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Für Egon Erwin Kisch zum 50. Geburtstag

Lieber Kisch, Du weißt, was ich von Geburtstagen halte. Erinnerst Du Dich noch? Vor etwa sechs Jahren hast Du mir vorgeworfen, daß ich meinen sechzigsten nicht mit Euch Jüngeren in Berlin gefeiert habe, daß ich an diesem Tage irgendwo in Amerika verschollen gewesen bin. Genau gesagt, saß ich an diesem Tag vom Morgen bis Abend im Sterbehaus unseres Großvaters Walt Whitman in Camden vor Philadelphia. Jetzt kommt nun der Brief der »Internationalen Literatur« gerade in dem Augenblick, in dem ich in einer Zeitung lese, daß Du Dir in Australien den Fußknöchel gebrochen hast, als Du vom Schiff an Land gesprungen bist. Beileid! Mir ist einmal Aehnliches passiert (zwar nicht in so schmerzhafter Form, aber immerhin). Als ich nämlich im Sommer 1911 in Hoboken zum erstenmal den Fuß auf den nordamerikanischen Kontinent setzte. Ich war damals, 1911, um acht Jahre jünger, als Du heute bist. Aber als ich mein Buch: »Amerika heute und morgen« geschrieben und veröffentlicht hatte, da sagte mir Frank Wedekind, mit einem Seitenblick auf einen anrüchigen Berliner Journalisten, halblaut: »Siehst Du, der ist jetzt Dein Kollege!!«

Welches Mißverständnis! Es ist heute noch keineswegs behoben! Immerhin war dieses Buch, soviel ich weiß, das erste in deutscher Sprache geschriebene, das eine Reise vom sozialistischen Standpunkt geschildert hat. Ich sage das, nicht, um mich dessen zu rühmen, sondern weil es mir scheint, daß diese Tatsache gegenwärtig ein bißchen in Vergessenheit geraten ist. Meine Vorfahren waren damals unser Freund Upton Sinclair, dann der wunderbare Johannes V. Jensen, der wiederum von Kipling herkam, dieser aber von Swift, der von Marco Polo und so weiter. – Jack London kannte man damals noch nicht. Reed aber war ein Knabe. An alldies erinnert man sich. An alldies erinnert mich Dein Leben, Kisch, das Du prachtvoll gelebt hast ...

Heile Deinen gebrochenen Knöchel aus, Kisch, schone ihn sodann nicht, gebrauche ihn, wie den heil gebliebenen. Es lohnt sich. Und werde recht alt, ohne die bösen Erfahrungen zu machen, die im Menschendschungel einen aufmerksamen Forschungsreisenden erwarten, der sich während seines Daseins unter seinesgleichen in allen verfügbaren Kontinenten Augen und Sinne geschärft und dabei seine Energie auf dem Fleck bewahrt hat, wo sie hingehört!

Alles Beste! Dein
Arthur Holitscher


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