Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Ende

Der Türmer in Wolfstein verkündete, von Goslar kämen zwei Reiter, die müßten der Junker Otto und Mathias sein. Theodulf ließ in Eile sein Pferd satteln und ritt ihnen entgegen. Er freute sich aufrichtig, den Bruder wiederzusehen, den er trotz seiner Grillen und Grapsen als wackeren Ritter schätzte.

Als die Brüder nebeneinander ritten, fragte Theodulf, wie das wohl geschieht: »Nun laß hören, was du uns mitgebracht hast!«

Otto erwiderte schroff: »Zweitausend Dukaten und die Neuigkeit, daß der Papst ein Lügner ist!«

Theodulf sah ihn an. Otto war bleich. Das hatte er bisher auf die Anstrengungen und Entbehrungen der Reise geschoben. Nun schien es ihm doch, als hätte der Bruder schwierige Abenteuer zu bestehen gehabt. Indessen wollte er nicht nach Dingen fragen, die ihm Otto nicht aus freien Stücken mitteilte. Er sagte gelassen: »Ich hoffe sehr, daß deine Dukaten besser sind als deine Neuigkeit, denn die pfeifen die Sperlinge auf den Dächern. Du sollst wissen, mein Bruder, daß wir zur neuen Lehre übergetreten sind.«

Otto fragte: »Habt ihr das getan, um bei dem Herzog in gutem Lichte zu sein?«

Theodulf erwiderte, der hielte eifrig zum Papst.

Otto fragte weiter, ob es wegen der Bauern geschehen sei oder wegen der Fehde mit dem Stapelburger oder aus welchem Grunde sonst?

Theodulf sagte unwirsch: »Was sind das für Flausen! Wir sind lutherisch geworden, weil der Luther recht hat!«

Da rief Otto mit starker Stimme: »Segne dich Gott, mein Bruder! Nun bin ich froh, daß ich wieder in Deutschland bin!

So kam es, daß er freudig in die Burg einritt. Er hatte auch nicht über unfreundlichen Empfang zu klagen. Seine zweitausend Dukaten bewirkten keine Enttäuschung, sondern Genugtuung, man konnte den Stapelburger auszahlen und behielt noch ein schönes Geld in der Truhe.

Der Graf sagte, man müsse das jedenfalls tun. Wollte Otto den Wolfstein übernehmen, sei es seine eigene Sache, wollte er bei seinen früheren Plänen bleiben, könne man ihm den Wolfstein verpfänden.

Otto erwiderte mechanisch: »Verpfänden führt zu nichts Gutem.« Doch war er mit allem einverstanden.

In seinen Ohren klang es noch wie ein Rauschen von den Lebenswogen der ewigen Stadt.

Er sehnte sich nicht zurück, aber ein Paradies war der Wolfstein in der Nähe gesehen auch nicht. Eine Stunde war er in der Burg, und schon lag Rom hinter ihm wie ein Traum voller Pracht und Grauen. Er war mitten in der Einförmigkeit des heimischen Alltages.

Vulpesius war nicht zu sehen. Es hieß, er sei hinfällig, Else leiste ihm oft Gesellschaft, sie sei wohl auch jetzt bei ihm.

Otto ging hinauf, langsam, mit einem Herzklopfen, das nicht freudig war.

Die Tür öffnete sich, Else sprang ihm entgegen und lag in seinen Armen.

»Konnt' mich nicht lassen,« sagte sie entschuldigend. Er küßte sie auf die Stirn und auf den Mund. Sie sah ihn an. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie ging schweigend hinab und zur Tür hinaus. Das Herz tat ihm weh, und er konnte doch nichts ändern.

Der Magister hatte nur über die Füße zu klagen, was unter diesem Himmel nicht anders sein könne. Sein Geist sei spiegelblank und beschlagen in den Wissenschaften wie sonst, sagte er.

Otto hielt es für unerläßlich, den erwarteten Bericht mit den Worten einzuleiten: »Lieber Herr Magister, Eure Schwester lebt und grüßt Euch vielmals. Eure Nichte Maria lebt in dieser Welt nicht mehr.«

»O weh,« sagte der Magister teilnehmend, »Ist das liebe Mägdlein der Pest erlegen?«

Als er aber hörte, seine Nichte wäre vom Ketzergericht zum Scheiterhaufen verurteilt und vom Papst zum Beil begnadigt, jammerte er über die Schande, die er an seinem Blute erleben müßte. Er ließ auch nicht die Möglichkeit gelten, das heilige Ketzergericht hatte einen Irrtum begangen. Zuletzt fragte er mißtrauisch, ob etwa Otto lutherisch geworden sei.

Otto mußte antworten: »Herr Magister, ich weiß es nicht.«

Das nahm sich Vulpesius schon mehr zu Herzen als das Schicksal seiner Nichte. Am schmerzlichsten war es ihm aber, daß Otto keinen Funken von Begeisterung für die Herrlichkeiten der ewigen Roma merken ließ. Er hatte es sich so schön gedacht, den Schüler mittels fein berechneter Wendungen darauf hinzuführen, daß der Meister doch recht gehabt hatte.

Das unbefriedigte Wiedersehen war noch nicht das Schlimmste. Das kam erst, als Otto wie früher die Abende bei seinem alten Lehrer zubrachte. Vulpesius befand sich in einer Selbsttäuschung, er war stumpf geworden. Otto langweilte sich über die Maßen. Dann wollte es ihm freilich wieder scheinen, als hätte nicht Vulpesius, sondern er selbst sich verändert. Wie sollte das an den langen Winterabenden werden?

Sein Vater war erfüllt von der neuen Lehre und beklagte das Geld, das er vor seiner Erleuchtung für Ablaß, Wachskerzen und andere kirchliche Zwecke ausgegeben hatte. Das Chiragra ließ ihn jetzt im heißen Sommer in Ruhe. Der Stapelburger war bezahlt und man hatte sich ausgesöhnt. Er dachte nicht mehr daran, die Herrschaft abzugeben.

Die Wolfsteiner und die Stapelburger luden sich gegenseitig zu Versöhnungsfeiern ein. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich bei Otto Erinnerungen an den Vatikan einstellten, in deren Lichte die heimischen Feste ein wenig ärmlich und ziemlich roh aussahen. Wenn er den Töchtern des Landes in die unbewegten blauen Augen sah, brauchte ihm nicht vor Dämonen zu grauen. Was ihnen fehlte, war ein Hauch von dem Geiste der Adorna, ein Tropfen von dem heißen Blute der Marcellini, ein Stückchen von der Mitgift, mit der die Römerinnen von den Grazien ausgestattet waren.

Aus der Langeweile bei Vulpesius flüchtete er sich zu dem Vater und zu den Brüdern. Da wurden außer der Jagd wohl auch Staatsgespräche geführt, und das in einer männlichen, kriegslustigen Gesinnung. Allein wenn er im Geiste die leise Stimme des Valentin! hörte, klangen diese Gespräche recht unbeholfen, und noch dazu sagten sie immer dasselbe.

Als er das erstemal wieder das Tal hinausging, saß er am Bache nieder. Es erschien ihm seltsam, daß er die ganze Zeit hindurch so gerauscht hatte, wie damals und wie heute, und daß in Rom die Tiber floß, die er wohl niemals wiedersehen würde. Da seufzte er tief auf. Er fühlte sich wie ein im Winde treibendes Sandkorn.

Wie mußte man leben, um die Gotteskindschaft zu erlangen? Die Antwort hatte sich früher von selbst verstanden, nun fand er keine.

Durch all sein Fühlen aber klang wie ein still mitschwingender Unterton die rätselhafte Sehnsucht nach den ewig anrollenden, ewig fallenden Wogen des Meeres.

Else wich ihm aus. Einmal hielt er sie an, sah in ihre tranigen Augen und sagte: »Lieb Elselein, laß die Hoffnung nicht fahren; ich habe Gott verloren. Hab' ich mich wieder zu ihm gefunden, bin ich auch wieder bei dir.«

Else lächelte ihn an. Nachher dachte sie bei sich: Er kommt nicht wieder zu mir, das haben die Römerinnen getan. Seine Frommheit muß er aber wiederfinden. Es liegt gewiß an seiner Mutter Psalter; den will ich suchen.

So ging sie an freien Nachmittagen und suchte, aber umsonst.

Ottos Vater fragte ihn, wie er sich die Zukunft dächte. Er antwortete: »Ich will aufschreiben, was ich zu Rom erlebt habe. Das soll Else lesen, danach wollen wir weiter sehen.«

Es kam eine lange, kalte und regnerische Zeit, wie sie so manchen Sommer in diesen Landen zum Spott seines Namens machen. Otto merkte wenig davon, er schrieb seinen Reisebericht.

Als er fertig war, hatte sich das Wetter eben gebessert.

Es war ein Morgen im August. Die Bäche hatten reichlich Wasser und glitzerten im Sonnenlicht, der Waldboden dampfte von der verdunstenden Feuchtigkeit. Otto ging zum ersten Male wieder in die Berge. Er wollte seine Glockenblumen besuchen und freute sich darauf, als könnte er ihnen erzählen, daß er fern im Vatikan von ihnen gesungen hatte. Aber die Köhler hatten an der Stelle einen neuen Meiler geschichtet, er fand nichts als schwelende Glut, Rauch und Asche.

Auf der anderen Seite stieg er zu Tal. Der Berg fiel hier schroff ab, und der Talboden lag höher. Er nahm diesen Weg, weil er kürzer war; der Berg war ihm verleidet.

Am Ufer des Baches stand einsam zwischen Kraut und Gras eine Glockenblume, eine andere Art als die kleinen dunkelblauen. An einem schwanken Stengel, der hoch über all das lustige Grün aufragte, hing eine einzige große, blaßblaue Glocke. Er setzte sich aus einen moosbedeckten Granitblock und sah sie an. Da wurde ihm die Blume so vertraut, daß er zu ihr redete: »Ist es nicht genug, daß die Schönheit ewig einsam blüht, muß sie in Qualm und Ruß vergehen? Dich soll aber die Glut des Mittags nicht dörren; du liebe Blume sollst im Kühlen ruhn.«

Er brach sie und ließ sie ins Wasser fallen. Der Bach hatte sich hier ein Becken ausgewaschen, das rasche Bergwasser war ein stiller Teich. Die zarte Blüte glitt wie traumversunken über dem tiefen Master. Es dauerte eine Weile, dann trieb sie dem Ausgange zu. Die Strömung riß sie fort, durch Schnellen und über schlüpfrige Steine.

Otto malte sich aus, daß sie durch einen seltsamen Zufall nicht irgendwo stecken bliebe, sondern weitergetrieben würde, die Oker, die Aller, die Weser hinab in das ewige Meer.

Es war Mittag, als er sich auf den Heimweg machte. Er ging den Bach entlang und ließ sich von den Wellen erzählen, wohin sie eilten, aus den Bergen in die Ebene, durch Felder und Wiesen, immer dem Meere zu.

Als er aus dem Walde trat, wandte er sich um und nahm einen langem Abschied. Er wußte nicht warum.

Bei der Mittagstafel sagte jemand: »Es riecht nach Menschenbraten. Blasius der Hexenrichter hält fliegendes Gericht, die nächste Tagfahrt geht nach hier.«

Da hörte man ein Seufzen, das klang so hoffnungslos, daß eine Stille eintrat.

Der Graf bemerkte mißmutig: »Die soll man bedauern, denen von den Hexen Übles geschieht! Die Malefikantinnen sollen der Obrigkeit Dank wissen, denn das irdische Feuer bewahrt sie vor dem ewigen.«

Otto war bleich und stumm.

Die Gräfin wollte ihm ein saftiges Bratenstück auf den Teller legen, wie sie zu tun pflegte, wenn ihr jemand wohl gefiel. Er sagte abwehrend: »Beurlaubt mich, mir widersteht die Speise.«

Da er draußen war, meinte die Gräfin besorgt: »Es ist nicht die Speise, die ihm widersteht, es ist die Welt.«

Theodulf stand auf und ging ihm nach.

Otto war auf seinem Turmstübchen. Vor vielen Jahren hatte irgendein Gast eine Muschel hinterlassen, die hatte er sich nach seiner Rückkunft angeeignet. Er hatte seine Lust daran, sie ans Ohr zu legen. Das tat er auch jetzt.

»Was sind das für Allotria?« sagte Theodulf unzufrieden. »Iß und trink, sei doch ein Rittersmann!«

Otto sprach statt der Antwort vor sich hin: »So rauscht es wohl in der Meerestiefe. Hier oben muß man jeden Greuel immer neu erleben.«

»Wer Hand an sich legt, hat einen schweren Stand vor dem Weltenrichter,« mahnte Theodulf.

Otto schüttelte den Kopf: »Wind und Welle sind Gottes. Ich lege nicht Hand an mich.«

Theodulf kehrte zur Tafel zurück und berichtete: »Er wird nicht Hand an sich legen, ich habe sein Wort.«

Gegen Abend ließ Otto sein Pferd satteln. Die Brüder übten sich in der Armbrust, so fiel es nicht auf, daß er allein ritt.

Er kehrte nicht wieder.

Die Handschrift fand sich in seinem Schreibtische, aber es fehlten die Dinge, von denen darin die Rede war, Francescas Handschuhe und Schleier und ihr Brief. Ferner zeigte sich, daß er einen Beutel von seinen Dukaten mitgenommen hatte.

In dem Dorfe Olper, hinter Braunschweig, wurde zwei Tage später ein Bauer festgenommen, der ein Ritterpferd zu verkaufen hatte. Er wies durch das Zeugnis seiner beiden Knechte nach, daß der Ritter es ihm gegeben und dafür seinen Fischerkahn eingetauscht hatte. Weiter ließ sich nichts ermitteln.

Theodulf erinnerte sich an Ottos letztes Wort von Wind und Welle. Das wurde verschieden ausgelegt, aber daß auf seine Wiederkunft nicht zu rechnen sei, darüber war man sich einig.

In der nächsten Woche kam wirklich der Hexenrichter Blasius. Er hatte es vor allem auf Otto abgesehen, wegen seines Schweifens in den Bergen und seines absonderlichen Wesens, aber auch auf Else. Die im Dorfe und die in der Burg nahmen sich ihrer jedoch mit gleichem Eifer an, und er wollte sich nicht beide Teile zu Feinden machen. Nach einer kurzen Untersuchung erklärte er, für dasmal wolle er unter Berücksichtigung aller Umstände von einem peinlichen Verhör Abstand nehmen. –

Da sich Otto seit langer Zeit abgesondert gehalten hatte, dachte man bald nur noch wenig an ihn. Else freilich saß oft mit weinenden Augen bei dem Magister auf dem Turmstübchen. Der wußte sich aber mit den Lehren der Stoiker zu trösten, und da ihr das Verständnis dafür abging, blieb sie endlich aus. Nun weinte sie auch darüber, daß der Beste auf dem Wolfstein so rasch vergessen wurde.

In den ersten Tagen hatte sie leidenschaftlicher als je nach dem Psalter gesucht, in dem stillen Gedanken, zwischen Otto und dem Buche könnte wohl ein himmlischer Faden gewebt sein. Die Vernehmung vor dem Ketzerrichter hatte sie aber mit einem so nachhaltigen Entsetzen erfüllt, daß sie die Feuersteine nicht von weitem sehen mochte.

Im Winter kam ihr zuweilen der Gedanke, sie sei jung und das Leben sei lang. Im Sommer verdichtete sich der Gedanke zu einem Verlangen nach Frauenschaft und Mutterfreuden. Im August gab sie einem Armbrustler das Jawort. Der Graf bestellte ihn zum Gehilfen und künftigen Nachfolger des Burgwartes.

In der ersten Zeit geschah es wohl in hellen Mondnächten, daß die junge Frau heimlich aufstand und lange im Burghofe weilte. Da der Armbrustler aber einen Kübel mit kaltem Wasser vor das Bett stellte, gab sich das. Else wurde eine echte Hausfrau und gebar ihrem Gatten eine Reihe gesunder Kinder.

Der Junker Otto blieb verschollen. Unter den Fischern auf der Insel Wangeroge waren um diese Zeit päpstliche Münzen im Umlauf.

*

Herrosé & Ziemsen, G. m b. H., Wittenberg

 


 << zurück