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Erstes Buch.

»Es giebt doch nichts Angenehmeres,« sagte der Gerichtshalter, »als bei solchem scheußlichen Herbstwetter im warmen behaglichen Stübchen sitzen, seine Partie machen ... Rentmeister, Sie geben Karten! ... und ein Gläschen Glühwein schlürfen, den, nebenbei bemerkt, niemand besser bereitet wie unseres Wirtschaftsdirektors vortreffliche Hausfrau.«

»Ihr Herren habt gut reden,« wendete der Oberförster ein; »ihr wohnt alle drei im Schlosse, und wenn wir den letzten Robber gemacht haben, zieht ihr euch in eure Gemächer zurück. Ich aber muß durch Nacht und Sturm noch eine Stunde und drüber reiten, und während ihr euch die Deckbetten über die Nase zieht, stoß' ich die meinige mir an triefenden Baumzweigen blutig, was keine besondere Ergötzlichkeit ist.«

»Nicht doch,« rief der Wirtschaftsdirektor, »in dem Regen lass' ich Sie nicht reiten. Ich gebe Ihnen meinen halbgedeckten Wagen!«

»Danke für die gute Meinung, bester Herr, muß aber deprezieren. Im Finstern sind unsere Waldwege nicht wohl praktikabel. Will doch lieber noch naß werden bis auf die Haut, ehe ich Ihnen die Staatsequipage und mir die Knochen zerbrechen lasse. Wir Forstleute gehen nicht so geschwind aus dem Leime.«

Da mischte sich die dicke Mama, welche bisher emsig fortgestrickt hatte ohne merkliche Teilnahme an den Gesprächen der Männer, lebhaft in die Sache: »Wo denkst du hin, Direktor? Weder heim reiten noch fahren dürfen der Herr Oberförster heute; Sie bleiben über Nacht.«

»Einverstanden, Alte; aber wo?«

»Nun im Schlosse, mein' ich!«

»Ganz richtig, aber in welchem Zimmer des Schlosses?«

Auf diese Frage blieb fürs erste die Antwort aus, was unglaublich scheint, wenn man Schloß Kauzburg, in dessen Mauern wir uns jetzt eben befinden, von außen betrachtet und über den riesigen Umfang des alten Gebäu's in Erstaunen gerät. Dringt man jedoch ins Innere, um mit hausfräulich-prüfenden Blicken bewohnbare Gemächer auszuforschen, so wird der Wirtschaftsdirektorin plötzliches Verstummen ganz begreiflich.

Ihr Gatte, die Karten unterdessen niederlegend, fuhr fort: »Unsere Wohnung reduziert sich, wie die Herren wissen, auf diese einzige menschliche Stube nebst Schlafgemach und etlichen Kammern, was uns genügt, weil wir nach Gottes unerforschlichem Ratschlusse ein kinderloses Paar verblieben. Der Herr Gerichtshalter und Freund Rentmeister konnten, da beide annoch unbeweibt, in Spelunken untergebracht werden, die ihrer unwürdig und nur dadurch erträglich sind, daß sie ihre Zeit außer den Kanzleistunden, als deine lieben Kostgänger, bei uns zubringen und lediglich von hier scheiden, um sich in Morpheusens Arme zu werfen. Die Schreiber nehmen etwelche Verschläge in dem für sie zugerichteten Saale ein, der vor den Kanzleien liegt, haben sich folglich auch keines Überflusses an Spielraum zu rühmen. Im übrigen ... Sie verzeihen schon, Herr Oberförster, daß ich Sie mit derlei Kleinigkeiten belästige, doch weil Sie noch fast neu in Ihrem Amte und den Lokalitäten fremd, erachte ich es für zweckdienlich ...«

»Das darf Sie nicht im geringsten beunruhigen, Herr Direktor! Für mich wird bald ein Plätzchen gefunden sein, wo ich mich in irgend eine warmfühlende Pferdedecke gehüllt ausstrecken kann. Wie gesagt, wir Waldmänner machen keine großen Ansprüche auf Bequemlichkeit. Seltsam aber ist es doch, daß ein so majestätisches Denkmal altertümlichen Grundbesitzes gleichsam zum wüsten Schlosse werden konnte.«

»Es heißt Kauzburg,« warf der Gerichtshalter pfiffig ein, »trägt nomen est omen, wie wir Lateiner zu sagen belieben.«

»Und sind nicht wenigstens einige Gemächer anständig ausgestattet für die Herrschaft, wenn diese ...?«

»Die Herrschaft,« unterbrach der Direktor den Oberförster, »die Herrschaft weiß so viel von Kauzburg, daß ein alter treuer Diener hier waltet, der alljährlich zweimal Bericht abstattet, wie er die ihm anvertraute Vollmacht benutzte. Da geht ein möglichst schön stilisierter Rapport nebst beigefügten Rechnungsabschlüssen und Geldern nach Schloß Tauern ab, und Seine reichsfreiherrliche Gnaden bescheinigen in huldvollen Zeilen den richtigen Empfang. Im übrigen bekümmern Hochdieselben sich nicht um uns. Ziehen ihre südlichen Gegenden den nordischen Wäldern vor und vergönnen sämtlichen Steinmardern, Ratten, Fledermäusen, Eulen, Käuzlein, Dohlen und Spatzen gegenwärtiges Domizilium. Solange die selige Baronin noch unter den Lebendigen weilte, war andeutungsweise in Seiner reichsfreiherrlichen Gnaden Epistuln hier und da die Rede von einem möglichen Besuche. Doch seitdem jene fürtreffliche Dame das Zeitliche gesegnet, verstummten auch diese Andeutungen, und es steht, vorzüglich in Anbetracht anjetziger kriegerischer Zeitläufte, kaum noch zu erwarten, daß Kauzburgs Unterthanen jemals ihren Gebieter von Angesicht wiedersehen werden; solches aber betrübet mich.«

»Schade, schade,« sprach der Oberförster, »um die herrliche Niederlassung, wenn sie auch nördlicher liegt, als unseres Barons Rebenhügel bei Tauern. Schade, daß alles so unbenützt einstauben und nach und nach verkommen, ja verfallen soll! Hätte doch gern einmal den Herrn hier erblickt, in dessen Waldungen ich künftighin Holz fällen, pflanzen und ansäen werde! Besitzt er nicht einen heranwachsenden Sohn, dem er über kurz oder lang das hiesige Wesen zur Verwaltung übergeben möchte?«

»Keinen Sohn! Nur eine Tochter: Baronesse Ludmilla; eine sehr reiche Erbin! Zählt sechzehn Jahre.«

»Schade! Schade! Die Bäume wachsen, deucht mich, rascher und besser, wenn ihre Wipfel über des Besitzers Haupte rauschen! Und auch der lieben Jagd, des edlen Weidwerks wegen ... Schade, schade, sag' ich!«

Und die vier Spieler griffen nach ihren Karten und arbeiteten fleißig weiter. Frau Justine Kleemann aber hatte sich stillschweigend entfernt, mit Hilfe ihrer Magd eines der am wenigsten delabrierten Prachtzimmer in der Hauptfronte des öden Gefildes für den Oberförster ordnen und heizen zu lassen. Bis zehn Uhr wurde sie damit fertig, prasselndes Feuer loderte im hohen Kamine, und sie äußerte gerade gegen die Gehilfin: »ich hätte selbst nicht geglaubt, daß es sich hier so wohnlich machen ließe; für eine Nacht wird's schon zum Ausdauern sein, und wenn sich unser grüner Gast nicht vor Gespenstern fürchtet, wonach er jedoch nicht aussieht, so kann er prächtig ... was ist das?«

Hier hielt sie inne und starrte die Magd an: »Hörst du?«

»Gott erbarme sich,« stöhnte die etwas betagte Person, »das sind ja Trompeten! Ist schon Krieg?«

»Das sind keine Trompeten, dummes Weibsstück; das sind Posthörner und schmettern in den Schloßhof herein, als wollten sie das Gemäuer darniederblasen. Was kann das zu bedeuten haben? Renne geschwind hinab zum Wächter und erkundige dich! Ich will hinüber, die Herren aufjagen. Denn sitzen die fest bei ihren Karten, so hören sie nicht, und wenn, verzeih' mir Gott die Sünde, zum jüngsten Gerichte geblasen würde!«

Diesmal irrte sich die gute Frau. Waren auch die Klänge der Posthörner nicht bis an den Spieltisch im stillsten Winkel der alten Kauzburg gedrungen, so hatte doch des Schloßwächters rauhe Stimme Eingang gefunden, als er in der Küche draußen nach irgend einer barmherzigen Seele jammerte, die ihn durch die »Finsternis« zum gestrengen Herrn Direktor bringe. Aber die alte Liese war ja mit der Frau Direktorin im andern Flügel, und er jammerte vergeblich.

»Da ist ein Unglück geschehen,« rief der Rentmeister, der ihn zuerst vernahm und ihn einließ.

Frau Justine kam eben noch zurecht, des erschrockenen Mannes verwirrten Bericht mit anzuhören: »Vier Vierspänner ... Laternen an den Wagen ... die Postillone naß wie gebadete Katzen ...per drinnen sitzen thut, das kann man nicht erkennen ... aus einem flucht es entsetzlich... im andern kichern und lachen sie... im dritten ist's mäuschenstille... der vierte sieht aus wie ein großer Leichenwagen ... Sie halten unterm großen Thorgewölbe. Vom vordersten ist ein Kerl gesprungen, der hat mir meine Mütze vom Kopfe geschlagen und hat geschrien, ich soll den gestrengen Herrn Direktor rufen. Und es müssen Vornehme sein, sonst wären sie nicht so grob!«

»Reisende, so sich in der düsteren Regennacht verirrten!« warf der Direktor hin. »Unsere Wege sind scheußlich, das muß wahr sein! Kommt, ihr Herren, wir wollen uns galant bezeigen. Das Gekicher deutet auf junge Damen. Nehme jeder einen Leuchter und folgt mir, auf daß wir Licht in die Sache bringen!«

Die drei Kartenspieler zögerten nicht, voll Vergnügen über so unverhoffte Abwechslung in ländlicher Einförmigkeit, zu thun, wie ihnen geheißen, und hielten gar sorgfältig die hohle Hand vor ihrer Kerzen Flammen, damit der diese hochgewölbten Hallen und Gänge durchsausende Wind sie ihnen nicht ausblase; denn sie wollten ja sehen, wer im zweiten Wagen gekichert habe. Nicht mehr fern vom Ziele (sie blickten schon über den letzten Treppenabsatz auf die Kutschen unterm Portale) wurden sie zurückgeschreckt durch eine retrograde Bewegung ihres Führers. »Entweder ich habe zu viel Glühwein getrunken,« raunte ihnen der Direktor zu, »oder ich erkenne in Wahrheit die Livree des reichsfreiherrlichen Stammhauses Tauern-Kauzburg.«

Das Kleeblatt senkte die Häupter, denn sein Kleemann, sein Träger, sein Stiel, sein Stengel, sein Wirtschaftsdirektor schien einknicken zu wollen. »Es ist nicht möglich!« rief er aus, sich noch einmal zusammenraffend, doch bereits stand das Unmögliche in leiblicher Gestalt vor ihm. Ja, es war der Reichsbaron, den er seit Antritt des ihm anvertrauten Amtes, seit der "Huldigung von Anno 83," wie sie's in Kauzburg nannten, folglich seit beinahe zwanzig Jahren nicht gesehen.

»Erschrecken Sie nicht, mein alter Kleeman, daß wir Ihnen so wie vom Himmel geregnet in Ihr Eulennest fallen. Verlieren Sie keine Zeit mit unnützen Fragen! Wir sind da, und das Notwendigste ist, daß wir baldigst ein erträgliches Unterkommen finden. Meine Damen sind halb erstarrt von dem naßkalten Unwetter, und mir wird ein warmes Zimmer auch nicht schaden. Alles übrige morgen!«

Direktor Kleemann verbeugte sich tief und. ließ dabei sein Auge auf den Oberförster hinschielen, als wenn er diesen zum Zeugen anrufen wolle, wie es mit dem »Unterkommen« im Schlosse bestellt sei.

Der Baron hatte unterdessen den zweiten Wagen öffnen lassen, und aus diesem sprang nun, sichtbar ergötzt durch den Schreck und die stumme Verlegenheit aller Einheimischen, seine Tochter Ludmilla, welcher eine, wenngleich nicht mehr so ganz junge, doch mindestens ebenso hübsche Begleiterin folgte. Ein Paar allerliebste Kammermädchen wanden sich, gelenken Eidechsen ähnlich, auch noch aus einer räderigen Arche. Der Kammerdiener, der beim Baron im Landauer gesessen, lauerte nur auf weitere Befehle, und die Lakaien lauerten wieder auf einen Wink des sie beherrschenden Untertyrannen, des gewaltigen Herrn Kammerdieners, ob sie beginnen dürften, die Fourgons auszuräumen. Doch weil der Baron immer auf befriedigende Antwort von seiten seines Wirtschaftsdirektors harrte, dieser aber sprach- und fassungslos vor ihm stand, so drängte sich alles auf dem Treppenabsatz in eine seltsam komponierte, keineswegs heitere Gruppe zusammen. Zum Glücke stellte sich, ehe noch des Schloßherrn verzeihliche Ungeduld in Zornausbrüchen laut wurde, die gute Frau Kleemann, zwar ohne Atem, doch nicht ohne jene Besonnenheit, wie sie praktische Haushälterinnen in Augenblicken dringendster Not um so siegreicher entwickeln, auf dem Schauplatze ein. Mit einem Blicke übersah sie die Verhältnisse und warf sich zwischen ihren vernichteten Gatten und dessen unwilligen Gebieter.

»Tausend und tausendmal Willkommen,« rief sie mit durchdringender Stimme, die schmetternden Fanfaren, womit die Postillone sich fürs Trinkgeld bedanken wollten, überbietend, »tausendmal Willkommen, reichsfreiherrliche Gnaden! Das ist eine glückselige Überraschung! Das ist ein gesegneter Abend für die arme verlassene Kauzburg, die endlich wieder einmal ihre Herrschaft beherbergen soll! Mein braver lieber Eheherr weiß sich vor lauter Freude keinen Rat. Außerhalb seiner Kanzlei verliert er geschwind die Fassung, besonders bei unerwarteten Glücksfällen. Ich bin nun just das Gegenteil; je mehr es zu thun giebt, desto lieber ist mir's. Und solche Überraschungen – da bin ich recht in meinem Elemente. Haben nur die Gnade, sich in unser Wohnzimmer zu begeben, wo es hübsch warm ist, und wo im Nu ein Imbiß und etwas Trinkbares aufgetragen sein soll. Da können sich die holden Damen bequem machen. Und unterdessen muß alles Hand anlegen, was Arme hat, meine Herren Beamten hier ebenfalls; die Schreiber hab' ich durch den Wächter schon aus den Federn holen lassen. Ehe Mitternacht herankommt, werden Ihre freiherrlichen Gnaden und unserer schönen Baronesse Gemächer logeable sein. Vorwärts, Direktor, vorwärts, ihr Herren! Alles für unsere Herrschaft! Herr Kammerdiener, lassen Sie abpacken! Wächter, was Stall- und anderweitige Laterne heißt, heraufgebracht, und die Korridore erleuchtet! Hohe Herrschaft, ich weise den Weg und bitte mir nachzufolgen. Der Leuchter geht voran, sonst kommt er nicht ins Himmelreich!«

Sie eröffnete den Zug. Der Baron, seine Tochter und deren Gesellschafterin, jede an einem Arme führend, folgte der resoluten Frau. Direktor Kleemann und seine Beamten gingen bewundernd hinterher. Als »die Herrschaft« von der traulichen Wohnstube, wo wir die vier Herren vor einem Stündchen so vergnügt beim Kartenspiele fanden, groß und breit Besitz genommen, und Frau Kleemann mit der alten zuverlässigen Liese den Küchenzettel erst noch einmal rekapituliert hatte, versank dieser Winkel des Schlosses plötzlich wieder in tiefe Stille. Was jenseits unter der Direktorin Direktion an Heidenlärm geleistet wurde, drang aus der Hauptfronte nicht bis in dies friedliche Asyl.

Der Baron beeilte sich das alte Kanapee einzunehmen, auf welchem Frau Justine so manches Mittagsschläfchen gemacht haben mag, und er bedeutete die Begleiterin seiner Tochter mit sprechendem Blicke, sie möge den Platz neben ihm behaupten, was jene zu thun nicht zögerte, was auch Baronesse Ludmilla wie eine gewöhnliche Sache hinnahm. Diese entschädigte sich für den ihr geraubten Ehrensitz neben dem Papa durch eine halb kindisch-neugierige, halb verächtlich-vornehme Untersuchung einiger unverschlossener Schübe und Laden, wobei sie nicht verschmähte, stehengebliebene noch gefüllte Gläser voll Glühwein bis auf die Neigen auszuschlürfen. Doch richtete sie mitunter scharf durchdringende Blicke nach Frau Justinens Sofa und dem darauf sitzenden Paare; auch würde ihrem feinen Gehöre schwerlich das leiseste Flüstern entgangen sein, wenn jene Zwei geflüstert hätten. Sie schwiegen jedoch mit den Zungen und sprachen nur mit Augen und Händen, wie Personen, die längst geübt sind, sich durch Zeichen zu verständigen. Und die junge Baronin lächelte dazu mit jenem bittern höhnischen Lächeln, welches dem schönsten Antlitz häßlich läßt und die edelsten Züge ihres Adels entsetzt. Doch war das nur vorübergehend. Eine Minute nachher, wie sie nichts mehr in der Wirtschaftsdirektorin Zimmer zu durchstöbern fand, kam sie zum Kanapee, glitt in die Ecke an ihres Vaters rechter Seite und nötigte diesen dadurch, indem er den mittleren Platz einnahm, noch näher an die Nachbarin zur Linken zu rücken. »Das hätte sich,« rief sie lachend aus, »dies alte Möbel nicht träumen lassen, daß es vor seinem Ende noch so glücklich sein würde, uns zu tragen!«

»Es weiß die Ehre nicht zu schätzen,« sagte der Baron, »wenigstens tritt es uns hart und schroff entgegen.«

»Das ist nicht seine Schuld,« entgegnete die Gesellschafterin; »es hat ausgedient; ich geb' ihm mehr als ein Menschenalter.«

»Gewiß; wenn es reden könnte ...«

Hier legte, auf Baronesse Ludmilla hinweisend, die schöne Dame dem Vater derselben ihre Hand auf den Mund. Sie schien zu befürchten, Seine reichsfreiherrliche Gnaden, ein Kenner Crebillons, könne sich weiter verirren, als dem jungen Mädchen mit anzuhören gezieme. Der Baron benützte diese Gelegenheit, einen hörbaren Kuß auf die Schweigen gebietende Hand zu drücken, wobei seine Tochter abermals ihre edlen Gesichtszüge durch jenes ironische Lächeln verzerrte. Abermals hielt es nicht lange an und ging sehr bald in unverstecktes, aufrichtiges Gähnen über, aus welchem, nachdem es sich mehrfach wiederholt, nach und nach ein sanfter Schlummer entstand. Ihr Kopf sank auf des Vaters linke Schulter. Er trug willig die kleine Last, und wahrscheinlich um des Gleichgewichts willen bot er der Nachbarin zur Linken die andere Schulter dar. Die Gruppe an und für sich mag recht malerisch gewesen sein, solange nur die Baronesse schlief, und die beiden andern einiges Leben verrieten. Als aber Frau Kleemann, von ihrem Gatten und den übrigen Beamten begleitet, mit der Meldung anlangte, daß einige Gemächer zur Not bewohnbar gemacht ihrer Herrschaft harrten, und daß in einem derselben ein »frugales Souper serviert« sei, ... da boten die drei in festen Schlaf gesunkenen, schwer atmenden, ein wenig schnarchenden, von ungeschneuzten Talgkerzen schwach Beleuchteten einen verdächtigen Anblick. Der vier Männer wagte keiner sie aufzuwecken. Die Direktorin schritt auch jetzt entschieden ein: »Wenn wir die Herrschaft hier krumm liegen lassen wie einen Haufen Unglück, so wird Morgen keines ein Glied rühren können, und außerdem wird ihnen das bißchen Essen kalt. Auf müssen sie! Folglich wollen wir irgend einen Lärm erheben, der sich mit dem Respekt vereinigen, aber reichsfreiherrliche Gnaden munter werden läßt.«

»Einen Lärm ...?« fragte der Wirtschaftsdirektor besorgt.

»Ja, einen Lärm! wir haben uns jetzt beim Räumen in den zugigten Gängen erkältet, und es ist uns allen Fünfen miteinander ein heftiger Schnupfen angeflogen. Ich hab' es am ärgsten erwischt und muß – hatsi! hatsi! herzhaft niesen.«

Ihr Beispiel wirkte ermutigend. Sämtliche Oberbeamtenschaft wagte ihr kräftiglich nachzuahmen. Bei der dritten Salve fuhr der Reichsbaron aus dem Schlafe empor und starrte, nicht eben mit sehr geistreichem Gesicht, verwundert um sich her. Seine Mienen fragten: wo bin ich? und was geschieht hier? Dann schüttelte er die auf seinen Achseln liegenden Lockenköpfe von sich, wodurch diese, aus dem Reich der Träume abberufen, sich ebenfalls in der Wirklichkeit zu orientieren versucht wurden. Die Gesellschafterin war bald bei Wege; an der Seite eines Herrn auf zweifelhaftem Sofa entschlummert und plötzlich von unerwarteten Zeugen aufgeschreckt zu sein, bedünkte die welterfahrene Schönheit nichts Außerordentliches. Anders Baronesse Ludmilla, welche nicht so geschwind aus dem Rosengewölke des mohnumkränzten Zauberers auf die Dielen der Kleemannschen Wohnstube herabzusteigen vermochte. »Ich hörte eine Englische Botschaft!« lallte sie noch träumend; und der schlaftrunkene Baron erwiderte: »wo soll der englische Botschafter herkommen?« Darüber brach die Gesellschafterin in lautes Lachen aus und verscheuchte den letzten Rest poetischer Täuschung durch solch' prosaisches Geräusch. Frau Kleemann fand es jetzt passend, ihre Meldung anzubringen, verbunden mit dem Bedauern, daß nicht mehr habe geschehen können für Seiner reichsfreiherrlichen Gnaden Bequemlichkeit; worin aber zugleich die Versicherung enthalten lag, daß denn doch streng genommen mehr geschehen sei, als unvorbereitet und in so kurzer Frist möglich gewesen; folglich das Unmögliche. Geschäftige Hausfrauen verstehen es aus dem Grunde, ihre Verdienste durch übertriebene Bescheidenheit erst ins rechte Licht zu setzen.

Wie nun endlich der hochgebietende Schläfer, leidlich bei Verstande, sich entschloß, da setzte sich der Zug in Bewegung und gelangte, in langen Korridoren nur mäßig vom Zugwind zerzauset, an die ganz hübsch und wohnlich bereiteten Gemächer. »Madame,« sagte der Baron zu seines treuen Kleemanns von Anstrengung und Selbstgefühl rotglühender Ehehälfte, »Madame, Sie haben das Unglaubliche geleistet: es sieht hier wirklich aus, als ob Menschen menschlich wohnen könnten; und das ist mehr, als ich von meiner bei Nacht überfallenen Kauzburg verlangen durfte. Auch locken die Speisen recht wohlduftend. Wir wollen sie versuchen. Ruhen Sie aus auf Ihren Lorbeeren, Sie und sämtliche Helfer! Wir werden nach dem Essen versuchen, wie sich und ob sich auf den Matratzen und in den Himmelbetten meiner Ahnen sanft schlafen läßt. Nicht wahr, ihr jungen Damen? Beide gähnten ein williges Ja. Diener und Kammerjungfern gähnten aus den Hintergründen hervor; der Reichsbaron entließ gähnend seine Kauzburger Beamtenschaft, welche sich unter Anwünschung »guten Appetites und untertäniger guter Nacht« absentierte und, ihre Schlafgelegenheiten, jeder die seinigen, aufsuchend, gleichfalls gähnte, recht aus vollem Halse.

Du findest, geehrter Leser, daß der Anfang dieser Geschichte gar schläfrig wird, und verspürst Neigung, den Kauzburgern nachzugähnen? Jedermann weiß, wie ansteckend dies eigentümliche Muskelspiel zu wirken vermag. Gähne, wenn es dir danach zu Mute wäre, aber wirf mein Buch deshalb nicht unwillig weg. Geleite mich in das Schlafgemach des Kleemannschen Ehepaares, wo noch allerlei Vertraulichkeiten geplaudert werden, die geeignet sind, munter zu machen, wach zu erhalten, weil ... o Schmach für die Menschennatur! ... weil sie sich um üble Nachrede, um anstößige Verhältnisse, um ein neues Kapitel in der Chronique scandaleuse, welche bisher in Kauzburg ein dünnes Büchlein geblieben war, wenden und drehen.

Sie hatten bemerkt, trotz ihrer arglosen Unerfahrenheit in derlei Dingen, die biedern Landbewohner, daß zwischen ihrem Reichsfreiherrn und der fremden schönen Dame, die mit ihm eingetroffen, ein unnennbares Etwas hänge, worüber sich noch nichts Bestimmtes angeben, dessen schwüle Bedeutung sich aber auch nicht verkennen lasse. Spitzfindige hingeworfene Äußerungen der Kammerzofen bei Auswahl des für »Demoiselle Gottliebe« einzurichtenden Zimmers, dessen Lage betreffend, mehrten den Argwohn der braven Kauzburger. »Wenn diese ... Gesellschafterin nur für unsere Baronesse da ist,« sagte Kleemann nachdenklich zu seiner Frau, »weshalb wohnt sie nicht mit dieser zusammen? wenigstens Thür an Thür? Weshalb bestanden die vorlauten schnippischen Persönchen darauf, daß der Demoiselle ein abgesondertes Gemach bereitet werden müsse? Das gefällt mir nicht, Justine.«

»Wir werden bald noch mehr erleben, was uns nicht gefällt, Kleemann! Zur Gespielin wäre die sogenannte Gesellschaftsdame für unser Freifräulein zu alt; zur Gouvernante ist sie viel zu jung. Die hat der Herr nicht seiner Tochter zuliebe, die hat er sich selbst zum Witwertrost ins Haus genommen. Und Gott mag wissen, wo er sie aufgegabelt, und was sie vorher schon für einen Ruf gehabt hat. Es sollte mich nicht verwundern, wenn er einzig und allem, um dem Gerede über diesen Umgang auszuweichen, sich nach dem vernachlässigten Kauzburg geflüchtet hätte! Uns will er weismachen, die Kriegsläufte vertrieben ihn aus Tauern? Faule Fische das! Die Kriegsläufte sind schon turbulenter und gefährlicher gewesen, und ihm ist nicht in den Sinn gekommen, daß er ausreißen sollte! Retirieret mag er sich freilich wohl haben, aber nicht vor Schwertern und Kugeln, vielmehr vor Zungen und Augen. Wir, meint er, sind zu dumm, Unrat zu merken; oder wenn wir's merken, dürfen wir's doch nicht merken lassen, dieweil wir seine Diener sind, denkt er.«

»So sind die Herren einmal, Alte! wir werden's nicht ändern.«

»So gescheit bin ich selbst. Ist mir auch nicht um uns, Alter! Wir sind über das böse Beispiel hinweg. Aber die Baronesse, barmherziger Heiland, wenn ich das junge Blut betrachte und bedenke ... sie muß ja dahinter kommen; es kann ihr ja nicht verborgen bleiben. Was für Folgen wird das haben! Müßte da unser Herrgott nicht mit Keulen dreinschlagen?«

Direktor Kleemann hatte sich gerade die baumwollene Zipfelnachtmütze übers Haupt gezogen und blieb, ehe er das Bein zum Schritte ins Bett erhob, sinnend stehen. Die Besorgnisse seiner umsichtigen Ehehälfte brachen sich nur langsam Bahn bei ihm. Nach reiflicher Überlegung sprach er sich aus: »Sieh, Justine, was du fürchtest, hat leider Grund. Eines tröstet mich dabei. Sollte des Vaters böses Beispiel die Baronesse zu irgend einer leichtsinnigen Handlung verleiten, so müßte notwendig ein gefährlicher Kavalier in der Nähe, ein junger kühner Verführer da sein, der ihr dazu die Gelegenheit böte. Denn auf eigene Hand und allein kann eine Jungfrau beim besten übeln Willen unmöglich dumme Streiche machen. Ihrer Zwei gehören durchaus wenigstens dazu. Um Tauern herum mag es an solchen irrenden Rittern vielleicht keinen Mangel haben. Um und in Kauzburg würde es dem Gottseibeiuns schwer fallen, ein passables Subjekt dieser Rasse aufzutreiben. Unsere Schreiber ... ich muß lachen! die danken ihrem Schöpfer, wenn sie das bißchen Leben haben, und gehen weit weniger darauf aus, Baronessen in die Augen zu stechen, als sich den Magen voll zu fressen. Folglich ist hier, nach meinem Dafürhalten, die Gefahr viel geringer als anderswo, und wir mögen geruhig schlafen.«

Mit diesem Resultate seiner reiflichen Erwägung zufrieden begab er sich zu Bette.

*   *   *

Als der Reichsfreiherr am Morgen des nächstfolgenden Tages von seiner Tochter und nicht minder von Demoiselle Gottliebe verschiedene kritische Bemerkungen über den »deplorabeln Zustand des Kauzburger Mobiliar-Inventars« zu hören bekam, unter welche sich auch bittere Klagen über Entbehrung gebührender Bequemlichkeit und »Aisance« mischten,... (das englische »Komfort« war zu jener Zeit noch nicht gang und gäbe)...da rief er wohl aus: »Ei was! à la guerre comme à la guerre! Es wird euch das Leben nicht kosten, Mesdemoiselles! Arrangiert euch, wie ihr könnt.« Doch diese seine stoische Entbehrungskraft reichte kaum für die ersten vierundzwanzig Stunden. Sobald die Reihe, dies oder jenes zu vermissen, was zum nötig gewordenen Überflusse verwöhnter Menschen gehört, an ihn selbst kam, zog er andere Saiten auf. Eine deshalb mit Madame Kleemann abgehaltene Konferenz stellte die Unmöglichkeit ins Licht, noch mehr zu leisten, als bereits in dem landsturmartigen Aufgebot der ersten Nacht geschehen. Das Gardemeuble hatte seine letzten Truppen gestellt; um morsche Greise und dienstuntaugliche Krüppel blieben übrig. Außerdem verlangten die uralten, in ihrer Art allerdings herrlichen goldbedruckten Ledertapeten, welche Säle und Zimmer schmückten, an vielen schadhaften Stellen gründliche Ausbesserung. Die Stoffe dazu waren in den wohlkonservierten Vorräten der ordnungsliebenden Frau Kleemann reichlich vorhanden; doch die Arbeit bedurfte sicherer und geübter Hände, sollten jene Reste einer nicht mehr modernen, aber immer noch Effekt machenden Opulenz nicht verpfuscht werden. Die Notwendigkeit, aus der nächsten größeren Stadt den daselbst renommiertesten Tapezierer nebst Gesellen verschreiben zu lassen, konnte folglich nicht mehr weggeleugnet werden. Und nachdem dieser sein Geschäft sehr eifrig und im ausgedehnten Wirkungskreise betreibende Bürgersmann sich eingestellt und das Schlachtfeld rekognosziert hatte, äußerte er: Es sei der Ehre eines Reichsunmittelbaren zuwider, in solcher Umgebung zu weilen; Schloß Kauzburg trage in Anlage und Zuschnitt seines Baues viel zu sehr das Gepräge eines ehrwürdigen Schlosses, als daß er, Meister Tapezierer und Inhaber des ersten privilegierten Möbelmagazines in der Provinz, eine solche unwürdige Einrichtung mit ansehen könne. Er wolle, aus eigenem Antriebe, reichsfreiherrliche Gnaden möblieren, wie sich für hohe Herren und Damen gebühre! Treffe er den Geschmack nicht ... dann sei er bereit, alles wieder zurückzunehmen, sobald Kauzburg nicht ferner das Glück genießen werde, sich im Gnadenblicke der Herrschaft zu sonnen; versteht sich, gegen entsprechende Transport- und Mietevergütigung, denn einen andern Antrag zu wagen gestatte ihm seine Ehrfurcht nicht.

»Dieser Ouvrier,« meinte der Baron zu Tauern, »drückt sich ganz erträglich aus.«

Das Erbieten wurde angenommen; Direktor Kleemann schloß gegenseitig bindende Verträge, und ehe eine Woche ins Land gegangen, arbeiteten sechs rüstige Burschen von Früh bis in die Nacht, und langten Tag um Tag hochbeladene Frachtwagen mit geschmackvollen, zum Teil kostbaren Prachtstücken jenes »privilegierten Möbelmagazines« an. Einen halben Monat hindurch wurden die vornehmen Bewohner des neu einzurichtenden Flügels freilich aus einem Gemach ins andere gejagt und hatten oftmals kaum, wo sie ihr Haupt niederlegten. Doch da der spätere Herbst gefällig genug noch sommerliche Mienen zeigte, fanden sie auf Spazierfahrten und Jagdpartien allerlei Zerstreuungen; und bei schlechtem Wetter suchten sie solche im Anblick der stündlich wahrzunehmenden Fortschritte, welche die Ausstattung ihrer Apartements machte. Wir dürfen es ... mögen wir mit unseren frömmeren menschlichen Gefühlen und Grundsätzen den unnützen Luxus noch so sehr tadeln! ... wir dürfen es nicht in Abrede stellen: es liegt ein unwiderstehlicher Zauber darin, große Räume, die, in edlen künstlerisch-reinen Verhältnissen erbaut, in ihrer Vernachlässigung öde, leer, düster, unheimlich erschienen, durch geschickte Hände nach und nach in behagliche, geschmackvoll ausgezierte, mit unzähligen brauch- und unbrauchbaren Gegenständen bereicherte umgestaltet zu sehen. Es ist im kleinen, wie es der Frühling im großen macht, wenn er dürre Bäume, blattlose Gesträuche, vergelbte kahle Wiesen in schattige Hallen, in blühende Lauben, in grüne Teppiche verwandelt. Und eine solche Verwandlung will man sich im alten abgelegenen Schlosse, welches uns einen langen Winter hindurch mit seinen steinernen hundertjährigen Mauern umschließen soll, zwiefach gern gefallen lassen.

Baronesse Ludmilla verfolgte die Bestrebungen der thätigen Arbeiter mit besonderer Aufmerksamkeit. Die Dienerschaft, welche aus guten Gründen Partei für sie gegen Demoiselle Gottliebe nahm, erblickte darin nichts als ihre wachsende Abneigung wider eine ihr vom Vater aufgedrungene Gesellschafterin, deren Gesellschaft sie möglichst vermied. Die weiblichen Genossinnen Tauern-Kauzburgischer Vor- und Toilettenzimmer meinten: Die hochmütige Kokette ist ihr unangenehm, und sie weicht ihr aus, wo sie kann. Die männlichen Diener zischelten: sie ist eine aufmerksame Tochter; sie will den Herrn mit der Mamsell allein lassen, und ehe sie stört, sieht sie lieber zu, wie Ledertapeten ausgeflickt werden! Beide können das Richtige getroffen haben; doch es kam noch ein Drittes dazu.

Unter den Tapezierergesellen (heutzutage muß man dieselben, soviel ich weiß, »Gehilfen« titulieren, will man nicht anstoßen) befand sich ein Lehrjunge, der für einen solchen schon viel zu erwachsen, aber dennoch im Geschäft nur ein Anfänger, und auch dies mit größter Unlust war, weshalb er von allen Gesellen scheel angesehen wurde. An harten Worten fehlte es ihm nicht, wogegen es zu den eigentlichen Mißhandlungen, welche wehrlose Knaben von jähzornigen oder tückischen Jünglingen im Handwerk so häufig erdulden müssen, hier niemals kam, weil dieser Lehrjunge eben kein Knabe mehr, sondern ein tüchtiger und nichts weniger als wehrloser Bursche war. Durch Geschick in Förderung ihm anvertrauter Arbeiten zeichnete er sich gar nicht aus; desto mehr jedoch durch sein sonstiges Benehmen, seine Haltung, die wenigen Äußerungen, die er that; denn im allgemeinen blieb er schweigsam und sprach nur, wenn er gefragt wurde. Was er dann sagte, hatte Sinn und Verstand. Er war weder groß, noch sein Gesicht von regelmäßiger Schönheit. Fein gebaut, ohne schwächlich zu sein, zeigte seine Gestalt ein angenehmes Ebenmaß der Glieder. Hände, Füße, vorzüglich die Knöchel an beiden waren zart geformt, die Schultern breit, die Brust mächtig, und ihrem Bau entsprach der Stimme Klang, die voll und klar daraus hervordrang, und aus deren Grundton sich ahnen ließ, daß sie jeder Modulation fähig sei. Die Züge des Antlitzes konnten bei oberflächlichem Anblick für gewöhnlich gelten. Der Mund mochte verhältnismäßig ein wenig zu groß sein; die Oberlippe aufgeworfen und schon vom Anfluge eines Bartes geschmückt, was dem »Lehrjungen« wunderlich anstand. Die Augen sahen nach gar nichts aus, solange er sie aufs trockene Tagewerk richtete. Gab der junge Mensch aber Antwort auf eine Frage, die ihn aus dem Gebiete des Alltäglichen hervorrief, schlug er dabei die Lider empor, so leuchtete unter diesen ein Feuer heraus, ein Glanz, ein Blitz ... der jeden durchzuckte, den er traf, der jedoch gleich wieder verlosch oder sich hinter einem grauen Schleier zu verbergen schien.

Diese Betrachtungen rühren nicht vom Autor her. Baronesse Ludmilla hat sie gemacht bei ihrem häufigen Besuche der Plätze im Schloß, wo die Werkstätten eben aufgeschlagen waren. Sie wagte nicht Gespräche mit dem ihr rätselhaften Jünglinge ausschließlich anzuknüpfen. Sie fürchtete den Spott der übrigen herauszufordern, wenn sie sich mit dem von ihnen verächtlich Behandelten vorzugsweise beschäftigte. Deswegen versteckte sie ihr Bedürfnis, ihn bisweilen reden zu hören, in allgemeine Erkundigungen über den Fortgang der Arbeit, über die noch bevorstehende Dauer derselben, ließ sich über einzelne Hand- und Kunstgriffe unterrichten und wußte das immer so listig zu wenden, daß sie ohne besonders auffällige Absichtlichkeit auch bis an ihn gelangte. Hatte sie ihm einige Worte entlockt, hatte sie seine Augen einigemal aufleuchten gesehen, so entfernte sie sich eiligst. Ob verlegen? ob befriedigt? das wußte sie selbst nicht, und sie gab sich keine Rechenschaft von den Gefühlen, die sie mitnahm. Regte sich dann bisweilen der angeborene Hochmut bei ihr, fand sie sich lächerlich, daß ein gemeiner Lehrjunge ihr ungewöhnliches Interesse abgewinnen könne, dann beschwichtigte sie sich gleich wieder mit dem Gedanken, hier walte lediglich der Reiz des Geheimnisvollen, Seltsamen; sie wolle ja nur erforschen, ob hinter dem untergeordneten Handwerker nicht vielleicht gar ein verkleideter, unternehmender Verehrer stecke? Deshalb erwähnte sie auch nie eine Silbe »Wulf den Jungen« betreffend (diesen Namen gaben ihm die Gesellen) vor ihrem Vater. Vor Gottlieben noch weniger.

Die Frist, vom Meister den unermüdlichen, zwiefach bezahlten Arbeitern gesetzt, ging auf die Neige. Nur von wenigen Tagen war noch die Rede; dann sollten sie in Kauzburg den letzten Feierabend machen und zur Stadt heimkehren. In Ludmillas Herzen entspann sich nun ein heftiger Kampf zwischen zurückhaltendem Stolze und völlig widersprechenden Empfindungen. Die letzteren behaupteten den Sieg, und sie faßte den Entschluß, ihr lebendiges Rätsel nicht scheiden zu lassen, ohne es vorher aufzulösen. Unbekümmert um etwaige Augen- und Ohrenzeugen, wollte sie mit Wulf ein erschöpfendes Gespräch eingehen und ihm seine Geheimnisse abfragen. Sie empfand die Notwendigkeit, über den Menschen und dessen Herkunft ins klare zu kommen; sie verlangte zu erfahren, ob er wirklich mehr sei, als er scheinen gewollt, ob es ihr vielleicht vergönnt wäre, sein Andenken zu bewahren, wozu ihr Herz einige Neigung zeigte. Vergessen wir dabei nicht, daß bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts die wunderlichsten Reminiscenzen an Abenteurer jedes Standes und jeder Gattung aus dem jüngstvergangenen herüberragten, daß diese in jugendlichen Köpfen spukten; daß die große Staatsumwälzung Frankreichs durch ganz Europa zitterte; daß dem aufgewühlten Boden allerlei seltsame Figuren entstiegen, deren Heimat niemand wußte, deren Ursprung sich nicht nachweisen ließ; daß gar leicht hinter einem Tapeziererlehrling der Sohn eines ebenbürtigen Hauses verborgen sein konnte! Suchte man doch fünfundzwanzig Jahre später noch im kleinen Häuschen eines kümmerlich lebenden Uhrmachers zu Crossen den rechtmäßigen Erben des französischen Thrones. Weshalb hätte Baronesse Ludmilla nicht schwärmen dürfen in der süßen Möglichkeit, die strahlenden Augen Wulfs des Jungen waren das eingeborene Doppelwappen eines Marquis? Diese Möglichkeit gab ihr Mut. Von Mut erfüllt trat sie ihren Weg nach dem großen Saale, dem letzten Tummelplatze gewerbsfleißiger Verzierer und Ausschmücker, an ... doch ach, da sie umherschauete, fehlte ihr derjenige, um dessenwillen sie gekommen ... Wulf war unsichtbar und blieb es den ganzen Tag über. Zwanzigmal stellte sie sich ein, gleichgültig dagegen, was sich die auf Leitern schwebenden, hämmernden, kleisternden, singenden, aus kurzen Stummeln übelriechenden Tabak qualmenden Burschen dabei denken könnten. Jedesmal ungeduldiger, von Stunde zu Stunde aufgeregter, endlich im förmlichen Fieber, dessen überlaufende Schauer ihr zuletzt eine halbgestammelte Frage nach dem Abwesenden von den Lippen schüttelten.

»Der Junge, der Wulf,« sprach der Altgesell; »der? davongelaufen ist er. Gut gethan hat er so nicht, 's ist nichts verloren an ihm. Ich hab's ja dem Meister gleich gesägt, wie er ihn aufnahm: erstens war der Bengel schon viel zu herangewachsen, ließ sich nicht mehr bescheiden durchwichsen, stellte sich zur Wehr, brachte auch keinen rechten Antrieb mit zur Tapeziererei, stachen ihm andere Dummheiten im Kopfe; und hernachgehends mit solchen Komödiantenkindern bringt man nichts Gutes zustande im bürgerlichen Wesen; die fügen sich nun einmal nicht in Ordnung und zunftmäßigen Gehorsam. Wird wohl wieder zu seines Vaters Bande retour gegangen sein, denn die treibt sich hier wo herum, sagen die Leute. Na, zum Wenigsten hat er soviel bei uns profitiert, daß er dem alten Schweinetreiber, dem Prinzipal, helfen kann Dekorationen aufnageln und den Theatermeister machen. Hol ihn der Teufel. Mir ist's ganz recht, daß wir ihn los sind. Hätten doch keine Ehre mit ihm eingelegt!«

All' diese wegwerfenden Äußerungen that der Altgesell bedächtig, unausgesetzt arbeitend, ohne nur die Stimme zu erheben, und spuckte ruhig nach jedem Satze einmal aus; der sicherste Beweis, daß ihm der Vorfall höchst gleichgültig sei, daß er den Entwichenen sogar seines Zornes unwert halte. Härteres kann eine exaltierte, plötzlich enttäuschte Hörerin kaum treffen als solche Geringschätzung, die das mit Vorliebe ausgemalte Traumgebild durch einige kalte Worte vernichtet. Ludmilla entfernte sich beschämt. Hätte den Reichsbaron nicht sein Verhältnis zur Gesellschaftsdame so ganz in Anspruch genommen, er würde der Tochter Niedergeschlagenheit wohl bemerkt haben. Gottlieben entging sie nicht; doch suchte diese die Veranlassung dazu in ihrer eigenen bedenklichen Stellung zwischen Vater und Tochter. Da sie nun keineswegs gesonnen war, solche aufzugeben, sondern vielmehr sich nur sicherer und dauernder darin zu befestigen gedachte, so lag der Wunsch nach einer zerstreuenden, aufheiternden Belebung der Kauzburger Abgeschiedenheit sehr nahe. Minder nahe lagen die Mittel zu dessen Erfüllung. Den Umgang benachbarter Gutsbesitzer aufzusuchen, bot vielfältige Schwierigkeiten. Die große Herrschaft Kauzburg war eben nur von kleinen Rittergütern umgeben, mit deren Bewohnern gegenseitiger Verkehr fast unausführbar schien, weil jene auf den geringen Ertrag ihrer dürftigen Landwirtschaft angewiesenen Edelleute, den Reichsbaron bei sich gebührend zu empfangen, die Mittel nicht aufbringen konnten und sich teils aus Ehrerbietung, teils aus Sparsamkeit schüchtern zurückgehalten, hätte man sich ihnen genähert. Und fanden sich vielleicht Ausnahmen, so drohten gerade diese ihr wiederum anderweitige Gefahr, da jüngere Frauen und Töchter neuerworbener Bekannten sich an Ludmilla vertraulich anschließen und Gottliebes anstößige Position noch anstößiger und unbequem machen konnten. Es kam also darauf an, Abwechslung in das bevorstehende Winterleben zu bringen, gesellige Unterhaltung, menschlichen Verkehr, ohne doch eigentlich die Verpflichtung gesellschaftlichen Umgangs samt ihren gefährlichen Folgen auf sich zu laden. Gottliebe eröffnete diese ihr selbst noch unklaren Absichten dem Reichsbaron in einer stillen Stunde, unterstützt von allen Gründen, welche Ludmillas täglich wachsender Unmut lieferte; gestand dabei, daß sie keinen Rat wisse, und daß sie auf ihres liebenden Gönners Weltkenntnis rechne, die mit scharfem Entschlusse den Knoten lösen oder zerhauen wolle!

»Dein Gleichnis, Gottliebe, paßt nicht,« erwiderte er. »Weder gelöset noch zerschnitten, nur fester geschlungen, womöglich verwickelt, wie ihr Weiber es gern habt, soll ja der Knoten werden durch die Beihilfe, die du von mir verlangst. Da zeigt sich denn wieder einmal, daß die klügsten und gewandtesten eures Geschlechtes bisweilen vor lauter Schlauheit und Scharfblick das Naheliegende übersehen. Wahrlich, dir hätte ich mehr Umsicht zugetraut! Worauf gehst du aus? Ludmillas Mißmut, der teils aus Mangel an äußerlichen Vergnügungen, teils aus Ärger über unsere Intimität entspringen kann, möchtest du verscheuchen, das Mädchen auf andere Gedanken bringen, ihr die große Stadt, den fehlenden Umgang ersetzen, ohne doch dadurch in lästigen Konflikt mit dem umherliegenden Betteladel zu geraten? Vortrefflich! Das sagt mir zu, und ich begreife dich vollkommen. Unbegreiflich ist es aber, wie du nur einen Augenblick verlegen bist um die Ausführung? Sie bietet sich ja von selbst an; sie schwebt vor uns gleich reifen Früchten an tief gesenkten Ästen; wir dürfen nur zugreifen!... Wie? Du verstehst mich noch nicht? Ahnest nicht, wo ich hinaus will? Gut, so lasse dir's abkatechisieren, wie im Frage- und Antwortspiel. Wo sah ich dich zum erstenmal? Wo verliebte ich mich in dich? Wo gewannen deine Reize die heftige Gewalt über mich, über mich, der ich mich solchen Regungen fast schon abgestorben wähnte? War es nicht die allerliebste galante Schauspielerin, die über meine Apathie triumphierte und mich im Sturm und Brand eroberte? Sind es nicht eigentlich die künstlich aufgefrischten Bilder jener ersten Abende, die mich jetzt, wo du seit einem Jahre von der Bühne zu mir auf den Boden der Prosa getreten bist, noch immer aufs neue verjüngen und entzünden, mich, dessen Haupteigenschaft die Beständigkeit in Liebessachen niemals gewesen? Was könnte dir willkommener, mir entzückender, unserm heimlichen Bündnisse förderlicher und erfreulicher werden, als dich wieder in die Zaubersphäre gehoben zu sehen, wo du alle Waffen deiner unwiderstehlichen Gewalt zu schwingen vermagst? Niemand in meinem Hause hat nur die leiseste Ahnung davon, daß du Schauspielerin warst; ich lernte dich in Reval kennen, auf der Rückkehr von meiner unglücklichen diplomatischen Petersburger Fahrt; aus dem Norden folgtest du mir unter fremdem Namen, und wenn es auch in Tauern nicht lange verborgen blieb, daß Ludmillas Gesellschafterin zugleich ein wenig des Papas Gesellschafterin zu sein die Gefälligkeit übt, so denkt doch kein Mensch daran, in der esthländischen Pastorstochter, als welche du auftratest, eine ehemalige Komödiantin vor sich zu sehen. Die Routine, welche du entfalten wirst, wenn du aufs neue die Bretter besteigst, muß dir folglich als zweifaches Talent ausgelegt werden. Die Zuschauer werden dich bewundern, und meine Leidenschaft für dich, von Phantasie befeuert, gewinnt bei dieser allgemeinen Bewunderung frische Nahrung. Ludmilla, die selten oder nie theatralischen Vorstellungen beiwohnte, wird hingerissen von dem Reize fremdartiger Eindrücke sich erheitern; sie wird dir dankbar sein für poetische Anschauungen, die du ihr in einer für sie ganz unbekannten Welt eröffnest. Unsere Nachbarn ladet man ein. Sie, meine Beamten, die anständigeren Insassen bilden das Publikum. Alle werden begierig die Erlaubnis benützen, wöchentlich einige Winterabende im Genusse eines hier nie erlebten Vergnügens hinbringen zu dürfen, um so begieriger, weil es ihnen umsonst dargeboten wird. Ludmilla wird eine Menge von Menschen in ihrer Nähe sehen, wird rechts und links plaudern können, wird guter Laune sein ... ohne daß wir nötig haben, langweilige Gäste zu empfangen und noch langweiligere Einladungen anzunehmen, ohne jene gesellschaftlichen Martern, die unsern vertraulichen Umgang sonst stören und uns Zwang auflegen müßten. Theater! Theater in Kauzburg! An Räumlichkeiten fehlt es nicht. Rasch die Bühne aufgeschlagen und du ihre schönste Zierde!«

Gottliebe hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört. Nur ihrer äußersten Selbstbeherrschung gelang es, das Erstaunen, das Entzücken zu verbergen, welches sie erfüllte. Daß der Reichsfreiherr ihr und ihrem noch vor sich selbst geheim gehaltenen Anschlage so hingebend, in fast kindlicher Einfalt auf halbem Wege entgegen kommen, daß er sich ihren Künsten und Listen so treuherzig preisgeben wolle! ... es überstieg ihre kecksten Erwartungen. Doch gerade deshalb durfte sie sich nicht allzu bereitwillig erweisen, mußte scheinbare Hindernisse entgegenstellen, damit er ja nicht gewahr werde, wie sehr dieser Plan mit dem ihrigen übereinstimmte, und welches Übergewicht ihr daraus erwachse. Sie fragte also mit anerkennungswertem Darstellungsgeschick vollkommene Gleichgültigkeit spielend und heuchelnd: »Theater? Wunderlicher Einfall! Darauf wäre ich nicht gekommen! Freilich, für mich ist das Coulissentreiben jetzt völlig gleichgültig. Doch in Erwägung der Umstände finde ich die Idee recht passend, es läßt sich nichts dagegen einwenden. Nur die Hauptsache fehlt: das Personale. Wo nehmen wir die Akteurs her? Sogar wenn Herr Wirtschaftsdirektor Kleemann zum Theseus gemacht würde, damit ich als Ariadne auf Naxos herumfegen könnte ... das gäbe immer bloß einen Abend, und auch nicht einmal einen ganzen.«

Der Freiherr wollte sich ausschütten vor Lachen über seinen alten Amtmann in fleischfarbenen Tricots. »Nicht doch,« rief er, »keine Dilettantenquälerei! Das ist abscheulich! Weder junge noch alte Beamte! Leute vom Handwerk, veritable Komödianten, die das Ding ernsthaft angreifen, die Lunge und Leber daran setzen, die nicht geschont werden dürfen, mit denen man keine Komplimente macht, die man auszischt, wenn sie schlecht spielen, die man lobt, wenn sie sich brav zeigen, die man gut bezahlt, und damit Basta!«

»Sollen diese Bedingungen auch für mich gelten?« fragte Gottliebe in scheinheiliger Unterwürfigkeit.

»Du bist der unbezahlbare Brillant zwischen böhmischen Steinen. Du glänzest zwei Stunden lang über ihnen, um dann wieder in Verschluß genommen zu werden vom beglückten Besitzer, der dich nur darlieh, dich auf kurze Zeit den Blicken anderer zu gönnen; der dich sodann zurückfordert, um dich an seinem Herzen zu tragen. Übrigens wirst du ... natürlich aus angemessener Höhe... das Ganze leiten. Der Prinzipal empfangt von dir seine Verhaltungsbefehle, welche Stücke ausgewählt, vorbereitet, an welche Mitglieder die Hauptrollen verteilt werden sollen; und während er für den Direktor gilt, bist du es, die ihn dirigiert. Ich höre, daß eine ganz leidliche Truppe sich vier bis fünf Meilen von uns gegenwärtig aufhält. Mein jetziger Oberförster ist den Leuten begegnet auf seiner Reise hierher. Er lobt ihre Vorstellungen; auch Dekorationen und Garderobe sollen ganz anständig sein. Nur einen höchst fühlbaren Mangel rügte er. Es fehlt an einer eigentlich ersten Schauspielerin. Die Frau des Entrepreneurs hat dieses wichtige Fach inne... wahrscheinlich weil sie keine Jüngere und Schönere bezahlen können. Dafür ist bei uns gesorgt. Ich habe den Oberförster bereits abgesendet, besagten Schauspieldirektor herbeizuholen; Hoffentlich hat er sich seiner bemächtiget und liefert ihn heute noch ein, dann wollen wir's schnell und sonder große Bedenklichkeiten ordnen. Der arme Teufel wird sich glücklich schätzen, für eine bestimmte Zeit gedeckt, ein paar Thaler sparen zu können. Die alte Manege eignet sich vorzüglich zum Schauplatz. Ein paar tüchtige Kachelöfen sollen schnell aufgerichtet sein, und mit dem Holze braucht Herrschaft Kauzburg nicht zu geizen. Soweit reicht meine Aufgabe. Das Übrige leg' ich in deine Hände; du bist Generalintendant unseres Hoftheaters!« –

»Wird es bei so hohem Range mir wohl geziemen, mich ohne weiteres in die Reihen meiner Untergebenen zu mischen? Werd' ich nicht in der Kauzburger Beamten, hauptsächlich aber in Ludmillas Meinung jegliche Würde einbüßen, werd' ich nicht an Achtung verlieren, wenn ich als Komödiantin erscheine? Nehmen wir an, die Truppe, auf welche dein Oberförster Jagd macht, sei, was eine Schmiere heißt – was Ihr eine Bande nennt ...«

»Das ist sie zuverlässig! Wie könnte das anders sein, und wer erwartet etwas anderes unter diesen Umständen? Das thut ja nichts. Ein paar brauchbare Individuen fehlen gewiß nicht, sonst würde man die Leute nicht loben hören. Diese wollen wir bald herausfinden. Fürs erste darf niemand erfahren, worauf es bei der ganzen Sache abgesehen ist. Die Schauspieler, wie sie stehen und gehen, geben uns einige sogenannte Probevorstellungen, denen du, neben Ludmilla und mir sitzend, beiwohnst. Da wird denn getadelt und gelobt ... je nachdem. Da wird die Ansicht ausgetauscht, daß man es nicht so genau nehmen, daß man sich das bißchen Vergnügen nicht durch scharfe Kritik schmälern dürfe. Da heißt es: die Truppe hätte verschiedene hübsche Kräfte, leider nur, daß es ihr an einer ersten Schauspielerin im strengsten Sinne des Wortes gebricht. Ja, wenn eine solche aufzutreiben wäre ...! und dergleichen mehr. Anfänglich stellst du dich harthörig; nach und nach gehst du darauf ein, sprichst von der Neugier, die dich treibt, einmal zu versuchen, wie es gelingt; meinst aber, es schicke sich doch nicht recht. Ich mache Kabale dafür, gewinne die Nachbarn für den Plan, wir dringen in dich, du weigerst dich, zuletzt lassest du dich erbitten, doch ausdrücklich nur für ein einziges Mal! Das Weitere findet sich dann von selbst. Aus dem einzigen Male wird auf vieles Bitten dreimal, und dann noch einmal zu meinem Geburtstage, und immer weiter fort, trotz deines Sträubens. Denn es muß als ein immenses Opfer ausgelegt werden, welches du uns bringst.«

Gottliebe wußte immer wieder einige Bedenklichkeiten vorzubringen, und der Reichsbaron ging ehrlich und nachgiebig auf deren Widerlegung ein, wodurch dies Zwiegespräch unendlich zu werden drohte, als es zur passendsten Stunde durch Anmeldung des soeben eingetroffenen Komödianten-Prinzipals erwünschte Unterbrechung erlitt. » Lupus in fabula!« rief ihm der Schloßherr entgegen.

Wie ein Wolf oder wie ein anderes reißendes Tier sah jedoch Schauspielunternehmer Bäcker gar nicht aus. Vielmehr glich er – so lautete die Ansicht des ihn im Vorzimmer empfangenden Kammerdieners– einem »Landstreicher von der sanften Sorte.« Sein spärliches Haupthaar (ob von Natur, ob durch Puder gebleicht, ließe sich kaum bestimmen) hing in dünnen Locken um ein gutmütiges, faltenreiches, doch rotwangiges Gesicht. Wuchs, Haltung, Gang verrieten den geschulten Tänzer, dessen Füße, auch in Stiefeln gezwängt, nimmer vergessen, was sie sich schuldig sind und demjenigen, den sie tragen. Er kam sicheren Schrittes einher, ohne plump aufzutreten; er wiegte sich über den Fußboden, als ob er auf der Bühne einen Minister spielte. Von Verlegenheit war nicht die Rede bei ihm, von kriechender Unterwürfigkeit noch weniger. Seine Verbeugungen gegen den Reichsbaron ... und er lieferte deren drei wohlabgemessene ... hatten viel Ähnlichkeit mit jenen, die in irgend einer alten Hofkomödie der Kavalier von ältestem Namen einem erst kürzlich unerwartet auf den Thron gelangten Fürsten von jüngerer Herkunft gönnen würde; es lag eine gewisse Zurückhaltung darin, welche sich ihre Rechte nicht vergeben will. Bäcker schien zu denken: du bist der Herr auf Tauern-Kauzburg ... ich bin Prinzipal einer Künstlertruppe ... Jedwedem das Seinige! Und wie ärmlich der Mann im einzelnen aussah, im ganzen verstand er seine milde, stolzbescheidene Würde so hübsch zu behaupten, daß der Freiherr sein » lupus in fabula« fast unausgesprochen verhallen ließ und des Komödianten feierliche Verbeugungen ungleich verbindlicher aufnahm und erwiderte, als er selbst eigentlich beabsichtigte. Wie nun Bäcker nach vollbrachter Eintrittsceremonie, dem Schloßherrn erwiesen, sich der anwesenden Dame zuwendete, die er, mit des Hauses Verhältnissen unbekannt, für des Gebieters Gemahlin hielt; und wie er, in einem Anfluge galanter Erinnerungen aus beglückter Jugendzeit, Gottlieben huldigend ins Antlitz schauete ... da blieb er plötzlich mit offenem Munde vor ihr stehen, und der ihr zugedachte, sorglich vorbereitete Bückling, worin sich Ehrerbietung mit kokettierender Bewunderung verschmelzen sollte, schnappte mitten in der zierlichsten Krümmung ab.

»Kennt ihr euch?« fragte heimlich der Baron, dem die Besorgnis aufstieg, die beiden waren sich auf Gottliebes früherer Laufbahn schon einmal in den Weg geraten.

Sie beruhigte den Fragenden mit einem Blicke, den Schauspielunternehmer jedoch fragte sie lächelnd: »Wie nun? bin ich so erschrecklich anzusehen?«

Der fast frivole Ton machte ihm Mut. »Reichsfreiherrliche Gnaden,« hob er an, »jedweder taxieret die Personen, so er zum erstenmal erblickt, nach den Bedingungen und Erfordernissen des Standes, welchem er selber angehört. Der Bischof, der einen sanften, fleißigen, zurückgezogenen Jüngling beim Examen bemerkt, wird voraussetzen, daß dieser sich vorzugsweise zum Geistlichen eigne; der General, dem ein munterer Bursche des Vaters wilden Klepper tüchtig tummelnd entgegensprengt, wird ausrufen: Donnerwetter, das gäbe einen prächtigen Kürassier! Und ich, der ich gewissermaßen auch der Oberhirt einer ... obschon etwas wilden Herde, der Generalissimus einer fliegenden Truppe, eines quasi Freicorps bin ... ich dachte ... ich denke ... darf ich ...?«

»Nur zu!« sprach der Baron.

»Ich sage: Welche Augen! Welche Figur! Welch' ein port de reine! Was müßte das für eine tragische Liebhaberin abgeben! Wie schade, daß wir eine fürnehme Dame sind ... mit gebührendem Respekt vor Euer reichsfreiherrlichen Gnaden zu reden!«

»Beruhigt Euch und Euren Respekt, guter Freund. Demoiselle ist nicht meine Gemahlin; sie ist die Gesellschafterin der Baronesse Ludmilla; sie ist unsere Hausfreundin und liebt die Kunst, protegiert sie, folglich auch die Komödianten. Deshalb habe ich ihr die hiesigen Theaterangelegenheiten übergeben, habe sie zum Intendanten der Kauzburger Hofbühne ernannt. Mit Demoiselle also verständigt Euch, gehorcht ihr, kommt ihren Anordnungen und Wünschen zuvor. Je besser Ihr mit Demoiselle steht, desto sicherer wird Eure Stellung sein. Und vielleicht sogar ... doch ich darf nicht vorgreifen. Arrangiert Euch, macht nicht übertriebene Ansprüche. Ich will, daß Eure Leute anständig bezahlt werden, daß niemand Not leide, so lange Ihr in Kauzburg spielt. Entwerft einen Gagenetat. Die Gratifikation für den Entrepreneur wird vorher nicht bestimmt; sie sei abhängig von dem Grade der Zufriedenheit, die er bei seinen Zuschauern hervorbringen kann. Und nun laß ich Intendanz und Direktion ihre Geschäfte miteinander abmachen. Den fertigen Kontrakt werd' ich unterzeichnen.«

Als sie mit Bäcker allein war, gab Gottliebe sogleich auf, was sie in des Barons Gegenwart von vornehmen Manieren angenommen, und was der verblendete Schauspieler port de reine genannt hatte. Sie ließ sich gehen und machte dadurch den im Coulissenwesen ergrauten, vielgereisten, vielerfahrenen Mann vertraulich, indem sie vollständige Sachkenntnis zeigte, ja sogar mitunter das Rotwelsch der Theatersprache anschlug. Auf diese Art kam sie rascher vorwärts, als es bei gegenseitig auferlegtem Zwange möglich gewesen wäre. Er sah ein, daß er mit einer Kennerin der Bühnenzustände zu verhandeln habe; und ohne sich weiter den Kopf zu zerbrechen, ob die schöne Dame nicht gar »vom Handwerk« sei, richtete er seine Anforderungen so annehmbar als möglich ein. Die Geldfrage wurde folglich sehr leicht erledigt. Bedenklicher gestalteten sich die Unterhandlungen, als der artistische Wert des seiner Zahl nach hinreichenden Personales zur Erörterung gelangte. Mit sichtbarer Besorgnis hielt Bäcker bei Aufzählung der einzelnen Rollenfächer jeden näheren Hinweis auf dasjenige Fach zurück, für welches er eben erst die vermeinte Baronin so wünschenswert gefunden, welches ihm das wichtigste dünkte, und wobei er entschieden ein schlechtes Gewissen hatte; denn er umging die Heldin und hochtragische Liebhaberin weit länger, als sich ziemte. Zuletzt faßte er denn einen gewaltsamen Entschluß. »Holdselige Demoiselle und Intendantin,« seufzte er, »bis hierher ist alles gegangen wie auf dem glatt-ebenen Parkett Ihrer Fußböden, aber nun stehen wir an einem garstigen Graben. Vielleicht zerschlägt sich dabei das ganze Geschäft, so lockend es mir in meiner gegenwärtig keineswegs zu verheimlichenden bedrückten Situation erscheint. Doch ich muß redlich verfahren, darf nicht hinterm Berge halten. Nicht allein weil es unendlich schwierig und nur durch unerschwingliche Geldopfer möglich wäre, eine gute und zugleich blühende erste Schauspielerin aufzutreiben – sondern auch weil ich unter dem Pantoffel meiner zweiten Frau mich beuge, vertritt diese das interessanteste und umfangreichste Rollenfach bei meiner Truppe; ja sie schachtelt sozusagen unterschiedliche Fächer in eines zusammen. Eine schlechte Darstellerin ist sie keineswegs, und da sie jünger und nicht eben häßlich war, als ich sie ... als sie mich heiratete, so machte sich alles vortrefflich. Seitdem sind Jahre verflossen, sie ist nicht mehr jung, eher häßlich denn hübsch, und läßt nicht locker. Sie gefällt den Herren Zuschauern nicht, mir auch nicht. Aber was will ich thun? Das ist der faule Fleck im Körper meiner Entreprise? das läßt mich trotz aller Anstrengungen auf keinen grünen Zweig kommen; das wird mich auch um Kauzburg bringen!«

»Ich glaube kaum,« erwiderte Gottliebe listig. »Vergessen Sie nicht, daß Ihr Herr Oberintendant eine Demoiselle ist. Wir sind gegen unser Geschlecht unendlich nachsichtig, so lange wir nicht in Schatten gestellt werden durch Vorzüge, die uns mangeln.«

»Dann hat meine Frau allerdings von Ihnen nichts zu befürchten, huldreichste Gönnerin. Werden aber seine reichsfreiherrliche Gnaden solche Nachsicht teilen und üben?«

»Dafür möchte ich nicht bürgen. Doch quälen Sie sich fürs erste nicht mit Sorgen. Die Hilfe ist näher, als Sie ahnen können. Sagen Sie mir lieber, wie es geschehen, daß eine Frau, an der Sie selbst so wenig Mittel zu gefallen entdecken, Sie völlig unterjochen, Sie, wie Sie eingestehen, unter den Pantoffel zwingen konnte?«

»Wie es geschehen? Hochpreisliche Mademoiselle General-Intendant, Sie legen mir da in fünf Silben eine Frage vor, die ausführlich zu erläutern fünf Tage kaum genügen würden, die ich dennoch ebenfalls mit fünf Silben beantworten kann: Bloß weil ich ich bin! Weil ich nicht nein zu sagen verstehe; weil ich Frieden und Ruhe wünsche; weil ich mich vor ihr fürchte!«

»Also hat sie sich tückischerweise verstellt, Sanftmut geheuchelt, Sie getäuscht, und dann erst, als sie ihr Ziel erreicht hatte, als sie Frau Direktrice war, die Larve abgeworfen und sich in ihrer Blöße gezeigt?«

»Ein Verleumder wäre ich, wollte ich ihr das nachsagen. Sie ist niemals darauf ausgegangen, eine Larve vorzubinden, ihre Blöße zu verhüllen, und schon bei Lebzeiten meiner ersten kränklichen Frau hat sie mich fühlen lassen, daß sie geboren ward zum Dirigieren. Meine Selige litt viel, riß Lücken ins Repertoire, da trat denn Klimene vor jeden Riß, galt gewissermaßen schon für Mitdirektor, ehe ich noch Witwer wurde. Mein Gott, Sie wissen ja, allerschönste Mademoiselle, wie es beim Theater ...«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Bitte um Entschuldigung! Wie es auf Erden zugeht, meinte ich. Und beides kommt auf eins heraus. Theater und Welt, Welt und Theater, Menschen und Komödianten, Publikum und Darsteller ... Alle mitsammen nichts nutze! Nur daß wir auf unsern Brettern ein bißchen höher stehen; daß wir auf unserm Podium, wofern wir eins haben, etwas mehr ins Auge fallen. Und das ist der Punkt, wo wir verachteten, halb ausgestoßenen Kinder dieser Welt uns den Großen und Mächtigen der Erde nähern, weil wir mit ihnen das Schicksal teilen, Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit zu werden, die sich oft mehr auf unser Privatleben als auf unser Kunststreben richtet. Ich habe viel über diese Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten nachgesonnen. Auch fehlte es nur in frühern Tagen nicht an Gelegenheit zum Betrachten und zum Vergleichen. Wie Sie mich hier vor sich sehen, als abgelebten alten Bettelvogt in verschossenem Schanzlooper, dem es aller Ecken und Enden fehlt, und den häufig schwere Nahrungssorgen quälen ... ich hatte auch meine Zeit! ich stand auch einmal in schmucken Ritterkleidern da und agierte wacker drauf los, sparte weder die Kraft meiner Lungen, noch die Produktion meines schlanken Wuchses, noch das Feuer dieser jetzt erloschenen Augen. Glänzte sogar bei Hoftheäterchen, mißfiel hohen Damen nicht, wüßte manch ein Histörchen zu erzählen, wenn ich ein eitler Prahler wäre. Ja schon als Kind ... denn ich bin ein wirkliches, leibhaftiges, echtes Komödiantenkind, sozusagen auf der Landstraße geboren ... erntete ich den Beifall der Kenner. Mit vierzehn Jahren spielte ich die ersten jugendlichen Liebhaber innen bei meines Vaters kleiner Truppe. Mein Vater wußte sich noch gar wohl zu besinnen, wie der seinige ihm erzählt, daß er aus einer Zeit stamme, wo Frauenzimmer auf der Bühne für seltene Ausnahmen galten. Und er setzte immer hinzu, dazumalen hätten die Komödianten lange nicht so heftige Angriffe seitens der Geistlichkeit auszustehen gehabt; oder diese Angriffe hätten doch wenigstens bei den gläubigen Gemeinden nicht den Wiederklang gefunden wie späterhin! Erst seitdem das schöne Geschlecht mitmache, sei der Ruf des Theaters in religiöser Beziehung so häßlich geworden. Auch wußte er viel über die künstlerischen Vorteile zu sagen, wenn weibliche Charaktere durch Knaben dargestellt würden. Die jungen Herren, welche unsere Vorstellungen besuchten, lachten ihn wegen seiner Ansichten aus und behaupteten, er vertrete sie nur, weil er eben keine Primadonna bezahlen könne und mich in der Not dazu gemacht habe. Das hinderte jedoch nicht, daß ich außerordentlich beliebt war, daß man mir förmlich den Hof machte, und wenn ich als Romeos Julia bei der Schlaftrunkscene mir die Spinnen, Kröten, Molche und Schlangen, die meiner in der Erbgruft warteten, phantastisch vom Reifrock geschüttelt und sämtliche Schauer des Todes durchgearbeitet hatte, wurde ich hinter den Coulissen mit ganzen Ladungen Bonbons und anderen Näschereien empfangen, die mir das Dasein versüßen sollten. Späterhin, wie ich zu Verstande kam und nähere Auskünfte über das wundersame wilde Genie, den William Shakespeare erhielt, habe ich wohl tausendmal an meines guten Vaters eigensinniges Festhalten antiquierter Vorurteile gedacht, weil ich hörte und las, des englischen Dichters zarte Jungfrauen seien auch für Bengel meines Schlages geschrieben worden. Jetzt dürfte man sich so etwas nicht mehr gefallen lassen; unsereiner muß mit natürlichen Mädchen und Frauen aufwarten ... und da wären wir denn nach kurzer Abschweifung glücklich wiederum bei der meinigen angelangt, die ein für allemal nicht loszuwerden ist.«

»Gönnen wir ihr des ersten Abends Ehren. Vorausgesetzt, es fehle nicht an einigen hübschen und angenehmen Erscheinungen neben ihr?«

»Das thut es nicht. Sie will zwar nichts leiden, was erträglich aussieht. Wer das Schicksal hat mich ihr zum Trotze begünstigt, und der heurige Jahrgang ist passabel ausgefallen. Sie mußte mich zwei allerliebste Kinder und eine stattliche Frau engagieren lassen, denn es waren glücklicherweise keine alten und häßlichen für so wenig Geld zu haben« Meine Direktion ist durch Madame in so üblen Ruf geraten, daß nur Novizen noch anbeißen. Aber länger als ein Jahr hält's keine aus. Nur ich muß aushalten! Übrigens bin ich jetzt besser daran als sonst: es hat sich so überaus günstig gefügt, daß ein junger Mann, der wegen dummer Streiche beim Militär quittieren mußte, in seiner Desperation unter die Komödianten gegangen ist, und den dressiert meine Klimene. Sei es nun, daß ihn Dankbarkeit fesselt, sei es, daß er die reife Lehrerin pikant findet ... er beschäftigt sie auch außerhalb der Proben, er ist ihr Liebhaber; und da er just für das Liebhaberfach mit mäßiger Gage bei mir angestellt ist, so werde ich mich wohl hüten, die Freude der beiden Glücklichen zu stören. Ich lasse sie machen, was sie wollen, und lebe für mich aparte wie ein Reichsstädtel. Demoiselle glauben gar nicht, wie wohl mir die Ruhe thut, und hier am Orte könnte ich sie so recht nach Herzenslust genießen!«

»Und das sollen Sie auch. Zuvörderst geleiten Sie mich nach der Reitbahn, damit wir den Schauplatz ordnen und die Gerüste aufschlagen lassen, wie der Umfang ihrer Dekorationen es erfordert. Die Zimmerleute sollen sich eifrig mit dem Ausbau des Zuschauerraumes beschäftigen, und ein Wink von Ihnen wird dann genügen, damit auf der Bühne noch angebracht werde, was Sie etwa brauchen und wünschen. Haben Sie einen Maler bei Ihrer Truppe?«

»Jawohl, und noch dazu einen recht geschickten; in seiner Art ein Genie! Nur daß er bisweilen die Genialität falsch versteht und sich besäuft wie ein Vieh. Da bleibt er denn auf irgend einer alten abgenutzten Hintercourtine liegen, bis er wieder zum Menschen wird. Doch das thut der Arbeit keinen Schaden; seinetwegen ist noch nie eine Verzögerung eingetreten. Dabei steckt er voll Schelmerei und guter Einfälle. Auch ist er der Einzige von uns allen, der es wagt, mit meiner Frau Klimene anzubinden, wozu eine heroische Gesinnung gehört. Man behauptet, er habe die französische Guillotinenzeit mit durchgemacht. Na, Courage hat er und durch seine Courage gewinnt er immer wieder an Respekt, was er durch den Suff etwa eingebüßt hat. Neulich erst, als wir ›Lanasse, die Witwe von Malabar‹ leisteten, eine Partie, welche meine Klimene leidenschaftlich gern trageriert, und als in der Probe von dem Verbrennen indianischer Weiber die Rede war, äußerte unser Dekorateur Huyasch: ihm erscheine das wie eine höchst unnütze Grausamkeit, denn der verstorbene Gatte ziehe keinen Vorteil daraus. Wollte man, setzte er hinzu, gewisse Frauen dem Scheiterhaufen überliefern, so lange der gequälte Ehegemahl noch am Leben sei, dann würde dieser doch etwas davon haben; und ich bin überzeugt, sagte der kecke Mensch, träte ein solcher Fall bei unserer Truppe ein, jegliches Mitglied bis auf den geringsten Statisten würde sich beeilen, sein Stückchen Holz beizubringen. Als die Frau Direktorin zornig darüber wurde und ihm mit augenblicklicher Entlassung drohte ... ich meinesteils that, als ob ich gar nichts hörte und machte mir im Hintergrunde zu schaffen ... da wendete der Tausendsassa das Ding um und verstieg sich in eine Allegorie vom Vogel Phönix, der sich aus seiner Asche nur schöner und bezaubernder umgestalte; so daß er sie mit Schmeicheleien besänftigte. Der versteht's ... wenn er nicht besoffen ist. Den andern aber flüsterte er leise zu: ›Das ist die Art mit Hexen umzugehen!‹ Selbiges nämlich ist ein Citat aus einem tollen Buche, welches den Titel führt: ›Faust, ein Fragment,‹ und mit welchem Fragment er sich immer schleppt. Es rührt von einem sichern Goethe her, welchen auch ich persönlich kenne.«

Unterdessen waren sie bis an den Ort ihrer Bestimmung gelangt, wo sie den Zimmermeister und seine Gesellen bereits versammelt fanden. Bäcker einigte sich bald mit den umsichtigen und willigen Arbeitern, und da er durch lange Erfahrung praktisch geübt war, so verstanden sie ihn leicht. Die einzige Schwierigkeit fand sich bei den Versenkungen, aus denen der Theaterprinzipal bestand, weil ohne sie, wie er versicherte, Papa Hamlet nicht mit gehörigem Effekt sein dreimaliges »Ade« steigern könne. Doch auch darüber kamen sie hinweg, und der Kauzburger Maschinist fand sich sehr bald in die ihm angegebenen mechanischen Vorkehrungen. Nachdem diese wichtige Sache besorgt war – Bäcker schwur hoch und teuer, auf einem solch majestätischen Platze hätten sie sich lange nicht getummelt! – begab sich Gottliebe mit ihrem dramaturgischen Schutzbefohlenen zum Wirtschaftsdirektor, damit dieser den Vertrag zu Papier bringe und sämtliche gegenseitige Ansprüche und Verpflichtungen feststelle. Frau Kleemann vermochte nicht ihren Unwillen zu unterdrücken, daß in der Verhandlung von einem »Direktor« Bäcker gesprochen ward. »Wenn so ein Komödiantenführer,« sagte sie zur alten Magd, »verheiratet ist, wie ich fürchte, läßt sich das Weibsbild, seine Frau, wohl gar Frau Direktorin nennen? Und was bin ich denn dann? Sie rief den Gatten vom Schreibtisch fort, unter wirtschaftlichen Vorwänden, und ruhte nicht, bis er ihr sein Wort gegeben, den Direktor auszustreichen und auf einen bescheidenen Prinzipal zu reduzieren.

Bedenklichkeiten oder Anstöße anderer Gattung waren durchaus nicht vorhanden. Bäckers mäßigen Geldforderungen durften Gottliebe und Kleemann auf halbem Wege entgegenkommen, und was den künstlerischen Teil des Kontraktes betraf, so wurde dieser durch die Klausel gesichert, daß es im Belieben »der Herrschaft« stehe, etwaige unbrauchbare, nicht gern gesehene Mitglieder zu entlassen und neue an deren Stelle zu berufen; eine Bedingung, welche durch die bei Bäckers Truppe üblichen Engagementsformalitäten, auf achttägige Kündigung basiert, ausnehmend erleichtert war. Auch die Wahl des Stückes für die erste Vorstellung wurde dem Ermessen der Schauspieler anheimgegeben, der Tag der Eröffnung im Einverständnis mit den Zimmerleuten festgesetzt, und Bäcker verließ, das vom Freiherrn eigenhändig unterzeichnete Exemplar seines auf sechs Monate lautenden Vertrages, desgleichen einen baren Vorschuß in der Tasche, die Kauzburg als ein von goldenen Bergen träumender hochbeglückter Bühnenregent.

*   *   *

Wir halten uns nicht bei umständlichen Schilderungen der ziemlich langweiligen kurzen Tage und der noch langweiligeren langen Spätherbstabende im Kauzburger Schlosse auf. Wir versetzen uns lieber in die zum Schauspielhause rasch und hübsch umgestaltete Reitbahn, in welcher sich auf des Reichsbarons ringsherum ergangene Einladungen und am Orte erteilte Erlaubnis eine zahlreiche, ländlicher Umgebung entsprechende, sogar elegante Zuschauerschaft versammelt hat. Rittergutsbesitzer und obere Beamte befinden sich auf Estraden, die einen Halbkreis bilden; Dorfbewohner und herrschaftliche Diener zweiten Ranges sind im Centrum zusammengepfercht. Doch machen sich auch dort kastenartige Ansprüche gar sehr bemerklich, und es wird auf den hölzernen Bänken eine strengere Rangordnung beobachtet als auf den Stühlen der Estrade, wo die Ankommenden, vom Schloßherrn verbindlich empfangen, Plätze genommen haben, ohne sich auf beschwerliche Komplimente einzulassen. Das Orchester ist durch Bäckers sogenannten "Kapellmeister", einen resoluten Vorgeiger und tüchtigen Notenfresser, aus allerlei Musikanten von Handwerk durch Freiwillige verstärkt worden und exekutiert eine Haydnsche Symphonie mit möglichster Umgehung falscher Töne. Die auf dem Geländer des Logenganges reichlich verbreiteten, allerdings nur geschriebenen Programme melden als "erste Repräsentation reichsfreiherrlich von Tauern-Kauzburger Hoftheater-Truppe: Emilia Galotti, ein Trauerspiel in fünf Akten vom Herrn Lessing". Es herrscht allgemeine Spannung und Erwartung. Niemand von den Anwesenden hat die geringste Kenntnis des Personales. Der Baron und sogar Gottliebe (obgleich Intendant) haben grundsätzlich vermieden, sich die Mitglieder vorstellen zu lassen oder auch nur der am Morgen abgehaltenen Repetitionsprobe beizuwohnen. Sie wollen überrascht werden, und der weibliche Intendant will, wie er erklärt, sich einem durch vorgefaßte Meinungen unverkümmerten Eindrucke hingeben. Die Damen aus der Nachbarschaft können das Aufziehen des Vorhanges kaum erwarten, um zu erfahren, ob der Prinz und Graf Appiani ihren hochklingenden Namen Ehre machen werden. Und die Herren, besonders die älteren, zeigen sich ebenso neugierig auf die tugendsame Emilia, als auf die nichts weniger wie tugendsame Orsina. Die Symphonie dünkt allen viel zu lang. Nur Baronesse Ludmilla verrät weder Spannung noch Erwartung, noch Ungeduld, ja nicht einmal Teilnahme. Ihre Gedanken sind offenbar ganz wo anders als beim ersten Akte der Tragödie. Wie dieser nun beginnt, und der durchlauchtigte Hettore Gonzaga sich an seinem Arbeitstische der Versammlung zeigt, läuft ein beifälliges Gemurmel durch die weiblichen Reihen: »Welch ein schöner Mann! ... wie vornehm er aussieht! ... durchaus keinem reisenden Komödianten ähnlich!« ... Der Baron aber sagt halblaut zu Gottliebe: »Was giebt's?« Denn diese ist beim ersten Anblick des Prinzen erschrocken, und wie er nur sein »Klagen, nichts als Klagen« ausgesprochen, haben diese ersten Worte sie so gewaltig erschüttert, daß es durch ihre Glieder gezittert, und daß der neben ihr sitzende Freund ihren Schrecken wahrgenommen hat. »Was giebt's?« wiederholte er.

»Es ist Eduard,« entgegnete sie leise. »Halte Contenance!« lispelt ihr der Freiherr noch leiser zu.

Und beide widmen wieder ihre Aufmerksamkeit den Vorgängen auf der Bühne.

Der erste Akt wird glücklich beendet und günstig aufgenommen. Bäcker gab den Marinelli nach alter Manier, ein bißchen tanzmeisterlich, aber doch ungleich passender und dem Sinne des Dichters zusagender, als diese schwierige Rolle in unsern Tagen des gepriesenen Fortschrittes von berühmten Künstlern in langen Pantalons und hochabsätzigen Stiefeln bearbeitet wird. Gewisse ältere Dramen sind nur in »Escarpins« möglich; gewisse Traditionen, wie sie sich sonst von Vater auf Sohn, von Meister auf Lehrling forterbten, sind samt der früheren Kleidung verloren gegangen und samt dem theatralischen Zunftwesen überhaupt. Was an letzterem schlecht und tadelhaft gewesen, wurde unbedenklich aufgewogen durch den, wenn immer handwerksmäßigen, Stil im Spiele der einzelnen und durch die sich unterordnende Übereinstimmung im Zusammenspiele aller; Dinge, von denen die Jetztzeit nichts mehr bemerkt, weil, wie man zu sagen pflegt: »Jeder für sich spielt und der liebe Gott für alle!« was aber hier freche Lästerung wäre und ganz anders heißen müßte. Soviel ist gewiß: in Erfüllung mancher Forderungen, welche gerechterweise an jegliche theatralische Aufführung gemacht werden dürfen und gemacht werden müßten (hätte unser Publikum nicht längst verlernt, seine Rechte geltend zu machen), übertraf noch vor sechzig Jahren jede nicht gänzlich verworfene Wandertruppe die meisten unserer heutigen stabilen Gesellschaften.

Ein historisch-artistischer Stoßseufzer, den ich mir lediglich erlaube, um meinen Lesern anzudeuten, wie es den Bäckerschen möglich geworden, die Kauzburger und deren viele Gäste zufrieden zu stellen. Denn auch Conti und Kamillo Rota hatten ihre zwei Scenen mit Applomb – solchen Tänzerausdruck trug man gern auf recitierende Schauspieler über – vorzuführen gewußt. Über den Prinzen waren die Meinungen auf der Ehrengalerie geteilt. Die Damen lobten ihn ausnehmend. Die Herren fanden allerlei an ihm zu tadeln. Ein in der Nähe des Reichsbarons stehender Gutsherr, ein pensionierter Major, äußerte: »Seine Durchlaucht reden und gebärden sich nicht wie ein regierender Fürst, sondern vielmehr wie ein ehemaliger Leutenant, der schlechte Gesellschaft frequentiert hat und den Abschied nehmen mußte.«

Gottliebe errötete, da sie diese hingeworfene Meinung hörte. Der Baron sagte ihr ins Ohr: »der alte Haudegen trifft den Nagel auf den Kopf; den müßte hochverehrliche Intendanz fürs Dramaturgenfach zu gewinnen suchen.«

»Ich werde mir's gleich notieren!« Sie nahm ein kleines Portefeuille aus der Tasche, schrieb mit Bleistift etliche Zeilen, riß das beschriebene Blättchen heraus, faltete es in einen Knoten und schob ihn zwischen ihren Handteller und die duftige Ziegenhaut, welche diesen in Handschuhform deckte.

»Keine Unvorsichtigkeit!« sprach der Baron.

»Im Gegenteil! Wäre davon die Rede, so hätte mein Billetchen einen andern Platz bekommen. Unvorsichtigkeiten birgt man im Busen. Der Mensch muß fort; in dieser Nacht noch!«

»Und wer soll Prinzen und andere Liebhaber spielen?«

»Das wird sich finden. Besser vierzehn Tage lang gar kein Schauspiel in der Manege, wie eine einzige Scene im Schlosse.«

»Ich bin nicht eifersüchtig!«

»Desto schlimmer! Aber fort muß er; er geniert mich.« –

Der zweite Akt hob an. Die Herren würden gewiß eifrig ihre Brillengläser, Lorgnetten, Zwicker und Operngucker geputzt haben, wenn die jetzt beliebte Nachgiebigkeit gegen minder scharfe Sehkraft – welcher wir unbezweifelt zu verdanken haben, daß unsere Säuglinge bald dergleichen entstellende, widerwärtige Gesichtsfenster gebrauchen – schon modern gewesen wäre. Man begnügte sich, die unbewaffneten Augen weit zu öffnen, in Erwartung einer unausbleiblichen Emilia Galotti, für deren Darstellerin »Demoiselle Kurzfleisch« im Personalverzeichnisse aufgeführt stand. Doch ehe solche sich den zu jeglicher nur erschwingbaren Bewunderung sehr geneigten Zuschauern präsentieren durfte, mußten Vater Odoardo und Mutter Claudia verkostet werden, welche beide sich ganz tüchtig zeigten in ihren zwei kurzen Auftritten. Als sich im dritten zum Diener Pirro der Bandit Angelo gesellte, wiederholte Baronesse Ludmilla Gottliebes früheres Benehmen in auffallender Weise. Kaum hatte der bis zur Unkenntlichkeit verlarvte Bravo einige Sätze gesprochen, kaum hatten einige Blitze unter dem tief in die Stirn gedrückten Krempenhute hervorgeguckt, als sie (ihres Vaters nächste Nachbarin auf der andern Seite) diesen durch ihr heftiges Erwachen aus bisheriger Gleichgültigkeit, durch ihre heftige Aufregung und Unruhe zu der Frage veranlaßte: »Fürchtest du dich etwa vor diesen Banditen? Das wäre doch gar zu kindlich und naiv.«

»Weshalb hat er sich denn auch so fürchterlich gemacht?« murmelte Ludmilla.

»Es wird wohl seine ihm angehörige Fratze sein, die er zur Schau trägt,« meinte der Vater. »Sie müssen geborene Bösewichter haben unter den Komödianten, denen man das Schlimmste zutraut, sowie sie nur die Nase herausstecken. Wo bliebe sonst der schauerliche Effekt?«

Dem aufmerksamen Leser brauchen wir nicht erst zu sagen, wen die Baronesse am Klange seiner, wenn auch verstellten Stimme erkannt zu haben glaubte. Von diesem Augenblicke war sie mit Leib und Seele der theatralischen Produktion, auf die sie bis dahin kaum geachtet, zugewendet. Und so saß der Reichsfreiherr zwischen zwei durch die verschiedensten Empfindungen in Anspruch genommenen schönen Mädchen. Beide waren im höchsten Grade überrascht, ja erschreckt, die eine vom Wunsche beseelt, den unwillkommenen Zeugen einer gern verleugneten Vergangenheit sobald wie thunlich, koste es die bedeutendsten Summen, fortzuschaffen! Die jüngere dagegen von einer Zukunft voll wundersamer abenteuerlicher Möglichkeiten träumend, ohne bestimmte Absicht, nur von dunklen, kaum verstandenen Trieben bedrängt. Was Gottliebe jetzt, wo es ihr Störung einer angenehmen bequemen Gegenwart drohte, fürs Leben gern ungeschehen gemacht hätte, danach sehnte sich Ludmilla mit kindischer Unerfahrenheit, umschwirrt vom ersten Sirenengesang in Kopf und Herz musizierender Sinne, und schmachtete danach, daß Gott weiß was geschehen möge, was sie dem weggelaufenen Tapeziererlehrjungen näher brächte!

Auf dem Programm war dieser »Monsieur Bäcker« genannt. Denn mit »Monsieur« bezeichnete man diejenigen Darsteller, welche für Knabenrollen schon zu erwachsen, des männlichen Titels »Herr« noch nicht würdig galten.

Das Trauerspiel nahm seinen mäßigen Verlauf. Emilia gab sich als hübsches Gänschen, Appiani als schmuckes Kalb, Claudia sträubte als zornige Gluckhenne, der sie das einzige Küchlein rauben, ihr mütterlich Gefieder, und Odoardo war ein vollkommener Brummbär, der aber doch allerhand kleine Meisterzüge aus Eckhoffscher Schule anzubringen wußte, die der Prinzipal ihm eingebläut. Niemand übertraf die gehegten Erwartungen, niemand blieb hinter ihnen zurück. Nur Gräfin Orsina ragte aus dem Rahmen wohlorganisierter Mittelmäßigkeit heraus. Madame Bäcker zeigte sich bei weitem nicht so verblüht, wie ihr Gatte sie neulich angekündigt. Weiße und rote Schminke mögen dabei getäuscht haben, jedenfalls erschien sie für eine abgedankte fürstliche Maitresse noch erträglich genug. Und ihr Spiel war bedeutend. Es lag eine Wahrheit darin, die unmöglich nur Kunst und künstlerische Absicht sein konnte. Man begriff zur Genüge, wie unleidlich solche Natur demjenigen werden mußte, der sich zur zweiten Ehe mit ihr hatte verleiten lassen. Doch da die Herren im Zuschauerraum davon nichts zu fürchten hatten, so gaben sie sich der lauten Anerkennung willig hin und klatschten den herzhaftesten Beifall. Als im vierten Auftritte des vierten Aktes, wo Orsina mit dem Prinzen zusammentrifft, sie des verlegenen Gebieters Worte mit stummem Spiele begleitete, raunte der Baron Gottlieben zu: »Das ist kein Spaß; man hört heraus, daß sie im Ernste gegen ihn schäumt und wütet. Wahrscheinlich haben sie sich überworfen, und vielleicht steht eine rupture bevor?«

»Gott geb's!« seufzte die Gesellschafterin.

Wie der vierte Akt beendet war, that sie Ludmillen den Vorschlag, mit ihr das Schauspiel zu verlassen. Hätte die Baronesse den Scenenbau der Tragödie gekannt und gewußt, daß kein Angelo heute mehr zu erwarten sei, wahrscheinlich wäre der Vorschlag angenommen worden. So aber (wo die Möglichkeit, den Banditen noch einmal reden zu hören, nicht abzuleugnen stand) wurde natürlich erwidert: Was ihr denn einfalle? Der Vater mischte sich hinein und befahl, überzeugt, daß dieser Aufbruch in Verbindung stehe mit dem Darsteller des Prinzen Hettore Gonzaga: »Laß Demoiselle ruhig gehen, mein Kind; sie klagte schon vorher über Kopfschmerzen; das Trauerspiel hat ihre Nerven angegriffen. Die Leute spielen wirklich recht lebhaft!«

Kaum befand sich Gottliebe außerhalb des Zuschauerraumes, so wendete sie sich in den nach ihrer eigenen Angabe eingerichteten Seitengang, der längs der äußeren Mauer hinlaufend, bestimmt war, die Bühne mit dem Auditorio zu verbinden. »Für unvorherzusehende Vorfälle!« hatte sie in ihrer Intendantenweisheit gemeint und damals, wo sie dem Zimmermeister den Bauplan auseinandersetzte, nicht geglaubt, daß ein solcher Fall schon am Abend der ersten Vorstellung, und noch dazu sie so nahe betreffend eintreten könne. Sie tappte sich durch die Finsternis, und als sie glücklich bis an die kleine, übrigens unbenutzte Treppe gelangte, die auf die Bretter führte, von denen ihr Licht entgegenschimmerte, sprach sie lachend von sich selbst, wie Marinelli soeben von Angelo gesprochen: »Endlich, hier kennt er die Schliche!« Dabei rannte sie an einen jungen Menschen, der in jenem Winkel der Bühne keinen Aus- und Eingang ahnend, dicht neben der kleinen Thür an der Wand lehnte, und in welchem sie, trotz des Halbdunkels um sie her und trotz gewechselten Kostüms, augenblicklich den Darsteller des Angelo erkannte, sowie er durch ihren plötzlichen Eintritt überrascht, durch ihr Citat befremdet, sie mit den Worten anredete: »Gilt das mir?«

Er wußte selbst nicht recht, was er fragte. Der arme Junge gedachte eben seiner früheren Tage in Kauzburg – der Besuche Ludmillas – und ob er diese wohl wieder in der Nähe sehen, ob sie wieder mit ihm reden–ob sie ihn erkennen werde. Mußte er nicht schier wähnen, sie selbst sei es, die da neben ihm aus der Bretterwand breche gleich einer Dea ex machina?

»Demoiselle« besaß Lebenserfahrung genug, um sogleich zu überblicken, welch ein Vorteil sich aus dieser zeugenlosen, unerwarteten Begegnung ziehen lasse. Aus ihren Gesprächen mit dem Vater wußte sie zur Genüge, wie stiefmütterlich Madame Bäcker die Zweite sich gegen den Sohn zeige, wie sie ihn unterdrücke. Sie durfte folglich voraussetzen, daß "Monsieur" die Tyrannin des Vaters und der ganzen Entreprise rechtschaffen hasse; daß er demgemäß nicht ungern der Gegnerin einen Streich spielen werde. Hatten nun der Baron und sie richtig beobachtet, war der heutige Prinz Orsinas Liebhaber nicht bloß im Stücke gewesen, sondern auch derjenige, auf den der Prinzipal damals angespielt, so konnte ihr kein größeres Ärgernis widerfahren, als wenn es einer jüngeren und schöneren Person gelang, ihn abwendig zu machen. Für eine solche mochte Monsieur Bäcker sie vierundzwanzig Stunden lang halten; das schien ihr unbedeutend im Vergleich zum Hauptzweck.

Der Leser braucht mehr Zeit, diese Zeilen zu durchfliegen, als Gottliebe brauchte, diese Schlüsse zu ziehen. Sie erwiderte des Jünglings unentschiedenes: »Gilt das mir?« mit entschiedenem: »Wem sonst?« und fuhr eindringlich fort: »Monsieur soll ja wohl wirklich die Schliche kennen. Will er dies Papierchen (aber heimlich!) dem Schauspieler, welcher den Prinzen giebt, Müller heißt er, denk' ich, zustecken? Es soll sein Schade nicht sein!«

Dabei drückte sie ihm das Zettelchen in die bereitwillig dargebotene offene Hand, und dann drückten ihre beiden Hände die seinige, und ohne weiter eine Silbe zu wechseln, schlüpfte sie durch das schmale Pförtchen zurück, durch welches sie gekommen.

*   *   *

Die Eröffnung des Kauzburger Hoftheaters – so nannte es feierlich die Schloßdienerschaft – war denn doch nicht vorübergegangen ohne verschiedene Bekanntschaften, die einigen geselligen Verkehr für den Winter hoffen ließen – oder fürchten? Nicht nur, daß zwei, drei benachbarte Gutsbesitzer, mit denen der Baron während der Zwischenakte geplaudert, sich als unvermählte, vielmehr verwitwete Einsiedler ausgewiesen, welche, ohne Anstoß an Demoiselle Gottliebe zu nehmen, sehr bequeme Stammgäste des reichsfreiherrlichen Hauses werden konnten; ... auch ein paar niedliche, junge Komteßlein hatten sich auf der Galerie zu Ludmillen gefunden und diese voll bescheidener Vertraulichkeit gebeten, sie mit ihrer Mutter bekannt machen zu dürfen, unter deren Obhut beide die weite Fahrt ins Theater unternommen. Die alte Gräfin, eine schlichte, fleißige Landwirtin, nach dem Tode ihres Gemahls mit zwei Töchtern auf einem sehr verschuldeten Landgütchen sich schwer behauptend, ließ es sich sauer werden, machte gar keinen Anspruch, mit Personen ihres Ranges zu verkehren, vermied alle Gesellschaften, wies alle Einladungen ab, weil sie nicht in der Lage war, dieselben zu erwidern; und hatte folglich aus Mitleid für ihre von so vielen Lustbarkeiten ausgeschlossenen Kinder die ringsumher verbreitete Aufforderung zum Besuche der Kauzburger Komödie begierig ergriffen, teils um der Sache selbst willen, teils in der Voraussetzung, daß sich zwischen der Tochter des vornehmen reichen Reichsbarons und ihren, wenngleich hochgeborenen, doch armen Mädchen eine freundschaftliche Beziehung herbeiführen lasse! Es war allerdings auch bis in ihr dürftiges Landhäuschen schon das Gerücht von einer etwas »anrüchigen Gesellschafterin« gedrungen; doch die praktische Frau, die, gewöhnt mit ihren Knechten und Mägden rüstig zu verkehren, überall Hand anzulegen, die Töchter zu erziehen beabsichtigt hatte, wie es sich für »arme Landfräuleins« paßt, setzte sich über dergleichen Gerede leicht hinweg. Solange ich nichts Unrechtes sehe, sagte sie, habe ich nach der Mamsell ihren Heimlichkeiten nicht zu fragen. Wenn meine Mädel der Baronesse zu Gesichte stehen, und die Baronesse meinen Mädeln, dann ist mir's recht, und mögen sie einander besuchen, so oft sie wollen. Unter eine Glasglocke wie meiner seligen Mutter Stockuhr kann ich sie ja doch nicht setzen, und mit verbundenen Augen und verstopften Ohren darf ich sie auch nicht herumlaufen lassen, wenn sie mir auf Hof und Feld behilflich sein sollen! Was sie da sehen und hören, ist weit schlimmer, als was ihnen im Kauzburger Schlosse droht, sollten die Gerüchte wirklich mehr wie boshafte Lügen sein. Übrigens ist die junge Baronin für ihren Papa nicht verantwortlich, und für meine Mädel steh' ich! – So lautete die Ansicht der Gräfin Krom, der man freilich nachsagte, daß sie keineswegs ebenbürtig, sondern eines ehrsamen Schulmeisters Sprößling sei, die aber wegen ihrer Redlichkeit und verständigen Gutsverwaltung unbestrittene Achtung genoß. Ludmillen war ... und meine Leser finden das leicht erklärlich ... unter Anschauung der Lessingschen Tragödie und durch den überraschenden Auftritt des Banditen Angelo ... ein unerklärliches Bedürfnis in der Seele wach geworden, sich irgend einer andern jugendlichen Seele vertraulich mitzuteilen. Daß Gottliebe diese Vertraute nicht sein könne und dürfe, empfand sie allzu deutlich. Nie noch hatte sie sich so allein, so vereinsamt, so sehr einer Mädchenfreundschaft empfänglich und zugänglich gefühlt als während der letzten Akte von Emilia Galotti. Die Annäherung der Komtessen fand also das herzlichste Entgegenkommen, und so machte sich's wie von selbst, daß sie, da ihr Vater jene verwitwete Nachbarin zur Abendtafel einlud, diesen um Erlaubnis bat, der Gräfin und deren Töchtern Nachtquartier im Schlosse anzutragen. Dies wurde ohne die geringsten Zierereien dankbar angenommen, und auf frischer That die Übereinkunft daran geknüpft, es solle für sämtliche theatralische Vorstellungen gelten, solange der Winter die nächtliche Heimfahrt beschwerlich mache.

Die heitere Stimmung, welche sich im Speisesaale kund gab, wurde durch Gottliebes Abwesenheit kaum gestört. Der Baron wußte ja, was er von ihrem Unwohlsein zu halten habe, und die übrigen vermißten die Dame nicht; Ludmilla am wenigsten.

Natürlich blieben die Schauspieler und deren Leistung Hauptgegenstand des Tischgesprächs. Das mehrstimmigste Lob wurde dem Prinzipal Marinelli und der Prinzipalin Orsina gespendet. Doch auch die andern gingen nicht leer aus, und der Baron erklärte sich über alle Erwartung zufrieden mit dem Engagement dieser Truppe, sich wie der Nachbarschaft manchen recht angenehmen Abend verheißend. »Ich muß mich doch verwundern,« hob Gräfin Krom in einer Pause an, »daß niemand denjenigen erwähnt, der mir von sämtlichen heutigen Mitspielern wie der Ausgezeichnetste erschien, obgleich er nur wenig Gelegenheit fand, sich zu zeigen. Ich verstehe wohl nicht viel von diesen Dingen, habe auch wer weiß wie lange keinem Schauspiele beigewohnt; aber meinem Gefühle nach übertraf der zum Morde gedungene Bravo alle übrigen an Wahrheit und Natur. Die paar Worte, die er zu sagen hatte, sind mir durch und durch gegangen; so habe ich in meinem Leben noch nicht reden hören; einen Akteur schon gar nie; so gewaltig und eindringlich ... und dabei so ungeziert. Den Menschen möcht' ich einmal in einer großen Rolle sehen! Aber er soll noch ein Junge sein?«

»Dem Zettel nach ein Sohn unseres Entrepreneurs, Gräfin! Ich bedaure, daß Demoiselle Gottliebe, mein Theater-Intendant, durch Migräne verhindert ward, bei Tafel zu erscheinen. Doch Ihr Schützling soll bestens empfohlen werden!«

Ludmilla stellte sich an, als ob sie, in eifrigem Dreigespräch mit ihren neuen Freundinnen begriffen, auf diese Äußerungen nicht achtete. Dennoch entging ihr nichts, und sie wußte der Gräfin großen Dank für die Ehrenrettung des Vergessenen, wenngleich die aus dieser Empfehlung hergeleitete Idee, daß Monsieur Bäcker durch Gottliebes Protektion befördert werden sollte, unangenehme Nebenempfindungen in ihr erzeugte. Inwiefern solche zum lichtscheuen Schwarme gehörten, der die labyrinthischen Schlupfwinkel der Eifersucht bevölkert, ahnte sie nicht. Woher hätte sie das schon wissen sollen?

Der Baron hatte Gottlieben kaum genannt, als sein Kammerdiener sich näherte und ihm etwas ins Ohr lispelte. Er bat um Erlaubnis, sich auf einige Minuten entfernen zu dürfen. Die Gäste brachten dies mit der soeben erwähnten Migräne in Verbindung und die Komtessen befragten naiverweise Ludmillen: ob vielleicht Demoiselle Gottliebe kränker geworden sei und ob sie nicht nach ihrer Gesellschafterin sehen wolle? Der pfiffige Kammerdiener zog seines Herrn Tochter aus der Verlegenheit durch die zuversichtlich vorgebrachte Erfindung: daß Herr Wirtschaftsdirektor Kleemann Seine Erlaucht ( sic!) in einer pressanten Dienstsache unterthänigst habe bitten lassen. Womit sich die wohlerzogenen Gäste zufrieden stellten.

Nachdem ihr Wirt wieder bei ihnen, doch sichtlich verstimmt, und zerstreut war, fand Gräfin Krom geraten, die Sitzung aufzuheben, und allen wurde nach den für sie bereiteten Gemächern vorgeleuchtet.

Licht nach Licht verlosch in den Gaststuben des Schlosses. Auch der Baron hatte in übelster Laune Kammerdiener und Büchsenspanner zur Ruhe entlassen. Nur Ludmilla ging noch »freudvoll und leidvoll, gedankenvoll,« ohne zu wissen weshalb, in ihrem großen hohen Schlafzimmer auf und ab.

Was begann die Gesellschafterin unterdessen?

Diese harrte, in einen Pelz gehüllt, bei kaltem scharfem Herbstnebel, der in Wasserstrahlen wie Haare so dünn auf dürre raschelnde Blätter um sie her herabrieselte, vor jener Seitenthür der Reitbahn, die zum Eingang auf die Bühne führte, unter eines Dächleins Vorsprung, nur halb gegen das Wetter geschützt, auf den Mann, den sie durch zwei mit Bleistift gekritzelte Zeilen hierher beschieden.

Hatte Monsieur Bäcker die Botschaft bestellt?

Hatte er nicht vielleicht doch sie an die Stiefmutter verraten, um sich bei dieser ein Bildchen einzulegen? Solche Besorgnisse vermehrten ihr Unbehagen, und sie schüttelte sich vor Frost und Ärger. Sie zählte die Viertelstundenschläge der Turmuhrglocke: »Wenn er bis Mitternacht nicht hier ist, erwart' ich ihn nicht länger!« Kaum war dieser Entschluß ausgesprochen, als der Säumende herbeieilte.

Wir haben, bevor wir das kurze Zwiegespräch in finsterer Novembernacht niederschreiben, einen Rückblick in die Vergangenheit zu werfen, ohne welchen es unverständlich bleiben dürfte.

Gottliebens erste theatralische Versuche hatten sie nach Ost- und Westpreußen geführt, wo sie sich als vielversprechende und durch ihre Schönheit bestechende Anfängerin rasch entwickelte. Dort war sie mit einem jungen, bei der Damenwelt allgemein beliebten Offizier in Verbindung getreten, den sie bei ihrer Prachtliebe und ihrem Hange zu übertriebenem Aufwande tief in Schulden stürzte. Solange es dem leichtsinnigen Verehrer gelang, Kredit zu finden und sich ihr wie einen reichen Erben darzustellen, ging alles herrlich und in Freuden. Wie sich aber die Wahrheit zeigte; wie der "Heißgeliebte" an sein Geständnis: total ruiniert und rettungslos verloren zu sein, zugleich die bestimmt ausgesprochene Hoffnung kettete, sie müsse ihm Treue halten, denn er wolle selbst Schauspieler werden und sich mit ihr verheiraten ... da erlosch plötzlich in ihrer Brust die heiße Flamme. Voll kalter Besonnenheit setzte sie ihm auseinander, daß eine solche Verheiratung nicht in ihre Pläne tauge; daß der Ehestand ihre Laufbahn hemmen würde; daß sie frei zu bleiben gedenke, und daß er um alles in der Welt sich nicht dem Theater widmen dürfe, weil er gewiß kein Talent dafür mitbringe! Diese gegenseitigen Eröffnungen hatten heftige Zerwürfnisse und zornige Trennung herbeigeführt. Gottliebe war einem Engagementsantrage nach Reval gefolgt. Von dem in traurigster Lage zurückgelassenen Lieutenant wußte sie nur, daß er den Abschied erhalten. Was weiter aus ihm geworden, hatte sie nicht erfahren und ihn heute erst, nach Verlauf von drei Jahren, als Regenten von Guastalla auf den Brettern wiedergesehen, wodurch ihr denn klar geworden, daß er den Namen »Müller« angenommen habe und in Wahrheit unter die Schauspieler gegangen sei. Wie er jetzt bei Nacht und Nebel gelaufen kam, getrieben von Neugier und Erwartung, ob der ihm geheimnisvoll zugesteckte, mit halbverständlichen Andeutungen beschriebene Zettel wirklich aus den Händen seiner ehemaligen Gottliebe an ihn gelangt sei ...? da ließ diese ihm keine Zeit zu weitläufigen Auseinandersetzungen und Nachforschungen. Sie ging mit kalten klaren Worten auf den Zweck ihrer Zusammenkunft ein. Sie stellte ihm vor, daß seine Anwesenheit in Kauzburg ihnen beiden peinlich werden müßte, und daß er wohl thun dürfte, die Bäckersche Gesellschaft sogleich zu verlassen. Er entgegnete barsch genug, daß er diesen Ort gewiß nie betreten, hätte er vorher sehen können, wen er hier finden solle! Denn ihr Anblick sei ihm entsetzlich wegen so vielfacher schmerzlicher Erinnerungen, und er hasse sie jetzt ebenso gründlich, wie er einstmals gewähnt sie zu lieben. Da er nun aber schon hier sei, so fühle er nicht die geringste Neigung, sich beliebig fortjagen zu lassen; mit seinem Engagement habe er Ursache zufrieden zu sein; es fehle ihm nicht an Gelegenheit sich auszubilden und nicht an einer klugen geübten Lehrerin, die sich seiner Fortschritte freue. Gottliebe wendete dagegen wiederum ein, daß es ihr höchst unangenehm, ja geradehin unmöglich werden müßte, den direkten Einfluß aufs Kauzburger Theater, womit der Reichsbaron sie betraut, thätig auszuüben, wenn sie bei jeder Gelegenheit zu besorgen hätte, mit ihm und seiner ... Lehrerin in Berührung zu geraten! »Das kann leicht sein,« sagte er, »doch das kümmert mich nichts und ist nicht meine Schuld. Ich habe ein gutes Gewissen gegen Demoiselle, und ich darf Ihr dreist ins Gesicht sehen. Fühlt Sie sich durch Ihr schlechtes Gewissen veranlaßt, vor mir die Augen niederzuschlagen, so ist dies auf Ehre kein Grund, daß ich das Feld räume!«

»Sie wähnen folglich, Herr ... Müller, daß ich es räumen soll? Fabelhafte Prätension! Glauben Sie vielleicht, ich suchte Sie aus meinem Wege zu schaffen, weil ich etwaige Indiskretionen fürchte? Dann sind Sie im Irrtum. Der Baron kennt meine Vergangenheit so genau wie Sie, wie ich. Was denken Sie von mir? Ich bin viel zu aufrichtig, um zu heucheln, viel zu vorsichtig, um mich in Geheimnisse zu verkriechen, vor deren Enthüllung man ja doch nie sicher ist, wie jetzt wieder unser eignes Beispiel lehrt. Der Baron weiß schon, daß Sie derjenige sind, der vor einigen Jahren mein erklärter Liebhaber gewesen; ich habe, sowie ich Sie beim Aufgehen des Vorhangs erkannte, ihm die Erkennung mitgeteilt. Auch ist es nicht Eifersucht, die ihn ihre Entfernung wünschen läßt ... ist er doch so seltsam organisiert, daß er gar nicht eifersüchtig zu werden vermag. Ich, ich allein bin es, die Sie unter jeder Bedingung forthaben will, und er giebt mir plein pouvoir, weil Sie ihm als Schauspieler nicht genügen. Überlegen Sie, was Ihnen mehr Vorteil gewährt! Zeigen Sie sich trotzig, nun dann machen wir von einer Klausel des mit Ihrer Direktion abgeschlossenen Kontraktes Gebrauch und dringen auf Ihre Entlassung. Entsteht daraus Skandal, so werden die herrschaftlichen Beamten ihm zu steuern wissen, und zuletzt, sollt' ich denken, bleibt der Reichsfreiherr zu Tauern-Kauzburg immer noch Herr auf seinem Grund und Boden, daß er vor einem Herrn Schauspieler Müller nicht den kürzeren zu ziehen braucht! Gehen Sie aber auf meine Vorschläge ein, geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß der anbrechende Tag Sie aufbrechen sieht, dann empfangen Sie eine sehr bedeutende Summe, die der Baron zu diesem Zwecke mir soeben eingehändigt, und die drei Engagements dieses Kalibers aufwiegt. Entschließen Sie sich kurz und gut, denn mir ist kalt, und wir beide befinden uns nicht mehr in der Gemütsverfassung, uns durch unsere Nähe zu erwärmen.«

»Sie sprechen sehr offen,« hob Müller nach einigem Besinnen wieder an; »das ermuntert mich, Ihrem Beispiele zu folgen. Würde die Abstandssumme, die man mir bietet, groß genug sein, außer mir auch noch eine ... Begleiterin mäßig zu erhalten, wenn sich unglücklicherweise eine für beide Personen passende Anstellung nicht sogleich fände? Und wie lange würden wir in solchem schlimmsten Falle "privatisieren" können?«

»Sie entzücken mich,« rief Gottliebe aus. »Wollen Sie Madame Bäcker mit auf die Reise nehmen, so wird Ihnen nicht allein der Segen des unterdrückten Gatten, dem Sie die Gattin entführen, es wird Ihnen auch mein Segen nachfolgen. Denn diese Flucht paßt prächtig zu meinen Plänen und Wünschen. Wir wollen nicht schachern. Ich war beauftragt, Ihnen erst fünfzig Stück Friedrichsdor anzubieten; reiche Leute sind manchmal ein bißchen zäh. Doch bin ich auch berechtigt, bis aufs Doppelte zu steigen. Und wenn Sie zu Zweien reisen wollen, ist's nicht mehr denn billig, Ihnen zwei Börsen zu reichen. Geben Sie Ihr Wort ... und nehmen Sie dies Gold!«

Er gab das Wort ... er nahm das Gold ... er verschwand im Nu!

»Ich habe nicht vergebens gewartet,« sprach Gottliebe, als sie sich durch finstere Hecken und über nasse Wege nach ihren Gemächern stahl; »das war ein gelungenes Wagestück: zwei Wegen mit einem Schlage! Nun ist das Feld mein, und ich will's nicht brach liegen lassen!«

Der frühzeitige Aufbruch der Gräfin, welche ihrer Wirtschaft eingedenk den Töchtern kaum Frist gönnte, sich von Ludmilla zu beurlauben, hatte diese wider Willen aus dem Bette getrieben, da es noch dunkelte. Das schöne Kind brachte folglich allerlei wunderliche Bilder des letzten Morgentraumes mit ins Frühstückszimmer, die sie im Halbschlummer ungleich süßer und ungestörter genossen haben würde. Es war eine Familientradition im Tauern-Kauzburgischen Hause, daß der Morgenimbiß gemeinschaftlich genommen werde. Der Baron hielt darauf so streng, wie man unwillkürlich an alten aus der Kindheit eingeimpften Bräuchen hält, auch dann, wenn sie unbequem werden. Und da er doch nicht selten mit Demoiselle Gottliebe noch dies oder jenes unter vier Augen und Ohren zu besprechen hatte, so war Ludmilla stets nur mäßig, immer nur der Form wegen ausgescholten worden, wenn sie sich öfter als dreimal zum Kaffee, richtiger zur Schokolade, hatte rufen lassen. Desto größer war heute das Erstaunen über ihr pünktliches Erscheinen; sie rückte an auf den ersten Ruf. Zum Glücke gab es an diesem Morgen keine Heimlichkeiten mehr. Was sich vor der Eingangsthür zum Theater begeben, wußte der Baron seit Mitternacht. Er wie Gottliebe befanden sich in bester Laune, die noch gesteigert wurde durch die zuversichtliche Erwartung, daß vor beendigtem Frühmahle sich zweifelsohne der bestürzte Theaterprinzipal werde anmelden lassen, um Neuigkeiten zu verkünden, welche den Hörern nicht mehr neu wären. Sie neckten also die Baronesse aus allen Tönen von wegen der aufregenden Nachwirkung des gestrigen Trauerspieles, die gar gewaltig sein müsse, daß sie eine anerkannte Langschläferin so »matinale« gemacht habe. Ludmilla wies diese Zumutung nicht von sich, was ihr doch leicht geworden wäre, hätte sie sich auf die Störung durch Gräfin Krom berufen. Das that sie aber nicht, sondern gestand willig ein, die Eindrücke des vergangenen Abends hätten ihr Schlaf und Ruhe geraubt. In ihrem Eingeständnisse lag eine beinahe trotzige Absichtlichkeit, die dem Vater entging, der Gesellschafterin aber auffiel. Da letztere von dem Lehrjungen des Tapezierers nichts wußte, konnte es ihr auch unmöglich in den Sinn kommen, der jungen Dame seltsames Wesen mit dem Banditen Angelo in Verbindung zu bringen. Sie dachte... denn ihr, der Wohlerfahrenen, blieb nicht verborgen, daß hier vielleicht eine erste, unbewußte Neigung keime ... sie dachte zunächst an den Prinzen und erteilte sich im stillen abermals reichliche Lobsprüche, diesen Stein des Anstoßes, der auch für Ludmillen ein solcher hätte werden können, beseitigt zu haben. Wofern beide nur wirklich über alle Berge sind! seufzte sie hinterher ... und zugleich verkündete der Kammerdiener, von der Anstrengung sich das Lachen zu verbeißen purpurrot, der Komödiantenmeister stehe im Vorsaale mit höchst erbärmlicher Miene und bitte um gnädige Vergünstigung, eine entsetzliche Begebenheit vermelden zu dürfen. Gottliebe richtete einen Wink des Einverständnisses an den Baron, und dieser ließ ein munteres, vergnügtes: »Ei versteht sich, nur herein!« hören, wie jemand, der sich auf einen komischen Auftritt freut, ohne zu erwägen, was derjenige, der ihm solches »Amüsement« bereitet, etwa dabei ausstehen mag.

Bäcker begann mit hofmännischer Grazie, die auch durch ironische Bitterkeit lebhaft an den gestern dargestellten intriguanten Kammerherrn erinnerte, die dann, je weiter ihn seine innere Erschütterung fortriß, immer mehr vom Ausdruck aufrichtiger Empfindungen verdrängt wurde: »Euer Erlaucht (das hatte er schon von der Tauernschen Dienerschaft aufgeschnappt!) habe ich eine für Hochdero Hoftheater tiefbetrübende Neuigkeit anzuzeigen. Mir sind, seitdem ich die Direktion führe, schon verschiedentliche gewissenlose Subjekte durchgebrannt mit kleinen Vorschüssen und sogar mit jenen Garderobestücken, welche sie noch von ihrem letzten Auftritte am Leibe trugen ... ich habe niemals großes Aufhebens davon gemacht, die Flüchtlinge nie verfolgt, den Schaden verwunden, ihnen glückliche Reise gewünscht, und nur meine Kollegen bedauert, die solch' Gesindel aufnehmen würden. Heute jedoch kann ich mit dem erhabenen Dichter der Trilogie ›Wallenstein‹ ausrufen: ›Solch‹ eine Flucht und Felonie, Herr Feldherr, ist ohne Beispiel in der Weltgeschichte! Mein erster Liebhaber, mein holder Held, mein Damenliebling, mein ›schöner Mann‹ ist fort. Er war ein sehr mittelmäßiger Artist, ein Windmühlflügelarmer Naturalist, ein hohler Deklamator, ein Mensch ohne Schule, ein gezierter Dilettant, nach meiner Privatansicht. Aber spielt' ich für mich und meinen Geschmack, reichsfreiherrliche Gnaden? Quod non! Ich spiele für die Zuschauer, das heißt für die Damen, und wenn diese zufrieden sind, muß der Direktor schweigen. Müller galt für den Abgott des schönen Geschlechts; Müller war mein Um und Auf! Ich könnte einen Scherz anbringen, ein nicht gänzlich verwerfliches Wortspiel, indem ich die Frage auswürfe: Was soll ein Bäcker beginnen ohne Müller? Ich könnte hinzufügen: mein letztes Brot ist gebacken, wer wird mir nun Mehl liefern? Doch dies ist eine thörichte Redefigur, wie Polonius sagt, sie fahre wohl! Auch vergeht mir der Scherz vor dem ins Lebendige schneidenden Ernste. Müller hat sich nicht solo von Kauzburg entfernt. Es hat ihn ein weibliches Mitglied der Bühne begleitet ... meine Frau hat mich verlassen. Madame Bäcker ist ihm gefolgt, oder er ihr. Sie hat es durchgesetzt, die wütende Orsina: der Prinz nahm sie mit ... oder sie ihn? ... ich weiß es nicht ... hier versagt mir die Sprache.«

»Ho ho,« rief der Baron, »so niedergeschmettert, weil Ihre Tyrannin Sie von sich befreite? Klagten Sie nicht gegen uns über die Anmaßungen dieser Frau? Jammerten Sie nicht, daß sie Ihnen Ihr Geschäft verleite? Sie müßten ja Gott danken für diese unerwartet günstige Wendung!«

»Der Ehemann klagt nicht; der preist seinen Schöpfer aus tiefster Brust, das mögen Erlaucht mir glauben, für die Erlösung vom Übel. Der Theaterdirektor hinwiederum hat andere Rücksichten zu nehmen. Sie ist ein Drache, wir wissend alle. Leider giebt es auch Drachen, die vortrefflich Komödie spielen. Ein solcher ist sie. Wer soll, wer kann sie ersetzen?«

»Schieben wir diese Frage fürs erste in den Hintergrund,« sagte Gottliebe, »um sie später wieder aufzunehmen. Das Notwendigste scheint mir, darauf zu denken, wie unsere Darstellungen nicht ins Stocken geraten, wie wir wöchentlich dreimal Theater haben, was der Nachbarschaft verheißen wurde. Es ist zunächst darum zu thun, daß Sie Stücke ausfinden, wo sie mit Ihren jüngeren Schauspielerinnen auskommen, bis ... bis sich die allerdings fühlbare Lücke, welche durch Madame Bäckers Abgang entstand, vielleicht wieder füllen läßt.«

»Es soll also reichsfreiherrliches Amt keine Verfolgung und respektive Einbringung der Ausreißer requirieren?«

»Durchaus nicht,« sprach der Baron. »Wider seinen Willen werden wir niemand hier festhalten. Das dürfte uns schlechte Früchte tragen.«

Bäckers Gesicht verklärte sich. »Doch,« fragte er dann bedenklich weiter, »setzen wir den Fall, es ließe sich der Mangel im weiblichen Personale durch ein sorgsam zusammengestelltes Repertoire auf einige Zeit maskieren ... wer remplaciert uns den vermaledeiten Müller? Das eigentliche Liebhaberfach ist die schwächste Seite meiner Truppe!«

Darauf wußten weder Gottliebe noch der Baron etwas Tröstliches zu erwidern. Da, zu ihrem höchsten Erstaunen, ergriff Ludmilla, die sich ungefragt sonst nie ins Gespräch mischte, mit Entschiedenheit das Wort und machte den Vorschlag, man möge es doch mit dem jungen Menschen versuchen, der gestern den Banditen gegeben, dem Gräfin Krom ein so vorzügliches Lob erteilt, den eigentlich alle Zuhörer in seiner kleinen Rolle am meisten bewundert hätten.

Der Baron lachte auf: »Sie bleibt dabei, ihr Angelo soll ein hübscher Junge sein!« (In diesem Augenblicke bedachte er nicht, daß er von Monsieur Bäcker, dem Sohne des anwesenden Prinzipals, rede.)

Dieser fing den ihm zugeworfenen Ball begierig auf: »Ob mein Junge hübsch ist? Darüber steht mir kein Urteil zu; daß er eben nur noch ein Junge sei, darin haben gnädige Baronesse richtig geraten. Daß ihm ein bedeutendes Darstellungstalent innewohne, weiß ich erst seit gestern. Meine Selige – meine Davongelaufene wollt' ich sagen; der Selige bin ich! – meine zweite Frau konnte den Stiefsohn nicht sehen. Ich mußte den armen Bengel, um nur einigermaßen Ruhe zu kriegen, als Lehrling bei einem Handwerksmanne unterbringen. Aber das that nicht gut; er war schon zu erwachsen; und dann steckte ihm der Theaterteufel in den Gliedern, im Blute. Er kam vor wenig Wochen zurück, trug sich zu jedem Dienste, zur schwersten Arbeit bei mir an, wenn er nur zwischen den Coulissen bleiben, nur Lampenluft und Qualm atmen dürfte! Die Stiefmama willigte endlich ein, doch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er nicht bei uns wohne. Ich nahm ihn als ein Stückchen Maschinist, ein Stückchen Beleuchtungsaufseher, ein Stückchen Schreiber, als Requisiteur, als Schicketanz ... und als Tänzer! Denn alles was wahr ist, er tanzt scharmant und ist gewachsen, wie wenn er einem Bildhauer vom Postamente 'runter gesprungen wäre. Gestern hat er es nun zum erstenmal mit einem Röllchen in einem klassischen Schauspiel wagen dürfen ...«

»Und hat sich meisterlich dabei benommen,« fiel Gottliebe ein. »Was Ludmillchen vorschlägt, verdient Beachtung. Versuchen wir's mit Ihrem Sohne! Zeigt er, daß er Lust und wahren Antrieb besitzt ...«

»Er lebt nur für die Schauspielkunst!«

»... so muß es gelingen. Ehe vierzehn Tage ins Land gehen, denkt niemand mehr an Herrn Müller, und die Losung unserer schmachtenden ländlichen Zuschauerinnen heißt ... wie heißt er?«

»Wulf!« rief Ludmilla unvorsichtig. Weder ihr Vater, noch Wulfs Vater merkten darauf; keinem von beiden kam es in den Sinn sich zu erkundigen, woher sie diese Kenntnis habe. Gottliebe dagegen faßte auch jetzt die Bedeutung des übereilten Wortes auf und schien nicht ungehalten über eine Entdeckung, die ihr, weiter verfolgt und richtig benutzt, später vielleicht manchen Vorteil gewähren könnte.

Den Baron langweilten alle Präliminarien; für nichts anderes galten ihm, dem es hauptsächlich um Gottliebes baldiges Erscheinen auf den Brettern zu thun war, diese Besprechungen. Er schnitt sie mit der Äußerung ab: »Versucht's also; macht aus dem Angelo einen Angelos, einen Engel, der in schöne Gewänder gehüllt unsere zarten Jungfräulein entzückt und durch aufgeklebten Bart poetisch-gesinnte Frauen, deren einige vielleicht natürliche Bärte tragen, zu täuschen lernt. Wir Männer verlangen auch unser Recht. Und da denn Meister Bäcker »selig geworden,« so vergönne man uns gleichfalls etwelche Seligkeit, indem statt seiner Entwichenen eine Anwesende deren Rollen übernimmt; eine Anwesende, welche keiner Schminke bedarf, um alles zu überstrahlen. Wie ist's, Gottliebe? Werden Sie sich entschließen?«

»Mademoiselle! Mademoiselle auf meiner Bühne?« Und Bäcker blähete sich vor Stolz auf bei diesem Gedanken. »Solches Heil, solche Ehre wär' uns vorbehalten? Dann in Wahrheit hätten sich Herr Müller und die Nachbarin unsterbliche Verdienste um mich erworben durch ihr Entweichen!«

»Welche Nachbarin?«

»Habe ich "Nachbarin" gesagt? Ich bitte um Entschuldigung; das ist ein Spitzname, den meine zweite Gattin bei der Gesellschaft führte, und der mir unwillkürlich entschlüpft ist. Er rührt von Lessingen her, heißt das ohne dessen Vorwissen; nur weil er in einem seiner epigrammatischen Liedchen singt: ›Die Nachbarin Klimene war allen Menschen gut!‹ Meine Leute haben das parodiert und singen: ›Die Nachbarin Klimene ist keinem Menschen gut!‹ wodurch der Rundreim: ›Ach Gott, das gute Kind!‹ nur um so komischer herfürtritt. Aber lassen wir die unwürdige Nachbarin, welche jetzt schon durch Berg und Thal – ich hoffe für immer –von uns getrennt ist, und halten wir uns an die Würdigste, die Liebenswürdigste, die erhabene Volontärin ... welche Rollen werden hochverehrteste Demoiselle zu deren ersten Debüts befehlen?«

»Geduld, mein lieber Herr Impresario, so weit sind wir nicht. Der Wunsch des Barons, wie schmeichelhaft er immer für meine Eitelkeit sein mag, will doch wohlbedächtig erwogen werden. Ziemt es sich für meine Stellung, für mein Verhältnis ... zu Ludmilla, daß ich mich unter euch Komödianten mische? Diese Bedenklichkeit darf Sie nicht beleidigen, Bäcker; ich meine nur ...«

»Gnädige Herrschaften! gestatten Sie mir eine Unterbrechung; erlauben Sie mir eine Begebenheit aus meinem Künstlerleben zu citieren. Es mag anjetzo fünf- bis sechsundzwanzig Jahre her sein, daß ich, ein junger Kerl, kaum älter denn gegenwärtig mein Junge, der Wulf, mich in Gotha befand, unter Leitung unseres nie übertroffenen, in seiner Art und Weise unübertrefflichen Eckhof. Ich war freilich noch ein blutjunger Anfänger, und wenn ich mich auch mimisch und plastisch ganz honett verhielt, so war es doch um die Recitation gar miserabel bestellt; denn reden hab' ich erst von Eckhofen gelernt! Nun, besagter Eckhof wurde nach Weimar berufen, um dort im ›Westindier‹ eine Gastrolle auf herzoglicher Privatbühne zu geben. Ich genoß die Auszeichnung, als Statist, als Diener, als Schneider, als Aushelfer, als Inspizient, als Faktotum mitzugehen, ich fühlte mich hochgeehrt, bei den Verwandlungen Stühle und Tische wechseln zu dürfen. Meister Eckhof spielte den Stockwell. Wer, glauben Sie, bewegte sich neben ihm auf den Brettern? Da war ein gewisser Goethe, ein Mann von einigem Talent für Poesie und nebenbei angehender Minister. Da war Prinz Konstantin, da waren Kammerherren und Hoffräuleins; da war endlich der regierende Herzog in ipsissima-ester Person! und alle hatten zu kommen und zu gehen, wie ich es ihnen aus meinem für diesen Abend eigens auf Velinpapier sauber geschriebenen Scenarium anbefahl ... bitte um Nachsicht für die Unterbrechung, allervortrefflichste Demoiselle!«

»Bravo Bäcker!« rief der Baron. »Er hat es Ihnen gut gesagt, unser Prinzipal; er hat seine Intendanz artig ad absurdum geführt. Werden Sie jetzt noch zögern, Gottliebe?«

»Gehen Sie mir mit gutem Beispiel voran, Baron! Ahmen Sie den herzoglichen Freund Goethes nach.«

»Wenn ich ein Fünkchen Talent in mir spürte ... mit Vergnügen! Schon um das Eis zu brechen und Sie in Gang zu bringen. Doch ich weiß, daß ich mich vor meinen Beamten lächerlich machen würde, und das darf nicht geschehen!«

»Nun dann Ludmilla?«

»Wozu? An Backfischen ist kein Mangel bei der Truppe. Meine Tochter gilt noch für ein halbes Kind; und sie hat ...«

»Da muß ich widersprechen. Mit siebzehn Jahren ...«

»Gleichviel! Ihr fehlt jedes Verständnis. Sie würde sich blamieren.«

»Und wer bürgt mir dafür, daß ich es nicht thue?«

»Machen Sie mich nicht ungeduldig mit diesen Zierereien! Wenn Sie sich noch länger bitten lassen, so ...«

»So? ...?«

( Leise.) »So geb' ich zu verstehen, daß es Ihnen nicht an Routine mangelt!« –

Diese Drohung half. Gottliebe erklärte endlich, sie wolle versuchen, ob sie imstande sei, das in ihre Fähigkeiten gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen. Allerdings habe sie schon Proben davon mit Glück abgelegt und vielerlei Lobeserhebungen eingeerntet. Doch freilich, zwischen Dilettanten und Komödianten vom Handwerk bleibe stets eine tiefe Kluft, welche auszufüllen oder nur zu verdecken ...

»Ihre Reize, Ihre geistige Überlegenheit tausendfach genügen,« jubelte Bäcker auf.

Er war wirklich so entzückt von dieser für seinen Kauzburger Winter höchst wichtigen und vielversprechenden näheren Verbindung zwischen Schloß und Manege, daß er seinen altzünftigen Meinungen über Verächtlichkeit des »Dilettantengestümpers« untreu wurde und – momentan wenigstens – an der neuen Acquisition unbezweifelten Beruf glaubte.

Wie der Baron sich fest überzeugt hielt, daß jetzt kein Rücktritt Gottliebes mehr zu befürchten sei, sagte er zu seiner Tochter: »Wir wollen uns entfernen, Ludmilla, damit sie ihre Arrangements ungestört vornehmen können. Wir würden ihnen ja doch weder mit Rat noch mit That beizustehen vermögen, und es ist für uns beide angenehmer, uns durch die Ergebnisse ihrer Konferenz überraschen zu lassen. Was die Gage dieses neuen Mitgliedes betrifft,« fügte er sich an Bäcker wendend hinzu, »so kommt dieselbe nicht auf Ihren Etat, Herr Schauspielunternehmer!« Dann reichte er der Baronesse seinen Arm und führte sie aus dem Saale.

»Kommen Sie mit auf mein Zimmer,« sprach jetzt hastig Gottliebe; »die Maulaffen von Bedienten horchen hier auf jede Silbe.«


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