Ricarda Huch
Die Verteidigung Roms
Ricarda Huch

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Garibaldi hatte die flüchtenden Franzosen verfolgen und womöglich vom Meere abschneiden wollen, aber die Regierung, von der er abhing, billigte den Plan nicht und hintertrieb ihn. Mazzini äußerte sich den beiden andern Triumvirn gegenüber folgendermaßen: Garibaldi, dem vor allem der Erfolg des Tages zu danken sei, habe die erste Stimme in Angelegenheiten des Krieges; auch leuchte ihm selbst wohl ein, daß der Feind im Augenblick, wo er verwirrt und betäubt sei, einem vernichtenden Schlag nicht ausweichen könne, daß er aber, wenn man ihm Zeit lasse, sich sammeln und mit verdoppelter Streitkraft und Kampfesmut zurückkehren könne. Dennoch müsse er dies Bedenken äußern, ob mit einem solchen Schlage viel gewonnen sein würde? Ob Frankreich nicht ein neues, größeres Heer, als dieses sei, gegen Rom senden könne, wenn es wolle? Er glaube, Rom könne nur dann gerettet werden, wenn es gelinge, Frankreich sich aus einem Feinde zum Freunde zu machen. Ob das möglich sei, 154 wisse er nicht, wolle man es aber versuchen, so könne man es nur, wenn man die Eitelkeit und Ehrliebe der Nation schone und sie nicht noch mehr demütige, um ihnen die Versöhnung nicht allzu schwer und Rache zur scheinbaren Pflicht zu machen. Armellini billigte lebhaft, was Mazzini gesagt hatte. Er zweifle nicht daran, sagte er, daß Garibaldi ein mutiger Anführer sei, und das Heer möge seinen Abgott haben; aber dem Soldaten eine Stimme in Staatsgeschäften einzuräumen, würde törichte Schwäche sein. Er hätte von jeher die Entzweiung mit Frankreich beklagt und freundliche Vereinbarung herbeiführen wollen; vielleicht wäre es gelungen, wenn man Vertrauen gezeigt und sich nicht durch die Bravaden eines unbedachten Schwätzers hätte beirren lassen. Dem römischen Stolze sei nun genug getan, jetzt gelte es sich weise zu mäßigen. Frankreich müsse in kurzem zu einer Politik der Unabhängigkeit und des Freisinns zurückkehren, ein störender Einfluß, der mit trüben Mitteln herrsche, müsse überwunden werden, die beiden lateinischen Republiken würden sich verbinden und der Welt das Licht der Kultur vorantragen.

Mazzini hörte unruhig und ungeduldig im Innern zu; er überschaute klar, was in Armellinis Geist an Begriffen und Wünschen, eine kleine, enge, geordnete Welt, beieinander war, es reichte nicht aus für die Zeit, die Lage und die Menschen, und es war ihm unlieb, seine Neigungen für sich zu nützen; dennoch widersprach er ihm nicht. Er glaubte weder an Frankreichs noch an einer andern Macht uneigennützige Freundschaft und Hilfe, aber er sah keinen Ausweg für Rom, als eine Verständigung mit dem zweideutigen Gegner. Es gab Männer im französischen Parlament, die unaufhörlich den pfäffischen Feldzug bekämpften; täglich konnten sie den Sieg davontragen, und bitter wäre es dann für Rom, den Frieden durch Siege verscherzt zu haben. 155 Zugleich indessen fühlte er alles, was seiner Einsicht Lebendiges widersprach: Es war ein großes Auferstehen in allen Herzen, das naturgewaltig vorwärts drängte, und er fühlte, wie den Soldaten die Hand auf der Waffe zucken und wie es den Mann, der sie beherrschte, dahin ziehen mußte, wo die unerbittliche Göttin winkte. Aber er glaubte diese persönlichen Gefühle nicht betonen zu dürfen, und so wurde nach seinem und Armellinis Vorschlage entschieden. Im Parlament war so wie so im allgemeinen der Grundsatz angenommen, daß Rom sich auf die Verteidigung beschränken solle, um immer im Rechte zu sein und die großen Mächte, deren Beifall retten und deren Ungunst vernichten könne, nicht zu reizen. Auch fiel in die Wagschale, daß der Ruhm Garibaldis die Republikaner ängstigte, die den Verdacht hatten, das niedere Volk würde im Grunde froh sein, wieder einen Herrn zu haben.

Indessen, daß Garibaldis Absichten in solcher Weise durchkreuzt wurden, verstärkte nur die Gefahr, die das Parlament fürchtete. Hauptmann Daverio, der als ein einfacher, der Verstellung unfähiger Mann ausgeforscht wurde, sprach es ohne Bedenken aus, daß fast alle Offiziere Garibaldis der Ansicht wären, Rom könne nur gerettet werden, wenn er die Diktatur erhielte. Es hätte sich am gestrigen Tage gezeigt, wie viel Unzuträglichkeit es hätte, daß das Kommando nicht in seiner Hand läge. Keiner außer Garibaldi hätte mit so knappen Mitteln den Sieg erringen können: sie würden ihm zugeteilt, als wolle er sie nicht zur Verteidigung der Republik, sondern gegen sie gebrauchen. Von ihm hänge aber die Dauer der Republik ab, darum dürfe er von niemandem abhängen.

Die Abgeordneten, die anwesend waren, fuhren auf. »Wenn das geschähe,« rief Sterbini, »wenn Garibaldi Diktator würde, gäbe es keine Republik mehr, und es wäre nichts mehr zu verteidigen. 156 Jedermann weiß, wie hoch ich Garibaldi schätze, aber ich täte es nicht mehr, wenn ich ihn für keinen guten Republikaner mehr halten könnte. Die Sachen liegen nicht immer zwischen Heer und Heer, sind nicht immer mit dem Säbel zu durchhauen. Im Heer soll er herrschen, er allein, das ist das Recht seiner Feldherrngröße und seiner Vaterlandsliebe; wenn er höher hinaus will, verscherzt er sein Ansehen, anstatt es zu vermehren.« Das ängstliche Sichverwahren des Parlaments machte keinen Eindruck auf Daverio, um so mehr was Mazzini, den er verehrte, sagte. Zwar schien auch das ihm darauf hinauszulaufen, daß er Garibaldi nicht genügend kenne und verstehe, oder die Bedeutung der kriegerischen Dinge unterschätze; aber er war ein Mann, der das Gute und Große fühlte und hochhielt, ohne daran zu kritteln, und wagte deshalb seine Ansicht gegen Mazzini nicht gewaltsam durchzusetzen. Auch sah er ein, daß die Versammlung einer Diktatur Garibaldis niemals geneigt zu machen sein würde; befragt, wie er glaube, daß Garibaldi die Nichtbeachtung seiner Ansprüche aufnehmen werde, sagte er grollend, das wisse er nicht, es könne leicht sein, daß er ihnen sein Brevet vor die Füße würfe.

Inzwischen war Garibaldi einer Einladung des Angelo Brunetti gefolgt, dessen Frau sich die Ehre nicht nehmen lassen wollte, den Sieger zu bewirten; denn auch die Weiber und alle Leute, die sich unheimisch und gottverlassen in Rom gefühlt hatten ohne Papst, söhnten sich am 30. April mit der Republik aus, an deren Spitze sie nun Garibaldi als einen neuen Heiligen Vater sahen. Der gefeierte Gast plauderte galant mit der schönen Frau, aß und trank wenig und wendete sich bald ganz den Kindern zu, die sich Schritt für Schritt näher an ihn heranwagten. Lorenzo und Luigi erzählte er von Schiffbrüchen und Seeschlachten, der kleinen Maria, die noch nicht schreiben 157 konnte, malte er Buchstaben vor, unermüdlich ihr planloses Kritzeln verbessernd und das runde Fäustchen mit dem Stift behutsam herauf und herunter führend. Bei dieser Beschäftigung trafen ihn einige ihm besonders ergebene Abgeordnete, die es über sich genommen hatten, dem Gefürchteten gelinde zu unterbreiten, daß er aus Gründen innerer Politik auf eine Vermehrung seiner Gewalt verzichten möge. Ohne sich stören zu lassen, ging er auf ein gemächliches Gespräch mit ihnen ein, als er aber merkte, daß sie zu ihrem Auftrage kommen wollten, unterbrach er sie etwas unwirsch, indem er sagte, sie möchten ihre Worte sparen, die Regierung habe eine andre Meinung als er, die Folge würde zeigen, wer recht gehabt habe; jetzt wolle er nichts mehr von der Sache hören.

Die Versammlung war zufrieden, daß es so abgelaufen war; doch glaubten die meisten, Garibaldi habe die Fassung, die er gezeigt habe, nur erheuchelt und warte auf eine Gelegenheit, wo er, vielleicht der Volksmasse noch sicherer als im Augenblick, die Ansprüche seiner Herrschsucht erneuern und durchsetzen könnte.

*

An einem der ersten Maitage versammelte Garibaldi seine Truppen im Parke der Villa Borghese vor dem Tore del Popolo, um auf täuschenden Umwegen in den Süden zu gelangen und den König von Neapel, der mit seiner Armee die Grenze überschritten hatte, zurückzuwerfen.

Steh wieder auf, totes Heer, gleite noch einmal wie ein Echo stolzer Märsche über die veilchenblauen Hügel, die Zypressen und Rosengewinde schwärmerisch umkränzten! Steige aus deinen Gräbern, den versunkenen und vergessenen in der Heide, und tauche deine entseelten Hände in den Frühling, mit dem du siegtest und starbest! 158

Wie Trompetenstöße fährt Garibaldis Legion vorüber. Die schwarze Feder nickt auf das braune Gesicht, der Mantel weht, die Hand späht am Degen; es sind Verbannte und Fremdlinge und Abenteurer, welche die Heimat suchen. Sie sind schweigsam und haben wilde Träume und rasen vor Mut in glücklichen Schlachten; wie dunkle Wolken mit goldenen Rändern am Feuerhimmel jagen sie durch die gewitternde Zeit.

Die mit hellen Hörnern marschieren, sind die Bersaglieri. Kühn und lustig und getreu klopfen ihre Herzen, flink und leicht fliegen ihre Füße. Wie sind sie voll Mutwillen und Leichtsinn und Jugendblut! Kein Geschick ficht sie an, ihr Lachen fliegt an heiteren und wilden Tagen und läßt sich nicht fangen, bis der beinerne Pfeil des dämonischen Schützen es trifft und welk in den Staub tritt.

Herrlich wie Wasserstürze aufrauschen, galoppieren die Reiter Masinas. Lange Mähnen wallen spiegelnd über den blanken Hals der Pferde. Die Söhne der fetten Bologna halten sich festlich; sie haben wuchtige Arme und ein starkes Herz und glauben nicht, daß ihre Sonnen untergehen. Die mit wehenden Locken um leuchtende Stirnen, welche die Brust mit der dreifarbigen Schärpe umwunden haben, sind die Studenten. Sie drängen sich glühend zum Opferaltar, wirbeln die Fackel ihres Lebens hoch in der Luft und werfen sie mit großem Schwunge nieder, die fallend erlöscht. Ein Haufen ungeselliger Fratzen streicht vorbei, mit Banditenhut und gezacktem Bart, das Messer im Gürtel. Sie haben Lust am Blut und keine Freude am Leben, wie wilde Tiere lauern sie dem Gegner auf und schleichen knirschend am Freunde vorüber. Aber dort, was für eine behende Schar sind jene, die den Säbel stolz und feierlich wie Knaben ein Spielzeug tragen? Kinder Italiens! Sie schlagen sich furchtlos wie 159 Helden und grimmig wie fauchende Katzen, und wenn die Schlacht aus ist, wetten sie in Spielen und lachen zu Schelmenstreichen; nachts träumen sie von der Schule und denken heimlich an das Weinen einer armen Mutter.

O Heer des Frühlings! Er liebte dich, weil du mit ihm sterben solltest! Er kränzte deine Stirn mit Rosen und Lorbeer, die sich mit ihm neigen und in Feuer verzehren sollte. Er überschüttete die quellende Erde mit Narzissen und Lilien, die dich begraben sollte, und entblätterte Tag für Tag die Krone der Sonne, damit deine Wege von rotem Ruhme rauschten. Er sang in Pinienhainen Lieder der Liebe und Heldengesänge, damit du melodischen Schrittes mit ihm hinunterstiegest in die Nacht. O Heer des Frühlings, er berauschte dich mit Sieg und Freiheit, ehe er dein Herz zerriß, um mit dir zu verbluten!

*

Im Stabe Garibaldis befand sich ein Schwabe, Gustav von Hofstetter, der in seiner Heimat an der liberalen Revolution teilgenommen hatte und nach ihrem Niedergange erst in die Schweiz und dann nach Italien ausgewandert war, um unter der Fahne der Freiheit, wenn auch im Auslande, zu kämpfen. Er hatte ein nachdenkliches Gesicht und beobachtete die Welt mit Liebe aus ernsten Augen, die einem von schwarzen Tannenwäldern umgebenen tiefen Weiher glichen; man konnte sie für unveränderlich sanft und heiter halten, bis einer seine Empfindlichkeit reizte, dann wehrte er sich so bissig, daß man sich hütete, ihn wieder anzugreifen. An diesen wandte sich Masina, als die Truppen abzumarschieren begannen, mit den Worten: »Ihr seht wie ein verschwiegener und träumerischer Mann aus, mit dem sich ernstlich von Liebessachen reden läßt. Wollt Ihr der Not eines aus Liebesflammen wehklagenden Herzens beispringen?« 160 Der Deutsche antwortete gutmütig: »Warum nicht? Soll ich einen Guß kalten Tiberwassers darüber schütten?« worauf Masina, die Brauen hochziehend, erwiderte: »Das Mittelmeer würde kaum genügen!« und folgendes erzählte: Er war kurz nach seiner Ankunft in Rom eines Abends am Theater Metastasio vorbeigegangen, wo Gustavo Modena aufgetreten war. Ein Schwall von Menschen drängte den Ausgängen zu, wo die Wagen unter dem Geschrei der Kutscher vorfuhren; in diesem Wirrsal sah er eine Dame stehen, deren schwaches Rufen unbeachtet verhallte. Gerührt von ihrer Gestalt, die, schmal und sehr elegant, doch etwas hilflos Kindliches hatte, machte er sich Bahn zu ihr und führte ihr einen offenen Wagen zu, in den sie nach kurzem Zögern einstieg, obwohl, wie es schien, die eigne Karosse sie erwartete. Der eine Blick, den sie dabei wechselten, spann ein Band zwischen ihnen, das sie nicht sogleich zerreißen mochten, und sie verwehrte ihm nicht, neben ihr zu reiten. In der warmen Nacht, die sie umgab, schmolzen die Formen und Masken des gemeinen Lebens: sie fühlten sich allein miteinander auf einem Zauberfeste, wo Träume reifen und Sehnsucht Gesetz ist. Er fand den Mut, sie zu fragen, ob sie ihn lieben könne, sie fand keinen, nein zu sagen; seitdem trafen sie sich fast jede Nacht. Sie verschwieg ihm ihren Namen, ihren Stand, ihre Verwandtschaft und Lebensweise, um, wie sie sagte, ihm gegenüber eine nackte, heimatlose Seele zu sein, die demütig die ganze Aussteuer des Lebens von seiner Liebe empfange; deshalb nannte er sie Trovata, das Findelkind. Da er nicht wußte, wie sie hieß, noch wo sie wohnte, konnte er ihr keine Botschaft schicken, auch hatte sie ihm verboten, ihr mehr zu schreiben, als sich auf ein Blatt ritzen ließe; doch sehnte er sich, ihr ein Zeichen zu geben, und meinte, daß er sie in einer gewissen Kirche, wo sie jeden 161 Morgen die Messe hörte, und wo sie sich auch schon getroffen hatten, einen Brief könnte finden lassen, ohne daß es ihr gefährlich würde.

Da sie gerade an einer Gartenmauer entlang ritten, über die hinaus Aloe und die felsgrauen Blätter und Strünke der Agave starrten, deutete Hofstetter darauf hin und sagte, er möge ein solches als Brief benutzen, es hätte ein ganzes Sonett darauf Raum, und niemand würde es bemerken, nur ihr Auge würde vielleicht die Ahnungskraft der Liebe anziehen. »Ich hätte nicht geglaubt, daß ein Schwabe einen so glücklichen Einfall haben könnte!« rief Masina froh verwundert, indem er mit dem Säbel ein fleischiges Aloeblatt herunterhieb; nun möge Hofstetter ihm auch raten, was er darauf schreiben solle, nicht viel, zwei oder drei Worte, gleichsam ein Blutstropfen aus seinem Körper auf das grüne Pergament gefallen. Der Deutsche besann sich eine Weile und schlug dann die Worte vor: »O, meine Gefundene, mögest du mir nie Verlorene heißen!«, die Masina, obwohl sie ihn zuerst befremdeten und ihm seiner Empfindung nicht zu entsprechen schienen, billigte. Er zog einen kleinen spitzen Dolch aus seinem Gürtel und ritzte den Satz, den Hofstetter ihm langsam vorsprach, mit ungefügen Lettern auf das Blatt, so daß sie es ganz ausfüllten.

Im freien Felde, wo sie sich jetzt befanden, trafen sie einen berittenen Hirten, der Masina als Bote geeignet erschien: der Mann, der finster und blöde aussah, schüttelte den Kopf und sagte, er dürfe seine Herde nicht verlassen, doch hätte er einen Buben, mit dem sie reden könnten. Der Junge kam in scheuer Neugierde unter dem Strohzelt hervorgetreten und hörte aufmerksam an, was Masina ihm einprägte. Ob das etwas Unheiliges sei? fragte er, ängstlich auf das Blatt deutend, während seine Augen mit 162 funkelnder Habgier über ein Goldstück huschten, das Masina aus der Tasche gezogen hatte. Der zeigte sich entrüstet: ob er glaube, daß er ein Heide, ein Kirchenschänder, ein Republikaner sei? Es handle sich vielmehr um ein hochheiliges Gelübde, und der Junge werde für das Heil seiner eignen Seele arbeiten, wenn er bei der Ausführung desselben behilflich sei. Das schwarze Gaunergesicht glänzte auf, er versprach, den Auftrag pünktlich auszurichten, verbarg das Blatt ehrfürchtig in seiner Tasche, steckte das Goldstück nachlässig in eine andre und machte sich auf den Weg. Masina rief ihm noch einmal den Namen der Kirche und der Kapelle nach, wo er das Blatt niederlegen sollte, und eine Mahnung, das gegebene Versprechen zu halten. »Hier auf der Stelle soll mich der heilige Blitz des Himmels niederschlagen, wenn ich dich betrüge!« rief der Junge, winkte lächelnd mit der Hand und schlängelte sich behend durch das hohe Gras der Heide. Hofstetter meinte, dem Burschen nachblickend: »Wenn wir ihm aufgetragen hätten, Mazzini umzubringen, hätte er das auch, vielleicht um dasselbe Geld, besorgt.« – »Möge er nur nicht zur Hölle fahren,« rief Masina vergnügt, »bevor er das Blatt an seinen Ort besorgt hat.«

Im Weiterreiten erkundigte sich Masina, was den Deutschen bewogen habe, die römischen Kämpfe, die ihn seiner Meinung nach nichts angingen, mitzumachen. Es sei das nicht anders, antwortete Hofstetter, als wenn ein Italiener in Venedig, Sizilien, Spanien oder Griechenland kämpfe, wie viele getan hätten. Auch habe jeder Deutsche außer der Heimat, die ihn geboren habe, eine zweite, Nährmutter seines Geistes, das Land der Griechen und Römer; wenn er zum erstenmal dorthin komme, glaube er wiederzukehren, wie in einen Kindergarten, aus dem er zu früh hinaus gemußt, um die Erinnerung daran im 163 Bewußtsein zu tragen, die dennoch unverloren in ihm mitschwinge und dufte. Da er nun seiner natürlichen Heimat durch die Härte der Zeit entfremdet sei, habe er die zweite aufgesucht und werde nun wohl sein Leben lang ruhelos zwischen zwei gleich starken Polen schweben.

Masina blickte mit stolzen Augen um sich und sagte, sein Pferd zügelnd: »Hier ist der Ruhepunkt des Herzens! Hier liegt das Kind still zwischen Himmel und Erde eingebettet und staunt gesättigt in das schaffende Licht. Seht, wie die amethystene Kette der Berge leicht am gebogenen Himmelsrande fließt! Seht, wie die Reben sich von Baum zu Baum winden, wie hochgeschürzte Kleider tanzender Mädchen! Seht, wie der Silbermantel des alten Oelbaumhains königlich müde von jenes Abhangs Schulter herabwallt! Dies Land ist ein schöner Leib, den brünstige Götter mit Liebeszauberzierat behängten.«

Sie hatten sich mittlerweile einer Gruppe von Reitern genähert, unter denen Garibaldi war, dessen Schönheit, wie er, ganz Nerv und Feuer, marmorn unabänderlich auf einem ausgreifenden Pferde ruhte, Masina so betroffen machte, daß er seine Betrachtungen unterbrach und ausrief: »Wer weiß, ob Italien nicht allen Schmuck von sich täte wie die Mutter der Gracchen, und sagte: ›Es genügt mir, die Mutter Garibaldis zu sein!‹« Damit spornten die beiden Nachzügler ihre Tiere, um sich mit den Kameraden zu vereinigen.

*

Um die Abendzeit lagerte das Heer auf einer Lichtung in den Albaner Bergen, wo zwischen vereinzelten Eichbäumen und brennenden Ginsterbüschen das edle Geschlecht der Asphodelen blühte. Einer der Herren hatte einen Hasen durch das Gras laufen sehen und schlug eine Jagd vor, an der sich Masina, 164 Manara, Hofstetter und viele andre Offiziere beteiligten; Garibaldi, obwohl ein ausgezeichneter Jäger, machte nicht mit, sei es, daß er ausruhen oder daß er etwas bedenken wollte. Als die Truppen wieder im Marsche waren, bemerkte er im niedrigen Buschwerk ein Häschen, das sich, hinkend, mühsam fortzubewegen suchte, fing es ein, und da er sah, daß es an einer Pfote verletzt war, nahm er es mit sich, damit es nicht den Jägern oder einem Raubvogel wehrlos zur Beute fiele. Nach einer Stunde zog sich der Weg in einen Laubwald, dessen breite Zweige luftige Wölbungen bildeten und aus dessen Blättern und Stämmen heilsam belebender Wohlgeruch strömte. Beim Aufgange des Mondes, der noch nicht voll war, erhob sich nach und nach das Flöten der Nachtigallen, und es schien, da ihrer viele waren, die man nicht sah, als finge die Luft, von magischem Licht getroffen, zu tönen an. Garibaldi ritt allein, da die meisten Offiziere seines Stabes noch beim Jagen waren; nur der Mohr, der sich immer in seiner Nähe aufzuhalten pflegte, folgte ihm. Er hatte anfänglich die Ereignisse des kommenden Tages im Sinn, an welchem er auf den Feind zu stoßen rechnete; allein das flaumige Fell des kleinen Hasen und das furchtsame Herz, das gegen seine Hand klopfte, erinnerten ihn wieder und wieder an etwas weit Entferntes, Liebliches und Trauriges, und es fiel ihm endlich ein, daß dies eine Nacht in Montevideo war, wo er mit seinem erkrankten kleinen Kinde durch waldige Gegend zu einem Arzte geritten war. Es war ein kleines vierjähriges Mädchen, das er über alles geliebt hatte und das bald nach jener Nacht gestorben war, während er vom Hause und der Familie entfernt im Felde lag. Wie damals fühlte er einen zarten, weichen Leib an seinem Arm und seiner Brust, in dem geheim und leise wundervolles Leben spielte. Er stellte sich das runde Gesicht vor 165 mit den meerblauen Augen, die zuweilen, wenn sie ihn betrachteten, einen zärtlich listigen Ausdruck hatten, wie wenn sie über ihn lächelten, die Berührung des Mundes, der süß und kühl wie eine betaute Rose war, und das Trüppchen kurzweiliger Finger, mit denen sie schwatzte und allerhand träumerische kleine Aufführungen machte. Dann dachte er an das winzige Grab in der grenzenlosen Raumesferne, in das der Körper, den er so oft geherzt hatte, gelegt worden war, und eine bitterliche Traurigkeit, als wäre nichts mehr erstrebenswert, da er das Kind nicht wiederhaben könnte, legte sich drückend auf sein Herz. Aber er sagte sich, daß das geliebte Geschöpf, das Seele von seiner Seele war, nach den allweisen Gesetzen der gottvollen Natur nicht unerreichbar weit und nicht auf immer von ihm getrennt sein könne; vielmehr müsse das Verwandte beieinander sein, nicht so, daß kurzsichtige Sinne es erkennten, aber durch einen Zusammenhang gleichartiger Kräfte, deren Leben die Welt wäre. Es könne sein, dachte er, daß sie nah bei ihm wäre, und ein Anschmiegen ihres Wesens an ihn mache, daß er an sie denken müsse; sie wäre vielleicht eine flinke Eidechse, die lautlos durch das feuchte Kraut glitt, vielleicht eine von den Nachtigallen, die im Gebüsche schlügen, vielleicht auch das braune Häschen, das warm und jetzt ganz still in seinen Arm geduckt saß. Das Weh, das er gefühlt hatte, verging allmählich in diesen Vorstellungen, als ob das Kind in Wirklichkeit wieder bei ihm wäre; er atmete ruhig den Dunst der steigenden Säfte und des mächtigen Blühens der Mainacht ein.

Am folgenden Abend wurden auf einem unbebauten steinigen Acker unweit Palestrina die Hasen zugerichtet, wobei Masina die Leitung übernahm, da er seine Kochkunst der Mangiagallis, die Manara anrühmte, überlegen hielt. Er schickte Soldaten nach 166 Zitronen, Salbei und andern Kräutern aus, um das Wildfleisch zu würzen, und half inzwischen die Spieße zuschneiden, an denen es sollte geröstet werden. Währenddessen tadelte er Manara und die Brüder Dandolo, daß sie von der Küche nichts verständen; denn ein Mann und vorzüglich ein Soldat dürfe nichts von einem Untergebenen besorgen lassen, das er nicht selbst besser machen könne. Er gehöre nicht zu denen, die vorlieb nähmen, sagte er, schlechte Küche sei barbarisch, auch wenn er in den Schluchten der Abruzzen oder in der Verlassenheit der Sümpfe sei und seine Mahlzeit mit der Degenspitze von der bloßen Erde essen müsse, sie müsse würdig sein, auf den Tisch des leckersten Pfaffen zu kommen. Freilich könne er alles selbst zubereiten, wie es sein müsse: er wisse die Reiskörner glatt, blank und durchsichtig zu machen und bis zu dem Grade anschwellen zu lassen, wo sie nicht hart und nicht weich wären; er könne den Spargeln das innerste Aroma aus den Fasern locken und den Geschmack des Wildes gleich entfernt von kälberner Nüchternheit und anrüchiger Fäulnis halten. Unterdessen waren die Hasen abgezogen, kleine Feuer angefacht und Stecken zur Aufnahme des Bratspießes darüber aufgerichtet. Masina ging vom einen zum andern und paßte auf, daß weder zu rasch noch zu langsam gedreht wurde, nicht ohne daß Mangiagalli hineinredete und widersprach, was zu lärmenden Auseinandersetzungen führte, bei denen Masina recht behielt und Mangiagalli sich an dem Triumph, das letzte Wort vor sich hin zu brummen, genügen ließ. Die Truppen brieten sich Schaffleisch; der Rauch kroch zwischen den Steinen hin wie heißer Atem aus glimmenden Drachenmäulern. Aus der nahen Stadt kam auf Wagen Brot und der Wein des Landes, mit Jubel von den Soldaten begrüßt.

Garibaldi hatte die Einladung der Offiziere 167 angenommen, lehnte es aber ab, von den Hasen zu essen, und ließ sich anstatt dessen geröstetes Schaffleisch reichen, weil er die einfachere Kost vorziehe. Während sie aßen und plauderten, schob Garibaldi von Zeit zu Zeit Blätter, die er vorher gesucht hatte, unter seinen Mantel und erregte dadurch die Neugierde der Offiziere, bis sie das Häschen entdeckten, das geschäftig kaute und seine runden Augen erschrocken herumgehen ließ, als es plötzlich viele Blicke auf sich gerichtet sah. Garibaldi lächelte lustig und sagte: »Das Häschen habe ich euch gestern weggefangen und mir deshalb kein Recht auf den Braten zugemessen; da ihr nun doch alle satt werdet, getraue ich mich, es zu verraten.« Sie wetteiferten, das kleine Waldwesen zu streicheln, und Masina sagte: »Bei Gott, wir sind ruchlose Störenfriede, daß wir so unschuldige Gesellen umbringen. Es ist gut, daß ich genug gegessen habe, für heute wäre mir der Leckerbissen verleidet.« Garibaldi untersuchte die verwundete Pfote und fand sie genügend geheilt, um das Tier laufen zu lassen; er könne es nicht wohl, meinte er, mit in die Schlacht nehmen. Immerhin wollte er es nicht auf dem unfruchtbaren Acker, wo sie sich eben befanden, aussetzen, sondern trug es bis zu einem bewachsenen Saatfelde, das weiterhin an ein Gehölz grenzte; es spitzte die Ohren, schnupperte in der Luft und huschte mit langen Sprüngen in den Aehrenwald.

Am nächsten Tage fand das Gefecht bei Palestrina statt, in welchem Garibaldi die Neapolitaner besiegte und bei dem er zum ersten Male die treffliche Schulung, die elastische Beweglichkeit und das pünktliche Funktionieren der Bersaglieri Manaras kennen lernte.

*

In die steile Stadt Velletri hatte sich der König von Neapel zurückgezogen, nachdem seine Truppen 168 unter den Felsen von Palestrina von Garibaldi geschlagen worden waren, und beharrte laut darauf, dem Papst eine Straße nach Rom eröffnen zu wollen; allein im Grunde trachtete er danach, sich so eilig wie möglich diesem Feldzuge zu entziehen, weil er irgendein Unglück für seine Person befürchtete, insbesondere in die Gefangenschaft Garibaldis zu fallen. Als in der Frühe des 19. Mai die ersten römischen Truppen in der Ebene sichtbar wurden, gebot er dem General Lanza nachdrücklich, es solle unter allen Umständen zum Gefecht kommen und die aufrührerische Rotte vernichtet werden, worauf er sich mit seinem Gefolge in die Kirche der Maria am Kreuzweg begab, um zu einem wundertätigen Muttergottesbilde zu beten, welches, vom Schwerte durchbohrt, an gewissen kirchlichen Feiertagen aus der Wunde blutete. Es fand sich aber, daß das Bild, welches noch am Tage zuvor von mehreren Personen gesehen wurde, von seiner Stelle verschwunden und allem Anschein nach geraubt war. Die Aufregung, die deswegen in Velletri entstand, war nicht so groß wie der Schrecken des Königs, welcher das Verschwinden des Bildes an ebendiesem Tage auf sich und sein drohendes Unglück bezog und in seinen Beichtvater drang, ihm Kasteiungen und Pönitenzen aufzuerlegen, durch welche er das Geschick von sich abwenden könne. Nachdem ihm ein längeres Beten aufgetragen war, zog sich der König in ein hohes, mit rotem Damast bekleidetes Schlafzimmer zurück und kniete unter heftigen Beklemmungen auf dem Betpult nieder; doch schien ihm diese Buße nicht zu genügen, und er verlangte zu beichten, obwohl er dies erst vor einigen Tagen getan hatte. Er hatte kaum damit begonnen, als ihm von den ersten Bewegungen des Gefechtes Mitteilung gemacht wurde, was ihn bewog, die fruchtlose Stubenweisheit des Generals zu verwünschen, der stets ungünstige Stunden 169 und verhängnisvolle Orte zum Kampfe wähle. In wachsender Unruhe eilte er durch die weiten Gemächer des Schlosses von einem zum andern Fenster, so daß einer seiner Adjutanten ihm den Rat unterbreitete, aufzubrechen und sich unvermerkt nach Neapel zurückzuziehen; hierüber indessen zeigte sich der König entrüstet und bedrohte den Ehrlosen mit zornigen Worten, der ihm eine so feige Handlung zuzumuten wage. Die ersten Nachrichten, die vom Kriegsschauplatze eintrafen, lauteten überaus günstig, indem es sich bemerkbar machte, daß Garibaldi, der die Vorhut führte, ohne Wissen des Obergenerals Roselli hatte angreifen müssen und nicht unterstützt wurde; um die glänzende Tafel, an der der König mit seiner Begleitung im hellen Säulensaale die Mittagsmahlzeit einnahm, verbreitete sich üppige Laune. Er speiste noch, als gemeldet wurde, daß einem Priester von der Marienkirche auf geheimem Wege ein Zettel überbracht worden sei, des Inhalts, der berühmte Räuber Vendetta habe das Muttergottesbild entwendet und werde es gegen eine gewisse Geldsumme zurückstellen; er bewahre das unvergleichliche Heiligtum mit schuldiger Ehrfurcht, so daß es in den Händen des Heiligen Vaters selbst nicht besser vor Unbill geschützt sein würde. Der Schreiber des Zettels machte den Vorschlag, daß das vereinbarte Geld auf dem Standorte des Bildes niedergelegt werden, die Kirche von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang unverschlossen und unbewacht bleiben sollte; verbürge sich der Geistliche schriftlich und eidlich dafür, daß den Räubern nicht aufgelauert würde, so würde in der Frühe des nächsten Morgens die Mutter Gottes wieder auf ihrem Platze stehen und weder Person noch Habe in Velletri angetastet werden.

Der König war über dies wunderbare Wiederauftauchen des Bildes hocherfreut und wies den Pfarrer an, sogleich auf alle Forderungen des Vendetta 170 einzugehen, damit die Madonna so schnell wie möglich wieder an ihren Ort käme; bei sich aber war er der Meinung, daß der Pfarrer mit dem Räuber unter einer Decke spiele, und gab Befehl, eine Abteilung Soldaten solle sich in der Kirche verstecken, sich des Geldes bemächtigen, über die Räuber, wenn sie kämen, herfallen und ihnen das Bild entwenden, und zwar so, als ob sie es ohne Auftrag aus Habgier, auf eigne Faust täten. Am folgenden Tage sollte dann eine Feier in der Kirche stattfinden und womöglich das wunderbare Blut fließen, wozu bereits Vorbereitungen getroffen wurden; doch wurde dies alles durch die Wendung, welche das Gefecht nahm, unterbrochen, infolge welcher die Möglichkeit, von der republikanischen Armee eingeschlossen zu werden, in Betracht gezogen werden mußte. Der König wütete, er habe es vorhergesehen und vorhergesagt, er versuchte durch das Fernrohr den Gang der Schlacht zu verfolgen, vermochte sich aber nicht zu sammeln, und kam endlich auf den Einfall, als Mönch verkleidet, oder dann mit Hilfe der Räuber, die in der Nähe sein müßten, zu entfliehen. Die Botschaften vom Schlachtfelde klangen jedoch insofern beruhigend, als der General es für durchaus tunlich hielt, daß das gesamte Heer Velletri räume und sich zurückziehe, was auch bei hereinbrechender Abendstunde ins Werk gesetzt wurde. Besonders ermutigte den König die Nachricht, die von seiner Umgebung vielleicht absichtlich, um ihn zu trösten, verbreitet wurde, daß Garibaldi verwundet sei; denn diesen fürchtete er um so mehr, als er ihn für einen Söldner des Teufels und letzteren im Grunde für viel freigebiger und pfiffiger hielt als die Heiligen, von denen er selbst abhing.

*

Der Obergeneral Roselli, welcher die Expedition gegen den König von Neapel leitete, hatte einen 171 Feldzugsplan entworfen, in welchem ein Zusammenstoß mit dem Feinde bei Velletri nicht vorgesehen war; auch dachte Garibaldi nicht daran, zu schlagen, doch als er Bewegungen des feindlichen Heeres bemerkte, die einen Konflikt zu bezwecken schienen, und nachdem ein Umblick vom höchsten Punkt der Ebene aus ihn in dieser Ansicht bestärkt hatte, entschloß er sich zum Angriff, um nicht zurückweichen zu müssen. Dem Hauptmann David, einem Bergamasken, befahl er, eilends zurück zum Roselli zu eilen und ihm die Lage, in der er sich befinde, vorzustellen; er möge ihm zu Hilfe eilen, da es sonst leicht um den Erfolg des Tages und um seine Truppen geschehen sein könnte.

Hauptmann David galt als ein Mann von großem Mute und war es auch in der Schlacht, wo er sogar mit einer gewissen Wildheit auf den Feind ging; aber er pflegte weder vorher noch nachher mit Genugtuung davon zu erzählen, wie viele andre taten, sondern sprach von allem, was zum Kriege gehörte, als von einer fürchterlichen Notwendigkeit, unter der man zweifelsohne zugrunde gehen würde, die man aber nicht von sich abwälzen könne. Auch sah er, ein großer, aber schmal gebauter, mit den Schultern etwas nach vorn gebeugter Mann, immer so aus, als ob er gewöhnt wäre, übermäßige Lasten zu tragen. War ein Gefecht in Aussicht oder auch während desselben erging er sich gegen seine Kameraden in kummervollen Betrachtungen, nun gehe das Schießen und Stechen wieder los, wenn er nur viele Meilen weit entfernt wäre, er käme gewiß nicht lebendig davon, seinetwegen könne der Großmogul ganz Europa erobern, ihm solle es gleich sein, wenn er nur wieder Ruhe hätte. Er nahm Garibaldis Auftrag in dienstlicher Haltung entgegen, verabschiedete sich von den Umstehenden mit einem Blinzeln und Achselzucken, welches andeutete, daß er auf Erfolg weder im besonderen noch im 172 allgemeinen rechne, und galoppierte dann blindlings davon.

Während Garibaldi noch Befehle ausgab, eröffnete Masina mit seinen Reitern die Schlacht, die aber, sei es daß sie selbst oder daß die Pferde den Krieg noch nicht genügend kannten, von einem plötzlichen Schreck ergriffen, flohen und ihren Anführer schutzlos vor den feindlichen Reihen ließen. Garibaldi, der es sah und sich ihrer Flucht entgegenwarf, wurde von ihrer Wucht zu Boden gerissen und hätte, unter seinem Pferde liegend, in die Gewalt des Feindes geraten können, wenn nicht das Knabenbataillon flink zur Stelle gewesen wäre, um den General zu decken, der sich selbst nicht schützen konnte. Obwohl Masina seine Reiter inzwischen wieder gesammelt und in das Gefecht zurückgeführt hatte, sah Garibaldi den Augenblick sich nähern, wo die erschöpfte Minderzahl die gewonnenen Stellungen würde wieder freigeben müssen; da ertönten die Signale der Bersaglieri, die das Getöse der beginnenden Schlacht hergezogen hatte. Zwar hatte Manara geschwankt, ob er ohne Weisung Rosellis und eigentlich dem von ihm empfangenen Befehle entgegen sein Regiment in den Kampf führen dürfe, und als Mangiagalli sich zur Stimme der ungeduldigen Soldaten machte und ungestüm den Wink zum Vormarsch von ihm erbat, glaubte er vollends das Gesetz vertreten zu müssen und gebot zu warten, indem er Mangiagalli seine unbotmäßige Keckheit verwies. Da er indessen selbst nichts anders wünschte und auch für richtig hielt, als Garibaldi zu Hilfe zu kommen, bereute er bald darauf, daß er seinen Stolz den Ausschlag hatte geben lassen und führte nun doch die dankbar jubelnden Soldaten auf den Kampfplatz. Ihm folgte bald darauf Ludovico Calandrelli, der nicht lange zögerte, als er bemerkte, daß für Rom und die Republik geschlagen wurde; dennoch zweifelte Garibaldi, ob ohne den Zuzug der 173 Hauptmasse des Heeres der Feind aus seiner vorteilhaften Stellung würde geworfen werden können. Hauptmann David kam mit der Meldung zurück, Roselli habe diese Antwort gegeben: Er habe keine Schlacht gewollt; warum Garibaldi seine Pläne durchkreuze? Jetzt wären seine Soldaten beim Speisen. Wenn das erledigt sei, würde er kommen. Garibaldi sagte nichts dagegen, hieß David für sein zitterndes Tier sorgen, winkte Ugo Bassi, der in der Nähe war, und bat ihn, Roselli zu größerer Eile anzutreiben. »Das Volk hält Euch für einen Engel,« sagte er, »nützt also Eure Flügel und Eure Feuerzunge, das Glück des Tages steht auf dem Spiele.«

Bassi traf das Heer mit den Vorbereitungen zum Abmarsch beschäftigt; doch hatte es den Anschein, als bemühe sich Roselli mehr, ihn zu hintertreiben als zu beschleunigen. Die erneute Botschaft Garibaldis verdroß ihn sichtlich, was Ugo Bassi nicht beachtete; vielmehr fing er an, den Verlauf des Kampfes zu schildern, ohne dazu ermutigt worden zu sein, mit lauter Stimme und so, daß es nicht nur der General und sein Stab, sondern auch die Soldaten hören mußten. Er sprach von Masina, wie er herrlich, als stürme ein Gott gegen zusammengerottete Titanen, allein dem frischen Angriff der geordneten Feinde entgegensprengte; von dem Sturze Garibaldis, wie es mit einem Male war, als lege sich eine zermalmende Wolke auf die mittelste Sonne, so daß nun alle Sonnen und alle Sterne, die sie hält, verwaisen: die Sterne schwanken wie bunte Lampen in Bäumen, die der Wind hin und her weht, viele erlöschen, in unermeßlichen Wellen zittert der Aether, durch den im nächsten Augenblick die entfesselte Welt stürzen soll, so stockte die Schlacht, als Garibaldis helles Haupt im Gewühl verschwand. Dann sprach er von den Knaben: eine Meute kleiner tapferer Hunde, die, mit den Zähnen in das Fleisch des Gegners 174 geklammert, sich nicht abschütteln lassen, bis er nachgibt und flieht, drangen sie auf den übermütigen Feind ein und beschäftigten ihn mit ihrem hingebenden Ingrimm, bis Garibaldi wieder Herr seiner Kraft geworden war. »Dann,« sagte er, »stand die Schlacht; ein einziger Mann mit Schwert und Fahne stand Garibaldis Legion vor den Mauern von Velletri, aus denen immer neue Scharen gegen sie fluteten. Kameraden, verlaßt ihr Garibaldi? Der rote Mittag siedet um sein kämpfendes Herz, zwischen heißen Steinen kauern Feigenbäume wie böse Tiere mit aufgesperrten Rachen, stürmende weiße Wolken über seinem Haupt erstarren in der feurigen Luft und bewegen sich nicht mehr. Kameraden, laßt ihr Garibaldi untergehen? Da klingen Schritte und klingen Hörner: so kommen die lombardischen Bersaglieri zur Schlacht!«

An dieser Stelle unterbrach Roselli den Barnabiten, indem er in gereiztem Tone sagte: »Sie hatten dazu keinen Befehl von mir!«, worauf Ugo Bassi fortfuhr: »Das sagte Manara. Garibaldi antwortete: Gott schickt euch! Wie ein erlöschendes Feuer, das leise raschelnd am Boden kriecht, in großen Flammen aufschlägt, wenn es neues Holz ergreifen kann, belebt sich nun die Schlacht; der Feind weicht erschreckt, Italiens Schwert lacht über seiner Flucht. Aber unter Velletris Mauern empfängt er neue Kraft und kehrt verdoppelt zurück. Für Rom streiten Helden: einer hohen Welle gleich, die, hundertmal vom Felsen zurückgeworfen, hundertmal wieder heranrollt, mit hochgehobenem Haupte erneuert Masina unermüdlich den Angriff; ein Turm im Meere, der unbeweglich aus dem Schwall und Strudel der Wellen steigt, steht Manara aufrecht zwischen seinen geduckten Schützen. Aber die unbesiegbare Masse des bourbonischen Heeres überschüttet die Tapferen. Kameraden, laßt ihr Garibaldi untergehn? Da krachen Kanonen: so melden sich Calandrelli und seine Braven.« 175

»Auch er hatte keinen Befehl von mir,« sagte Roselli, die Stirne faltend. Ugo Bassi fuhr unbekümmert fort: »Er hörte die Schlacht rufen und gehorchte. Seine Kugeln pfeifen wie laute Grillen durch den singenden Mittag. Hoch flammt Italiens Fahne; über dem rauchenden Altar, wo die Opfer verenden, wallt sie leuchtend von goldenem Blut und flattert stürmisch unter dem eisernen Himmel. Garibaldi siegt! Kameraden, was tatet ihr, als Garibaldi siegte?«

Die Bataillone, die in wachsender Unruhe die Erzählung des Predigers angehört und von Augenblick zu Augenblick lebhaftere Zeichen von Kampflust gegeben hatten, setzten sich tumultuarisch in Bewegung und folgten unaufhaltsam dem Priester, der ihnen voran zum Schlachtfelde eilte. Als Roselli mit seinem Stabe in Velletri anlangte, war die Schlacht geschlagen, und die bourbonische Armee zog sich in die Stadt zurück. Garibaldi führte den Obergeneral auf eine Anhöhe, von der aus er die Schlacht geleitet hatte, erklärte ihm die Lage und seinen Plan, dem Feinde den Rückzug nach Neapel abzuschneiden, was er für leicht ausführbar hielt; allein Roselli, der die plötzlich veränderten Verhältnisse nicht so schnell übersehen konnte und außerdem wegen der Vereitelung seiner eignen Absichten grollte, behauptete, was Garibaldi für Flucht des Feindes hielte, wären nur Scheinbewegungen, um irrezuführen, und sprach sich drohend über die Ereignisse des Tages und die Meuterei der Truppen aus, die gegen seinen Willen sich in das Gefecht eingelassen hätten; er werde, sagte er, über das Vorgefallene nach Rom berichten. »Eine Schlacht ist vorgefallen und ein Sieg gewonnen,« sagte Garibaldi trocken; Roselli antwortete nicht und entfernte sich, um gelegenes Nachtquartier für sich und seine Umgebung zu suchen. 176

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Die Sonne des heißen Tages ging in roten Dämpfen unter, aus denen in Nähe und Ferne die schroffen Zacken der Felsen und Burgen stiegen. Ein Herr aus Velletri, Graf Ginetti, kam, von einigen Dienern begleitet, die Körbe mit Obst, Wein und allerlei Leckerbissen trugen, auf das Schlachtfeld, um Garibaldi und seinen Offizieren eine Erfrischung anzubieten; Garibaldi nahm dankbar an, und man lagerte sich auf der Stelle zu einer Mahlzeit. Nachdem der General, der auszukundschaften wünschte, was der Feind vorhatte, fortgegangen war, blieb der Graf mit Manara, den Brüdern Dandolo und Goffredo Mameli allein, zu denen ihn sofort das vertrauliche Gefühl gleicher Lebensformen und Lebensgewohnheiten gezogen hatte. Er sagte in verbindlichen Worten, es sei ihm eine Genugtuung, zu sehen, daß italienische Tapfere nicht notwendig Vandalen sein müßten; sogar Garibaldi, den er sich als einen derben Kriegshauptmann vorgestellt habe, sei ihm durch seine edle Haltung nicht nur heldenmäßig, sondern auch von schöner Natur erschienen. Seine Art zu essen habe ihn zur Bewunderung hingerissen; es habe sich darin weder Verachtung der Speise noch Wollust und Behagen ausgedrückt, anstatt dessen die Gleichgültigkeit gegen das verhältnismäßig Untergeordnete, verbunden mit einer liebevollen Verehrung für die wunderbaren Hervorbringungen der Erdmutter; dergleichen könne einer, der von Kindesbeinen an sich in den Sälen der aristokratischen Gesellschaft bewege, nicht lernen, wenn es nicht in seiner Seele gelegen habe. Um so weniger, sagte er, könne er begreifen, was solche Männer zu so erschütternden Unternehmungen antreibe. Es ließe sich etwa begreifen, daß die Lombarden die Oesterreicher verjagen möchten, obwohl sie das Geschäft des Regierens mit Weisheit besorgt hätten und es ungewiß sei, ob die Eingeborenen es ihnen darin 177 gleichtun könnten. Vollends die Päpste könnten sich rühmen, ein friedliches, die Kultur förderndes Regiment geführt zu haben. Es hätte kürzlich der Abgeordnete Sterbini eine Rede in Velletri gehalten, wie der Kirchenstaat einer verlorenen Insel im befahrenen Meere gleich sei, an deren Küste der Wellenschlag des Lebens nicht gelange. In allen andern Ländern habe der Mensch durch Luft und Erde zahllose Straßen geführt für das wirkende Licht, für den allbeweglichen Aether, für alle Elemente, die Kräfte und Sinne der Menschen unabsehbar steigerten, und verknüpfe so Länder und Erdteile und Völker. Auf den Flügeln gebändigter Naturgewalten dehne sich Leib und Seele der Menschen grenzenlos über die Welt aus. Ausgeschlossen aus diesem Netz tätiger Blitze sei Rom, das mit der Menschheit nur durch Gräberstraßen verbunden sei, auf denen Esel und Ochsen hölzerne Karren hin und her zögen. »Während das zappelnde Volk,« sagte der Graf, »entrüstet nach dem neuen Leben verlangte, das ihm vorenthalten werde, betete ich bei mir zu den alten Göttern, daß sie unsre heilige Insel beschützen. Ist es nicht billig, daß unter vielen Rennbahnen und Märkten ein stiller dunkler Hain stehen bleibe, wo Andächtige vor goldenen Bildern knien und trunkenen Weissagungen lauschen können? Unsre Väter haben die Schönheit geschaffen, wir sind die Erben und Hüter; die frische Kraft der Barbaren machte sie von jeher zu Söldnern geeignet. Sollen wir zerstören, was unsre Ehre war? Die Völker lernen von uns, und wenn wir weniger Freiheiten haben als andre, so teilen wir das Gebundensein mit den mächtigsten Königen und mit Gott selbst, dessen Wesen Gesetz ist; nach Freiheit dürften die Kinder, die sich räkeln und austoben müssen; der gereifte Mensch bedarf ihrer nicht mehr.«

Manara fragte, ob die Bettler und Krüppel vor 178 der Kirchentüre und die Räuber auch zu der Schönheit gehörten, die gehütet werden sollte; worauf der Graf erwiderte, sie zierten die Landschaft immerhin mehr als Arbeiter an Dampfkesseln und Maschinen und wären auch zufriedener mit ihrem Lose. »Gott und das Volk« hätte Mazzini auf seine Fahne geschrieben. Ja, er hätte ebensogut sagen können, Gott und das Tier; hätten doch die weisen Aegypter und Inder Gott in den Tieren gewittert. Was aber daraus werden sollte, wenn Ochsen und Schweine sich nicht mehr wollten schlachten lassen? Ihm scheine, entgegnete Manara, in Mazzini etwas Erhabenes zu sein, und er überlasse ihm die Lösung solcher Fragen, von denen er selbst wenig verstehe; und Mameli, der seinen berühmten Landsmann aus vertrautem Umgang kannte, rühmte lebhaft, daß in seinem Geiste die Unerbittlichkeit des Rechtes und Zweckes und der Ueberfluß der Schönheit vereinigt wären und er sich somit als Vorbild der Lebensordnung setzen dürfe.

Jetzt kam Doktor Ripari, um Mameli auszuschelten, weil er während der Schlacht seine Blesse geritten hatte, dasselbe Pferd, das ihm von jenem sterbenden Genuesen am 30. April vermacht worden war, und das er selbst in den letzten Tagen, weil es krank war, nicht gebraucht hatte. Mameli entschuldigte sich damit, daß sein eignes Tier störrisch geworden sei und er sich der Blesse schon sicher gefühlt habe. »Warum ruft Ihr nicht Euern Pegasus,« sagte Ripari grollend, »anstatt Euers Nächsten Vieh zu entwenden? Ich kann mir freilich denken, daß ihr jungen Dichter euer Reitpferd mit Zuckerwerk und Schmeichelworten anlocken müßt, und daß es auch dann nur kommt, wenn es bei Laune ist.« Er schloß damit, daß er das umstrittene Pferd dem Gescholtenen schenkte, damit er nicht zur Schande des Vaterlandes 179 aus einem Sänger zum Schelmen würde, worauf der Graf, der mit Vergnügen zugehört hatte, sich beeilte, dem Leibarzt Garibaldis ein Tier aus seinen Ställen anzubieten.

Unterdessen stand Garibaldi auf einer Anhöhe und blickte über die verblassenden Hügel weg, zwischen denen Feuer glommen und dunkle Gestalten behutsam die Verwundeten und Toten trugen. Er dachte daran, daß die, über deren vergossenes Blut er heute triumphierte, Nahverwandte waren, die seine Sprache redeten, die zu befreien er aus der Ferne hergekommen war; das hohe Gefühl des Sieges schwand ihm darüber; er versank in tiefe Traurigkeit. Es schien ihm, als habe ihn das Schicksal, seit er wieder nach Italien zurückgekehrt sei, mit vorgespiegelten Feinden geäfft, an denen er sich heiß und müde kämpfe, um am Ende zu sehen, daß, was er getroffen habe, leere Schatten oder denn ungehaßte Brüder wären. So dürfe es nicht ferner gehen, sagte er zu sich, dieser Tag müsse ihm freie Bahn gemacht haben gegen den wirklichen Feind, den einzig innigst verabscheuten, Oesterreich; so dürfe er sich seiner doch freuen. Er überdachte den Gang der Schlacht, das Verhalten der Offiziere und Soldaten und berechnete mit Genugtuung das Maß von Talent und Tapferkeit, über das er verfügte, wobei Manara und Masina im Vordergrunde standen. Mit diesen meinte er die Mittel des Sieges in der Hand zu haben; zuvor gelte es nur, den Bourbonen auf eine Zeitlang unschädlich zu machen, und er verwünschte die Umstände, die ihn verhinderten, die Gelegenheit dieses Tages gründlich auszunutzen. Die ausgesandten Patrouillen brachten das Gerücht zurück, der König von Neapel sei im vollen Abzuge aus Velletri begriffen, und da bereits abgespeist war, strömten Schwärme von Soldaten ausgelassenen Mutes in die dunkle Stadt, wo sie die Nachricht bestätigt 180 fanden und die Bevölkerung halb scheu, halb neugierig die berüchtigten Garibaldiner die öden Gassen hinaufsteigen sah.

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