hinter mir
Am Morgenhimmelszelt ein blaß Gestirn;
Das hält mich noch zurück im Land des Lebens;
Das zieht mich an so wie der Mond das Meer.

Furia.
Komm mit, komm mit!

Catilina.                       Es winkt und blinkt mir zu.
Ich kann Dich nicht begleiten, eh' dies Licht
Nicht auslischt oder vom Gewölk verhüllt wird
Nun seh' ich es! Es ist kein Stern, es ist
Ein Menschenherz, das liebend glüht und pocht;
Es bindet mich, es fesselt und es lockt,
Als wie der Abendstern des Kindes Auge.

Furia.
Mach's stumm, dies Herz!

Catilina.                             Wie meinst Du das?

Furia.                                                                   Du hast
Den Dolch im Gürtel noch. Ein rascher Stoß, –
Und es erlischt der Stern und bricht dies Herz,
Das zwischen Deins und meins sich feindlich stellt.

Catilina.
Ich sollte –? Blank und spitzig ist der Dolch –
(Mit einem Aufschrei.)
Aurelia! Aurelia, wo bist Du?
O, wärst Du nah! Nein, nein; nicht sehen Dich!
Und doch bedünkt mich, alles würde gut
Und Friede käme, könnte ich mein Haupt
An Deinen Busen legen und – bereuen!

Furia.
Bereuen?

Catilina.     Alles, was ich frevelte!
Bereuen, daß ich war und daß ich lebte.

Furia.
Zu spät! Es führt von da, wo jetzt Du stehst,
Kein Weg zurück. Prob's immer aus, Du Tor!
Ich kehre heim. Leg' Du Dein Haupt nur immer
An ihre Brust und finde dort den Frieden,
Den Du für Deine müde Seele suchst!
(Mit wachsendem Ungestüm.)
Bald steht sie auf, die Schar der tausend Toten;
Verführte Weiber schließen sich ihr an;
Und alle, alle werden fordern, was
Du ihnen raubtest, Leben, Blut und Ehre.
Erschrocken wirst Du in die Nacht entfliehen,
Rund um den Erdkreis fliehn durch alle Lande,
Actäon gleich, gejagt von wilden Meuten,
Ein Schattenbild, gejagt von tausend Schatten!

Catilina.
Ich seh' es, Furia! Hier bin ich friedlos,
Im Reich des Lichtes heimatlos fortan!
Ich folge Dir ins Schattenland hinab –
Und will das Band, das mich noch hält, zerschneiden.

Furia.
Was tastest Du den Dolch an?

Catilina.                                     Sie soll sterben.
(Ein Blitz fährt hernieder und der Donner rollt.)

Furia.
Die Götter jubeln Deinem Vorsatz zu!
Sieh, Catilina, sieh, – dort kommt Dein Weib.

(Aurelia kommt angstvoll suchend durch den Wald.)

Aurelia.
Wo mag er sein! Wo soll ich ihn nur finden!
Er ist nicht bei den Toten –
(Wird seiner gewahr.)
                                        Hoher Himmel; –
Mein Catilina!
(Sie eilt auf ihn zu.)

Catilina (mit irrem Ausdruck.)
                      Nenn nicht diesen Namen!

Aurelia.
Du lebst! Ja –!
(Will sich in seine Arme werfen.)

Catilina (abwehrend.)
                      Laß mich, Weib! Ich lebe nicht.

Aurelia.
Hör' mich, Geliebter –!

Catilina.                       Schweig; ich will nicht hören!
Ich hasse Dich; ich wittre Deine List;
Du willst mich an ein halbes Leben schmieden.
Starr' mich nicht an! Mich martern Deine Augen,
Sie bohren sich ins Herz mir wie ein Dolch!
Der Dolch, der Dolch, o! Stirb! Schließ Deine Augen –
(Er zieht seinen Dolch und ergreift sie beim Arm.)

Aurelia.
Wacht, milde Götter, über ihn und mich!

Catilina.
Schließ Deine Augen; schließ sie, sag' ich Dir;
Sie bergen Sternenglanz und Morgenhimmel –.
Nun soll des Morgenhimmels Stern erlöschen!
(Der Donner rollt abermals.)
Dein Herzblut! Horch, des Lebens Götter richten
Ihr Abschiedswort an Dich und Catilina!
(Er erhebt den Dolch gegen ihre Brust; sie flüchtet ins Zelt hinein; er verfolgt sie.)

Furia (horchend.)
Sie streckt die Hände flehend wider ihn.
Sie bittet um ihr Leben. Er bleibt hart.
Da stößt er zu. Da fiel sie in ihr Blut.

(Catilina kommt, den Dolch in der Hand, langsam aus dem Zelte.)

Catilina.
Jetzt bin ich frei. Und bald bin ich nichts mehr.
Schön hüllt Vergessen mir die Seele ein;
Ich seh' und hör' nur noch undeutlich wirr,
Wie ein Ertrinkender. Sag', weißt Du wohl,
Was ich mit diesem kleinen Dolch getötet?
Nicht sie nur, – alle Herzen, die da schlagen,
Alles was lebt, alles was grünt und blüht;
Die Sterne löscht' ich aus, des Mondes Scheibe,
Der Sonne Glut. Sieh hin, – sie will nicht kommen.
Sie wird es nimmermehr; tot ist die Sonne.
Nun ist der ganzen weiten Erde Kreis
Verwandelt in ein kalt, unendlich Grab
Mit grauer Wölbung, und zu dieser Wölbung
Aufstarren wir, gehaßt von Licht und Dunkel,
Von Tod und Leben, – ruhelose Schatten.

Furia.
Wir stehn am Ziele, Catilina!

Catilina.                                 Nein;
Ein Schritt noch, und erst dann bin ich am Ziel.
Nimm meine Last erst von mir! Siehst Du nicht:
Mein Rücken ächzt von Catilinas Leiche!
Treib einen Pfahl durch diesen Leichnam erst!
(Weist ihr den Dolch.)
Erlös' mich, Furia! Nimm diesen Pfahl; –
Ihn trieb ich in des Morgensternes Auge.
Nimm, nimm und ramm' ihn mitten durch den Leichnam,
So wird er ohne Macht, – und ich bin frei.

Furia (ergreift den Dolch.)
Stirb, Seele, denn, die ich im Haß geliebt!
Wirf ab Dein Irdisches und komm mit mir!
(Sie bohrt ihm den Dolch tief in die Brust; er sinkt am Fuß des Baumes nieder.)

Catilina (kommt nach einer Pause zur Besinnung, fährt mit der Hand über die Stirn und sagt mit matter Stimme:)
O, nun was es, daß ich endlich, Geist, Dein Wort verstand!
Fiel ich halb doch von der eignen, halb von fremder Hand.
Nemesis tat ihre Pflicht. Nun birg mich, Todesnacht!
Styx, auf Deinen Nacken nimm sie nun, die stille Fracht.
Setz' sie über; trag den Nachen an sein Ziel sogleich,
Nach der Heimat aller Schatten, nach des stummen Fürsten Reich.
In zwei Pfade teilt der Weg sich dort; ich wende stumm
Mich zur Linken –

Aurelia (vom Zelt her, bleich und wankend, mit blutender Brust.)
                            Nein zur Rechten! Gen Elysium!

Catilina (fährt zusammen.)
O, wie mir vor diesem lichten Bilde bangt und graut!
Sag' mir, bist Du's selbst, Aurelia, die mein Auge schaut?

Aurelia (kniet bei ihm nieder.)
Ja, ich bin's und komme lindern Deiner Wunden Wehn,
Lebe noch, um Brust an Brust mit Dir dahinzugehn.

Catilina.
O, Du lebst!

Aurelia.         Nur einer Ohnmacht Schleier fiel um mich;
Doch mein Auge folgte matt Dir; alles hörte ich;
Und mein Lieben gab mir wieder einer Gattin Kraft; –
Brust an Brust, mein Teurer, sei es, daß der Tod uns rafft!

Catilina.
Könnt' es sein! Doch, ach, vergebens ist all Hoffen Dein.
Lebe wohl! Mein Leben fordern die Erinnyen ein.
Du magst frei und flüchtig eilen hin in Licht und Glück;
Ich muß über des Vergessens Strom in Nacht zurück.
(Im Hintergrunde bricht der Tag an.)

Aurelia (zeigt auf die zunehmende Helle.)
Vor der Liebe weicht des Todes Schrecken und des Todes Nacht.
Sieh, schon flieht die Donnerwolke, und der Morgenstern erwacht.
(Mit emporgestreckten Händen.)
Sieh, das Licht siegt! Und der Tag bricht groß und strahlend an!
Catilina, komm! Schon, fühl' ich, naht des Todes Bann.
(Sie sinkt über ihn hin.)

Catilina (drückt sie eng an sich und sagt mit letzter Kraft:)
O, wie lieblich! Wiederkehrt mir mein vergessner Traum:
Wie von Strahlenflut zerteilet ward mein Grabesraum,
Wie's von Kindermund entgegen scholl dem jungen Licht.
Ach, mein Arm wird schwach und schwächer, und mein Auge bricht;
Aber hell ward mir's im Herzen, hell wie nimmerdar,
Und auf meine wirren Wege blick' ich mild und klar.
Ja, mein Leben war ein Nachtsturm wetterscheindurchloht;
Doch ein rosiger Morgendämmer ward zuletzt mein Tod.
(Beugt sich über sie.)
Du vertriebst die Finsternisse; ruhig ward mein Sinn.
Ziehn wir denn zum Reich des Lichtes und des Friedens hin.
(Er reißt sich den Dolch rasch aus der Brust und sagt mit sterbender Stimme:)
Sieh, des Morgens milde Mächte schaun versöhnt herab;
Und besiegt durch Deine Liebe flieht die Nacht ins Grab!

(Während des letzten Auftritts hat Furia sich mehr und mehr nach dem Hintergrund zu entfernt, wo sie zwischen den Bäumen verschwindet. Catilinas Haupt sinkt nieder auf Aurelias Brust; sie sterben.)


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