Ricarda Huch
Die Verteidigung Roms
Ricarda Huch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Rozzat war in das Spital jenseits des Tiber gebracht worden, wo Manara ihn am folgenden Tage aufsuchte; die Fürstin Trivulzio empfing ihn und sagte ihm, daß der Verwundete ihn nicht erkennen würde, daß man stündlich seinen Tod erwarte, ja um seinetwillen erhoffe, da er unmenschlich leide, daß sie aber trotzdem bereit sei, Manara zu ihm zu führen, damit er sähe, daß, was möglich sei, für ihn getan werde. Der Unglückliche lag halb aufrecht an die Schulter und Brust eines jungen Fräuleins angelehnt, die sich bemühte, ihn zu halten und zu beschwichtigen; in ihren kindlichen Zügen war die Willensanspannung ausgedrückt, die sie aufwenden mußte, um das Uebermaß des Mitleids und des Grauens zu ertragen. Stirn und Augen waren ihm verbunden, aber im Rasen von Schmerz und Fieber hatte er versucht, die Tücher abzureißen, so daß die schreckliche Wunde zum Teil sichtbar war. Er klammerte sich laut stöhnend an das Mädchen, schien sich aber auf Augenblicke seiner Umgebung bewußt zu werden und suchte sich zu beherrschen, bis die verstörte Natur seine Kraft wieder überwand. Manara stand eine Weile vor dem jammervollen Schauspiel und ließ sich dann von der Fürstin in ihr kleines Sprechzimmer führen, wo sie ihm Wein vorsetzte und ihn einlud, sich von dem traurigen Eindruck zu erholen; sie fühle mit ihm, sagte sie, wie es niederdrücken müsse, einen Freund, einen Mann voll Mut und Heiterkeit, so wiederzusehen als eine Masse bäumender Nerven in zerrissenem Fleische. Sie erzählte ihm, daß das Fräulein, das Rozzat pflegte, Tochter einer vornehmen römischen Familie sei, ein verwöhntes Kind, und nun schon zwanzig Stunden lang fast ununterbrochen den fremden Mann in ihren Armen halte, den sie nur als einen in Todeskrämpfen zuckenden, kaum noch Menschenantlitz tragenden Körper kennen gelernt habe. Die 242 mütterlich-liebevolle Art, in der die Fürstin von dem Mädchen sprach, gefiel Manara; überhaupt fand er ihre Erscheinung und ihr Wesen würdig, während er sie nach den Gerüchten, die über die vielberedete Frau umgingen, sich allzu theatralisch auffallend vorgestellt hatte. In der Unordnung und dem Elend des Krankenhauses hatte ihre hohe, in ein schwarzes, antikisch fließendes Gewand gehüllte Gestalt etwas Edles und Heroisches, das ihm Bewunderung abnötigte. Sie waren bald in einem lebhaften Gespräch über Mailänder Zeiten und Persönlichkeiten, wobei sich ihr Witz und ihr überlegenes Urteil zeigte. Da sie nach seiner Mutter und seiner Frau fragte, fing er an, vertraulich von seinen häuslichen Angelegenheiten zu erzählen, obwohl er im allgemeinen so zurückhaltend war, daß er selbst zu Freunden nur selten von Dingen und Zuständen sprach, die seine Gefühle angingen.

Es gab kaum jemand in der Mailänder Gesellschaft, der nicht wußte, daß Manara, eben zwanzigjährig, die junge, durch ihre Schönheit bekannte Carmelita Fé entführt und dadurch die Einwilligung ihrer Eltern zur Heirat erzwungen hatte. Die Fürstin Trivulzio, die das Regelwidrige liebte, wurde davon angezogen, wogegen sie freilich das Ergebnis des Abenteuers, die Eheschließung, als etwas bürgerlich Gemeines gleichgültig ließ.

Manara sprach davon, wie er im Glücke selbst, das der Besitz der Geliebten ihm verschafft hätte, sich vom Glücke fortgesehnt hätte, wie eine unerklärliche Schwermut ihn vom Quell des Lebens, dem er so nah gewesen wäre, weggedrängt hätte, bis er sich denn entschlossen hätte, ohne Rücksicht auf die Einsprache seines Herzens ganz dem Vaterlande zu leben. Damals, sagte er, habe er nicht geahnt, daß die Ereignisse ihn so weit, so gänzlich von den Seinigen fortreißen würden. Seine Frau habe sich nicht an ihn 243 gehängt, um ihn zurückzuhalten, er wisse, daß sie ihr schönes Gesicht den Kindern freundlich zeigen werde, was auch geschehen möge. Er handle wie der Augenblick gebiete; zuweilen, wenn die Erinnerung in ihm aufklinge, das Gefühl des früheren Lebens, wie ein süßer Ton, so sei ihm zumute, als habe er ein andres Herz in der Brust als einst. Er habe sich vorgesetzt, nicht seitwärts und rückwärts, nur vorwärts zu blicken; das Schicksal könne seinen Weg so wenden, daß einmal, nachdem er lange genug gewandert sei, die Heimat, die jetzt hinter ihm liege, wieder vor ihm erscheine.

Die Trivulzio sagte, er habe wohlgetan, Mailand zu verlassen, das sich in beschränktem Dünkel für den Kern und Stern Italiens oder auch Europas halte; die Familie sei der bequeme Käfig, in dem der göttliche Menschengeist flügellahm und leibeigen werde, ihn habe der Genius der Freiheit gelockt, damit er unter dem Himmel sich dehnen und ein Held werden könne. Manara antwortete ablehnend, sie möge für sich und andre recht haben, er sei wohl zu unbedeutend, als daß ihre Worte sich auf ihn anwenden ließen. Er fühle als Mailänder, und wenn er auch jetzt für Rom und Italien kämpfe, weil die Folgen seines Tuns ihn hierhergeführt hätten, so werde es doch immer sein Ziel bleiben, nach Mailand zurückzukehren und seine Kräfte Mailand zu widmen. Es sei anders, als er selbst wisse, entgegnete die Fürstin lächelnd, er sei stolz und halte sein Herz geheim; aber wie der Künstler ein Bildwerk mit Tüchern verhänge, bis es vollendet sei, so werde auch der Tag kommen, wo er den Schleier abtun und das Antlitz eines freien Mannes allen Augen enthüllen werde. Während sie so sprach, fühlte er den gewaltsamen Blick ihrer schwarzen Augen brennend auf sich ruhen, und auf einmal hatte er das Gefühl, als säße er einer Sirene gegenüber, die ihn mit 244 dem Gesang ihrer Worte einschläferte, um ihn einzufangen und auszusaugen. Er sprang auf und verabschiedete sich ohne Uebergang, so durchaus unleidlich war ihm ihre Nähe geworden, und er bereute, ihr so viel von seinem innersten Leben, was er selbst Freunden verschwiegen hatte, mitgeteilt zu haben. Doch löste sich diese fast Abscheu zu nennende Empfindung bald auf, als er auf der Straße war, und er konnte wieder mit Anteil an sie denken; immerhin freute er sich des Gedankens, heil und gesund zu sein und ihrer Pflege nicht zu bedürfen.

*

Es war die Ansicht der Regierung, Garibaldi müsse einen Ausfall gegen die Franzosen unternehmen, und der Kriegsminister Avezzana besuchte ihn in der Villa Savorelli, um ihn dazu zu bereden. Er sagte: »Ich glaube an Euch, Garibaldi. Ich bin ein nüchterner Mann und habe schon als Knabe Gott verloren, weil ich ihn nicht mit den Sinnen und dem Verstande erfassen konnte; aber mit Euch geht es mir so, daß ich Wunder von Euch erwarte, und obwohl ich sehe, daß wir nicht siegen können, gebe ich doch die Hoffnung nicht auf, solange Ihr da seid.« Garibaldi antwortete, retten könne Rom nur ein Umschwung in Paris, wo die Partei der Demokraten immer noch für ihre eigne Ehre und das Dasein der Republik kämpfe; er könne nichts tun, als die Belagerung hinziehen, damit Rom noch frei sei, wenn jener Umschwung etwa eintrete. Eben dazu, meinte Avezzana, wäre ein Ausfall gut, jedenfalls würden die schnell fortschreitenden Arbeiten des Feindes dadurch unterbrochen, wenn es nicht gelingen sollte, ihn zurückzudrängen oder ihm große Verluste beizubringen. Garibaldi sagte: »Man vergesse nicht, wie sehr die französische Armee der unsrigen überlegen ist nicht nur an Zahl, sondern auch an Schulung und 245 Bewaffnung.« Hierdurch schien der andre unangenehm berührt, er wollte Einwände machen und Fragen stellen, aber Garibaldi blieb erst eine Weile still, ohne darauf einzugehen, und berief dann die Offiziere seines Stabes, von denen die meisten für einen Ausfall stimmten, worauf in diesem Sinne beschlossen wurde.

Am Abend des 9. Juni versammelten sich die italienische Legion, die Fremdenlegion der Polen und eine Abteilung der Bersaglieri auf dem Petersplatze, der von Pechkränzen flackernd beleuchtet war. Sie standen zwischen den Brunnen und zu ihren beiden Seiten bis an die Säulenreihen den Platz anfüllend, und Garibaldi, Manara, Hofstetter und einige andre Offiziere gingen die Reihen entlang und teilten halblaut die Befehle aus. Garibaldi wartete mit dem Aufbruch bis zum Aufgange des Mondes; denn er wollte lieber, daß der Zug von feindlichen Schildwachen früher gesehen würde, als daß die Schauer des nächtlichen Dunkels auf seine Truppen wirkten. Durch das Tor Cavallegeri, das sich langsam lautlos öffnete, zogen die Kolonnen aus der Stadt, den weißen Mantel des Generals, der voranritt, im Auge. Sein Plan war, den Franzosen in die linke Flanke zu fallen, zu welchem Zweck zuerst die lange und schmale, zwischen ummauerten Weinbergen hinunterführende Straße Gelsomino durchschritten werden mußte, bis man in eine offene sumpfige Ebene gelangte, aus der sich, auf Hügeln gebaut, ein Kloster und weiterhin ein altes, seit langem unbewohntes und verfallenes Schloß erhoben. Dieses war der feindlichen Linie nahe, und es war mit der Möglichkeit zu rechnen, daß es dem Gegner als Vorposten diente; freilich hatten Bauern auf Befragen ausgesagt, daß dort kein Mensch wäre, aber auf diese konnte man sich nicht verlassen, da sie meistens durch Priester 246 beeinflußt oder denn durch die Franzosen eingeschüchtert waren. Beim Eingang ins Freie hielt Garibaldi an und ließ die italienische Legion an sich vorüberziehen, an deren Spitze Oberst Bueno ritt, ein Amerikaner, in dem sich das Blut eingewanderter Spanier und einheimischer Wilder seit Generationen gemischt hatte. Er hatte gelbbraune Haut und scheue, gierige Augen wie die eines Wolfes, und obwohl er nicht ohne Grazie war, wenn ihm an Erfolgen gelegen war, sprach sich doch die schamlose Roheit seines Gemütes in seiner Erscheinung und seinem Wesen aus. An Garibaldi band ihn ein Gefühl tierischer Unterwürfigkeit so sehr, daß er ihm nach Italien gefolgt war, einem fremden Lande, dessen Name ihm kaum, dessen Geschichte und Bedeutung gar nicht bekannt war; da er aber bald Heimweh bekam, große Waffenerfolge nicht errungen wurden und um den General sich mehr und mehr Landsleute scharten, die ihn nicht verstanden und mit denen er sich nicht vertrug, wurde er mißmutig und reizbar, und sogar Garibaldi erschien ihm nun manchmal als einer, der ihn verräterisch aus der Heimat ins Elend gelockt habe. Im Kriege hatte er den grausamen Mut eines Raubtiers, überhaupt scheute er keine Gefahr oder Anstrengung, da er gesund und kräftig war; aber außer der Schlacht war er zu nichts zu gebrauchen und entzog sich mit eigensinnigem Hochmut jedem Auftrage.

Um das Kloster herum, das in seinem steilen Mantel von Mauern einer Burg glich, wuchs hohes Schilf, dessen helles Rauschen, als die Soldaten anfingen hindurchzugehen, in der Stille der Nacht, und da jedes Geräusch nach Möglichkeit sollte vermieden werden, Schrecken erregte; doch blieb nichts andres übrig, als dem Führer, der Weg und Steg dieser Gegend kannte, zu folgen. Das Schilf war so hoch 247 gewachsen, daß es über die Köpfe der Männer hinausging und sie wenig voneinander und sonst überhaupt nichts sehen konnten, wohl aber immerwährend das beängstigende Rascheln vernahmen. Dies konnte ebensowohl wie von ihnen selbst vom Feinde verursacht sein, der durch Spione von dem Ausfall unterrichtet sein konnte und vielleicht schon im nächsten Augenblick die Verwirrten überfiel, die nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten. Nachdem sie eine Viertelstunde oder länger in dieser Weise gegangen waren, verließen die ersten das Schilf und sahen im Mondschein das steile Kloster mit dem Glockenturm und die lange Mauer, die den Felsenhügel umgürtete, ebenso über sich wie vorher, woraus offenbar wurde, daß sie im Kreise gegangen und zum Ausgangspunkte zurückgekehrt waren. Der Führer gestand, daß er die Richtung verloren habe; Bueno stieß einen Fluch aus und hätte dem Manne etwas angetan, wenn er sich nicht hilflos in der fremden Gegend gefühlt hätte; es mußte nun der Marsch neu angetreten werden, ohne daß die, welche hinten waren, den Zusammenhang begriffen hätten. Bueno kam der Gedanke, daß der Führer ein Verräter und im Einverständnis mit dem Feinde sein könnte, und daß sie alle vielleicht dem Tode oder der Gefangenschaft entgegengeführt würden; von einem unheimlichen Gefühl beschlichen, hielt er sich dicht neben dem Manne, der bis jetzt ein Stück vorangeritten war, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Als sie um ein Gebüsch von mäßiger Ausdehnung gebogen waren, sahen die vordersten das Schloß vor sich liegen, zu dem sie, dem Plane gemäß, gelangen sollten; es lag frei im blauen Mondschein da, ein zackiges Gemäuer aus alter Zeit, und hatte in seiner Regungslosigkeit ein starkes verhaltenes Leben. Alle wußten, daß diese Mauern vielleicht vom Feinde besetzt waren, und empfanden bei ihrem 248 Anblick etwas wie Neugier und Unruhe. Plötzlich sahen die, welche Bueno zunächst waren, daß sein Pferd sich aufrichtete, schnob und schauderte, daß er selbst mit einem Ausdruck des Entsetzens in den Mienen nach dem verfallenen Schlosse starrte, dann jäh sein Tier herumriß, und ließen sich, durch ein so unerklärliches Verhalten mit Grauen erfüllt, in die tolle Flucht mitziehen. Die rückwärts Stehenden und zum Teil noch im Marsch Begriffenen konnten nichts andres glauben, als daß die vorderen vom Feinde überfallen wären, und stürzten sich gewaltsam auf ihre Hintermänner, wodurch die Flucht vollends sinnlos und unaufhaltsam wurde. Als Garibaldi die Masse sich rückwärts ihm entgegenwälzen sah, ohne daß irgendwo eine Spur des Feindes sich zeigte, und urteilen mußte, daß blinder Schrecken, wie er nachts sich wohl verbreitet, die Leute ins Weichen gebracht habe, versuchte er die Flucht aufzuhalten, worin ihn die Offiziere, die zugegen waren, unterstützten; Manara wurde vom ersten Anprall der Besinnungslosen umgerissen und hatte Mühe, sich wieder vom Boden zu erheben. Garibaldi, dessen Gesicht vor Entrüstung flammte, zog die Peitsche, die er im Gürtel zu tragen pflegte, und schwang sie über den Köpfen der Fliehenden, sie mit schrecklichen Worten beschimpfend; auch gelang es ihm und den Anstrengungen der andern Offiziere, allmählich die Flucht zum Stehen zu bringen. Manara dachte, nachdem die Ordnung wiederhergestellt und Ruhe eingetreten war, den Marsch fortzusetzen, allein Garibaldi sagte hart: »Mit Feiglingen, wie diese sind, kämpfe ich nicht.« Auch mußte er annehmen, daß der Lärm, den die Flucht und ihre Folgen verursacht hatten, bis zu französischen Vorposten gedrungen war, und konnte demnach nicht mehr darauf rechnen, sie zu überraschen. So schnell und leise wie möglich bewegte sich der trübe Zug in die 249 Stadt zurück; als sie wieder auf dem Petersplatze anlangten, war der Mond untergegangen, er stand kalt in der grauen Morgennähe. Garibaldi zog die Mütze tiefer ins Gesicht, band sein Pferd an eine Säule, zog seine Jacke aus, um sie als Unterlage für den Kopf zu benutzen, und legte sich auf die Steine; Manara folgte seinem Beispiel, Hofstetter, der auf dem harten Pflaster nicht liegen zu können glaubte, blieb, an sein Pferd gelehnt, stehen und überblickte betrübt den ungeheuern Platz, der Mittelpunkt der Welt genannt zu werden verdiente, bis er in einen unerquickenden Halbschlummer verfiel. Viele Soldaten schliefen nicht vor Kummer, den Zorn ihres Generals auf sich gezogen zu haben, und sannen dem ihnen selbst unerklärlichen Ereignis nach; Bueno weinte ungesehen Tränen der Wut.

Der General erfuhr nicht, daß der Amerikaner die Flucht veranlaßt hatte, überhaupt fand, was darüber geredet wurde, bei den Offizieren nicht viel Glauben. Bueno selbst ließ sich nur dunkel darüber aus, was ihn so erschreckt habe; zu einigen sagte er, Garibaldi selbst habe vor dem Schlosse gestanden, riesengroß, den Arm mit einer seltsamen, nie an ihm gesehenen Gebärde warnend erhoben, die Innenfläche der Hand nach außen gekehrt; andern hingegen, es habe ihn an dieser Stelle ein plötzlicher Schauer befallen, dem er hätte nachgeben müssen, und er halte es für ein Glück, daß das geschehen sei, da, wenn sie vorangegangen wären, schwerlich einer vom ganzen Heere lebend nach Rom zurückgekehrt wäre.

*

In der Frühe des 13. Juni ließ ein französischer Parlamentär sich auf das Kapitol führen, um die Regierung zur Uebergabe Roms aufzufordern, widrigenfalls nunmehr das Bombardement der Stadt beginnen würde. Die Versammlung beschloß einstimmig ferneren 250 Widerstand, was vom Volke, als das Vorgefallene zur öffentlichen Kunde gelangt war, mit Jubel aufgenommen wurde. Geläut aller Glocken trug es bis unter die Mauern, daß in Rom eine hohe Feier begangen würde, und als die Ursache bekannt geworden war, verbreitete sich auch unter den Soldaten gehobene Freudigkeit. Kurze Zeit nach Mittag demaskierten die Franzosen ihre Batterien, und die ersten Bomben flogen hinüber, wobei sich sofort zeigte, daß die Geschütze hanptsächlich auf die Savorelli, als das Hauptquartier Garibaldis, gerichtet waren.

Manara hatte Garibaldi gebeten, einem Marionettenspiele beizuwohnen, das einer seiner Bekannten, nämlich jener Guido Vidomi, der der Herzog von Aquileja genannt wurde, um den Tag festlich zu begehen, veranstalten wollte. Das Puppentheater war die beliebteste Unterhaltung der Soldaten, die Manara jeder andern vorzog, besonders wenn der Unternehmer volkstümlichen Witz besaß und sich auf den altherkömmlichen burlesken Ton dieser Komödie verstand. Da sämtliche Offiziere, die zu der betreffenden Stunde dienstfrei waren, geladen werden sollten, und auch Besucher aus der Stadt gegen Abend in das Lager zu kommen pflegten, wurde der große Speisesaal der Villa Savorelli zum Ort der Aufführung bestimmt, dessen Wände in der oberen Hälfte mit Fresken des Salvator Rosa bemalt waren. Es waren abenteuerliche Szenen im kalabrischen Gebirge daraus dargestellt: zwei Männer mit spitzem Hut und kurzem, flatterndem Mantel in wütendem Zweikampf, auf dessen Ausgang eine geputzte Frau mit zerrauftem Haar und Angstgebärde zu warten scheint; ein Einsiedler, der auf einem ausgebreiteten scharlachroten Mantel kniet und dessen wildzerfurchte Gesichtszüge von Freveln, die er einst begangen haben mag, erzählen; Gaukler, die an einer aus einem Felsen dringenden 251 Quelle rasten, von denen einige beschäftigt sind, über einem Feuerchen einen Igel zu braten, andre sich mit fratzenhaften Kunststücken die Zeit vertreiben, noch andre mit kreischendem Munde und übertriebenen Bewegungen sich zanken; Räuber, die Frauen entführen und unter sich lachen, während jene in Verzweiflung schreiend die Arme ausstrecken; alle diese aufgeregten Gestalten eingebettet in eine undurchdringliche Wildnis wundervoller, schöngewölbter Bäume, die mit mehr bräunlichen als grünen Tönen gemalt waren. Die dunkle Farbe des Hintergrundes stimmte den Saal im ganzen ernst, aber die feurigen Flecke der Mäntel und Kleider lachten phantastisch daraus hervor.

Mit Hilfe einiger Kameraden richtete der Herzog von Aquileja aus Brettern und Vorhängen, wie sie in der Villa zu finden waren, einen Theaterkasten auf; die Puppen hatte er zum Teil selbst aus Holz geschnitzt, teils fertig gekauft und durch Bemalung oder mit dem Messer verändert, wie sie seinen Zwecken dienten. Bevor das Spiel begann, betrachtete Manara die Figuren, ungeduldig und schon im voraus entzückt, und lockte durch sein helles Gelächter auch andre herbei, die Puppen in Augenschein zu nehmen. Man erkannte sofort den Papst, den König von Neapel, zu dem, da es in den Witzblättern üblich war, ihn als Hanswurst darzustellen, ein vorhandener Bajazzo hatte benutzt werden können, und den Kardinal Antonelli, der zum Kardinalsmantel den Hut und die Flinte des neapolitanischen Räubers trug; sehr bewundert wurde auch der General Oudinot, der, wie er zum Schimpf Kardinal genannt wurde, mit der Kardinalsmütze versehen und außerdem an den rund vorstehenden Augen und der grellroten Gesichtsfarbe kenntlich war.

Das Spiel begann mit einem Selbstgespräch des Papstes, das folgendermaßen begann: 252

»O fade Einerleiheit täglicher Makkaroni
Mit Käse, die der Bourbone unermüdlich verschlingt und verdaut auch;
Mir macht es übel.
Säß' ich in Rom vor einem Teller gedünsteter Trüffeln,
Die mir, so fürcht' ich, nun die Republikaner fressen,
Die Hundesöhne, die Schweinepriester, die Galgenfrüchte;
Daß in der Gurgel sie ihnen schwöllen und sie erstickten!«

Es erschienen hierauf nacheinander Spanien, als magerer Ritter Don Quichotte dargestellt, der König von Neapel und Ludwig Bonaparte mit Schnauz- und Spitzbart und untergeschlagenen Armen nach dem Muster des ersten Napoleon. Spanien sagte:

»Heiliger Vater, eine unbesiegbare Heerschar
Von vierzig Mann schon führ' ich zu Schiff
Mit Unterjochung des Meeres an das Gestade,
Die heidnische Brut deiner Feinde in Stücke zu metzeln.
Seit dreißig Tagen schon knirschen die adligen Helden
Mit ihren Zähnen vor ungeduldiger Kampflust,
Aber sie finden, so eifrig sie suchen, den Feind nicht.
Steht Rede, wo verkriecht ihr euch, Bande von Feiglingen?«

Dann sprach Bonaparte:

»Mir kleinem Neffen des großen Oheims gewähre
Die Ehre, heiliger Vater, die römische Wölfin abzustechen.
Gewährst du es aber nicht, so tu' ich es dennoch.
Denn ich, vom Blute des Cäsar, will mich auch cäsarisch aufspielen
Und in Frankreich und Italien die Republiken abschaffen,
Vielleicht zum Weltreich dann meinen Thron erweitern.
Dich, Haupt der Christen, setz' ich heil auf deinen römischen Stuhl wieder,
Damit du mich dankbar salbst mit Oel, echtem, altranzigem,
Aus deinen bewährten Fabriken.«

Darauf der König von Neapel, heulend:

»Erlaube, Väterchen, daß ich mich vor dir auf dem Bauche wälze,
Denn nicht sitzen kann ich, wie man gemeinhin pflegt zu sitzen,
Allzu kräftig zerbleut von Garibaldi.
Auch du, Väterchen, wiewohl heilig, könntest nimmermehr,
So zerwalkt, auf dem Sammet deines Stuhles sitzen. 253
Meines eigenen Landes Rebellen hänge, kartätsche, füsilier' ich,
Wie dir bekannt ist, spielend, so wie man Kegel wirft mit Kugeln.
Garibaldi, den Teufel, kann nur der Teufel holen.
Holt er ihn nicht, so gehe du, Väterchen, gefälligst
Etwas zur See und tummle dich dort, hierzulande
Schütz ich dich länger nicht, allzuviel Schmerz schon leidend durch Prügel.«

Aufs höchste geängstigt, rief der Papst nun Antonelli, machte ihm Vorwürfe, daß er sich seiner Sache nicht genügend annehme, klagte ihm, daß er den Teufel benötige, um Garibaldi loszuwerden, sich aber nicht traue, ihn zu rufen und ihm den Auftrag dazu zu geben. Antonelli entgegnete:

»Rede nicht wie die Weiber, Mastai, die mich in solcher Weise verfolgen,
Immer mehr Dienstleistung verlangend, wiewohl ich mich redlich bemühe.
Was den Teufel betrifft, so lächern mich deine Bedenken!
Seine Excellenz hatte von jeher zu meiner Familie lebhafte Beziehungen
Und holte erst kürzlich meinen Oheim, den Räuberhauptmann, frisch vom Galgen.
Hört er mich rufen, wird er, wie ein Geier, der das Aas riecht, sofort erscheinen
Und Garibaldi den Hals umdrehen gegen ein mäßiges Handgeld.«

Auf einige Beschwörungen, wie sie in den Texten der Hanswurstkomödien seit alters üblich waren, machte der Teufel fauchend und prustend seine Erscheinung, weigerte sich aber, Garibaldi zu holen, wenn der Papst ihm nicht dafür seine Seele verschriebe, was dieser aus Furcht vor dem Höllenfeuer durchaus nicht wollte. Sein ängstliches Winseln unterbrechend bot Antonelli mit scheinbar großartigem Opfermut seine eigne Seele an, der aber ließ sich nicht hinters Licht führen, sondern erklärte, an einem gewissen brenzligen Geruch zu spüren, daß sie ihm bereits gehöre. In der Verlegenheit bot ihm der Papst 254 nacheinander die Seelen sämtlicher Kardinäle an, da aber der Teufel auf seiner Forderung beharrte, flüsterte Antonelli ihm zu, er verbürge sich dafür, daß die Seele Pius' IX. ihm nicht entgehen solle, und suchte laut seine Empfindlichkeit zu reizen, indem er die Vermutung äußerte, er fürchte sich vor Garibaldi. Während die übrigen Personen in reinem Italienisch sich gewählt, ja bombastisch ausdrückten, ließ der Herzog den Teufel im Mailänder Dialekt mit reichlicher Anwendung volksmäßig derber Redensarten sprechen, worüber Manara so herzlich lachte, daß die fröhliche Aufmerksamkeit der Zuhörer zeitweise von den Marionetten auf ihn abgelenkt wurde. Es wurde nun angenommen, daß der Teufel nach Rom komme, sich vor Garibaldis Quartier stelle und ihn herausrufe, worauf, nachdem er lange geschimpft und gehöhnt hatte, Garibaldi selbst auftrat, eine roh und eilig gemachte, doch völlig charakteristische Figur mit gewaltig ausgebreiteter gelber Mähne und schwarzem Federhut. Beim Anblick dieser Puppe brachen die Anwesenden in jubelndes Lachen aus, riefen Evviva und klatschten Beifall, als ob es Garibaldi selbst wäre, der seinerseits sichtlich belustigt war und sich freute. Den Abschluß des Stückes bildete, daß Garibaldi den Ruhestörer hart anließ, dann, als er den Teufel erkannte, ihm kurzweg den Rücken drehte und sagte, die kleineren Gegner pflege er seinem Sklaven zu überlassen. Gleich darauf kam der Mohr Aghiar, dessen Erscheinung den Teufel in höchsten Schrecken setzte, da er, mit Anspielung darauf, daß die Neapolitaner in der Schlacht bei Velletri, als sie den Mohren sahen, schrien, es sei der Teufel, und davonliefen, sich doppelt zu sehen glaubte. Der Mohr schlug ihn mit einer Keule tüchtig auf Kopf und Rücken, wie es im Kasperltheater der Brauch ist, bis er unter Geheul in die Hölle fuhr. 255

Im Verlaufe der Aufführung waren Mazzini, Pisacane, Gustavo Modena und auch Damen aus der Stadt gekommen und sahen in guter Laune zu. Manara ruhte nicht, bis einzelne Szenen, die ihm besonders gefallen hatten, wiederholt wurden. Dann folgte, auf allgemeines Bitten, ein andres Stück, die dramatische Geschichte eines Patrioten aus Ravenna, der vor einer Reihe von Jahren dem drohenden Tode dadurch entronnen war, daß er sich irrsinnig stellte. Das Komische lag darin, daß ihm die Art der Befreiung zugleich eine Genugtuung verschaffte; er fing nämlich während des Verhörs an, seinem Inquisitor, einem berüchtigten Kardinal, ins Gesicht zu sagen, was man, und besonders, was er über ihn dachte, geriet darüber, während er anfangs nur gespielt hatte, mehr und mehr in Feuer und schrie seinen Haß und seinen Glauben unaufhaltsam heraus, was nun wirklich als lichter Wahnsinn ausgelegt wurde, allerdings auch auf das Gutachten eines wohlmeinenden Arztes hin. Während aber, in der Vorstellung, der Angeklagte den Kardinal mit einigen auserlesenen Injurien überraschte, schlug eine Bombe in den Flügel der Villa, wo der Saal lag, ohne einen beträchtlichen Schaden zu verursachen außer dem Schrecken der Erschütterung. Der Herzog von Aquileja hielt den wankenden Puppenkasten fest und fuhr in seinen Deklamationen fort, ohne sich um den Lärm und die Unruhe, die in seinem Publikum entstand, zu bekümmern, wegen welcher Kaltblütigkeit ihn Garibaldi nach dem Schlusse der Aufführung belobte. Er lächelte mit dem Schelmenmunde, der wie ein Gaukler beständig in geschmeidiger Bewegung war, und sagte: »Ich habe das Krachen für den Donner des Beifalls gehalten.« Auf Garibaldis Frage, ob er ihm das Vergnügen, das er soeben genossen habe, nicht in irgendeiner Weise erwidern könne, sagte er, er sei Barbier 256 und habe den großen Wunsch, daß, wenn der General sich einmal wieder wollte die Haare schneiden lassen, er sich dazu seiner Hände bedienen wollte. Nun drängten sich die Damen um ihn, die dem Gespräche zugehört hatten, um Locken von Garibaldis Haupte zu bestellen, und ließen sich daneben nicht ungern von der Anmut seines Witzes bezaubern.

Als an einem der folgenden Morgen der Herzog von Aquileja um die Zeit des Sonnenaufgangs der getroffenen Verabredung gemäß sich anschickte, Garibaldi die Haare zu schneiden, und eben, bevor er angefangen hatte, die weiche goldbraune Masse in der Hand wog, wurde er von einem einschlagenden Geschoß so unglücklich getroffen, daß er noch im Laufe des Tages nach standhaft ertragenen Schmerzen starb. Er blieb andauernd bei vollem Bewußtsein und heiter. »Gott will sich seinen langen Bart abnehmen lassen, darum hat er mich gerufen,« sagte er zu den Kameraden, die bei ihm waren. »Es tut mir leid für euch, denn es ist ein schlechtes Zeichen, und ihr müßt euch auf böse Zeiten gefaßt machen. Mit der Revolution und der Freiheit in Italien ist es aus, das glatte Kinn wird wieder Mode werden, wenn der Herr selbst das Beispiel gibt.« Und zum Doktor Ripari, der ihn behandelte, sagte er mit einer nachlässigen Handbewegung, die ihm eigen war: »Laß sein, ich kann den Alten oben nicht warten lassen. Die Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige, und ich bin es meinem Namen schuldig, auf die Minute zu kommen, wenn ich bestellt bin!« Der Tod dieses Kameraden erregte große Betrübnis bei allen Regimentern.

*

Lucrezia Brunetti hatte einen Traum: sie stand auf der Zinne ihres Hauses vor der Porta del Popolo und überblickte von dort aus ganz Rom, wie wenn sie sich auf dem höchsten Hügel befände. Es 257 war dunkel, und sie glaubte, es wäre Nacht, da sah sie auf einmal, daß die Dunkelheit von einer schwarzen Fahne herrührte, die vom Turme des Kapitols herabhing; sie breitete sich wie ein niedriger schwarzer Himmel über Rom aus. Dieser Anblick erfüllte sie mit Angst, und sie spähte umher nach Menschen, die ihr sagen könnten, was geschehen sei und was die Fahne zu bedeuten habe; aber weit und breit waren Häuser und Gassen leer, und nun wußte sie es auch wieder wie etwas, das man bei Nacht im Schlafe vergessen hat, daß alle tot waren und Rom ein Grab. Plötzlich hörte sie das dumpfe Traben eines Pferdes und erblickte weit hinten in Trastevere – denn so weit konnte sie im Traume sehen – einen Reiter, der den Janiculus hinaufritt: es war Garibaldi. Die Mütze tief in die Stirn gezogen, ritt er langsam an der Kirche San Pietro in Montorio vorbei aus dem Tore von San Pancrazio in die Campagna hinaus, allein.

Angelo Brunetti, dem seine Frau ihren Traum erzählte, pflegte sie auszulachen, wenn sie ihren Träumen Beachtung schenkte, aber im Herzen glaubte er, daß etwas daran sei, und wurde durch sie heiter oder trübe gestimmt. Es litt ihn an keinem Orte und bei keiner Arbeit; am Nachmittag entschloß er sich, nach Garibaldis Hauptquartier zu gehen und seinen Sohn Luigi zu besuchen, den er auf Bitten Manaras, weil er einem seiner Söhne gliche, dort gelassen hatte, wo er allerlei kleine Dienstleistungen verrichtete. Nachdem er eine Weile mit dem Jungen geplaudert hatte, begab er sich zu Garibaldi, der auf dem Turme seiner Villa war; eine Wand desselben war fast ganz eingeschossen, doch erklärte der General den Schaden für nicht so erheblich, daß er deswegen auf seinen Lieblingsplatz verzichten sollte. Garibaldi war in heiterer Laune und empfing Brunetti mit der Mitteilung, er 258 habe einen Brief von seiner Frau, der Brasilianerin Anita, erhalten, wonach er sie in den nächsten Tagen in Rom erwarten könne. Er habe ihr geraten, in Nizza bei seiner Mutter und den Kindern zu bleiben, da sie aber aus den Zeitungen erfahren habe, wie gefährlich seine Lage sei, wolle sie sich nicht mehr zurückhalten lassen. Er sprach zärtlich von seinen beiden kleinen Söhnen und wie er sich darauf freue, seine Frau von ihnen erzählen zu hören. Unten in Nizza würde sie doch sicherer sein, meinte Brunetti; doch Garibaldi entgegnete, er schlage seine Frau nicht niedriger als sich selbst an, indem er sie zur Sicherheit verdamme, wo er für sich die Gefahr wähle. Stören würde sie nicht im Lager, denn sie sei tapfer und umsichtig wie irgendein Mann, dränge sich nie vor, greife aber zu, wo es gelegen sei. Uebrigens, sagte er, denke er noch nicht daran, an Italiens Geschicken zu verzweifeln.

Brunettis Gesicht heiterte sich auf, und er faßte sich ein Herz, den Traum seiner Frau zu erzählen; wie wenn er es selbst geträumt hätte, schilderte er das ausgestorbene Rom und den einsamen Reiter, der die Totenstadt verließ. Garibaldi hörte aufmerksam zu und sagte am Schlusse fröhlich: »Eure Lucrezia hat jenes wundervolle Ahnungsvermögen, das nach den Aussagen der Alten im Herzen mancher Frauen leben soll, und Ihr müßt ihr in meinem Namen danken. Vielleicht werden wir wirklich bald ausziehen und Rom als ein leeres Grab zurücklassen, das Hyänen und Räuber vergeblich durchwühlen werden; daß sie mich allein sah, ist, weil Träume in Bildern reden: ich war ein Bild für mein Heer oder für die Republik, oder laß mich sagen, für alle, die Italien mehr als sich selbst lieben.«

Brunetti sah den General erstaunt an ohne zu verstehen. »Heute melden die Zeitungen aus 259 Frankreich,« erklärte dieser halblaut, »die Niederlage der republikanischen Partei, und daß der Präsident den Vertrag der römischen Republik mit Lesseps für ungültig erklärte, dagegen alle Handlungen des Oudinot bestätigt hat; nun kann von außen keine Wendung zu unsern Gunsten mehr kommen. Ich habe lange gesonnen und eins gefunden, das uns retten kann: ehe die französischen Kanonen unsre Tapferen alle zusammengeschossen haben, müssen wir ihre Reihen durchbrechen und die Versammlung und Roms Heiligtümer in das freie Gebirge tragen. Dort können wir den großen Kampf wieder aufnehmen, und die Pfaffen mögen Roms leere Hülle in Ketten legen!« Sie besprachen die Möglichkeit der Ausführung eines solchen Unternehmens. Brunetti beteuerte, daß er alle Wege und Pfade um Rom wie die Gänge seines Hauses kenne und sich getraue, das Heer glücklich bis ins Gebirge zu führen. »Also, das wäre der Sinn des Traumes!« rief er mehrmals aus, nun völlig erheitert. »Wenn nur,« meinte er, »die Triumvirn es nicht anständiger finden, den Eroberer auf ihren Sesseln auf dem Kapitole sitzend zu erwarten.«

Unten im gemeinsamen Wohnraume fand Garibaldi Manara im lebhaften Gespräch mit einem schlanken Manne von gebieterischer Schönheit: es war Agostino Bertani, der Mailänder Arzt, von welchem man wußte, daß die Oesterreicher selbst das Krankenhaus, das er inmitten der Kriegswirren geschaffen und geleitet hatte, wegen der Ordnung und Zweckmäßigkeit, die dort herrschten, bewundert und alles Erdenkliche versucht hatten, um ihn in ehrenvoller Stellung festzuhalten. Garibaldi betrachtete ihn mit Beifall und begrüßte ihn herzlich; wenn er sein Talent und seine Tatkraft Rom widmen wolle, sagte er, werde er viel zu tun, viel zu nutzen und zu bessern finden. Gegen den pfäffischen Schlendrian in den Spitälern könne Geschick 260 und Liebe guter Frauen allein nicht aufkommen. Der Zustand sei allerdings schlimmer, als er erwartet habe, antwortete Bertani. Die Verwundeten stürben mehr an Vernachlässigung oder unverständiger Behandlung als an der Natur ihrer Wunden; er brenne darauf einzugreifen, doch habe Mazzini ihn ermahnt, vorsichtig schonend mit den ehemals päpstlichen Angestellten, insbesondere den Aerzten umzugehen, auf welche Weise es denn schwer sein werde, etwas auszurichten. Garibaldi zuckte unmutig die Schultern und sagte: »Ja, so ist es: erst meine Gerechtigkeit, mag Italien zugrunde gehen!« – »In diesem Falle glaube ich, daß er recht hat,« sagte Bertani, »und ich werde versuchen, soviel wie möglich Gutes mit der kleinsten persönlichen Unbill und mit Bitten statt mit Befehlen zu tun.« Bertani galt als stolz und befehlshaberisch und wurde wohl von seinen Kranken und Freunden geliebt, im allgemeinen aber gemieden; sein schweigsames und strenges Wesen stach von der Umgänglichkeit besonders der südlichen Italiener ab und wirkte auf viele seiner Landsleute abstoßend. Er fühlte leicht Geringschätzung gegen Eitelkeit, Geschwätzigkeit und große Gebärden, denen keine Tat entspricht, und war in seinem Innern nicht stark und reich genug, um nachsichtig zu sein. Eine zarte Gesundheit, die er, an sich selbst die höchsten Ansprüche stellend, so wenig wie möglich berücksichtigte, beeinträchtigte sein Leben und beschattete oft seinen Geist; überhaupt litt er zuweilen an tiefer Schwermut, die zum Teil darauf beruhte, daß ein Antrieb zu herrschen in seiner Natur lag und er sich selbst als dazu unzulänglich verurteilte. Einzig in seiner Stellung als Arzt trat er rücksichtslos gebietend und Unterwerfung verlangend auf, in allen andern Verhältnissen bemühte er sich, die Gleichberechtigung der andern anzuerkennen und zurückzutreten. Er war unverheiratet, da die Frau, 261 die er über alles liebte, die Seine nicht werden konnte.

Bertani war erst am Abend vorher, von Florenz kommend, in Rom eingetroffen. Er erzählte von seinen Erlebnissen: von dem Auszuge der Mailänder, die vor den zurückkehrenden Oesterreichern flohen, weil sie ihre Rache fürchten mußten oder ihren Triumph nicht mit erleben wollten. Wie Kinder, die nicht zusehen können, wie der Henker die Mutter erwürgt, sie doch nicht lassen können und so, abgewendet und zurückblickend, sich selbst zerreißen, wären diese Unglücklichen aus der geliebten Stadt gezogen. In Toskana dann hätte er Schwäche, Lüge und hohle Ruhmredigkeit miteinander ringen sehen, gesehen, wie betrunkene Bauern die Freiheitsbäume niederrissen, auf die Fahne mit den drei Farben spuckten und mit Kreide auf alte Mauern, Zeugen vergangener Größe, schrieben: »Nieder mit Italien!« Da hätte er daran gedacht, auszuwandern und in der Fremde Italien als tot zu beweinen, lieber, als es mit eignen Augen verwesen zu sehen; fast wider seinen Willen und zufällig hätten ihn Gerüchte von den Taten um Rom dorthin gezogen. »Als ich nun gestern um die Zeit des Sonnenuntergangs ankam,« erzählte er, »und die Götterstadt im himmlischen Feuer liegen sah, gegen die erprobte Kriegsmacht Frankreichs durch nichts als alte bröckelnde Mauern, besser durch die bloße Brust einer Schar von Römern, Lombarden und Sizilianern geschützt, da regte sich zum ersten Male wieder ein guter Geist des Glaubens in mir. Hier ist Italien, dachte ich, und wenn alle diese gefallen sind, wird es aus ihren Gräbern wachsen.«

Garibaldi drückte ihm die Hand. »Es fallen ihrer täglich sechzig bis siebzig,« sagte er, »wir haben genug geopfert.« Einem Gang durch die Verteidigungslinie, zu dem der General ihn einlud, schloß er sich gern an. Als sie eben aus der Villa in den Garten 262 traten, schlug eine Bombe in den schon stark beschädigten Aussichtsturm, und große Mauerstücke stürzten krachend herunter. »Noch trägt er mich,« sagte Garibaldi, indem er prüfend hinaufblickte; allein Manara meinte bedenklich, sie würden sich bald nach einem andern Quartier umsehen müssen. Der Nachmittag brannte, dicke weiße Wolken standen wie erstarrte Lawinen über den Hügeln. Wenn man aus den Häusern ins Freie trat, war es, als stürze einem Blei auf den Kopf, und vielen brach sofort Schweiß aus. Der kleine Luigi kam mit einer erstickten Bombe gelaufen, wofür ihm Garibaldi oder Manara jedesmal einen Skudo zu zahlen pflegten; er hatte sich eine außerordentliche Fertigkeit erworben, in den paar Sekunden, die vom Einfall der Bombe bis zur Explosion verstreichen, die Brandröhre abzubrechen oder herauszureißen, und war durch keine Warnung von dem waghalsigen Experiment abzuhalten, da er, wie er vertraulich verriet, zu großen kaufmännischen Unternehmungen ein Kapital sammeln wollte. Garibaldi faßte ihn bei der Hand und nahm ihn mit, um ihn auf diese Weise an weiteren Wagestücken zu verhindern. Von der ersten Bastion aus zeigte der General dem Gaste die beiderseitigen Stellungen, erklärte ihm die bisher vorgefallenen Kämpfe, besonders den verhängnisvollen Ueberfall des 3. Juni, und wies ihm die Stelle, wo Angelo Masina gefallen war. Bertani folgte aufmerksam mit leuchtenden Augen. »Ja, hier,« rief er, »wo der Tod herrscht, ist Italiens Leben. In jedem Augenblick verbrennt es hier in Feuer und aufersteht wie der unsterbliche Phönix.«

Auf der nächsten Bastion umstand eine Gruppe von Soldaten in munterer Bewegung einen Feigenbaum, der geschützt unterhalb der Mauer wuchs und in dessen Zweigen ein Papagei mit einem Kettlein am Fuße heftig hin und her lief. Dieser Papagei, 263 der den Namen Beppo hatte, war der verzogene Liebling des Heeres; sein hauptsächlicher Vorzug war es, daß er die Worte: »Maledetto Pio Nono!« auf deutsch: »Verdammt sei Pius IX.« deutlich und klangvoll sagen konnte, dazu belustigte er noch durch verschiedene andre Redensarten, die ihm beigebracht worden waren, und durch sein griesgrämiges, leicht zum Zorne geneigtes Wesen. Es hieß, er habe dem Doktor Ripari gehört, und dieser habe ihn den Fluch auf den Papst gelehrt und der Legion zum Geschenke gemacht, und obwohl dieser nichts davon wissen wollte, wurde behauptet, sie sähen sich sogar ähnlich; der Papagei war grau mit kleinen weißen Federn um die Augen herum und einigen schön grünen und karminroten Federn im Schwanze. In diesem Augenblicke waren infolge einer feindlichen Granate Staub und kleine Steine über den Feigenbaum geworfen, worüber der Papagei in leidenschaftliches Schimpfen ausgebrochen war, und zwar hatte er die beliebtesten Kraftwörter, die ihm von allen Seiten gelehrt waren, bunt aneinander gereiht, eine Auslese aus allen Gauen Italiens, wie sie in der Region vertreten waren; dies war die Ursache des Gelächters. Garibaldi kraute dem Tiere das gesträubte Köpfchen, sprach ein paar Worte auf brasilianisch zu ihm und erkundigte sich, ob es auch gut gepflegt werde; worauf ein Kanonier erwiderte, dem Papagei werde Futter wie einem Moloch zugetragen, denn er gelte als ein glückbringendes Heiligtum im Heere, und wer irgend Zeit habe, gebe sich mit ihm ab und bringe ihm Leckerbissen. Sie standen noch im Gespräche, als eine Bombe zwischen ihnen in den Boden schlug: blitzschnell warfen sich die Soldaten zur Erde, während Manara Bertani hinter einen Vorsprung der Mauer zog, Garibaldi blieb ruhig stehen. Die Bombe krepierte, ohne, mit Ausnahme einer geringfügigen Verwundung, Schaden anzurichten; die aufspringenden Soldaten sahen, 264 wie der General den Staub abschüttelte, mit dem er bedeckt worden war, und riefen, augenscheinlich erschüttert: »Evviva! Evviva Garibaldi!« Dieser sagte lächelnd gegen Bertani und Manara: »Ihr müßt nicht glauben, daß ich mich brüsten will; aber ich habe erfahren, daß es Liegende wie Stehende trifft, und bleibe darum, wie ich bin.«

Am Tore, durch das Bertani wieder in die Stadt hinunter wollte, trafen sie auf eine Abteilung Soldaten, die kommandiert war, einen Spion zu erschießen, der dabei ertappt war, wie er über die Mauer Briefe ins feindliche Lager hinuntergelassen hatte. Der Mensch gehörte der sogenannten päpstlichen Familie an und befehdete die Republik auf seine Weise, weil er fürchtete, durch sie sein kleines Amt zu verlieren; von Politik verstand er nicht viel. Er war ein launiger Mann und auch in den letzten Augenblicken gut aufgelegt; eifrig gestikulierend ging er zwischen den Soldaten und erklärte ihnen, er habe etwas Löbliches getan, indem er versucht habe, seinen Kindern das Brot zu sichern, anstatt dafür belohnt zu werden, schieße man ihn tot, so sei die Welt, er fürchte, im Himmel werde er auch Enttäuschungen erleben, und dergleichen Geschwätz mehr. Garibaldis Stirne bewölkte sich, er blieb vor dem Tore stehen, betrachtete die Zerstörungen, die dem Gebäude durch die Beschießung bereits zugefügt waren, lobte seine guten Verhältnisse und die etwas steife, aber nicht überladene Pracht seiner Verzierung und erkundigte sich nach der Stilart, worüber Manara einige Aufklärungen zu geben wußte. »Was für ein Unsegen ist der Krieg,« sagte er, »der in Stunden vernichtet, was Jahre und Jahrhunderte mit Sinn und Lust geschaffen haben. Fluch denen, deren Habgier ihn über unser Land entfesselt hat!« Nachdem er dann angeordnet hatte, wie der Bogen durch Matratzen einigermaßen vor weiterem Schaden geschützt 265 werden solle, trennte er sich von Bertani und Manara, der seinen Landsmann in die Stadt begleitete.

Garibaldi ging dem Vascello zu, schickte aber vorher den kleinen Luigi, der noch an seiner Hand ging, mit einem Auftrage in die Savorelli, um ihn keiner Gefahr auszusetzen. Bevor er ging, faßte sich der Kleine ein Herz zu einer geheimnisvollen Frage: ob es wahr sei, was die Leute sagten, daß er, Garibaldi, unverwundbar sei und deshalb den Geschossen nie ausweiche, als ob es Hagelkörner wären. »Glaube das nicht,« sagte Garibaldi flüsternd, indem er sich zu dem Knaben niederbeugte, »dir will ich sagen, wie es ist: die Kugeln tun mir nichts, weil meine Mutter für mich betet.« Luigi nickte wichtig verständnisvoll und sprang davon. Es war Abend geworden, ein leichter Wind zerteilte die Gewitterwolken, die sich jeden Nachmittag ansammelten, und verging dann wieder; die Wege schienen wie weißes Gestein durch die dunkeln Büsche. Dicht unter den Schanzen, die ausgebessert wurden, stand Spavone und hielt eine Leichenrede auf den Spion, der eben erschossen wurde; als Garibaldi näher kam, dämpfte er seine Stimme, gestand aber doch auf Befragen dem General die Wahrheit. Der stand einen Augenblick überrascht, dann sagte er: »Du hast recht, er war unser verirrter Bruder und ist unsrer Teilnahme wert,« und steckte ihm ein Geldstück zu, das der Spitzbube, mit stummem Dank die Augen verdrehend, in die Tasche schob.

*

Die Hitze begann täglich mit dem Aufgang der Sonne und milderte sich nur wenig nach ihrem Untergange, wodurch die Erschlaffung, die infolge der langen Belagerung um sich zu greifen begann, vermehrt wurde; diejenigen, welche ihre freien Stunden nicht in der Stadt zubrachten, suchten den Schatten einer Kanone 266 oder eines Baumes und blieben dort liegen. Noch kamen täglich Flüchtlinge aus verschiedenen Provinzen Italiens, denn Rom und Venedig ragten wie zwei hohe Klippen aus wachsender Sintflut aus dem wiederum unterjochten Lande und lockten die Trotzigen und Verzweifelten, die irgendwo unter einer aufrechten Fahne Italiens weiterkämpfen wollten. Freudig begrüßt wurde der Oberst Ghilardi, der die Stadt Livorno tapfer gegen Oesterreich verteidigt hatte, bis er der Uebermacht hatte weichen müssen. Er bewarb sich, ungeduldig, den Kampf wieder aufzunehmen, um einen Platz unter Garibaldi und erhielt ihn; denn dem Ueberfluß an Offizieren war seit dem 3. Juni Mangel gefolgt. Seine Ankunft beglückte vor allen den Hauptmann Laviron, einen Belgier aus französischem Blute, der mit ihm befreundet war und in Paris mit ihm auf den Barrikaden gefochten hatte. Laviron, von Natur leichtlebig, ein wenig eitel und ruhmredig, gutherzig und gefällig, war in Rom kleinlaut und oft niedergeschlagen, weil das Vorgehen seiner Landsleute gegen das freisinnige Italien sein Gewissen bedrückte. An allem Leiden und Sterben, das er sehen mußte, fühlte er sich mitschuldig, das freundschaftliche Vertrauen, das seine Kameraden ihm entgegenbrachten, wagte er kaum anzunehmen und büßte jeden Anfall seines angeborenen Uebermutes mit grundlosen Selbstvorwürfen. In dieser Stimmung, die an ihm doppelt trübe schien, weil sie seinem Temperamente fernlag, schloß er sich eng an Ugo Bassi, der es an sich hatte, daß man sich vor ihm keiner Empfindung und keiner Klage schämte.

An einem der ersten Tage, nachdem Ghilardi angekommen war, wurde er dazu bestimmt, eine Note der Vertreter der fremden Mächte in das feindliche Lager zu tragen, die darüber Klage führten, daß die Kunstdenkmäler des aller Welt heiligen Rom durch 267 französische Bomben beschädigt würden, und Laviron und Ugo Bassi, der ein geheimes Geschäft in der Stadt hatte, begleiteten ihn hinunter, da er sich auf dem Kapitol seine Instruktion holen mußte. Ugo Bassi wollte in der Kirche der Bologneser beten, Gott möge sein Leben für Garibaldis annehmen; nicht daß er den Tod hätte suchen wollen, denn das hätte er für Sünde gehalten, aber wenn er unverhofft käme, wollte er ihn als ein Zeichen begrüßen, daß Garibaldi erhalten bleiben sollte.

Nachdem die Freunde zusammen nach Trastevere geritten waren und Ugo Bassi nach der Kirche Santi Giovanni e Petronio abgebogen war, glaubte Laviron zu bemerken, daß sie viel weniger vom Volke begrüßt wurden als vorher, und schob es darauf, daß Bassi mit seiner roten Bluse fehle, die ihn als Garibaldiner bekannt machte. Zum Erstaunen der Kameraden kam er in roter Bluse statt in Uniform in das Lager zurück; Ghilardi verriet den Grund und erzählte, scherzhaft übertreibend, wie sein Freund in der neuen Tracht sich kaum Bahn durch das zujubelnde Volk habe machen können. Lavirons treuherzig prahlerisches Gesicht strahlte von Genugtuung, er trug den Kopf hoch und ging mit schwungvollen Schritten, ohne sich durch die Neckereien der andern stören zu lassen. Wo er sich zeigte, wurde er mit Händeklatschen und Evvivarufen empfangen, und obwohl er wußte, daß es Scherz war, ging er hierhin und dorthin, um den Beifall immer von neuem hervorzurufen.

Ghilardi begab sich von der ersten Bastion in das französische Lager und hatte sich kaum hundert Schritte entfernt, als ein paar feindliche Kugeln, die augenscheinlich auf ihn abgefeuert waren, an ihm vorbeiflogen; man mußte drüben den Parlamentär nicht in ihm erkannt haben. Die Kameraden, die sich eben von ihm verabschiedet hatten, erschraken, Laviron stellte 268 sich an einen ungedeckten Platz, um ihm besser nachsehen zu können. Man rief ihm zu, er solle von dort weggehen, seine rote Bluse biete den französischen Schützen ein Ziel, und Ugo Bassi war im Begriff, ihn, da er nicht folgte, mit Gewalt fortzuziehen; da stürzte er schon, getroffen, zusammen. Er stammelte einige Worte und versuchte Ugo Bassi, der bei ihm niedergekniet war und ihn umarmte, zu küssen, dabei lief ein krampfhafter Schauder über seinen Körper, und er starb. Ugo Bassi behielt ihn in den Armen und betete über ihm, obwohl die Kugeln fortwährend die Stelle, wo er war, bestrichen; schließlich mußte er den dringenden Mahnungen nachgeben und den gefährlichen Platz verlassen.

Am Abend spielte die Regimentsmusik im Garten der Villa Spada, die der Savorelli gegenüber, aber etwas tiefer als diese lag. Die Töne waren weithin hörbar, in der Savorelli und auch im Vascello öffnete die Besatzung die Fenster, die nach jener Richtung lagen, um zuzuhören. Die Soldaten, die keinen Dienst hatten, tanzten nach der Musik oder sangen mit, wenn bekannte Melodien gespielt wurden. Unter einem breit auseinander gewachsenen, eine flache Laube bildenden Eichbaum saßen Morosini und Mangiagalli, der in einem kleinen Buche eifrig nachschrieb, was jener ihm vortrug. Mangiagalli, der seit dem 3. Juni Leutnant war, hatte sich das Ziel gesetzt, die geistige Ausbildung seiner nunmehrigen Standesgenossen zu erwerben, und seinen Wunsch dem jungen Morosini anvertraut, der sich freundlich bereit erklärte, dem Lernbegierigen sein eignes Wissen nach Möglichkeit mitzuteilen. Demzufolge erzählte Morosini in jeder freien Stunde die Geschichten der Griechen und Römer, erklärte das Götterwesen und beschrieb die Denkmäler des Altertums, trug Oden des Horaz und Stücke aus Dantes Göttlicher Komödie vor, und Mangiagalli hörte 269 und notierte beharrlich, leidenschaftlich und unerschrocken, ohne ein Wort zu verlieren und ohne je zu ermüden. Meistens gesellte sich auch Spronella zu den beiden und lauschte glückselig dem, was für sie ungeahnte Wunder waren; an diesem Abend indessen sah sie dem Maler Girolamo Induno aus Mailand zu, der, auf einem freien Platze sitzend, die Villa Savorelli mit dem Turme zeichnete, von dem Garibaldi herunterblickte. Das Haus hatte fast das Ansehen einer Ruine, besonders der Turm war von drei Seiten zerschossen, so daß er einem hohlen Backenzahne glich; die jungen Leute, die um Induno herum saßen, sprachen davon, daß der nächste Kartätschenschuß ihn stürzen müßte. Nahe bei diesen, doch verdeckt durch eine Kanone, saß der Mohr Aghiar, eine zierliche Dame mit dicken Haaren von auffallend rötlicher Farbe auf den Knien haltend, die ihm mit koketter Gebärde Süßigkeiten zwischen die glänzenden Zähne steckte; er war so gesucht von den Frauen, Römerinnen und Fremden, daß er kaum für eine jede Zeit zu einem Stelldichein fand, und seine Handgelenke, sein Hals und seine Ohren waren mit Schmuck behängt, den er geschenkt bekam. In der letzten Zeit hatte es den Anschein, als ob die Rothaarige alle andern aus seinem Herzen verdrängte, trotzdem überwog, als er den Maler an der Arbeit sah, die Neugierde seine Zärtlichkeit, und er ließ die Dame bei der Kanone sitzen, um das Bild entstehen zu sehen. Auch Mangiagalli und Morosini standen auf und kamen näher: der Gegenstand der Zeichnung fesselte alle. Die Sonne war eben untergegangen, und da nun die starke Blendung fehlte, traten die Figuren dunkelgolden aus dem hellen, ruhigen, vollkommenen Lichte, wie schöne Bilder außer Zeit und Schicksal. Indes seine Blicke zwischen der Savorelli und dem Blatt, auf dem er zeichnete, hin und her flogen, sagte Induno: »Wenn ich ihn gebeten hätte, 270 mir zu einem Bilde zu sitzen, könnte es nicht besser sein als jetzt. Könnte ich ihn malen, so wie er dasteht, versunken in die Stille eines großen Gedankens, unendlich fern von der Schönheit und Vernichtung, die ihn dicht umgeben!« – »Was mag er denken?« fragte Spronella leise. »Was es auch sei,« sagte Carlo Gorini aus Mailand, »es ist wie das Himmelsgewölbe, grenzenlos in Tiefe und Weite wogend, aber scheinbar bestimmt und einfach.« – »Vielleicht denkt er an die Zukunft Italiens,« meinte ein andrer. Der Mohr, der das Gespräch aufmerksam verfolgt hatte, schüttelte den Kopf, zeigte in einem überlegenen Lächeln seine blanken Zähne und sagte: »Er denkt nicht, er hört das Meer rauschen.« Alle blickten erstaunt auf den Schwarzen, und obwohl sie lächeln mußten, kam es ihnen so vor, als habe er ein besonderes Wissen von dem rätselhaften Manne droben, so daß niemand etwas entgegnete.

In diesem Augenblicke bewegte sich Garibaldi, beugte sich über die zertrümmerte Brüstung des Turmes und verschwand dann nach innen, vermutlich durch eine Unruhe bewogen, die dadurch entstanden war, daß von den Soldaten, die auf der breiten Freitreppe lagerten, einer durch eine explodierende Bombe zu Tode getroffen war. Die übrigen blieben liegen, weil es ihnen dort bequem und kühl war, und widersetzten sich einem anwesenden Offizier, der sie mit Hinweis auf die Gefährlichkeit des Platzes entfernen wollte.

Um zehn Uhr verstummte die Musik und auch das Rollen der Geschütze. Alles schlief bis auf die Wachen, die gespannt in die Stille horchten; denn in der letzten Zeit hatten die Franzosen fast in jeder Nacht hier oder dort einen Ueberfall versucht.

*


 << zurück weiter >>