Ricarda Huch
Die Verteidigung Roms
Ricarda Huch

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In der Nacht vom 21. auf den 22. Juni erstürmten die Franzosen die Villa Barberini und die 271 erste und zweite Bastion neben dem Tore von San Pancrazio, worauf die erste Verteidigungslinie verlassen werden mußte.

Am Abend des 21. fiel zum ersten Male Regen; es entlud sich kein großes Gewitter, wie sich nach so lang andauernder Hitze hätte erwarten lassen, sondern es regnete sacht aus feuchtschwarzem Himmel, hörte wieder auf und begann wieder, ohne daß es stärker oder schwächer wurde. Die Dunkelheit war so groß, daß man ohne Licht keinen Weg sehen konnte, durch den dünnen Regen hörte man überall kleine Geräusche, als liefe oder ducke sich etwas, flüstre oder atme irgendwas. Um die Zeit der letzten Runde schickte Garibaldi Manara und Hofstetter nach den beiden Bastionen, welche ihrer Lage nach die wichtigsten und die waren, um welche die Entscheidung gekämpft werden mußte, damit sie der Besatzung äußerste Aufmerksamkeit einschärften. Sie fanden die Soldaten in guter Stimmung; die erste Abteilung des Regimentes, die zunächst hinter der Bastion lag, erklärte sich freiwillig bereit, wach und kampfbereit zu bleiben, so daß dieser Teil der Linie hinreichend gedeckt zu sein schien. Manara und Hofstetter kehrten müde und schweigsam in den Palazzo Corsini zurück, wohin Garibaldi eben an diesem Tage, da die Savorelli unbewohnbar geworden war, sein Quartier verlegt hatte. Sie hatten nur einige Stunden geschlafen, als ein Adjutant die Unglücksnachricht von der Erstürmung der Bastionen brachte: plötzlich, ohne vernehmbare Annäherung, sei der Feind auf der Bresche erschienen, habe die vordersten Posten, die ahnungslos ihr »Wer da?« gerufen, gefangen genommen und die Besatzung durch den bloßen Schrecken ihrer geisterartigen, unerklärlichen Anwesenheit verjagt. Die Besonnenheit einzelner habe gegen die Panik, die unter den Soldaten entstanden sei, nicht aufkommen können, unaufhaltsam wären sie die Anhöhe 272 hinunter nach Trastevere bis zum Kloster Cosimato und Calliste geeilt, das für den Fall eines notwendigen Rückzuges zum Sammelpunkt bestimmt worden war. Man meinte, die Franzosen seien durch eine Mine auf die Bastion geführt worden und beschuldigte einen Ausländer, der im Heere gedient habe und, wie es hieß, plötzlich verschwunden sei, dieses Verrates; aber es konnte niemals nachgewiesen werden.

Garibaldi schickte sofort den Oberst Sacchi mit einem Teil der italienischen Legion nach den verlorenen Bastionen, damit er die Lage untersuche; dann ließ er alle Regimenter kampfbereit machen, besetzte die zweite Linie, an der schon seit mehreren Tagen gearbeitet worden war, und beschleunigte ihre noch nicht vollendete Befestigung. Sein Quartier verlegte er aus dem Palazzo Corsini, der ihm zu weit von der Mauer entfernt war, in die Villa Spada, von wo aus er einen besseren Ueberblick über die ganze Linie hatte. Als die Mannschaft fertig war, drängte Manara zum Versuche, mit gesamter Macht die Bastionen zurückzuerobern; allein Garibaldi erklärte mit solcher Bestimmtheit, er wolle jetzt nicht angreifen, daß er seine Ungeduld unterdrückte und sich beschied. Die Sonne war noch nicht aufgegangen; Garibaldi saß auf einer Bank in dem Rondell, wo an schönen Abenden die Musik zu spielen pflegte, aus halb aufgelösten grauen Nebelwolken und von den Rosen, die an langen Zweigen aus den Bäumen herabhingen, tropfte der warme Regen auf ihn herunter. Er bedachte die sinnlose Flucht der Soldaten, wo so viel auf dem Spiel gestanden hatte, derselben, die tollkühn dem sichtbaren Tod entgegenstürzten, wenn er oder sonst ein Anführer, der Schwung und Kraft hatte, an ihrer Spitze stand, und sagte sich, daß sie nichts als unlebendiger Stoff wären, der von Augenblick zu Augenblick durch einen üppigen Willen beseelt werden müsse. Zorn und 273 Trauer und Verachtung füllten sein Herz; er hatte gesehen, wie emsig die Franzosen schon auf den neu eroberten Plätzen arbeiteten, immer erschienen sie rege, tätig, gefaßt, obschon sie um eine gleichgültige, manchem vielleicht widerwärtige Sache ihr Leben wagen mußten. Doch versuchte er die Seinigen damit zu entschuldigen, daß sie sich in der übeln Lage des Verteidigers befanden, der immer munter, ohne zu handeln, sein sollte; während dieser langen Tage, wo jedermann fortwährend und überall wehrlos heimtückisch überfallendem Tode ausgesetzt war, wo man mit allen Sinnen auf heranschleichende Gefahr paßte, waren ihre reizbaren Nerven erschlafft; auch waren es nur die Uebriggebliebenen nach einem furchtbaren Kampfe, Ersatz war wenig gekommen. Immerhin glaubte er noch mit diesem Reste, wenn sie sich draußen in herzhaften Unternehmungen stählten, etwas ausrichten zu können, aber bald, bald müßten sie aus dem Ring heraus, der sich immer enger um sie zusammenzog, bevor alle erdrückt wären.

Es war noch nicht Tag, als die Nachricht vom Verlust der Bastionen sich in der Stadt verbreitete und die Glocke vom Kapitol das Sturmgeläute begann. Die Deputierten versammelten sich, Cernuschi und Caldesi eilten durch die Straßen, riefen das Volk auf die Barrikaden und verkündeten, daß im Palazzo Farnese Waffen an alle ausgeteilt würden, die Rom in seiner höchsten Not beispringen wollten; denn man hielt es für selbstverständlich, daß ein Ausfall zur Zurückgewinnung der entrissenen Linie ohne Verzug gemacht werden würde. Eine Schar von Männern und Frauen, Knaben und Mädchen zogen nach den Mauern, einige mit Waffen, andre nur mit irgendeinem Werkzeug in der Hand, das sie hastig ergriffen hatten, und erfüllten die engen Gassen am Janiculus in aufgeregter Erwartung, was sich zeigen würde. Garibaldi, 274 dem die Ankunft des Volkes gemeldet wurde, stand auf, um sie anzureden und nach Hause zu schicken, als sich der Garten mit Menschen füllte: Avezzana, Mazzini, Pisacane und verschiedene Offiziere seines Stabes kamen auf ihn zu, Brunetti blieb zu Pferde im Hintergrunde. Garibaldi runzelte die Stirn beim Anblick der Ungeduldigen, deren Ansinnen er vorauswußte; er grüßte kurz mit abweisender Miene. »Was bedeutet es, General,« rief Avezzana, »daß Ihr nicht angreift? Das Volk ist bewaffnet, Roselli stellt Euch zur Verfügung, was er von seinen Regimentern entbehren kann, worauf wartet Ihr? Jede Minute, die verstreicht, ist Gewinn des Feindes.« Garibaldi antwortete: »Ich habe mich entschlossen, nicht anzugreifen. Sacchi, der gleich nach dem Verluste einen Versuch machte, wurde zurückgeworfen, inzwischen haben sie die Krönung der Bresche vollendet und sie befestigt. Würden wir uns aus solcher Stellung vertreiben lassen? Ich habe die Hälfte meiner guten Leute verloren, als ich am 3. Juni das Haus Doria wiedererobern wollte; die andre Hälfte will ich mir retten.« – »Ist es denn eine Frage, ob es gelingt, den Feind von den Mauern zu jagen?« rief Mazzini. »Es muß gelingen! Wir müssen obsiegen, so gut wie wir atmen müssen; denn atmen wir nicht, so leben wir nicht mehr!« Garibaldis Blick ruhte inzwischen auf der Menge, die außerhalb des Gartens wogte, zitternd und murmelnd, ein Wald vor dem Sturme, Männer in der Bluse oder im Hemde, mit bloßem Halse, Frauen mit fanatischen Augen in mageren, von Hunger und Ueberanstrengung entstellten Gesichtern, Mädchen, fast noch Kinder, deren kleine Hände ein Messer umklammerten und krampfhaft an die zarte Brust drückten; endlich wendete er sich wieder zu den Herren und sagte fest in Blick und Stimme: »Ich habe es erwogen und mich entschlossen, nicht anzugreifen. Seit zwanzig 275 Tagen halten wir eine unbefestigte Stadt mit unausgebildeten Soldaten gegen das beste Heer Europas, dem das Meer unaufhörlich Hilfe bringt an Menschen, Waffen, Pulver und Nahrung: es ist genug für die Ehre. Jetzt wollen wir daran denken, uns für Italien zu erhalten.«

Während die andern schweigend über diese Worte nachdachten, rief Mazzini, außer sich: »Gott, welche Rechnung mit Blut und Vaterland und Ehre! Würdest du auch, wenn einer das Schwert gegen deine Mutter zöge, erwägen, ob es sich lohne, das Leben an die Alte zu wagen, deren Tage doch gezählt sind? Steh nicht da wie ein Heidengott aus Stein! Es ist Rom, das fällt! Siehst du das Volk nicht, das willens ist und das Recht hat, für seine Heiligtümer zu kämpfen und zu sterben!«

Garibaldi warf einen Blick auf die Menge und sagte: »Ich sollte die Lämmer da draußen zur Schlachtbank führen!?« Auf diese Worte hin wendete Angelo Brunetti sein Pferd und begab sich auf die Straße, um den Leuten zu erklären, daß es zu keinem Kampfe käme, und sie zur Rückkehr nach Hause zu bewegen. Mazzini, der es sah, trat Garibaldi näher und rief: »Verflucht das Volk, das nicht für sein Vaterland sterben kann! Wer von uns mag Rom überleben!« Tränen stürzten aus seinen Augen, er rang die Hände. Dicht vor Garibaldi stehend, sagte er mit gedämpfter Stimme beschwörend: »Wäre es möglich, daß du Rache an mir nehmen wolltest? Ich habe, bei Gott, der uns sieht, nie für mich und meinen Namen, nur für Italien gekämpft; tue du es auch!« – »Ich tue es,« sagte Garibaldi und blickte dem ganz Erschütterten ohne Mitleid in die nassen Augen.

Avezzana und Pisacane verrieten ihre Entrüstung in Ausrufen und Mienen, verschiedene von des Generals eignen Offizieren blickten traurig und nicht ohne 276 Vorwurf auf ihn. Die Freunde Mazzinis suchten ihn, der verzweifelt nicht von der Stelle wollte, zum Weggehen zu bewegen; ob er nicht wisse, sagte Pisacane bitter, daß Garibaldi nicht umzustimmen sei, wenn er etwas wolle oder nicht wolle? Die Priester pflegten in der Kirche zu beten, daß es regne, wenn Dürre sei, oder daß der Blitz nicht einschlage, wenn ein Wetter sei, und Blitz und Regen führen hoch oben ihren Weg: so sei Garibaldi vernünftiger Berechnung oder Beeinflussung nicht zugänglich; sie zogen ihn endlich mit sich fort.

Während der Platz und die Straße sich leerte, behielt Garibaldi Manara zurück und sprach mit ihm, als sie miteinander allein waren, von seiner Absicht, den Krieg von Rom weg in die Berge zu tragen. »Warten wir,« sagte er, »bis die Franzosen die Stadt erstürmen, so ist nicht nur das Ende der Republik da, sondern der Revolution, wenn auch ein rühmliches. Sind wir hiehergekommen, um eine Theatertragödie aufzuführen? Wir wollen Italien machen. Kommt Ihr mit mir, Manara, mit den Eurigen, so getraue ich mir, auf andern Hügeln ein neues Rom zu gründen.« Es war das erstemal, daß Garibaldi seinen geheimen Gedanken gegen Manara äußerte, der, so scharf und dringend wie die Anforderungen eines jeden Tages waren, noch nie darüber nachgedacht hatte, was jenseits des Falles von Rom kommen sollte. Was Garibaldi plante, erschien ihm ungeheuer: wenn es gelänge, aus der Stadt auszufallen und durch den Feind hindurch sich ins Gebirge zu schlagen, sah er nichts andres mehr als eine Horde ohne Titel, abgelöst von Recht und rechtlichen Gemeinschaften, eine Rebellion Todgeweihter um einen rasenden Helden geschart. Es war ihm, als sähe er die traurigen Augen seiner Frau und seiner Kinder und ihre ausgestreckten Arme wie etwas Ertrinkendes, das noch einmal auftaucht, tiefer und 277 tiefer hinabsinkt, untergeht und auf immer verschwindet; er erblaßte und fand keine Antwort. Garibaldi sah ihn bekümmert an, und die Lust wandelte ihn an, ihn nach Hause zu schicken, so wie er Goffredo Mameli manchmal in der Schlacht zu schützen versucht hatte; aber er gab dem Gefühl nicht nach, sondern sagte: »Manara, Ihr habt keinen Glauben an den guten Ausgang der Sache, weil Ihr keinen Glauben an Italien habt. Von Euch kann ich am wenigsten erwarten, daß Ihr zu mir haltet, doch brauche ich Euch. Wißt Ihr aber etwas, das Ihr lieber und mit leichterem Gewinn tätet, so sagt es mir.« Manara, der sich inzwischen gesammelt hatte, schüttelte den Kopf und sagte: »Ich glaube an Euch, das ist genug. Solange Ihr das Schwert führt, stecke ich meines nicht in die Scheide. Versuchen wir Mazzini und die Versammlung zu überreden, meiner seid Ihr gewiß.«

Die Sonne war allmählich durch die Wolken gedrungen, es war schwüler als zuvor. In der Nacht machte die Besatzung der verlorenen Villa Barberini, welche größtenteils aus Lombarden bestand, einen Versuch, dieselbe zurückzuerobern, doch mißlang er trotz hartnäckiger Tapferkeit. Die meisten der jungen Offiziere wurden schwer verletzt in die Spitäler getragen, unter ihnen der Maler Induno mit siebenundzwanzig Wunden.

*

Giacomo Medici gab ein Fest im Vascello, um Agostino Bertani zu begrüßen, zu dem nur Oberitaliener, hauptsächlich Lombarden, geladen werden sollten. Medici, der ein Regiment Freiwilliger nach Rom geführt und in den Dienst Garibaldis gestellt hatte, war schon in Amerika Waffengefährte des Generals gewesen. Er hatte früh schon Mazzinis Lehren in sich aufgenommen, dafür gearbeitet und deshalb Italien meiden müssen. Was ihn zum Republikaner 278 gemacht hatte, waren weniger in der Einsicht begründete Ueberzeugungen als Ehrgeiz und Empfindlichkeit, die ihm eine untergeordnete Stellung unleidlich machten, wozu er doch bei der Lage seiner Familie unter gewöhnlichen Verhältnissen bestimmt schien. Wer ihn als Offizier unter den Soldaten hatte kennen lernen, erstaunte über sein gutmütiges, gefälliges, leicht unentschiedenes Wesen im bürgerlichen Leben. Er schloß sich gern an Männer von festgegründetem Ansehen, nicht aus Eitelkeit oder um befördert zu werden, sondern um der öffentlichen Meinung gegenüber sich gedeckt zu fühlen. Während er im Felde schneller und kühner Entschlüsse fähig war und sich ohne Besinnen aussetzte, wenn es nötig schien, tastete er im Leben unsicher und fühlte sich durch das Urteil andrer behindert, wie einer, dem das Gehen schwerfällt, wenn er weiß, daß sein Näherkommen beobachtet wird. Seine äußere Erscheinung war mehr derb als elegant; seine Freunde hatten ihn gern wegen seiner Dienstfertigkeit, mit der er im täglichen Leben kein Opfer scheute, um ihnen gefällig zu sein, Garibaldi schätzte ihn als einen seiner selbständigsten Offiziere. Er hatte eine natürliche militärische Begabung, und die von ihm befehligten Regimenter zeichneten sich stets durch pünktliche Zucht und gute Verwendbarkeit aus. Seine Behauptung des Vascello, des ausgesetztesten Punktes der Verteidigungslinie, das der Feind wie das Postament unter einer Statue zusammenschoß, ohne ihn zu erschüttern, hatte seinen Namen in Rom rühmlich bekannt gemacht. Es stand nur noch das Erdgeschoß des massiven Palastes, und in diesem war ein großer Saal fast unbeschädigt, wo die Gäste sich aufhalten konnten. In den Ecken des Raumes standen auf schlanken Säulen schöngeschwungene Gefäße aus Alabaster, die die Soldaten mit Lilien und Rosen angefüllt hatten, von denen der Garten voll 279 war; auf den Tischen waren Pflaumen, Pfirsiche und Feigen ausgeschüttet. Bertani ließ sich von Medici durch das zerstörte Gebäude führen, soweit es möglich war; von den oberen Stockwerken stand noch Gemäuer als eine beständige Gefahr für die Besatzung, von der schon mehrere Leute durch zusammenstürzendes Mauerwerk getötet worden waren. Trotzdem waren die Soldaten guten Mutes und benutzten das letzte Tageslicht, um nach der Corsini hinüberzuschießen; an einem der geschützten Fenster saß einer und spielte auf der Mandoline, andre betrachteten das Abendrot. Ueber den Trümmern der Corsini und ihren schwarzen Eichen stand rosenfarbig ein stilles, weiches Feuer, dessen Widerschein auf langsam wandernden Wolken über den hohen Himmel zog; wie Gesang aus der Ferne erst laut, dann leiser und leiser tönt und verhallt, erbleichte die wehende Glut allmählich und erlosch endlich ohne Spur unter der einsamen Wölbung. Im Saale beschäftigten sich Manara, Morosini und Mangiagalli damit, Weinflaschen zu entkorken und die Gläser, die noch heil waren, vom Staube zu reinigen, wobei Manara Mangiagalli tadelte, daß er zu behende sei und sich den ehemaligen Diener anmerken lasse, Mangiagalli hingegen brummte, er könne dies ohnehin nicht vergessen, wenn Manara ihn beständig auszanke. Da Garibaldi hatte bitten lassen, man möge mit dem Essen nicht auf ihn warten, wurde begonnen, als alle übrigen versammelt waren; Soldaten trugen auf Mailänder Art zubereitete Gerichte aus, die mit begeistertem Zuruf empfangen wurden. Es wurde von Garibaldis Absicht gesprochen, den Krieg im Süden fortzusetzen, der sich Mazzini und die Versammlung widersetzte, und erwogen, ob es dazu kommen und welches der Erfolg sein könnte. Manara war schweigsam, weil er vorher mit Emilio Dandolo eine Auseinandersetzung gehabt hatte; dieser nämlich mißbilligte den Plan als tollköpfig und 280 revolutionär, eines Abenteurers, nicht eines Generals würdig, und beschwor Manara, die Bersaglieri nicht hineinzuverwickeln, weil sie auf diese Weise jeden Zusammenhang mit Mailand und Piemont verlieren, vaterland- und rechtlose Vagabunden werden würden. Manara hatte entgegnet, er würde niemand zwingen, aber auch niemand zurückhalten, der ihm würde folgen wollen, er selbst würde, welches auch das Ende sein möchte, mit Garibaldi gehen; die Vorstellungen Dandolos hatten seinen Vorsatz nicht erschüttert; aber das Herz war ihm schwer darüber geworden. Dandolo vermied ihn anzusehen, auch mit den andern zu sprechen und betrachtete scheinbar aufmerksam den Marmorfries an den Wänden des Saales; er stellte den Tod des Adonis dar, um den Frauen klagen, eine Prozession gleichgekleideter, gleichgroßer, gleichschöner Gestalten, von denen die ersten die Arme gerade in die Höhe reckten und das verzweifelte Haupt mit gelösten Haaren so zurückwarfen, daß der runde Hals mit der starken Kehle einem im Sturm gebogenen jungen Weidenstamme glich; diesen folgten viele andre mit sanftem Gange und gesenktem Haupte, die Flöte blasend, und zogen sich so um den ganzen Saal hin, wodurch der Eindruck unersättlicher Trauer hervorgebracht wurde.

Medici sagte, er bezweifle, ob ein Wagnis, wie Garibaldi es im Sinne habe, glücken könne, allein er habe sich zur Regel gemacht, seiner Fahne zu folgen, selbst wenn er im Urteil abweiche, und werde davon ohne zwingende Gründe nicht abgehen. Dies sei nach einem gewissen Ereignis geschehen, das er folgendermaßen erzählte: »Als auf die Nachricht von der Amnestie des Papstes Garibaldi die Heimkehr beschlossen hatte und wir auf dem Meere durch begegnende Schiffe von dem wunderbaren Aufschwung Italiens unterrichtet waren, entwarf er einen Plan, wie wir uns nach der Ankunft verhalten sollten, 281 wonach mir die Aufgabe zufiel, zuerst nach England zu reisen und mich mit Mazzini ins Benehmen zu setzen, dann nach Toskana zu eilen, wo Garibaldi landen und mich erwarten würde. Ich führte alles Punkt für Punkt aus und war zur festgesetzten Zeit an dem bestimmten Orte, wo ich aber weder Garibaldi noch eine Nachricht von ihm fand. Erst durch Zeitungen erfuhr ich, daß er in Nizza gelandet war und daran dachte, sich mit dem König von Sardinien zu verbinden, als ob nie eine andersgeartete Verabredung bestanden hätte. Unfähig, etwas auszurichten, und sehr aufgebracht gegen Garibaldi kam ich nach Genua, wo ich sogleich Anzani aufsuchte, einen teuern Freund, der während der Ueberfahrt erkrankt war und dessen Auflösung erwartet wurde. Anzani war ein Mann, wie ich wenige gefunden habe, gut, sicher und bescheiden. Er war ein Sterbender, als ich ihn wiedersah, doch nahm er alle seine Kräfte zusammen, um mir zu erklären, warum Garibaldi willens sei, in Karl Alberts Dienste zu treten, dessen Gegner er bisher gewesen war. Da ich mit meiner Entrüstung nicht zurückhielt, vielmehr geradezu aussprach, ich würde mir die nichtachtende Behandlung, die er mir zugefügt, nicht gefallen lassen, sondern mich von ihm trennen, faßte er mich mit beiden Armen, zog mich zu sich hernieder und flüsterte, denn er konnte nicht mehr sprechen: ›Mir weissagte das Herz, er sei der Retter, den wir suchten, darum bin ich in guten und bösen Tagen nicht von ihm gewichen. Trage ihm nichts nach: er hat ein Gesetz in sich, das wie ein Sturm ist, in dem unsre Lichter erlöschen. Versprich mir, ihm allewege zu folgen, wer mit ihm geht, wird Italien finden.‹ – Ich schwor ihm das, was er wollte, und verließ ihn auf der Stelle, ohne zu warten, bis er verschieden sei, um zu Garibaldi zu gehen und mich ihm zur Verfügung zu stellen.« 282

Medici hatte seine Erzählung eben beendet, als man die Soldaten draußen Evviva rufen hörte und Garibaldi eintrat. Er hätte, sagte er nach kurzem, heiterem Gruße, die Fahne auf dem Vascello nicht mehr gesehen, sie wäre wohl infolge eines Schusses, der die Mauer gelockert hätte, umgesunken, wer Lust hätte, sie mit ihm wieder aufzurichten. Man konnte auf Leitern zu der höchsten Mauerzacke gelangen, die noch stand und an welcher die Fahne befestigt war, die sich jetzt gesenkt hatte. Drüben wurde sofort bemerkt, daß an der Stelle gearbeitet wurde, und ein paar Schüsse strichen an Mangiagalli und Medici vorüber, in deren Händen die Fahne schwankte. Nach einer atemlosen Minute stand der dunkle Stamm siegreich auf der Mauer, die Offiziere riefen: »Es lebe Italien!« und die Soldaten, die sich unten aus den Fenstern bogen, um hinaufzusehen, wiederholten es. Auf einem marmornen Stück Fußboden des oberen Stockwerks, das jetzt einer freien Terrasse glich, blieben die Männer stehen, um in den verwüsteten Park, der den Palast umgab, hinunterzusehen. Zwischen Beeten und Gebüschen, die verkohlt und zertreten waren, schimmerten Hortensien und Verbenen und ragte edles Grün in biegsamen Säulen und Bogen; aus dem Schutt einer Mauer, die, herabstürzend, ein Rosendickicht zerdrückt hatte, quoll ungestüm die leuchtende Blütenmasse hervor. Sommerblumengerüche wehten süß und mächtig über dem Dunst der blutbetauten Erde. »Wie bald,« sagte Medici, »werden auch diese Mauern gestürzt sein, und wenn einmal der Schutt weggeräumt ist, wird niemand wissen, wo sie gestanden haben.« Garibaldi legte ihm die Hand auf die Schulter und entgegnete: »Dahin soll es nicht kommen, Giacomo. Die Trümmer sollen stehen bleiben als ein Denkmal der Toten, die hier gefallen sind, und deines Ruhmes.« 283

Unten saß Gustavo Modena behaglich kauend an der Tafel und sagte zu den wieder eintretenden Freunden: »Gut, daß ihr so lange brauchtet, um die Fahne wieder aufzurichten, inzwischen habe ich mich satt essen können.« Sie lachten und fluchten über die leeren Schüsseln, begnügten sich aber schließlich mit Brot und Käse, wovon Vorräte in den Kellergewölben des Hauses waren. Gustavo Modena wurde nun gesprächig: er machte Cristina Trivulzio nach, wie sie, bleich und hager, ein schöner Vampyr, an den Betten der verwundeten Jünglinge sitze und ihnen das wenige Blut, das die Schlacht ihnen gelassen, aussauge, dann seine Frau, die ihre Kranken mit Lieblingsspeisen füttere und ärger als Papst und Franzosen gegen die Eingeweide der Unglücklichen wüte, ferner wie die beiden sich zankten, indem Giulia Modena, die gute, mütterliche, es für Sünde hielt, Wunde und Sterbende durch Kokettieren und ähnliche Wirtschaft zu erhitzen, wohingegen die Trivulzio ihr vorwarf, sie als Schweizerin verstehe die Glutseele der Italiener nicht, vernachlässige die ideale Seite der Pflege und verwechsle außerdem die heilige Flamme des Patriotismus mit gemeinen Trieben. Er wußte das Mienenspiel und die Sprechweise der beiden Damen so wiederzugeben, daß seine Zuhörer nicht aus dem Lachen kamen und in ihrer Ausgelassenheit den Eintritt der Anita überhörten, die eben angekommen war und, da sie ihren Mann in der Villa Spada nicht gefunden hatte, sich sogleich in das Vascello hatte führen lassen. Noch keiner von den anwesenden Freunden Garibaldis außer Medici, der aufsprang und ihr entgegeneilte, um sie zu begrüßen, hatte sie gesehen, und sie betrachteten sie, so gut es anging, mit verstohlener Neugierde. Sie trug den schwarzen Filzhut mit der schwarzen Straußenfeder der italienischen Legion, einen weißen Mantel, wie 284 Garibaldi, über ihrem Reitkleide, ihre Gestalt war eher klein als groß, in dem braunen Gesicht fielen die dunkeln fragenden Augen und der leidenschaftliche Mund auf. Infolge ihrer Schwangerschaft erschien sie weniger zierlich und geschmeidig als sonst, aber sie bewegte sich mit der sinnlichen Anmut und dem unbewußten Stolze ihres Volkes. Sie erwiderte Medicis Gruß würdig und wendete sich dann wieder zu Garibaldi, der sie umarmte und in einen bequemen Sessel mehr trug als führte. Von allem, was man ihr anbot, denn sie gab zu, den Tag über fast nichts zu sich genommen zu haben, nahm sie nur einen Schluck Wein und ein Stück Brot und fing an zu essen. Währenddessen wanderte ihr Blick langsam über die Herren, die ihr vorgestellt wurden, über die erhabenen Bilder an den Wänden, die breiten Fenster, die Vasen voll Blumen, bis ihr die Augen zufielen und sie plötzlich, das angebissene Stück Brot in der Hand, einschlief; Garibaldi rückte seinen Stuhl dicht an ihren und setzte sich so hin, daß sein Arm ihren Kopf stützte.

Orrigoni, ein zuverlässiger Legionär, der Anita von Genua bis Rom geleitet hatte, sprach von den Strapazen der Reise, die durch ihre Ungeduld und Sorge noch vermehrt worden wären und ihre vollständige Erschöpfung erklärten. Da die Herren verstummt waren, sagte Garibaldi, sie möchten sich im Gespräch nicht stören lassen, seine Frau sei gewohnt, mitten im Kriegslärm zu schlafen und werde nicht aufwachen, doch meinte Medici, sie würden ohnehin gut tun, leise zu sprechen, denn jetzt, bei völliger Dunkelheit, müßten die Wachen auf das leiseste Geräusch horchen; allerdings sei erst gestern ein Ueberfall abgeschlagen, es würde kaum in dieser Nacht schon ein andrer erfolgen, trotzdem sei größte Wachsamkeit geboten. Die Mandoline draußen tönte schon seit 285 geraumer Zeit nicht mehr. Einmal, erzählte Garibaldi, hätte seine Frau eine Schlacht verschlafen. Sie befanden sich damals in Feindesland und ritten, er und eine Schar Getreuer, seit mehreren Tagen durch brasilianischen Urwald, Anita, den ein paar Wochen alten Menotti im Arme, Dolch und Revolver im Gürtel, denn bei den fortwährenden Neckereien und Ueberfällen der Eingeborenen durfte sie nicht allein auf den Schutz andrer angewiesen sein. Sie näherten sich gerade einer Lichtung, wo eine größere Ansiedlung war, als der Kleine vor Hunger so jämmerlich zu schreien anfing, daß sie ihn trinken lassen wollte, wozu Garibaldi ihr auch deshalb riet, weil man von den Bewohnern der Ansiedlung eines unfreundlichen Empfanges gewärtig sein mußte und sich darum vielleicht zunächst keine günstige Gelegenheit bot. Sie stieg vom Pferde und setzte sich in eine Moosgrube unter dicken Bäumen; er selbst bemerkte gleich darauf eine auffallende Bewegung in der Vorhut, ritt hin und erfuhr von den zurückgekehrten Kundschaftern, daß die Ansiedlung von zahlreichen Bewaffneten besetzt sei, die die herankommende Truppe einzuschließen hofften. Die Lage war so, daß einzig ein schneller Angriff retten konnte, wozu sich auch Garibaldi entschloß, und ein heftiges, sehr blutiges Gefecht fand statt, das glücklich mit vollständiger Flucht der Eingeborenen endete. Während ein Teil seiner Schar den Feind, mehr zum Schein, als weil es notwendig gewesen wäre, verfolgte, eilte Garibaldi, zu sehen, was aus seiner Frau geworden wäre, und fand sie an derselben Stelle, wo er sie verlassen hatte, im tiefen Schlafe, das Kind an ihre Brust geklammert, von Sattheit schnaufend und schläfrig blinzelnd, dann und wann noch im Nachgenusse saugend und schluckend, dicht neben beiden das Pferd, das mit gespitzten Ohren dahin schnupperte, wo es den Kampf roch. 286

Die Offiziere ließen, während Garibaldi erzählte, verwunderte Blicke über die Frau gleiten, die sie sich groß, mit starken Knochen, als unnahbare Amazone vorgestellt hatten und die ihnen so, wie sie bewußtlos an ihres Mannes Arm gesunken dasaß, einen kindlich hilfebedürftigen Eindruck machte. Sie war gekommen wie eine Wallfahrerin, die sich auf Steinen zum Heiligtume schleppte und, da sie es erreicht hat, vor dem Bilde der Anbetung selig zusammenbricht. Bertani erhob sein Glas und schlug vor, auf das Wohl der Schlafenden zu trinken; das folgende, meinte Medici, indem er die Gläser wieder füllte, sollte jeder seiner Geliebtesten widmen. Aus den Augen des jungen Morosini strahlte ein so inbrünstiges Gefühl, während er trank und das geleerte Glas hinstellte, daß Garibaldi, an dessen Seite er saß, sich nicht enthalten konnte, über sein braunes Haar zu streicheln und zu fragen: »Ich möchte wissen, wem du zugetrunken hast?« Morosini antwortete, glücklich lächelnd: »Meiner Mutter!« und es verriet sich in der schlichten Art, mit der er es sagte, daß es ihm nicht in den Sinn gekommen war, jemand könnte einen andern Namen erwartet haben. Da nun Garibaldi herzlich sagte: »Sie wird noch jung und eine schöne Frau sein,« wollte er etwas erwidern, aber unversehens fingen seine Lippen und sein Kinn zu zittern an, und er wendete beschämt sein Gesicht ab, um die Tränen zu verbergen. Für eine Weile sprach niemand mehr; endlich unterbrach Bertani das Schweigen und sagte: »Ich bin, soviel ich weiß, der einzige von euch, der keine Mutter mehr hat, darum kann ich ruhig von ihr sprechen,« und erzählte, wie er, achtjährig, in eine Erziehungsanstalt geschickt worden sei, wie die Trennung von seiner Mutter sein unerfahrenes Herz zerrissen habe, wie sie, nachdem der Abschied schon genommen gewesen sei, ihm noch einmal nachgelaufen sei, um ihm, da 287 ein scharfer Frühlingswind geblasen hätte, ein seidenes Tüchlein, das sie selbst an sich getragen hätte, um den Hals zu binden, und wie er sich nicht hätte bewegen lassen, es abzulegen, bis er das erstemal in den Ferien heimgekommen sei. Seine Mutter hätte dies von den Lehrern der Anstalt erfahren, das Tüchlein aufbewahrt und es ihm später einmal gegeben, als er die kleine Begebenheit schon vergessen gehabt hätte; seit ihrem Tode, der bald darauf erfolgt sei, trage er es immer bei sich. Er zog ein kleines Tuch aus weicher, feuerroter Seide, mit grünen Streifen umrändert, aus der Tasche und zeigte es; während alle es ernsthaft betrachteten, glaubte Medici eine Bewegung unter den Soldaten im Nebenraume zu hören, sprang auf und eilte hinaus, kam aber bald lachend mit der Erklärung zurück, sie hätten ein Geräusch im Garten vernommen, das sie stutzig gemacht hätte, es sei wohl aber nur ein jagender Igel durch die Büsche gekrochen, denn rings sei nichts mehr zu hören und zu sehen. Unterdessen waren die andern mit Ausnahme von Garibaldi, der sitzen blieb, um den Schlaf seiner Frau nicht zu stören, aufgestanden und an die Fenster getreten; die Nacht war still und sehr dunkel, ab und zu blitzten in weiten Bogen die Geschosse von einem Lager ins andre. Plötzlich machte eine einschlagende Bombe das Gebäude so heftig erzittern, daß die Herren erschreckt vom Fenster in den Saal zurück sprangen, infolge der Erschütterung war eine von den Säulen mit der alabasternen Schale umgefallen, die Schale zerbrochen und die Fülle der Blumen über den spiegelnden Boden verbreitet. Das Krachen weckte Anita, sie besann sich, und als sie Garibaldi neben sich sah, legte sie in unbefangener Freude, die ihr bräunliches Gesicht ganz mit Rosenrot überhauchte, beide Arme um seinen Hals und sagte: »Gelobt sei Gott, ich habe dich wieder.« Dann wurde 288 aufgebrochen, und Orrigoni, der Anitas Begleiter von Genua her gewesen war, führte sie in das Gasthaus, das Garibaldi bewohnte, wenn er in der Stadt war.

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Am 26. Juni kämpfte die Versammlung bis zum Abend um Garibaldis Willen, Rom zu verlassen und der Republik ein Asyl im Gebirge zu schaffen; aber die Mehrzahl war dem Vorschlage abgeneigt. Einige sagten, sie würden mit den Räubern verwechselt werden, die in den Schluchten des Gebirges hausten, andre betonten die Schwierigkeit der Verpflegung einer größeren Menschenmenge in der Wildnis, noch andre wiesen auf die Brüder Bandiera hin, die auch auf den Zulauf der Unzufriedenen im Königreich Neapel gerechnet und jammervoll geendet hätten; man solle lieber darauf denken, beizeiten eine vorteilhafte Kapitulation mit dem Feinde abzuschließen, durch welche Leben und Besitz des Volkes, für welches sie verantwortlich seien, geschützt würde. Mazzini verwarf diese Begründungen: die römische Republik, sagte er, stände auf einem andern Rechtsboden und hätte andre Mittel als die Brüder Bandiera; aber wenn es auch so wäre, die Aussicht des Untergangs dürfe sie nicht abhalten, zu tun, was des Vaterlandes Not erfordere. Ob es nicht tausendmal leichter wäre, zu sterben, als den Feind in Rom einziehen zu sehen? Er erkennte es als die Pflicht der Triumvirn und der Versammlung, bis zum letzten Augenblick, nämlich bis die Franzosen das Kapitol besetzten und sie mit Waffen vertrieben, auf dem Posten zu bleiben. Pietro Sterbini hingegen unterstützte Garibaldis Vorschlag und sprach sogar aus, daß er für die Diktatur des Generals eintreten würde, da sich die Versammlung der Zeit nicht gewachsen zeige. Die Abgeordneten erinnerten ihn daran, daß gerade er, 289 als Garibaldi nach dem 30. April sich zum Diktator habe machen wollen, sich ganz dagegen gesetzt habe, und er erwiderte, jetzt sei das Dasein des Staates in Gefahr, das Schwert möge herrschen, wenn das bürgerliche Regiment wanke, auch habe er damals die Regierung anders, höher eingeschätzt; er war redegewandt und hitzig und hielt den Anklagen und Vorwürfen der zahlreichen Gegner nicht übel stand.

Beim Einbruch der Dunkelheit kamen Cernuschi und Caldesi von einem Gange durch die Stadt zurück und meldeten, sie wären des Volkes sicher, es würde ihnen sowohl auf die Barrikaden wie zur Stadt hinaus folgen, es bedürfte nur eines beherzten Entschlusses, die Masse würde sich mitreißen lassen. Cernuschi, der immer rosig und nett aussah und mit Witz die Ueberlegenheit merken ließ, die er über jedermann zu haben glaubte, hatte viele Gegner in der Versammlung, die blindlings seinen Ansichten widersprachen; der Streit flammte noch einmal mit Erbitterung auf. Mazzini beteiligte sich nicht, sondern stand auf und stellte sich in einem Seitengemach an das Fenster, das auf den Platz ging. Er empfand, daß die Abgeordneten nicht eben aus Heldenmut bis zuletzt in Rom ausharren wollten, sondern aus Erschöpfung, um nicht noch einmal Taten zu tun und Verantwortungen auf sich zu nehmen; sie waren wie todmüde Wanderer, die lieber im Schnee erfrieren als weitergehen wollen. Er mußte sich eines Gefühls der Erbitterung und Verachtung gegen allesamt erwehren. Ihnen gegenüber erschien ihm Garibaldi im Rechte, dessen erfinderische Unbesiegbarkeit er überhaupt bewunderte; aber er hatte es sich anders gedacht. Wenn die Republik, welche die Erscheinung seines Gedankens gewesen war, untergehen mußte, so sollte sie auf dieser heiligen Erde untergehen, als eine Vision, die nie aus dem Gedenken 290 der Menschen verschwinden würde. Zu der Stätte ihres Daseins und Untergangs sollte ihr Geist in den Mitternächten der Geschichte zurückkehren, bis Mutige und Glückliche kämen und ihn erlösten. Verließen sie Rom, so trennten sie sich, schien es ihm, von diesem weltbeherrschenden Namen; wenn sie nicht siegten – und wie konnte man auf Sieg rechnen? –, würden sie sich vielleicht zerstreuen und entkommen, vielleicht gefangen werden, vielleicht in verzweifelten Gefechten das Leben enden. Das wäre nicht das große Scheiterhaufenfeuer, das in Rom die geopferte Republik vernichtete und ihren Sturz in eine Glorie verwandelte. Das, was Garibaldi wollte, bot freilich noch Möglichkeiten; er hatte das Ende gewählt aller Hoffnungen.

Sein Herz war unruhig und gepreßt, es war ihm, als müsse er heute schon Abschied nehmen, einen allerletzten Abschied, ohne Wiedersehen, in unendliche Nacht hinein. Draußen war es dunkel; er sah ungewisse Gestalten über den Platz und die breite Treppe hinauf und hinunter eilen, wie wenn es die Augenblicke wären, die kämen und gingen, auftauchten und verschwänden und rastlos etwas Gefürchtetes, Unnennbares näher brächten. Von weit her hörte man den kurzen Galopp eines Reitpferdes auf dem holprigen Pflaster, der immer lauter wurde: es war Fürst Canino, der im Lager gewesen war und mit Garibaldi und Manara gesprochen hatte. Die Batterien des Feindes hätten heute geschwiegen, Garibaldi sei der Ansicht, er bereite sich zum großen Kampfe vor, bald würde es zu spät zu einem allgemeinen Auszuge sein. Manara stimme für diesen, vorausgesetzt, daß er im Namen und mit der Versammlung geschähe, Garibaldi sei ihm düster und drohend erschienen wie eine schwarze Wetterwolke mit glühendem Schoße, er denke wohl daran, daß Volk und Soldaten ihm auf ein 291 Zeichen die Diktatur verschaffen und daß er dann seinen Willen gebieten könnte. Canino ließ durchblicken, daß er für die beste Lösung hielte, wenn die Franzosen bald zum Sturme schritten und das unvermeidliche Ende beschleunigten. Bis Mitternacht blieb die Versammlung auf dem Kapitol und bestärkte sich in dem Beschluß, sich das Steuer nicht aus der Hand reißen zu lassen.

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Mit der beginnenden Helle des Morgens gaben sämtliche Geschütze der Franzosen Feuer, nämlich die Batterien auf den Mauern der Corsini und eine Anzahl von Mörsern und Haubitzen, welche dahinter standen; auf römischer Seite die Batterie auf dem Pinohügel oberhalb der Kirche San Pietro in Montorio und einige Kanonen vor der verlassenen Savorelli. Vor dieser furchtbaren Kanonade stürzten die Schutzbauten der zweiten Linie zusammen, das Tor von San Pancrazio, das bisher die Bomben nicht ganz hatten zerstören können, barst, vom Dache der Kirche San Pietro, die Ferdinand der Katholische im fünfzehnten Jahrhundert hatte errichten lassen, wurde Stück um Stück abgerissen. Garibaldi, der den Angriff vorhergesehen hatte, verteilte die italienische Legion und die Bersaglieri so auf der Linie, daß hinter denen, die feuerten, Reserve war, für den Fall, daß die Franzosen zum Sturm übergingen. Der Verlust unter den vorderen war so groß, daß fast ununterbrochen neue Truppen nachrücken mußten, und die, welche verwundet aus dem Kampfe getragen wurden, und die, welche hineinstürzten, begegneten einander mit stolzem Zuruf. Wie mit der Sichel geschnittene Halme fielen die Kanoniere bei den Geschützen; die Uebrigbleibenden ließen sich nicht Zeit, einen Blick auf die Sinkenden zu werfen, sondern feuerten weiter, bis es sie selbst traf. Wie unerträglich der Lärm auch schien, nahm 292 er doch immer zu: der Donner mehrerer Gewitter, die, zwischen himmelhohe Felsen gepreßt, sich auf einmal entlüden, hätte nicht lauter rasen können; aber plötzlich stürzte der Turm von San Pietro durch das durchlöcherte Dach in das Innere der Kirche, und das Geprassel der brechenden Mauern übertönte eine Minute lang das Brüllen der Kanonenschlacht.

An den alten Mauern, wo sie mit andern beschäftigt war, die Löcher zu stopfen, welche die Kugeln rissen, fiel Colomba Antonietti. Als sie der tödlichen Natur ihrer Wunde bewußt wurde, rief sie ihren Mann, der, außer sich, neben ihr niederkniete, umschlang ihn mit beiden Armen und wiederholte, dicht an seinen Leib und Mund gepreßt, ein leidenschaftliches, unersättliches Lebewohl; ihre Stimme durchdrang das Krachen der Geschütze wie eine schwingende Saite, die mit der magischen Gewalt des musikalischen Tones das Gehör beherrscht, dann plötzlich schluchzend zerreißt. Die Kameraden, die vom frühen Morgen an bei der gefahrvollen Arbeit waren, unterbrachen sich und starrten bestürzt auf die vielgeliebte Tote; einige trugen sie bis an den Fuß der Kirche San Pietro, wo Frauen von Trastevere sie in Empfang nahmen.

Etwa um zehn Uhr schien es Garibaldi, als ob die Geschütze der Batterie am Pino nicht mehr spielten, und er schickte Hofstetter ab, der in seiner Nähe war, damit er untersuche, was die Ursache davon wäre. Er kam mit der Meldung zurück, daß die Traverse, welche die Batterie deckte, so zerschossen sei, daß die Kanonen bloßlägen und die wenigen Kanoniere, die noch nicht verwundet wären, sich hätten zurückziehen müssen. Die Traverse müsse unverzüglich hergestellt werden, sagte Garibaldi, Hofstetter möge dafür besorgt sein und die ersten Soldaten, die er antreffe, dazu verwenden. Es war dies eine Abteilung Bersaglieri, die von einem Bataillon, das in der vorderen Linie 293 gekämpft hatte, übriggeblieben war; Hofstetter unterrichtete sie von dem, was der General verlangte, und führte sie zu der Batterie, wo Garibaldi sie schon erwartete. Das Loch, welches die Traverse unbrauchbar machte, war sehr breit, und während die Soldaten es mit Erdsäcken auszufüllen versuchten, pfiffen die Kugeln und Kartätschen hindurch, wodurch die Arbeit überaus gefährlich gemacht war; allein sie griffen unter Hofstetters Leitung, der ihnen vorarbeitete, keck und richtig zu, während Garibaldi, auf der Lafette einer Kanone sitzend, dem schnell wachsenden Werke zusah. Noch war die Traverse nicht schußfest, als eine Bombe in eine Ecke schlug, wo etwa zwölf Mann zusammenstanden, die sich flink wie vom Blitze getroffen zur Erde warfen oder hinter Kanonen zu decken suchten. Als die Explosion vorüber war, ergab es sich, daß kaum die Hälfte der Leute wieder aufstand: sieben blieben liegen. Die Geretteten blickten entsetzt auf die Toten und zauderten; da füllte sich Garibaldi seinen Becher mit dem Wein, den er hatte herbeischaffen lassen, damit die Soldaten an dem heißen Tage und bei der gefahrvollen Arbeit Erquickung hätten, rief: »Es lebe Italien!«, trank, und von der Macht seines Blickes berührt, faßten sie sich sogleich, antworteten: »Es lebe Garibaldi!« und fuhren fort zu arbeiten, als ob sie noch vollzählig wären. Als die Lücke einigermaßen geschlossen war, holte Hofstetter die Kanoniere, es waren römische und schweizerische, von denen die Schweizer sich weigerten, weil sie mit schwerem Batteriegeschütz nicht umzugehen verständen; da er ihnen aber die Heldentugend ihrer Ahnen vorrückte, kamen sie mit, und nach wenigen Minuten feuerten die Kanonen wieder so schnell und sicher, daß Garibaldis Augen glänzten und die Bersaglieri mit lautem Beifall ihre Bewunderung anzeigten. Nach einer Stunde waren von den schweizerischen Kanonieren nur noch zwei unverwundet, worauf 294 sie um die Erlaubnis baten, sich zurückzuziehen, und sie erhielten.

Als Garibaldi sich davon überzeugt hatte, daß die Franzosen am heutigen Tage nur beschießen, nicht stürmen wollten, obwohl sie sich der zweiten Linie nunmehr hätten bemächtigen können, überraschte er die Herren seines Stabes durch die Mitteilung, die italienische Legion sei schon am vergangenen Tage übermäßig angestrengt worden und bedürfe einer Nachtruhe im Quartier, er wolle sie selbst hinführen, es sollten alle Abteilungen, die noch irgendwo beschäftigt würden, so bald wie möglich entlassen werden. Der größere Teil der Legion hielt bereits bei Villa Spada; als sie ganz versammelt war, stellte sich Garibaldi an ihre Spitze und verließ mit ihr die Mauern.

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Die Straßen, durch die Garibaldi ritt, widerhallten von jubelnder Begrüßung; unaufhaltsam strömte das Volk der magnetischen Erscheinung nach und erfüllte wimmelnd die Treppe und den Platz vor dem Kapitol, wohin er sich begab. In der Versammlung empfing ihn nachdrücklicher Beifall einiger, die andern spannten sich auf Kampf und Widerstand. Er bat sofort um das Wort und sprach von der Lage des Krieges, schilderte den Kampf, der noch wütete und dessen donnernden Unglücksgang Rom zitternd belauschte. Noch wäre es Zeit zum Auszuge, bald nicht mehr. Alle Offiziere wären bereit und bürgten für ihre Soldaten. Er wage nicht mehr, als er vermöge: die bourbonische Armee und die Söldner des Papstes zähle er nicht, seit er sie bei Palestrina und Velletri habe fliehen sehen; die Franzosen würden zunächst Rom besetzen und halten, Oesterreich stehe noch im Toskanischen, also wäre die Straße nach Neapel frei.

Die klare Sicherheit seines Redens bannte den Widerspruch, nur die Zustimmung machte sich geltend. 295 Die gedrückten Seelen spürten einen Geruch von Hoffnung und Willen und beugten sich unwillkürlich dem zu, von dem er ausging. »Ich hätte Rom vielleicht retten können,« fuhr Garibaldi fort, »wenn ihr zur rechten Zeit mir gehorcht hättet. Jetzt ist die Stadt verloren, ich kann nur einen Funken vom Herde entführen und ein neues Feuer damit anzünden. Im Süden muß die Tat entspringen, da müssen wir die Freiheit taufen, wo das heißeste Blut unsers Volkes fließt. Pflanzen wir unsre Fahne auf den höchsten Bergen auf, damit sich die Kinder Italiens darunter versammeln! Wohin der Schatten unsrer Fahne fällt, da ist Italien. Ihr wolltet keinen andern befehlen lassen, so habt den Mut, es selbst zu tun: ruft das Volk unter Waffen, vertraut euch mir an, ich führe euch, dies ist der letzte Augenblick.« Einer entgegnete, den Auszug nach dem Süden könnten sie auch noch beschließen, wenn Rom gefallen sei. Garibaldi warf einen kalten Blick auf den Sprecher und sagte: »Wir hatten von heute morgen bis heute mittag dreihundert Tote und Blessierte. Noch drei Tage wie dieser, und uns bleiben nicht Soldaten genug, um eure Flucht zu decken.« Die Deputierten befiel ein schauderndes Schweigen. Mazzini hatte während der ganzen Zeit bleich, mit abgespannten Zügen vor sich nieder gesehen; er hatte sich vorgenommen, keinen Druck durch nochmaliges Betonen seiner Ansicht auf die Versammlung auszuüben, denn er wußte, daß man ihm vorwarf, er zwinge der Republik seinen Willen auf.

Nach einer längeren Stille erhob sich Aurelio Saffi und stellte die Gründe zusammen, welche die Mehrzahl der Abgeordneten bestimmten, das Ende der Republik in Rom zu erwarten, wobei er nur den einen verschwieg, daß sie befürchteten, draußen ohne weiteres unter die Militärgewalt zu geraten; auch verteidigte er die Versammlung gegen Garibaldis Vorwurf, daß 296 sie ihm nicht gehorcht hätten, indem er von den republikanischen Idealen sprach, die die Deputierten zu wahren verpflichtet wären. Saliceti, dem Saffi zu behutsam redete, rief grob dazwischen: »Wenn wir Euch nicht zum Diktator gemacht haben, so haben wir Euch doch Gefängnis und Tod erspart, wozu ein Kriegsgericht Euch wohl verurteilt hätte, nachdem Euer Ungestüm bei Velletri den Feldzug gegen Neapel zerstörte!« Diese Beschimpfung rief Schrecken und Unruhe unter den Abgeordneten hervor, auf der Galerie, wo zahlreiche Anhänger Garibaldis waren, lautes Lärmen, so daß der Präsident keine Ruhe zu schaffen vermochte, doch Garibaldis Stimme bewirkte augenblickliches Schweigen. Er sagte ruhig: »Ich habe geschworen, für Rom und Italien zu kämpfen, und habe es getan und tue es. Stellt einen andern an meinen Platz, und dann verklage mich wer will, ich bin bereit, der Republik Rechenschaft abzulegen.« Mazzini war schon von seinem Sitze aufgesprungen: »Was tut ihr, meine Freunde!« rief er, »verwirrt das Unglück eure Sinne? Der Mann, der unser Schwert und Schild ist, sollte in unsrer Mitte wie ein Heiligtum im Tempel sicher sein. Ach, wie sollen wir wagen, gegen Feinde und Barbaren zu streiten, wenn wir uns untereinander beschimpfen und zerreißen!« Er bat, wie er schon oft getan hatte, an nichts zu denken als an Italien und den verhängnisvollen Augenblick; zu Garibaldi gewendet, beschwor er ihn, die unüberlegte Kränkung nicht Rom entgelten zu lassen. Von seinen Worten ergriffen, mäßigten sich die Erregten, und als der Präsident Galletti den General des unbeschränkten Vertrauens der Versammlung versicherte und ihn bat, die Mauern nicht zu verlassen, schloß sich nur Beifall an seine Rede. Garibaldi schwieg. Er war im Begriff, den Saal zu verlassen, als Caldesi eintrat und die Nachricht von Unruhen in der Stadt wegen der Diktatur 297 Garibaldis brachte; als er des Generals ansichtig wurde, dessen Anwesenheit er nicht vermutet hatte, stutzte er, doch Galletti winkte ihm mit seiner Gelassenheit, fortzufahren.

Auf der Piazza Navona, meldete er nun, sei ein Auflauf gewesen, ein Mann habe die Regierung als feige und unehrlich gebrandmarkt, sie sei für die wohlhabenden Bürger da, das Volk gebrauche sie nur als einen Fraß den verfolgenden Wölfen vorzuwerfen, nämlich der Rache des Papstes, bis jene sich in Sicherheit gebracht hätten. Was denn anders und besser in Rom geworden wäre? Die Priester trieben ihr Handwerk weiter in der Kirche mit Götzenbildern und Zaubersprüchen für das Volk, während die Herren allein sich der Wahrheit erfreuten. Da wäre Garibaldi ein andrer Mann, der bezahlte für jeden toten Priester, den man ihm brächte, so viel wie für einen toten Maulwurf, er würde ihnen längst das Fett vom Wanst abgelassen und den Armen in ihre Pfanne getan haben. Dagegen sei ein andrer aufgetreten und habe jenen einen Verräter gescholten, der vom Feinde besoldet sei, Unfrieden zu stiften, und auch dieser habe seinen Anhang, aber geringeren, und sei im Begriff, ihn gegen jenen zu führen. Es werde nichts andres übrigbleiben, als die Bürgerwehr einschreiten zu lassen. Garibaldis Antlitz flammte: »Laßt die Bürgerwehr!« rief er, »ich werde Ruhe schaffen!« und hatte den Saal verlassen, ehe noch jemand ihm hatte erwidern können. Zweifel oder Unwillen malte sich auf allen Gesichtern, verschiedene sprangen auf in der Meinung, man müsse ihm folgen und ihn beobachten; denn es schien nicht unmöglich, daß, selbst wenn er jetzt die Absicht hätte, den Aufruhr zu bändigen, wenn nun der ergebene Wille des Volkes sich ihm aufdrängte, sein tyrannischer Dämon ihn hinrisse und er als Herr von Rom die Republik seiner zügellosen Kriegswut und Machtbegierde opferte. 298

Indessen trat Mazzini noch einmal auf und sagte, da Garibaldi es übernommen habe, die Unruhen, wie sie in einem von äußerster Not und Gefahr bedrängten Gemeinwesen gern zu entstehen pflegten, niederzuschlagen, könnten sie, nach seiner Meinung, zur Erledigung der wichtigsten Geschäfte zurückkehren, nämlich zur Ausarbeitung der Gesetze der Republik, womit die Sache beigelegt war.

Es war eine späte Nachmittagsstunde, und noch immer donnerte die Schlacht am Janiculus, aber schwächer als am Morgen. Aus Trastevere zogen in ununterbrochener Reihe Wagen mit den Habseligkeiten armer Familien, deren Häuser von den Bomben zerstört oder bedroht waren, und die im Venezianischen Palaste oder in andern leerstehenden Gebäuden einquartiert wurden. Die wenigen Wagen, die den abendlichen Korso besuchten, fuhren hastig mit schweigsamen, von der Hitze ermatteten Insassen, die übliche Runde entlang; bis zum Pincio hin schlugen verlorene Bomben und zündeten.

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